THE LIBRARY
OF THE
1B
ZEITSCHRIFT FÜR BÜCHERFREUNDE.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben
von
FEDOR VON ZOBELTITZ.
Zweiter Jahrgang. — 1898/1899.
Erster Band.
Bielefeld und Leipzig.
Verlag von Velhagen & Klasing.
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Inhaltsverzeichnis
IL Jahrgang 1898/1899. — Erster Band.
Die illustriertes Beitrüge lind mit * bcreichnet.
Grössere Aufsätze.
*Aufseesscr, Julius: Ein ungedrucktes Annalenwerk der Lithographie
Buchholtz, Arcnd: Die Berliner Littcratur von 1848 83
* Bulthaupt, Heinrich: Die Bremischen Theaterzettel von 1688
Fischer von Röslerstamm, E.: Vom deutschen Autographenmarkt
*Forrer, R.: Mittelalterliche und neuere Lesezeichen
*Frick, Georg: August Hermann Francke und die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle
* Fuchs, Eduard: Lola Montez in der Karikatur
*Gen6e, Rudolph: Das Notenskizzenbuch Mozarts aus London 1764
Goebel, Theodor: Vom Fortschritt in der graphischen Kunst und Technik
•Grunwald, F.: Wie logieren wir unsere Bücher? Anregungen und Vorschläge . . .
* Hagen, Johannes: Zur kunstgeschichtlichen Litteratur
*Hauffcn, Adolf: Über die Bibliothek Johann Fischarts
* König, Heinz: Georg Leopold Fuhrmanns Schriftprobenbuch von 1616
•Leiningen- Westerburg, K E. Graf zu: Neue Ex-Libris
Loubier, Jean: Bibliographien von William Morris Schriften
•Müller-Brauel, Hans: Drei Ex-Libris der Lüneburger Ratsbibliothek
*Ring, Max: Zur Geschichte des „Kladderadatsch"
von Schleinitz, Otto: Die dritte Ashbumham- Auktion
— Caxton im British Museum
Schmidt, Adolf: Mittelalterliche Lesezeichen. Ein Nachtrag
Schur, Ernst: Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
L Der gegenwärtige Stand
H. Neue Typen
O. Die Komposition als Mittel
* Sondheim, Moriz: William Morris
*Witkowski, Georg: Chodowieckis Werther-Bilder
561884
VI
Inhaltsverzeichnis.
Seit«
*Wolff, Eugen: Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein" von Kleist her? 232
•von Zobeltitz, Fcdor: Die Bibliophilen. L Eduard Grisebach 163
— Zusätze zur Geschichte des Kladderadatsch von Max Ring . . 176
* — Neue Illustrationswerke 89
♦von Zur Westen, Walter: Moderne deutsche Notentitel 1
1. Paul: Die praktischen Arbeiten des Buch-
binders. ( — bl— ) .
t, Otto: 's FreindL Heft I. (-f.)
1 für Schule und Haus. (Theodor GoebeL)
Bock. Alfred: Aus einer kleinen Universitätsstadt.
Kulturgeschichtliche Bilder (I). (A.I. Jellinek.)
Bofveanen, udgivet afForening for Boghaandvxrk.
(D)
Börner, A: Die lateinischen Schülergespräche der
Humanisten. L (A. L. Jellinek)
Fontane, Theodor: Chr. Fr. Scherenberg und das
litterarische Berlin von 1840 bis 1860. (v. Z.)
— Von zwanzig zu dreissig. (v. Z.) . . .
r, R.: Les Imprimeurs de Tissas dans leurs
Relations historiques et artisliques avec les
Corporations. ( — z.)
of the Books of Kings aecording to the
Translation of Aquila, fron» a Manuscript for-
roerly in the Geniza at Kairo. (Otto von
Schleinitz) ,
Puchs, Eduard: 184S in der Karikatur. (K. v. R.)
Orand-Carteret, John: L'AfTaire Dreyfus et l'Image.
(F. von Zobeltitz)
„HaoascbaU moderner Kunst", Heft 6 bis 10. (— bl— )
Helerll, Julie: Die Schweiler-Trachten vom XVII.
bis XIX. Jahrhundert nach Originalen. (— n.)
Hertz, Paul : Die Kölner Buchermarken bis Anfang
de* XVII. Jahrhunderts. Mit Nachrichten über
die Drucker von Otto Zaretzky. (P. E. R.) .
— Neujahrswünsche des XV. Jahrhundert.
(W. L. Schreiber)
Holme», Richard R.: Queen Victoria. (— s.) . . .
Kaulmann, Georg: Die Geschichte der deutschen
Universitäten. (A L. Jellinek)
Lutber, Jobannes: Die Reformationsbibliographie
und die Geschichte der deutschen Sprache. (Kp.)
Meisterwerke der Holzscbaelockaaat. Neue Folge.
Viertes Heft Moderne Meister. (— L.) . .
NeDseo.Fridtjof: InNacht und Eis. Supplement. (— tz.)
Kritik.
Stil» Seite
»Pan." Zweite Hälfte des dritten Jahrgangs, drittes
40 und viertes Heft, (—f.) 97
144 — III. Jahrgang. IV. Heft (v. Rh.) 258
190 Pernwerth von Blraitela: Imitate. Lateinische Nach-
bildungen bekannter deutscher Gedichte.
143 (A. I. Jellinek) 189
Plate: Codex Oxoniensis Clarkianus 39. Hrsgeg.
144 von Dr. Scato de Vrics. (—1—) 193
Praetor, Robert: Early printed Books. (v. S.) . . 145
142 von Keber, F., u. A. Bayeraderfer : Klassischer
Skulpturenschatz. ( — f.) 191
263 Rdoaoa, Heinrich: Johannes Brahms. (Robert
263 Eitner) 188
von Scheck, Graf Adolf Friedrich: Gesammelte
Werke, (—f.) 191
44 Schillers Werke. Hrsgeg. von Ludwig Bellermann.
(-W-) 190
Stadcat, der Leipziger, vor hundert Jahren. Neu-
druck aus den „Wanderungen und Kreuzzügen
192 durch einen Teil Deutschlands von Anseimus
261 Rabiosus dem Jüngeren". (A L Jellinek) . 143
trenne, Octave: L'Art dans la decoration exterieure
192 des livres en France et ä FEtranger. (K. R.) 4 t
262 „Ver Sacran". Organ der Vereinigung bildender
Künstler Österreichs. (L.) 262
96 Wasouaa, Friedrich: Ein deutsches Künstlerleben
von ihm selbst geschildert. Hrsgeg. von
Bcrnt Grönvold. (— K.) 39
143 Werkmeister, Karl: Das neunzehnte Jahrhundert in
Bildnissen, (v. R.) 95
260 — Desgl. Heft 3 bis 8. (— bl— ) .... 261
44 Wrede, Richard : Die Körperstrafen bei allen Völkern
von den ältesten Zeiten bis auf die Gegen-
141 wart (— bl— ) 191
Wyl, W.: Spaziergänge in Neapel, Sorrent, Pom-
258 peji etc. (-g.) 192
— Aus Tizians Tagen. ( — g.) 192
97 Zaracke, Friedrich: Aufsätze und Reden zur Kultur-
259 und Zeitgeschichte. (A L. Jellinek) .... 143
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Inhaltsverzeichnis. VII
Chronik.
Seite
Blumner über Buchausstattung. (Dr. D.) . . . . 48
Der Casanova-Brief in der Morrison-Sammlung. (Dr.
H. H. Meier) 100
Drackerel. die erste, in Konstanunopel. (— r.) . . 267
Oablb' Scharrte. Wo befinden sich die HoUstöcke
xu den Schnitten von Friedrich Wilhelm C?
(R. Winter) 196
Ooblti' Scharrte Antwort. (W.) »68
Helaes „Buch der Lieder". (Hugo Oswald, München) 47
Die Druckerfamilie Lc Rotte. (W. L, Schreiber) 196
Wer ist Verfasser der „Geschichte eines Patriotischen
"? (Max Freund.) (G. Weisstein) 100, 147
Zu dem Aufsatz: „Ein Annalea werk 4er Litho-
graphie". (J. A.) 147
Zu dem Aufsatz über die Bremische! Theaterzettel
von 1688. (Heinr. Bulthaupt, Bremen) ... 267
Zu dem Aufsatz „Ober die Bibliothek Jobana
Flschertl". (A. Ilauffeu) 148
Zu d. Aufsatz : „Lala Moatei i. d. Karikatur" (E. Fuchs) 1 96
Zu dem Aufsatz über die Lata Moatex-Karikaturen.
(R. Ferber, Hamburg) 267
Desgl. (v. F.) 267
Zu W. Rowe* Aufsatz „Zur Litteratur über Friedrich
Wilhelm TL" (Ludw. Geiger) 48
Mitteilungen.
Absaii der Scheffelschen Werke. (Hugo Oswald) 194
Aasstellnng der KgL Univcrsitits-Bibliothek Würz-
bürg. (E. Freys) 265
Bauerafanltle. Eine büchersammelnde. (Hans Müller-
Brauel) 145
Bucbformate nach ihrer historischen und ästhetischen
Entwickelung (G. Mitchsack) 45
Dokument zur Geschichte der Buchdruckerkunst
Jean Brito 100, 195
Drackeraarkea aus Speier und Neustadt a. d. Hardt
(F. W. E. Roth) . 99
♦Elnbaad, älterer türkischer. (Ed. Heyek; ... 264
Neue 45
Ex-Llbrls, Ein gemaltes, Rudolfs von Franckenstein,
Bischofs von Speyer 1552—1560. (Adolf
Schmidt) 266
Frau von KriMeacr, Schriften von und über. (Heinr.
Meisner) 195
Wer hat Lathen Thesen gedruckt? {— r.) . . .147
"Plakate der 1896er Ausstellung für Elektrotechnik
und Kunstgewerbe in Stuttgart und für das
Krefelder Kaiser Wilhelm-Museum, (bl— ) . 263
Schrift, Deutsche oder lateinische. Ein Brief von
Karl Simrock. (Georg Bötticher) .... 193
Grumpelt) 98
Bredenbrücker, Richard Crispin: der Dorfbeglücker
und Anderes, (—f.)
Dehmel, Richard: Erlösungen. ^ — bl — > . ...
*Dichterbuch, Hannoversches. Ein Sammelbuch
heimatlicher Dichtung. Hrsgeg. von Hans
Müller-Brauel. ( — z.)
Gerlach, Hugo: Heirat auf Tausch, (—f.) ....
Hegeler, Wilhelm: Sonnige Tage, (—f.)
■ • *
197
.98
268
197
198
Larsen, Karl: Doktor Ix. (— bl— )
198
Roland, Emil: In blauer Ferne, (—f.)
von Schener, Thassilo: Seltene Stunden. (— bl— )
Schelter, J. G., & Giesecke: Probenheft. (— K.) .
„Die Schweiz." Illustrierte Halbmonatsschrift ( — z.)
Viebig, Clara: Vor Tau und Tag. (—f.) ....
von Zobeltitz, Fedor: Der gemordete Wald . . .
E. Halle: 1700 Porträts. (D. V.)
S. Kende: Briefwechsel zwischen Joh. Peter Ecker-
mann und Auguste Kladzig. (— bl— ) . . .
Antiquariatsmarkt.
5'
270
* Jacques Rosenthal: Alte Handschriften, Pergament-
drucke etc. (— bl— ) 101, 148
Nathan Rosenthal: 16 Seltenheitskataloge. (— m.) 269
Von den
Amsler & Ruthardt: Bibliothek v. Sallet (—f.) 10t
Bums' „Poems" (Kilmarnock-Ausgabe). (—ho.) . 50
Des Marquis de Chcnncvieres Sammlung von
200 Zeichnungen französischer Künstler . . 197
Gilhofer & Ranschburg: Autographen 49
Hötel Drouot: zweiter Teil der Bibliothek Allred
Begis 50
— Wasserbilder und Zeichnungen von Felicicn
Rops 50
J. M. Heherle: Pergamenthandschriften au* der
Kunstsammlung des Konsul Becker. (— bl— ) 196
Georg Hirtn-Kollektion in München 197
Leo Liepmannssohn : Autographen 49
Die zweite Hälfte der Auktion Piat in Paris. (— m.) 196
Sammlung seltener Bücher des Grafen du Rv. (— s.) 102
Salvaing de Boissieus Bibliothek in Grenoble. (— m.) 50
Sotheby: Bibliothek von George Skene; Autographen
(-«•) 5»
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vm
«53. aoo, 27a
54, 2<»
Deutschland 52, 102, 149, 198, 269
England 55, 104, 151, 200, 271
Prankreich 56, 104, 152, 199, 272
lullen
Ötterrcich-Uurnrn
• • 56, 152
53. «<>3. 269
... 152
Zu Heft 1—6: Kataloge —
(sw. S. 44/45V
Ex-Llbris der alten Lunebarftr
Beiblatt
Aus der Antiquariatswelt — Bibliographie — Von den Auktione
— Aus den Vereinen — Sprechecke — Briefkasten — Anseigcn.
Kunstbeilagen.
fj. G.
Entworfen und geteichnet von Otto
(iw. S. 208,209).
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Kcdor von Zobcltitz.
a. Jahrgang 1898/99. Heft 1: April 1898.
Moderne deutsche Notentitel.
Von
Walter von Zur Westen in Berlin.
|ie früher in Deutschland seltene künst-
1 rische Ausschmückung der Buch-
umschläge hat seit kurzem einen
erfreulichen Umfang
angenommen. Aufeini-
ge bezeichnende Bei-
spiele hat der Heraus-
geber in I left I vorigen
Jahres der „Zeitschrift
für Bücherfreunde" hin-
gewiesen. Die nach-
folgenden Zeilen sollen
die auf dieselben Ur-
sachen zurückzuführen-
de Parallelbewcgung
auf dem Gebiete des
Musikalicnhandcls schil-
dern, deren Anfänge
ebenfalls in der jüng-
sten Zeit liegen. Ein-
leitend will ich einige
von Künstlerhand ge-
fertigte Notcntitel aus
früheren Jahren erwäh-
nen, die mir gelegent-
lich bekannt geworden
sind, und zugleich ver-
suchen, die Entwicke-
lung der äusseren Aus-
stattung der Musikalien
z. f. B.
Notcatitcl ron Hanl Uofer.
(A. W. Rom Verla? in Druden.)
in unserm Jahrhundert kurz zu skizzieren. In
den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts
präsentierten sich die Notenhefte fast durchweg
in schlichtemGewande.
Der einfache Schrift-
titel bildete die Regel.
Nur in Ausnahmefällen
wurden die Deckel mit
einem zeichnerischen
Schmuck versehen, der
dann entweder in einer
ornamentalen Rand-
leiste oder einer massig
grossen, die Mitte des
Blattes einnehmenden
Vignette bestand. Den
beliebtesten Gegen-
stand der letzteren bil-
dete begreiflicherweise
eine verzierte Lyra, oft
zusammen mit andern
Instrumenten. Dane-
ben kommen auch alle-
gorische Gestalten, Mu
sen.Genienetc. häufiger
vor. Illustrationen zu
der die Grundlage der
Komposition bildenden
Dichtung habe ich aber
seltener gefunden.
1
Iranern«
«radtriitiaut
Cm st Tv>sT.
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2
von Zur Westen, Moderne deutsche Notentitel.
Solche Vignetten
hat Moritz von
Schwind als junger
Künstler um die
Mitte der zwanziger
Jahre zu einer Reihe
von Klavierstücken
aus dem Barbier von
Sevilla, Edoardo e
Cristina, zu Tancred
und II Turco in Italia,
zurDiebischenElstc r
und vielen andern
Tonwerken entwor-
fen („Moritz von
Schwind, sein Leben
und seine Werke"
von Dr. H. Holland,
Stuttgart 1873. S.
19). Diese Noten-
hefte habe ich leider
in Berlin nicht auf-
treiben können. —
Von Schwinds Hand
rührtaucheinedurch
den Holzschnitt re-
produzierte Titel-
zeichnung zu Karl
Pcrfalls „Reigen des Rattenfängers", Erinnerung
an das Künstlermaskenfcst 1853, her (Joseph
Aibl, München). Ein Exemplar des Blattes be-
findet sich im hiesigen Kg), Kupferstichkabinett.
Es stellt mehrere Damen dar, die im Gesprach
beieinander stehen, und ist eine künstlerisch
ziemlich belanglose Gelegenheitsarbeit
Unter den ornamentalen Randleisten der
ersten Jahrzehnte finden sich eine Anzahl treff-
licher Arbeiten. AU beliebig herausgegriffenes
Beispiel erwähne ich den Titel von Nicolos „Ro-
mances", herausgegeben von Jäger. Allmählich
nahmen die Umrahmungen einen grösseren
Umfang ein. Man gestaltete sie zum Beispiel
als reich dekorierte gotische Portale oder man
verschmolz sie mit figürlichen Kompositionen.
Ein vorzügliches Blatt der letzteren Art ist der
Deckel der „Sonntagsmusik", gewählt und be-
arbeitet von E. Bauer (Breitkopf & Härtel,
Leipzig), den Alexander Strähuber, ein Schüler
Schnorrs, 1840 entworfen hat Den oberen und
unteren Rand nehmen Gruppen musizierender
und Wein lesender Engel ein. Die beiden Lang-
Pavl Stoevinc
KOMPOSITIONEN
'^Violine
PlANOFOR'
E
Noieotitcl von Cur! Sioevinf.
(Mit CefiehraurunK von C. f. W. Siesel* MmiluhcnhWI-.ing |R. I..nnem»n»|
in I.ciptjg.)
Seiten sind mit Guir-
landen geschmückt
die durch verschlun-
gene Weinreben und
Rosenzweige gebil-
det werden.
Auch Ludwig
Richters Titelzeich-
nungen tragen, so-
weit sie mir bekannt
sind, den Charakter
von Umrahmungen,
wenn sie auch den
grössten Teil der
Seite bedecken. Der
Deckel von „43 Kla-
vierstücken für die
Jugend" von Robert
Schumann, op. 68,
herausgegeben von
Clara Schumann
(Breitkopf & Härtel)
zeichnet sich durch
eine Fülle lieblicher
Scencn aus dem
Kinderlebcn aus, die
so fein und treu be-
obachtet und mit so
schlichter Poesie zur Darstellung gebracht sind,
wie eben nur Ludwig Richter es vermochte.
Als dekoratives Blatt steht aber der Titel
von „Jungbrunnen, die schönsten Kinderlieder,
herausgegeben von C. Reinecke" (Breitkopf &
Härtel) höher. Mehrere Kinder belustigen sich
an einer Quelle unter dem Schutze eines harfe-
spielenden Engels. Eine alte Frau steht abseits
und sieht mit freundlichem Lächeln zu. Zu
beiden Seiten ragen schlanke Bäume empor,
deren Kronen sich vereinigen und das Blatt
nach oben hin abschliessen. Nicht ganz so
gelungen wie diese Arbeit scheint mir der Titel
von Kirl Reineckes „Bornesange" (Breitkopf &
I lärtel). Bei Hoff („Ludwig Richter", Dresden
1877) finde ich noch den Titel zu „Hausmusik"
von W. Riehl (Cotta, Stuttgart 1855) erwähnt,
femer den 1849 entworfenen zu Volkmar
Schurigs „Lieder, Perlen deutscher Tonkunst"
(C. C. Meinhold Söhne, Dresden), der besonders
deshalb bemerkenswert erscheint, weil er — für
die damalige Zeit ein Ausnahmefall — in mehreren
Farben, und zwar sehr hübsch, ausgeführt ist.
3
Allmählich wurde die Sitte, die Deckel von
Tonwerken mit zeichnerischem Beiwerk zu ver-
sehen, allgemeiner und erlangte auf dem Ge-
biete der Lieder und Tänze eine grosse Ver-
breitung. Auch an Umfang nahm der zeich-
nerische Schmuck zu. Nach und nach wurden
die in massiger Grösse gehaltenen Vignetten
durch Bilder verdrängt, die einen beträchtlichen
Teil der Seite einnahmen. Da aber das zeich-
nerische Beiwerk regelmässig künstlerisch wert-
los war, so hat seine Zunahme die äussere
Erscheinung der Musikalien eher verschlechtert
als verbessert.
Eine glänzende Ausnahme bildet das Titel-
blatt zu Hermann Krigars „Spanische Lieder",
op. 26 (G. Heinze, Dresden), das Adolf Mensel
1866 entworfen hat. Durch ein hohes Portal,
dessen Bogen denTitel desWerkes, dieWidmung
„Frau Viardot-Garcia" und das Bild der Ge-
feierten trägt, blickt man in einen mit dichtem
Gesträuch bewachsenen Garten. Ein genial
entworfenes Rokokogitter, dessen Spitzen sich
zu dem Namen des Komponisten verschlingen
und dessen graziöse Formen einen reizvollen
Gegensatz zu der massiven Wucht des Portals
bilden, schliesst ihn zwar von der Aussenwelt
ab, aber die weiten Öffnungen zwischen den
Stäben des Gitters gewähren einem jungen
Spanier die Möglichkeit, ein zärtliches Ge-
spräch mit seiner im Garten stehenden An-
gebeteten zu führen. Ein drolliger Amor
schleicht, im Begriff seinen Bogen auf das
Mädchen anzulegen, durch das Gebüsch heran.
Auf der linken Seite des Bildes klagt das
Mädchen der Mutter seinen Liebeskummer: '\
Bilt' ihn, o Mutter,
Bitte den Knaben
Nicht mehr zu zielen,
Weil er mich tötet!
Mutter, o Mutter,
Die launische Liebe
Höhnt und versöhnt mich
Flieht mich und zieht mich!
Der gewaltige Atlas, der das Portal trägt, blickt
mit ironischem Schmunzeln auf die Gruppe
herab und scheint mit seiner steinernen Hand
den Kopf der Kleinen streicheln zu wollen.
Wie fast alle dekorativen Arbeiten Menzels
fesselt das Blatt weniger durch monumentale
Grösse, als durch die Behandlung des Details
und die Fülle geistvoller Einfälle.
Ausser dieser Arbeit existiert übrigens noch
ein Notentitel, den Menzel nicht nur entworfen,
sondern auch selbst lithographiert hat Den
Deckel, der mir in der Kgl. Bibliothek gezeigt
wurde, schmückt eine Komposition des Weber-
schen Gedichtes „Das arme Kind" von Hie-
ronymus Thrun. Ein junger Mann, dessen vor-
nehm geschnittenes Gesicht einen schmerzlichen
Ausdruck zeigt, liegt auf dem Totenbett Er
trägt Uniform, die Arme sind über der mit
Orden geschmückten Brust gekreuzt. Es ist
der junge Herzog von Reichstadt, Napoleons I.
Sohn, der „schon in silberner Wiege die
Königskrone von Rom getragen" hatte und zum
mächtigsten Herrscher der Erde bestimmt zu sein
schien, der dann aber nach dem Sturze seines
Vaters als „Gefangener Europas" in Österreich
leben musste, bis er 1832 im Alter von 21 Jahren
aus einem Leben abberufen wurde, das ihm
nur Enttäuschungen gebracht hatte. Das
interessante Blatt stammt jedenfalls aus der
ersten Hälfte der dreissiger Jahre, als der junge
Künstler sich durch Anfertigung von Stein-
zeichnungen zu den verschiedensten Gelegen-
heiten seinen Unterhalt verdienen musste, gehört
also zu den Inkunabeln Menzelscher Kunst.
1886, 20 Jahre nach dem Erscheinen der
Spanischen Lieder, entstanden die 5 Deckel-
zeichnungen, die Max Klinger für Kompo-
sitionen seines Freundes Brahms entworfen hat
(N. Simrock, Berlin). Die Vorzüge der Werke
Klingers, ihr vornehmer, alle lauten Effekte ver-
schmähender Charakter, die Gedankentiefe, die
reiche, eigenartige und erhabene Phantasie, die
in ihnen zu Tage tritt, rühmt man auch Brahms
Schöpfungen nach, und diese Gleichheit ihres
künstlerischen Naturells machte Klinger zum
berufenen malerischen Interpreten des grossen
Komponisten. Eine besonders glückliche Lei-
stung ist der Titel zu „Vier Lieder", op. 96
(Abbildung Seite Ii). In einem südlichen Meere,
über dem sich ein mit leichten, weissen Wolken
bedeckter Himmel wölbt, tummeln sich Delphine,
Tritone und seltsame Meerungetüme j rechts
schliesst ein kahler Höhenzug, auf dem einige
Cypressen emporragen, den Horizont ab. Die
Mitte des Blattes nimmt eine Votivtafel ein, die
die Schrift trägt, und von deren reichverzierter
Bekrönung ein gewaltiger Adler in die Ferne
späht.
Während aus dieser Titelzeichnung ein Ton
jauchzender Lebensfreude herausklingt, trägt
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4
von Zur Weiten, Moderne deutsche Notentitel.
der äussere Umschlag desselben Heftes einen
ruhigen, idyllischen Charakter. Im Schatten
eines Baumes am Ufer eines stillen Gewässers
schläft ein Jüngling und träumt von der fernen
oder verstorbenen Geliebten, deren schatten-
haftes Bild in den Zweigen des Baumes er-
scheint Die Anregung zu dieser Arbeit mögen
dem Künstler die Heineschen Verse:
Über mein Bett erhebt sich ein Baum,
Drin singt die junge Nachtigall,
Sie singt von lauter Liebe,
Ich hör' es sogar im Traum.
aus dem Gedicht: „Der Tod, der ist die kühle
Nacht" gegeben haben, dessen Komposition
das Heft eröffnet. Auffallend ist auf diesem
Umschlag, ebenso wie auf dem Titel von op. 97:
„6 Lieder', die seltsame verschnörkelte Form
HISTOIRE DROLE
( Cunose Geschichte )
MORCEAU DE GENRE
POUR PIANO X 4- MAINS
par ED. POLDINI
NolcDtitcl von Urunu Wcnucrbcrg.
(Vertag von JuUus llain-aucr in Breslau.)
der Buchstaben, die fast ausschliesslich als
Ornament wirken und ihren Schriftcharakter
fast ganz verloren haben, so dass sie nur schwer
lesbar sind. Sie lassen den Meister der Schrift
noch nicht ahnen, als der sich Klinger nach-
mals in dem Titel zur Brahmsphantasie be-
währte. —
Aus der Zeit vor der modernen Bewegung
stammt auch Emil DopUr des Jüngeren ge-
schmackvoller und dem Charakter der Dichtung
trefflich angepasster Umschlag zum „Sang an
Ägir" (Bote & Bock, Berlin, 1894). Paul Heys
Titel zu Julius I Ieys „Neue Kinderlieder" (Breit-
kopf & Härtel) sei hier ebenfalls erwähnt —
Auch gegenwärtig sind es hauptsächlich
Lieder und Tänze, deren Deckel zeichnerischen
Schmuck erhalten — ja, man kann wohl sagen,
dass der grössere Teil
der Neuerscheinun-
gen auf diesem Gebiet
mit irgend welchem
bildlichen Beiwerk
versehen wird, oft
freilich nur mit einer
bescheidenen Rand-
verzierung oder mit
einem Bilde des Kom-
ponisten oder des-
jenigen, dem das I left
gewidmet ist. Bei
Couplets treten an
deren Stelle der Sän-
gerbezw.dieSängerin,
deren Vortrag das
Lied zuerst populär
gemacht hat. So
prangen die Bilder
der Barrisons, Cäcilie
Carolas, Flora Fleu-
rettes, Paula Menottis,
kurz aller berühmten
Chansonnette - Divas
der letzten Jahre auf
den Deckeln ihrer
Repertoirestücke.
Übrigens hat sich
das Aussehen des bild-
lichen Beiwerks in
den letzten 10 bis 15
Jahren gänzlich ver-
ändert Die früher
5
üblichen schlichten Schwarz -Weiss-
bilder sind durch buntfarbige Dar-
stellungen verdrängt worden, die nicht
nur schmücken, sondern zugleich auf-
fallen sollen. Dieser letztere Zweck
steht bei Couplets und andern Musik-
stücken niederen Genres sogar in erster
Linie. Da man auch jetzt künstlerische
Kräfte nur in Ausnahmefällen zum
Entwurf der Titelzcichnungen heran-
zog, so musstc diese Neuerung zu einer
weiteren Verschlechterung des Aus-
sehens der Notenhefte und schliesslich
zu dem unerfreulichen Gesamtbilde
führen, das die äussere Ausstattung
der Tonwerke bis vor kurzem aus-
schliesslich bot und noch jetzt bedauer-
licher Weise grösstenteils bietet.
Den ersten Schritt zu einer
Besserung dieses Zustandes hat die
Lithographische Anstalt von Röder in
Leipzig gethan, indem sie eine Anzahl
künstlerischer Kräfte für das Ent-
werfen von Notentiteln gewann. Der
Hauptplatz unter ihnen gebührt Bruno
Wennerberg, einem jungen Künstler
schwedischer Abkunft, der gegenwärtig in
Leipzig lebt. Er ist kein origineller Geist, aber
ein äusserst vielseitiges Talent; er besitzt eine
erstaunliche Fülle glücklicher Einfälle und be-
wegt sich in gleich geschickter Weise auf den
verschiedenartigsten Stoffgebieten. Seit 1895
hat er sicher weit über 100 Notentitel ge-
schaffen, und diese erstaunliche Produktivität
erklärt zur Genüge, dass unter seinen Leistungen
sich viele geringwertige, manche ganz verfehlte
befinden. Indes würde man dem Künstler
überhaupt Unrecht thun, wollte man an seine
Arbeiten einen absoluten Mafsstab anlegen.
Vielmehr muss man bei ihrer Beurteilung
berücksichtigen, dass er an die Wünsche der
Verleger gebunden ist, die sich ihrerseits mög-
lichst an den Geschmack ihres Publikums anzu-
lehnen suchen und künstlerischen Neuerungen
meist ablehnend gegenüberstehen. Um das
Verdienst Wennerbergs richtig zu würdigen,
durchblättere man die Couplets von Paul Lincke,
Aletter, Simon u. s. w., von denen einige mit
Titelzeichnungen von seiner I Iand geschmückt
sind. Durch den stofflichen Inhalt unterscheiden
sich seine Arbeiten nicht von den übrigen. Sic
Notentiicl von Hermann Hirtel.
(Mit Genehmigung der Kinru lictnrich&hofeu& Verlag m Magdeburg.)
stellen etwa eine Chansonnette oder Tänzerin
in ihrem Auftreten dar, oder geben eine Scene
aus einem Balllokal oder aus der Operette, der
das Couplet entnommen ist. Um so deutlicher
tritt aber der grosse Unterschied zwischen den
flott gezeichneten, graziösen und koloristisch
geschmackvollen Schöpfungen Wennerbergs und
den übrigen unkünstlerischen, oft geradezu rohen
Blättern hervor. AlsbesondersgclungeneCouplet-
titel Wennerbergs nenne ich die zu Aletters
„Klex - Marie" und „Negerpolka" (E. Aletter,
Nauheim), zu Paul Linckes „Verführungswalzer"
und „O ihr Männer' (Köhler, Gera), und zu R.
Fischers „Madcmoiselle Franziska" (Wcrnthal,
Magdeburg).
In den früheren Arbeiten Wennerbergs zu
Musikstücken anderer Art tritt bisweilen eine
Neigung zur Süsslichkeit störend hervor, so in
der Darstellung des im Garten lustwandelnden
Liebespaares im Kostüm der Biedermeierzeit
auf dem Deckel von E. Laurys: „Im wunder-
schönen Monat Mai" (Raabe & Plothow, Berlin).
In ihrer Art prächtige Arbeiten voll feinen
Humors und liebenswürdiger Grazie sind da-
gegen die Bilder des Kinderballes auf Fr. Behrs
6
von Zur Wetten, Moderne deutsche NotentiteL
„Fete des enfants" (Hug, Basel, 1896) und des
Mittagsessens im Königsschloss auf Adelheid
Wettes: „Froschkönig" (Heinrichshofen, Magde-
burg), dessen Handlung der Künstler in die
Rokokozeit verlegt hat. Betrachtet man aber
die bisher besprochenen Titel Wennerbergs in
ihrer Eigenschaft als dekorative Blätter, so
lassen sie Manches zu wünschen übrig. Der
Grund liegt einmal darin, dass sie in der heute
in unsern sogenannten Prachtwerken herrschen-
den Illustrationsmanier ausgeführt sind. Be-
sonders stark scheint mir der Einfluss der von
Thumann illustrierten Klassikerausgaben hervor-
zutreten. Eine eigentliche dekorative Wirkung
geht den Blättern daher naturgemäss ab.
An demselben Mangel leiden übrigens auch
die überaus zarten und geschmackvollen Bilder,
mit denen Frau Simrock -Michael eine bedeu-
tende Anzahl von Kompositionen Godards (Un
songe), Böhms und anderer geschmückt hat
(N. Simrock, Berlin).
Hierzu kommt das höchst unerfreuliche und
unkünstlerische Aussehen der nicht von Wenner-
berg herrührenden Schrift, die sowohl Formen-
schönheit wie Ausdrucksfähigkeit meist ver-
missen lässt. Zudem sind auf ein und derselben
Titelseite Buchstaben der verschiedenartigsten
Formen, Farben und Grössen zur Anwendung
gebracht, d. h. in den verschiedensten Lagen
über das Blatt verstreut. Von einer einheit-
lichen Wirkung des Titels durch Verschmelzung
von Bild und Schrift zu einem harmonischen
Ganzen oder durch Ausfüllung des durch das
Bild freigelassenen Raumes durch Buchstaben,
deren Formen dem Charakter des ersteren an-
gepasst sind, kann daher nicht die Rede sein.
Selbst die zarten Kompositionen Wennerbergs
auf den Deckeln von O. Köhlers „Vision",
op. 157 (Stern, Berlin), und Ludwig Schyttes
„Dryaden", op. 84 1 (Hainauer, Breslau), bei
denen infolge ihres linearen Charakters ein
harmonischer Zusammenklang von Bild und
Schrift unschwer zu erreichen gewesen wäre,
werden durch die unangemessene Form der
Typen um ihre beste Wirkung gebracht. Die
Darstellung auf dem letztgenannten Titel sah
ich übrigens kürzlich als Gemälde auf der
Leipziger Ausstellung, natürlich um ein Viel-
faches vergrössert. Ob der Künstler sich auch
sonst noch auf dem Gebiete der hohen Kunst
bethätigt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
In seinen neuesten Arbeiten ist Wennerberg
ein ganz anderer geworden. Er strebt jetzt mit
Erfolg dekorative Wirkungen an und hat bereits
eine Reihe von Deckelzeichnungcn geliefert,
die Grösse der Anschauung und ein bedeutendes
Talent für geschmackvolle und ungezwungene
Stilisierung bekunden. Mit diesen Vorzügen
verbindet sich auf den Titeln von Ludwig
Schyttes „Elegie", op. 84« (Hainauer), und L.
Campbell-Tiptons „Lowes Wchrefore" (F. Schu-
berth jr., Leipzig) ein tiefer Empfindungsgehalt,
während in der flotten Ballscene auf Louis
Gannes: „Mazurka d'amour" (C. Gehrmann,
Stockholm) ein feiner Humor herrscht, der in
den eigenartigen Deckeln zu Poldinis „Histoire
drole" (Abbildung Seite 4) und „Valse des
poupecs" (Hainaucr) einen Stich ins Bizarre
bekommt. Auch die Titel zu „Mandolinata"
von Martin Roeder (Fr. Schuberth) und „Dream
of beauty" von T. H. Slatcr (London, Reeves)
gehören der stilisierenden Periode Wennerbergs
an. Die Anregung zu diesen Arbeiten verdankt
der Künstler wohl in erster Linie englischen
Vorbildern, daneben ist aber auch der Einfluss
des Plakatstils unverkennbar.
Die moderne Plakatbewcgung hat in dop-
pelter Weise anregend gewirkt. Einmal haben
die von einigen Museen veranstalteten Aus-
stellungen ausländischer Affichen wenigstens
einem Teil unserer industriellen und kommer-
ziellen Kreise zum Bewusstsein gebracht, dass
eine künstlerische Ausgestaltung ihres Reklame-
wesens nicht notwendig nur ein kostspieliger
Luxus zu sein brauche, sondern, richtig aus-
geführt, auch geschäftliche Vorteile bringen
könne. Sodann hat die Veranstaltung der mit
hohen Preisen ausgestatteten Konkurrenzen
zum ersten Male zahlreiche künstlerische Kräfte
zur Beschäftigung mit derartigen rein dekora-
tiven Aufgaben veranlasst, von denen sie sich
bis dahin stolz ferngehalten hatten.
Die wichtigste Lehre, die man den Meister-
werken der französischen Plakatkunst entnehmen
konnte, war die, dass man durch Beobachtung
gewisser Stilgesetze, insbesondere durch ge-
schickte Vereinfachung und durch Neben-
einanderstellung weniger kräftiger und in
grösseren Massen zusammengehaltener Töne
die stärksten Wirkungen erzielen könnte. Es
war klar, dass man durch analoge Anwendung
dieser Prinzipien den Buch- bezw. Notendeckel
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von Zur Werten, Moderne deuttche NotenriteL
7
zu einer „Affiche intime" machen, ihn befähigen
konnte, im Schaufenster und auf dem Aus-
lagetisch der Buchhandlungen sich aus der
Masse der übrigen Werke herauszuheben und
die Augen des Publikums auf sich zu ziehen.
Andererseits durfte aber nicht übersehen werden,
dass heute der feste Einband nicht mehr so
allgemein ist wie früher, und dass bei belletri-
stischen Werken und besonders bei Notenheften
die Brochure nicht ein nur provisorisches,
sondern häufig bereits das endgiltige Gewand
des Druckwerkes bildet Daher musste der
Künstler in erster Linie bestrebt sein, den
Umschlag in einer Weise zu dekorieren, die
ihn zu einem würdigen Schmuck des Werkes
machte. Naturgemäss musste hinter dieser
dauernden Bestimmung seine vorübergehende,
als Plakat im Kleinen zu dienen, zurücktreten.
Durch weise Beschränkung, durch Vermeidung
aller lauten Effekte und starken Wirkungen ist
es aber den Meistern der französischen Plakat-
kunst, Ch£ret, Steinten, Grasset, M^tivet und
anderen vielfach gelungen, in ihren Deckel-
zeichnungen beide Zwecke zu vereinen.
Unter den deutschen Künstlern, welche die
Dekoration von Notendeckeln in diesem Sinne
unternommen haben, gebührt W. Voigt, dessen
Umschlag zu Fr. Schaffners „Ballade" (A.
Schmid, München) eine ganz hervorragende
künstlerische Leistung ist der erste Platz (Ab-
bildung Seite 8). Das lebhaft bewegte Titelblatt
von A". Bauer zu Thudichums: „Gebt Raum"
(ebenda) ist gleichfalls eine glückliche Lösung
der Aufgabe. Auch Paul Kämmerers Titel zu
Alexander von Ficlitz „Narrcnlicdern" (Breit-
kopf St Härtel) sei lobend erwähnt, wenn er
auch in der Gesamtwirkung etwas unruhig ist.
Weniger gelungen erscheinen mir die Deckel-
zeichnungen auf Schiedermeyers Liedern und
auf Wilhelm Maukes: „4 Gesänge" (beide bei
A. Schmid), von denen die letztere von Caspari
herrührt —
F. Stucks Titel zu W. Maukes „Meister-
lieder", op. 23 (Schuster & Loeffler, Berlin) ist
weniger wegen der bildlichen Darstellung —
Kornähren auf blauem Grunde — als wegen der
monumentalen Behandlung der meisterhaft in
den Raum komponierten Schrift bemerkenswert.
— Eine ältere Arbeit Stucks ist die humorvolle,
aber künstlerisch nicht sehr bedeutende Deckel-
zeichnung zu O. Stiegers „Immergrünmarsch"
(A. Schmid). Von dem Don Juan-Deckel des
Künstlers wird weiter unten die Rede sein.
Von Karl Klimsch, dem bekannten Schöpfer
des Schultheissplakats, rührt der Titel von
Konrad Ansorges: „Valse impromptu" (Chal-
lier, Berlin) her. Er zeigt in einem Medaillon
die Halbfigur eines hageren Mannes in antiker
Gewandung, dessen Gesicht einen finstern und
grausamen Ausdruck trägt. Man würde ihn
für einen römischen Cäsaren halten, wenn nicht
ein paar riesige Fledermausflügel an seinen
Schultern ihn als ein teuflisches Wesen charak-
terisierten. Das Blatt leidet unter dem oben
berührten Fehler, mehr Plakat als Titel zu sein.
Noch weiter geht in dieser Beziehung Rezmcek
in seinem Umschlag zu H. E. Oberstötters
Walzer „Am Isarsstrand" (A. Seiling, München),
auf dem er eine Gescllschaftsscene in seiner
bekannten flotten und mondainen Manier mit
stark satirischem Anflug zur Darstellung bringt.
Durch Anwendung mehrerer lebhafter Farben-
töne, unter denen violett und kanariengelb vor-
herrschen, hat er einen ausserordentlichen
Effekt erzielt Auch Hans Vngers Deckel zu
Ernst Rosts Polka : „Mephistopheles" (Abbildung
Seite 1) ist von diesem Fehler nicht freizu-
sprechen. Er trägt das Bild des Titelhelden,
dessen Gesicht zu cynischem Grinsen verzerrt
ist und dessen rotes Gewand sich leuchtend
von dem schwarzen Grunde abhebt. Im übrigen
ist das Blatt aber ebenso wie der Titel zu E.
Rosts Marsch: „I-a gloire" (beide bei A.W. Rost
Dresden) eine hervorragende Leistung (Abbil-
dung Seite 9), die ein glänzendes Zeugnis für
das grosse Können des jungen Künstlers ab-
giebt in dessen Werken sich in seltener Weise
seelische Belebung und starker Empfindungs-
gehalt mit dekorativer Wirkung vereinigen.
Bewunderungswürdig ist auch, wie vollständig
in dem Titel zu „Mephistopheles" die originelle
Schrift mit dem Bilde zu einer dekorativen
Einheit verschmolzen ist.
Der grösste Teil der soeben aufgeführten
Tonwerke weist in seiner Ausstattung neben
dem künstlerischen zugleich einen kunstgewerb-
lichen Fortschritt auf. Bisher war der Noten-
titel regelmässig ein integrierender Bestandteil
des Notenheftes gewesen; er bildete dessen
erste Seite, war aus demselben Papier gefertigt
und häufig auf der Rückseite mit Noten be-
druckt. Um ihn nunmehr zu befähigen, einen
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8
Noteniitet von W. Voigt.
(Verlag von Alfred Schmid Nachf., Uiilco Hemel, in München.)
wirklichen Schutz des Tonwerkcs zu bilden, löste
man ihn jetzt aus der Verbindung mit dem
Notenheft, stellte ihn aus festcrem Papier oder
Pappe her und behandelte ihn als Mappe, in
die das Heft gelegt wurde — kurz, man ver-
wandelte den Titel in einen Umschlag, zu dessen
Herstellung man häutig, um seine selbständige
Existenz zu betonen, buntfarbiges Papier resp.
Pappe verwandte. Einige Verleger gingen noch
weiter, indem sie dem Notenheft, wie jedem
andern Druckwerk, ausser dem künstlerisch aus-
gestatteten Umschlag noch einen besonderen
Schrifttitel gaben. Durch eine derartige würdige
Ausstattung zeichnen sich unter den neuesten
Erscheinungen besonders die erwähnten Rost-
schen Kompositionen aus, bei denen offenbar
auch die Schrifttitel von Unger entworfen sind.
Übrigens war bereits 1894 der „Sang an Ägir"
in solch vornehmem Gewände erschienen, hatte
aber damals wenig Nachfolge gefunden.
Google
von Zur Westen, Moderne deotsche N'otcntitel-
Zu den bisher besprochenen Blättern, die
sich mehr oder weniger stark an den Plakatstil
anlehnen, stehen die Arbeiten Strathmanns,
Lechters und Hirzeis dadurch in einem gewissen
Gegensatz, dass ihre Wirkung lediglich in ihrer
eigenartigen Stilisierung und ihrem persönlichen
Charakter beruht Auch stofflich unterscheiden
sie sich von den meisten übrigen dadurch, dass
sie nicht zugleich illustrativ, sondern rein de-
korativ sind Sie sind von dem Inhalte des
Musikstückes, das sie schmücken, ganz unab-
hängig und lehnen sich weder an seinen
Titel, noch an den Text des komponierten
Liedes an.
Von Karl Strathmann rührt der Umschlag
zu Pöbings: „Vor der Schlacht" (A. Schmid)
her. Wie allen derartigen Arbeiten des Künst-
lers fehlt auch der Dekoration dieses Blattes
das organisch-konstruktive Element. Es ist ge-
wissermassen eine ornamentale Phantasie von
hoher Originalität und fremdartiger Schönheit
Das Blatt das in stumpfem Grün und Rot mit
massiger Anwendung von Gold gehalten ist, be-
weist den vornehmen künstlerischen Geschmack
seines Schöpfers. —
Wie Strathmann, so
hat dMchMelc/uorLechter
bisher nur einen Noten-
titel geschaffen , der
Kompositionen Richard
Winzers (G. Plothow,
Berlin) schmückt. Er ist
im Stilcharakter der Go-
tik gehalten, mit deren
mystischer übersinn -
licherEmpfindungswcisc
das künstlerische Na-
turell Lechters so starke
Berührungspunkte hat,
dass er in ihrer Formen-
welt bekanntlich den
passendsten Ausdruck
für die Verkörperung
seiner Ideen gefunden
hat Das Blatt zeigt eine
fürstliche Frauengestalt,
deren Haupt ein Heili-
genschein umgiebt, und
die mit verzücktem Aus-
druck ihre Krone mit
hocherhobenen Händen
Z. f. B. 98/99.
Nutentitel von Hans Unger.
(A. W. Rott'» Verlag in Die»den.)
emporhält, als wollte sie sie dem Himmel als
Weihgeschenk darbringen. Obwohl Lechter
hier auf sein eigentlichstes Element die Farbe,
verzichten musste, ist die Arbeit doch von
ausserordentlich ergreifender Wirkung. .Die
starken Konturen der Zeichnung erinnern an
die Bleifassungen der Glasfenster, in deren Her-
stellung Lechters Hauptstärke liegt.
In noch höherem Mafse als Lechter gehört
der bekannte Berliner Landschaftsradierer Her-
mann Hirzel zu den Hoffnungen des deutschen
Kunstgewerbes, weil er, im Gegensatz zu der
archaistischen Kunstweise jenes, neue Formen
zu finden strebt. Er hat sich stets gern auf
dem Gebiete der angewandten Kunst bethätigt,
— mit welch glücklichem Erfolge, das be-
weisen seine Entwürfe zu den bei Louis Werner
hergestellten Brachen, zu Ex-Libris, Buchum-
schlägen und Geschäftskarten. Auch seine
hier zu besprechenden Notentitel zu Liedern
Hans Herrmanns sind zum grössten Teil sehr
bedeutende Leistungen. Wie alle Arbeiten
des Künstlers tragen sie einen ganz persön-
lichen Charakter. Hirzel ist eine starke Indi-
vidualität und besitzt eine
reiche Fülle dekorativer
Ideen. Er ist kein leicht
schaffendes Talent aber
gestützt auf sein hin-
gebendes Naturstudium
gelingt es seinem uner-
müdlichen Streben fast
immer, vollgültige Aus-
drucksmittel für seine
eigenartigen künstleri-
schen Gedanken zu fin-
den. Das stete Vor-
wärtsstreben, das für den
Künstler charakteristisch
ist, dokumentiert sich
auch in der grossen stoff-
lichen und stilistischen
Verschiedenheit seiner
Notentitel. Niemals ganz
mit dem Erreichten zu-
frieden, hat er immer
wieder neue Lösungen
derAufgabe gesucht und
fast jedes Blatt bedeutet
einen Fortschritt gegen
das vorhergehende. Man
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10
Ton Zur Weiten, Moderne deutsche Notentitel.
beachte beispielsweise den gewaltigen Unter-
schied zwischen der wenig glücklichen ornamen-
talen Deckelzeichnung zu „5 Lieder", op. 27
(H. Weinholtz, Berlin), die zu Hirzeis frühesten
Arbeiten auf diesem Gebiete gehört, und seinen
neuesten Titelblättern zu „6 Gesänge", op. 10,
„5 Gesänge", op. 3 und „Duette", op. 2 (Hein-
richshofen, Magdeburg). Diese Titel sind Meister-
stücke geschmackvoller Dekoration (Abbildung
Seite 5). Hirzel hat hier lediglich Motive aus
der Pflanzenwelt verwendet, der er stets ein
besonders eingehendes Studium gewidmet hat
Disteln, Nelken, Blätter des Löwenzahns sind
scheinbar absichtslos über das Blatt verstreut,
und doch wirkt das Ganze wie ein gefälliges
Ornament. Die graziöse Leichtigkeit, die Eck-
manns ähnliche Arbeiten auszeichnet, fehlt den
Hirzelschen Blättern allerdings, dafür wirken sie
aber kräftiger und ausdrucksvoller. Auch sind
die Pflanzen im Detail naturalistischer behandelt
und bedeutend weniger stilisiert. Übrigens spielt
die Pflanzenwelt auch in zwei früheren Titeln,
bei denen eine landschaftliche Scenerie den
Hauptgegenstand der Dekoration bildet, eine
bedeutende Rolle, nämlich in den Deckelzeich-
nungen zu „3 Lieder" op. 6 (Heinrichshofen,
Magdeburg), und „Deutsche Meisterliedcr", op.
13 (Schuster & LoefHcr, Berlin). Auf dem
letztgenannten Titel zieht sich eine prächtige
Lilie, um deren Stengel sich eine Krone
schlingt, über die ganze Seite und ragt mit ihrer
Blüte in eine schöne, schwermütige italienische
Nachtlandschaft hinein. Die Lilie soll auf den
Namen Detlevs von Liliencron, des Dichters
der Deutschen Meisterlieder, hindeuten. Von
den übrigen Titclzeichnungen Hirzcls ist be-
sonders die stimmungsvolle Darstellung des
Meeres, in dessen ruhigen Fluten sich der Mond
spiegelt, auf „Gesänge und Balladen", op. 5
(Heinrichshofen), bemerkenswert Der Deckel
von „Helios", op. 1 (Emil Grude, Leipzig), fällt
besonders durch seine starke und eigenartige
Stilisierung der Landschaft auf. Der Titel
von „6 Lieder", op. 37 (Ries & Erler, Berlin),
Hirzeis erste Deckelzcichnung, ist weniger ge-
lungen.
Während die bisher aufgezählten neuen künst-
lerischen Notcntitel neben ihrem schmückenden
Zweck zugleich auffallen sollen, verfolgten Karl
Marr in dem schönen Umschlag zu Noris
,4 Lieder" und A. H. in der Deckelzeichnung
zu VV. Maukes „2 Lieder" (beide bei A Schmid,
München) lediglich die erstere Absicht Soweit
mir bekannt, sind sie die einzigen bedeutenderen
Vertreter dieses Standpunkts auf dem Gebiete
der Lieder und Tänze. Denn die Titel von
„Capri- Lieder" und von Fr. Faltis „Kairo Gigerl-
marsch" können nicht hierher gerechnet werden,
da die auf ihnen befindlichen skizzenhaften
Zeichnungen von Allers offenbar nicht zu diesem
Zwecke entworfen sind.
Dagegen hat dies rein künstlerische Deko-
rationsprinzip in der übrigen musikalischen
Litteratur eine grosse Verbreitung. Besonders
beliebt ist hier noch immer die ornamentale
Umrahmung, die fast stets in schlichtem Schwarz
gehalten und nur selten in bunten Farben aus-
geführt ist. Als Beispiele des Ausnahmefalls
erwähne ich die Titel von Tschaikowskys
„Ouvertüre", op. 76, von Josephs Witkols
„Ouvertüre dramatique", op. 21 (beide bei Bel-
laieff, Leipzig 1896), und von L. Campbeil-
Tiptons „Tho' Yon Forget" (Fritz Schuberth jr.,
Leipzig). — Treffliche Randleisten in Renais-
sance und Rokoko hat vor allem P. Halm
geschaffen. (Musik am preussischen Hofe,
Breitkopf & Härtel; Lieder für eine Singstimme
von Rob. Schumann. Schott Söhne, Mainz).
Auch F. ThierscR Umrahmung zur „Edition
Cotta" sei hier angeführt.
Neuerdings hat man vielfach die historischen
Stilformen durch naturalistisch stilisierte Pflanzen
ersetzt. Ein gutes Blatt dieser Art ist der ano-
nyme Titel von E. Pessards „Kompositionen für
Pianoforte" (Heinrichshofen, Magdeburg). In
grösserem Mafsstabe hat die Firma Breitkopf
& Härtel diese Dekorationsweise bei ihren Ver-
lagswerken zur Anwendung gebracht. Unter
den mir bekannt gewordenen Titeln ist der beste
der von Mac Dowells „Zweite indische Suite"
(op. 48), der im Sinne der Eckmannschen
Arbeiten gehalten ist. Den übrigen derartigen
Umschlägen zu Heusers „Präludium und Fuge"
op. 26, und zu mehreren Klavierwerken Barnetts
kommt eine höhere künsüerische Bedeutung
nicht zu. — Im Anschluss an diese Arbeiten
möchte ich den leider unsignierten Titel von
Hans Herrmanns „Berceuse" (für Violine, Hein-
richshofen, Magdeburg) hervorheben, auf dem
eine geschmackvoll stilisierte dunkelblaue Mohn-
blume zwanglos über die Seite gelegt ist Der
Einfluss der oben besprochenen Titelzeichnungen
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von Zur Westen, Moderne deutsche Notentitel.
II
Hirzcls tritt in dem schönen Blatte deutlich
hervor.
Wie dieses, so schmückt auch ein von Curt
SCdving meisterhaft entworfener Umschlag Kom-
positionen für Violine, und zwar rühren diese
von Paul Stöving her (Siegel, Leipzig, 1895).
Zwei hochgewachsene Frauen in antiker Ge-
wandung, von denen eine dieVioline spielt, lehnen
sich an einen Lorbeerbaum. Die Gesichter sind
streng und herb in der Form, aber von seelen-
vollem Ausdruck.
Die ausserordent-
liche Linienschön-
heit der Zeichnung
und ihre vollkom-
mene Harmonie mit
dertrefflichenSchrift
machen die Arbeit
zu einem hervor-
ragenden dekora-
tiven Blatte (Abbil-
dung Seite 2).
Eine geschickte
Leistung ist der „Sk"
signierte Titel von
S. Jadassohns No-
turno für Flöte op.
»33 (Breitkopf &
Härtel), wenn er
auch in dem land-
schaftlichen Hinter-
grunde stark von
einer in der „Ju-
gend*' veröffentlich-
ten Arbeit Jossots
beeinflusst ist. Unter
den Dcckelzeich-
nungen zu Opern
befindet sich wenig künstlerisch Bemerkens-
wertes. Der schöne Titel zu Edgar Tineis
„Godleva" fällt nicht in den Rahmen unserer
Besprechung, da meines Wissens weder der
Komponist noch der Künstler Deutsche sind.
Streng genommen gehört deshalb auch der
durch seine originelle Erfindung ausgezeichnete
Titel zu Johann Strauss: „Göttin der Vernunft"
nicht hierher. Auf dem Deckel von Franz
Wüllners Klavierauszug des Don Juan befindet
sich eine photomechanische Reproduktion eines
Gemäldes von Frans Stuck. Don Juan, dessen
schönes Gesicht einen stolzen triumphierenden
J.BRAHMS
VI LR. LIEDER
Ausdruck trägt, spielt die Guitarre. Im Hinter-
grund sieht man eine Anzahl Frauen, die seine
Verführungskünste in Unglück gestürzt haben,
am Boden liegen. — Faute de mieux erwähne
ich noch die Titel zu Gounods „Margarethe"
von H. A. (Bote & Bock, Berlin, 1895) und zu
M. Jaffts „Eckehard" (Rabe & Plothow, Berlin).
Von Dcckclzeichnungcn zu geistlicher Musik
kann ich als künstlerisch bedeutend nur an-
führen den von dem Münchener Landschafter
Baer entworfenen
Titel zu F.W. Bachs
„Konzert für die Or-
gel", für Pianoforte
bearbeitet von A.
Stradal, und den von
J. Sattler geschaffe-
nen Titel zu Fr.
Liszts „Fantasie und
Fuge", auf das Piano-
forte übertragen von
F. Busoni (beide bei
Breitkopf & Härtel).
DasSattlerscheBlatt
ist in seiner Art
gewiss eine gute
künstlerische Leis-
tung, für seinen
Zweck aber meines
Ermessens ungeeig-
net. Freilich soll der
Künstler auch vor
der Darstellung des
Hässlichen nicht zu-
rückschrecken , wo
es charakteristisch
ist; warum aber die
beiden Choralsänger
auf dem Busonischen Musikstück so abstossende
Sträflingsphysiognomien haben müssen, vermag
ich nicht einzusehen. Der Verkauf des Ton-
werkes wird dadurch sicher ebensowenig ge-
fördert, wie durch die altertümelnde Manier des
Ganzen. Gegenüber der heute so verbreiteten
archaistischen Richtung kann ich mir nicht ver-
sagen, an die Worte zu erinnern, die ein grund-
deutscher Künstler und warmer Verehrer unserer
altdeutschen Meister, Ludwig Richter, nach Be-
trachtung eines Memlinkschen Bildes nieder-
schrieb: „Den Geist dieser Maler zu erfassen,
und denselben Weg für die deutsche Kunst
Notentitel von Mai Klinger.
(Muiikvcrtag von N. Simrock in Berlin.)
12 Sondheim, William Morris.
einzuschlagen, würde noch immer das Rechte
sein. Es sollen ihre Unvollkommenheiten und
die Eigentümlichkeiten ihrer Zeit nicht nach-
geahmt werden, sondern im Gegenteil sollen
wir unsere Zeit und unsere Umgebung mit der-
selben Treue, Liebe und Wahrhaftigkeit abzu-
spiegeln trachten ..."
Wir sind am Ende unserer Betrachtung.
Auch heute ist das Gesamtbild der äusseren
Ausstattung unserer Musikalien noch immer
wenig erfreulich. Zweifellos ist aber ein An-
fang zur Besserung mit den angeführten Ar-
beiten gemacht, und der kurze Zeitraum, inner-
halb dessen sie entstanden, der Ruf der
Verlagsbuchhandlungen und lithographischen
Anstalten, für die sie gefertigt worden sind, und
vor allem die Namen ihrer Schöpfer bezeugen
das Interesse der beteiligten Kreise und geben
immerhin eine gewisse Gewähr für den guten
Fortgang der Bewegung.
William Morris.
Von
Moriz Sondheim in Frankfurt am Main.
Initial mit Rankenomatnent
toh William Morri«.
(Nach A. Vallance
„The Art of W. Mom».»
London. B«ll & Som.)
m 3. Oktober 1896
ist William Morris
in London ge -
^ storben. Sein
Name wurde in
Deutschland erst durch seine
Nekrologe allgemein be-
kannt; mit Verwunderung
vernahm man damals bei
uns, dass er ein hervorragen-
der Künstler, ein bedeutender
Dichter, ein populärer Sozial-
politiker gewesen. Dass man
sich in Deutschland nicht
früher mit ihm beschäftigt
hatte, ist um so seltsamer,
als William Morris unser
Interesse in mehrfacher Hin-
sicht beansprucht; auf den
verschiedensten Gebieten ist
er schöpferisch thätig ge-
wesen, vieles und vielerlei hat
er geschaffen und niemals
Unbedeutendes, denn alles
was von ihm ausging, trug
den Stempel seiner starken
Individualität Hier sei der Ver-
such gemacht, sein Wirken als
Buchillustrator und Drucker zu
schildern; der Leser möge ver-
zeihen , wenn dabei manches
berührt wird, was über den Rahmen dieser
Zeitschrift hinausragt; bei William Morris war
nichts zufällig und äusserlich, Gedanken und
Werke entsprangen aus seiner innersten Natur,
und will man auch nur ein kleines Gebiet seiner
Thätigkeit richtig beurteilen, so ist es nötig,
seine ganze Persönlichkeit ins Auge zu fassen.
William Morris wurde im Jahre 1834 in
Walthamstow geboren. Er war das älteste
Kind eines reichen Kaufmannes und genoss
die Erziehung, welche in England den Söhnen
begüterter Familien zu teil wird. Mit achtzehn
Jahren bezog er die Universität Oxford, um
Theologie zu studieren; hier traf er mit Eduard
Bume-Jones zusammen, der an demselben Tage
wie er immatrikuliert wurde. Beide Jünglinge
hatten dieselbe Denkart und dieselben ästhe-
tischen Bestrebungen, und es entstand zwischen
ihnen eine ernste, wahrhafte Freundschaft,
welche nur der Tod lösen sollte.
Es war dies die Zeit, wo eine kleine Maler-
gruppe mit der Begeisterung einer religiösen
Sekte ihre Kunstanschauungen verfocht, die
Praeraphaeliten, welche den Mut hatten zu
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Sondheim, William Morris.
13
bekennen, dass Raphael für sie
Höhepunkt und Decadenz der
Kunst sei. Ihr Ideal, ihre Meister
waren jene primitiven Italiener,
welche, wie Ruskin sagt, ihre
Werke „mit der bescheidenen
Einfalt ernster Menschen" schufen,
welche darstellten, was sie liebten,
was sie empfanden, was sie glaub-
ten, in kindlicher Unschuld, ohne
von konventioneller Schönheit et-
was zu wissen. In dieser kleinen
Gemeinde hatte sich damals schon
eine Spaltung gebildet, und einsam
wandelte seine Bahn Dante Gabriel
Rossetti. Werke von ihm sahen
die beiden Freunde in Oxford; sie
wirkten auf sie wie eine Offen-
barung. Nach schweren Kämpfen
warf Burne-Joncs das Studenten-
barett von sich und zog nach
London, um Maler zu werden.
Wie sein grosses Talent von
Rossetti sofort erkannt wurde, wie
er Schüler und Freund des Meisters
wurde, wie seine weiche Natur
sich an den dämonischen Rossetti
anschmiegte, wie er die Verach-
tung und den Spott der Kritik
und der Menge überwand und
Englands gefeiertster Maler wur-
de, ist eines der merkwürdigsten
Kapitel der modernen Kunst-
geschichte.
William Morris wurde es nicht
so leicht, den richtigen Weg zu finden. Er hatte
eine feurige Phantasie und scharfe Sinne, welche
einen unbestimmten Drang zu künstlerischem
Gestalten weckten, aber wofür ihn die Natur
ausgerüstet, erkannte er nur nach langem
Herumtasten. Er beteiligte sich an einer litte-
rarischen Zeitschrift, The Oxford and Cambridge
Magazine, wurde Maler, arbeitete dreiviertel
Jahr bei einem Architekten und trat schliesslich
mit einem Band Dichtungen hervor, welche
ungehört verhallten. Die ganze Auflage blieb
bis auf wenige verschenkte und einige verkaufte
Exemplare beim Verleger aufgehäuft und wurde
später eingestampft; jetzt gehört das Büchlein The
defence of Guencvere and ofherftoetns by William
Morris, London zu den grössten Selten-
Tiiclic.tr xu Roseitis „Hand and Soul", auf der Ketmscott Press gedruckt.
(Nach A. VaUance ..The Art of Wilham Morris",
Verlag von George Bell & Sons in London.)
heiten und wird in England mit Gold auf-
gewogen.
Um diese Zeit beschloss Morris zu heiraten
und sich ein wirkliches Künstlerheim zu bauen.
Heute wäre dies für einen solchen Mann selbst-
verständlich und leicht, damals war es eine
unerhörte Neuerung von fast unüberwindlicher
Schwierigkeit. „Damals," sagt A. VaUance,
„konnte man weder für Geld noch für gute
Worte schöne moderne Möbel bekommen. Es
ist wohl überflüssig, die Scheusslichkciten auf-
zuzählen, welche dieser Zeit eigentümlich waren :
Kissen mit Perlenstickereien, gehäkelte Deckchen
auf Rüsshaarsophas, Wachsblumen unter Glas-
glocken, Missgestalten aus gepresster Bronze
und vergoldetem Stuck, Teppiche mit so-
Google
Somlheim, William Morris.
genannten naturalistischen Blumenornamenten,
mit falschen Schatten und schiefer Perspektive.
Die Erinnerung an sie, an die Crinolinc und
an das knallrote Geranium als Zierpflanze ist
in Vielen unter uns nur allzu schmerzvoll
lebendig." 1 William Morris unternahm es, gegen
diese Geschmackswidrigkeiten anzukämpfen.
Philipp Webb baute das Haus, mit Hilfe von
Freunden und Freundinnen wurden Fresken
gemalt, Möbel entworfen, Stickereien ausgeführt,
und es entstand „das rote Haus in Upton".
Die Wetterfahne auf dem Giebel trägt die
Jahreszahl 1859; dieses Jahr bezeichnet den
Beginn einer neuen Aera für die englische
Kleinkunst, denn bei dem Bau und der Ein-
richtung dieses Hauses hat William Morris sein
Talent als genialster Dekorateur entdeckt, und
was er für sich in seinen vier Wänden aus-
geführt, ist die Einleitung zu einer völligen
Umwälzung des modernen Kunstgewerbes ge-
worden.
Wie dies kam, hat Rossetti in launiger
Weise erzählt. „Eines Abends", sagt er, „sassen
wir Freunde zusammen und unterhielten uns
über die Art, wie in alten Zeiten die Künstler
allerhand Dinge machten, wie sie Ornamente
zeichneten und Möbel entwarfen, und einer
von uns schlug vor — es war mehr Scherz
als Ernst — jeder von uns solle fünf Pfund
deponieren, um eine solche Gesellschaft zu
gründen. Fünfpfundnoten waren damals bei
uns seltene Gewächse, und ich möchte nicht
darauf schwören, dass der Tisch sofort von
Fünfpfundnoten starrte; wie dem auch sei, die
Gesellschaft wurde gegründet, aber es wurde
natürlich kein Vertrag oder dergleichen ge-
macht. Morris wurde zum Leiter erwählt, nicht
etwa weil wir uns auch nur im Traume vor-
stellten, er könnte ein Geschäftsmann werden,
sondern weil er der einzige unter uns war, der
Geld und Zeit übrig hatte." 1 So entstand im
Jahre 186 1 die Firma Morris Co.; ihre Teil-
haber waren William Morris, Dante Gabriel
Rossetti, Burnc-Jones, Madox Brown, Arthur
Hughes, Philipp Webb und einige andere. In
einem Prospekte zeigten sie an, eine Gesell-
schaft von Künstlern habe sich vereinigt, um
Arbeiten billig auszuführen, und werde ihre
freie Zeit dazu verwenden, künstlerische Zeich-
nungen für gewerbliche Erzeugnisse jeder Art
zu entwerfen.
Zum erstcnmale seit undenklicher Zeit
stiegen bedeutende Künstler zu den Hand-
werkern hinab; die Kluft, welche sie seit drei
Jahrhunderten zu ihrem Verderben getrennt
hatte, war überbrückt. Dass dies gelang, war
das Werk von William Morris. Seine unver-
siegbare Arbeitskraft, seine eiserne Energie,
seine heitere Schaffensfreude machten ihn vom
ersten Tage an zur Seele des Unternehmens,
das er von 1874 an ganz allein weiterführte
und zu einer solchen Höhe brachte, dass es
tonangebend wurde. Zahllos waren die Orna-
mente und Entwürfe, die er im Laufe der
Jahre gezeichnet, aber auch im Laboratorium
und in der Werkstatt — er nannte sich mit
Stolz einen Handwerker — arbeitete er un-
ermüdlich. Vergessene Künste entdeckte er
von neuem; das Emaillieren von Kacheln, das
Weben und Färben von Stoffen, die Teppich-
fabrikation und die Stickkunst wurden neu-
belebt; die Glasmalerei, welche in England
untergegangen war, sodass die Kirchen ihre
Fenster aus München beziehen mussten, erlebte
durch ihn ihre Wiedergeburt, und die grösste
Sorgfalt widmete er der Fabrikation von Ta-
peten, des wichtigsten Faktors in der Zimmer-
dekoration. „Er wurde der grosse Reformator
des englischen Hauses und alles dessen, was
den dekorativen Künsten gehört. Fenster-
malereien, Stoffe, Tapeten, Mobilien, Keramik,
Buchgewerbe, alles wurde von ihm zu einer
harmonischen Gesamtheit geeint, einfach und
gediegen, künstlerisch und in allen Teilen stets
streng der Art der verarbeiteten Materialien
entsprechend."*
Das Geheimnis seiner Kunst lag darin, dass
bei allem, was er ausführte, der Zweck des
Gegenstandes grundlegend blieb. War die
Form gefunden und bequem und doch archi-
tektonisch schön ausgeführt, so entstand das
Ornament, welches ihr entsprach, wie von
selbst. Niemals ist er in den Fehler vieler
Kunstgewerbetreibenden verfallen, schöne Orna-
« A. Vallance, The art of William Moni* 1897, S. 38.
* Athcnacum 1896, Octobre, p. 488.
1 S. Bing, Wohin treiben wir? (Dekorative Kunst, Oktober 1897, S. 3.)
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»5
mente am ungeeigneten Orte oder in wider-
strebendem Material auszufuhren, so dass sie
störend wirken müssen; daher machen seine
Werke den Eindruck des Natürlichen, Selbst-
verständlichen, sie sind organisch aufgebaut,
und die Verzierungen wachsen aus ihnen her-
aus, statt aufgesetzt zu sein.
Bei dieser rastlosen Thätigkeit fand William
Morris noch Zeit für andere Dinge, von denen
jedes einen ganzen Menschen forderte. Von
seinen zahlreichen poetischen und prosaischen
Werken seien nur erwähnt The Ufe and death
of Jason (1867), The earthly Paradist, ein Epos
in vier Bänden (1868 — 70), The story of Sigurd
the Volsung and the fall of the Nüelungs (1877),
The story of the glitt ering piain (1891), The
wood beyond the world (1895), The well at the
world 's end (1896). Dabei übersetzte er in
Verse die ganze Odyssee, die ganze Aeneis,
Beowulf und zahlreiche nordische Sagas und
fand noch Zeit zu vielen sozialistischen Schriften ;
denn wie sein Freund Ruskin glaubte er an
die Erlösung der Menschheit, an eine langsame,
friedliche Umwälzung, nach welcher ein schönes,
einfaches Leben ohne Kriege, ohne Kampf
um's Dasein sich ausbreiten würde. Man hat
oft gelächelt über „den Sozialisten Morris",
dessen Arbeiten nur den obersten Klassen
erreichbar, nur für eine Gemeinde von aus-
erlesenem Geschmacke verständlich waren;
aber gerade, weil er eine Kunst wollte, die
„von dem Volke für das Volk geschaffen, Ver-
fertigern und Benützern zur Freude gereiche",
gerade, weil er die Unmöglichkeit einsah, dieses
Ideal in der heutigen Gesellschaft zu erreichen,
sehnte er sich nach einem späteren, schöneren
Zeitalter. „Die Menschen werden alsdann
glücklich sein bei ihrer Arbeit", verkündigte
er, „und dieses Glück wird eine edle, volks-
tümliche Kunst erzeugen. Diese Kunst wird
unsere Strassen so schön wie die Wälder, so
erhebend wie die Berge machen ; alle Arbeiten
der Menschen werden mit der Natur harmo-
nieren, werden vernünftig und schön sein; aber
alles wird einfach und erhebend, nicht kindisch
oder entnervend sein. An den öffentlichen
Gebäuden wird keine Schönheit, kein Schmuck
fehlen, die des Menschen Geist und Hand
erschaffen können, aber in den Privatwohnungen
wird kein Zeichen von Verschwendung, von
Prunk und Uberhebung sein, und jeder wird
sein Teil vom Besten haben."* Unermüdlich
predigte er diese Lehre dem Volke; an den
Strassenecken in Hammersmith, an dem vor-
nehmen Strand verteilte er sozialistische Trak-
tätchen. „Es ist ein Traum", sagte er selbst,
aber er glaubte an die Möglichkeit seiner Ver-
wirklichung.
Dreamer of dreams, dorn out of my due
time, hat sich William Morris im Earthly
Paradise genannt; dabei schwebte ihm das
Mittelalter als seine eigentliche Zeit vor, und
in der That, wie in Kiplings The finest story of
the world die Seele des Helden einst einen
Ruderer auf dem Vikingerschiff Thorfin Karl-
sefnes belebt hatte, so schien sein Geist im
Mittelalter einem kunstliebendcn Klosterbruder
angehört zu haben. Das Eindringen der Re-
naissance in die germanische Welt hielt er für
ein Unglück. „Die Deutschen", sagt er, „hatten
im Mittelalter eine schöne, volkstümliche Kunst,
aber sie nahmen die Renaissance mit seltamer
Heftigkeit und Hast auf und wurden vom
künstlerischen Standpunkte ein Volk von rheto-
rischen Pedanten. Die mittelalterliche Kunst
starb dahin, ihr folgte eine stumpfsinnige und
rohe Periode rhetorischer und akademischer
Kunst, welche seitdem Europa in allem, was
mit der Ornamentik zusammenhängt, gefangen
gehalten hat. Eine Ausnahme jedoch machte
Albrecht Dürer, denn obgleich seine Manier
durch die Renaissance angesteckt wurde, mach-
ten ihn seine unvergleichliche Phantasie und sein
Verstand durchaus gotisch in der Denkart." 1
Das Epitheton „gotisch", das in seinem
Munde das höchste Lob ist, passte in vollem
Mafse auf ihn selbst. Aber er ahmte die
Werke des Mittelalters nicht nach, er setzte
sie fort; in seinen Dichtungen und Kunstwerken
blieb er trotz des Archaismus der Motive und
der Form selbständig und modern, ebenso wie
• W. Morris, Th« decorat ive arts, their relntion to modern lrfc and progress. London 1878, p. 31.
» W. Morrij, On_thc artisric qualitics of the woodeut books of Ulm. (Bibliographie», London 1895 I p. 437 sqq.)
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Sondheim, William Morris.
Burne-Joncs trotz der Anlehnung an alte Meister
in seinen Bildern immer der Engländer unseres
Jahrhunderts blieb. Da wo die Renaissance die
gotische Tradition durchbrochen hatte, knüpfte
er wieder an und schuf seine Werke, wie
wenn auf das XV. gleich das XIX. Jahrhundert
gefolgt wäre.
Dies erklärt uns, wie es möglich war, dass
er sich eine Zeitlang einem Kunstzweige widmen
konnte, welchen die Buchdruckerpressen der
Renaissance vernichtet hatten, dem Schreiben
und Illuminieren von Handschriften. Das Un-
begreifliche brachte er fertig: während um ihn
das Londoner Leben tobte, in den Fabriken
die Maschinen keuchten, unter dem Boden die
Eisenbahnzüge dröhnten, sass er in seinem
Studio wie ein Mönch des XIV. Jahrhunderts
in seiner Zelle und malte Buchstaben auf dem
Pergament. Lady Burne-Jones besitzt mehrere
Codices von seiner Hand, die Vallance be-
schrieben hat: Gedichte von ihm selbst, 51
Seiten 4 0 , mit Ornamenten und Initialen, und
mit Bildern von Ch. Fairfax Murray — The
Störy of the DweUers in Eyr, 239 Seiten in
Folio mit der Schlussschrift: „Ich habe dieses
Buch aus dem Isländischen übersetzt mit Hilfe
meines Lehrers in dieser Sprache, Eirikr
Magnusson; es war das erste isländische Buch,
das ich mit ihm gelesen. Ich habe es selbst
ganz geschrieben und alle Ornamente in dem
Buche selbst ausgeführt, mit Ausnahme der
Goldblättchen auf Seite 1, 230 und 239, welche
einer unserer Handwerker Namens Wilday auf-
gelegt hat. William Morris, 26 Queen Square,
Bloomsbury, London 19. April 1871." — Ferner
The story of Hen Thorir. The story of the
banded tnen. The story of Howard the Halt.
Translated and engrossed by William Morris.
244 Seiten kl. 4 0 — und The Rubäiyät of
Omar Khayyäm, 23 Seiten. — Herr Fairfax
Murray besitzt von ihm einen Folioband, The
story of Frithiof; für sich selbst hatte Morris
die Oden des Horaz geschrieben. Sein be-
deutendstes Werk dieser Art sollte Virgils
Aeneis werden, die er in der Schrift des XI.
Jahrhunderts schreiben und Burne-Jones illu-
strieren wollte. Er Hess sich dafür das feinste
Pergament aus Italien kommen, und Burne-
Jones entwarf eine Anzahl Zeichnungen. Diese
Riesenarbeit, welche die beiden Freunde im
Anfange der siebziger Jahre unternahmen, wurde
— man möchte sagen zum Glücke — niemals
zu Ende geführt.
Bei einer Natur wie William Morris war
der Übergang vom Kalligraphen zum Drucker
eine logische Notwendigkeit. „Ich mag keine
Kunst für Wenige, wie ich keine Bildung für
Wenige und keine Freiheit für Wenige mag",
hatte er einmal gesagt; die kostbaren Hand-
schriften, die er herstellte, konnten nur einem
kleinen Kreise von Freunden etwas sein, durch
die Buchdruckerkunst war es möglich, die
grosse Gemeinde der Bibliophilen zu beglücken
und seinen Kunstansichten die weiteste Ver-
breitung zu geben. Mit der Buchomamentik
hatte er sich schon in den sechziger Jahren
beschäftigt, schon damals hatte er in seinen
Mufsestunden — denn so unwahrscheinlich es
klingt, der Vielbeschäftigte hatte Mufsestunden
— sich im Holzschnitt geübt, Dürerblätter
kopiert und Holzstöcke nach eigenen Zeich-
nungen verfertigt. Seit 1883 trat er dem Plane
näher, eine Presse zu errichten, aber erst 1890,
ab er ein Exemplar von Wynkyn de Wördes
Goldener Legende kaufte, bekam seine Absicht
eine feste Form in dem Entschlüsse, dieses
berühmte Buch neu zu drucken. Von jenem
Tage an bis zu seinem Tode widmete er den
besten Teil seiner Kraft der edlen Druckkunst.
Hierbei ging er von denselben Grundsätzen
aus, die ihn bei allen seinen anderen Arbeiten
geleitet hatten. „Eure Lehrer," hatte er im
Jahre 1 878 in einem Vortrage für Handwerker
gesagt, „Eure Lehrer müssen sein Natur und
Geschichte; was die Natur betrifft, so ist es
so klar, dass Ihr von ihr lernen müsst, dass
ich jetzt nicht dabei zu verweilen brauche;
was die Geschichte anbelangt, so glaube ich
nicht, dass irgend jemand, ausser den höchsten
Geistern, heutzutage irgend etwas leisten kann
ohne eifriges Studium der alten Kunst. Wenn
Ihr glaubt, dass dies im Widerspruch steht zu
dem, was ich Euch über den Tod jener alten
Kunst gesagt habe und über die Notwendig-
keit, die ich daraus folgerte, eine Kunst zu
schaffen, die für unsere Zeit charakteristisch
sei, so kann ich nur folgendes sagen: Wenn
wir nicht die alten Werke direkt studieren und
verstehen lernen, so werden wir durch die
schwachen Arbeiten um uns herum beeinflusst
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werden und werden die besseren Werke, ohne sie zu verstehen,
nach ihren Nachahmern kopieren, was sicherlich keine verständige
Kunst hervorbringen wird. Lasst uns daher die alte Kunst mit
Verständnis studieren, lasst uns durch sie belehrt, erleuchtet
werden, immer an dem Entschlüsse festhaltend, sie nicht nach-
zuahmen oder zu wiederholen, entweder gar keine Kunst zu
haben oder eine Kunst, welche wir unser eigen gemacht haben." 1
Diesen Prinzipien folgend, machte er sich an die Arbeit.
Natur und Geschichte waren seine Lehrmeister: die Natur,
indem er von der Schreibschrift ausging, aus welcher die Druck-
schrift entstanden ist, die Geschichte, indem er zu den alten
Drucken zunickgriff, von welchen unsere heutigen Typen her-
stammen. Damals begann er Inkunabeln und Holzschnittbücher
zu sammeln, und in wenigen Jahren brachte er eine kleine
Bibliothek von auserlesener Schönheit zusammen. Da er das
Schönste der besten Offizinen auswählte, glich seine Sammlung
einem Kleinodienschreine, und wer sie jemals gesehen, wird
den abgerundeten Eindruck, den sie machte, nie vergessen.
Nachdem er die Typenformen der alten Drucker verglichen
und analysiert, um die Prinzipien, welche ihrer Schönheit zu
Grunde lagen, zu erforschen, begann er Typen zu suchen,
welche die Vorzüge der alten besitzen und den Anforderungen
der Neuzeit entsprechen sollten. Er zeichnete jeden Buchstaben
in grossem Mafsstabe, damit ihm kein Proportionsfehler entgehe,
dann liess er ihn photographisch verkleinern und unterzog ihn
einem neuen Studium, bevor er ihn schneiden liess. So ver-
fertigte er eine romanische (Antiqua) Type, welche er „die
Goldene" nannte, und eine gotische, die er in zwei Grössen
herstellen liess, „die Troja und die Chaucer Type".
Interessant ist, dass William Morris hierbei die theoretischen
Forderungen praktisch ausführte, welche bereits 1885 Heinrich
Wallau in seiner Ästhetik der Druckschrift aufgestellt hatte,
(Nach A. VaUaoc«
Z. f. B. 98/9*
:tnomunent auf schwarzem
,The An of William Moni*" Verla« m
William Morrii.
1 Bell & San» io
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r8
Sondheim, William Morris.
obgleich er dieses Schriftchen, das in einem
Sammelbande versteckt ist, wohl kaum gekannt
und jedenfalls nicht gelesen hat, da er kein
Deutsch verstand. Wie es Wallau verlangte,
ist die gotische Schrift von William Morris
„durchweg auf dem klaren Federductus auf-
gebaut" und die Versalien (grosse Buchstaben)
sind aus altertümlichen Bildungen „in geläufigere
Formen übergeführt". Die romanische Type
erinnert auffallend an diejenige Johannes
Schöflers in Mainz, welche Wallau als „Bei-
spiel trefflich gebauter Antiqua" abgebildet hat'
Mit der Beschaffung der Typen war erst
ein Schritt zur Herstellung des Buches gethan.
Die Wahl des Papiers und der Schwärze
erforderten nicht geringere Sorgfalt. Keines
der vorhandenen Papiere genügte William
Morris; er hasste das uninteressante, glatte
Maschinenpapier, aber ebenso wenig gefiel ihm
dasjenige, welches Handpapier nachahmt Nach
der alten Methode Hess er wirkliches Hand-
papier herstellen, zu welchem er selbst das
Wasserzeichen mit seinem Monogramm WM
zeichnete. Die Druckerschwärze licss er aus
dem Auslande kommen, da ihm keine englische
schwarz genug war. Dass er sie nach alter
Weise mit der Hand auftragen Hess und mit
Handpressen arbeitete, braucht kaum ausdrück-
lich gesagt zu werden.
So wurde im Jahre 1891 die Kehnscott
Presse in Hammersmith eingerichtet. Am 31.
Januar wurde die erste Kolumne gesetzt, und
am 4. April verliess das erste Buch die Presse :
The story of tJie glittering piain by William
Morris, in 200 Exemplaren gedruckt Es war
ein Buch ohne Verzierungen, aber in seiner
Einfachheit ein vollendetes Kunstwerk. Im
September folgten Poems by tlte way by William
Morris, rot und schwarz in 300 Exemplaren
gedruckt, mit Randverzierungen. Seitdem zierte
William Morris alle seine Drucke mit Initialen
und Bordüren in Holzschnitt, und vielfach
wurden sie mit Bildern nach Handzeichnungen
von Burne -Jones geschmückt Von 1891 bis
1896 hat die Keimscott Presse fünfundvierzig
Drucke veröffentlicht für welche alle Ornamente
von Morris selbst gezeichnet wurden.
In diesen Verzierungen kann man zwei
« H. Wallau, Ästhetik der Druckschrift.
Leipiig 1885. S. 151 ff.
getrennte Gruppen unterscheiden. Die eine
umfasst schlanke Rankenornamente in Umriss-
zeichnung, welche sich um zwei Ränder der
Seiten winden; sie sind stark beeinflusst von
ähnlichen Leisten, die in frühen süddeutschen
Drucken vorkommen. Zur zweiten Gruppe ge-
hören ganze Umrahmungen auf schwarzem
Grunde, in welchen Morris durchaus selbständig
vorging; die Motive sind ebenfalls der Pflanzen-
welt entnommen, Rosen, Akanthusblätter, Reben
und Trauben umschliessen die Seiten in schwung-
vollen Windungen. Die Initialen im Texte
passen sich diesen Bordüren an. Ganz eigen-
tümlich sind die Titelblätter, auf welchen sich
die Schrift von einem Blumenornamente ab-
hebt das von einer kräftigen Umrahmung um-
geben ist
Den Höhepunkt der Keimscott Presse be-
zeichnet der grosse Chaucer, an welchem
Morris anderthalb Jahre, vom Oktober 1894
bis zum Mai 1896, arbeitete. Das Buch wurde
in 438 Exemplaren gedruckt, die sämtlich
subskribiert wurden, sodass es schon bei seinem
Erscheinen zu den seltenen Büchern gehörte.
Wie in keinem andern Drucke von Morris ist
in diesem Folianten eine wunderbare Harmonie
zwischen Typendruck und Illustration erzielt
An die Bilder von Bume-Joncs mit den gotisch
langgestreckten Gestalten schmiegen sich die
Randleisten von William Morris und bilden
mit der schönen gotischen Type, die sie um-
rahmen, so vollständig ein Ganzes, dass man
vergisst, ein gedrucktes Blatt mit Bleilettern
und Holzstöckcn vor sich zu haben, und nur
den Eindruck eines einheitlichen Kunstwerkes
aus einem Gusse empfängt.
Das Aufsehen, welches die ersten Drucke
der Keimscott Presse machten, ist noch nicht
vergessen. Die vornehmen Quartanten in den
weichen, biegsamen Pergamenteinbänden, mit
Thts is the Golden type.
'Cbxe 19 tbe Croy type,
r bis is the Chaucer type.
Die drei Typen der Kelmtcott Preise?
Die Goldene, die Troja- und die Chaucertype.
Studien zur Kunstgeschichte. Festgabe für A. Springer.)
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Sondheim, William Morris.
'9
dem tiefschwarzen Drucke und den ungewohnten
Verzierungen auf starkem und doch zartem
Papier bildeten das Entzücken aller Bücher-
freunde. Besonders der Chaucer wurde bei
seinem Erscheinen von der englischen Presse
als „das vornehmste Buch, das je gedruckt
worden", als „das Ideal des modernen Buches"
gepriesen, und mit diesem Urteile stimmte bei
uns auch R. Muther überein, der von William
Morris rühmt, er habe „das moderne Buch
geschaffen zu einer Zeit, als man anderwärts
noch durchaus an der Nachahmung der alten
Vorbilder festhielt".* Dieser Ausspruch dürfte
jedoch nicht ganz zutreffend sein. Für Bücher
von „gotischer Denkart", für die Goldene Legende,
Tür Chaucer, für
die Werke von
William Morris,
sind sie ein pas-
sendes Gewand,
aber mit Recht ist
darauf hingewie-
sen worden, dass
bei Shakespeare
in dieser Ausstat-
tung der Wider-
spruch zwischen
Geist und Form
uns stört; 1 eine
„moderne" Dich-
tung von der
Keimscott Presse
gedruckt, wirkt wie ein Anachronismus. Des-
halb kann der Chaucer, wenn er auch das
Meisterwerk der Typographie unserer Zeit ist,
nicht das typische Buch des XIX. Jahrhunderts
werden, wie etwa der Pohphib das Buch der
italienischen Renaissance, der Tfuuerdank unser
Buch des XVI. Jahrhunderts, die Baisers von
Dorat das Buch Frankreichs im vorigen Jahr-
hundert sind; Chaucer ist das typische Buch
von William Morris, oder wenn man den Be-
griff erweitern will, das typische Buch des
englischen Praeraphaelismus, nicht das moderne
Buch im eigentlichen Sinne. Aber die Grund-
sätze, nach welchen er gedruckt worden, zeigen
uns, wie wir arbeiten müssen, nicht um das
Das DnicVeneichen der Kclmicott Presse.
moderne Buch zu schaffen — dies ist ein
leeres Wort — aber um Bücher zu schaffen,
die jetzt und dauernd Kunstwerke sind. Diese
Grundsätze sind so logisch, dass sie banal
klingen, und doch wird es nicht überflüssig
sein, sie hier zu wiederholen in den schlichten,
einfachen Worten, in welchen William Morris
sie einmal vorgetragen.
„Das Äussere eines Buches", sagt er,J
„wird notwendig durch den Inhalt bestimmt.
Ein Werk über Differentialrechnung, ein medi-
zinisches Werk, ein Wörterbuch, eine Samm-
lung von Parlamentsreden oder eine Abhandlung
über Dünger werden kaum Ornamente erhalten
wie ein Band lyrischer Gedichte, ein Klassiker
oder dergleichen.
Ein Buch über
Kunst, denke ich,
verträgt weniger
Ornamente als ir-
gend eine andere
Art von Büchern,
(non bisin idem ist
ein guter Spruch),
und wiederum ein
Buch, das erklä-
rende oder an-
dere notwendige
Abbildungen ha-
ben muss, sollte
überhaupt keine
eigentliche Orna-
mente haben, weil Ornament und Illustration
fast niemals in Einklang kommen können. Aber
was auch der Inhalt eines Buches sei und wie
bar an Schmuck es bleibe, so kann es doch ein
Kunstwerk sein, wenn die Type gut und die
allgemeine Anordnung eine sorgfältige ist. Ja,
ich behaupte, dass ein ganz schmuckloses Buch
schön sein kann, wenn es, sozusagen, archi-
tektonisch gut ist. Nun, lasst uns sehen, was
diese architektonische Anordnung von uns ver-
langt. Erstens, die Seiten müssen klar und
leicht lesbar sein, was kaum geschehen kann,
wenn nicht, zweitens, die Typen gut gezeichnet
sind; und drittens, ob die Ränder breit oder
schmal seien, so müssen sie im richtigen Ver-
« R. Muther, Geschichte der Malerei III 506.
« H. P. Home, W. Morris as a printer (Satorday Review 1896, p. 439).
J W. Morris. The ideal book (Transactions of the bibliogr. Society 1893)
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20
Sondlieim, William Morris.
hältnisse zu den Kolumnen stehen. Der weisse
Raum zwischen den Buchstaben tnuss klein sein;
was Unleserlichkeit verursacht, ist nicht diese
Art von Zusammenpressen, sondern die Schmal-
heit der Typen selbst Der nächstwichtige Punkt
ist der Abstand zwischen den Wörtern. Es
sollte nicht mehr Raum zwischen ihnen gelassen
werden, als gerade nötig ist, um sie deutlich
von einander zu trennen. Was die Lage der
gedruckten Seite auf dem Papier anbelangt,
so muss der innere Rand der schmälste sein,
der obere muss breiter, der vordere noch breiter
und der untere der breiteste sein Die
Ornamente müssen in demselben Mafse wie die
Typen selbst einen eigentlichen Bestandteil
der Seiten ausmachen, und um ornamental zu
wirken, müssen sie sich gewissen Beschränkungen
unterwerfen und architektonisch werden . . . ."
William Morris ist am 3. Oktober 1896
gestorben. Seitdem hat die Keimscott Presse
noch einige Bände gedruckt, die er vorbereitet
hatte. Von dem Froissart, der vielleicht den
Ckaucer übertreffen sollte, sind nur zwei Blätter
vollendet worden. Im Augenblicke, da ich
diese Zeilen schreibe, erhalte ich eine Anzeige
von den Leitern der Keimscott Presse, in
welcher das Erscheinen von noch zwei Büchern
angekündigt wird: Sotne German woodeuts qf
the fifteenth Century, being reproduetions front
books (hat wert in the library at Keimscott
House, together with a list 0/ the principal
woodeut books in that library, und A note by
William Morris on his ahns in starting the
Keimscott Press: together with facts concerning
the Press and an annotated list of all the books
there printed, compiled by S. C. CockerelL Dies
werden die letzten Bücher sein, welche die
Keimscott Presse veröffentlicht. Die Druckerei
ist Anfang des Jahres 1898 geschlossen worden;
die Typen bleiben in den Händen der Trustees
für spätere Benutzung, aber die Ornamente
von William Morris sollen nicht mehr zur An-
wendung kommen, die Holzstöcke werden
dem British Museum einverleibt werden. Wenn
dieser Aufsatz erscheint, wird die Kclmscott
Presse schon der Vergangenheit angehören.
Sie war so sehr das Werk, die Sache ihres
Schöpfers, dass ihr Fortbestehen ohne ihn
nicht denkbar war, und doch wird diese Nach-
richt jeden Bücherfreund berühren, wie wenn
William Morris zum zweiten Male gestorben
wäre.
„Mit William Morris", schrieb vor wenigen
Monaten die Zeitschrift Bibliographica in dem
Epilog, mit welchem sie ihr Eingehen an-
kündigte, „haben wir einen Mann verloren,
dessen Leben besseren Dingen gewidmet war
als der Bibliographie, aber als Forscher und
Sammler wahrte er bis zu seinem Ende reges
Interesse für unsere Sache, und durch die
herrliche Folge von Büchern, die seine Keimscott
Presse erzeugt hat, hat er viel gewirkt für eine
Frage, welche jedem wahren Bibliographen am
Herzen liegt, für die Vervollkommnung des mo-
dernen Buches. Von dem Menschen William
Morris zu sprechen ist hier nicht der Ort; ihn
auch nur ein wenig kennen, hiess ihn lieben,
und diejenigen, welche ihn am besten gekannt,
haben ihn am meisten geliebt." Eine Zeit
wird kommen, wo alle, welche den Menschen
William Morris gekannt haben, nicht mehr
sein werden; die mächtige Bewegung im Kunst-
gewerbe, die er durch sein Beispiel und seine
Thatkraft hervorgerufen, wird vorübergehen,
und Neues wird die Erinnerung an sie im Ge-
dächtnisse der Menschen verdrängen; seine
Zimmergeräte werden der veränderten Mode
weichen müssen, seine Dichtungen werden als
„Dichtungen der Praeraphaelitischen Schule"
nur den Forschern bekannt bleiben, denn nur
das höchste in der Poesie hat ewiges Leben.
Von allem, was er geschaffen, wird nur Eines
lebendig bleiben: seine Bücher. Und dies ist
genug. Wäre er nur der Schöpfer der Kclmscott
Presse gewesen, so würde dies genügen, um
seinen Namen unsterblich zu machea Dauernd
und unverwüstlich wie die Inkunabeln, wie sie
mit ewiger Schönheit und unvergänglicher
Jugendfrische begabt, werden seine Bücher
bleiben als das vollendetste, was er gewollt und
geschaffen, als der vollkommenste Ausdruck
seiner machtvollen, künstlerischen Individualität.
3&
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Über die Bibliothek Johann Fischarts.
Von
Professor Dr. Adolf Hauffen in Prag.
lass Johann Fischart (circa 1 548— 1 590)
eine reichhaltige Buchersammlung be-
sessen habe, kann bei seiner poly-
historischen Gelehrsamkeit, seinen vielseitigen
Interessen und seiner ausgebreiteten schrift-
stellerischen Wirksamkeit von vornherein als
selbstverständlich angenommen werden. Zweifel-
los hat er die Schriften besessen, die von ihm
übersetzt oder überarbeitet wurden, Rabelais
und Plutarch, Bodins Dämonomanie, des Mainix
Bienenkorb, des Wolfgang Lazius Migrationcs
und andere, ferner die Bücher, bei deren Ver-
öffentlichung er durch Beiträge oder Vorreden
beteiligt war, und jedenfalls auch einen grossen
Teil der Schriften, die ihm als Quellen dienten.
Sicheren Nachweis über einen Teil seines
Bücherschatzes geben uns jetzt die Funde, die
dem Hofbibliothekar Dr. Adolf Schmidt in
Darmstadt geglückt sind und die er mir in
liebenswürdiger Weise zur Benutzung für meine
vorbereitete Monographie über Fischart über-
lassen hat. Hier sei nur ein kurzer vorläufiger
Bericht über die neuen Fischarteana erstattet.
Die Funde bestehen aus sieben Büchern, die
mit Namenseintragungen und einer grossen Zahl
zum Teil sehr umfangreicher Randbemerkungen
von Fischarts Hand versehen sind, sowie in
einem Sammelbande von Handschriften. Diese
Sammlung (Folio Nr. 2794), 157 Blätter stark,
enthält Abschriften von deutschen, französi-
schen und lateinischen Akten des Herzogtums
Lothringen, zumeist aus der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts. Und zwar Gesetze, Urteile
und Verordnungen, die sich Fischart als Amt-
mann zu Forbach (1584 — 1590) für seine Be-
rufszwecke zurecht gelegt hat Sie rühren nicht
von Fischarts Hand her, sind nur gelegentlich
mit Regesten von ihm versehen und geben
leider keinen näheren Aufschluss über sein
Forbacher Leben und Wirken. Sic sollen uns
hier nicht weiter beschäftigen.
Die Randbemerkungen zu den erwähnten
Büchern aber bieten manchen interessanten
Beitrag zu der Arbeitsweise, den politischen
Ansichten und wissenschaftlichen Zukunfts-
plänen des nach kaum vollendetem vierzigsten
Lebensjahre verstorbenen Schriftstellers. Die
meisten sind lateinisch, einige deutsch, viele
lateinisch und deutsch gemischt in einer flüch-
tigen, oft nur mit Mühe zu entziffernden Hand-
schrift abgefasst. Sie stammen aus den acht-
ziger Jahren, also auch aus der Forbacher Zeit
Fischart hat augenscheinlich als Amtmann
Mufse genug gehabt zu wissenschaftlichen Lieb-
habereien und war in den letzten Lebensjahren
in umfassender Weise mit sprachvergleichendcn,
geschichtlichen und etymologischen Studien be-
schäftigt die freilich (weil von Anfang an falsch
angefasst) zu keinem Ergebnis geführt haben.
Die Bücher nun, um die es sich hier handelt,
sind folgende:
1. Joannes GoropiusZtoa«!«. Opera, hactenus
in lucem non edita, Antverpiae. Christophorus
Plantinus. 1580.
2. Joannes Pierius Valcrianus. Hieroglyphica,
sive de sacris Aegyptiorum, aliarumque gen-
tium literis Commentarii. Basilcae. Thomas
Guarinus. 1 567.
3. Abraham Ortclius. Synonymia Geogra-
phica sive populorum, regionum, insularum,
urbium etc. appellationes et nomina. Ant-
verpiae. Christophorus Plantinus. 1578.
4. Aegidius Tschudi. De prisca ac vera
Alpina Rhaetia, cum cetero Alpinarum gentium
tractu etc. descriptio. Basileae. Michael Isen-
grinius. 1538.
5. Hieronymus Candanus. De rcrum varietate
libri XVII. Basileae. Henricus Petri. 1557.
6. Spricltwörter, Schöne, Weise, Klugreden.
Franckfurt am Meyn. Bei Christian Egenolffs
Erben. 1565.
7. Haussbuch, darinn begriffen werdend
fünfftzig Predigen Heinrychen Bultingers. Bern.
Bei Samuel Apiario. 1558.
Eines dieser Bücher, der Pierius, hat
dem inneren Deckel ein schönes, von Jost
Ammann gezeichnetes Ex-Libris Fischarts auf-
geklebt 1 Dieser (wie es scheint) nur in einem
blättern des
für das Grossherzogtum
hat Dr. Adolf Schmidt in den Quartal-
Hessen, X. F., 1. Band, S. 474— 476, veröffentlicht.
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22
Hauffen, Ober die Bibliothek Johann Fischarts.
Exemplar erhaltene, 88 mm breite und 129 mm , Justa Fortitudine Grataque Mediocritate." 3),J.
hohe Holzschnitt hat auf dem inneren ovalen F. G. ML" und „Ingenua Facilitate Genialique
Rande die Inschrift „Insignia J. Fischarti Mentzcr Modestia." 4) Das öfter angewandte Mono-
V. J. D.", rechts das oft angewandte auf dem gramm Fischarts, das eine Verschlingung der
vollen Namen : „Johann Fischart genannt Buchstaben J. F. V. J. D. zeigt. 5) Neben dem
Mentzer" beruhende Anagramm: Jove Fovente eben bezeichneten Monogramm noch „IpsoFixo
Gignitur Minerva. Das Wappen des Bücher- Gustamus Mannam." 6) „J. Fischart d. Mentzer."
Zeichens ist ein redendes. Es enthält im Schilde „J. V. D." und „Jove Favente Gratificatur Mer-
und auf dem Helm einen Delphin, daneben curius." Auf dem Titelblatt zum Pierius befindet
sich neben lateini-
schen Anagrammen
die Einzeichnung
,Joh. Fischart Ge-
nant Mentzer". Auf
dem Titelblatt zum
Ortelius giebt der
Besitzer sein Mono-
gramm und seinen
Namen in griechi-
schen Lettern, aber
mit der lateinischen
Ligaturcc:<I>ioxo^pr,
zum Tschudi : J.
Fischärt d. M., zum
Cardanus : J. Fisch-
art dictus M(entzcr,
der Schluss ist ab-
gerissen) und das
Monogramm Christi
in einem Kreise, zu
der Sprichwörtcr-
sammlung nur das
Monogramm.aufdas
erste Blatt der For-
bacher Papiere:
*l>ioxapr p£yiv£ep,
auf das zweite Blatt:
Intus Forisque Gau-
dium Metusque, auf
selbst angegeben oder vorskizziert hat. das Vorsatzblatt der Predigten Bullingers: Justi
Alle die genannten Bücher enthalten Namens- fausta Memoria, auf dem Titel: I. «IHaxapr
Eintragungen und Anagramme von Fischarts Moyivuep.
Hand. Auf den sechs Titelblättern zu den Ausserdem hat Fischart auf der linken Vor-
einzelnen Werken der Opera des Becanus finden satzseitc neben dem Haupttitel des Becanus,
wir 1) Pro Fischarto Meintzer V. J. D. (d. i. sowie auf den letzten zwei Seiten des Index
utriusque juris doctor) und die Anagramme zum Pierius eine grosse Reihe von lateinischen
„Ihove Fovente Gignitur Minerva" und „In Fit- und deutschen Anagrammen zusammengestellt
tichen Gotts Mein Strass", wo zu den Namen Neben denen, die wir bereits kennen, befinden
auch noch eine Andeutung des Geburtsortes sich dabei viele Neue, z. B. Jehova Fortitudo
Strassburg hinzukommt. 2) „J. Fischartus al: Gcntis Miserae (Psalm 28), Justitia Firmatur
Mentzer" (cognominatus in einer Breviatur) und Gratia Misericordiaque, In Fide Gaudium Meum.
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einen in ein Muschel-
horn blasenden Tri-
ton, eine Krabbe,
Ruder und Dreizack,
Schilf und anderes,
das zusammenfiw/*-
Art ausdrücken soll.
Mittelbar deutet
den Beruf Fischarts
die Aufschrift des
Spruchbandes „Non
cuius vis vector" an.
Sie bezieht sich auf
den Delphin, der nur
einen Dichter auf
seinem Rücken tra-
gen mag. Ähnliche
Zeichen wie die be-
kannten Sinnbilder
des Christentums in
der Cartouche über
dem Bilde hat Fisch-
art in seine Bücher
eigenhändig einge-
tragen, so z. B. auf
das Schlussblatt des
Pierius. Esistdarum
wahrscheinlich, dass
er das Bücherzei-
chen 'dem Zeichner
(Nach -
Portrat von Johann Fite hart.
\\ »einem „Philosophisch 1
Straitburg 1607.)
Häuften, Über die Bibliothek Johann Fischarts.
23
Auch mit fünf Worten, den Doktortitel andeu-
tend: Immarescunt Famüiac Gratia Marcescente
Domini, und deutsch: In Freudiger Gedult
Mutig. In Forchten Gottes Mächtig. Im Frieden
Gottes Mit Ich Förchte Got Mehr, und viele
ähnliche Wahlsprüche, die neben der häufigen
Anwendung der christlichen Sinnbilder den
frommen, religiösen Sinn Fischarts neuerdings
erweisen. Endlich ein schon bekanntes Ana-
gramm mit einem seltsamen neuen Nachsatz,
worin sich der Dichter Erinnerung nach dem
Tode erbittet: „In Freuden gedenck mein, sagt
der Todenkopf Jo. Fisch, gen. Mentz."
Aufzeichnungen, die neues Licht auf Fisch-
arts nur lückenhaft bekannte Lebensgeschichte
werfen würden, finden wir in den genannten
Büchern leider gar nicht. Zu seiner Familien-
geschichte aber gehört die Randbemerkung zu
Becanus I 164, die Neues über die (ihrem
Namen nach bereits aus einer Strassburgcr Ur-
kunde bekannte) Mutter Fischarts bringt. Im
Anschluss an den Text, der von der Silbe Cur
handelt, bespricht Fischart am unteren Rande
den Familiennamen Kirchmann und ähnliche
und sagt wörtlich: Kurmann, unde adhuc fa-
milia insignis Kurman, a qua descendit mater
mea Barbara Kiirmännin. Erat familia patricia
Coloniae; ast migravit in viciniam Westphaliae.
Fischarts Familiengeschichte und Lebens-
lauf führt uns also an die Ufer des Rheins von
Basel bis Köln herab und in deren unmittelbare
Nachbarschaft Die Familie seiner Mutter
stammt, wie wir sehen, aus Köln; die seines
Vaters aus Mainz. „Mentzer" ist auch bereits
der Beiname des Vaters und giebt für unsern
Schriftsteller nur die Familienabstammung, nicht
den Geburtsort an. Fischart selbst stammt
zweifellos aus Strassburg, was ich vor kurzem
in der Zeitschrift Euphorion 3 S. 363 ff. an der
Hand von Urkunden gezeigt habe. Für Strass-
burg erweist er auch in seinen Schriften zeit-
lebens die grösste Anhänglichkeit und thätiges
Interesse; einige dienen unmittelbar zur Ver-
herrlichung der I Ieimat. Auch aus den neu er-
schlossenen Randbemerkungen können wir diese
besondere Teilnahme für die Vaterstadt wieder-
holt ersehen. Genannt sei hier nur die umfängliche
Randbemerkung zu des Becanus Besprechung
des Wortes Tartessus (I 228), worin Fischart
über die Entstehung und Deutung der Namen
Strassburg und Argentoratum, über die An-
fange, das hohe Alter und die Ureinwohner
der Stadt konfuse, sachlich wertlose Meinungen
vorträgt, die vielleicht Bruchstücke oder Aus-
züge aus seinem verloren gegangenen Werke
Origines Argentoratenses darstellen.
Der Vater und die übrigen Angehörigen
Fischarts werden in den Urkunden und Nach-
richten, die uns vorliegen, immer nur Fischer
(oder Vischer) genannt, was ich auch a. a. O.
gezeigt habe. Fischart selbst erscheint bald
nach seinem Tode in Urkunden und Büchern
wiederholt als Fischer. Die Vermutung drängt
sich von selbst auf, dass erst unser Schrift-
steller seinen Familiennamen in Fischärt und
Fischart umgeändert hat, um besser von den
vielen damals in die Öffentlichkeit getretenen
Johann Fischer geschieden zu werden. Namens-
änderungen der Schriftsteller waren ja im
XVI. Jahrhundert gang und gäbe. Fischart
hat sich für seinen Namen immer sehr interes-
siert und hat, was aus einzelnen Stellen in der
Geschichtklitterung und dem Bienenkorbe
hervorgeht, den normannischen Eigennamen
Guiscard für*eine Verwälschung von Fischart
gehalten. Auch in unseren Randbemerkungen
ist häufig von dem Namen die Rede. So
spricht Tschudi (S. 121) von Zusammen-
setzungen, die eine bestimmte Beschaffenheit
anzeigen sollen und aus ,art' gebildet werden.
Seinen Beispielen: „Löwen art, Bern art, Engel
art" fügt Fischart auch seinen eigenen Namen
bei. Zu des Becanus Auseinandersetzungen
über das Wort Schiff (I 106) fügt Fischart eine
längere Randbemerkung über seinen Namen,
die als Beispiel für die Art und Weise seiner
krausen Etymologien und historischen Sprünge
mitgeteilt werden mag:
„Schiff verso Fisch. Hinc Fischart navis dicta,
quae prope natationem aliquam habeat, die Art des
Fisches. Et plane verso Fischart: Habes Tragschiff
vel Trauschiff. Et itcrum converso Fischwart scu Fisch-
fart, dass daher fahrt, wie ain schiff : Inde propter con-
tinuas navigationcs suas Kormannorum prineipes, qui
Normanniam, Siciliam, Neapolim, Calabriam, Apuliam,
Treverim etc. subjugarunt, hoc cognomen Fischarü
sibi sumscrunt: vel id habuerunt a maioribus Japcticis,
vel Navis ipsorum principalis hoc nomen ferebat, vel
insigne ipsorum erat Navis vel Dclphinus in vexillis et
vclis. Harrius (?) etiam in Calabria montem Clibanum
Visardo nominat, absque dubio a Normannicis Vischartis,
quod Vischartberg : weil sie den Schiffen dorfftcn trauen.
Nam ichnica rctrorsa lectione Fischart est Trauschiff,
quod nomen in omoem tutum portum potest quadrari;
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}-/ r Vfry i min.™ t ta no, j ._«• > » n/TTri t
TIMMS T»£ <l V* f A ■ f-»"»* .*». f •••»••< -•
IOANNIS COROPII
B E C A N I.
ANTVERPIJE,
Ex officina Chriftophori Plantini
Archicypograpni Rcgtj.
v^r/r r.-v'--. •xTifrZxs
Verkleinerte! Titeiblalt ia Becinui „Hecmalheni" (Antwerpen ijBo)
mit Eintragungen ton der Hud Johann Fiicharti.
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EROGLYPHKA
SIVE DE SACRIS AEGY.
PTIORVM, ALIARVMQVE GENTIVM
liicmCommentarij, In a K n t s PiERIlVale-
rijiw Uobcanij Bclluncnfts,
\
fii C X L I O AVGVSTINO Cunonr duobusLthris »uJti',5f
nnbhünigiiubusülußntj.
!. r C T O R I.
rxfUjrtfim ,-\mmm*m fdtrr ^tnjptutc* crtlufitrjkj, myftujtum Cto-
rty^uwi«iff»'i l 'ii)i in i V^W—i w u m i ' jsil w i ^i .Mga»«»,^
WjJäJ/Ii»^ jnrnfcj ( rrr>N* B4twf<m4^rrv[ V 4U,
&li»tftrmatui**mf*r l^ttmmtbUtabntfcm ftbtatr jnttrt.
1 iwJI-^-ftjfc-^ r.-«.
"B S 4 L £ UE,
Per Thorium Guannum, M. D. L. X V I I.
'Kr nv KS 1
Hör aRu-iTunu
1/ r». ä 1 ! v>t?i (Jip-K •'Tri •"»*•
Verkleinertet Titel bl 11 1 tu Pieriui „Ilicroglypbica" (Batet 1567)
mit Eintragungen von der Hand Johann Fitcharta.
Z. f. B. 98,99
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26
Hauflen, Über die Bibliothek Johann Fischarts.
quia vero Nortmanni ac experti navigatores ubique
tutos portus reperiebant, idco nomen hoc usurpabam.
Statt einfach von der Herkunft seiner väter-
lichen Familie ein Wort zu sagen, wie Fischart
dies beim Namen seiner Mutter gethan hat,
verfällt er hier und an anderen Stellen, wo von
seinem Namen die Rede ist, auf die fern-
liegendsten Dinge. Dieser auffällige Umstand
scheint mir die Annahme zu verstärken, dass
der Name Fischa.it eine willkürlich gemachte,
nicht eine ererbte Bildung darstellt.
Auf seine eigenen Schriften weist Fischart
auch ab und zu in den Randglossen hin. In-
teressant ist darunter namentlich eine Erwäh-
nung: In der Vorrede zum zweiten Buche der
Opera des Becanus beklagt sich der Verleger
Plantinus darüber, dass der bekannte Philologe
Josef Scaliger abfällig über Becanus geurteilt
habe: quod etsi parum de honestissimo viro
honestum; tarnen illuc valuit, ut commotis multis
ad videndum, plura hoc triennio exemplaria
Becceselanorum vendiderim. Fischart setzt an
den Rand: Sicut Argcnt. factum, cum J. Fab.
in concione traduceret versionem meam Rabe-
laesii. Darnach hat also ein Gegner Fischarts,
J. Fab(ius?), dessen Geschichtklitterung vor einer
Versammlung verspottet, doch damit das
Gegenteil seiner Absichten, einen besseren
Absatz des Werkes, hervorgerufen. Dies muss
ungefähr im Jahre 1580 der Fall gewesen sein,
denn im Jahr 1582 erselüen die bereits not-
wendig gewordene zweite Ausgabe der Ge-
schichtklitterung.
Eine neue Schrift kündigt er für die Zu-
kunft an. Ein handschriftlicher Zusatz zum
Index des Becanus I verzeichnet: Fischarti
libellus de Allemannorum Sibilo vel Sch. 200,
und auf der genannten Seite sehen wir, wie
Fischart gegenüber dem niederländischen sc in
den Beispielen des Becanus des alemannischen
sich rühmt und hinzufugt: De quo (nämlich sch)
singularem, Deo volente, conficiam libellum.
Ausgeführt hat er jedoch diesen Plan gewiss
nicht, denn es ist weiter nichts darüber be-
kannt geworden.
Mehrere Randbemerkungen verweisen auf
handschriftliche etymologische Sammlungen, die
sich Fischart angelegt hat. Becanus II 94 sagt
er: ut in collectaneis meis Etymologicis de-
monstro, und ähnlich an mehreren anderen
Stellen. In Fischarts Collcctaneen war (nach
seinen Andeutungen zu schliessen) von Götter-
und Völkernamen, von philosophischen Be-
griffen und von Ausdrücken des täglichen
Lebens die Rede, und die Bezeichnung Farrago,
Gemengsei, die ihnen Fischart gibt, erscheint
ganz berechtigt. Wir werden dem Verluste
dieser Papiermassen keine Thräne nachweinen;
es genügt an den Proben, die uns erhalten
sind. Und an verbliebenen Resten ist kein
Mangel, denn die überwiegende Menge der
zahlreichen Randbemerkungen sind etymolo-
gischer Natur, indem Fischart im Widerspruch
oder in Ergänzung der in den benützten Bü-
chern vorgetragenen Etymologien seine eigenen
Ansichten beibringt Seine Etymologien sind
natürlich ganz in der Art gehalten, wie es ün
XVI. Jahrhundert üblich war, und wissenschaft-
lich völlig wertlos. Sie sind ohne eine Ahnung
von den Wortbildungs- und Lautgesetzen, ohne
Kenntnis der wirklichen Beziehungen ver-
wandter Sprachen untereinander mit der grössten
Willkür unternommen.
Das wichtigste Princip der Linguisten jener
Zeit war die conversio. Darnach sollte ein
Wort mit jenem Worte derselben oder einer
anderen Sprache verwandt sein, das man durch
Umkehrung gewann. Also „Fisch" ist ver-
wandt mit „Sclüff", lupa mit „buhlen". Aber
für verwandt oder gleichen Ursprungs hielt man
auch jene Wörter, die einander ähnlich klangen,
oder durch Umstellung der Buchstaben, durch
Einschub oder Streichung einzelner Konsonanten
und Vokale gleich oder ähnlich gemacht werden
konnten. Bei Fischart insbesondere, dem immer
der Schalk im Nacken sitzt, kommt es noch
hinzu, dass er selten die Gelegenheit zu einem
Witz oder einer naheliegenden spasshaften Be-
ziehung ungenützt vorbeigehen lässt. Auch
hier bringt er oft die komischen Ausdeutungen
von Fremdwörtern an, die wir bereits aus der Ge-
schichtklitterung und anderen Schriften kennen,
z. B. „Hüpfetherum" für „Hippodrom", oder
„Maulhängkolie" für „Melancholie", und die
gewiss nicht ernst zu nehmen sind. In der
That kann man bei seinen überaus kühnen
Wortdeutungen oft nicht wissen, wo der Ernst
aufhört und der Scherz anfängt Nur ein
Beispiel für viele:
Im Picrius ist S. 100a von der Maus die Rede.
Fischart setzt an den Rand: ,.Hinc et Esopus mythicc
mulicrctn in murem mutatam fabulatus est: quo Murlier
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Ilauffen, Cbcr die Bibliothek Johann Fischarts.
27
(wie sie den wol murren vnd beissen können) r in 1
Mullier: Hinc juris glossatores Mulierem a Mollitia
derivant, quamvis alii a maütia, Ja wol Maulitia, so
käms wol vberain mit murren vnd beissen.-'
Neben den etymologischen Randglossen
finden wir in den genannten Büchern in ge-
ringerer Anzahl noch regestenartige Bemer-
kungen, ferner Beispiele, Vergleiche, Redens-
arten im Anschluss an die gegebenen Texte,
Ausrufe des Beifalls und des Widerspruchs,
deutsche Übersetzungen der mitgeteilten latei-
nischen und griechischen Citate und ergänzende
Erörterungen. Ich glaube nicht, dass es der
Mühe lohnen würde, einmal die ganze Masse
dieser Randbemerkungen vollständig zu ver-
öffentlichen. Gut gewählte Proben und Aus-
züge müssten den litterarhistorischen Anforde-
rungen unter allen Umständen genügen. Hier
kann ich ohnehin nicht mehr geben, als die
ganze Richtung und Tendenz der Fischartischen
Randglossen, die mit völliger Klarheit aller-
dings nur in den Werken des Becanus zu Tage
treten, näher zu beleuchten.
Der von 15 18 — 1572 lebende Antwerpener
Arzt Joannes Goropius Becanus war als Sprach-
forscher ein sicbcnseltsamer Kautz. In seinen
umfangreichen, lateinisch geschriebenen, mit
einem grossen Aufwand ausgebreiteter, aber
unfruchtbarer Geleh rsamkeit abgefassten Wc rken
sucht er immer wieder die von ihm aufgestellte
wunderliche Hypothese zu erweisen, dass das
Germanische und zwar insbesonders das Nieder-
ländische (lingua Cimbrica) die älteste Sprache
der Menschheit sei. Mit den Anfängen der
sprachvergleichcnden Studien und der ger-
manischen Philologie, die in der zweiten Hälfte
des XVI. Jahrhunderts gerade in dem vom
spanischen Joche befreiten Holland mit national-
patriotischem Eifer betrieben wurde, hängen
auch die Bestrebungen des Becanus zusammen.
War er doch der Erste, der (in seinen Origines
Antwerpienscs) ein kleines gotisches Bruchstück
veröffentlichte. Aber Niemand ging in dem
einseitigsten Stolz auf seine Muttersprache so
weit, Niemand war so verrannt in ein von An-
fang an verkehrtes Verfahren als Becanus.
Begreiflich, dass er von dem hervorragendsten
Philologen der Zeit, von Josef Scaliger, in der
heftigsten Weise als circulator (Marktschreier)
angegriffen wurde.
Für uns handelt es sich nur um die Opera
des Becanus, die erst nach dessen Tode durch
den Verleger Plantinus 1580 herausgegeben
wurden. Es sind sechs Werke: Hermathena
(Doppelbüste von Hermes und Athene im Sinn
von Erläuterung gebraucht), Hieroglyphica, Ver-
tumnus (der Gott des Wechsels und des Wandels
in der Natur, von dessen Besprechung die Aus-
führungen dieses Werkes ausgehen), Gallica,
Francica und Hispanica. Sie handeln alle von der
Entstehung der Sprache, von Sprachphilosophie
und Sprachvergleichung, von der ältesten Ge-
schichte und den Wanderungen der Völker in
kritikloser und phantastischer Weise. In allen
kommt Becanus auf verschiedenen Wegen immer
wieder zu seiner fixen Idee von der nieder-
ländischen Ursprache zurück.
Die Verwandtschaft der klassischen Sprachen
mit dem Deutschen, sowie der germanischen
Sprachen untereinander wurde im XVI. Jahr-
hundert bereits beobachtet Gefördert wurden
diese vergleichenden Studien durch den kirch-
lichen Glaubenssatz, dass das Menschen-
geschlecht bis zur babylonischen Verwirrung
nur eine Sprache gebraucht habe. Ziemlich
allgemein galt begreiflicherweise das Hebräische
für diese Ursprache. Becanus aber führte da-
gegen ins Feld, dass griechische und römische
Schriftsteller Barbarensprachen für die ältesten
zu erklären pflegten und dass das Hebräische
zu grosse Mängel zeige, als dass es als Mutter
der übrigen Sprachen betrachtet werden könnte.
Nur die beste Sprache könne auch zugleich
die älteste sein, nur jene, die sich von Anfang
an unverändert erhalten habe, so dass ihre
Worte die Natur der zu bezeichnenden Gegen-
stände am deutlichsten nachahmen und die
wahre Bedeutung der Begriffe aus dem Namen
selbst erkannt werden könne (ita ut rerum
notitia maximarum ex ipsis nominibus capiatur).
Das Niederländische allein zeige alle die er-
forderlichen Vorzüge. Wie es vom heiligen
Geiste dem Menschengeschlechte übergeben
worden sei, so habe sich sein bewunderungs-
würdiger Bau durch besondere göttliche Gnade
rein und unversehrt erhalten, so dass bei den
niederländischen Worten der ursprüngliche
Grund der gewählten Bezeichnung klar zu Tage
liege. Wollte man bei Worten anderer Sprachen
die wahre Meinung (verissima ratio) herausfinden,
dann müsste man zur Erklärung immer wieder
auf die niederländischen Wurzeln zurückgreifen.
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28
Häuften, Über die Bibliothek Johann Fischarts.
Dieser Standpunkt des Becanus musste
Fischart von vornherein sympathisch berühren ;
hat er doch selbst
und zehnten Kapitel
fctrppnt.
acccmonc.carfljrum oh qua*
omniacxiguahac voculajpau,
LatinisNauhim, provcftura
cc j<]iianaujs mciccs fignatu.
hoc tempore-fiau proNauc V;
poftlimini) iure in enütatem C
uari, qua: jux ad Rhcnura cfl
viu, a fff^jKtt/qucxl oft forma*
liaurftc: rthn proprerca quüd
&ant ; tum quodipfe orrin ium
chitcclu$,dura Nochu arcarr
i yfi.. lineando & prarferibendo. &<
primüm Dco conuenit , ita p<
co maximc,vt femper record
pet perpetuo in mentem ven
beneficiunvin Nauc maxima
'.'• f X' - tics&cri! noftras nauis nom<
menclator : nos item aures Ii:
äas,ne ibrdi tanca vcrbotm
r,it h. A ftfp & ftepen G raci enulfae l
litr.erarura,&portrcttia rech
VidcmuS itaqucqüanta ratic
refere icmpcr homincs &: er
Foruffis itaque Nochus voci
- ilam ^quopcrpetuöc'rcatoris
, > qaammagismettiörcsfimus
vc rftmur-, vc vel hac de fola <
nbi.aJiusautfccuricatis,auc!
•^^-mentaercauitjita perpetuo (
; ;.'qoidcm nauteä nobisdcfit,c
j 1 <juibus de cau (fi$ aha vücabt
Iis partes vocentor i Satis iar
dusnos ventus tulit adopifi«
eorum qua? de infiniro patrlv
dum (ätisnauigatum. fentic
üb da qte* rogas ? Eius, inquam, qu.r d<
Mrf. Trf &*^rercrciue,Egpfüm,quidq.
*f*fl *'~S ~ >_ . \£-ff ■* v.* retexae . Qua: ergo aha hxc
Qua: ergo s
Dens de Deo, verum vnutri
Randbemerkung Johann Fiicharli Üb« Minen Namen (vgl. S. aj)
io den „Opera" de* Bccantu, Antwerpen IjJo.
unter anderem im zweiten
der Geschichtklitterung die
deutsche Sprache mit na-
tionalem Selbstbcwusstsein
über die lateinische und
griechische erhoben und
hier, sowie in der Dämo-
nomanie, gem auf des Be-
canus Ausführungen „von
der Älte und Herrlichkeit
der deutschen Sprache"
verwiesen. In zahlreichen
Randglossen zu den Opera
wird seine freudige Zu-
stimmung zu den Behaup-
tungen des Becanus laut.
Doch wer der Methode des
Becanus zustimmte , der
musste schliesslich, falls er
einem anderen Stamm an-
gehörte, zu einem abwei-
chenden Ergebniskommen.
Wie jener im Niederlän-
dischen die natürlichsten
und verständlichsten Be-
zeichnungen zu allen Be-
griffen zu finden glaubte,
so kam Fischart, obwohl
im allgemeinen auf seiner
Seite stehend, im beson-
deren zu der Überzeugung,
dass das Deutsche nicht in
der niederländischen, son-
dern in der oberdeutschen
und zwar in der alemanni-
schen Form (also in Fisch-
arts eigener Mundart) die
beste, älteste, natürlichste
Sprache darstelle.
Becanus hat die Vor-
züge des Niederdeutschen
scharf und auf Kosten des
Hochdeutschen betont. Er
meint unter anderem, dass
die ursprüngliche (die rich-
tige Bedeutung anzeigende)
Form im Niederdeutschen
besser bewahrt sei. Luna,
so sagt er z. B., heisse bei
den Niederdeutschen Man,
bei den Hochdeutschen
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HaufTcn, Über die Bibliothek Johann Fischart».
29
Man (Mond). Sein Name aber
komme vom mahnen, weil er
durch die wechselnde Form an
den Fortgang der Zeit und durch
die Flut, die er hervorrufe, an
die Abhängigkeit der irdischen
Verhältnisse von den himmlischen
gemahne. Die niederdeutsche
Form sei also die ursprüngliche
und richtige. Die den Hoch-
deutschen (bekanntlich seit der
zweiten Lautverschiebung) eige-
nen p/, ß und s nennt Becanus
tierische Laute (ferinae litterac)
und rühmt ihnen gegenüber das
„attische" / der Niederländer.
Die Oberdeutschen oder Ale-
mannen, sagt er, sprechen mit
aufgeblähten Backen, schärfen
ihre Worte mit S -Lauten und
zischen wie die Schlangen. Mit
ihrer barbarischen rauhen Rede-
weise verunstalten sie die edle
germanische Sprache so arg,
dass sie kaum wieder zu er-
kennen sei.
Mit demselben Eifer und mit
derselben starren Überzeugung
steht nun Fischart auf Seite der
alemannischen Mundart. Ein
grosser Teil der Randglossen
besteht darin, dass er den
niederländischen Beispielen des
Becanus hochdeutsche gegen-
überstellt und zu zeigen versucht,
dass diese die Ursprünglichkeit
des Germanischen noch ent-
schiedener erweisen. Er wirft
seinem Autor vor, dass dieser
aus Hass gegen die Oberdeut-
schen (odio superiorum Germa-
norum) den Laut z unberück-
sichtigt lasse, der doch in der
lateinischen, griechischen und
hebräischen Sprache vorhanden
sei. Er hält auch nicht mit
drastischen Spottreden zurück:
„Das T geht gar stumpf ab, wie
ein gestutzter Hund." — „Ihr (der
Niederländer) magere, dürre,
schnatternde backen wollen vnser
7 -
mi vöcantlitj
iuvt nihil n
hncv Grxc p-'
Gallos: tantat
citut Ca-rar^q^i Ai»o
mm tomp.i'-ifc
tuiofdatii
hcultacc
cnc,ctiam cudqÖjfüi
cium ex Pcolcou:o,i
fc ipfi haßenus in m<
nomiiicinus.
Gcrjiunis, ild Tic HL
t'ur. Audio Ii ic Allen
luhouiunciocxinfiir
: lo-Gcrmanorum fen
jicclum Co; itC ?
Nemo efit iionr»/»ü
tur. ßgo Verd n<5önc
conttöuerfia "
xquos iudiccspi ' /
Iorum fr. iic exaem ,
atejue toi mulns voev
ci prim.mi laudctn rr
f-uii ttymm. Dli cäüfla , l.üna dob
XM**» Mic Ii rogeeur , vtrur
fä'm liömcnclartiram
r>/»-^'ncadmirari6ncöl in 1
Ycremus ejus ficbit v
tfTccju.yrcitu;^
"dö attöllic, riUii^li
' tx lux infcrjSffl^K;
pioduc &Ip£ 5Btfe
>.jCttiierci:J U\:ju: 1
Randbemerkung Johann Fiacharli (vgl. S. y>)
in den „Opera** dea Becanua.
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30
vralt S wie ein Ent im Water aufsschnattern
und aufstrecken." Und neben den Kosenamen
„Wattländer 4 ' und „Quatvögel" zeichnet Fischart
einen Niederländer auf, der zur Strafe für seine
falsche Aussprache am „gallischen Tau", das
ist am Galgen, baumeln muss. Mit welch' starrem
Stammesdünkel standen doch im XVI. Jahr-
hundert Hoch- und Niederdeutsche einander
gegenüber! —
Zahlreich und umfänglich sind auch Fisch-
arts Randbemerkungen zum IHerius. Dieser
hervorragende italienische Gelehrte denkt in
seinem Buche „Hicroglyphica" natürlich gar nicht
an eine Entzifferung der ägyptischen Bilder-
schrift, die ja erst unserem Jahrhundert vor-
behalten blieb. Er betrachtet vielmehr die
Hieroglyphen, soweit sie damals bekannt waren,
als Symbole und behandelt sie gemeinsam mit
griechischen und römischen Bildwerken, indem
er aus alten Schriftstellern ein überreiches Material
zur sinnbildlichen oder mystischen Deutung von
Tieren, Pflanzen, Steinen, Waffen, Körperteilen,
geometrischen Figuren u. s. w. zusammenträgt.
Fischart hat sich für die Erläuterung der Em-
bleme oder „Lehrgemäl" immer sehr interes-
siert, an der Ausgabe von Emblemcnwerken
sich wiederholt beteiligt, den Picrius und ver-
wandte Schriften, (die er auf dem Titelblatt
zum Picrius verzeichnet) für das 12. Kapitel
seiner Geschichtklitterung und anderwärts be-
nutzt. Seine Randbemerkungen zum Pierius
geben Ergänzungen aus dem Kreise deutscher
Wappenbilder, ferner Sprichwörter und Fabeln,
doch auch viel Etymologisches, endlich auf den
letzten Blättern eine grosse Reihe deutscher,
lateinischer, griechischer, französischer und
italienischer Wahlsprüche.
Die (zumeist etymologisierenden) Rand-
bemerkungen zu den übrigen Darmstädter
Büchern bieten wenig Bemerkenswertes. Die
Emolffischc Sprichwörtersammlung, die Fischart
mehrfach, namentlich für das „Ehezuchtbüch-
lcin" ausgeplündert hat (vgl. meinen Nachweis
in der Zeitschrift für deutsche Philologie 27,
331 ff.) zeigt auffälliger Weise ausserdem Mono-
gramm keine Eintragungen von Fischarts I land.
Neben den sieben Darmstädter Büchern
stammt aus Fischarts Bibliothek auch das in
Tübingen aufbewahrte Werk „Histoire de nostre
temps contenant les Commentaires de Testat
de la Religion et de la Republique sous les
Roys Henry et Frangois seconde et Charles
neufieme", 1566, dessen drei Bände mit je
einer Namens-Eintragung und je einem fran-
zösischen Wahlspruch von Fischarts Hand ver-
schen sind (vgl. Serapeum 1847, S. 202), ferner
das Berliner Exemplar der Onomastica (Archiv
f. Litteraturg. 10, S. 422) und der Wolfenbüttler
Miscellanband mit siebzehn französischen, italie-
nischen und lateinischen Flugschriften zumeist
politischen Inhalts (Alemannia I S. 250—254).
Auch eine der ältesten mythologischen Dar-
stellungen aus dem Kreise der italienischen
Humanisten „De deis gentium libri sive syn-
tagmata XVII" von Lilio Gregorio Gyraldo muss
Fischart besessen haben, denn er weist im
Bccanus (1 175 und II 121) auf seine annotationes
zu diesem Werke hin. Sein Handexemplar ist
allerdings bisher noch nicht gefunden worden.
Zu Beginn der achtziger Jahre mag Fischart
schon eine ganz stattliche Büchersammlung be-
sessen haben. Aus dieser Zeit stammt sein
schönes Gedicht auf die Bibliothek der Abtei
zu Thcleme, das er in die zweite Ausgabe
seiner Geschichtklitterung 1582 (Ablebens Neu-
druck S. 441 — 446) eingefügt hat. Dieses hohe
Lied eines echten Bücherfreundes, auf das ich
zum Schlüsse kurz hinweisen möchte, ist, wie
sein treuherziger, ganz persönlicher Ton, die
warme Freude und Begeisterung über die
Bücherschätze erweist, zweifellos auch ganz
persönlich empfunden und auf Fischarts eigenen
Bücherbesitz gemünzt. Ist doch auch hier
Gessners Tierbuch mit Namen genannt, das
Fischart waidlich ausgenützt und ganz sicher
besessen hat.
„Gott grüss Euch, liebe Bücher mein!" Mit
diesem herzlichen Zuruf beginnt das Gedicht.
„Ihr seid noch unversehrt und wohlcrhaltcn,
denn ich schone Euch sorgsam. Ich nehme
Euch nicht gleich nach Tische vor, mit noch
unsauberen Händen, ich netze nicht Eure Blätter
mit nassen Fingern, und hebe Euch auf einen
ruhigen sicheren Platz auf, wo Euch keine Ge-
fahren drohen!" — Hieran schlicsst sich ein
begeistertes Lob der Schriftsteller:
O, jhr Scribemen wol erkant,
Die jhr durch ewer Schrifft
Bcrhuemt macht ewer Vaiterland
Vnd ewig Ehr euch stifft!
Der Name guter Schriftsteller verwelkt nicht;
unendlichen Segen schaffen ihre Werke, denn
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Hauffcn, Uber die Bibliothek Johann Fischarts.
3«
Verkleinert«! SchlüMbUu der „Hierogly pbic a" de* Pierius
mit Eintragungen von der Hand Jobann Fitcharit.
sie verbreiten sittliche Anschauungen, sie rügen
böse Fürsten, sie lehren Gesetz und Rechte,
sie verkünden Gottes Willen, sie erzählen edle
Thaten der Vorfahren und weisen kühnen See-
fahrern den Weg in ferne iJinder.
Ja jeder guter Geist hie find
Was jn freut und erquickt.
Im Zusammenhang damit wird „der löblich
Fund der edlen Truckerey" gerühmt, die tausend-
fältig die Verbreitung und den Einfluss guter
Bücher gemehrt habe.
llctt WcIscWand disen Fund ergründ
Seins rhuemens wer kein end,
Nun hats euch Teutschen Gott gegünt,
Dcsshalb jn wol amvendt
Fürstlich sei es, grosse Büchersammlungen an-
zulegen. (Fischart rühmt ja auch die Fugger
und die Mcdici wegen ihrer Bücherfreundschaft.)
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Sa
Schur, Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
Wäre der Dichter ein Fürst, dann müssten
viele „solcher Zeughäuser der Weissheit" ent-
stehen. Zum Schlüsse ruft er die Musen an,
sie mögen die Bücher vor ihren ärgsten Feinden,
den Milben und Schaben, vor den Pergament-
handlern und vor dem Ketzerfeuer behüten.
Die Musen haben Fischarts Bitte zum Teil
erfüllt und eine Reihe seiner Bücher vor
der Vernichtung bewahrt. Es mag wohl die
Muse Klio sein, der wir für die Erhaltung und
Wiederentdeckung der Bücher unseren Dank
und besondere Verehrung schulden!
4t
Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
Von
F.rnst Schur in Friedenau- Berlin.
Der gegenwärtige Stand.
Drang, die Gegenstände des äusseren
Lobens, die uns umgeben, mit dem
Stempel unseres Geistes, unserer Seele
zu versehen, so dass sie erst von uns geschaffen
und geformt erscheinen, ist allmählich auch
dem Buch zugute gekommen. Der Zug zum
Dekorativen, die kunstgewerbliche Richtung,
hat endlich langsam, zuerst mit schüchternen
Versuchen, ein Gebiet ergriffen, das bis dahin
fast ganz brach gelegen: die Buchausstattung.
Die Buchausstattung zerfällt ihrer Natur nach
in äussere und innere. Was die eine zuviel
bekommen hat, hat man der anderen genommen.
Vor der Buntheit, die einem aus den Auslagen
der Buchläden entgegensieht, möchte man oft
die gepeinigten Augen schlicssen; öffnet man
aber ein Buch, das auf der Aussenseite die
Signatur des modernen Ichs trägt, so hat man
das alte Lied und das alte Leid wieder vor
sich. Der Umschlag ist neu geworden; die
Type ist . die alte geblieben. Noch nie ist
jemand auf die so naheliegende Idee verfallen,
eine neue moderne Type zu gestalten.
Man ahnte wohl den klaffenden Widerspruch
zwischen aussen und innen und suchte dem
abzuhelfen; um den Kern der Sache ging und
geht man herum. Der Illustrator verwandelt
sich in den Dekorator, und Heine, Eckmann,
Vallotton zeichnen ihre Vignetten, die das
Innere des Buches modern beleben. Eine
geistsprühende, prickelnde Zeichnung, die in
die Nerven geht, steht ruhig neben den alten,
ewig gleichen Typen, und jeden, der ein feines
Gefühl für durchgebildete Harmonie des Ganzen
besitzt, muss diese Stillosigkeit beleidigen. Hat
man kein Gefühl dafür, wie lächerlich in einem
modernen Interieur das Buch wirken muss, aus
dem einem die ganze Ledernheit vergangener
Jahrhunderte entgegengähnt? ■ —
Die beiden Richtungen in der äusseren
Buchausstattung, die ich die englische und die
französische nennen möchte — die eine, mehr
malerisch, setzt ein Bild auf den Deckel, die
andere, mehr architektonisch, sucht durch An-
ordnung der Typen zu wirken — haben nicht
so auf das Innere eingewirkt Als Ausfluss,
Weiterbildung der malerischen ist es zu be-
trachten, wenn man den Text unterbricht,
abschneidet, kurz: verziert mit Zeichnungen,
Vignetten. Diese Art, wie gesagt, ist mehr-
fach angewandt worden, zumal da sie von der
japanischen Kunst, die so viele Vorbilder dafür
lieferte, wenn nicht angeregt, so doch neu
belebt wurde. Auch ging man auf die alten
deutschen, namentlich französischen Hand-
schriften gern zurück. Hierbei blieb man stehen.
Die englische Richtung ging weiter, aber
nicht tiefer. Sie schuf zwar ein ganzes neues
Bild aus Antiquarischem und Modernem ge-
mischt, das aber krankhafte Keime in sich
trug, wohl des einzelnen Sehnsucht zu be-
friedigen imstande war, aber keine Gewähr für
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Schur, Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
33
die der allmählich doch heranreifenden All-
gemeinheit entsprechende Fortentwickelung.
So wunderbar die englischen Bücher als Ganzes
wirken — sie sind nicht, wie sie die Menge,
die Gesundheit verlangt. So sehr also W. Morris
den einzelnen befriedigt, so weit entfernt er
sich von einer naturgemässen Weiterentwicke-
lung; in seinen Bemühungen hegt trotz vieler
Anregungen etwas stagnierendes, etwas, das
wie Traum, Flucht, Vergangenheit aussieht.
Wenn ihm daher auch das Verdienst anzu-
erkennen ist, dass er als erster sich dem
Problem näherte, die Type zu erneuem, so
muss man doch wieder betonen: sich genähert
hat. Denn was er gab, war eine Wieder-
erweckung alter Melodien, die von seiner Seele
den Klang bekamen. Wenn er auch sich selbst
seine Typen herstellte, mit Freude vertiefte er
sich in die alten Codices und grub und grub,
verband eigenes mit altem, dadurch wohl etwas
Ganzes, aber nichts Neues schaffend. Seine
Bücher — und nach ihm gehen die meisten
in seinen Spuren — tragen den Stempel der
Romantik: Flucht in die Vergangenheit; sie
führen uns in das Mittelalter zurück, wecken
Erinnerungen an Klöster, Burgen und Städte;
eine klosterartige Stille breitet sich aus; wir
sehen den Münch mit Liebe über seinen Text
gebeugt, und so haben die Bücher einen selt-
samen Zauber in sich, 'wie etwas Verschlafenes,
wie verirrte, suchende Jungfrauen. Wenn wir
das Verdienst des Engländers formulieren
wollen, so müssen wir sagen, dass er ein
tüchtiger Pionier, dass er aber zu sehr Künstler,
zu sehr Dichter war, um der Praxis zu dienen;
seine Persönlichkeit, seine Wünsche, die nach
Befriedigung und Erfüllung hungerten, waren
mächtiger als seine Absichten.
Von Morris und seiner Schule führt kein
Weg weiter zu neuen Ergebnissen. Man ist
bei dem alten stehen geblieben, rückwärts-
schauend, ausbauend, ergänzend. So wurde
der rückwärts gewandte Geist des Engländers
für die Entwicklung ein Stillstand. Der Fort-
schritt, der in seiner Richtung gegenüber der
französischen lag, war der, dass er das Buch
als etwas Ganzes betrachtete, das von A bis
Z, will sagen vom Umschlag bis zur Mitteilung
des Druckortes auf der letzten Seite, den
Stempel der Einheitlichkeit an sich tragen
musste; dass man dem Text nicht äusserlich
Z. C B. 98/99.
etwas Schmückendes bald hier, bald da in
holder Sinnlosigkeit zufügen dürfe, sondern
dass das Innere des Buches sich organisch
dem Ganzen einfügen, sich ohne Widerspruch
aus dem Gegebenen hcrausentwickeln müsse.
Der gegenwärtige Stand ist nun folgender:
kurz bezeichnet, allgemeinste Hilflosigkeit; den
Ausweg, die einzige Rettung sieht man in einem
immer ratloser werdenden Eklekticismus. Man
baut Stützen, vielleicht kostbarer Art, die das
morsche Gebäude tragen sollen, wo ein nach ein-
fachsten, natürlichen Grundsätzen gebautes neues
Haus genügen würde. Franzosen, Engländer, Ja-
paner, Mittelalter liefern Vorbilder, die man gern
und sklavisch kopiert Bezeichnend für diese
Epoche, in der wir uns jetzt befinden, ist, dass man
energisch bestrebt ist, auf alle mögliche Weise
um den Kernpunkt der Sache herumzugehen!
Man schont mit ängstlicher Sorgfalt die Type,
man sucht dem Buch im Innern die alte Starr-
heit zu erhalten; nichts Auflösendes will man,
keine freie, originelle Anordnung, nichts in
neuer Gliederung gleichmässig Aufgebautes,
von Anfang bis zu Ende Durchkomponiertes.
Der Umschlag ist neu ; ab und zu, wenn auch
selten, spüren die Künstler die Notwendigkeit,
das Vorblatt mit in den Bereich ihrer Thätig-
keit zu ziehen; dann aber hat man immer das
Gefühl, als wäre ihnen hier ein donnerndes
Halt zugerufen worden; sie wagen sich nicht
über die geheiligte Grenze. Ja — derjenige,
der dann endlich den Bann brechen und, die
Gesetze des Dekorativen auch im Innern an-
wendend, dem toten Buchstaben Leben ein-
hauchen, die starre Anordnung in ein lebendiges,
dem sinnlichen Auge wohlgefälliges Spiel auf-
lösen will, der begegnet allgemeiner Verständnis-
losigkeit
Man nimmt sich die Errungenschaften der
Vorgänger, der Vorgänger, die doch als die
ersten Anreger naturgemäss nichts Endgiltiges
geben konnten, zu Herzen und sucht sich ihre
Bemühungen zu nutze zu machen.
Es entstehen nun Bücher, die sich an die
Franzosen und an die Japaner anschliessen;
um das beste zu nennen, Heine-Lindner „Die
Samsons"; oder man nimmt zu der Freiheit
der Gruppierung die alte breite Holzschnitt-
technik mit individueller Note und erinnert sich
daran, was man aus dem Studium alter Hand-
schriften gelernt hat, dass man früher nie eine
5
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34
Schur, Ziele für die innere Auutattung de» Buches.
Bild-, sondern immer nur eine Flächenwirkung
mit der Seite ausüben wollte; ich nenne
Vallotton-Bierbaum „Der bunte Vogel". Doch
ist letzteres wohl mehr auf Bierbaums, als auf
des Franzosen Rechnung zu setzen, denn die
Franzosen haben sich, soweit ich es übersehe,
auf diesem Gebiete überhaupt nicht am Wett-
bewerb beteiligt. Anders machen es wieder
die Engländer. Folgen sie nicht den Bahnen,
in denen William Morris und seine Schüler
sich bewegten, so lassen sie kurz entschlossen
und praktisch veranlagt überhaupt allen Schmuck
und beschränken sich auf klaren, einfachen
Druck, wobei sie manchmal durch originelle
Anordnung ein treffliches Gesamtbild erreichen.
Damit soll kein Urteil über die künstlerische
Veranlagung beider Nationen gefällt sein.
Thatsache ist nur und das soll hier festgestellt
werden, dass die Engländer sich schnell in
die Sachlage hineinfanden; vielleicht, weil sie
weniger Eigenes hatten und darum sich dem
Fremden um so bereitwilliger hingaben.
In Deutschland vergass man Morris' kühne
That nicht. Man wagte sich an die Type
heran. Druckereien, deren Besitzer Geld und
guten Willen hatten, machten sich ans Werk;
vielleicht auch nur guten Willen; denn die
Mehrkosten muss der Verleger decken, der sie
sich wieder bisweilen vom Autor bezahlen lässt.
Man erfand, gestaltete also nicht neu, sondern
grub alte, verschollene, vergessene Typen
wieder aus. Weil sie unbekannt geworden
waren, übten sie oft einen eigenen Reiz aus.
Neben einem unpersönlichen Werk wie Sattlers
„Rheinische Städtekultur", neben Fidus „Hohen
Liedern", wo sich wieder die leidige Illustration
bemerkbar machte, erschienen Bücher, gedruckt
bei Drugulin, die eines eigenen, persönlichen
Wertes nicht entbehrten. So war eine An-
regung wenigstens benutzt worden. In seiner
Ratlosigkeit und in dem Drange, dem ge-
druckten Wort etwas Fremdartiges zu geben,
das zur Betrachtung reizt, verfielen Dichter wie
Steffen George und der Kreis, der sich um ihn
schart, darauf, die Anfangsbuchstaben der
Worte immer klein zu geben, Interpunktionen,
wo sie überflüssig sind, wegzulassen, und sie
haben den Zweck, den sie im Auge hatten,
durch dieses Mittel, das ihnen die Verlegenheit
eingab, wohl erreicht. Zu guterletzt übernimmt
man von den Engländern die Kompositions-
methode und verleiht so oft dem Bilde einer
Seite je nach der Form eine gewisse, angenehm
und fein wirkende Schlankheit oder Derbheit
Doch ging man hierin weiter wie die Vorbilder
und liess sich mehr von künstlerischen Ge-
sichtspunkten leiten.
Man sieht, das dunkle Streben nach Er-
neuerung ist überall vorhanden; am stärksten
wohl in den germanischen Ländern, England,
Deutschland; Belgien wird nicht hintenan
bleiben, vielleicht durch die Vermischung ger-
manischer und romanischer Elemente besonders
begünstigt, wie es ja schon in mancher Hin-
sicht ein glücklicher Vollender war. Morris
hat man dem Anschein nach wieder vergessen.
Dem Anscheine nach; denn in Wirklichkeit
bleibt sein Erfolg unvergessen und wirkt still
und gerade darum nachdrücklich bei den
Künstlern nach, die Talent mit Intelligenz ver-
binden. Denn wenn man heute schon Bücher
sieht, wo der Künstler oder der Autor dem
Drang nachgegeben hat, sein Werk durch-
greifend zu gestalten, wenn Künstler wie Lechter
sich nicht damit begnügen, dem Verleger den
Umschlag zu liefern, sondern auch noch ein
Vorblatt zu geben, so sieht man klar, dass In-
tentionen, auf das Innere des Buches über-
zugehen, um hier Wandel und Neues zu schaffen,
wohl vorhanden sind. Von den Aussichten
und Möglichkeiten, die sich da eröffnen, wird
in meinem nächsten Aufsatz die Rede sein.
-3t
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Neue Ex-Libris.
Von
K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg in München.
HS
a bereits im ersten Heft dieser Zeitschrift
des weiteren ausgeführt wurde, ist die
I vicrundeinhalh Jahrhundert alte Sitte, die
| Bücher seiner Bibliothek durch ein
„Bibliothikzeicheti" gder „Ex-Libris* 1 zu sichern
und zu schmtlcken, wieder vollständig in Aufnahme
gekommen. Wird doch in Heft i der „Deutschen
Ex-Libris-Zeitschrift" 1898 nachgewiesen, dass, dank
zahlreicher Artikel in deutschen Zeitschriften und
speziell im Organ des Ex-Libris -Vereins, in den
letzten vier Jahren in Deutschland, Österreich
RC'WILHELM-H.Eli
ARÖTj
Ex-Libn» Georg Wilhelm Heinrich Ehrhardt,
gercichnc! von Emil Uopler d. J.
und der Schweiz Uber 600 neue Ex-Libris ent-
standen sind.
Jeder Bücherfreund fühlt sich mit seinen Bücher-
schätzen „eins" und empfindet einen durch Ausleihen
und Nichtwiederkehren hervorgerufenen Verlust
tief, namentlich, wenn es sich um ein besseres,
selteneres oder teures Werk handelt, das vielleicht
nur schwer wieder angeschafft werden kann. Wer
bei einem grösseren Bekanntenkreis oder regerer
Benutzung seiner Büchersammlung durch gute
Freunde und ungetreue Nachbarn beim Verleihen
eines Buches nicht sofort den Namen
des Entleihers mit dem Titel des Buches
aufschreibt, wird sich er/ahrungsgemäss
oft schon nach ein paar Monaten nicht
mehr genau entsinnen können, wem er
dies oder jenes Buch geliehen hat
Der Entieiher aber wird, wenn er nicht
gerade in die Kategorie der professio-
nellen Büchermarder oder in die der
ganz Vergesslichen gehört, sich durch
ein im inneren Vorderdeckel eines
Buches eingeklebtes bibliothekzeichen
beim Aufschlagen des Werkes stets
mahnen lassen: „Das Buch gehört ja
dem N. N.; dem muss ich es nun
endlich zurückgeben f So erfüllt das
stumme und doch beredt erinnernde
Bibliothekzeichen seinen Hauptzweck:
den der Sicherung. Sein anderer
Zweck, den der Schmückung des
Buches, steht in zweiter Linie, ist aber
deshalb nicht ganz nebensächlich; denn
ein hübsch ausgeführtes Bibliothek-
zeichen gereicht den Büchern einer
grösseren oder kleineren Bibliothek
immer zur Zierde und giebt noch
kommenden Geschlechtem Kunde von
der Bücherliebe, dem Wissensdrang
und dem Geschmack des Ahnen. Wer
kein Krösus ist, kann sich mit Zink-
ätzung und Cliche begnügen, wer aber
viel für Bücheranschaffungen auszu-
geben in der Lage ist, sollte auch etwas
mehr für ein „besseres" Bibliothek-
» zeichen übrig haben, d. h. nicht den
5^ üblichen, wohlfeilen (meist schreck-
lichen) Dilettanten und die billigste
Herstellungsart zu seinem Ex-Libris
„benutzen", sondern sich an einen
guten Künstler wenden und die Aus-
gabe für eine Radierung, einen Kupfer-
stich, eine Heliogravüre etc. nicht
scheuen. In früherer Zeit gab man
sehr viel auf Ex-Libns und liess sich
Google
36
Graf zu Leiningen -Westerbarg, Neue Ex-Libris.
rftAluKHCK. l 1 '*-
Ex-Libril Hein« Tovote,
geieichoet van H s n » Baluschcck.
diese Kunstblätter auch etwas kosten. Die aus dem
XVI., XVII. und XVIU. Jahrhundert uns erhaltenen
Bibliothekzeichen sind vielfach in den Arbeitsstuben
berühmter Meister entstanden und zeichnen sich
denn auch durch ihre Schönheit aus. Und noch
heute werden in Amerika und England eine Menge
Ex-Libris lediglich in Radierung und Kupferstich
hergestellt; man zahlt dort oft 3 — 400 Mark für ein
Blatt, d. h. für Zeichnung und Platte; nur unser
Kontinent schwelgt im harmlosen Glicht.
Ehedem verausgabte man viel Geld für kost-
bare Leder-Einbände, namentlich in Frankreich —
auch in dieser Beziehung steht es in unserer Zeit
bei uns besser — also schrecke man nicht davor
zurück, heutzutage etwas daran zu wagen, seine
ans Herz gewachsenen Lieblinge auch im Inneren
zu schützen und zu zieren, besonders mit etwas, das
bleibenden Wert hat Man hat seine Freude daran
und ausserdem den Nutzen davon, indem ausge-
liehene und schon schnöde vergessene Bücher früher
oder später doch zur heimatlichen Bibliothek zurück-
kehren.
•Ml
Die hier abgebildeten Bibliothekzeichen sind in
den letzten zwei Jahren entstanden und erbringen
den Beweis dafür, wie mannigfach sowohl der
Geschmack und die Motive der Grundidee sind,
als auch wie verschieden solch ein Besitzzeichen
ausgestattet werden kann. Stark einengende „Vor-
schriften" für ein Ex-Libris existieren kaum, ab-
gesehen von den Gesetzen guten Geschmacks und
gewisser Stilreinheit und Stilcinheit Das Charakte-
ristische für den Besitzer soll in den auf dem Blatte
dargestellten Beziehungen auf seine Person, sein
Studium, seine Lieblingsbeschäftigung und dergl.
bestehen; der Besitzer ist die Hauptperson, nicht
der mehr oder minder phaatasiereiche Zeichner;
somit muss sich der letztere schon dem ersteren
bezüglich der direkten Wünsche unterordnen. Trotz-
dem kann der Zeichner auch seine Kunst zur
Geltung bringen, einerseits durch individuelle Art der
Auffassung und Ausführung der Zeichnung selbst,
andererseits dadurch, dass er persönliche Vorschläge
macht oder ein unruhig wirkendes „Zuviel" in den
gewünschten „Beziehungen" eindämmt und be-
schneidet, sowie das Blatt vor Überladung in der
Zeichnung bewahrt. Ob das betreffende Blatt „alt-
deutsch" oder „modern", genreartig oder rein
heraldisch, landschaftlich oder figürlich ausgeführt
werden soll, ist im grossen und ganzen gleichgültig;
das hängt eben allein von der Wahl des Bestellers
ab. Nur zwei Dinge sind zu vermeiden: die sog.
„verrückte" Idee, d. h. wenn einer gar zu sehr
symbolisch wirken will — und eine hässlich-lieder-
liche Zeichnung, alias ein genialseinsollendes Ge-
schmier.
Vor allzuviel „Altdeutsch" in der Ausführung
der Zeichnung ist auch zu warnen; wenn ein
Ei-Libhs Ancon Wenig,
gezeichnet von Bernhard Wenig.
Digitized by Google
Graf tu Leiningen -Westerburg, Neue Ex-Libri*.
37
Zeichner des XV. und XVI. Jahrhunderts
oft steife, eckige Figuren, hässliche Ge-
sichter und dicke Linien etc. zeichnete
und in Holz schnitt, so konnte es eben
mancher von ihnen damals nicht besser.
Es giebt zwar auch genug moderne
„Künstler", die nie „zeichnen" gelernt
haben, aber im allgemeinen ist doch der
Stand der heutigen Zeichenkunst ein
höherer, als vor drei und vier Jahr-
hunderten, und daher sollten wir mehr
Kinder unserer Zeit, statt Kopisten des
früheren oft Unschönen sein. Wer unsere
guten alten Meister wirklich studiert hat,
weiss sehr wohl, was er von diesen an-
nehmen kann und was er aus ihrer Zeit
weglassen muss. Unüberlegt einfach
nachmachen, hat weder Wert noch wird
es allgemeinen und dauernden Beifall
finden.
Doch genug für heute; nur noch
kurz eine kleine Besprechung der hier
abgebildeten, bisher nicht veröffentlichten
Beispiele, um die Art und Weise zu er-
klären, auf welche einzelne Beziehungen
zum Ex Libris-Besitzer ausgedrückt werden
können.
Die Gelehrtengestalt auf dem schönen
Ehrhardtschen Ex-Libris — von Pro-
fessor Emil Döpler d. J. Hand — weist
darauf hin, dass der Ex -Libris-Besitzer
„Faustsammler" ist; das oben ange-
brachte Ehewappen ist reinen Stils und
fehlerfrei und sticht wohlthätig von den
vielerlei Missgeburten ab, die sich
manche „Künstler" unserer Tage kenntnis-
und gedankenlos leisten, welche viel-
leicht in ein Kostümwerk hineingeblickt
haben, aber nicht bedenken, dassWappen,
Schilde nnd Helme eben mit zur Tracht
vergangener Zeiten gehören. Faust sitzt in seinen
Arbeitssessel, die rechte Hand auf dem Folianten,
die linke auf die Armlehne gestützt; das Auge
blickt sinnend in die aufgehende Sonne der
Wissenschaft hinein. Zu seinen Füssen sieht man
den Himmelsglobus, ringsum Bücher, Kolben,
Mörser — das ganze Arsenal eines mittelalterlichen
Gelehrten.
Auf dem in drei Grössen, für Folio-, Oktav-
und kleinere Bände gefertigten, im Original braun
getönten Fedor von Zobeltitzschen Hibliothekzeichen
— von dem der Berliner Kunstwelt wohlbekannten
Kupferstecher Carl Leonhard Becker, der übrigens
jetzt in Bonn lebt, gezeichnet — deuten die Masken
oben auf die dramatische, Erntekranz und Sichel
auf die landwirtschaftliche Thätigkeit des Besitzers
hin, die Jahreszahl 1207 auf das erste urkundliche
Vorkommen seines Geschlechts, die Bücher auf seine
litterarischen und bibliophilen Neigungen u. s. w.
Ex-Libri» Fedor toi Zobeltill,
>n C»rl Leonhard Becker.
Wenn auch in diesem Falle der ritterliche Wappen-
halter nicht Porträt ist, so Hesse sich in anderem
Falle in gleicher Weise leicht ein sogenanntes
Porträt-Ex-Libris ausfuhren. — Das Ex-Libris ist
sehr hübsch, fein und geschmackvoll im Entwurf,
sauber in der Zeichnung, anmutend in der Idee.
Ludwig Jaeoboivskis Ex-Libris — von dem
vortrefflichen Radierer Hermann Hirzel in Char-
lottenburg, dessen Goldschmiedarbeiten nicht minder
hoch geschätzt werden — zeigt die Verwendung von
Motiven aus lyrischen Werken des Betreffenden; der
Totenkopf im Monde hat Bezug auf Dichtungen des
Ex-Libris-Besitzers, die Lyra auf seine Beschäftigung,
die Blumen etc. auf seine Freude an der Natur.
Das Bibliothekzeichen May von Feiliizsch —
von Bernhard Wenig, einem sehr talentierten Künst-
ler in Berchtesgaden — enthält ausser Monogramm
und Wappenschild (dieses leider aus heraldisch
nicht guter Zeit) die Lieblingsblumen der Besitzerin.
3«
Graf ru Leiningen -Westerburg, Neue Ex-Libris.
Das Ex-Libris Anton l Venig
— von seinem Bruder, dem
eben genannten Bernhard
Wenig — stellt einen schrei-
benden Mönch dar, zum
Zeichen, dass der Eigentümer
des Buches Theologe ist; im
Hintergrunde ragt der heimat-
liche Watzmann empor. Die
Zeichnung lehnt sich in der
Manier mit Glück an die
Holzschnitttechnik der alten
Meister an; der in das Missale
vor ihm Noten einzeichnende
Mönch ist ganz vortrefflich
charakterisiert
Das Ex-Libris Otto Julius
Bierbaum — von E. R. Weiss
in Berlin, der auf dem Gebiete
der modernen Illustration be-
reits Vortreffliches geleistet
hat — zeigt gleichfalls An-
spielungen auf den Namen
und die Thätigkeit des ge-
nannten Schriftstellers: der
Birnbaum deutet auf Bier-
baum, die Rose blüht auf
dem Felde der Poesie, die Eule ist die Verkörperung
der Weisheit Derartig rein moderne Darstellungen
würden aber besser nicht in einen alten Schild
gesetzt. Doch ist sonst der Entwurf hübsch und
von feinem künstlerischem Geschmack.
Besonderes Interesse verdient das Bibliothek -
zeichen moderner Richtung von Heinz Tovote in
Ex - I jbm May Ton F e i 1 > t r t c h .
feteichnet von Bernhard Wenig
Berlin, sowohl wegen der
Person des Besitzers, des
bekannten Schriftstellers und
Verfassers von „Fallobst",
„Mutter", „Heisses Blut" etc.,
als auch wegen der Eigenart
der von den namentlich in
letzter Zeit vielgenannten
Maler Hans Balluscheck in
Berlin herrührenden treff -
liehen Zeichnung, welche
Motive aus Tovotes „Fallobst"
und anderen Schriften des
Autors darstellt und behan-
delt Das Ex-Libris beweist,
dass man sehr wohl statt
allgemein gehaltener Heral-
dik auch aus persönlicher
Symbolik ein verständliches
und geschmackvolles Ganze
schaffen kann.
Aus diesen wenigen Bei-
spielen, denen später weitere
folgen sollen, ersieht man,
wie vielseitig ein Bibliothek-
zeichen gestaltet werden kann ;
vielleicht lässt sich mancher
Leser und Bücherfreund schon durch diese Zeilen
zu einem eigenen Ex-Libris für seine Bibliothek
anregen. An tüchtigen und ideenreichen Zeichnern
fehlt es bei uns wahrlich nicht Der Herausgeber
dieser Zeitschrift sowie der Schreiber dieser Zeilen
(München, Amalienstrasse 51*) sind gern bereit,
Auskünfte und Hinweise zu erteilen.
t . M.W.
1»«
Ex-Librii Otto Juliui Bierbauin.
gezeichnet von E. R-Wei»».
Digitized by Google
Kritik.
Friedrich Wasmann. Ein deutsches Künstlerleben,
von ihm selbst geschildert. Herausgegeben von Bern/
Grönvold. München, Verlagsanstalt F. Bruckinann,
Akt.-Gcs.
Zehn Jahre nach dem Tode des Künstlers — er starb
1886 —hat der bekannte nordische Maler Bernt Grönvold
es unternommen, Friedrich Wasmann Geltung zu ver-
schärfen, nachdem er durch einen Zufall viele Hunderte
von Skizzenblättern von dessen Hand in einem Städtchen
Tirols entdeckt hatte. Die Autobiographie befand sich in
den Händen der Witwe, und aus ihren schlichten Zeilen
blickt ein langes, ernstem Streben geweihtes Leben,
doch sie verrät auch, woran
es lag, dass Wasmann es trotz
Flciss und Begabung zu keiner
Stellung bringen
Ich möchte mich
hier nicht auf eine kurze
Kritik des Rcin-Ausserlichen
beschränken, sondern su-
karge Platz es befiehlt, ein-
zelne Äusserungen hervor-
heben, die mir für den Mann
und seine Zeit charakteristisch
zu sein scheinen, so t B. seine
Sehnsucht nach dem Norden
mit seinen wilden Helden, die
selbst im späteren Alter, als
der sieche Leib den milden
Süden und die müde Seele
den Zauber des Katholizismus
nicht mehr missen können,
noch hier und da auftaucht
und ihn an die ferne Heünat
erinnert.
Wasmanns leidenschaft-
liche Liebe zu dem neuen
Glauben, den er späterhin annahm, beeinflusst oft auch
seine Rückblicke. Ein Beispiel sei mir gestattet.
Wie jeden deutschen Knaben, suchten seine Lehrer
auch ihn für den grossen Friedrich zu begeistern. Sein
junges Herz flog dem Helden zu; er hält es jedoch für
notwendig, gleichsam entschuldigend hinzuzufügen, dass
„die Grossthaten Friedrichs II. und seine Religions-
verachtung" nur seiner Phantasie behagt hätten. An
anderer Stelle sucht er die instinktive Naturverehrung
seines Künstlersinnes als „unheiliges Religionscmpfin-
den" zu verketzern.
Im Hamburger Johanneum, dem ehemaligen
Johanniterkloster, erhielt Wasmann seine wissenschaft-
liche Ausbildung, und die Kreuzgänge und Zellen
mögen wohl bei dem unreifen, zwischen Cynismus und
Pantheismus schwanken den Jünglinge den ersten Anstoss
zur späteren Konversion gegeben haben. Dass die
„ismen" keine Acquisition der Neuzeit sind und nur in
der Reihenfolge wechseln, erfahrt man in dem den
Dresdner Studien an der Akademie gewidmeten Kapitel.
EX LIBRI5 •
LVPUiC JAC°ß°W5Ki£
Ex-Libri« Dr. Ludwig Jacobowtki,
gereichnel van Hermann Hirtel.
Da heisst es U.A.: „Als Haupt der alten Schule galt
Professor M., der in seinem grossen Bilde ,Tod des
Kodrus' das höchste von anatomisch richtiger Zeich-
nung erreicht halte und auf höhere geistige Vorzüge
wohl ebenso wenig Anspruch machen konnte, als
noch jetzt die renommierte römische Kunst unter dem
CavaUere Camucini" . . .
Es ist bezeichnend, dass der junge Künstler, gleich
wie er seinen Beruf nicht aus innerem Drang heraus,
sondern auf Empfehlung seines Zeichenlehrers wählte,
auch an dem froh-frischen, übermütigen Bohemetreiben
der Musensöhne keinen Gefallen fand. Diesen korrekten,
alltäglichen, grübelnden Cha-
rakter spiegeln alle seine
Arbeiten wieder. Auch von
den meisten seiner asketi-
schen.bevorzugtcnFreunde in
Hamburg, den Malern Runge,
Oldach, Spekter, weiss man
kaum noch etwas. Ein Sti-
pendium gestattet dem jungen
Maler, in München weiter zu
studieren, und seine Schilde-
rung über die Einfachheit in
Sitte und Sprache Isar- Athens
verwundert uns scnier. „1 ren-
liches Bier", fährt er dann
fort, „verlangt der Tage-
löhner ebenso unverfälscht zu
trinken, wie der Banquier, da
es mit einem Stücke
Brodcs oft die einzige Na
der Armen ausmacht." — —
„DcrTross der krassen Natu-
ralisten (1829!!), welche die
Natur so zu sagen auf die
Leinewand kleben u. s. w ",
fanden schon damals keine
Gnade vor den Augen der Zünftigen, die von Cornelius,
dem Direktor der Akademie, in strengster Disciplin
gehalten wurden und ein braves, gemütvolles, spiess-
bürgerlichcs Leben führten. Als Wasmann 30 Jahre
darauf wieder nach München kam, wehte freilich ein
ganz anderer Wind, der ihm weit weniger gefiel.
Sein kränklicher Körper nötigte Wasmann, das
rauhe München mit Südtirol, „welches wenig in den
Weltverkehr hineingezogen und fast nur von Münchner
Malern durchstreift wurde," zu vertauschen. Im Sand-
wirtshaus zu St. Leonhard sali er die Witwe Hofers, ein
uraltes, schweigsames, tabakrauchendes Mütterchen.
Wir folgen, ohne Bemerkenswerthcs zu finden, dem
Kunstlernach Welschland hinein ; nach Verona, Modcna,
zwischen Spionen und Aufrührern, auch nach Pisa,
Livomo und Florenz, bis er endlich in Rom eine längere
Station macht Doch erfährt man mehr über Wohnung
und Geselligkeit als über die Kunstströmungen, die
zur Zeit Overbecks die Malcrkreisc der ewigen Stadt
durchfluteten. Wasmann hält sich lieber zu den Dänen,
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Kritik.
da sie „nicht so uneinig untereinander wären, wie die
Deutschen", doch macht er die Bekanntschaft Riedels,
an dessen „Sakuntala" und „Neapolitanischer Familie"
er das „erstarrend natürliche" Kolorit des Mcnsehcn-
fleisches rühmt. Ferner die Bekanntschaft Overbecks,
Cornelius und des Lcchthalcr Landschafters Koch, von
dessen Sarkasmus sich manch' Pröbchen erhalten hat.
Nachdem der junge Künstler sich allmählich ganz
in I tauen eingelebt, stiegen ihm, dem Protestanten,
in der römischen Umgebung allerhand religiöse Skrupel
auf, die merkwürdigerweise durch die Lektüre von
Luthers Schriften noch genährt wurden, und unter der
Leitung eines ihm von Overbeck, seinem angebeteten
Meister, empfohlenen Kanonikus begann er, sich dem
Katholizismus zuzuwenden. Leider kann man aus
den eingefügten, meist nicht datierten Skizzen nicht
schlicssen, welchen Einfluss die wechselnde Seelen-
stimmung auf die Kunst Wasmanns ausgeübt hat. Mit
seiner Firmung endet sein Stipendium, und er kehrt
nach München zurück.
Zum erstenmal steht der Künstler vor der Not-
wendigkeit, Geld zu verdienen; Krankheit und Ver-
lassenheit quälen ihn, bis er bei einer vornehmen, ver-
armten Dame Unterkunft findet. In dieser Zeit lernt er
Clemens Brentano kennen, den er als sehr mittcilungs-
bedürftigen, liebenswürdigen Sonderling schildert, der
den reichen Ertrag seiner Schriften milden Stiftungen
schenkte und, selbst höchst ärmlich lebend, Tag für
Tag an seinem Licblingswcrk, den „Visionen der
Katharina Emmerich" arbeitete.
Eine grosse Schar interessanter Charakterköpfe
drängt sich nun in die Autobiographie. Da ist Guido
Görres, der Übersetzer der „Nachfolge Christi" des
Thomas a Kempis, Genelli, der Maler, und Stieglitz,
der Träumer und Poet. Auch Schelling Hess sich in
München hören und der Orientalist Windischmann, der
später die berüchtigte Lola Montez so scharf heimsandte,
als sie ihn zu ihrem Hauskaplan machen wollte und der
bis zum Tode Wasmanns treuer Berater blieb. Die
künstlerische Ausbeute jener an seelischen Einwirkungen
reichen Zeit ist jedoch erstaunlich mager, und als auch
der Verdienst abnimmt, pilgert der junge Künstler aber-
mals nach Tirol und lässt sich in Meran nieder. Zahl-
reiche I'orträtaufträKC helfen ihm ein gut Teil vorwärts
und bringen gesellschaftliche Annehmlichkeiten mit
sich; die Erinnerungen verwischen sich. Erst der gmssc
Hamburger Brand 1842 erweckt die Sehnsucht nach
der langentbehrten Heimat in ihm, und seine nunmehr
sorgenfreien Verhältnisse gestatten ihm, als glücklicher,
erfolgreicher Mann vor den Seinen zu erscheinen, wenn-
gleich seine Gesundheit bereits untergraben ist und er
nicht mehr zu Fuss, wie ehedem, mit dem Ranzel auf
dein Rücken wandern kann. Bald findet sich auch in
Hamburg ein Kreis von Künstlern zusammen, Erwin
Speckter und sein Bruder Otto, der bekannte Märchcn-
illustrator, der phantasiebegabte Kaufmann und die drei
Gebrüder Genslcr. Auch seine künftige Gattin gewinnt
Wasmann, aber mehr und mehr tritt über persönlichen
Erlebnissen meist religiöser Natur der allgemein inter-
essante Spiegel jener ganzen Zeit zurück. Der Welt-
bürger verschwindet völlig. Als er mit seiner jungen
Frau zum drittenmal nach Meran zieht, hören wir
auch nichts mehr vom früheren Überschwang der
Naturbewunderung, und bald beherrscht selbstgefällige
Frömmelei das Buch völlig. Man verstehe mich recht:
ich spreche von Frömmelei, nicht von Frömmigkeit,
vor der ich den Hut abziehe.
Das, allerdings ausserordentlich splendid aus-
gestattete Werk kostet 50 M. Der Inhalt der Autobio-
graphie Wasmanns allein dürfte kaum solche Auslagen
rechtfertigen, doch entschädigen die vielen und zum Teil
sehr feinen Skizzen, welche eingefügt sind — die Re-
produktion gemalter Porträts lässt ein Urteil nicht recht
zu — für das jähe Versanden des Lebensbomes, der in
den ersten Kapiteln so heiter sprudelt. Das Selbst-
bildnis Wasmanns und die Porträts seiner Nächsten
interessieren naturgemäss am meisten. Wasmann war
ein fleissiger Künstler; seine Studienblätter bieten Stoff
zu einer ganzen Galerie von Gemälden. Ja, einzelnes,
der Kopf eines Ziegenbocks, das Haupt etnes Mädchens
z. B., sind von unverwelklichem Reiz. Eine lebensvolle
Aktstudie erfreut mehr als die unzähligen Gcwand-
raflTungen und Frauenzöpfe, die der Herr Herausgeber
reproduzieren liess,
Th. Th. Heine hat die Kapitelstücke und die
Umschlagzeichnung entworfen; so reizend sie sind, so
wollen sie doch nicht so recht zu dem Inhalt des Buches
passen. Kirchenstillleben und Marterl, blutende H erzen
und Altarkerzen wären mehr am Platz gewesen.
Friedrich Wasmann mag ein guter, rechtschaffener
und frommer Mann gewesen sein : ein echt „deutscher
Künstler," wie der Titel des Buches ihn nennt, war
er nicht. Trotz alledem wünsche ich, dass das
Werk , das schon durch seine Ausstattung die Freude
der Bibliophilen erregen wird, Käufer finden möge.
Nicht auf den Zeilen allein, sondern auch zwischen
ihnen steht Manches, das interessant ist — k.
Die praktischen Arbeiten des Buchbinders. Von Paul
Adam. Mit 129 Abbildungen. Wien, Pest, Leipzig,
A. Hartlebens Verlag. 1898.
Der Verfasser des vorliegenden Werks ist Leiter
der Fachschule für kunstgewerbliche Buchbinderei in
Düsseldorf, also selbst ein Fachmann, und zwar einer
von denen, die sich nicht nur in langjähriger Praxis
einen glänzenden Namen erworben haben, sondern die
sich auch bemühen, durch allgemein verständlich ge-
haltene Schriften theoretisch fördernd zu wirken. Das
neueste Werk Adams schliesst sich der Reihe seiner
früheren Publikationen würdig an. Der Verfasser hat
sich darauf beschränkt, nur die Arbeiten der reinen
Buchbinderei zu berücksichtigen, soweit sie sich auf
die Herstellung des Buchs für Verlag, Sortiment und
Privatkundschaft und auf die Herstellung von Geschäfts-
büchern beziehen, während die sogenannten Galanterie-
arbeiten, die feineren I.iebhabcrcinbändc, Diplomrollcn,
Mappen etc. ausgeschieden wurden. Es sollte sich eben
nur um ein Lehrbuch der handwerksmässigen Buch-
binderei handeln; trotzdem wird man das Werk auch
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Kritik.
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für feinere Arbeiten zu Rate riehen können, zumal diese
vielfach in den Abbildungen Berücksichtigung finden.
Wir können an dieser Stelle selbstverständlich
keinen Auszug des Buches geben, da es sich lediglich
um Fragen der Technik handelt. Um aber eine Über-
sicht des Stoffes zu gewähren, sei wenigstens etwas
näher auf die Gruppierung hingewiesen. Die Einleitung
enthält zunächst eine kurze Bibliographie derjenigen
Spezial werke, die sich mit den für die Buchbinderei
notwendigen Stoffen befassen, dann eine eingehendere
Besprechung der Stoffe zum Heften und Kleben, zum
Schutze des Buchkörpers und zur Verzierung, sowie
eine Skizzierung der nötigen Werkzeuge. Der erste
Hauptteil behandelt die Herstellung des Buchkörpers,
i. Die allgemeinen Vorarbeiten: Falzen, Kollationieren,
Auseinandernehmen, Nachfalzen, Flicken u,s. w. 2. Die
grundlegenden Arbeiten: Einsägen, Vorsätze, Heften,
Leimen, also das Zusammenfügen des Buchblocks.
3. Das Formen des Buchblocks: Beschneiden, Runden,
Abpressen, Aufbinden. 4. Buchschnitt und Kapital-
verzierung: Gesprengter, gefärbter, Walzen-, Kleister-,
Marmorier- und Goldschnitt ; die Behandlung des Ka-
pitals, d. h. der Ränder des Buchs und des Kückens,
und des Kapitalbands. 5. Die Befestigung des Deckels
am Buchblock und ihre verschiedenen Arten. Haupt-
abschnitt II befasst sich mit der Herstellung des äusseren
Einband*. Zunächst mit der Dcckcnvcrzierung, mit den
Arbeiten an der Vergolderpresse (Blind-, Gold-, Färb-,
Rclicfdruck}, der Behandlung angesetzter Bücher (Ein-
hängen in Decken und Fertigmachen), mit der Hand-
vcrgoldung und dem sonstigen Ausputz. Dies letztere
Kapitel ist besonders umfangreich und auch für den
Laien sehr interessant. Das Vergolden erfordert viel
Geduld, Genauigkeit und langjährige Übung. Es ent-
stand im XV. Jahrhundert aus der Technik des Blind-
drucks, der bis dahin die äussere Buchverzierung
beherrscht hatte. Noch schwieriger ist naturgemäss die
Handvergoldung, zu der man sich der Rollen, Filcte,
Bogen und Stempel bedient. Der Laie kann sich
schwer einen Begriff machen, welcher grossen Subtilität
und manuellen Geschicklichkeit es bedarf, um eine
tadellose Handvergoldung herzustellen. Der Kücken-
druck speziell erfordert ein genaues Vorzeichnen und
die Beachtung gewisser feststehender Regeln bei der
Anordnung der Schrift; zahlreiche Abbildungen er-
leichtern auch hier das Verständnis. Kapitel 10 und 1 1
beschäftigen sich schliesslich mit der Herstellung von
Geschäfts- und Schulbüchern und den „Aufzügen" von
Karten, Plakaten etc.
Das Werk ist, wie gesagt, ein Lehrbuch des hand-
werksmäßigen Betriebs der Buchbinderei. Seme tadel-
lose Vollendung wird der Kunstbuchbinderei immer
vorangehen müssen. Auch darüber spricht der Ver-
fasser in einem kurzen Schlusswort sich aus. Und noch
ein sehr vernünftiges Wort fügt er an, das wir hier
wiedergeben wollen, weil gerade in unseren Tagen der
Kampf zwischen Alt und Jung auch in die Werkstätten
der Buchbinder getragen worden ist „Über den so-
genannten Geschmack lässt sich bekanntlich nicht
streiten, denn Geschmack ist meist Modesache, manch-
mal Modethorhcit. Aber der denkende Handwerker
Z. f. B. 98/99.
soll sich über die Grundlage des Erlaubten und grund-
sätzlich Verwerflichen innerhalb seines Faches klar
sein; im übrigen kann er sich jeder Moderichtung an-
passen . . . ." -bl-
L'Art dans la dt'coration extMeure des livres en
Franee et a l Ktranger. Les Couvertures illustrt'cs, les
Cartonnages d'Editeurs, la Rcliure d'Art par Octave
Usanne. Paris, Soci&e francaise d'Editions d'Art,
L.-Henry May. 1898.
1 1 err Uzannc liat seir/er „Nouvelle Bibliopolis" einen
neuen starken Band folgen lassen, in dem er in grossen
Zügen all' das bringt, was über das Äussere des
modernen Buches zu sagen ist. Es handelt sich um
die augenblicklich beliebtesten Einbände im allgemeinen,
um die „Esthetique de ses apparenecs". Dem illu-
strierten Buchdeckel ist die erste Studie gewidmet.
Der Engländer, individuell bis zum Egoismus, hat auch
am stärksten das Einzelschaffen in die praktische All-
gemeinheit übertragen ; wie er zuerst eine neue Archi-
tektur bei seinen Wohnhäusern, prächtige Farben in
seinen Zimmern anwandte, so geht auch von ihm und
seinen transoceanischen Brüdern die grosse Neube-
wegung in Bezug auf Deckelillustration, auf das ma-
schinenmässige Binden aus. Erst das XIX. Jahrhundert
konnte den Gedanken fassen, das Papier selbst zu
schmücken. Die mittelalterliche Kunst verdrängte einst
die ursprünglichen Holzdeckel durch Elfenbein und
Gold. Reiche Edelsteine wechselten mit farbigem
Schmelz ; die Schliessen wurden zu wahren Schmuck-
stücken. Neben getriebenen Platten aus Kupfer und
Silber fanden gemalte Miniaturen berühmter Meister
ihre Anwendung, durch leichte Scheibchen von Feld-
spath geschützt.
Im XV r I. Jahrhundert tauchten die ersten pappenen
Deckel auf. Man überzog sie mit Schwanenhaut und
später, auf eine aus Italien stammende Anregung hin,
mit Leder. Hauptsächlich ist es das Kalbsleder, das
auf feuchtem Wege granitiert, marmoriert, gemuschclt,
gekerbt und an den Ecken mit kleinen phantasie- und
bedeutungslosen Ornamenten versehen wurde. Der
meist rote, seltener gelbe Schnitt wurde marmoriert
oder mit feinen kleinen Zeichnungen unter Vergoldung
versehen. Die Holländer bevorzugten weisses Velin
oder Pergament mit nach innen gebogenen Rändern,
die Deutschen färbten das gleiche Material grün und
übersäten es mit Farbflccken. Der Titel auf den Rücken
wurde entweder mit der Hand kalügraphiert oder in
Gold gepresst Alle Sorgfalt wandte man dem Fronti-
spice, dem Titelblatt, zu. In der zweiten Hälfte des
XVI II. Jahrhunderts vertauschte man den strengen
Lederband mit dem Halbfranz und seinen Pappdeckeln.
In Deutschland entstand der leichte biegsame Karton-
deckel, den Pradel später zu hoher Vollendung brachte.
Schliesslich kam man zum einfach auf die Broschüre
geklebten Papierdeckel, da die Zahl der täglich er-
scheinenden Flugschriften ein Einbinden unmöglich
machte: graublaues, fahlgrünes, grobes Papier, ohne
Titelaufdnjck, nur als Schutzdecke gedacht Die be-
rühmten Kolporteure des vorigen Jahrhunderts brachten
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Kritik.
diese Bändchen selbst in die Salons und Boudoirs und
dienten gleichzeitig der politischen Polizei als viel-
beschäftigte Spione.
Um 1800 brachte Pierre Didot d. Ä. eine grosse
Neuerung: das bunte Deckelpapicr erhielt den voll-
ständigen Titel des Buches und sein Frontispice; Perlen-
reihen und Grequemuster folgten; Lcfevrc, Didot,
Desoer führten die Philosophen des XVI 1 1. J ahrhunderts
in dieser Ausstattung ein. Auch die folgende Gene-
ration: Rapet Blaise d. Ä., Panckoncke und Kcnouard
bringen wenig Neues, doch ahnt man schon die antiki-
sierende Periode mit Helm und Schwert, die durch
Lavocad so charakteristisch zum Ausdruck gebracht
wurde. Zwischen 1815 und 1830 erschienen im Palais-
Royal, dem Mittelpunkt des Buchhandels, Broschüren
der Firmen Dcntu, Delaunay, Chaumcrot u. a., deren
seltene Farben und Zierleisten die Blicke auf sich zogen.
Zunächst waren es die Romantiker, deren Bücher im
neuen Kleide erschienen: Tony, Johannot, Boulanger
warfen leichte Zierlinicn auf die Aussenseite; daneben
finden wir den gotischen, sogen. Kathedralstil, und häufig
auch Skelett- und Schädclmotive.
Um die Mitte des Jahrhunderts feierte der Holz-
schnitt seine Triumphe unter Granville, Gavami, Dau-
mier u. a. ; Balzacs, Dumas', Brillat-Savarins Werken
kam er zugute. Doch wurde solche Auszeichnung nur
den Auserlesenen zu teil, die grosse Masse blieb unge-
schmückt, so wie es heute noch die gelben Bände
Charpentiers zu 3,50 Fr. sind. Während des zweiten
Kaiserreichs bereiteten Dor<$, Daumicr, Norin, Bcau-
mont in ihren die Sitten charakterisierenden Skizzen
den heutigen Buchumschlag vor, doch kam der grosse
Aufschwung erst nach dem siebziger Krieg, als Che"ret,
Steinten, Mucha ihr Talent von der grossen Mauer-
anzeige auch auf die kleine Deckelafüchc des Buches
erstreckten. Die Farbenpracht und Originalität ziehen
die Blicke auf sich, und das grosse Publikum beginnt
sich vor den bunten Auslagen zu stauen.
Dieser koloristischen Polyphonic widmet Uzanne
hauptsächlich sein Buch, doch schliesst er diejenigen
Bände aus, deren farbige Flächen nur durch eine magere
Vignette, ein Druckerzeichen, eine schwarz und rote
Titelanftihrung geschmückt sind, sowie auch die wunder-
voll bearbeiteten Üni Papiere mit ihren Moirierungcn
und Streublümchen. Damascicrungen und Ledernarben,
Seiden- und Leinenimitationen, die das Herz des Bücher-
freundes erfreuen, um sich speziell dem seinem Inhalt
gemäss dekorierten Buche zuzuwenden.
Er erzählt, wie als erste derartige Werke die „Ca-
prices d'un Bibliophile" von Bcllanger und „Lc Bric-a-
Brac de l'Amour" von Perret auf seine Anregung hin
mit einem illustrierten Deckel versehen wurden, und
wie ihm der Versuch, zwei Farben anzubringen, gerade-
zu als Tollkühnheit angerechnet wurde. Zu Beginn
der achtziger Jahre ergriff dann ein wahrer Taumel
die Buchhändler« clt ; jedes Genre von Drucksachen
erhielt sein buntes Bild. Da waren die Pamphlete
Jogand Pages (der unter dem Namen Leo Taxil noch
kürzlich so viel Schmutz aufgewühlt hat) mit rynischen
Bildern, daneben die frivolen Pikanterien Sylvestre-
scher Art, von Nachahmern Ropsscher Nacktheit mit
schwarzen Strümpfen bekleidet, neben ernsteren Werken,
Reisebeschreibungen, Monographien, so gross und
schwer, dass es eine förmliche Arbeit war, sie zu
heben. Gleichzeitig erschienen Luxusausgaben der
graziösen Romane des XVIII. Jahrhunderts mit ihren
muschligen Ornamenten und allegorischen Amoretten
und auch eine kleine Anzahl modemer Romanschrift-
steller, wie Zola, Daudet, Maupassant, Bourget Der
Orient begann grossen Einfluss zu gewinnen. Mit
tausend reizenden Dingen kamen auch Arbeiten Ho-
kousais und Ontamaros aus Japan ins Abendland und
wurden zahlreich nachgeahmt. Andrerseits stiftete die
leidenschaftliche Anerkennung, die Cherets und Grassets
Plakate fanden, eine förmliche Schule. Bald bildeten
sich Extreme; die einen proklamierten die Silhouette
(imageric), die andern die Umränderung (vitrail). Heute
werden beide Arten vereint oder eine der unzähligen
dazwischen liegenden Schattierungen mit gleichem Er-
folge angewandt. Völlige Anarchie herrscht in Bezug
auf die Technik ; Aquarell und Gravierung, Tusche und
Kreide, Farben und Silhouetten werden gemischt. Auf das
Typische in der Erscheinung allein ist das Augenmerk
gerichtet, sei's anekdotisch oder symbolisch, schwarz
oder polychrom. Die Künstler haben sich mit den
Reproduktionstechniken! in Verbindung gesetzt und
beherrschen ihr Ausdrucksvermögen mehr als je. Der
Photographie ist nur eine Vermittlungsthätigkeit ein-
geräumt worden; sie dient bei der Heliogravüre, Hoch-
schnitt und Tiefschnitt, auf Zink oder Kupfer, bei der
Phototypic und Photolithographie neben den andern
Reproduktionsarten: dem Holzschnitt, dem Stich, der
Radierung, dem Kupferstich.
Zahlreiche Buchdeckel illustrieren die verschiedenen
Techniken, einige treffende Worte kennzeichnen die
leitenden oder weniger bekannten, jedoch originellen
Künstler. Sie alle zu erwähnen würde uns zu weit
fuhren. Giraldon, Grasset, Steinlen, Vallotton, Robida,
Caran d'Ache, Norin, Willette sind uns ja liebe Be-
kannte. Avril, Auriol u. a. fangen auch diesseits des
Rheines an, sich Freunde zu erwerben. Rops und Mucha
werden bei uns beinahe noch mehr geschätzt als da-
heim. Von vielen der jüngeren Künstler, z. B. von
Ryssclbcrghe und Vidal, hat auch unsere Zeitschrift
Reproduktionen gebracht.
Der kurze Abschnitt, der Deutschland gewidmet
ist, erw ähnt lobend Sattler — zugleich mit unserm Blatt,
dem ein Vollbild eingeräumt worden ist — Hirzel,
Eckmann, Heine, Weiss, Fidus und tadelt ein paar
unbekannte Grössen von geringem Geschmack.
In England dominiert natürlich Walter Crane, doch
kommen auch Leute wie Beardsley, Caldccott, Greena-
way, die beiden letzteren besonders als Kinderbuch-
illustratoren, Kemble, Patten Wilson zu Wort. Von
Amerika kennen wir freilich mehr und bessere Künstler,
als die von Uzanne angeführten, und auch Rclgien ist
mit Kysselbcrghe und Combaz nicht erschöpft; die
Schweiz, Spanien, die nordische Halbinsel, Ost-Europa
fehlen ganz, und doch beginnt auch in „Halbasien" sich
frisches Leben zu regen, das einer Berücksichtigung
wohl wert wäre.
Die fabrikmässige Bindekunst behandelt der nächste
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Kritik.
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Abschnitt, der freilich manche Wiederholung bringt.
Während bei der Handbinderei das gebundene Buch
dekoriert wird, stellt die maschinelle Binderei die Deckel
im grossen her, und man überzieht die Bücher dann;
freilich nähert sich die erste, sehr mühsame Art weit
mehr der Kunst Als Datum der Anwendung der Leine-
wand als Deckmatcrial nennt Uzanne das Jahr 1818,
und zwar waren es Engländer oder Amerikaner, von
denen dieser praktische und geschmackvolle Einband
ausging; allerdings trug zunächst der Rücken ein weisses
Papierschildchen mit Titel. Bei einer 1833 erschienenen
Byronausgabe in 17 Bänden benutzte man zuerst den
Golddruck für den Titel. Nur wenige französische Buch-
binderfirmen aus dem Anfang unseres Jahrhunderts sind
noch bekannt. Engel, Lencgre, Magnier haben allein
ihr Gewerbe beherrscht, wenn auch der gute Geschmack
etwas hintenangesetzt wurde bei dem Strom von Gold
untl Rot, der sich über die Büchermenge ergoss. Auch
Souze hat mit seinen tinten - typographischen Ver-
zierungen und Geldverschwendungen viel verbrochen,
doch sind die nüchterner gehaltenen Werke, wie das
Buch Ruth, Goethes Frauen, die Evangelien u. s. w.,
nicht ohne Interesse. In jener Zeit massloscr Geschmack-
losigkeit zeichnete sich Hachctte durch leidliche Vor-
nehmheit aus; in den letzten 15 Jahren hat Giraldon
wohl an hundert reizende Entwürfe für Hachette ge-
liefert, welche über vieles Zeitgenössische hinwegragen,
weil sie vom Künstler im Material selbst entworfen
wurden.
Der Engländer liebt zum Lesen fertige, d. h. auf-
geschnittene, gebundene Bücher. Die schon 1822 im
Gebrauch vorkommenden Lcincwanddeckel wurden erst
15 Jahre später mit Gold geschmückt. Leider hatte
man die Gewohnheit angenommen , eine der schwarz-
weissen Illustrationen des Textes in Gold auf dunklem
Grunde auf den Umschlag zu setzen. Jetzt hat man
einen geschmackvollen Mittelweg gefunden, der be-
sonders durch Fisher Unrin in seiner Pinafore-Sammlung
Denis Neudrucke vertreten wird. Die Herren Gleeson
White, Bradley und Ricketts stehen an der Spitze der
originellen Verwender des Kartons. Natürlich hat man
neben der Leine wand auch mehr oder weniger gelungene
Versuche mit Baumwolle, Kattun und allerhand Seiden
gemacht.
Die zweite Hälfte des Buches handelt von Kunst-
einbänden und Einbandkünsdern. Wir hören, dass sich
in der assyrischen Abteilung des British Museums Terra-
cottaeinbände vorfinden, und dass im alten Rom die
Berufsarten eines „glutinator" und eines „bibliopegus"
denen unserer Buchbinder nahestanden. Sie klebten
die Papyrus- und Pergamentblätter aneinander und
rollten sie auf Edelholzstäbchen, deren Knäufe geschnitzt
waren. Feste rote Lederriemen, seidene Bänder, pur-
purne Hüllen schützten die Rollen, die häufig mit
duftendem Cederöl gegen den Wurmfrass getränkt
waren. Schon in Griechenland kannte man die Form
des flachen Bandes und wandte sie im Mittelalter viel-
fach für Kirchenbücher an. In den Bibliotheken burgun-
discher Fürsten fand man kostbare mit gestickten und
gewebten Seidenstoffen bezogene, durch Gold und Perlen
geschmückte Bände, deren „fermoüers" oder Schliefen
— manchmal vier an der Zahl — besonders reich
waren. Auch goldene Papiermesser und seidene Lese-
zeichen benutzte man. Bis zur Hälfte des XV. Jahr-
hunderts war die Bindekunst ausschliesslich mönchisch
und schöne Einbände das Monopol der Edelleute,
w eiche ihre Künsder nur für sich arbeiten Hessen. Später
wurde das Gewerbe durch mancherlei Vorrechte be-
schränkt. So kam das Buch, nachdem der Binder die
Holzdeckcl bezogen und mit Eisendruckarabesken ge-
ziert, direkt in die H ände der Goldschmiede, welche allein
das Recht hatten, kostbare, perlengestickte Gewebe und
Emaillen anzubringen. Darauf wanderte es zum Binder
zurück, der es mit leichtem Leder- oder Seidenfutteral
versah, um es vor Staub zu schützen. Im XVI. Jahr-
hundert erschienen die Pappdeckel, die, mit Pergament
bezogen und mit reizvollem Goldornament bepresst,
auch dem Bescheideneren zugänglich wurden. Aldus
führte handlichere Formate ein, die den Folioband
ersetzten. Aus jener Zeit ist uns nur der Name des
Viccnti Filius überkommen. Bis zur Zeit Franz I. er-
schienen die Einbände anonym. Die Buchhändler, wie
Vcrard, Lcnoir u.a., besorgten ihren Kunden den Ein-
band, doch haben einige, z. B. Roftet, le Faucheux,
auch selbst eingebunden. Ausser dem nicht doku-
mentarisch nachweisbaren Gascon oder Gäcon, sind die
ersten Binder Frankreichs die feve, Nicolas und Clovis,
gewesen, welche Ende des XVI., Anfang des XVII.
Jahrhunderts Hoflieferanten des Königs waren. Ihnen
folgt eine grosse Reihe bekannter Namen: Pigorreau,
Ruettc, Michon u. a. ; Boyet und du Seuil schlössen das
Jahrhundert. Das folgende Säculum wurde zunächst
von den Dynastien der Padeloups und Dcrömes, je 12
und 14 von beiden, und ihrer Vorliebe für das Maroquin
beherrscht. Die Revolution räumte gründlich damit
auf. Phrygische Mützen und Liktorenbündel ersetzten
die Lilien, Papier das Volllcder, Massenbehandlung das
liebevolle Individualisieren. Bozenau führte dann zu
Beginn unseres Jahrhunderts den schrecklichen neu-
röinischcn sogen. „Pompier"-Stil ein ; seinem Schüler
Thouvenin war es vorbehalten , den zierlich verschnör-
kelten gotischen Ogivalstil zu bringen, der viele Freunde
gefunden hat. Traute- Bau2onnet, David, Lortic u. a.
waren ausgezeichnete Binder nach ihm; sie liehen aus
allen Stilen, doch Neues brachten sie nicht Gegen
das Jahr 1880 gab es einen Binder, der dem Neuen,
Symbolischen entgegenseufzte: Amand; nur wenige
Bibliophilen unterstützten ihn, die meisten wandten ihm
entsetzt den Rücken. Doch seine Schule wirkte; bei
der 1889 er Ausstellung nahm die neue Technik schon
einen Ehrenplatz ein. An der Spitze der Schar der
Gemässigten marschiert Marius Michel, der bei allem
Geschmack und Fleiss doch immer ein wenig Pedant
bleibt. Zur gleichen Gnippc ist auch Mercier, Cazins
Nachfolger, zu zählen, der Meister der „petits fers" und
Goldlinien; er hat sich in Maylacnder und Ghyssens
würdige Schüler herangebildet Auch Leon Grucl,
Marcclin Lortic, F. David gehören dazu. Eine zweite
Gruppe, Uzanne nennt sie Evolutionistcn, von 1890
bilden Petrus Ruban, Charles Meunier, Lucien M agnin
aus Lyon, Raparlier u. a. Noch eine dritte Gruppe
existiert, die der regelverachtenden freien Bindekünster,
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1
44
Kritik.
deren bekanntester Rene' Wiener in Nancy ist. Dann ist
ferner zu nennen Lepcrc, der geschickte Xylograph, An-
toinette Wallgren, die unendlich zarte Reliefs bossiert,
Mdme. Waldeck Rousseau, welche das Ledertreiben,
Mdme. Rollince, welche die Pyrogravüre bevorzugt.
Unter den Eglomisten und Emaillisten sind M. G. Meier,
Roche und Charpcnticr die bedeutendsten.
Uzannes Mitteilungen über den Künstlereinband im
Auslande sind an anderer Stelle schon ausführlicher
und umfassender niedergelegt worden ; sie erschöpfen
naturgemäss das weite Gebiet nicht. Die ungeheure
Anzahl von Illustrationen jeder Art und Technik von
Bucheinbänden, die Uzannes Buch eingefügt sind, geben
jedoch ein ziemlich deutliches Bild des augenblicklich
herrschenden Geschmackes, und das hat ja der Ver-
fasser beabsichtigt. Das Werk ist vortrefflich aus-
gestattet; die Couvertüre entwarf Lovis Rhcadc. Als
echter Uzannc, mit allen von ihm beliebten Intimitäten,
Vorzügen und Oberfläclilichkeiten, hat es so rasch Ab-
nehmer gefunden, dass es jetzt schon im Buchhandel
vergriffen ist. K. R.
m
Queen Vktorin by Rkkard R. Holmes, Librarian
to the Queen. Illustrated from the Royal collcctions.
Boussod Valadon & Co. London.
Auf das Erscheinen des obigen Werkes wurde
bereits früher an dieser Stelle aufmerksam gemacht.
Mr. R. Holmes, der Bibliothekar der Privatbücher-
sammlungcn der Königin, hatte bei der Abfassung der
Biographie einen schwierigen Stand, weil seine Arbeit
durchweg einen halbamtlichen Charakter nicht ver-
leugnen konnte. Die Verantwortung war auf der einen
Seite eine bedeutende, während umgekehrt seine Frei-
heit eine sehr beschränkte blieb. Er durfte weder
angreifen, noch verteidigen, weder Motive analysieren,
noch Handlungen kritisieren, weder die Charaktere der
Lebenden untersuchen, noch auf die der Verstorbenen
Streiflichter fallen lassen. Als Entschädigung hierfür
konnte er Thatsachen aus erster Hand erfahren, und
unrichtige Erzählungen mit peinlichster Genauigkeit
berichtigen, sowie endlich in allen kleinen Dingen die
ungeschminkteste Wahrheit sagen. Dies trifft vor allem
zu für die Jugendzeit der Königin Victoria. Für diesen
Lebensabschnitt der Rcgcntin muss das Buch als ein
unentbehrliches bezeichnet werden. Die Grundlage für
das Werk bildet das Tagebuch der Königin, das in sorg-
samster Weise bis auf den heutigen Tag von ihr selbst
fortgeführt wurde. Die Königin hat auch unter dem
stärksten Drang derGeschäfte ihre Jugendliebhabereien
niemals gänzlich aufgegeben. In den letzten fünfzehn
Jahren hat z. B. die Königin mit Signor Posti ebenso
musiciert, wie sie es früher mit Mendelssohn that.
Auch heute noch skizziert sie überall, wo sie hinkommt,
ihre landschaftliche Umgebung. Ihre Lehrer in diesem
Fache waren Westall, Landscer und Lear. In der
Radierung nahm die Königin seit 1847 Lehrstunden
bei Leilh und in den letzten zwölf Jahren bei Mr. Green.
Ihre Licblingsdichter sind Shakespeare, Scott und
Tennyson, während von Romanschriftstellern, oder
besser gesagt, Schriftstellerinnen begünstigt werden : Jane
Austin, Charlotte Bronti, die Eliot und Mrs. Oliphant.
Den Verlust der Letzteren empfand sie besonders
schmerzlich. Mr. Holmes zeigt uns, dass die Königin
ferner gründlich in der deutschen und französischen
Litteratur zu Hause ist. Endlich bekundet die hohe
Frau ein ausserordentliches Interesse für indische
Bücher. Die Illustrationen stellen die Königin in allen
Lebensaltem dari es befinden sich darunter auch vor-
treffliche Photogravüren nach ihren Porträts von Winter-
halter. Mr. Thomson hat die zu reproducierenden
Porträts, Bilder und Kunstgegenstände ausgewählt, zu
welchem Zwecke ihm sämtliche Schlösser u. s. w. zur
Verfügung standen. — s.
m
Les Imprimeurs de tissus dans leurs re/alicns
historiques et arlisiiques avec les corporalions par
Ä*. Forrer, Strassburg, bei Ch. Muh & Co. 1898.
Der innige Zusammenhang zwischen Zeugdrucker
und Buchdrucker, den Forrer in seiner vortrefflichen
Studie klarlegt, erlaubt uns, einiges aus dem Heftchen
an dieser Stelle zu reproduzieren.
Schon Plinius spricht in seiner Abhandlung: „De
vestium pictura" von der Geschicklichkeit der alten
Egypten, Stoffe mit Mustern von zweierlei Farben zu
verschen, und zwar scheint man die auszusparenden
Muster in einer lehmigen oder wachshaltigcn Masse
aufgetragen und nach dem Färben des Grundtoncs
durch Entfernen des Breis hell erhalten zu haben. Auch
fand man in den Nekropolen von Achmim und Sakkarrah
zwischen zweifarbig bedruckten Zeugen in Holz ge-
schnitzte Druckerstempel. Forrer hat genauere Studien
hierüber in seinem 1894 in Strassburg erschienenen
Buche: „Die Zeugdrucke der byzantinischen, roma-
nischen, gothischen und späteren Kunstepochen" ver-
öffentlicht Die Färberkunst blühte im Orient, besonders
in Pcrsien, wo man die Färbereien „Christuswerkstätte"
nannte, danach der Sage Christus ein Färber gewesen sein
soll; dort fanden europäische Reisende die vergessene
Kunst im XVII. Jahrhundert und brachten sie nach
Deutschland.
Doch versuchte man auch in Europa schon im
frühen Mittelalter die teueren gewebten Musterstoffe
durch billigere bedruckte zu ersetzen. Man bestreute
mit klebriger Flüssigkeit nachgezogene Linien mit Gold
und Silber, um Brokat herzustellen. Ein Manuskript
des XV. Jahrhunderts, das man im Katharinenkloster
zu Nürnberg fand, beschreibt diese Technik ausführlich.
Auch die Luxusgesetze erwähnen diese Druckstoffe als
unerlaubt. Auch die kleinen, stets hölzernen Drucker-
stempel entwickelten sich bei zunehmender Fertigkeit,
so dass man riesige Wandbehänge, z. B. die „Tapisserie
von Sion" im Baseler Museum u. a. aus dem XIV. und
XV. Jahrhundert kennt. Heraldische, romanische
und freierfundene Muster wechselten mit einander.
Die allgemeine Üppigkeit der Renaissance führte einen
Stillstand in der Zcugdnickerei herbei; nach dem
30jährigen Krieg belebte sie sich neu, und es wurde
Mode, weisse leinene Kleider zu tragen, deren Ränder
von schwarzen gedruckten Spitzen eingefasst waren.
Ein Nürnberger Manuskript vom Ende des XVII. Jahr-
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t':'..l:< :i il^:-!;,!'!T ilu: tci.ci . n <-V-U::i >! u>ter>t"ltt
Jan ii .'.'i .i:!' t.:'il; ■!■ Ulf ,■ i • r :n. Msn b''-.trru:t'
n . • l.;. ' : ■ r F ii. !•-.,-:.■, 'I: i-it •1.1' Ii '..< .'":; me FinitT. tn;t < iuid
•'. '■'■<■<. Fr ;k 1t, t.-u -t'-IVti. Jin Mar-t^ktipt
i--> W . I . ■ Fl • F. ii n . : ■ r 1 , <!•■- r.i.in im KsiliriT-ncnktoit-r
2' N ii i 'iri i; i ••,'! F"-,. Fi i. iFi. < i .n T'-: F-;ik /;i -*iibrli. h,
/'..;:!'. J •-. Fn\ i-i < ... i-.i.iF.ni iti-Af 1 >ru Fs't.tF- :.i .
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rr,!'.. .F'.'Frn -• Ii l.ri /':!-.- ' ni.-vi I'T !'crt:;:kr':l.
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' >s .' i..i- i.v I kr.-. In M'.:-r-.i:-, 'i. „i:s livin V i V, u:v!
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t . i-Ms-r ... t.«- \1- v, .',',, ,' ; ic n im' i :i-.ar..irr
F':r ... 1 U-\t 'F i !\ > t .i i - ,-,n,-r Fi'-iir v ; I' n
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Ztitii hrijt Jür liüiktrjrtuxjt.
Zu: Stnt I ;V
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45
hundert* zeigt auch ein „Stoflfdruckerwappen", das in
einer Wäschemangel besteht. Um diese Zeit lernte
man die orientalische Technik des Ausspanns kennen
und gelangte während des folgenden Jahrhunderts zu
einer geschickten Verschmelzung beider Arten. Neu
erfundene Maschinen kamen dazu, so dass man eine
unbegrenzte Zahl von Farben anzuwenden im Stande
war.
Die Zünfteordnung früherer Zeiten beschränkte jedes
Gewerbe streng auf sich selbst. Sogar innerhalb der
Färberei gab es Specialisten, als da sind Schwarz- oder
Blaufärber, Seiden- oder Leinenfärber. Eine solche
Einteilung Hess sich aber bei den Zeugdruckern schlecht
bewerkstelligen, denn der Zeugdrucker zeichnete,
schnitt und gravierte selbst, auch bereitete er seine
Farben und druckte eigenhändig. Diese Vereinigung
sonst streng getrennter Handwerke führte zu vielen
Streitigkeiten. Zunächst wurden die Zeugdrucker in
Antwerpen und Wien, sowie auch in Italien allgemein
der Malergilde zugeteilt Eine sonderbare Ausnahme
bildet Löwen, wo ein „prints nyderc" sich 1452 weigert,
unter die Tischler zu gehen. Eine zweite Ausnahme
müssen wir für die Klöster machen, welche sich mit allen
Handwerken zu befassen liebten. Wie sehr sie gerade
die Druckerei pflegten, geht aus einem Nürnberger
Manuskript des XV. Jahrhunderts hervor, das aus dem
Katharincnklostcr stammt, wo es unser sehr geschätzter
Mitarbeiter, Herr Ilocsch, entdeckte, und das detailliert
von der Kunst „mit Gold, Silber, Wollstaub und andern
Farben zu drucken" spricht. Die Maler, als Jünger einer
freien Kunst, waren nicht gezwungen, sich einer Gilde
einzureihen, doch schlössen sie sich freiwillig zusammen.
Die Buchdrucker schlössen sich ihnen an, bis sie zahl-
reich genug geworden waren, eine eigene Zunft zu bilden.
Auch diese Buchdrucker haben vielfach Zeuge bedruckt,
ja, waren zum Teil anfangs StofiTärber; erst später
teilten sich die Gewerbe. So hat sich Schönspergcr
zu Augsburg, aus dessen Pressen der kösdiehe „Theuer-
dank" für Kaiser Maximilian hervorging, auch mit Stoff-
bedrucken beschäftigt Jörg Gastel betrieb in Zwickau
und Glauchau neben seiner Buch- und Flugblattdmckcrci
eine schwunghafte Stoffdruckerci. Nach der Renaissance
reihte man die Zeugdrucker den Tuchschercrn ein,
denen ihre Kunst thatsächlich am Nächsten stand. Ende
des XVII. Jahrhunderts begannen die Augsburger
Brüder Ncuhofcr zuerst die beiden Drucktechniken zu
verschmelzen, doch da sie nicht selbst färben durften,
mussten sie sich mit einem Färber assoeiiren und, als
das Geschäft sich ausdehnte, auch mit einem Tischler.
Als sich nach einem Streite die Gemeinschaft löste,
verbreitete sich das Geheimnis der neuen Kunst mit
solcher Schnelle, dass man schon 1693 zum „Drucker-
zeichen" als Schutz gegen die Konkurrenz greifen musste.
Gegen 1700 reihten sich nun die Zeugdrucker ganz der
Gilde der Färber ein. Die Färbcrgcwerkswappen
jener Zeit weisen diese Einschaltung auf; hatten sie
bisher nur Tuchrolle und Färberstab gezeigt, so waren
ihnen nun Druckrollen und Holzschläger beigefügt
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
entstanden die grossen Fabriken der Peel in Church
(England), der Oberkampf in Jouy, Schule in Augsburg;
Städte wie Mühlhausen und St. Etiennc sind aus der-
artigen Druckereien hervorgegangen. Die Industrie
hat einen unermesslichen Aufschwung genommen, seit
die I.einewand durch Baumwolle als Material ersetzt
worden ist. In unserem Jahrhundert der Konzentration
hat das Anwachsen der grossen Etablissements die
kleinen Färber und Drucker fast überall vernichtet; mit
ihnen aber endet die eigentliche, in ihren Phasen sehr
interessante Geschichte der Zeugdrucker. —u
Chronik.
Mitteilungen.
Neue Einbände. — Das diesem Hefte beige-
gebene Kunstblatt reproduziert den wohlfeilen Ein-
band zu Hermann Sudermannsl'i&gödie „Johannes".
Die schöne Deckelzeichnung, die in ihrer feinen
Farbenharmonie ganz eigenartig wirkt, entwarf
Professor Otto Eckmann. Die übrigen wiederge-
gebenen Luxuseinbände stammen aus dem kunst-
gewerblichen Atelier von G. Ludwig in Frankfurt
a. M. Fig. I. Einband zu einem Album; Mittel-
stück Stempeldruck mit drei Stempeln, der Rand
Rollendruck auf rotem Maroquin icrase. Fig. 2.
Familienbibel in rotem Maroquin cerase; Bogen-
handvergoldung, antikes Schloss. Fig. 3. Album-
einband in hellhavannabraunem Maroquin ecrase;
Blätter grün, Blüthen rot; Hand Vergoldung mit
Bogen und Stempeln. Fig. 4. Albutneinband in
altrosa Maroquin cerase; die Blumenbordüre auf
hellgrünem Bande. Rollendruck; die Blumenstücke
im Mittelfelde Bogen- und Stempeldruck. — z.
Auf der letzten Philologem ersammlung in Dresden
hielt der Wolfenbuttelcr Bibliothekar Dr. G. Milchsack
einen Vortrag über die Buckformate nach ihrer histo-
rischen und ästhetischen Enhviikelung , der in den
Einzelheiten auch für unsere Leser interessant ist Der
Vortragende führte u. a. das Folgende aus;
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46
Chronik.
Unter Buchformaten verstehe ich hier nicht die
äusseren Buchformen, die wir als Folio, Quart, Oktav
u. s. w. bezeichnen, sondern die Formate, welche der
Buchdrucker macht, wenn er die räumlichen Ab-
messungen (Höhe und Breite) der Schrifikolumnen und
der sie umgebenden weissen Ränder (Stege) bestimmt.
Diese für die Schönheit des Buches so wichtige Ein-
teilung des Raumes ist heute ausserordentlich ver-
schiedenartig und individuell. Die von den bedeutendsten
typographischen Fachschriftstellern (Franke, Lorck,
Wagner, Waldow, Mäser, Wunder) aufgestellten Regeln
für das „Formatmachen" nehmen teils auf die aus der
Eigenartigkeit des
Buches hervorgehen-
den ästhetischen For-
derungen nicht die
gebührende Rück-
sicht, teils sind sie so
kompliziert, dass sie
schon deshalb prak-
tisch wenig brauchbar
werden.
Ausgehend nun
von der Erwägung,
dass das Buch, ein
Band von mit Schrift
bedeckten und zum
Lesen bestimmten
Blättern , schon ein
tausendjähriger und
höchst wichtiger Kul-
turträger war, als Gu-
tenberg den Typen-
druck erfand, und
dassSchöffer, sein ers-
ter und vornehmster
Gehilfe, die Kunst des
Buchschreibens aus-
übte und vortrefflich
verstand, darf man
mit gutcmGrunde ver-
muten, dass SchöfTcr
der jungen typogra-
phischen Kunst, wie
so manches andere,
auch ein Formatge-
seil in die Wiege gelegt habe. In der Thal zeigen
die Formate der ersten Drucke insofern eine gewisse
Gesetzmässigkeit, als bei ihnen die Breite der Rander
vom Bundsteg zum Kopfsteg und von diesem zum
Seitensteg und Fusssteg stetig zunimmt. Infolge dieser
Raumeinteilung stellen sich zwei einander gegen-
überstehende Seiten eines solchen Buches als sym-
metrische Hälften eines Ganzen dar, und die von unten
nach oben stetig abnehmende Breite der Stege bewirkt,
dass sich die zahlreichen weissen und schwarzen Flächen
zu einem harmonischen und gleichsam architektonischen
Aufbau zusammenschliessen, in welchem die getragenen,
gestützten und verbundenen Teile, die Kolumnen, wirk-
lich getragen, gestützt und verbunden, die tragenden,
stützenden und verbindenden Teile, die Ränder, dagegen
als wirklich tragend, stützend und verbindend erscheinen.
Auf Grund dieser historischen und ästhetischen
Thatsachcn und Beobachtungen habe ich schon vor
einer längeren Reihe von Jahren drei Formalgesetzc
entworfen, deren Anwendung I. in jedem einzelnen Falle
Formate hervorbringt, die denen der besten alten Meister
möglichst nahe kommen, 2. die sämtlichen vier Ränder
in ein unendlich bewegliches, aber proportional stets
sich gleichbleibendes Verhältnis zu einander setzt, der-
gestalt, dass die kleinste Verbreiterung oder Ver-
schmälerung notwendig die entsprechenden Verbreite-
rungen oderVerschmälerungcn der anderen drei Ränder
nach sich zieht, und 3.
so einfach ist, dass sie
von jedermann mit
Leichtigkeit ausge-
führt werden kann.
Das erste Gesetz
lautet : wenn die Breite
des halben Bundstegs
a ist, so soll die Breite
des Kopfstegs (halben
3"
Kreuzstegs)
die
Neue Einbände. Fig. 1.
Atbumcinband in rotem Marotjmo von Ludwig in Frankfurt a. M.
B reite des Scitenstegs
(halben Mittelstegs)
2a, die Breite des
3<*
Fussstegs 2 — sein.
2
Oder in einem Zahlen-
beispiel ausgedrückt
20: 30:40:60 mm.
Das zweite Gesetz
lautet : wenn die Brei-
te des halben Bund-
stegs a ist, so soll die
Breite des Kopfstegs
~, die Breite des
2
5« ..
Scitenstegs , die
2
Breite des Fussstegs
Oder in
einem Zahlenbeispiel
ausgedrückt 20 ■. 30 : 50 : 60 mm.
Das dritte Gesetz lautet : wenn die Breite des halben
Bundstegs a ist, so soll die Breite des Kopfstegs — ,
die Breite des Seilenstegs 2/1, die Breite des Fussstegs
oder in einem Zahlcnbeispicl ausgedrückt
3"
2 sein
2
5" .
sein.
:o : 30 : 40 : 50 mm.
Das erste Gesetz, welches, ästhetisch genommen,
das beste Verhältnis angiebt, empfiehlt sich bei allen
mittleren und guten Buchausstattungen, namentlich bei
den Oktav- und Quartformaten. Das zweite Gesetz kann
bei besonders splendiden und reichen Buchausstattungen
gebraucht werden, dürfte ausserdem aber bei allen
Google
Chronik.
47
Folioformaten den Vorzug verdienen. Das dritte Gesetz
soll bei kompresscn Ausstattungen, wo auf möglichste
Kaumausnützung gesehen werden muss, zur Anwendung
kommen.
Das Grössenverhältnis der Schriftenkolumnen soll
bei Folio und Oktav stets das gleiche sein, es soll sich
nämlich ihre Höhe (einschliesslich des Kolumnentitels)
zu ihrer Breite wie 5 : 3 (goldener Schnitt) verhalten.
Bei Quart verdient das Verhältnis 4 1 3 vor allen anderen
den Vorzug.
Natürlich kann und wird es Bücher geben, bei
denen sich diese Gesetze überhaupt nicht oder nur
unterErhöhung der I Icrstcllungskostcn anwenden lassen.
Diese Fälle werden indessen bei einigem gutem Willen
immer Ausnahmen sein.
Unsere Bücher leiden durchweg an dem Fehler,
dass die Ränder zu schmal sind. Dieser falschen Spar-
samkeit steht andererseits eine Kaumverschwendung
gegenüber an Stellen des Buches, wo sie nicht nur
nicht nützt, sondern schadet, nämlich bei den Vorreden,
Inhaltsverzeichnissen, Registern, Widmungen, am An-
fange und Ende der Kapitel u. s. w. Auch in dieser
Beziehung haben wir von den alten Meistern noch vieles
zu lernen.
Meinungsaustausch.
Zu der im Februarheft der ,,Z. f. B." veröffent-
lichten bibliographischen Plauderei über Heines
„Buch der Lieder" von Gustav Karpeles kann ich
einiges nachtragen.
Karpeles verweist die Interessenten für Heincsche
Gedichtautographcn auf den Jahrgang 1840 der
„Europa" von August Lcwald, wo vier Gedichte
Heines facsimilicrt wiedergegeben sind. Leichter
zugänglich als in dem nahezu 60 Jahre alten Jahr-
gange der „Europa" ist dieses Facsimile in der
„Deutschen Dichtung", in der es in neuer Wieder-
gabe in Heft 6 ihres I. Bandes auf S. 156/57 ver-
öffentlicht worden ist. Damals — im Jahre 1887 —
befand sich das Manuskript im Besitze des Schrift-
stellers Max Kalbeck in Wien, der in dem genannten
Heft über Heine-Reliquien sehr interessante Mit-
teilungen gemacht hat, deren Lektüre jedem, der
sich für Autographcn interessiert, zu empfehlen ist.
Das Autograph enthält, wie oben bemerkt, vier
Gedichte, und zwar aus dem „Neuen Frühling",
im ersten Entwurf, der erkennen lässt, wie sich die
Gedanken des Dichters bemüht haben, eine voll-
kommene Ausgestaltung zu erreichen. Korrekturen
über Korrekturen!
Zahm gegen dieses Manuskript ist das des
H an reise-,, Vorspiels", wie Heine — jedenfalls zur
Freude aller Sprachreiniger — ursprünglich diesen
„Prolog", wie alle Ausgaben drucken, genannt hat.
Das Facsimile dieses Vorspiels bringt die „Deutsche
Dichtung" in Heft 5 des II. Bandes. Das Manu-
skript war 1887 im Besitz der Frau Baronin E. von
König- Warthausen in Stuttgart. Indieser Handschrift
ist nur der 2. und 3. Vers, welche in der nächsten
Strophe ohne die geringste Änderung wieder aufge-
nommen worden sind, aus der 3. Strophe herausge-
strichen. Ausser diesem Facsimile bringt dieses Heft
der „Deutschen Dichtung" noch eben Brief Heines
„An dem Studios*' Christian Sethe in Düsseldorf" aus
Hamburg vom 27. Oktober 1816.
Zu den Illustrationen und Bildern, die zu Heines
„Buch der Lieder" oder im Anschluss daran entstanden
sind, kann ich aus meiner im letzten Jahrgange des
„Börsenblattes für den deutschen Buchhandel" er-
schienenen Bibliographie „L'nsere Illustratoren", die
auch von der ,,Z. f. B." nicht unbeachtet geblieben ist,
nachtragen: die Illustrationen E. Brünings zum „Buch
der Lieder", die von O. Herrfurth zu Heines Werken
und eine Zeichnung von Alex. Franz „Die Lorelei", die
als No. 8 der „Neuen Flugblätter" bei Breitkopf & Härtel
in Leipzig erschienen ist. Mancherlei würde sich an
Illustrationen zu Heines „Buch der Lieder" noch in
Anthologien und Zeitschriften finden. So haben wir in
den bei der Verlagsanstalt F. Bruckmann in München
erschienenen „Bildern zu deutschen Volks- und Lieb-
lingsliedem" ein Bild von Ph. Sporrer zu dem Liede
„Du bist wie eine Blume", in den von Carl Lossow illu-
strierten, in demselben Verlage erschienenen „Deutschen
Liedern" eine Illustration zum „Armen retri". An Ge-
mälden scheint — ich habe die Kataloge der Photo-
graphischen Gesellschaft in Berlin, der Photographischen
Union und von Franz Hanfstaengl in München, bc-
Neue Einbinde. Kig. I.
Bibclcinband in rotem Maroquin von U. Ludwig in Frankfun ». M.
4 8
Chronik.
kanntlich der drei grössten Kunstverlage Deutschlands,
von welchen die beiden ersteren Übersichten über die
Stoffgebiete in ihren Katalogen geben, zur Hand —
scheint nichts Nennenswertes entstanden zu sein.
Shakespeare und Goethe sind in dieser Beziehung am
besten weggekommen. Dekoriert der Verleger — wie
ich es aus langjähriger Praxis kenne — ein Bild auch
mit einem Verse aus einem Dichter, so kann man doch
nicht davon sprechen, dass der Maler ein Bild zu Heine,
Goethe, Uhland, Chamisso gemalt habe. Viele Maler
können monatelang ein Bild malen, ohne dass sie einen
Titel für ihr Bild zu geben vermögen. Ginge man jedoch
von der Voraussetzung aus, dass der Künstler einen
Vers im Bilde festzuhalten sucht — ein Vorgang, der
betitelt „Die Ruchdruckerkunst" , in welchem der Dichter
seinem entrüsteten Herzen u. a. folgendermassen Luft
macht:
Allein der Deutsche blieb l»ey dem Gewände,
Dos er iut Notdurft ihr gegeben, stehn,
Und überliess nun einem fremden l.amic
Den Ruhm, auch schön gekleidet sie zu sehn.
Der Aide, der Stephan' und Baskcrville
Und der Didots, und der liodoni's Hand
Verschönerte der Weisheit deutsche Hülle,
Und weit zurück blieb unser Vaterland
Denn eine deutsche Lotterbubenrotte
VergrifT sich hier am Geisteseigentum,
Und hing der Weisheit Kindern nun tum Spotte
Die Lumpen ihres eignen Schmutzes um.
Neue Einbände. Kif* j.
Albumeiubud in hellbraunem Maroquin »on 0, Ludwig iu Frankfurt «. M.
selten zu konstatieren ist — dann könnte man allerdings
noch einiges an Bildern zu Heine herbeischaffen, würde
damit aber nur ein falsches Bild davon geben, wie sehr
oder wie wenig Heine die Maler zu Bildern inspiriert hat.
München. Hugo Osu<ald.
«
Es werden jetzt aller Orten rege Geister geschäftig,
um auf dem Gebiete der Buchausstattung im Lande
der Buchdruckerkunst gründlich mit dein alten bettel-
haften L'nfug aufzuräumen.
Da dürfte es an der Zeit sein, den Stossscufzcr
eines Dichters des XVI IL Jahrhunderts der Vergessen-
heit zu entreissen.
Im Jahre 1787 erschienen in I. Ausgäbet Gedichte
von lilumauer. 2 Teile. Wien, bei Rudolph Grässcr
und Companic, 1787.
Auf Seite 24 ff. derselben befindet sich ein Gedicht,
Man sieht, dass also schon vor mehr als hundert
Jahren von Einzelnen das Unwürdige der deutschen
Buchausstattung anerkannt wurde und wir nicht erst heute
allmählich zur Erkenntnis dessen kommen, was wir der
unvergänglichen Kunst unseres grossen Gutenberg
schuldig sind.
Zum Schlüsse fragt der Dichter:
Wie lange wird zur Schande unsrer Väter
Noch deutscher Schmutz die deutsche Kunst entweihn ?
Und wird der Schritt, den hier ein Khrcnrctter
Der Weisheit wagt, ganz ohne Folgen sein? . . .
Harburg. Dr. D.
Zu dem interessanten Aufsatz H '. Rott/es ..Zur Litte-
ratur über Friedrich Wilhelm II." in Heft II bemerke
ich, dass der Verfasser manche wichtige Notizen über
Siede, die aus Archivarien, alten Zeitschriften und
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Chronik. 49
Sammelwerken geschöpft sind, in meinem Buche
„Berlin", Geistiges Leben der prcussischcn Hauptstadt,
1895, 1, 95, 105, 1 16, 230 hätte finden können. Ks ist für
den Schriftsteller ein sehr trauriges Gefühl, dass der-
artige mühevolle Arbeiten selbst von Spezialisten nicht
genügend beachtet werden.
Berlin. Prof. Dr. Imäw. Geiger.
Von den Auktionen.
Die letzte Autographtnversteigerung bei CilhoferSr*
Ransckburg in Wien erzielte nicht allzu hohe Angebote.
Für den Original-Briefwechsel der Kaiserin Maria
Theresia mit ihrem Leibarzte van Swieten, 22 Stücke,
wurden 295 Fl. gezahlt. Kin spanischer Brief Karls V.
vom 30. Mai 1533 an den Papst, in dem der Kaiser
die Scheidung Heinrichs VIII. von Katharina von
Aragonien und dessen Vermählung mit Anna Boleyn
zu verhindern suchte, brachte nur 226 Fl. Ausser
diesen historischen Stücken erreichten die Briefe von
Musikern die höchsten Preise: Beethoven 176 und
87*/, FL, beide an seinen Neffen gerichtet; Haydn 89
und 125 Fl., Richard Wagner 120 und 60 Fl. Von
Dichtern waren die heimischen besonders begehrt; ein
Brief Raimunds wurde mit 1 10 Fl., Briefe von Grillparzcr
mit 34 bis 51 Fl. zugeschlagen, während Stücke von
Goethe (33 Fl.) und Schiller, abgesehen von einem
Brief Schillers an Hufeland (121 Fl.), Herder, Wieland,
Bürger u. s. w. verhältnismässig gering bezahlt wurden.
In der Sammlung befanden sich auch das Original-
Manuskript einer Schick-
salstragödie von Müllner
mit „Varianten, besonders
zum Gebrauch an Orten,
wo die römisch-katholische
Religion die herrschende
und die Theaterzensur ri-
goristisch ist", das für 60
Fl. verkauft wurde, und
sehr interessante Aufzeich-
nungen auf mehr als 600
Seiten von Marie Gabriele
Kittl, der Vorleserin der
Kaiserin Charlotte von
Mexiko, welche diese über
den Ozean begleitete. Den
höchsten Preis, 365 Fl., er-
zielte die letzte Nummer:
ein sprechend ähnliches,
vorzüglich auf Elfenbein
ausgeführtes Kleinbildnis
Robert Schumanns.
/in erzielte den höchsten Preis ein Brief G. E. Lcssings
aus der Zeit, da der Dichter als Sekretär des Generals
van Tauentzien in Breslau weilte. Das Schreiben, vom
20. November 1761, ist sehr gut erhalten und war bisher
allen Lessingforschern unbekannt. Der 18 Zeilen lange
Brief wurde mit 725 Mark bezahlt. Die höchsten Preise
erzielten dann die Schiller-Manuskripte. Ein Brief vom
10. und 12. März 1789 an Kömcr.dcr eingehend Schillers
Plan zu einem Epos über Friedrich den Grossen behan-
delt, der bekanntlich nie zur Ansführung kam, brachte
480 Mark. Ein anderes Schreiben des Dichters mit dem
Datum „Jena, den 12. Oktober 1795" bot insofern be-
sonderes Interesse, als es bei Gödcke ausdrücklich als
verloren bezeichnet wird. Der an Cmsius gerichtete
Brief, Herausgabe Schillerscher Gedichte betreffend,
ging für 465 Mark fort. Ein eigenhändiges Gedicht-
manuskript Schillers, enthaltend zwei der bekannten
Räthscl aus „Turandot", wurde mit 455 Mark bezahlt
(Posony, Wien). Die Handschrift von Theodor Körners
Gedicht „Harras der kühne Springer", mit zahlreichen
Korrekturen, ging für 400 Mark fort; das Gedicht „An
den Frühling" brachte 155 Mark. Ein eigenhändiges
Gedicht von Goethe „Mailicd", mit der Überschrift
„Im May", anfangend: „Zwischen Waizcn und Korn,
zwischen Hecken und Dorn" erzielte 395 Mark, während
Höltys Dichtung „Wer wollte sich mit Grillen plagen",
in der Original- Handschrift für 205 Mark verkauft
wurde. Ein Gedicht von Friedrich Hölderlin „Stutgard,
an Siegfried Schmidt", brachte 110 Mark. Ein sehr
interessanter Brief von Ewald Christian von Kleist,
datiert „Leipzig, den 3. Juli 1757", an den Baron
Christian Ludwig von Brandt, den Stallmeister des
Prinzen August Wilhelm von Preussen, gerichtet, kam auf
Auf der letzten grossen
Autographeruiuktion bei
Leo Lieptnanmsohn in Ber-
Z. f. B. 93/99.
1 Neue Einbände. Fi£. 4.
Albumeinband in altrosafarbenem Maroquin von G. Lud wie >« Frankfurt a. M.
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- 1
5Q
Chronik.
105 Mark; ein eigenhändiges Gedicht von Ludwig
Uhland „Trinkspruch" erzielte 1 J 5 Mark.
In Grenoble fand kürzlich der Verkauf einer Biblio
thek statt, die fast drei Jahrhunderte alt war, die -W-
vaingde Roissieus-, eine Reihe von besonders wertvollen
Büchern finden wir in der „Revue biblio-iconographique"
verzeichnet. U. a.:
Les exposicions des |j euvangiles cn romant. Cham-
Mry, Anthoine Neyret, das erste dort gedruckte Buch.
C3850 Fr.)
Lc grant vita XPI des Ludolf von Sachsen, Paris,
Antoine VeYard, um 1500 (2 vol. in-fol. got., schlechter
sog. Holzcinband. [790 Fr.])
Incipit- Missali ad usum eccle. cath. | dralis sei ap-
polinaris valen. j (Mss. in-fol. got auf I'ergamcnt in
schlechtem Holzband, um 1447 geschrieben. [1200 Fr.])
Dccisiones Guidonis papae. Grenoble 1490 (in-fol.
in weissem Pergamentband, erstes in Grenoble ge-
drucktes Buch. [177s Fr.J)
Le jeu des eschez j moralisc. Paris, Ye'rard 1504
(in-fol. got, in gauffriertem Kalbleder schlecht erhalten.
[1060 Fr.])
Etymologicum magnum gnecum Venet Zacharias
Calliergi, 149g (in-fol., italienischer Einband aus dem
XVI. Jhrdt. [1049 Fr.])
Fontani, opera, Veneüis Aldi, 1513 (in schönem
Grolierschen Einband, fnjo Fr./;:
La tres ioyeuse, plaisante et recre'ative histoire . . .
le gentil scigneur de Bayart. Paris. Nicolas Couteau
pour Üabliot dupre, 1527 (in-40 got., von Bauzonnct in
Maroquin gebunden. [1040 Fr.])
Lucan Suetone et Salluste en francoy.s. Paris,
Verard, 1500 (llolzband. [651 Fr.])
I. Etat de la Provence par l'abbe" R. D.B. (D. Robert
de Briancon). Paris 1693 (in- 12, Kalblcderband mit
Wappen des C. U. L. Fevrc de Caumartin Saint-Angc.
[576 Fr.];
Lc Livrc de Iehan ßoeasse (sie). Paris, Verard
1493 (in foL got, fig. s. b., schlecht erhaltener Kalbleder-
band. [1013 Fr.j)
Im Ganzen sind gegen 50000 Fr. erzielt worden.
— m.
Einzelne Preise von der Auktion des zweiten Teils
der Bibliothek Alfred B.'gis iin Hötcl Drouot teilt das
„Bull, du Biblioph." mit. * M. Begis war Mitglied der
„Socicte des Amis des Livres \ und die versteigerten
Werke waren meist besondere, für die Gesellschaft
gedruckten Ausgaben; das erklart die Hohe der An-
gebole für die Neudrucke. Es erzielten u. a.: Merimce
„Chroniquc de Charles IX.", 1876, 600 Fr.; Murger
„Sccnes de la Boheme", 1879, 53° Fr.; Hugo „Les
Orientale*", 1882, 185 Fr. ; Balzac „Eugenie Grandel ',
1883. 631 Fr. ; Voltaire „Zadig- , 1893, W5 Fr. Ferner
die „Galerie des tnodes" 905 Fr.; „I.cs Amours de
Charlot et Toinrtte , 1799, 925 Fr.; , .Theairc de Cam-
pagne", 1767 v mit Wappen der Marie Antoinetle; 1005
Fr.; Kestif„Le Palais royal", 1790, noFr.;Sadc„Crimcs
de l'amour". an VIII (mit Autogramm und einer Zeich-
nung des Verfassers) 1 10 Fr.
Im Hotel Drouot in Paris brachte die Versteigerung
von 75 Wasierbitdern und Zeichnungen von l't'lkien
Rof>s 25000 Fr., darunter Juli 800, die Freundinnen
2000, Wahrheit 480, das Kreuz 2880, Frau mit einem
Hampelmann 1400, Frau mit dem Fernglas 930, Ver-
ehrer in Christi 900, die Andacht des Herrn Roch
(weiland Pariser Scharfrichter) 345 Fr.
Wie man uns aus Ixmdon schreibt, wurden auf
einer Bücherauktion zu Edinburgh in der ersten Februar-
wochc für ein Exemplar der ersten Ausgabe, der so-
genannten Kilmarnock- Ausgabe von Bums' ,,/\>ems"
11675 Marl« gezahlt. Diese erste Auflage von Bums
Gedichten ist im Jahre 17S6 erschienen und bestand
aus nur 600 Exemplaren. Bums' Gedichte wurden vom
Publikum sehr günstig aufgenommen und so populär,
dass diese kleine Auflage bald zu Fetzen zerlesen war.
Das vorliegende Exemplar dürfte das einzige aus der
Kilmarnock- Ausgabe « ohlerhaltcne sein, ein U mstand,
der den enormen Preis, der für das Exemplar erzielt
worden ist und der alle früheren Preise weit hinter sich
lasst, erklärlich macht. Das Büchlein hattei786drei Mark
gekostet, vor dreissig Jahren fand es eine Witwe unter
den Büchern ihres Mannes und offerierte es in der
Zeitung. Ein Herr aus Broughty-Ferry erstand das
Exemplar für 170 Mark, um es 1880 für 1200 Mark an
einen Herrn A. C. Lainb, einen wohlbekannten Biblio-
philen in Dundec, zu verkaufen. Dessen Erbe hat nun>
mehr das Büchlein für die obengenannte Summe an
einen Londoner Bücherüebhabcr abgetreten. Wie J.
C. M. Bellcw in seinem 1884 erschienenen „Poets'
Corner" mitteilt, hat der Dichter aus dieser Auflage
seiner Gedichte 20 $ gelöst, die zweite Auflage, die
bereits 178S auf dem Markte war, brachte ihm bedeutend
mehr ein, nämlich 500 $. —ho.
Im Februar beendete Sothcby in London die vier-
tägige Auktion der Bibliothek von George Skene, die
im XVI I. und XVIII. Jahrhundert angelegt worden war.
Die Sammlung bestand im Ganzen aus 1058 Nummern,
die 26550 Mk. erzielten. Ein defektes Exemplar der
ersten Ausgabe von „The Bishop'sBiblc", 1568 von Jugge
gedruckt, brachte 165 Mk.; dieselbe, bei Buck 1638 in
Cambridge hergestellt, 185 Mk.(Sothcran); Sir W.Hopes
„New Short and easy Method of Fencing", mit Stichen,
i7°7 gedruckt, 155 Mk. ; B. de Montfaucons „Monu-
ments de la Monarchie Franchise", 1729 -33. 255 Mk.
(Quaritch): „Nuovc Invcntioni di Balli", von Cacsare
Negri, Mailand 1604, wurde mit 155 Mk. bezahlt (Qua
ritchj; „The sealcd Book", 1662. 310 Mk. (Quaritch).
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Chronik- 5 1
Am 2. Februar gelangte bei derselben Firma eine
kleine, aber wertvolle Bibliothek zur Auktion. Er-
wähnenswert war : „Canterbury Tales", R. Pynsons Aus-
gabe von Chaucers Werk, 1493, dessen einziges intaktes
Exemplar sich in der Spencer -Rylands- Sammlung be-
findet. Das hier angebotene Exemplar ist defekt, da
22 Blätter fehlen. Mr. Lcighton erstand dasselbe für
3000 Mk. Im vergangenen Jahre brachte dasselbe
Buch 4000 Mk., während das Exemplar aus der
Ashbumham-Bibliothek 4666 Mk. erreichte. „The Court
of Civill Courtesic", 1591, aus der Heber- Auktion, wo-
selbst es 1830 mit 19 Schillingen bezahlt wurde, kam
hier auf 400 Mk. (Quaritch). Es ist nur noch ein gleiches
Exemplar in der Huth-Bibliothek bekannt. „Englands
Pamassus", 1600, gut erhalten, 510 Mk. (Maggs); Oliver
Goldsmith „The deserted ViUagc", 1770, erste Ausgabe,
160 Mk. (Pcarson); „Histoire de la nouvcllc France",
1618, von Marc Lescarbot, mit 4 Originalkarten, 320 Mk.
(Quaritch); „Margucrites de la Margucritc des Prin-
cesses", Lyon 1547, von Brunet als die seltenste Aus-
gabe beschrieben, 445 Mk. (Ellis"'; John Elliot „The
Gospel amounl the Indiansin New England", 165$, die
seltene Originalausgabc, 430 Mk. (Pearson 1 »; Antonio
Tcmpcstas 20 Originalzeichnungen zu Tassos Jerusalem,
aus der Hamilton -Sammlung, 160 Mk. (Pearson);
Miltons „Paradise lost", schönes Exemplar der ersten
Folioausgabc. 14; Mk. (Sotheran).
Eine Sammlung von Autographen und historischen
Dokumenten, die Sotheby gleichfalls Anfang des Jahres
versteigerte, brachte mutlere Preise. Eine Originalkarte
mit beschreibendem Text von der Hand George
Washingtons, 1750, aus der Zeit, da er die Vermessungen
der Waldungen in Virginicn leitete, kam auf 200 M.
(Tregaskisj ; ein Brief Oliver Cromwells, 1648, an den
Obersten Howlctt, 240 M. (Lindsay) ; ein Brief von
Lord Wcntworth, späteren Lord Strafford, 1635 an den
Grafen Leicester gerichtet, 330 M. (Pearson); ein Brief
von dem Herzog von Marlborough an den Herzog von
Ormonde, 1707, 185 M. (Bolton). Ein lateinischer Brief
von Philipp Melanchthon an Veit Dietrich, 12. Februar
J 539. der bisher nicht publiziert sein soll und interessantes
Material über Luther enthält, erzielte 130 M. (Halle);
ein langer Brief von Laurcncc Sterne, 250 M.; ein Brief
Karl IL, 1653, Paris, an den Prinzen Rupert, 130 M.
(Parker) ; ein Brief des Grafen Clarendon an den Prinzen
Rupert, 1648, aus dem Haag datiert, 198 M. (Barker) ;
ein schöner Brief der Königin Elisabeth, vom 15. Februar
1569, an den Grafen Shrewsbury, 250 M. (Pearson);
ein Brief Ludwig XIV., 1666, an die Königin von Polen,
126 M. (Pearson); ein Brief von William Penn, 1707,
235 M. (Barker); eine Sammlung von Quakcr-Doku-
menten aus dem Ende des XVII. Jahrhunderts, 450 M.
i.l'regaskis) ; ein von Cromwell unterzeichneter Brief,
1655, an die Admiralität gerichtet, 250 M. (Pearson).
Antiquariatsmarkt.
Der hübsch ausgestattete letzte Kunst - Katalog
(Nr. XX) der Firma /. Halle in München umfasst 140
Druckseiten mit den Anzeigen von 1700 Porträts (500
Damen- und 1200 Herrenbildnissc). Jede der beiden
Abteilungen ist alphabetisch geordnet; den Schluss
bildet ein Register der Künstlernamen; 4 Lichtdruck-
tafeln mit 8 Abbildungen sind beigefügt Gleich zu
Anfang finden wir die Reproduktion eines höchst inter-
essanten Blattes, das erste von Ludwig von Siegen zu
Sechten, dem Erfinder der Schabmanier, in dieser
Kunst hergestellte Porträt der Amalie Elisabeth Land-
gräfin von Hessen, geb. Gräfin von Hanau. Nr. 80
bringt ein Porträt der Kaiserin Katharina II. in ganzer
Figur, vor dem Thronsessel stehend, nach dem be-
rühmten Bilde von Rossclin gestochen von Francesco
Bartolozzi; auch verschiedene andere Bildnisse Katha-
rinas sind angezeigt. Ein schönes dekoratives Blatt
ist Nr. 127 „Cornelia and her Children", die Lady Cock-
burn mit ihren drei Kindern darstellend, von Sir
Joshua Reynolds gemalt und von C. Wilkin in Punktier-
manicr ausgeführt. Nach Reymolds ist auch das Porträt
der Georgiana Countess Spencer von Thomas Watson
in Schabkunst ausgeführt (Nr. 447), das Exemplar in
vorzüglichem erstem Abdruck vor der Schrift. Ein
hübsches Damenporträt, ebenfalls in Reproduktion
wiedergegeben, ist das auch kostümlich interessante
Bildnis der Katharine Viscountess Hampden, nach John
Hoppner von J. Young geschabt. Blätter nach J. Hopp-
ncr sind bekanntlich stets gesucht und selten zu finden,
l'nter Nr. 194—199 sind Bildnisse der preusslschen
Prinzessin Friederike Sophie Wilhelmine, Gemahlin
Wilhelms V. von Oranicn, notirt : Nr. 194 nach Hoppner,
Nr. 195 von Valentin Green in Schabmanier ausgeführt.
Nr. 196 und 197 bieten besonderes Interesse; die Prin-
zessin ist auf diesen Blättern nach Männerart zu Pferde
sitzend, „ä l'Amazone", dargestellt. Da die Prinzessin
mehrfach so abgebildet ist, dürfte anzunehmen sein,
dass sie das Pferd stets nach Herrenart bestiegen hat.
Nr. 210a bis 212 bringen seltene Bildnisse von
Eleonora Gwynne, der englischen Schauspielerin und
Geliebten Karls II. Von Nr. 210a ist eine Reproduktion
beigegeben, ein frühes und schönes Schabkunstblatt von
Tompson: Eleonora Gwynne mit ihren beiden Söhnen
in fast ganzer Figur unter einem Baum sitzend. Die
Wiener Schule des XVIII. Jahrhunderts, die in Punktier
kunst und Schabmanicr gleich den Engländern Vorzüg-
liches leistete, ist mit zwei tüchtigen Blättern unter
Nr. 259: Fürstin Lichtenstein geb. Gräfin Manderscheid
und Nr. 465 : Prinzessin Lichnowsky geb. Gräfin Thun
vertreten. Die beiden Blätter sind von Grassi gemalt
und von Pfeiffer in Punktiermanier ausgeführt. Von
Marie Antoinettc finden sich unter Nr. 317 — 3 2 4 einige
sehr schöne Blätter; besonders hervorzuheben ist das
Blatt von J. R. Smith, nach einer Original Kreide-
zeichnung geschabt und 1776 von dem Kupferstecher
und Kunstverlcgcr Jolin Boydell in London heraus-
gegeben. N r. 397 stellt die Tochter des Kosackengcnerals
Platoff dar, nach dem Leben von Paul Svinin Esq. ge-
zeichnet und von J. Godby sc. Die Dame ist in pol-
nischer Tracht und in ganzer Figur dargestellt, darunter
liest man folgende Anmerkung : „The Lady with 50000
Crowns to her fortune, offered as a reward for bringing
in Bonapartc, dcad or alive." Nr. 1390 und 1392
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52
(. hromk.
bezeichnen Ii Lidnisse des Vaters, von welchen die Nr. 1 390,
der General zu Pferde, bemerkenswert ist, ein herr-
liches Schabkunstblatt in Grossfolio, nach T. Phillips
Gemälde von William Ward ausgeführt, in erstem
Zustande mit offener Schrift und unbeschnittenem Kande.
Den Kupferstecher Francesco Bartolozzi finden wir
unter vielen andern Blättern mit einem von ihm selbst
gezeichneten und gestochenen prachtigen Damcnbildnis
in ganzer Figur, in Punktiermanier ausgeführt, vertreten;
es ist in einem „Opcn letter proof" und in einem gewöhn-
lichen Abdruck vorhanden. Den Schluss der Abteilung
„Damenbildnissc" bildet das Werk von Sir Thomas
Lawrence „50 Splendid Mezzoünt Portrait* of the
choicest works of this eminent Artist", London (1836 —
1845), cm herrliches Porträtwerk in Schabmanier, von
den besten Künstlern der Zeit ausgeführt.
Die zweite Abteilung, „Herrenbildnisse", enthält
ebenfalls eine Reihe sehr interessanter Stücke, doch
gestattet der Raum nicht, auf die Einzelheiten naher
einzugchen. Wir verweisen nur noch auf die vier
Reproduktionen dieser Abteilung: Nr. 1002, Heinrich III.,
König von Frankreich, ein seltener italienischer Stich ;
Nr. 1007, Heinrich IV. von Frankreich zu Pferde, von
Ren. Elstrake, dem englischen Stecher, in Linienmanier
ausgeführt (Wie N agier im Künstlcrlexikon bemerkt,
sind dessen Arbeiten gleichfalls von grösster Seltenheit)
Von Hermann Graf L'Estocq, Leibarzt und Günstling
der Kaiserin Elisabeth I., nodert der Kaulog ein Schab-
kunstblatt von J. Stcnglin nach dem Gemälde von
Grooth. Der Graf ist in reichem Kostüm dargestellt,
auf der Brust das Bildnis der Kaiserin tragend. Nr.
1386 endlich zeigt uns das Bildnis des Majors General
Phillips, eines englischen Generals in Nordamerika, ein
seltenes Schabkunstblatt nach dem Gemälde von Cotes,
von Valentin Green ausgeführt.
Der Katalog ohne Illustrationen wird umsonst und
der mit den 8 Reproduktionen für 1 Mk. Interessenten
zur Verfügung gestellt D. V.
Kleine Notizen.
Deutschland.
Unter dem Titel „Bilder aus Alt Stuttgart' , ge-
sammelt von M. Bach und C. Lolier, hat der Verlag von
Robert Lutz in Stuttgart, der »ich speciell der schwä-
bischen Dichtung in warmer und opferwilliger Weise
annimmt, ein nicht genug zu empfelüendes Werk ge-
schaffen. Wir glauben schon, was in der Vorrede gesagt
wird: dass es unendlich viel Zeit und gewaltige Mühe
gekostet hat, die Vorlagen für das reiche Illustrations-
inaterial zu schaffen, das das Buch schmückt. Der
Sauttersche Prospekt von Stuttgart gehört heute zu den
nur noch schwer auffindbaren Seltenheiten, und ähnlich
verhält es sich mit manchem anderem Bilde der in dem
Werke niedergelegten Sammlung. Die Anordnung des
Textes ist nur zu loben. Max Bach hat auf Grund der
besten Quellen die Schilderung der Altstadt und ihrer
bedeutendsten Baulichkeiten — Schloss, Lusthaus, Rat-
und Herrenhaus, die Klostcrhöfc, die Kirchen und
Vorstädte — geliefert Daran schliefst sich eine, auf
eingehenden archivalischen Studien basierende Em-
wickelungsgeschichte der Bauthätigkeit unter König
Friedrich und eine Sammlung von Studien zur älteren
Topographie und Geschichte Stuttgarts. Wir erwähnen
aus diesen Bachs interessante Skizzen über die ältesten
Abbildungen und Plane der württembergischen Haupt-
stadt und Barths Geschichte der Stuttgart er Wirtshäuser.
Dass die Schilderungen nicht lehrhaft trocken gehalten,
sondern frisch und anregend geschrieben sind erhohl
den Wert des Buclis. —f.
Noch nachträglich geht uns der Katalog der letzten
Kunstausstellung im Kaiser Wilhelm Museum zu Kre-
feld zu. Das äussere Titelblatt schmückt eine wunder-
schöne Zeichnung von O. Eck mann, ein Kranz von
Kornblumen, der das aus den Buchstaben K W M ge-
bildete Monogramm umrahmt. Auch die Rückseite des
Umschlags trägt eine Vignette von Eckmanns Hand:
eine aufblühende Kornblume auf dunklem Grunde.
F. Hcndrikson in Kopenhagen hat die Ausführung
übernommen. Vortrefflich sind die Lichtbilder der
Gemälde, nach Aufnahmen von Otto Scharf in Krefeld
von Studdcrs 5: Kohl in Leipzig ausgeführt. — g.
Im Verlage von J. A. Stargardt in Berlin erschien
der zweite Band der „Geschichte der rheinischen Städte-
kultur" von Heinrich Boos, illustriert von Joseph Sattler,
und bei Eugen Dicderichs in Florenz und Leipzig „Die
deutsche Revolution /^J/yp" von Hans Blum, mit zahl-
reichen authentischen Facsitnilebeilagen, Karikaturen,
Portrats und Illustrationen. Auf beide Werke, die im
nächsten Hefte näher gewürdigt werden sollen, sei
heute nur hingewiesen.
Der vierte Band der ..Monographien zur Welt-
geschichte' (Vclhagcn & Klasing, Bielefeld und Leipzig)
bringt eine umfangreiche, mit 228 Illustrationen und
14 Kunstbcilagcn geschmückte Darstellung des Lebens
und Wirkens Bismarcks von Professor Dr. Eduard
lleyck. Der stattliche Band kostet nur 4 M., die Lieb-
haberausgabe 20 M.
Auch Berlin hat nunmehr seine .Jugend." Unter
dem Titel „Das NarrenschiJP' erscheint seit Beginn
des Jahres eine „Wochenschrift für fröhliche Kunst,"
die manches Hübsche und Gelungene bringt. Aber
die allzu sklavische Anlehnung an das Münchener Vor-
bild hätte sich wohl vermeiden lassen.
In alten Akten der württembergischen Regierung
hat man das Adelsdiplom gefunden, durch welches am
7. September 1802 der Römische Kaiser Franz II. auf
den Wunsch des Herzogs zu Sachsen • Weimar dem
Dichter Johann Christoph Friedrich Schiller den Adel
verliehen hat. Der „Staats-Anzeiger für Württemberg"
veröffentlicht in besonderer Beilage das Aktenstück im
Wortlaut; dasselbe ist besonders darum von Interesse
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Chronik.
5.5
weil darin im damaligenKurialstil die ('.runde, die .Schiller
einer solchen Ehrung würdig machen, gar nicht übel auf-
gezahlt sind. Der betreffende Passus lautet: „Obwohl
die Höhe der römisch-kaiserlichen Würde, in welche der
allmächtige Hott Uns nach seiner väterlichen Vorsehung
geseut hat, vorhin mit vielen herrlichen und adeligen
Geschlechtern und Unterthancn genieret ist; so sind
Wir doch mehrers geneigt, derjenigen Namen und
Geschlechter, welche vortreffliche Sitten und Thatcn
auszuüben sich bestreben, in höhere Ehre und Würde
zu setzen, und mit Unseren kaiserlichen Gnaden zu
bedenken, damit noch andere durch dergleichen milde
Belohnungen rühmlicher Eigenschaften zur Nachfolge
guten Verhaltens und Ausübung adeliger und löblicher
Thaten gleichfalls bewogen und aufgemuntert werden.
Wenn Uns nun allcrunterthänigst vorgetragen worden
ist, dass der rühmlichst bekannte Gelehrte und Schrift-
steller Johann Christoph Fridrich Schiller, von ehr-
samen teutschen Voreltern abstamme, wie dann sein
Vater als Offizier in herzoglich Würtembcrgischcn
Diensten angestellt war, auch im siebenjährigen Krieg
unter den deutschen Reichstruppen gefochten hat, und
als Obrist Wachtmeister gestorben ist ; er selbst aber
in der Militärakademie zu Stuttgart seine wissenschaft-
liche Bildung erhalten, und als er zum ordentlichen
öffentlichen Lehrer auf der Akademie zu Jena berufen
worden, mit allgemeinem und seltenem Bcyfalle Vor-
lesungen, besonders über die Geschichte, gehalten habe;
ferner dass seine historischen sowohl ab die in den
Umfang der schönen Wissenschaften gehörigenSchiiftcn
in der gelehrten Welt mit gleichem ungctheiltem Wohl-
gefallen aufgenommen worden seyn, und unter diesen
besonders seine vortreffliche Gedichte, selbst dem
Geiste der deutschen Sprache einen neuen Schwung
gegeben hätten ; auch im Auslande würden seincTalcnte
hoch geschätzt; so dass er von mehreren ausländischen
Gelehrten-Gesellschaften als Ehrenmitglied aufgenom-
men scy; seit einigen Jahren aber, als herzoglich säch-
sischer Hofrath, und mit einer Gattin aus einem guten
adeligen Hause verchlicht, sich in der Residenz Seiner
des Herzogs zu Sachsen- Weimar Liebden aufhalte, es
auch der lebhafte Wunsch Seiner Liebden sey, dass
gedachter Hofrat sowohl wegen dessen in ganz Deutsch-
land und im Auslände anerkannten ausgezeichneten
Rufes, als auch sonst in verschiedenen auf die Gesell-
schaft, in welcher derselbe lebe, sich beziehenden Rück-
sichten noch eine persönliche Ehrenauszeichnung
gerücssC; Wir daher gnädigst geruhen möchten, den-
selben sammt seinen ehelichen Nachkommen in des
heiligen römischen Reichs Adclstand mildest zu erheben,
welche allerhöchste Gnade er lebenslang mit tief-
schuldigstem Danke verehren werde, welches derselbe
auch wohl thun kann, mag und soll." Es wird dann in
langen Sätzen dieses Adclsrecht dargethan und um-
schrieben, auch ein Wappen mit genauer Beschreibung
und Abbildung verliehen: „als einen von Gold und
Blau quergethcilten Schild mit einem wachsenden natür-
lichen weisen Einhome in der oberen und einem
goldenen Querstreifen in der unteren Hälfte; auf dem
Schilde ruht rechtsgekehrt ein — mit einem natürlichen
Lorbcrkranzc geschmückter, goldgekrönter frei adeliger,
offener, blau angeloffener und rothgefütterter, mit gol-
denem Halsschmucke und blau und goldener Decke
behängter Turnierhclm, auf dessen Krone das im Schild
beschriebene Einhorn wiederholt erscheint." Dieses
Wappen darf der geadelte Dichter und seine Nach-
kommen „in Streiten, Siünnen, Schlachten, Kämpfen und
Turnieren, Gcstechcn, Gefechten, Kitterspielcn" u. s. w,
gebrauchen. Unterzeicluiet ist der Adelsbrief vom Kaiser
Franz und gegengezeichnet vom Fürsten zu Colloredo-
Mannsfcld.
In der „Deutschen Revue" veröffentlicht Alf. Chr.
Kalischer eine Anzahl bisher ungedrucktrr Briefe
Beethovens an den kaiserlichen Hofsekretär N. v. Zmes-
kall in Wien. Aus ihnen erfährt man, dass der grosse
Komponist zu denjenigen Künstlern gehört, die sich
voll Interesse mit dem Problem der Flugmaschine be-
schäftigt haben. Allerdings geschah das bei Beethoven
mehr als eifriger Zuschauer, denn als selbstthätigcr
Erfinder. In jenem Briefwechsel ist nämlich wiederholt
von den „Degenschen Ausflügen" die Rede, denen der
Meister während eines Sommeraufcnthaltcs in Baden
bei Wien gehuldigt hat. Diese Ausflüge beziehen sich *
auf die Flugversuche des damals Aufsehen erregenden
Luftschiffers Jakob Degen. Der Mann dieses Namens
war ein Schweizer, 1756 im Kanton Basel geboren.
Als 10 jähriger Knabe war er mit seinem Vater
nach Wien gekommen, wo er als Mechaniker und
Werkmeister arbeitete, nachdem er ursprünglich die
Uhrmacherei erlernt hatte. Er erfand dann eine Flug-
maschinc, mit der er seit 1808 in Wien Versuche
anstellte. Im Jahre 1813 liess er sein aeronautisches
Licht in Paris leuchten, doch ohne besonderen Erfolg.
1820 erfand Degen in Wien den Doppcldruck für Wert-
papiere und ward infolgedessen Beamter der National-
bank. Er starb 1848 im Alter von 92 Jahren. Die
Freude Beethovens an Jakob Degens Klugversuchen
geht aus seinen Mitteilungen und Andeutungen in den
Briefen an Zmcskall deutlich hervor.
Aus dem letzten Berichte der Berliner IJtteratur
archhgesellsc/utft ist zu entnehmen, dass das Archiv
bereits nahezu 12000 Briefe und etwa 500 grossere Hand-
schriften besitzt. Im Jahre 1897 wurden u. a. Briefe von
Charlotte Schiller und Amalie Imhoff an Fritz v. Stein,
desgleichen die für die Goethe-Forschung hochinteres-
santen Briefe von J. G. Zimmermann an Frau v. Stein
erworben. Diese sind im Auszuge in dem letzten Hefte
der Mitteilungen aus dem Litteraturarchiv veröffentlicht
worden. Durch die Überweisung der Notizbücher
Johann Gottfried Schadows seitens der Erbin gelangte
die Gesellschaft in den Besitz eines für eine Biographic
Schadows unentbehrlichen Materials. Die tagebuch-
artigen Notizen des grossen Meisters umfassen die Jahre
1804 bis 1853.
Österreich-Ungarn.
Es ist kein schlechtes Zeichen der Zeit , dass die
Kumtzeitschriften allerwärts wie die Pilze empor-
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schiessen. Es weht ein Frühlingswind, und wenn als
wärmender Sonnenschein auch die Gunst des Publi-
kums nicht ausbleibt, können wir uns im Interesse
kräftigen Vorwärtsschrcitcns auf dem weiten Felde
fröhlicher Kunst nur gratulieren. Unter dem sonnigen
Namen „Ver sacrum" hat die Vereinigung bildender
Künstler Österreichs sich ein besonderes Organ ge-
schaffen, das in schön ausgestatteten Monatsheften zum
Jahresabonnement von 12 Kronen oder 10 Mark bei
Cerlach & Schenk in Wien erscheint. Das erste Heft
verspricht viel. Max Burkhard, dem sein Rücktritt
vom Direktionsposten des Burgtheaters Zeit giebt, sich
wieder mehr seinen litterarischen und künstlerischen
Neigungen zu widmen, leitet das Unternehmen mit
einem poetisch gestimmten Vorwort ein. Dann folgt
ein Artikel über die Ziele des Blattes. „Das Kunst-
empfinden unserer Zeit zu wecken , anzuregen und zu
verbreiten, ist unser Ziel, ist der Hauptgrund, weshalb
wir eine Zeilschrift herausgeben". . . . //ermann Bahr,
der nicht fehlen darf, spricht über die Sezessionsgruppc
der österreichischen Künstler in seinem immer an-
regenden Plauderton und charakterisiert das Streben
der „Vereinigung" unter Degenfuchteln wider die
„Genossenschaft". Die Wiener Sezession stehe auf
anderem Hoden als die in München und Paris. Hier
handele es sich nicht darum, neben die alte Kunst eine
neue zu stellen, für und gegen die Tradition zu streiten,
sondern um die einfache Frage: Geschäft oder Kunst?
Die Wiener Sezession ist also gewissermassen ein agi-
tatorischerVerein, kriegführend gegen das Fabrikanten-
tum in der landsässigen Kunst. Wunderhübsch erzählt
Ludwig Hevtsi vom alten jungen Rudolf Alt Eine
Chronik der Ausstellungen schlicsst das erste Heft ab.
Schon im Format — 28'/i zu 30 cm — betont die Zeit-
schrift, dass sie etwas Besonderes will, und auch in
dem Bilderreichtum der Numero Kins tritt kräftig,
„agitatorisch" sagt liahr , ihre Eigenart hervor. Sehr
fein ist die Aklsludie Jos. Engclharts auf der ersten
Seite; ein guter zeichnerischer Scherz von Gustav Klimt
beweist, dass man in der Sezession auch lachen will.
Der Entwurf J. Malczewskis für den „Polnischen Pe-
gasus" zeigt originelle Prägung, Gcdankcninhalt und
bei aller Flüchtigkeit der Skizzierung die sauberste
Korrektheit. Ganz famos ist der .dekorative Fleck"
Kolo Mosers, ein weisses Mädchengesicht mit roten
Lippen und rotem Haar, ein paar lichtgriinc Blätter
in diesem. Charakteristisch hat K. Bacher das Porträt
des grossen Perspcktivikcrs Rudolf Alt entworfen, von
dem eine prächtige Zeichnung des Stephansplatzcs bei-
gefügt ist. Dem „Frühlingstreibcn" von Maxiin. Lenz
fehlt es an Klarheit und Körperlichkeit; gut ist das
vorderste, auf den Beschauer zustürmende Mädchen
in seiner nicht leichten Verkürzung gezeichnet, über
das ganze Heft ist eine fast überreiche Anzahl von
Zierstücktn ausgestreut, zum Teil ganz entzückende
Sächclchcn, wie das Kömerpaar von J. V. Krämer, die
Blumenranken Mosers und der Jos. HolTmannschc
Buchschmuck. Adolf Böhms „Bach der Thronen'' soll
vielleicht eine Konzcssion an die Radikalen sein. Es
ist eine böse Schmiererei; die Figuren verzeichnet, das
Ganze nicht einmal dekorativ wirksam. Aber ob des
vielen Guten verzeiht man den Herausgebern gerne
diese Geschmacklosigkeit. Jedenfalls kann man dem
„Heiligen Frühling" eine üppige Sommcrrcife wünschen.
-f.
Wie die Berliner Nationalgalerie unter Herrn von
Tschudi, so scheint auch das Wiener Museum für Kunst
und Industrie unter der Leitung seines neuen Direktors,
des Hofrats von Scala, einer besseren Zukunft entgegen
zu gehen. Es hat sich in den bei Artaria & Co. in
Wien erscheinenden Monatsheften „Kunst und Kunst-
handwert' (jährlich 12 Fl. = 20 M.} nunmehr auch
ein eigenes Organ geschaffen, dessen erste, sehr statt-
liche Doppelnummcr uns vorliegt. Ein köstliches Ka-
lendarium von Lefflers Hand, derselben, die Andersens
..Prinzessin und Schweinehirt" so wundervoll illustrierte,
leitet das Buch ein; LetTler kann Hermann Vogel zur
Seite gestellt werden, was Humor, Poesie und prächtige
Schilderung betrifft; er überragt ihn aber in der Har-
monie der Farbengebung. Der Eismonat bringt — nicht
ganz chronologisch — die heiligen drei Könige und
den Stern von Bethlehem, der Hornung eine Huldigung
des kaiserlichen Geburtstagskindes ohne eine Spur
von Liebedienerei. Die kleinen, das Kalenderblatt um-
rahmenden Felder sind von grösster Feinheit. Der
Burg des Grafen Wilzcek in der Nähe von Wien,
Kreuzenstein mit Namen, widmet Camilla Sitte einen
mit anschaulichen Illustrationen versehenen Artikel; die
genaue Abbildung der Pfaffcnstube mit ihrer Bücherei
dürfte unsere Leser besonders interessieren. //. A".
von Berlepsch sucht Felician von Myrbach, den Viel-
unterschätzten, in einer längeren Arbeit dem Publikum
näher zu bringen, von charakteristischen Studienblättetn,
unter denen besonders die Wälle von Chester hervor-
zuheben sind, unterstützt. Über die englischen Möbel
seit Heinrich XII. plaudert Mr. Hungerford Pollen sehr
fesselnd, während Lacher in Graz sich den Weizersaal
des dortigen Museums zum Thema gewählt hat. Eine
allgemeine Übersicht des Wiener Kunstlrbens hat
l/evesit bewährte Feder beigesteuert. Reizvolle Einzcl-
illustrationcn, Interieurs, Vasen und anderes sind in
die Rubrik der kleineren Nachrichten eingestreut. Ein
kurzer bibliographischer Anhang über die „Litteratur
des Kunstgewerbes" ist eine froh zu begrüssende
Neuerung. Auch diese Zeitschrift, auf die wir in ge
legentlichen Besprechungen zurückkommen werden, ist
ein Beweis für das frische Aufblühen deutscher Kunst
in den Donaulanden. —f.
Belgien.
Der 1897er Jahrgang von „De l'/aamse Schoo!"
[Antwerpen, J. E. Buschmann) wurde uns in geschmack-
vollem Leinenband zugesandt. Es ist eine Freude,
beim Durchblättern dieses Bandes feststellen zu
können, welche starke Wurzeln der germanische Geist
im vlämischen Kunstleben geschlagen hat. Freilich
ist es kein Wunder, da der Leiter des Blattes. Pol de
Mont, selbst ein begeisterter Deutscher ist, dessen Ein-
fluss man Seite für Seite zu spüren meint. So findet
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Chronik. 55
man unter den litterarischen Beitragen neben Kooses,
Gczclle, Mcijere, Kmanis. Koster auch Namen aus un-
serem jüngeren Bekanntenkreis: Bierbaum, Flaischlcn,
Holz, Klaus Groth, Meier-Graefe, Kalke u. a. Die künst-
lerische Ausstattung der Zeitschrift ist vornehm, ohne
prunkhaft zu sein. A. Baertsoen, Jan van Bcers (u. a.
mit einem prächtigen Porträt Racheforts), Axel Galten
Kallcia, Willem Linnig jun., A. von Neste, Karel Doudelet
und der Worpswedcr Vogelcr sind illustrativ am meisten
vertreten. — f.
England.
Mr. S. A. Strong, der Bibliothekar des Hauses der
Lords, hat in dem Februarheft von „Longman's Maga-
zine" einen Beitrag geliefert, der Mitteilungen aus den
Papieren des Herzogs von Dcvonshire enthält, darunter
a ich Originalbriefe von Thaekeray und Dickens an den
damaligen Herzog vonDcvonshirc, die bisher unbekannt
waren. Letzterer bittet Thaekeray um einige Aufschlüsse
über die Modelle zu den handelnden Personen in
„Vanity Fair". In dem Antwortschreiben spricht sich
der Autor, meiner Ansicht nach, nicht sehr klar über
den Gegenstand aus, ja es finden sich sogar Wider-
sprüche in demselben, namentlich was „Lady Crawlcy"
(Becky Sharp) betrifft. Es scheint mir fast, dass
Thaekeray absichtlich in diesen Briefen irreleitende Be-
merkungen unterfliessen lässt. — s.
Bei Kegan Paul & Co. erschien ,./•". IV. Finshams
Artist and F.ngravers of British and American Book-
Plates." Dies mühsam abgefasstc Nachschlagewerk
enthält auch eine alphabetische Liste der Namen von
einigen hundert Kupferstechern und den von ihrer Hand
geschaffcn?n Bucherzeichen. — s.
Ein zur Beurteilung Tennysons dienender und bis-
her in Deutschland nicht publizierter Brief an die
Schriftstellerin Miss Marie Corelli lautet : „Liebe Madam ;
ich danke Ihnen herzlichst für Ihren freundlichen Brief
und für die Gabe von .Ardath , ein hervorragendes
Werk von machtvoller Gestaltung. Nach meiner An-
sicht thun Sic wohl daran, nicht nach Ruhm zu fragen.
Der moderne Ruhm erweist sich nur zu oft als eine
Dornenkrone, die Grobheit und die Plattheit der Welt
auf uns häuft. Mitunter wünsche ich, dass ich niemals
eine Zeile geschrieben hatte. Ihr Tcnnysan." —z.
Über die auch von uns mehrfach erwähnten neu
aufgefundenen Dicktungen des griechischen Lyrikers
Bakchylidcs bringt die Frankfurter Zeitung einen längeren
Aufsatz, dem wir folgende Einzelheiten entnehmen:
Der Papyrus, der nach der Schrift auf die Mitte des
ersten vorchristlichen Jahrhunderts zurückdatiert wird,
enthält 20 mehr oder weniger vollständige Gedichte.
Es sind 14 Epinikicn, Siegergedichte von der Art der
Pindarischcn Oden auf Sieger in Wettspielen, auf Lands-
leutc des Dhhters, auf Hicron von Syrakus, den Patron
des Bakchylidcs, und auf andere. Teilweise sind die-
selben Siege besungen wie in Pindars Siegergesängen.
Die anderen erhaltenen sechs Lieder sind Päane, Hym-
nen, Dithyramben, darunter ein Z wiegesang; sieerw eitern
zweifellos unsere Kenntnis der griechischen Poesie-
formen. Nicht Pindars gewaltige Grösse, die sich zu-
weilen auch in einer gewissen Dunkelheit ergeht, finden
wir in Bakchylidcs; eine mehr konventionelle Feinheit
gegenüber Pindars Individualismus ist ihr Charakte-
ristikum. Dabei eine Freude an der Natur, die sich
in malerischen Schilderungen und Vergleichen äussert.
„Des Sonnenstrahls Glanz hinter der Sturmwolke
Düsterheit" sehen die Trojaner, als Achilleus wegen
Briseis nicht zum Kampfe zieht. Wie auch die
griechische Sagen- und Mythologie-Kenntnis durch den
Neufund bereichert und manches daraus aufgeklärt
wird, zeigt die 17. Ode. Pausanius und Hyginus
(ersierer bei Schilderung der Gemälde des Mikon an
den Wänden des Thcscums) erzählen, wie Minos, als er
die 14 Jünglinge und Jungfrauen als Opfer für den
Minotaurus nach Kreta holte, mit Theseus in Streit
geraten sei wegen einer Jungfrau Namens Eriboca
(Pausanias hat Pcriboca\ Der Streit um die Jungfrau
ward zum Streit über die göttliche Herkunft zwischen
dein Zeus-Sohne und Theseus, dem Sohne Poseidons.
Minos rief den Donner und Blitz seines göttlichen
Vaters mit Erfolg als Zeugen herbei und verlangte
von Theseus, dass er einen Ring aus der Tiefe des
Meeres hervorhole als Beweis dafür, dass Poseidon sein
Vater sei. Auf der berühmten Vase des Klitias und
Ergotimus, der sogenannten Franqois Vase in Florenz,
einem der merkwürdigsten Stucke der Florentiner
Sammlung, ist auch diese Scene dargestellt Aber
man wusstc die Malerei nicht recht zu erklären. Noch
der treffliche Führer durch die Antiken von Florenz
von Halter Amelung (München, Bruckmann 1897)
schreibt über die Scene auf der l'rancois Vase : „Die
Schiffsmannschaft ist in lebhafter Erregung, der Steuer-
mann hat staunend die Hand erhoben, ein anderer
streckt im hellsten Jubel beide Arme in die Luft,
andere scheinen ebenfalls aussteigen zu wollen und
einer, der es gar nicht hat erwarten können, schwimmt
ans Land." Aber so ist es nicht, es ist Theseus, der
mit dem Ring des Minos aus der Tiefe aus seines
Vaters Reich aufgetaucht ist. Bei Bakchylidcs lautet
die Stelle: „Es zitterte der athenischen Jugend ganze
Schar, als der Held ins Meer sprang; — Aus den
Augen floss die Thränc, tragen mussten sie die schwere
Not. Doch — rasch trugen mccrbcwohncnde Delphine
Theseus in des rossclenkenden Vaters - herrliche Be-
hausung. Jetzt ritt er hier zum Paläste der Götter.
Wir erschraken, — als des schätzercichen Nereus
Tochter vor ihm auftauchten. Von ihren lieblichen —
Gestalten ging ein Glanz aus wie der des Feuers, um
ihre Haare wanden sich - goldgcflochtcnc Binden.
Mit ihren thautropfenden Füssen ergötzten sie das —
Herz im Reigen. Und Theseus sah des Vaters ge-
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Chronik.
liebte Gattin, die liebliche, — grossäugige Amphitrite
im herrlichen Paläste, die ihm den glänzenden Ring —
reichte (oder einen Purpurmantel, hier ist die StcUe
verderbt) und den goldenen — Kranz aufs Haupt setzte,
den ihr einst Aphrodite zur Hochzeit geschenkt hatte. —
Nichts, was die Götter wollen, ist unglaublich für den
Mann von Gefühl und Sinn. — Jetzt erscheint Thcseus
wieder an dcsSchifFcs scharf die Wogen durchschneiden-
dem — Vorderteil. Wie schwanden da des Minos
Siegcsgcdankcn, als der Held, ein — Wunder für alle
zu schauen, unbenetzt auftaucht aus dem Salzmeere!
Glanz — ging aus von der Götter Geschenken, die er
an den Fingern trug als Schmuck; es — jauchzen die
Mädchen, es schallt das Weltmeer und die Jünglinge
sangen den — Päan mit lieblichen Stimmen " Auch
über die Krösus- und Kyrussage breitet Bakchylidcs
ein neues Licht. Nicht Kyrus lässt den besiegten
Lyderkönig auf den Scheiterhaufen sieigen: freiwillig
will der besiegte König sich selbst mit Kindern und
Schätzen dem Klammentode weihen; doch Zeus löscht
die Flammen durch Sturm, und Apollo entrückt den
König wegen seiner Frömmigkeit als den Wohlihäter
Delphis mit seinen Kindern zu den Hyperboräcrn.
Und wieder singt der gläubige Dichter wie in dem
Theseus-Wunder: „Nichts ist unglaubwürdig, was der
Götter Vorsorge schafft." (III, 51). Herodots all-
gemein bekannte Erzählung von Krösus und Kyrus ist
nach Bakchylidcs niedergeschrieben.
Italien.
Wir haben zur Zeit freudig die erste ins Leben
getretene bibliographische Vereinigung Italiens begrüsst
und auch bereits kurze Auszüge aus ihren Statuten
gebracht. Heute liegen uns die vollständigen Akten
der ersten Zusammenkunft der „SocictA bihliografica
ifaliana" vor, aus denen, wir noch folgendes entnehmen :
Am 23. September 1897 eröffnete der Präsident
Fumagalli die erste Sitzung; der Verein zählte 1. Z.
258 Mitglieder, Bibliothekare , Autoren, Buchhändler
und Amateure. Gluckw ünsche und Geschenke liefen
von vielen Seiten ein; u. a. ein ..Saggio d'una Biblio-
grafia marittima italiana" von Prof. Calani aus Korn.
Die privaten Sitzungen des 23. und 24. vergehen zum
Teil unter Diskussionen über Siatutenangelegenheiten,
sowie über Gefängnisbibliothekcn. Die öffentlichen
Sitzungen, die am gleichen Tage und am 25. statt-
fanden, brachten Berichte über die 11. internationale
Buchhändlerkonferenz in London, über das universale
bibliographische Kcpertorium und das Dezimalklassi-
fikationssystem Deweys und über den Plan eines bio-
bibliographischen Diktionärs sämtlicher italienischer
Schriftsteller bis zum Jahr 1900. Fumagalli schloss den
ersten Tag mit einer sehr interessanten Rede, die
bequemere Neuordnung öffendicher Bibliotheken be-
treffend
Den Mitgliedern und Gästen dieser ersten Zusammen-
kunft wurden schöne, auf Handpresskartons in rot und
schwarz mit gotischen Buchstaben gedruckte Erinne-
rungsblätter überreicht, die Luca Beltrami mit dem
geschmackvollen Zeichen der Gesellschaft in rot und
gold geschmückt hatte. Die Zeichnung stellt ein ge-
öffnetes Buch mit dem Motto: Qui seit ubi sit scientia
sapienti est proximus dar, neben dem eine antike
Lampe strahlt. Darüber steht: „Socicta bibliografica
italiana" und ein Rundband enthält die Namen der
12 berühmtesten italienischen Biographen. Ausserdem
verteilten einzelne Mitglieder Festschriften, so Bertarclli
eine herrlich illustrierte Abhandlung übcrEx-Libris und
Calani sein „Saggio di una bibliografia marittima
italiana". Die Druckertintenfabrik Lorilleux widmete
phototypischc Blätter, den Manzoni Saal in der Brcra-
bibliothck darstellend, bei Bassani in Mailand nach
einer Photographie Dubrays ausgeführt, und durch
Prof. Bassi mit illustrierendem Text versehen — rn.
Frankreich.
Seinem interessanten Werk über Affichen lasst
Uon Maillard jetzt „Lex Menüs el Programmes illu-
stres" vom XVII. Jahrhundert bis zum heutigen Tage
folgen. Das Buch ist auf Velin du Marais bei Lahure
gedruckt und in der Libraire Artistique G. Boudct,
Editeur et Libr. Ch. Tallandier, erschienen. Von den
1050 Exemplaren der Auflage sind je 25 auf Japan
und China abgezogen worden. Mucha hat den Um-
schlag illustriert. Das Werk ist so interessant, dass
wir es noch näher besprechen werden.
Die letzte Schöpfung des nunmehr verstorbenen
Verlegers L. Conquet ist Longus Dnphnis et Clüot' in
der Courricrschen Übersetzung gewesen. Paul Avril
lieferte die zierlichen Gravierungen, KapitclanfänKe und
Schlüsse zu dem auf feinstem Velin du Marais ge-
druckten Oktavbändchen, von dem nur eine geringe
Anzahl Abzüge hergestellt wurde. Courricr fand in der
Florentiner Bibliothek das Original des Schäfergedichtes,
deshalb zog auch Conquet seine Übertragung der
Amyotscrhen C • > 59]) vor. Eine der ersten Ausgaben der
Pastorale erschien bei Quillan in Paris, mit Zeichnungen
Rcgcnts, von Audran graviert, und hat vielfach hohe
Preise erzielt. 18» erschien eine Ausgabe bei Didol,
von Prud'hon und Gcrard illustriert, dann 1872 bei
Jonaust, 1878 bei Quantin, 1890 bei Launeue. — m.
.V.t, hJt-iu-i verbstm. — Alk AWite t\>rl:*h.i!t,-n.
l-'ur rlic Redaktion verantwortlich: Ffdor von Zabeltitz in Herlin.
Alle Sendungen redaktioneller N.n-.ir .111 <ie<ien Adreuc : Iterlin W. Auj<t>ur5er*tri*ie 61 erbrten.
Gedruckt van \V. Drugulin in I.eiprig fi:r YeHujen & K!u«iltj ir. llielefelil und J.etpr:£. — Pilptcr der Neuen Papier-
Manufaktur in Str*»«Ui.r£ 1. L.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
a. Jahrgang 1898/99. Heft 2: Mai 1898.
Mittelalterliche und neuere Lesezeichen.
Von
Dr. R. Forrer in Strassburg i. E.
|selsohren nennt man gemeinhin
jene die- Bücher so verunstal-
tenden umgebogenen Blatt-
ecken, welche dazu dienen
sollen, Seiten mit besonders
interessanten Textstellen oder
jene Seite eines Buches, bei welcher man in
der Lektüre stehen geblieben ist, zu markieren,
um sie beim Nachschlagen ohne langes Suchen
rasch wiederzufinden. Gut erzogene Leute
wenden derlei Gedächtnisnachhclfer, die an
den „Knoten im Schnupftuche" erinnern, nicht
oder wenigstens nicht bei besseren Büchern
an, sondern benutzen für diesen Zweck das
sogenannte Buch- oder Lesezeichen
(englisch the bookmark), nicht
zu verwechseln natürlich mit dem
verwandt klingenden „Bibliotheks-
zeichen" oder „Ex-Libris", das
man gelegentlich auch als „Bücher-
zeichen" verdeutscht sieht, damit
aber leicht Begriffsverwechselun-
gen herbeiführt. Also nicht um
die mehr oder minder kunstreich
ausgeführten Bücher- oder besser
und deutlicher gesagt Bibliotheks-
zeichen handelt es sich hier,
sondern um Signete, welche dazu
dienen sollen, in Büchern Seiten
mit interessanten Abbildungen
Z. f. B. 98/99-
Alib. t. Mittelalterliche! Buch
oder wichtigen Textstellen zu markieren, oder
jene Seite zu bezeichnen, bei welcher man die
Lektüre wieder aufzunehmen wünscht Das Bi-
bliothekszeichen, als das Zeichen des Besitzes
resp. der Zugehörigkeit, sitzt angeklebt im vor-
deren Buchdeckel, das Leseseichen dagegen ist
beweglich und hervorgegangen aus dem Be-
dürfnis der mittelalterlichen Chorsänger, die ein-
zelnen öfters gebrauchten Gesänge in den Anti-
phonarien ohne langes Suchen rasch zu finden.
Um die betreffenden Seiten zu bezeichnen,
schnitt man sich lange schmale Pergament-
streifen oder bediente sich zu demselben Zwecke
schmaler gewebter Bändchen aus Seide. Da
aber diese lose eingelegten Strei-
fen zu leicht sich verloren, um-
somehr, als jene Antiphonarien
beim Gebrauche nicht wagcrecht
gelegt, sondern auf den Sing-
pulten schräg aufrecht gestellt
wurden (um sie allen Sängern
sichtbar zu machen), ging man
einen Schritt weiter und versah
jene Lesezeichen oben mit einem
Knopfe, welcher das Herunter-
rutschen verhütete (Abb. I). Waren
mehrere solcher Lesezeichen in
einem Buche nötig, so vereinigte
man oft alle ihre oberen Enden in
einem Knopfe und ging insofern
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Fon-er, Mittelalterliche und neuere Leieieichen.
noch einen Schritt
vorwärts, als man
zurweiteren Erleich-
terung des Suchens
verschiedenfarbige
Streifen zur Anwen-
dung brachte.
Solche mittelalterliche
Lesezeichen haben sich
noch mehrfach erhalten,
sind aber bis jetzt zumeist
der Beachtung entgangen.
Die Streifen bestehen ge-
wöhnlich aus farbiger Seide ;
der Knopf ist zierlich in
Kugelform geflochten, bald
aus den Enden der ver-
schiedenfarbigen Bänder
gebildet, bald separat ge-
arbeitet und mit Quästchen
verziert. Ich gebe in den
Abbildungen 2 und 3 und
5 und 6 Proben solcher,
meist mittelalterlichen Per-
gament-Manuskripten des
XIV. und XV. Jahrhunderts
entnommenen gotischen
• 'Ja
sieren sich durch die
liebevolle Sorgfalt, die
man selbst diesem un-
scheinbaren Geräte an-
gedeihen liess, die aber
im Zusammenhang steht
mit der Kostbarkeit der
damaligen Bücher über-
haupt Kostbar war das
Material dieser Buch-
zeichen, und ebenso auch
die darauf verwendete
Arbeit und Sorgfalt eine
nicht unbedeutende. Wie
liebevoll erdacht und
gearbeitet ist zum Bei-
spiel das Lesezeichen
Abb. 3 (X V.Jahrhundert),
dessen um einen Kern
geflochtene cyprischc
Goldbrokatfäden orna-
mentale Muster bilden,
und das in drei, mit
ebenso niedlich gearbei-
teten Brokatknöpfen ver-
sehene, rote Seidenquäst-
chen ausläuft. Andere
Abb. 1 u 3.
Millelallerlich«
Lf sezeicheo.
Lesezeichen. So unschein-
bar diese kleinen Ge-
brauchsgegenstände sind,
so lässt sich doch in ihrer
Entstehung und Ent-
wicklung eine ganze
Reihe von Stadien ver-
folgen, die sich in engem
Zusammenhang mit der
Entwickelung des Buch-
wesens selbst zeigen : Die
vorerwähnten gotischen
Lesezeichen charakteri-
r<unb t>lr»3nf<fi i'Akaf Sei) $«<
na» amf«
Wi an 4>trib unb .Grift in nit*
malt ft!)lt
7i> an €M>« f. ob« lai Wtt*
vontf •
ai ti fl*/ fo baTb rtfominr, W
I
. ^-r* ■ ' - '\ V.-
Abb, i.
Leteieichea iui dem X V 1 1 1. Jelilhu« der t.
Abb. 5 u. 6.
Mittelalterliche! uad
Empire- Leteieiche a.
Endknöpfe (z. B. Abb. 2,
XIV. Jahrhundert) sind
mit Gold und roter Seide
umsponnen oder zieriieh
geflochten (wie Abb. 5).
Mit der Zeit der Re-
naissance, als die Drucker-
kunstdieWeltmitBüchern
überschwemmte und das
einzelne Buch an Wert
verlor, verlor sich auch
die Kostbarkeit des Buch-
zeichens, parallel gehend
mit einer veränderten,
vereinfachten Form des-
selben. Bisher war das
Lesezeichen für sich ein
Google
Forrer, Mittelalterliche und neuere Leiezeichen.
59
Abb. j.
Locieichen im dem XVIII. Jahrhundert.
(Auf tchwanem Untergrund.)
selbständiges Objekt, gerade wie der Lesegriffel,
mit welchem der Leser den Lettern folgte, ein
zum Buche gehöriger „stummer Diener". Im
XVI. Jahrhundert nun begann man das Lese-
zeichen als einen sunt Buche selbst gehörigen Be-
standteil umzuarbeiten, indem man den schmalen
Bandstreifen oben im Rucken des Bucheinbandes
befestigte. Dadurch wurde natürlich der Knopf
überflüssig und es verlor sich somit der das
Ganze zierende Schmuck. In dieser Form hat
sich das Buchzeichen stellenweise bis heute
erhalten, sei es, dass der Verleger gleich bei
Ausgabe des Buches ein solches Bändchen ein-
legen oder mitbinden liess, sei es, dass dies
der Käufer nachträglich anbrachte. In der
ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als die so-
genannten Haararbeiten üblich geworden, fertigte
man sich nicht selten dergleichen Lesezeichen
auch aus den Haaren lieber Verstorbener.
Dann ging man noch weiter und begann —
hauptsächlich bei Erbauungsbüchern — das
untere Ende des Buchzeichens mit kleinen
goldenen oder silbernen Kreuzchen, Ankern,
Herzen, Perlen u. dgl. zu zieren und damit dem
Buchzeichen am unteren Ende für den ihm am
oberen genommenen Schmuck einen Ersatz zu
geben.
Schon früh trat aber diesen Bänderzeichen
eine Schwester in Gestalt des graphischen Lese-
zeichens (wie ich dieses zum Unterschied von
den oben behandelten nennen will) zur Seite.
Bei der Kostbarkeit der Pergamentmanuskripte
konnte die Sitte oder besser Unsitte der Ein-
gangs erwähnten „Eselsohren" unmöglich auf-
kommen. Das gab sich erst mit der Entwertung
des einzelnen Buches durch die Massenproduktion
auf dem Wege des Druckes. Daneben aber
war es die natürlichste Sache der Welt, dass
man, wo man gerade eine oder mehrere Seiten
sich vormerken wollte, sie durch das Einlegen
einiger Streifen Pafiieres markierte. Auf diese
Weise müssen schon sehr früh Lese- oder
Merkzeichen entstanden sein, wobei man dann
bald einen Schritt weiter ging und je nach
Stimmung des Lesers oder Charakter des be-
treffenden Buches diese Papierstreifen mit
Sprüchen religiösen oder weltlichen Inhaltes
Leteietchen iui dem XVIII. Jahrhunderl.
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6o
Forrer, Mittelalterliche und neuere Lesereichen.
im
— •»
Abb. 9.
LetcicichcD von Caipar Lavater.
versah. So fand ich in einer Cosmographie
des Sebastian Münster von 1598 einen langen
Papierstreifen,
Oer Name Gotle» ewig bleibe : Drain der from Christ davon nicht weicht. |
auf dem der obige Spruch handschriftlich ein-
getragen ist. Ein anderes solches Blatt zeigt
eine sorgfältig gezeichnete Ornamentcar-
touche und darüber den Vers: 1
Laster der Nationen.
Die Spanier lieben nur das Spiel:
Die Teutschen trinken gerne viel:
Franzosen halten mehr vom Essen,
Italiener von Caressen,
Im XVn. und XVIII. Jahrhundert wurde
es allgemeine Sitte, in die Gebetbücher und
Bibeln Lesezeichen in Form von Heiligen-
bildern, Bändern mit frommen Sprüchen
iL dgl. einzulegen. Die Katholiken bevor-
zugten die Einlage von sogenannten Wall-
fahrtsbildchen, Andere zogen Bildchen mit
weltlichem Schmuck vor. Unter den zahl-
reichen Lesezeichen dieser Art, welche ich
gesammelt habe, befindet sich neben den
hier in Abb. 4 und 7 als Proben abgebildeten
auch das in Abb. 8 reproduzierte Lesezeichen
in altelsässischer Bauernmalerei. Die Lese-
zeichen werden in dieser Zeit überaus viel-
fältig: Der Eine verwendet dazu ein Gebet
oder einen Ablasszcttel, der Andere das Bild
seines Schutzpatrons, der Dritte anmutig in
Kupfer gestochene Bildchen wie bei Abb. 4, und
in einem Buche, das wohl einst einem etwas
vielgeliebten Mädchen angehört hatte, fand ich
als Lesezeichen das durchbrochen ausge-
schnittene (travail en dtScoupure) Pergament-
blättchen Abb. 7 mit dem Verse:
„Dein hertz ist wie ein taubenhauss
Fliegt ein nein Der ander rauss."
Der berühmte Physiognomiker Pfarrer Caspar
Lavater in Zürich hat sich in zahlreichen Lese-
zeichen verewigt. Lavater war nicht nur ein
vielbeliebter und hochverehrter, sondern auch
sehr schreibseliger Seelsorger, der die frommen,
im übrigen aber oft ganz vorzüglichen und
von tiefer Gottesfurcht durchwehten Sprüche
nur so aus dem Ärmel schüttelte. Da schenkte
er denn seinen zahlreichen Verehrern, Ver-
ehrerinnen und Pfarrkindern als vielbegchrte
und willkommene Gabe Buchzeichen mit eigen-
händig eingeschriebenen und von ihm verfassten
Sprüchen. Dieselben sind zumeist auf mit
Kupferstichbörtchen verzierten oblongen Papicr-
zetteln geschrieben und tragen gewöhnlich nur
Spruch und Datum, selten auch seine Unter-
schrift. (Proben solcher Lesezeichen vgl. Abb. 9
und 10). Bekannt sind ferner die bald in viel-
farbigem Papierdruck, bald in Stickerei auf Papier
Abb. TO.
Lesezeichen von Caspar Lavater.
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Forrer, Mittelalterliche und neuere Lesezeichen.
6.
oder auf dünnem Stramin ausgeführten, meist
mit frommen Sprüchen und Bildern gezierten
Lesezeichen, welche man noch heute den Kon-
firmanden in ihre Kirchengesangbücher schenkt
und mit denen sich fromme Leute gern unter-
einander zu erfreuen pflegen.
Abb. Ii.
Lei deiche n der Firma
Neuerdings und wohl als Folge des Wieder-
auflebens der Ex-Libriskunst, beginnen auch
die Bibliophilen mit dem Gebrauch künstlerisch
dekorierter Lesezeichen, ja in Amerika haben
sich diese schon so eingebürgert, dass z. B.
die Kunstverleger R. H. Russell seit einiger Zeit
den von ihnen herausgegebenen Büchern Lese-
zeichen (Bookmarks) beilegen, deren bildlicher
Schmuck jeweils dem Inhalte des betreffenden
Buches angepasst ist (Abb. Ii und 12). Dr.
Hirths Zeitschrift „Die Jugend" hat schon mehr-
fach Entwürfe zu Lesezeichen publiziert (Abb. 13
und 14) und auch Schuster & LoefTIcr in Berlin
Abb. IS.
H. Ruiscll in New York.
(Abb. 1 5), sowie E. Pierson in Dresden (Abb. 16)
pflegen ihren Veröffentlichungen die hier faesi-
milierten beizugeben. Ich selbst verwende das zu
diesem Zwecke angefertigte Buch- oder Lese-
zeichen Abb. 1 7, und wäre es, schon im Interesse
unserer Künstler, freudig zu begrüssen, wenn diese
Sitte auch bei uns allgemeinere Verbreitung fände.
62
Forrer, Mittelalterliche und neuere I <■«?; eichen.
JUGEND
i
JUGEND
Abb. ij. L«f ei«ii:h«D der „ Ju(cnd'
Natürlicherweise kommt es bei
Herstellung künstlerischer Lese-
zeichen, genau so wie bei den
Ex-Libris, in erster Reihe darauf
an, über welche Mittel man zu
dem gedachten Zwecke zu ver-
fugen hat oder verfügen will. Die
Technik der Zinkographie ist so-
weit vorgeschritten, dass ein ein-
faches Ätzbild schon sehr hübsch
aussehen kann. Selbstverständlich
ist bei einer feineren Zeichnung
der Holzschnitt vorzuziehen; will
man in die Zeichnung farbige
Töne hineinbringen — um so
besser. Im Allgemeinen muss be-
tont werden, dass ein Lesezeichen
auffallen, den Blick sofort auf sich
lenken soll. Eine Kolorierung
oder wenigstens ein bunter Ton ist
also nicht nur hübsch, sondern
auch zweckmässig. Die äussere
Form wird gewöhnlich eine läng-
liche sein; quadratische Lese-
zeichen, wie die Lavaterschen, sind
nicht recht praktisch, weil sie
leichter aus dem Buche, über
dessen oberen oder unteren Schnitt
sie hervorragen müssen, heraus-
fallen können. Früher brachte
man bei Papierlesezeichen häufig
oberhalb einen zungenartigen Ein-
schnitt (cn decoupure) an, in den
man sodann das Buchblatt schob,
auf dem man eine Stelle markieren
wollte. Aber praktisch ist auch
das nicht; da sich das Lesezeichen
auf diese Weise nicht in der Längs-
richtung verschieben lässt, so
wird das obere Ende beim Ein-
reihen des Buchs in die Bibliothek
oder durch ein gelegentliches Ver-
schen leicht umgebogen und umgeknickt und das Ganze verunstaltet.
Die Art der Zeichnung wird sich immer nach dem Geschmackc
des Einzelnen richten. Figürliches Symbolisches und Allegorisches
dürfte sich am besten eignen. Auch Persönliches — Beziehungen
auf den Besitzer, seine Neigungen und Studien — kann in der
Zeichnung der Lesezeichen zum Ausdruck kommen, wie in der
der Ex-Libris. Die Anbringung des Namens des Besitzers scheint
mir erforderlich, doch auch der Name sollte von künstlerischer
Hand entworfen, nicht nur in schlichten Typen gedruckt sein.
Abb. 14. Leseleichen der Jugend'
Vom Fortschritt in der graphischen Kunst und Technik.
Von
Theodor Gocbel in Stuttgart.
m
as sich jetzt seinem Ende nähernde XIX.
Jahrhundert hat sich auf den Tafeln
der Gesclüchte
der druckenden Kunst mit
unauslöschlichen Lettern
eingezeichnet. Schon
seine erstenjahrebrachten
eine Erfindung von weit-
reichendem Einfluss für
den Buchdruck : die eiserne
Handpresse Stanhopes,
und das erste Jahrzehnt
sah Friedrich Koenigs
das ganze Wesen des
Buchdrucks umgestalten-
de Erfindung, die Sc/tnell-
presse, auf sicherer Bahn
des Gelingens: 1811 er-
folgte der erste Bücher-
druck auf einer solchen,
und mit dem 29. No-
vember 1814 konnte die
„Times" der Welt ver-
künden, dass die Druck-
maschine das Feld des
Zeitungsdrucks erobert
habe. — Wenige Jahre
vor Ablauf des XVETI.
Jahrhunderts, 1796, hatte
Sene/elder die schöne lithe-
graphische Kunst erfun-
den; 1810 erschien bei
Cotta in Stuttgart das
erste deutsche Werk über
„Das Geheimnis desStein-
drucks", dessen Erfinder
es im Laufeder Jahre noch
gelang, fast alle Zweige
desselben zu entwickeln
und seine Kunst zu einer
hohen Stufe der Vollen-
dung zu führen. Schritt
für Schritt folgten nun
die Vervollkommnungen
im typographischen wie
im lithographischen Druck
Abb. 15.
Leieieichen der Firma Schuster & Loeffler
in Berlin.
nach zwei Richtungen: in der Schnellig-
keit und in der hohen Kunst. Als Gipfel der
ersteren darf zur Zeit
die Rotationsmaschine
angesehen werden, die
jetzt Hunderttausende von
Zeitungsdrucken in fast
der gleichen Zahl von
Stunden vollendet, als man
mit der Holzpresse Mo-
nate dafür brauchte, und
auch die Schnellpresse für
feinen Werk» und Acci-
denzdruck hat, gleich der
lithographischen Schnell-
presse, hinsichtlich ihrer
Leistungsfähigkeit nach
Quantität und Qualität
ausserordentliche Vervoll-
kommnungen erfahren.
Ein Zweig des typo-
graphischen Gewerbes
schien indes für immer in
die Bahnen verwiesen zu
sein, die ihm Gutenberg
gefunden: der Typcnsals.
Zwar lassen sich die Be-
strebungen , auch für
diesen Maschinen zu er-
sinnen, ebenfalls bis in die
ersten Jahrzehnte dieses
Jahrhunderts zurückver-
folgen, doch sie alle
scheiterten an technischen
Schwierigkeiten, bis es
endlich dem deutschen
Uhrmacher Mergenthaler
gelang, eine Sets- und
Zeilengiess-Maschine zu er-
finden, mittelst welcher in
höchst sinnreicher Weise
der Satz hergestellt und
zugleich zu festen Zeilen
vereinigt gegossen werden
konnte, eine Erfindung,
die zum Streben in gleicher
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6 4
Richtung anspornte und zu überraschenden
Erfolgen geführt hat. Von Setzmaschinen mit
beweglichen Typen haben sicli bis jetzt nur
wenige relativ bewährt; die Herrichtung der
Typen für den Satz und das Ablegen der ge-
brauchten reduzierten die
mit den Maschinen erhofften
Vorteile immer wieder auf
ein, die beträchtliche, für die-
selben zu machende Kapital-
anlage nicht belohnendes
Minimum.
Im Schriftguss selbst aber
hat das Jahrhundert recht
bedeutende und belangreiche
Erfolge gebracht, denn der
langsame und kostspielige
Handguss ist auch hier
durch sehr leistungsfähige
Maschinen ersetzt worden,
deren Vervollkommnung in
den sogenannnten Komplett-
maschinen dahin gesteigert
worden ist, dass die ge-
gossene Type diese in druck-
fertigem Zustande, in Reihen
aufgesetzt, verlässt, und
keinerlei Zwischenstationen,
wie sie selbst die gewöhn-
lichen Giessmaschincn noch
bedingen, durch Abbrechen
des Angusses, Schleifen der
Typen u. s. w., mehr zu
passieren hat.
Noch ein weiterer, in
diesem Jahrhundert erfolgter
Fortschritt in der Herstellung
der Druckformen ist zu ver-
zeichnen: die Erfindung der
Papierstereotypie. Die prak-
tische Verwertung der Gips-
stereotypie, mit welcher ein
deutscher Pfarrer, Müller zu
Leiden in Holland, um 1710 die ersten Versuche
machte, datiert zwar auch erst vom Schluss des
vorigen oder Anfang dieses Jahrhunderts, die
Papierstereotypie jedoch ermöglichte erst die
Erzeugung von halbrunden Druckplatten und da-
mit die volle Ausnutzung der Rotationsmaschine.
Von weittragendster Bedeutung für die
Druckkunst wurden zwei weitere, fast gleichzeitig
Abb. 16.
Lctticichen der Firma C. Pierson
in Dresden.
gemachte Erfindungen: die der Photographie
und der Galvanoplastik , obwohl man anfäng-
lich ihren Wert nach dieser Richtung kaum
geahnt haben mag. Aus ihrer Vereinigung
sind die zahlreichen photomechanischen Druck-
verfahren, zum Teil unter
Herbeizichung der Atzkunst,
hervorgegangen, welche heu-
te namentlich das Illustra-
tionswesen auf eine so hohe
Stufe gehoben und ihm so
allgemeine Verbreitung ge-
geben haben , wie es eine
solche durch' Holzschnitt und
Kupferstich und selbst mit
Hilfe der neuerfundenen
lithographischen Kunst nie-
mals erreicht haben würde,
obgleich der durch den
Engländer Bewick neube-
lebte Holzschnitt auch in
diesem Jahrhundert eineVoll-
kommenheit erreicht hat, wie
er sie vordem niemals besass.
Die hervorragendsten
Töchter der Photographie
aber sind im Druckwesen die
Photolithographie, der Licht-
druck und der von letzterem
fast wieder ganz verdrängte
Woodburydruck , sowie fiir
die Buchdruckpresse die
Photozinkographie und ihre
Krönung, die von Meisenbach
in München erfundene Auto-
typie, durch welche erst die
Herstellung von Halbton-
bildern auch im Buchdruck
und der gleichzeitige Druck
derselben mit dem Texte
der Werke, Zeitschriften etc.
ermöglicht wurde; für die
Kupferdruckpresse aber er-
stand die Heliographie und die Helio- oder
Photogravitrc , erstere die Reproduktion von
Bildern in Strich- oder Punktmanier, letztere die
Wiedergabe in I laibtönen auch von Gemälden,
Tuschezeichnungen, photographischen Natur-
aufnahmen etc.
Welche Verbreitung die liier genannten
Verfahren im Illustrationswesen gefunden, resp.
Goebel, Vom Fortschritt in der graphischen Kunst und Technik. 65
wie sehr sie selbst zu dessen Verbreitung bei-
getragen haben, ist hinreichend bekannt, nur
auf die Förderung der Illustration durch die
Galvanoplastik sei noch hingewiesen. Sie er-
möglicht die Abnahme unge-
zählter minutiös originalgetreuer
Druckplatten (Clichös) von Holz-
schnitten, Zinkätzungen, Kupfer-
druckplatten u. s. w., wobei die
Originale stets intakt erhalten
werden, die Abdrucke aber,
infolge der willigen Annahme
und freien Abgabe der Druck-
farbe durch das Kupfer, ebenso
rein und schön erscheinen, als
wenn sie von diesen selbst ge-
druckt worden wären. Diese
Möglichkeit der unbeschränk-
ten Erzeugung von Platten hat
deren Verkauf oder Tausch
nach allen Weltteilen hervor-
gerufen und damit dem Druck-
gewerbe auch nach dieser
Richtung hin Aufschwung und
Bedeutung gegeben. Dass auf
galvanischem Wege den Ori-
ginalplatten aus Zink oder
Kupfer auch grössere Wider-
standsfähigkeit durch Ver-
nickelung und Verstählung
verliehen werden, ja dass man
Platten ganz aus Eisen durch
Niederschlagenimgalvanischen
Bade erzeugen kann, sei nur
nebenher erwähnt
Aus der im Vorstehenden
gegebenen flüchtigen Skizzie-
rung der in diesem Jahrhundert
geschehenen bedeutungsvollen
Fortschritte im graphischen
Gewerbe geht hervor, wie diese
durch ein Zusammenkommen
glücklicher und hochwichtiger
Erfindungen möglich waren und
wie sie beigetragen haben zur Bereicherung
unseres Wissens und zur Verschönerung des
Lebens durch Verallgemeinerung der Kunst.
An drei mir vorliegenden Publikationen möge
dies als durch die Thatsachen belegt dargethan
werden.
Die erste ist die vor wenigen Wochen zur
Z. f. B. 98/99.
Abb. 17.
Leieieichen von Dr. R. Forrer
in Stuttgart.
Ausgabe gelangte acht* Mappe der von der
Direktion der Deutschen Reichsdruckerei unter
Mitwirkung von Dr. F. Lippmann, Direktor des
Kupferstichkabinets in Berlin, herausgegebenen
Kupferstiche und Holzschnitte
alter Meister in Nachbildungen,
ein Werk vornehmster Art, das
von dem leider so früh ver-
storbenen genialen Direktor
der Reichsdrucke rci, Herrn
Geheimen Oberregierungsrat
Busse, begonnen und von dem
derzeitigen Direktor, Herrn Ge-
heimen Rechnungsrat Wendt, in
vollster Erkenntnis der hohen
Bedeutung des Unternehmens
in gleicher Schönheit fortgesetzt
wird. Ein Werk wie dieses
würde ohne die Erfindung der
photomechanischen Künste in
derartig facsimilctreucr Aus-
führung nahezu unmöglich sein,
denn seine Herstellung würde
nur durch die bedeutendsten
Künstler in Kupferstich und
Xylographie erreicht werden
können, die Kosten aber müssten
sich alsdann ins unerschwing-
liche steigern, wie auch die Zeit-
dauer dafür eine unbemessene
sein würde. Bisher enthielt jede
der Mappen dreissig Tafeln
nach Kupferstichen und zwanzig
nach Holzschnitten, die vor-
liegende achte weicht davon
ab, insofern sie fünfunddreissig
Kupferstich- und fünfzehn Holz-
schnitt-Tafeln enthält; alle acht
Mappen haben aber im ganzen
bis jetzt vierhundert Tafeln
veröffentlicht — in der That
ein Riesenwerk, zu dessen Be-
wältigung es natürlich, wenn
auch nicht ausübender Stecher-
meister und Holzschneider, so doch einer
künstlerischen Leitung und einer Kraft ersten
Ranges bedurfte. Diese besitzt die Reichs-
druckerei in glücklicher Vereinigung in ihrem
Direktor und in dem Leiter der betreffenden
chalcographischen Abteilung, Herrn Professor
Rose, unter dessen Meisterhand die photo-
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66
Gocb«l, Vom Fortschritt in der graphischen Kunst und Technik.
mechanische Kunst zur hohen, bildenden Kunst
wird.
Die aus gelblichgrauem unsatiniertem Kar-
ton bestehenden Tafeln des Werkes messen
38'/» : 52V1 cm; die darauf lose aufgelegten
Drucke erfolgten auf weisses Papier, das nur
einen ganz leichten Stich ins Gelbliche hat.
Ihre Zahl beträgt, da auf manchen Tafeln sich
mehrere derselben befinden, bei den Kupfer-
stichen zweiundsechszig und bei den Holz-
schnitten fünfundzwanzig; von zweiund vierzig
Meistern sind Werke reproduziert, von denen
fünfundzwanzig zum erstenmale erscheinen.
Dem Namen oder dem Monogramm jedes
Neuerscheinenden ist, sofern dies möglich ge-
wesen, auf der Inhaltstafel eine kurze biogra-
phische Notiz angehängt; auf Künstler, von
denen Werke bereits in früheren Mappen ge-
geben wurden, wird nur hingewiesen. Was
nun die Art der reproduzierten Kupferstiche
anbelangt, so waren achtzehn ihrer Originale
in Linienstich, dreizehn in Radierung, zwei in
Schabkunst und zwei in Punktiermanier aus-
geführt; von allen aber kann man sagen, dass
ihre Reproduktion eine ganz meisterhafte, origi-
nalgetreue ist; die Handschrift des Künstlers
erscheint in keiner Weise beeinträchtigt und
ist mit allen charakteristischen Eigenheiten
jedes derselben wiedergegeben. Auf einzelne
Blätter näher eingehen zu wollen, würde zu
weit fuhren, denn fast jedem lassen sich be-
sondere Schönheiten nachrühmen, nur der Ge-
burt Christi von dem Genueser Künstler Giovanni
Bencdetto Castiglione sei gedacht, der ausser-
ordentlichen Ähnlichkeit halber, welche die
Technik dieses Meisters mit der Rembrandts
hat, so dass man beim ersten Erblicken seines
Blattes dasselbe unwillkürlich für eine Arbeit
des grossen Holländers zu halten geneigt ist.
Auch die beiden Schabkunstblätter und die in
Punktiermanier sind, trotz der Schwierigkeit
der Reproduktion dieser Techniken, künst-
lerisch hochvollcndct.
Die Nachbildung der Holzschnitte alter
Meister mit Hilfe der photomechanischen Ver-
fahren bot, da es sich hier meist um kräftige
Linien, niemals um Halbtönc handelte, ge-
ringere Schwierigkeiten, zumal sie auch nicht
für den Druck auf der Kupferdruckpresse,
sondern für den der Buchdruckpresse bestimmt
sind. Die Schönheit und Tiefe des letzteren
ist wahrscheinlich mit Hilfe der Galvanoplastik
noch erhöht worden, indem man die photo-
zinkographisch gewonnene Platte noch galva-
nisch verkupferte oder vernickelte, dadurch
ihre Affinität gegenüber der Druckfarbe nicht
unwesentlich steigernd. Auch einige Farben-
holzschnitte sind aufgenommen worden; der
heilige Georg zu Pferde, nach Lucas Cranach,
gedruckt auf blauschwarzes Papier in Schwarz
und Gold, ist von besonders malerischer
Wirkung.
So wird in dieser Mappe mit Hilfe der
photomechanischen Künste den Kindern des
XTX. Jahrhunderts wieder eine Fülle prächtiger
Werke der alten Meister zu einem Preise ge-
boten, für welchen kaum ein einziges der auf
seinen fünfzig Tafeln nachgebildeten sieben-
undachtzig Originale zu erlangen sein dürfte,
denn Blätter von Dürer, Schongauer, Marcantonio
Raimondi, Annibale Carracci, Claude Lorrain,
Bartolozzi, Lucas Cranach, Hans Burgkmai r,
Holbein d. J., Gcoffroy Tory, Lucas van Lcyden
u. s. w. bedingen bekanntlich hohe Preise; über
die Vortrefilichkeit der Nachbildungen aber
herrscht nur eine Stimme, und die Direktion
der Reichsdruckerei hat sehr weise gehandelt,
dass sie ihren Stempel auf der Rückseite
aller Blätter anbringen und diese als „Facsimile-
Rcproduktion" bezeichnen Hess, um Kunst-
händler mit möglicherweise etwas weitem
Gewissen nicht der Versuchung auszusetzen,
dieselben einiger künstlicher „Veralterung" zu
unterwerfen und sie dann als Originale in die
Hände noch nicht genügend gewitzigter Kunst-
freunde gelangen zu lassen.
Die zweite der für den Fortschritt im
graphischen Gewerbe als typisch zu erachtenden
Publikationen trägt den einfachen Titel „Richard
Bong, 1872 — 1897"; sie ist ein dem Manne,
dessen Namen sie trägt, zum fünfundzwanzig-
jährigen Bestehen seines Geschäfts gewidmetes
Jubiläumswerk grossartigen Stils, in welchem
uns namentlich der Holzschnitt, sowohl in
Schwarz als auch in Farben in vollendetster
Schönheit entgegentritt. Das Werk ist in Folio
auf feinsten, gelblich getönten Velin -Karton
gedruckt und enthält eine Skizze des Lebens
und der Thätigkcit des Mannes, der, als Setzer-
lehrling seine Geschäftsthätigkeit beginnend und
sodann zum Berufe des Xylographcn über-
gehend, zum Reformator des Illustrationswesens
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Goebel, Vom Fortschritt in der graphischen Kunst and Technik.
6 7
in deutschen Zeitschriften, in die er den Farben-
holzschnitt einführte, geworden ist, indem er
zugleich auch den Tonschnitt in den von ihm
herausgegebenen Blättern, namentlich in der
„Modernen Kunst" und „Zur guten Stunde",
auf eine vorher nur in seltenen Ausnahmen
in der allgemeinen illustrierten Zeitschriften-
Litteratur erreichte Höhe hob. Besonders aber
ist es der Farbenholzschnitt, um dessen Po-
pularisierung sich Bong die grössten Verdienste
erworben hat. Es ist derselbe zwar keine
neue Erfindung, und ein 1822 in England
erschienenes Werk vou William Savage: „Hints
on Decorativc Printing" giebt davon schon
recht schöne, aber auch recht verfehlte Bei-
spiele, die um so unbefriedigender werden, je
mehr Platten der Drucker verwendet; in Wien
schuf Heinrich Knöfler wahre chromoxylo-
graphischc Meisterwerke, und dessen Söhne
Heinrich und Rudolf übertreffen den Vater
noch in manchen ihrer Leistungen ; ihre Thätig-
keit ist jedoch nur selten aus den engen
Grenzen religiöser Kunst herausgetreten und
erst Richerd Bong war es, welcher die Chromo-
xylographie in die illustrierten Zeitschriften
einführte und damit einen gewaltigen Schritt
vorwärts that auf dem Wege des Fortschritts.
Die Erfolge, welche er lüermit und durch seine
meisterhaften Tonschnitte erzielte, zwangen die
anderen, vorzugsweise die Unterhaltungslitteratur
pflegenden illustrierten Zeitschriften, ihm auf
der neueröffneten Bahn unter grossen, nicht
immer freudig übernommenen Anstrengungen
zu folgen, und so ist Bong thatsächlich zu
einem Förderer und Reformator der Zeit-
schriften-Illustration geworden, wie man dies
z. B. sehr leicht durch einen Vergleich früherer
Jahrgänge von „Über Land und Meer" und
„Illustrierte Welt", die heute auch in jeder Hin-
sicht Ausgezeichnetes bieten, mit deren Bänden
der letzten Jahre bestätigt finden wird.
Das Bongsche Jubiläumswerk aber darf man
füglich als ein dem Fortschritt des Holzschnitts
in diesem Jahrhundert errichtetes Monument
bezeichnen, denn es enthält u. a. einen von
Bong selbst ausgeführten Clair-obscur-Schnitt
von kaum jemals erreichter Feinheit, desgleichen
eine grosse Zahl künstlerisch vollendeter Ton-
schnitte, darunter mehrere von des Meisters
Hand selbst, sowie Farbenschnitte von so
grosser Zartheit und duftiger Weichheit in den
Übergängen und ausserordentlichem Reichtum
in den Tönen, dass man glauben möchte, diese
Blätter könnten nur auf chromolithographischem
Wege oder durch Kupferdruck hergestellt sein.
Damit nun aber ein entschiedener Fort-
schritt auf dem Gebiete der Illustration über-
haupt möglich sei, musste ihm ein solcher auf
anderem Gebiete, auf dem des Papiers, voran-
gehen oder doch mit ihm gleichzeitig Schritt
halten. Als ein Ausdruck desselben kann die
dritte der vorliegenden Publikationen gelten,
auch ein Jubiläumswerk, das den Titel trägt
„Die Patentpapierfabrik su Penig. Ein Bei-
trag zur Geschichte des Papiers, herausgegeben
von Heino Castorf, kaufmännischer Direktor
der Aktiengesellschaft." Ausserdem trägt der
Titel noch die Bemerkungen: „Druck: A. Wohl-
fcld, Magdeburg. Excelsior-Kunstdruckpapier:
Aktiengesellschaft Chromo, Altenburg. Surro-
gatfreier Papierstoff zu diesem Kunstdruck-
papier: Penig."
Die Papierfabriken zu Penig zählen zu den
ältesten Deutschlands; sie sind schon 1537
gegründet worden. Das Jubiläum, welches Ver-
anlassung wurde zur Herstellung des dasselbe
feiernden Prachtwerks, galt nun nicht dieser
Gründung, sondern nur der vor fünfundzwanzig
Jahren erfolgten Umwandlung der Fabriken in
eine Aktiengesellschaft; dass diese hieraus Ver-
anlassung nahm zur Herausgabe eines gross-
artigen Jubiläumswerkes, dessen Druck sie in
die Meisterhand Wohlfelds legte, verdient
warmen Dank seitens aller Angehörigen des
Buchgewerbes. Dasselbe enthält zuerst eine
kurze Darstellung der Erfindung und Aus-
breitung der Papierfabrikation, schildert sodann,
durch Dokumente belegt, die Gründung der
Fabrik zu Penig und ihre Entwickelung, und
führt schliesslich den Besucher derselben durch
deren ausgedehnte Räume, sowie auch durch
die Filialfabriken zu Reisewitz und Wilischthal
und die Holzschleiferei zu Wolkenstein, hieran
noch statistische Notizen knüpfend. Der be-
schreibende, reich illustrierte und mit Plänen
ausgestattete Text ist zum Teil in sehr blumen-
reichem Stile geschrieben, wie man ihn in der
Regel in technischen Werken nicht gewohnt ist.
Wenn weiter oben gesagt wurde, das Bong-
sche Jubiläumswerk sei ein dem Fortschritt der
Illustration in diesem Jahrhundert errichtetes
Monument, so darf man das Peniger Pracht-
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68
Goebel, Vom Fortochritt in der graphischen Kunst und Technik.
werk auch als einen Merkstein für den Fort-
schritt der Papierfabrikation im gleichen Zeit-
räume bezeichnen. Bis zum Anfange desselben
gab es nur geschöpftes Papier; erst 1799 wurde
die Papiermaschine erfunden, und es bedurfte
noch zweier Jahrzehnte, bevor die erste dieser
Maschinen ihren Einzug in Deutschland hielt
Bis dahin aber stand die deutsche Papier-
fabrikation auf einer sehr niedrigen Stufe;
„einen Schandartikel" nannte Friedrich Koenig,
der Erfinder der Schnellpresse, das deutsche
Büttenpapier noch im Jahre 18 18 in einem an
Brockhaus in Leipzig gerichteten Briefe, und
man kann diese harte Bezeichnung durch das
zum Brockhausschen Konversations-Lexikon in
jenen Jahren verwandte Papier durchaus be-
stätigt finden. Und nun betrachte man das
zu dem Peniger Jubiläumswerk verwandte Ex-
celsior-Kunstdruckpapier! Wer wollte sich da
nicht auch des im Laufe dieses Jahrhunderts
in der Papierfabrikation gemachten Fortschritts
freuen — kann es eine lebendigere, über-
zeugendere Bestätigung desselben geben?
Überblickt man nun nach diesen Dar-
legungen den Stand des graphischen Gewerbes
in Deutschland im allgemeinen und die im
Laufe dieses Jahrhunderts gemachten Fort-
schritte im besonderen, so kann man nur von
freudiger Befriedigung erfüllt werden; mögen
die Anhänger der „guten alten Zeit" auch
noch so lebhaft schwärmen für den so-
genannten „modernen Stil", so werden sie da-
mit doch nicht das Zeitenrad rückwärts zu
drehen vermögen, so lange sie die grobklotzige
Linie alter Messerholzschnitte, wenn sie nicht
auch von Künstlerhand durchgeistigt ist, uns
als ein Evangelium, als das Nonplusultra der
Kunst anpreisen — das sagen uns unsere
drei Beispiele. Was wir von den Werken der
alten Meister in den von der Reichsdruckerei
herausgegebenen Mappen erblicken, trägt immer
den Stempel des Genialen und wird stets als
Vorbild gelten können für die Gegenwart und
dem Fortschritt dienen; in welcher glänzenden
und weittragenden Weise er aber im Laufe
dieses Jahrhunderts gefördert worden ist in allen
Zweigen des Buchgewerbes, das ist an der
Hand der geschilderten Werke darzuthun ver-
sucht worden.
Zum Schluss sei noch ein kurzer Blick auf
die graphische Ausstattung des Bongschen
und des Peniger Jubiläumswerkes geworfen.
Von dem ersteren lässt sich nur sagen, dass
diese in jeder Beziehung meisterhaft ist; der
Satz bot keine Gelegenheit zur Entfaltung be-
sonderer Kunsttechnik, der Druck aber stellte
um so höhere Anforderungen an die Meister
der Presse, und diese haben ihnen in jeder
Hinsicht entsprochen. Das Werk wurde in ful.
Sittenfelds Buchdruckerei in Berlin gedruckt.
— Das Peniger Werk ist in seinem Textteile
ganz in Braun gedruckt, was man nicht gerade
als eine glückliche Idee bei einem Werke von
164 Seiten Grossquart bezeichnen kann, denn
erstens erschwert diese Farbe das Lesen der
langen Zeilen ungemein, und zweitens erscheinen
die zwar ganz vortrefflich gedruckten Illustra-
tionen in Schwarz, wo sie zwischen dem Texte
stehen, hart und der braune Textdruck tritt zu
sehr zurück, wird von den schwarzen Illu-
strationen, die sozusagen aus ihm herausspringen,
gedrückt und majorisiert. Trefflich gewählt
aber ist das Oliv für den Eindruck der Kopf-
leisten und Schlussvignetten modernen Stils,
denen dadurch ihre wuchtige Schwere ge-
nommen wird, und auch die dem Titel und
der Widmung untergedruckten schwungvollen
Ornamente in lichtem Gelblichgrün sind unge-
mein reizvoll und schön. Den Buchdruck be-
sorgte, wie schon erwähnt, die renommierte
Kunstdruckerei von A. Wohlfeld in Magdeburg.
— Die Einbanddecke ist von entsprechender
Schönheit; sie trägt auf gelblichem Grunde die
Titclworte in braunen, goldumrandeten Typen,
am Fusse der Decke aber erhebt sich eine
blühende Papyruspflanze aus einem mit Wasser-
rosen bedeckten See. Was indes die Heraus-
geber des Werkes veranlassen konnte, nach
der schönen Decke ein hart gelbgrünes Vor-
satzblatt folgen zu lassen und den Schnitt des
Buches ebenso zu färben, das ist dem Schreiber
dieser Zeilen ein Rätsel. Hübsch ist diese
Färbung nicht.
Im Augenblick, da ich mich zum Abschluss
dieses Aufsatzes anschicke, geht mir ein neues
Werk zu, das ebenfalls in glänzender Weise
Zeugnis ablegt von der grossartigen Entwickelung
auf graphischem Gebiete, und zwar hinsichtlich
der Druckfarbe: Das Musterbuch der Fabrik
von Buch- und Steindruckfarben von Gebrüder
Schmidt zu Frankfurt a. M,-Bockenhcim. Sein
Eintreffen ist insofern ein sehr glückliches, als
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durch dasselbe auch nach dieser Seite hin ein
zeitgemässcr Beleg gegeben wird von den Fort-
schritten der graphischen Kunst und Technik
in diesem Jahrhundert.
Noch vor wenig mehr als fünfzig Jahren
„kochten" sich viele Buchdrucker, namentlich
in den kleineren Städten, ihre Farben, im ge-
wöhnlichen Leben Druckerschwärze genannt,
selbst, und da dieses Kochen nur im Freien,
meistens vor den Stadtthoren, stattfinden durfte,
der Feuergefährlichkeit halber, es dafür auch
eines schönen, regenfreien Tages benötigte, so
waren Farbekochen und Extrafeiertag identische
Begriffe für die Arbeiter an den Pressen,
umsomehr, als es dabei auch „abgekröschte
Semmeln" gab — Semmeln, die in das schon
stark erhitzte I-einöl gehalten wurden, um ihm
etwaige Wasserteile rascher zu entziehen; —
sie aber bildeten einen Hochgenuss, dessen
möglicherweise aus dem Fettgehalt der Semmeln
entspringenden Nachteilen die Drucker durch
Beigabe eines Schnäpschens vorbeugten.
Diese mit dem Farbkochen verbundene be-
scheidene Festlichkeit mag wohl an manchen
Orten die Ursache gewesen sein, weshalb nach
der Ansicht der alten Drucker die in Fabriken
erzeugte Farbe „nichts taugte", denn solche
Fabriken waren ebenfalls im Anfange dieses
Jahrhunderts in England entstanden und in
dessen zweiten Jahrzehnt auch in Frankreich
errichtet worden; Deutschland ist noch später
gefolgt, und die Einführung der Schnellpresse
ist in dieser Richtung förderlich gewesen, da,
die selbstgekochte Farbe, wenn sie nicht auch
wiederholt durch Farbemühlen gegangen war
des schlecht eingerührten und gar nicht ver-
riebenen Russes halber sich oft im hohen
Grade arbeitshindernd erwies und den Farb-
apparat der Druckmaschinen verstopfte.
Das Bessere aber ist siegreich geblieben über
persönliche Vorurteile und Vorteile, und heute
giebt es sicherlich im ganzen Deutschen Reiche
keinen einzigen Drucker mehr, welcher sich
seine schwarze Farbe selbst kochen möchte,
und auch die bunten werden, sobald hierfür
nur ein einigermassen entsprechender Bedarf
vorhanden, nicht mehr vom Drucker selbst
angerieben, sondern druckfertig aus den Fabriken
bezogen. Von diesen giebt es jetzt eine
ganze Anzahl höchst leistungsfähiger und solider,
zu denen auch die vorgenannte der Gebrüder
Schmidt in Bockenheim-Frankfurt gehört; sie
hat in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens
— die ältesten deutschen Farbenfabriken datieren
ihre Entstehung in die vierziger Jahre dieses
Jahrhunderts zurück — ihre Fabrikräume bereits
viermal vergrössern müssen, und ist jetzt in der
Lage, mit Hilfe der vollendetsten Masckinen
täglich sechstausend Kilo Buch- und Steindruck-
farbe in tadelloser Qualität zu liefern.
Von dem hochvollendeten Stande der Druck-
farbenindustrie in der Gegenwart aber giebt
das erwähnte neue Musterbuch dieser Firma
Zeugnis. Dasselbe enthält eine ansehnliche
Zahl prächtiger Holzschnitte, ausgewählt aus
der Leipziger „Illustrierten Zeitung" und aus
Bongs „Moderne Kunst", sowie mehrere Auto-
typien aus Prachtwerken; erstere wurden durch-
weg in Schwarz, letztere aber auch in Tonfarben
gedruckt, und jedes kunstsinnige Auge wird
sich an der wunderbaren Schönheit dieser
Musterdrucke erfreuen. Tiefe, Reinheit und
Lustre vereinigen sich hier zum Kunstwerk,
von Lustre aber ist gerade nur so viel vor-
handen, um dem Bilde Leben und Feuer zu
verleihen, ohne das Auge durch Glanz und
falsche Lichter irre zu führen. Dass diese
Farben nicht immer billig sein können, liegt
in der Natur der Sache; ihr Preis bewegt sich
zwischen 240 und 800 Mark pro 100 Kilo und
ist bei den bunten Farben, von denen nament-
lich Rot zu den teuersten gehört, noch höher,
was teils durch die mühevolle und zeitraubende
Herstellung, teils durch die Kostbarkeit der
hierfür dienenden Rohstoffe bedingt wird.
Neben den Schwarzdrucken sind in dem
Musterbuche auch eine Anzahl Drucke in bunten
Farben, darunter in nur mit den Grundfarben
Gelb, Rot und Blau hergestelltem sogenannten
Dreifarbendruck enthalten, die ebenfalls für den
hohen Stand der Farbenfabrikation in der
Gegenwart sprechen. Namentlich bezeugen
dies die in den Dreifarbendrucken verwendeten
Grundfarben, denn wären diese nicht völlig klar
und chemisch rein, so würden sich niemals die
durch ihren Ubereinanderdruck beabsichtigten
Töne und Nummern erzielen lassen und häss-
liche Fehldrucke müssten die Folge sein. Che-
mische Reinheit ist indes nicht die einzige
Bedingung für das Gelingen solcher Drucke,
die im Buchdruck meist mit Hilfe von Auto-
typicplatten hergestellt werden; das äusserst
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Aufsecsscr, Ein ungedrucktes Annalenwerk der Lithographie.
feine Korn dieser Platten bedingt auch eine
aufs feinste geriebene Farbe, andernfalls würden
Clichcs von der Zartheit des im Musterbuch
in sieben verschiedenen Tonfarben gegebenen
Marine-Stimmungsbildes gar nicht zu drucken
sein. In dem Schmidtschen Buche aber bilden
sie wahre Triumphe der Farbenfabrikation.
Was hier von den Farben für den Buch-
und Steindruck gesagt ist, gilt auch von denen
für den Lichtdruck, welcher sich übrigens der
dabei angewandten Lasurfarben halber für den
Dreifarbendruck zur Erziclung reicher und über-
raschender Effekte ganz besonders eignet In
dem Musterbuche ist allerdings kein solcher
enthalten; nur ein einfarbiger Lichtdruck wird
gegeben, um mehr als 130 Köpfe von Zeitungen
und Zeitschriften zu reproduzieren, zu deren
Druck Gebrüder Schmidtsche Farben dienen.
Bildet somit das Farben-Musterbuch dieser
Firma für uns einen glücklichen Abschluss des
graphischen Bildes, welches zu entwerfen hier
angestrebt worden ist, so ist sein Inhalt auch
als ein grossartiges Zeugnis für den Fortschritt
auf dem besonderen Gebiete der Druckfarben-
fabrikation zu betrachten, und die Firma, welche
denselben zu bieten vermochte, verdient in
durchaus berechtigter Weise die Glückwünsche
aller Drucker und Druckauftraggeber.
3fc
Ein ungedrucktes Annalenwerk der Lithographie.
Von
Julius Aufscesscr in Berlin.
fegJj m$& 1 1 ier Geschichte der ersten litho-
B|fi jSg£ Iiischcn Anstalt an der Keiertags-
ifoUjhjj ' spricht Fcrchl häufig von seinem
..Annalenwerk" und bereitet mit seinen Andeu-
tungen auf ein Nachschlagebuch vor, welches
von der Erfindung anfangend bis in die sechs-
ziger Jahre aufsteigend eine genaue Geschichte
des Steindrucks mit allen ihren Einzelheiten
und interessanten Erscheinungen geben sollte.
Dieses Annalenwerk ist niemals zum Abschluss
gelangt, aber die oft wiederholten Hinweise des
Verfassers auf seinen wertvollen Inhalt rufen
in jedem Sammler und Forscher begreiflicher-
weise die heissesten Wünsche wach, aus diesem
reichen Born zu schöpfen. Die erste dunkle
Zeit der Erfindung, die erste schüchterne Aas-
übung der neuen Kunst und ihrer elementaren
Schöpfungen harren noch der Aufklärung und
der Vervollständigung, und so war die Ungeduld,
mit welcher das so anspruchvoll angekündigte
Opus Ferchls erwartet wurde, naturgemäss
schon in den sechsziger Jahren eine grosse.
Die Hoffnung, in einem, von einem pedantisch
genauen Chronisten geführten Annalenwerk
wertvolle Schlusssteine für so viele lückenhafte
Berichte, in erster Linie aber summarisch und
chronologisch die Leistungen vieler interessan-
ter Künstler festgestellt zu finden, ist wohl auch
sehr begreiflich gewesen, und zu ihr im Ver-
hältnis stand die Enttäuschung in den Kreisen
der Interessenten, als Ferchl starb, ohne das
Manuskript abgeschlossen zu haben. Selbst das
Fragment schien verloren und galt eine Reihe
von Jahren als untergegangen, wenigstens als
unauffindbar, bis der bekannte Kunstkenner
und Sammler Assessor Dorgerbh den Ver-
diensten, welche er sich in reichem Mafse um
die künstlerische Lithographie erworben hat,
ein neues durch die Auffindung der für uns
so bedeutungsvollen Blätter hinzufügte. Ihm
verdanken wir die Möglichkeit, authentische
Nachrichten aus den Aufzeichnungen eines Zeit-
genossen von Sencfelder schöpfen zu können.
Wenn wir einer eigenen Empfindung Aus-
druck geben dürfen, so müssen wir freilich
gestehen, dass in dem Werke nicht allzuviel
Neues gesagt wird, und dass die gehegten Er-
wartungen wohl allgemeiner Enttäuschung be-
gegnen dürften. Es liegt dies aber hauptsächlich
daran, dass sich Ferchl in seinem ersten Werke
schon so ausgesprochen hat, dass ihm wenig zu
sagen übrig geblieben ist; die Mitteilungen im
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Aufseewer, Ein urißedrucktes Annarienwerk der Lithographie.
71
Annalenwerk beschranken sich mehr auf epi-
sodenhafte Erzählungen zu Vorgängen, die wir
bereits kennen.
Obwohl das Annalenwerk seiner Anlage
nach eine Geschichte der Lithographie in ihrer
gesamten Ausdehnung, das Ausland einge-
rechnet, geben will, denn die Notizen des
Verstorbenen erstrecken sich über Deutschland,
Österreich, die Schweiz, Holland, Frankreich,
England, Italien und selbst Spanien, ist dem
Verfasser doch nur München übersichtlich ge-
wesen. Was ausserhalb dieser Stadt, die frei-
lich die interessanteste für uns ist und bleiben
wird, vorgeht, schöpft er nach seinen eigenen
Anmerkungen aus dem Münchener Kunstblatt,
dessen gelegentliche Abhandlungen über aus-
wärtige Kunstausstellungen und Neuerschei-
nungen keineswegs ein nur annäherndes Bild
der lithographischen Bewegung geben. Wer
die schwerfällige Art des Verkehrs in den ersten
vierziger Jahren unseres Jahrhunderts kennt,
wird auch begreifen, dass es dem heutigen
Forscher leichter ist, erschöpfendes Material
über damalige Vorgänge zu sammeln als dem
Chronisten jener Zeit
Trotzdem muss zugestanden werden, dass
bei dem Studium der Annalen das Bild der
Ausbreitung der Lithographie in Deutschland
ein etwas klareres wird. Es zeigt sich, dass
die Gründung der Andrischtn Notendruckerei in
Offenbach die meisten künstlerischen Inititative
für den Norden gegeben hat, vielleicht mehr,
als München selbst bei seiner grossen Entfer-
nung es vermochte. Dort gab Andre im Jahre
1800 wahrscheinlich als erstes grösseres musi-
kalisches Werk „Die Schöpfung" in lithogra-
phischer Ausführung heraus und kurze Zeit
später eine Klavierschule von Rödinger, und
der Umstand, dass dieser Werke besondere
Erwähnung gethan wird, lässt sie uns als eine
grosse That für die damalige Zeit erscheinen;
sonst mögen sich die Erzeugnisse jener Druckerei,
welcher heute bedauerlicherweise jeder Anhalts-
punkt für die früheren Werke fehlt, auf kleinere
Kompositionen beschränkt haben. Dann er-
wachte auch in Offenbach der Sinn für die künst-
lerische Seite der Lithographie , und Francois
Johannot liess 1802 durch den Maler Mathias
Koch eine Ruinenlandschaft im Geschmacke
Piranesis zeichnen, welcher 1803 gleichfalls von
Koch eine Pflanzenstudie nach Hackert folgte.
Beide Blätter sind auf „marbre polyauthogra-
phique" in Kreidemanier gezeichnet, scheinen
sich jedoch trotz ihrer Schönheit nur einen ge-
ringen Kreis von Freunden erworben zu haben,
was aus ihrer Seltenheit und dem Umstand zu
schliessen ist, dass Johannot noch im gleichen
Jahre diesem rein künstlerischen ein kommerziell-
künstlerisches Produkt in seinen „Dessins de
broderie" folgen liess. In Offenbach machte zu
dieser Zeit WiUielm Reuter, der schon früher
von uns eingehend besprochene Berliner Maler,
seine ersten Studien und Zeichnungen in der
neuen Kunst, gemeinsam mit dem Mainzer
Historiker Professor Nicolaus Vogt dessen 1803
gezeichnete 4 Blätter die Inkunabeln-Sammlung
der Mainzer Bibliothek als mit zu den ersten
lithographischen Kunstprodukten gehörig auf-
bewahrt. 1804 erschien dort auch ein in einem
Oval dargestelltes Porträt des „Chretieu de
Mechel, Doyen des Graveurs allemands" von
Charles Prince d'Isembourg auf Stein gezeichnet.
Einen Abdruck haben wir im Germanischen
Museum in Nürnberg gesehen ; er hat Ähnlich-
keit mit den ersten Münchener lithographischen
Porträts, und man kann daher annehmen, dass
die Zeichnung nicht wie die Kochschen Blätter
auf marbre polyauthographique, sondern schon
auf Solenhofer Platten gemacht worden ist. Dass
in Offenbach zuerst eine geschäftliche Ver-
wertung der Lithographie in grossem Stil ver-
sucht wurde, unterliegt keinem Zweifel; Joh.
Andre, der praktische Kaufmann, hatte ihre
Bedeutung auf diesem Gebiet sofort bei seinem
Besuche in München richtig erkannt.
Aber auch der ihr innewohnende ausser-
ordentlich grosse künstlerische Wert wurde
hier schnell erfasst, und wenn auch Offenbach
nicht das geeignete Feld zu ihrer ganzen Ent-
faltung auf diesem Gebiet bot, so sind doch
von hier die Meister ausgezogen, welche den
grössten Teil der ersten lithographischen
Druckereien im Norden Deutschlands gegründet
haben und die in ihren Produkten die künst-
lerische Seite neben der kommerziellen, wie
Notendruck, Bücherdruck und Kartographie,
immer stark betonten.
In Gotha rief schon 1802 die neue Kunst
so grosses Interesse hervor, dass man in dem
Wunsche, eine lithographische Anstalt zu be-
sitzen, den Regensburger Drucker Niedermayer
zu einer Ubersiedlung zu bewegen suchte; der
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72
Aufseesser, Ein angedrucktes Annalenwerk der Lithographie.
Freiherr von Zach wollte ihn durch Vermittelung
des Professors Heinrich in Regensburg für diese
Absicht günstig stimmen. Mit der Zusicherung
eines Privilegiums war auch die Mahnung zu
schneller Ausnutzung desselben verbunden, „da
ein gewisser Andre in Ottenbach und noch
Drucker von andern Städten neue Methoden auf
Stein zu drucken, erfunden und angeboten"
hätten. — Die Furcht vor Konkurrenz mag
Niedermayer zur Aufgabe des bestehenden
Projekts bewogen, auch mag in jener Zeit die
Übersiedlung nach einem fremden Ort noch
viele andere Bedenken hervorgerufen haben.
Sorge vor Wettbewerb hätte jedoch, wie sich
später herausstellte, den Plan nicht zu vereiteln
brauchen, denn die ersten lithographischen
Erzeugnisse aus Gotha, teils hilflose Nachzeich-
nungen Münchener Lithographien, teils unge-
Titelbbtt iu Schiller» Reilrrlitil. 1807 gciri« Wt von S in Stuttgart.
Orig.-Ctottc der Lithographie HX'\ cm.
schickte Originale, aber auch einige geistreiche
Steinätzungen, begegnen uns erst sechs Jahre
später. Mit der Aufschrift „Steindruck in Gotha,
gezeichnet von Menge' 1 liegt uns eine Tier-
landschaft im Roosschen Stile vor, welche im
Druck so vollständig misslungen ist, dass die
Schattenpartien immer nur eine glcichmässig
schwarze Fläche bilden und das ganze Blatt,
eine Kreidezeichnung, fast den Eindruck einer
verklecksten Tintenzeichnung hervorruft. In um-
gekehrter Weise ist „Un Cosaque", nach Lejeune
1807 „Gotha gedruckt und von Ronnenkampf
gezeichnet", im Druck hcll-bräunlich-grau und
matt ausgefallen.
Die Steinätzungen mit „Ernest fec." und
„Steindruck Gotha" bezeichnet, sind dagegen rei-
zend komponierte Vignetten ; sie stellen spielende
und musizierende Putten dar und scheinen zu-
gleich mit einem in den Stein
geritzten Blatt zur Anatomie
der Insekten gefertigt worden
zu sein. „Ernst S. inv. et
del. Gotha 1 808", eine Kreide-
zeichnung, giebt eine hüge-
lige Landschaft mit einer
Kirche und Baumgruppen,
ein Blatt, welches trotz des
mangelhaften Druckes doch
angenehm und künstlerisch
wirkt. Wir müssen anneh-
men, dass Ernst S. auch der
Autor der mit Ernest fec.
oben bezeichneten Blätter
■ JM ^4 |*l ist, sicher aber ein Mitglied
der Familie des llartmann
S., welcher 1809 „Skizzen
zur besseren Ausführung für
Künstler und zur Nachah-
mung für Schüler, als Ver-
suche des chemischen Stein-
drucks in Gotha" herausgab.
Dieses Werk besteht aus 10
Blättern, auf welchen ähn-
lich wie bei dem Muster-
buche in München die ver-
schiedenen lithographischen
Kunstmanieren, allerdings in
der unvollkommendstcnWci-
se, veranschaulicht werden.
F,s sind Figurenzeichnungen
und Landschaften in Kreide-
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Aufseesser, Ein ungedrucktes Annalenwcrk der Lithographie.
73
Gegen 1K20 auf S««in gezeichnet von F. C. Fues.
Orig.- Crüite 22X27 cm.
manicr, Noten und Gedichte, welche teils mit ab Verfertiger der in Stein geschnittenen
der Feder auf Stein geschrieben, teils in den Blätter Michaelis entgegen. Mit der Annahme,
Stein geschnitten sind. Neben den besseren in dem Hefte eine Dilettanten-Arbeit vor uns
Kreidezeichnungen von Emst S. tritt uns hier zu haben, scheinen wir nicht fehl zu greifen,
als Lithograph für die Noten Hartmann S. und aber wenn diese Leistungen zwölf Jahre nach
Z. f. B. 98/99- 10
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74
Aufseesser, Ein ungedruckte« Annalenwerk der Lithographie.
Erfindung der Lithographie auch wohl mit
als deren primitivste Erzeugnisse in Deutsch-
land betrachtet werden dürfen, so besitzen
sie für uns dennoch einen hohen historischen
Wert. Unter bedeutend grösseren künstlerischen
Gesichtspunkten tritt uns ein Werk entgegen,
welches sich: „Erste im Königreich Sachsen
erschienene Sammlung artistischer Versuche in
Steindruck. Herausgegeben von A. v. Dsim-
dowsl'i-Dtcsden" betitelt. Dasselbe trägt keine
Jahreszahl, soll aber 1 806 herausgegeben worden
sein, und sein Charakter wie die Technik der
Zeichnung und des Druckes haben so viel Ver-
wandtes mit den zur gleichen Zeit, 1804 bis
1806 in München erschienenen Blättern, dass wir
dieses Jahr ohne Skrupel als das richtige an-
nehmen können. Merkwürdigerweise ist das
Dzimbowskische Buch in keinem Werke über
Lithographie angeführt, während so viele minder-
wertige Erscheinungen als Frühdrucke Beachtung
gefunden haben. Das Buch ist 31 cm hoch
und 24 cm breit und beginnt mit einem Titel-
porträt in Kreidemanicr, den Kurfürsten und
späteren ersten König von Sachsen Friedrich
August in Uniform in einem Oval darstellend,
ein Blatt, das in seiner flotten Zeichnung und
seinem guten Druck an die späteren Frankschcn
Porträts der bayrischen Fürstengallerie erinnert.
Der dem Porträt folgende Titel ist in acht
Zeilen, von Arabesken umgeben, mit Kreide ge-
schrieben, etwas grau in der Farbe wie alle
Drucke dieser Zeit, aber sehr hübsch und wirk-
sam gedruckt Da bei so frühen und seltenen
Drucken auch das einzelne Blatt Wert für den
Sammler besitzt, so führen wir sämtliche
Tafeln einzeln auf.
Blatt t. Landschaft mit Fluss und einer
Brücke im Hintergrunde, über welche zwei
Männer Kühe treiben, rechts ein Laubwald, in
der Ferne eine Kirche. Kreidezeichnung, links
mit Stamm inv. (Joh. Gottlieb Samuel Stamm,
Dresden) bezeichnet und ganz im Stile der
alten Wagenbauerschen Landschaften gehalten.
Dasselbe Blatt wird als
Blatt 2 koloriert wiederholt.
Blatt 3. Ein Wildbach, über welchen eine
Brücke führt, die ein Mann beschreitet. Im
I Iintcrgrund felsige Ufer mit einer Burg, rechts
ein Laubwald. Der Charakter wie oben, das
Blatt sicher auch von Stamm gezeichnet. Es
wiederholt sich als
Blatt 4 koloriert.
Blatt 5. Waldlandschaft; links schreitet auf
einer Brücke, die in eine Niederung führt, ein
Fussgänger. Wie oben.
Blatt 6. Wiederholung, koloriert.
Blatt 7. Tierstudie. Drei Kühe und ein
Schaf in einer Gruppe. Ohne Unterschrift. Steif
und schlecht gezeichnet und ohne künstlerischen
Stempel.
Blatt 8. Wiederholung, koloriert.
Blatt g. Mit der Feder gezeichnet. Ruinen
eines antiken Denkmals in einer Landschaft,
eine fein aufgefasste und ebenso ausgeführte
Zeichnung, die sich koloriert als
Blatt 10 wiederholt
Blatt 11. Wie oben. Ruine eines gewölbe-
artigen, wahrscheinlich römischen Tempels in
einer Landschaft, ebenso wie das vorige Blatt
behandelt, und koloriert wiederholt als
Blatt 12.
Blatt 13. Kreidezeichnung. Ein Seiden-
pudel, steif in Zeichnung und etwas matt im
Druck mit der Unterschrift „Piusinka".
Blatt 14. Kreidezeichnung. Eine Kuli, eine
Ziege und ein Schaf in einer Landschaft, einfach
und etwas steif in Zeichnung, ungleich und
unrein im Druck und mit „Klengel fec." be-
zeichnet.
So wenig Übung diese Blätter als erste
Versuche im Steindruck naturgemäss zeigen, so
wenig der heutige Beschauer von ihren künst-
lerischen Eigenschaften befriedigt werden dürfte,
so sehr sprechen sie doch für die Bestrebungen
der Künstler, der neuen Erfindung Anhänger
zu gewinnen. Etwa zwei Jahre nach den ersten
Lieferungen der von Mittcrer in München
herausgegebenen Kunstprodukte erschienen,
lehnen sie sich, besonders die Blätter in Kreide-
manier, streng an diese Vorbilder an.
Die Federzeichnungen auf Stein sind besser
als die Münchener jener Zeit, fein ausgeführte
und scharf gedruckte Landschaften, deren Voll-
endung unser höchstes Interesse beanspruchen
darf. Das Werk kann, wenn das Jahr 1806
sich als authentisch für seine Geburt heraus-
stellt, als Vorläufer des Musterbuches von
Gleissner, Senefelder ö* Co. betrachtet werden.
Es würde als solches sogar die Bedeutung der
genannten Senefelderschen Musterzeichnungen
für Kreide und Federmanier herabzusetzen ge-
eignet sein, jedenfalls aber liefert es ein glän-
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Aufscesser, Ein ungcdruckles Annalenwerk der Lithographie.
7>
zendes Zeugnis für Sachsens und Dresdens
Interesse an den lithographischen Bestrebungen
jener Zeit
Ein Jahr später, 1807, richtete die Cottasche
Buchdruckerei in Stuttgart durch den Hofrat
Rapp eine lithographische Druckerei ein. Rapp
liess aus München einen Drucker, Carl Stro/t-
hofer^ welcher bei Senefeldcr gearbeitet hatte,
kommen und durch ihn wurde die neue Kunst,
allerdings noch sehr mangelhaft, auch in Stutt-
gart eingeführt. Strohhofcr, mit dem Verfahren
wohl, nicht aber mit seinen technischen Fein-
heiten vertraut, legte Rapp die Notwendigkeit
auf, eine ganze Schule eigener Versuche durch-
zuarbeiten und wertvolle Erfahrungen zu sammeln,
welche dieser 1810 in seinem Werke über die
Technik der Lithographie veröffentlicht hat.
Nach Fcrchl ist das erste 1807 in Stuttgart
gedruckte Blatt eine Landschaft mit Badenden,
in Kreidemanier ausgeführt und mit H. Rif
bezeichnet. Uns ist dasselbe nur als eine am
8. Dezember 1807 erschienene Federzeichnung
bekannt. Fein entworfen und meisterhaft ge-
druckt, ist das Blatt von intimem Reiz; es ist
jedenfalls eine der bemerkenswertesten In-
kunabeln und von weit höherem künstlerischen
Wert als das 1808 erschienene, aber schon
1807 gezeichnete illustrierte Rciterlicd aus
Wallcnstein. Das Blatt, das nur in 1 50 Exem-
plaren herausgegeben worden sein soll, zeigt
auf der ersten Seite in Kreidemanier eine
Scenc aus Wallensteins Lager und auf den
weiteren Seiten die Noten und den Text des
Reitcrliedes, von J. Carl Ansfeld in Stein ge-
graben. Eine grosse detaillierte Karte von
Deutschland, mehrere gut ausgeführte mili-
tärische Pläne und ein Blatt mit Insekten sollen
in sehr gelungenen Abdrücken erschienen sein,
das grösste Interesse jedoch darf ein im De-
zember 1807 gemachter Versuch beanspruchen.
Aus einem geschwärzten Stein wurde die Zeich-
nung in Lichtem herausgekratzt, ein Experi-
ment, welches ein glänzendes Resultat und
eine grosse Anzahl guter Abdrücke ergeben
haben soll. Es muss insofern als hochbedeut-
sam angeschen werden, weil es als erste Probe
der geschabten Manier und als Vorläufer der
von Hinsemann herausgegebenen Blätter und
der Art von Charlet und Menzel auftritt. Wir
glauben nicht fehlzugehen, wenn wir als jenen
Versuch nach eingehenden Forschungen das
Blatt bezeichnen, welches Rapp in seinem zum
Lehrbuch gehörigen Bilderatlas 1810 abgedruckt
hat und welches zwei allegorische Zeichnungen
nach Michel Angelo wiedergiebt.
Wenn wir in chronologischer Reihenfolge
die Ausbreitung der Lithographie weiter ver-
folgen, so müssen wir uns nunmehr den ersten
Erscheinungen in Nürnberg im Jahre 1808 zu-
wenden. Eigentümlicherweise spricht darüber
Fcrchl in seinen Annalcn gar nicht und auch
in seinem Werke vom Jahre 1856 beschränkt
er sich auf die Angabc einiger Namen, die teil-
weise erst viel später in Frage kommen; ebenso-
wenig sind die Arbeiten der Künstler einzeln
angeführt, wie er dies bei anderen Städten thuL
Von den damals in Nürnberg lebenden be-
deutenderen Kupferstechern wurde der Stein-
druck entweder als minderwertig gar nicht
beachtet oder nur als neue Spielerei für Gelegen-
heitszeichnungen und Neujahrsgratulationen
verwendet. Nichtsdestoweniger interessieren
uns heute diese wenigen Demonstrationen der
neuen Kunst lebhaft und wir haben uns deshalb
bemüht, aus der ehemals Ambergschen Samm-
lung in der Nürnberger Stadtbibliothek und aus
derWeishauptschen Sammlung im Germanischen
Museum diejenigen Blätter, welche der Inku-
nabel-Epoche angehören und für den Sammler
immerhin von Bedeutung sind, ausfindig zu
machen. Indem wir sie nachstehend folgen
lassen, verschliessen wir uns natürlich dem
Bewusstsein nicht, dass noch manches wertvolle
und interessante Blatt existieren mag, das sich
unserer Nachforschung entzogen hat.
1809. „Chr. Wilder del. Nbg." stellt in
Kreidemanier eine Landschaft aus Altbayern
dar. Auf den Papierrand ist als Caprice ein
Elegant der damaligen Zeit in glänzenden Lack-
sticfeln gezeichnet. Aus derselben Zeit und
auch von Wilder stammt eine ähnliche Land-
schaft (in schwarz und braun) mit Hütte und
Wasser; an einem See stehen mehrere kleine
Häuser. Das erstangeführte Blatt soll übrigens
in schwarz und koloriert vertreten gewesen sein.
Beide Blätter circa 35 zu 40 cm.
Aus den Jahren von 1808 bis 1810 ist ein
sehr interessantes Blatt zu datieren, welches
den Vorhang im Nürnberger Theater darstellt in
Kreidemanicr ausgeführt und mit Hwigermiälcr
bezeichnet. Die grossartig komponierte Alle-
gorie ist in vollendeter Technik wiedergegeben;
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76
Ein ungedruckte* Annalenwcrk der Lithographie.
.fc>j,
Gruppenbild.
[ NicoLu» Vo t t « Mai«.
Orig.-Cru«c i)X» c«.
das Blatt gehört zu den schönsten Drucken
jener Zeit.
1811. y. A. Börner, 2 Blatt Federzeichnungen,
„Liebhaber" und „Kenner" betitelt. Die Ge-
nannten stehen jeder in einem Bilderkabinet und
sind in das Beschauen von Gemälden vertieft.
tSu. „Zum neuen Jahre 18 12." Gratulations-
karte des Pfarrers Ch. Wilder, des ersten Litho-
graphen in Nürnberg. Die Federzeichnung stellt
ein kleines Landschaftsbild mit Bäumen und
Felsstücken dar, links „Klengel a Nuremberg
181 1", rechts „gez. von Ch. Wilder 181 1" be-
zeichnet.
1812. Chr. Wilder, Kreidezeichnung. Ansicht
des fünfeckigen Turmes zu Nürnberg vom
platten Lande aus.
1812. Unbczeichnetc Kreidezeichnung. In-
schrift: „Am I.Januar 181 2." Aus einer Thüre
tritt ein Herr, dessen Rock in die Thürspalte
eingeklemmt ist Unterschrift: „Ich bin ge-
hindert und kann nicht kommen, alsu mein
Kompliment und nicht übel aufgenommen".
1813. „Chr. Wilder fec.
1 8 1 3" und als Neujahrswunsch
für 18 14 verwendet Prospekt
von Nürnberg, von Lichtenhof
aus gesehen, schöne Aussicht
auf die Burg mit belebter
Staffage, links ein grosser
Baum. Kreidezeichnung.
Von 1808 bis 1813 exi-
stieren eine Anzahl Oval-
porträts in Kreidemanier,
schwarz und koloriert, ohne
Künstlernamen, Nürnberger
Bürger darstellend.
J815. Hummelstein, nach
der Natur gezeichnet von
Georg Hofmann. „Meinem
edlen Wohlthäter geweiht am
I.Jan. 181 5." Dilettantenhafte
Zeichnung in Kreidemanier.
1815/1820. Eine Anzahl
mit „C. Hautsch inv." be-
zeichneter Jagdporträts, der
Jäger in ganzer Figur mit
angelegter Büchse und Hund.
Die Blätter tragen in Litho-
graphie die Widmungen der
Porträtierten an ihre Freunde.
1820 ca. Ansicht des
Burgzwingers gegen Morgen. Kreidezeichnung
mit Ton. Im Vordergrunde ein Tisch mit
Flaschen und Gläsern, an welchem zwei rau-
chende Offiziere sitzen. Rechts davon zwei
musizierende Paare, welche singen und Guitarre
und Flöte spielen. Sehr schönes, grosses Blatt
Querfolio und mit C. Fl. (vielleicht C. Fleisch-
mann) bezeichnet.
1820 ca. Eingang in die Burg zu Nürnberg.
Kreidezeichnung mit Ton und der Überschrift
„Zum neuen Jahr", gezeichnet von C. von Mayr.
Der bekannteste Nürnberger Lithograph der
zwanziger Jahre, der im eigenen Verlag zeichnete,
aber auch andere Künstler heranzog, war
G. P. Büchner. Von ihm existieren gegen
12 kolorierte Blätter, Bilder aus dem Militär-
leben, Paraden und Aufzüge, welche meist in-
teressante Plätze und historische Gebäude als
Staffage haben. Die Zeichnungen sind sehr
hübsch komponiert und nur etwas roh ge-
druckt, ebenso wie zwei in demselben Verlag
erschienene, aber mit Fues gezeichnete Nürn-
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Aufseesser, Ein ungedruclctes Annalenwerk der Lithographie.
77
berger Volkstypen. Diese, eine Nürnberger
Salzfischerin und eine Bratwurstfrau darstellend,
sind in Kreidemanicr ausserordentlich lebendig
aufgefasste, aber roh gezeichnete Blätter, die
in schwarz und koloriert verausgabt wurden
und für uns den Abschluss der Inkunabel-Zeit
bezeichnen.
Damit ist zugleich alles das für diese Epoche
Interessante erschöpft, was wir aus Fcrchls Auf-
zeichnungen nutzbar machen zu können glaubten.
Wenn wir den Annalcn einen bescheideren
Titel zu geben das Recht hätten, dann würden
wir sie ein chronologisch geordnetes Notizbuch
nennen, keinesfalls aber ein wissenschaftlich
systematisch durchgeführtes Werk. Ferchl hat
alle auf die Lithographie bezüglichen Notizen,
die ihm zur Hand kamen, sorgfältig gesammelt
und sie mit dem Datum versehen, und das allein
würde, wenn ihm alles überhaupt Erschienene
zugänglich geworden wäre, ein kostbares Nach-
schlagewerk ergeben. Die Sammlung der No-
tizen trägt aber im allgemeinen zu sehr den
Stempel des Zufälligen und Lückenhaften, als dass
sie von grossem Nutzen sein könnte. Was von
Interesse und unbestreitbarem Wert, das sind die
Ankündigungen der Münchener lithographischen
Lieferungswerke, ihre Preise und die genaue
Zeitbestimmung ihres Erscheinens — Prospekte,
welche meist im Original dem Manuskript bei-
liegcn. Ebenso begrüssen wir freudig einen
Katalog Münchener Lithographen und ihrer
Werke. Die Künstler kennen wir zwar meist
schon aus dem Ferchlschcn Werke vom Jahre
1856, ihre hauptsächlichsten Arbeiten jedoch
sind hier mit dem Datum ihres Entstehens ver-
sehen und bilden somit einen willkommenen
Anhaltspunkt für die Ordnung unserer Samm-
lungen. Als ersten Katalog aufgeführt, genau
t.andicbnft mit Badende».
luf Stein geicichnet von H. Rapp in
On«.- Grone ajxi9 «»•
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78
nach Lieferungen geordnet und mit dem Monat
der Herstellung bezeichnet, finden wir die von
Professor Mitterer 1804 — 1807 herausgegebenen
interessanten Kunstprodukte in Handzeichnungs-
manier. Ein zweiter Katalog, von Mitterer
selbst handschriftlich gefertigt und scheinbar
von ihm als Lagerkatalog verwendet, betitelt
sich: „Zweiter Originalkatalog aller von 1804
bis 1808 in der ersten Churfürstlichcn Stein-
druckerei von H. Mitterer erschienen Arbeiten,"
43 Titel mit 416 Nummern. Wir finden darin
die Namen von Wagenbauer, Hauber, den
Quaglios, Mettenleiter, Mayrhoffer, Raf. Wintter
Klotz u. a. m. mit Arbeiten, welche im Aus-
zuge schon in Ferchls erstem Werk, über-
sichtlicher aber noch in der Münchener Bilder-
chronik von J. Maillinger angerührt sind. letzt-
genanntes Werk bietet überhaupt jedem Sammler
auf lithographischem Gebiet die weitaus wert-
vollsten Aufschlüsse.
Dass im Jahre 1803 zum erstenmalc Litho-
graphie und Typographie vereinigt in der
Münchener Zeitschrift „Das blaue Blatt" auf-
treten, ist die interessanteste Nachricht, welche
uns die Annalen bringen, zumal da Ferchl
früher diese Vereinigung für das 1808 er-
schienene Werk Mitterers „Anleitung zur Geo-
metrie" festgestellt hatte.
Das Annalenwerk, das Herr Dorgerloh der
Königlichen Bauakademie zu Berlin vermacht
hat, repräsentiert im Manuskript ein Gewicht
von 10 Kilo, und wenn wir zu dem Entschluss
gelangt sind, uns durch ein so umfangreiches,
meist schwer leserliches Material hindurch-
zuarbeiten, so war die Hoffnung auf eine reiche
Ausbeute dabei bestimmend. Sie ist freilich
getäuscht worden, aber einerseits erspart dieser
kurze Aufsatz anderen Forschern die Mühe
unserer Arbeit und ausserdem werden auch die
wenigen neuen Notizen, die Ferchl bietet, als
Lückenausfüllcr den Sammlern von Interesse
sein. Denn so lange wir kein sorgfaltig aus-
gearbeitetes Nachschlagcbuch über die Litho-
graphie besitzen, müssen wir dankbar jede Ver-
öffentlichung begrüssen, die für den historischen
Entwicklungsgang der Kunst neue Daten bringt
l'fl.in;cn.luJic luch Philipp HacVcrL
Mathiat Koch incise in marraio ittoj.
Ori|j.- OMtM iiuXjo cm.
Das Notenskizzenbuch Mozarts aus London 1764.
Von
Professor Dr. Rudolph Genee in Berlin.
[n demselben Jahre, in dem Mozart ge-
boren wurde, hatte sein Vater, der
Sulzburger Fürstbischöfliche Musikus,
seine Violin - Schule herausgegeben. Dreizehn
Jahre später, im Jahre 1 769, erschien eine neue
Auflage, und in dem Vorwort dazu konnte er
es sich nicht versagen, seines Sohnes Wolfgang
als des wunderbarsten Musik-Genies Erwähnung
zu thun. Indem er das verzögerte Erscheinen
der neuen Auflage seiner Violin -Schule damit
begründet, dass er in den letzten Jahren mit
seinen Kindern viel auf Reisen
war, fährt er fort:
„Ich könnte hier die Ge-
legenheit ergreifen, das Publi-
kum mit einer Geschichte zu
unterhalten, die vielleicht nur
alle Jahrhundert erscheint, und
die im Reiche der Musik in
solchem Grade des Wunder-
baren vielleicht gar noch
niemals erschienen ist; ich
könnte das wunderbare Genie
meines Sohnes beschreiben,
dessen unbegreiflich schnellen
Fortgang in dem ganzen Um-
fang der musikalischen Wissen-
schaft von dem fünften bis in
das dreizehnte Jahr seines
Alters umständlich erzählen;
und ich könnte mich bei einer
so unglaublichen Sache auf das
unwidersprechlichc Zeugnis vie-
ler der grössten europäischen
Hofe, auf das Zeugnis der
grössten Musikmeister, ja sogar
auf das Zeugnis des Neides
berufen" — etc.
Von den Reisen, die Leo-
pold Mozart hier erwähnt, fallen
für uns zunächst diejenigen
ins Gewicht, die er mit den
beiden Kindern in den Jahren
1763 — 1765 nach Paris und
London machte. Schon in Paris
hatte das Genie des sieben-
jährigen Knaben alles in das äusserste Er-
staunen versetzt, so dass der bekannte Ency-
klopädist Baron Fr. M. Grimm in seiner „Cor-
respondence litteraire" etc. nach Hcrzählung
der geradezu unglaublichen Leistungen dieses
Knaben u. a. schrieb: „Ich sehe es wahrlich
noch kommen, dass dieses Kind mir den Kopf
verdreht, wenn ich es noch ein einziges mal
höre, und es macht mir begreiflich, wie schwer
es sein müsse, sich vor Wahnsinn zu bewahren,
wenn man Wunder erlebt."
S O NATE S
A SA MA JE S T E
C HAßLOTTE
BEINE uc /üj GRANDE BRETAGNE
Compofc'espar
X.G.WOiFGAlSrG MOZART
hütete
Oeuvre HL
Verkleinerte* Titelblatt der auf Veranlagung
der Königin Charlotte von England komponierten „Sccht Sonaten*
(Abb.
Moiarti.
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8o
Nach dem Aufenthalte in Paris, der vom
Herbst 1763 bis April 1764 währte, reiste der
Vater mit den beiden Kindern, dem achtjährigen
Wolfgang und der um mehrere Jahre älteren
Schwester Nannerl, über Calais nach London,
wo das Aufsehen, das namentlich der Knabe
machte, fast noch grösser war, als in Paris.
Auch aus London haben wir eine dem unbe-
greiflichen Knaben gewidmete Abhandlung, die
der gelehrte Mr. D. Barrington einige Jahre
später in den „Philosophical Transactions" ver-
öffentlichte.
In London, wo die Musiker-Familie ein Jahr
und drei Monate geblieben war, hatte sich bei
Wolfgang besonders sein Eifer im Komponieren
erheblich gesteigert. Hier war es, wo er nicht
nur eine ganze Serie von Sonaten für Klavier
und Violine geschrieben hat, sondern wo auch
seine ersten Sinfonien entstanden sind, die
erste während einer ernsten Krankheit des
Vaters und ohne dass er dabei das Klavier zu
Hilfe zu nehmen brauchte. Schon in der Anfangs-
zeit des Londoner Aufenthaltes hatte der be-
glückte Vater an seinen Salzburger Freund
Hagenauer geschrieben, dass man sich in Salz-
burg gar keinen Begriff davon machen könne,
was Wolfgang jetzt leiste und was er in der
Musik-Theorie jetzt wisse: — „wer es nicht
sieht und hört, kann es nicht glauben."
Sonaten für Klavier und Violine hatte er
schon in Paris geschrieben, und infolgedessen
hatte in London die junge Königin, geborene
Prinzessin von Mecklenburg- Strelitz, den Wunsch
geäussert, dass er ihr einige Sonaten schreiben
und dedicieren möge. Schon Ende des Sommers
1764 wurden diese sechs Sonaten in London
gestochen und erschienen unter dem Titel, den
wir hier in Verkleinerung nach der Original-
Ausgabe wiedergeben (Abb. 1). Man wird auf
diesem Titelblatt zunächst bemerken, dass dabei
das jugendliche Alter des Komponisten (Agtf
de huit An's) ausdrucklich angegeben ist, sowie
ferner, dass das Sonatenheft in des Vaters
Wohnung — Thrift street Soho — käuflich zu
haben war. Bei den auf dem Titelblatt an-
gegebenen Taufnamen, bezeichnet mit J. G.
Wolfgang, ist zu bemerken, dass die voll-
ständigen Vornamen nach dem Taufbuche
lauteten: Johannes Chrisostomus Wolfgang
Gottlieb. Die ersten beiden Namen Hess er
später fallen, und den Gottlieb hatte er in
Amadeus übersetzt; aber der eigentliche Nenn-
name blieb Wolfgang, und so hat ihn auch
der Vater in seinen Briefen stets nur Wolf-
gangcrl genannt, oder mit halb scherzender
Bewunderung: unsem grossen Wolfgang oder
auch Master Wolfgang.
Übrigens konnte Leopold Mozart mit den
Londoner Stichen der Sonaten ebenso wenig
zufrieden sein, wie er es mit den Pariser Stichen
war, denn auch in den Londoner Stichen ist
die Stellung der Noten, in der Übereinstimmung
zwischen Violin- und Bassstimmen des Klaviers,
häufig eine sehr fehlerhafte. Die Dcdikation
der Sonaten, wie der Titel in französischer
Sprache, ist sehr lang, und sie brachte dem
Vater von der Königin ein Geschenk von
50 Guincen (also etwa 1000 Mk.) ein, die aber
wohl für die Kosten des Stiches draufgingen.
Wenn wir die in London geschriebenen
Sonaten und Sinfonien des achtjährigen Mozart
längst kennen, so war dagegen ein kleines,
nicht für die Veröffentlichung bestimmtes und
von ihm in London vollgeschriebenes Noten-
Skissenbuch, das eine Menge reizender melo-
discher Motive enthält, bisher gänzlich unbekannt,
so dass auch weder O. Jahn noch Kochel in
ihren umfassenden Werken davon Notiz nehmen
konnten. Das Büchelchen, das ich neuerdings
aus seiner Verborgenheit ans Licht gebracht
habe, hat das Format der älteren Stamm-
bücher und ist in Leder gebunden. Dasselbe
war ehemals im Besitze des Herrn Paul Mendels-
sohn- Bartholdy, des Bruders von Felix, und
ist nach dem Tode des Besitzers auf dessen
Sohn, Ernst v. Mendelssohn in Berlin, über-
gegangen. Niemand hatte bisher von dem
Vorhandensein eines solchen Schatzes etwas
gewusst, und nur ein glücklicher Zufall machte
mich damit bekannt Besondere Umstände
hatten mich veranlasst, eine Mozartsche Opem-
partitur, deren Handschrift im Besitze des
Herrn v. Mendelssohn ist, durchzusehen. Als
ich damit fertig war, hatte Herr v. Mendelssohn
mir das Notenbüchlcin gezeigt, wie mir schien
in Unsicherheit über den Inhalt desselben wie
über den danach zu schätzenden Wert. Auf
dem ersten unliniirtcn Blatte erkannte ich in
der mit Bleistift geschriebenen Angabe: „Di
Wolfgango Mozart ä Londra 1764" sogleich
die schönen Schriftzüge des Vaters, und durch
Vergleichung der Notenschrift mit derjenigen
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Z. f. B. 98/99.
II
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82
Gen<e, Vis Notenskizzenbucß MottiU aus London 1764.
Mozartschen Kompositionen, die wir ebenfalls
aus dieser Londoner Zeit in seiner Handschrift
haben, konnte ich auch die Echtheit der Noten-
schrift leicht feststellen; denn die Berliner
Königliche Bibliothek besitzt unter der Masse
der Mozarteana auch seine 1764 in London
geschriebene Sinfonie in Es-dur (Kochel Nr.
16). Obwohl nun in dem Skizzenbuch die
Notenschrift — je nach der Laune des Kna-
ben wie nach der Verschiedenheit des Mate-
rials — erhebliche Abweichungen zeigt, so
giebt es doch gewisse Eigentümlichkeiten in
der Schreibweise, auch in den Notenstrichen,
Vorzeichen und Teilungen der Noten, die durch-
aus bezeichnend und auch hier auffällig vor-
handen sind. Von den 37 kleinen Stücken,
die 86 Notenseiten füllen, sind die ersten
25 Stücke mit Bleistift geschrieben, und erst
im letzten Drittel tritt die Schrift mit der
Feder und Tinte ein. Ganz im Anfange ist
die Schrift noch knabenhaft steif, wird aber
schon auf der dritten Seite freier und fliessender,
später aber so flüchtig, dass man oft grosse
Mühe hat, über das, was er meinte, Klarheit
zu erlangen. Eine Auswahl dieser Stücke
habe ich im fünften Hefte der von mir her-
ausgegebenen „Mitteilungen für die Mozart-
Gemeinde in Berlin" (E. S. Mittler & Sohn)
teils in Notenstich, teils in Facsimiles mitgeteilt.
Die Facsimiles interessieren natürlich am meisten,
und ich gebe deshalb hier auf Wunsch des
Herrn v. Zobeltitz zwei weitere Proben, aus
denen man zugleich die grosse Verschiedenheit
der Handschrift ersehen kann. Die erste Probe
(Abb. 2) giebt die Bleistift-Handschrift von der
ersten Notenreihe des allerersten Stückchens,
dasein freundliches und sehr zierliches Allegroist.
Ganz anders erscheint die zweite Probe (Abb. 3),
die aus den späteren, mit Tinte geschriebenen
Stücken genommen ist Die zwei Notenreihen
gehören zu den kürzesten Stücken der Skizzen,
und die Flüchtigkeit der Handschrift, die sich
auch in den durchgängig schief stehenden
Noten und Taktstrichen zeigt, ist hier so arg,
dass auch der erfahrene Musiker Schwierig-
keiten haben wird, die Absicht des Komponisten
zu erkennen, denn die Noten stehen hier häufig
an falscher Stelle; entweder sind sie zwischen
die Linien geraten, wo sie auf der Linie
stehen sollen, oder umgekehrt.
Erstaunlich aber und bezeichnend für das
Genie ist es auch hier, dass bei einem acht-
jährigen Knaben und bei den schon recht
komplizierten musikalischen Gedanken die Feder
in solcher wilden Flüchtigkeit über das Papier
gleiten konnte.
Man kann schon aus einem solchen Bei-
spiele ermessen, wie wichtig das Notenskizzen-
buch für diese frühe Epoche des aufsteigenden
musikalischen Genies des wunderbaren Ton-
künstlers ist, dieses „Wunders der Natur" —
the prodigy of nature — wie der Knabe mit
Recht auch in den vorliegenden Londoner
Konzert-Anzeigen genannt wurde.
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Die Berliner Litteratur von 1848.
Von
Dr. Arend Buchholtz in Berlin.
Ej5?<Hie Bewegung des Jahres 1848, die
PN fc^L H die stürmischen Märztage eingeleitet
y§ wffjj batti-n , war noch lange nicht zur
Ruhe gekommen, als der Plan zu einer aus-
fuhrlichen Darstellung der Berliner Revolution
entstand, allein er scheiterte, weil die in Aus-
sicht genommenen Mitarbeiter Friedrich von
Raumer, Reilstab, Friedrich Förster u. a. die
gewichtigsten Bedenken hatten: man stand
noch mitten in den verworrenen Parteikämpfen,
und Licht und Schatten gerecht zu verteilen,
erschien mit Recht als unlösbare Aufgabe.
Es hat trotzdem an Bearbeitungen jener Episode
in der Berliner Geschichte damals nicht gefehlt:
Adolph Streckfuss schrieb sein „Freies Preussen",
Adolph Stahr seine Geschichte der „preussischen
Revolution", Adolph Wolff seine dreibändige
„Berliner Revolutionschronik", August Brass
sein Buch von „Berlins Barrikaden"; zu einer
anonymen Darstellung der Zeit vom 28. Febr.
bis zum 31. März vereinigte sich eine Anzahl
Mitkämpfer und Augenzeugen, und bis auf den
heutigen Tag ist jenen ersten Berichten eine
reiche Litteratur von Denkwürdigkeiten und
Monographien gefolgt, und dennoch müssen
wir sagen: es giebt noch immer keine den
Stoff erschöpfende, nach Urteil und Form be-
friedigende Geschichte der Berliner Revolution
wie des Jahres 1848 überhaupt, und immer be-
dauernswert wird es bleiben, dass, als sich
Heinrich v. Treitschke anschickte, den sechsten
Band seiner deutschen Geschichte zu schreiben,
der Tod ihn abrief.
Wenn wir nach einer Erklärung dafür suchen,
dass eine zuverlässige Geschichte der Revo-
lution von 1848 noch immer nicht geschrieben
ist, so finden wir sie darin, dass die umfang-
reichen Sammlungen zur Geschichte jener Zeit,
die in vielen tausend kleinen Drucken und
einzelnen Blättern bestehen, wohl kaum in einer
öffentlichen Bibliothek Nummer für Nummer
verzeichnet und daher der Benutzung nicht
recht zugänglich sind und das Aktenmaterial
der Staatsarchive Tür jene Zeit in der Regel
nicht freigegeben wird. Wir haben eben eine
Bibliographie der Litteratur des Jahres 1848,
die über eine Aufzählung der Hauptwerke hin-
ausgeht, bisher nicht gekannt Der erste, der
mit nimmermüdem Eifer den Anfang mit einer
Katalogisierung der Einblattdrucke von 1848
nach ihren vier Hauptmomenten — Inhalt,
Datum, Unterzeichner und Drucker — machte,
war der verdienstvolle Berliner Sammler Otto
Göritz, aber er berücksichtigte in dem Kataloge
seiner der Stadt Berlin dargebrachten Biblio-
thek (Zur vaterländischen Geschichte Abt. 2,
1893) nur die Zeit vom März bis zum Eintritt
des Belagerungszustandes im November, und
die Zahl der Blätter war von einer Vollständig-
keit weit entfernt, auch hatte er die Nachklänge
des Jahres 48 nicht in Betracht gezogen.
Da fiel der Stadt Berlin vor fünf Jahren
die reiche Sammlung des Dr. George Friedlaender
zu, und nun haben wir in dem von der Berliner
Magistratsbibliothek im Sommer 1897 heraus-
gegebenen „ Verzeichnis* der Fricdlaenderschen
Sammlung zur Geschichte der Bewegung von
1848. Berlin, Buchdruckerei von Wilhelm
Baensch, 1897", VI 292 S. 8°, die erste Biblio-
graphie der politischen 1848-Litteratur.
Der verdienstvolle Sammler war in Dorpat
1829 geboren, als Sohn des Professors der
Staatswissenschaften Dr. Eberhard David Fried-
laender, hatte in Dorpat seine Erziehung und
akademische Bildung als Mediziner erhalten,
war dann nach Deutschland übergesiedelt und
hatte sich als Arzt in Berlin niedergelassen.
Hier hat er von 1855 bis zu seinem am
14. November 1892 erfolgten Tode seinem
ärztlichen Berufe gelebt Er war ein hoch-
begabter und vielseitig gebildeter Mann, ein
vertrauter Freund von Guido Weiss und Johann
Jacoby, mit dessen politischen Anschauungen
sich auch seine Gesinnung deckte. Am Partei-
leben nahm er allezeit den regsten Anteil, ohne
selbst als Redner oder Schriftsteller eingreifen
zu wollen. Litterarisch thätig ist er nur in sehr
geringem Umfange gewesen: was er geschrieben
hat, beschränkt sich auf einige Zeitungsartikel,
die anonym erschienen sind. Aber schon bald
nach seiner Niederlassung in Berlin war er
bemüht, alle gedruckten Quellen zur Geschichte
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8 4
Buchholti, Die Berliner Litteratar von 184S.
des Jahres 1848, Zeitungen, Broschüren, humo-
ristische Blätter, Karikaturen u. ä. zu sammeln,
um einem künftigen Historiker jener Zeit, der
all' seine Sympathie galt, die Bahn zu ebnen.
Anfangs sammelte er nur Bcrolinensien, dann
aber sprengte sein unermüdlicher Eifer die
engen Schranken und er zog Preussen und
selbst die anderen deutschen Staaten in den
Rahmen seiner Erwerbungen hinein. Da er
sich schon vor vierzig und mehr Jahren ans
Sammeln machte, so glückte seinem Spürsinn
manche schöne Erwerbung, die heute, wenn
überhaupt, so nur mit reichen Geldmitteln, die
Friedlaender nicht zur Verfügung standen,
gelingen könnte. Und wie er die Grenzen
seines Sammeleifers räumlich erweiterte, so
steckte er sie auch zeitlich viel weiter hinaus,
als anfangs seine Absicht gewesen war. Er
ging mit der ihm eigenen Beharrlichkeit den
in der gedruckten Litteratur zu Tage getretenen
Regungen des oppositioneilen Geistes gegen
die Staatsregierung und die bestehenden Zu-
stände bis in das Ende des vorigen Jahrhunderts
nach und verfolgte sie bis zur Lösung der
schleswig-holsteinischen Frage im Jahre 1864.
Für das erweiterte Gebiet konnte er leider
nicht dieselben Erfolge erzielen, wie für das
ursprünglich bevorzugte kleinere Feld der Be-
tätigung: während hier ein Reichtum herrscht,
der von anderen Sammlungen kaum übertreffen
wird, klaffen dort weite Lücken.
Im wesentlichen kann die Friedlaendersche
Sammlung alseine Bibliothek bezeichnet werden,
die die Litteratur des Liberalismus in Deutsch-
land bis zur Beilegung des Konflikts im Jahre
1866 umfasst, und ihr Katalog ist ein biblio-
graphisches Nachschlagewerk, das gewiss leicht
ergänzt werden kann, im grossen und ganzen
aber für die wissenschaftliche Benutzung des
Quellenmaterials zur Geschichte jener Zeit von
bleibendem Wert sein wird. „Das Jahr 1848
mit all seinen lehrreichen Thorheiten", so schrieb
mir Guido Weiss, bekanntlich selbst ein Acht-
undvierziger, „ersteht da wie eine Photographie
vor dem jener Zeit Kundigen, und das Buch
sollte den Historikern, die es noch nicht wissen,
ein Fingerzeig sein, wie in dieser Zeit, in der
das litterarische Leben sich mehr und mehr
in Flugschriften' und Zeitungen auflöst, die
Bewahrung, Sonderung und Benutzung dieser
Tagesfliegen notwendig wird". . .
Als die Magistratsbibliothek die Sammlung
übernahm, fand sie einen ansehnlichen Teil
Katalogarbeit bereits vor. Friedlaender selbst
hatte, wie es scheint, gleich zu Beginn seiner
Erwerbsthätigkeit die Einblattdrucke und ein-
zelnen Zeitungsnummern, deren er habhaft wurde,
sorgsam auf Zetteln verzeichnet, auch schon mit
Angabe des Inhalts, Verfassers, Druckers und
des Datums. Das Manuskript bedurfte indessen
einer gründlichen Sichtung vom ersten bis zum
letzten Blatt, des Vergleichs mit der Vorlage,
der Ergänzung und noch öfter der Kürzung,
bis es druckfertig war. Friedlaenders biblio-
graphische Arbeit hatte sich aber nur auf die
Aufnahme der Plakate und Flugblätter be-
schränkt. Ihm war es überhaupt in allererster
Reihe um diese zu thun, die er, in sieben
schwarz-rot-goldenen Mappen vereinigt, mit
Argusaugen hütete, ohne sie aber dem Ver-
ständnisvollen zu verschlicssen. Erst in zweiter
Reihe kamen für ihn die Broschüren und um-
fassenderen Werke, die in das Gebiet dieser
Oppositions- und Revolutionslitteratur fielen, in
Betracht, und die schleswig-holsteinische und
die polnische Frage wurden, nebenbei berück-
sichtigt, weil der Liberalismus den Kämpfen
der Schleswig-Holsteincr und Polen um Er-
ringung politischer Freiheit und Selbständigkeit
sympathisch gegenüberstand.
An einer noch weitern Ausgestaltung und
Vervollständigung seiner Sammlung ist Fried-
laender mitten in eifrigster Arbeit durch den
Tod gehindert worden. Die Sammlung zählt,
von dem Inhalt der Plakatenmappen abgesehen,
gegen dreitausendfünfhundert Nummern.
Bei der Zusammenstellung der Einblatt-
drucke und Zeitungsnummern war Friedlaender
streng chronologisch verfahren. Diese An-
ordnung ist auch im gedruckten Kataloge als
die vom Sammler gegebene beibehalten worden.
Auf die Verzeichnung der unzähligen einzelnen
Nummern der Tagesblätter, die in die Mappen
hineingefügt sind, musste verzichtet werden,
um die Übersicht nicht zu erschweren.
Der Katalog beginnt mit der Aufzählung der
Litteratur über Deutschland und Preussen vor
dem Jahre 1806. Hieran schlicsst sich als einer
der wertvollsten Teile der Bibliothek deren Be-
sitz an Zeitungen, Zeitschriften, Kalendern und
ähnlichen periodischen Drucksachen aus der
Zeit von 1806 bis etwa 1866 — neben langen
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85
Reihen von Jahrgängen bekannter politischer
Blätter die beredten Zeichen eines kurzen, oft nur
nach Tagen zählenden Daseins. Von einer
ganzen Anzahl Blätter wissen wir sogar, dass sie
sich nur zu einer einzigen Nummer haben auf-
schwingen können: hoffnungsvoll und froh des
mit Mühe gewonnenen Verlegers verfasste der
glückliche Journalist schnell ein inhaltreiches
Programm, Nummer eins ward gesetzt, gedruckt
und ausgetragen, um nur allzu schnell im Strom
der Bewegung unterzusinken, in den ersten
Lebensanfängen von glücklichem Nebenbuhlern
erstickt. Andere Blätter konnten von Glück
sagen, wenn sie sich bis zu Wrangeis Einzug
hielten; nur wenige haben die Revolution um
einige Jahre überdauert, und nur ein paar, wie
die Nationalzeitung, die Kreuzzeitung, der
Kladderadatsch haben sich aus jenen Tagen
in die Gegenwart hinübergerettet Die ersten
Flugversuche der befreiten Presse haben nur
kurze Gunst genossen.
Von den damals in Berlin täglich erscheinen-
den vier Zeitungen, der offiziösen Allgemeinen
I'reussischen, der Vossischen, der Spenerschen
und der Berliner Zeitungshalle von Gustav Julius,
wurde die letzte allein als das revolutionäre
Organ, als das Blatt des entschiedenen Fort-
schritts anerkannt Am 22. März wurde die
fünfte grosse politische Zeitung, die National-
zeitung, angekündigt; bald folgten die Kreuz-
zeitung, die Berliner Abendzeitung und die
vielen anderen, die der Friedlaendersche Kata-
log aufzählt wie die humoristischen Blätter, auf
die ich weiter unten eingehe. Politik und Wissen-
schaft verband eine weitverbreitete Wochen-
schrift „Die medizinische Reform", die die beiden
Ärzte Virchow und Leubuscher herausgaben.
Es ist überhaupt eine auffallende Erscheinung,
dass als Wortführer in der freiheitlichen Be-
wegung von 1848 so viele Ärzte auftraten.
Man wird dabei an ein Wort des alten Kieler
Arztes Professor Hensler erinnert, das uns
Niebuhr in einem seiner Zirkulationsbriefe aus
Holland überliefert hat. Hensler war kein Re-
volutionär, meinte aber, dass „Ärzte und Physiker
vor allen anderen Gelehrten geneigt wären, bis
zur äussersten Wildheit in diese Partei hinein-
zugehen". . .
Neun Seiten füllt das Verzeichniss der Zei-
tungen und Zeitungsrudera in dem Friedlaender-
schen Kataloge, unter ihnen die grössten Selten-
heiten, wovon kaum noch andere Exemplare
nachzuweisen sind.
Aus der Gruppe des Kataloges, die „Deutsch-
land und Preussen von 1806 bis zur Bewegung
von 1848" umfasst, verdient die reiche Litteratur
hervorgehoben zu werden, die die kirchliche
Bewegung der dreissiger und vierziger Jahre
behandelt: die evangelische Kirche, die pro-
testantischen Freunde, der Deutschkatholizismus
sind mit einer erdrückenden Fülle ihrer nicht
recht erfreulichen kleinen und grossen Ver-
öffentlichungen vertreten.
Sehr ansehnlich ist die Litteratur der Frank-
furter Nationalversammlung. Aber die Haupt-
masse des Vorhandenen gruppiert sich um die
politische Bewegung in Preussun seit dem ver-
einigten Landtage, um die Jahre 1848 und
1849 und die preussischen Verfassungskämpfe.
Hier lassen sich die Ereignisse an der Hand
der vielen tausend Blätter, der Maueranschläge,
der Flugblätter, der politischen, humoristischen
und satirischen Zeitungen, der politischen Ge-
dichte Tag für Tag, in den entscheidendsten
Tagen oft Stunde für Stunde verfolgen, von
jenem 28. Februar 1848 an, wo ein Extrablatt
der Allgemeinen Preussischen Zeitung um die
Mittagszeit den Ausbruch der Pariser Februar-
revolution verkündete, bis zu den Dezembertagen
1849, wo „Feierklänge am Tage der Befreiung
des Geheimen Ober-Tribunalsrat Waldeck" an-
gestimmt wurden.
Mit einem Schlage hatte das Berliner Leben
in der ersten Märzwoche 1 848 ein anderes Ge-
sicht bekommen. Man lebte ganz nach aussen;
als spannungsvoll harrender Zuschauer hörte
man begierig auf die neuesten politischen Be-
gebnisse in Nähe und Ferne und griff nach den
Blättern, die an den Ecken angeschlagen und
auf den Strassen feilgeboten wurden: es ist
Berliner Strassenlitteratur, die einen grossen
und den wertvollsten Teil der Sammlung aus-
macht Blätter, die eine ephemere Existenz ge-
habt haben, die von Hand zu Hand gegangen
sind und über die Vorgänge des Tages, oft
getreu, öfter allerdings tendenziös gefärbt, je
nach dem Standpunkt des Verfassers und dem
Fluge seiner Phantasie, berichten. Der deutsche
Journalismus hat eben damals eine merkwürdige
Lehrzeit durchgemacht.
Mit der Strassenlitteratur, die sie schufen
haben die Märztage einer Anzahl litterarischer
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86 Buchholtt, Die Berliner Lirtemtar von 1848.
Genies zur Berühmtheit verholfen, die, wenn
sie auch kurzlebig, so doch damals, in jenen
Tagen der Ungebundenheit der Presse, unbe-
stritten war. Nur von wenigen unter den
damals aufgekommenen Tagesschriftstellern
hatte man überhaupt schon einmal gehört, die
meisten waren unbekannte Leute, von dunkler
Herkunft, man wusste nicht, wovon sie sich
nährten und kleideten, die Welle hob sie und
verschlang sie. Viel gesunder und fruchtbarer
Geist, lebendige Ideen, nur selten freilich die
Bildung tief und sicher die positiven Kennt-
nisse, aber eine Fähigkeit, die Sprache zu hand-
haben, die oft meisterhaft ist, selbst in der Be-
handlung des Dialektes; in der Gesinnung
Variationen vom Ideal bis zur niedrigsten Aus-
artung.
Diese litterarischen Genies, deren Namen
damals auf allen Lippen waren, bei Anhängern
und Gegnern, haben ein kurzes Dasein im
vollsten Licht der Öffentlichkeit geführt; zurück-
gesunken in die Luft der Alltäglichkeit erstickten
sie, und von den meisten hat man dann draussen
in der Welt wohl nur einmal wieder gehört:
wenn die Tagespressc ihren Tod in kurzen
Worten meldete, kaum dass sich man dann
noch des Namens entsann. Auch dem be-
kanntesten und talentvollsten unter allen den
Journalisten jener stürmischen Zeit ist es nicht
viel anders ergangen: Friedrich Wilhelm Alex-
ander Held. Sein Leben ist noch immer nicht
geschrieben worden, wenn wir von E. Kncschkes
nur allzu dürftiger Skizze in der „Allgemeinen
deutschen Biographie" und einigen Mitteilungen
anderer Achtundvierziger absehen, von denen
einer auf ihn das böse Wort Börnes anwendet :
„Was bliebe an ihm zu loben übrig? Nichts, als
dass er ein grosser Künstler war und zu reden
verstand; die Natur in ihm war schlecht". Die
Lauterkeit seiner Gesinnung wurde schon an-
gezweifelt, als sich die Leute an den Strassen-
ecken drängten, um sein neuestes Plakat zu
lesen. Zuerst Lieutenant, dann Schauspieler
und endlich Schriftsteller, was er bis an seinen
Tod, 1872, blieb, immer mit wechselndem Er-
folge, anmassend, pathetisch in Rede und Ge-
berde, ehrgeizig, von lockerem Leben, ober-
flächlich gebildet, aber ein Schriftsteller von
packender Frische und Lebendigkeit. Seine
Zeitungsartikel wie seine Maueranschläge fessel-
ten immer durch Originalität der Gedanken und
der Ausdrucksweise, durch Entschiedenheit und
Verständlichkeit, darum ist denn auch der
grosse Einfluss, den er 1848 auf die politische
Gesinnung der Berliner ausgeübt hat, nur allzu
erklärlich.
In der kaum übersehbaren Masse von Ein-
blattdrucken aus der Zeit von 1848 bis 1849,
von Extrablättern der Zeitungen, von Bekannt-
machungen der Behörden, von Adressen und
Manifesten, von Flugblättern aller Arten aus
der Mitte der Bevölkerung aller Stände und
Berufsklassen erregen das meiste Interesse auch
beim heutigen Leser noch die Heldschen Plakate.
Sie waren immer schnell entworfen, denn Held
konnte nur arbeiten wenn, das Feuer ihm auf
den Nägeln brannte. Wenn man sie neben-
einander hält, ist man verwundert, wie man dem
Manne Doppelzüngigkeit und Charlatanerie nach-
sehen konnte. Aber er erhielt sich in der Volks-
gunst länger, als man nach den bedenklichen
Proben seiner Gesinnungsschwankungen hätte
für möglich halten können. Nur seiner unge-
wöhnlichen Geschicklichkeit hatte er zu danken,
dass er das Heft so lange in der Hand behielt.
Auch die Kunst, Reklame für sich zu machen,
übte er meisterhaft aus, und zusammen mit
seinem Freunde, dem Buchdrucker Ferdinand
Reichardt, der seine Plakate druckte, sorgte er
für deren Vertrieb durch den fliegenden Buch-
handel, der damals in Berlin eigentlich so recht
erst aufkam. Vor den Druckereien sammelten
sich halbwüchsige Jungen, die auf das Er-
scheinen der frischen Blätter lauerten, um sie
auf den Strassen zu verkaufen, unter lautem
Geschrei und zudringlichen Anpreisungen.
Grosser Beliebtheit, zumal bei der demo-
kratischen Partei, erfreuten sich die humo-
ristischen Flugblätter, die Adalbert Cohnfeld
unter dem Pseudonym Aujust Buddelmeyer,
„Dagesschriftsteller mit'n jrossen Bart", im
Berliner Jargon herausgab. Uber sein Leben
sind uns nur dürftige Mitteilungen bekannt. In
Pyritz 1809 geboren, erhielt er auf dem Gym-
nasium zu Stargard seine Schulbildung und
studierte in Berlin Medizin. Seit 1834 war er
hier als praktischer Arzt thätig. Wenige Jahre
darauf begann seine gar bunte schriftstellerische
Thätigkcit: er schrieb Novellen, gab Volks-
sagen heraus, war Redakteur an der „Nord-
deutschen Zeitung" für Theater, redigierte später
die „Erinnerungsblätter", war auch dramatischer
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Bachholti, Die Berliner Litteretar von 184s.
Lehrer, Belletrist und Kunstkritiker und nahm
sich dazwischen noch die Zeit, zwei dickleibige
Werke über die „Geschichte des preussischen
Staats mit besonderer Berücksichtigung des
deutschen Reiches" und eine Lebensgeschichte
Friedrich Wilhelms III. zu schreiben. Als die
Märztage anbrachen, wurde er mit in den
Strudel der Politik hineingerissen. Mit unsäg-
licher Beharrlichkeit hat er seine Flugblätter
geschrieben, deren fast jeder Tag ein neues
brachte, das in derbem, meist zündendem,
aber oft auch fadem Witz die neuesten Be-
gebnisse des Tages behandelte, die grossen
Vorgänge in der politischen Welt, wie die
kleinen innerhalb der vier Wände des bürger-
lichen Hauses. Immer gab es viel zu lachen, und
die Gardinenpredigten, die Madame Bullrichen
ihrem Gatten Ludewig zum Mittagessen lüelt
oder beim Zwirnabwickeln oder bei der Rück-
kehr vom Bezirksballe, waren oft das Tages-
gespräch, und wie er sein berühmtes Blatt
„Berlin, verprobjantire dir! Dein jrosser Held
hat Hunger!" auf die Strassen warf, so war es
ein Schlager, der dem Verfasser für so manche
schwächere Leistung die Nachsicht seiner Leser
sicherte. Aber schliesslich produzierte er so
unendlich viel, dass das Interesse an Aujust
Buddelmeyers Ergüssen, namentlich an der
Buddelmeyer-Zeitung, erlahmte. Mitte der
fünfziger Jahre zog sich Dr. Cohnfeld vom
politischen Schauplatz für immer zurück und
widmete sich fortan ausschliesslich seiner ärzt-
lichen Praxis. Am 20. Januar 1868 ist er in
Berlin gestorben.
Ein anderer fruchtbarer Flugblattschreiber
von glücklichem Humor war Albert Hopf, der
unter eignem wie angenommenen Namen, als
Ullo Bohmhammel, Anastasius Schnüffler und
in anderen Verkleidungen, gleichfalls im Berliner
Volksdialekt eine Fülle von Gedichten und
Prosaerzählungen und -Dialogen verfasst und
tausende von Lesern gefunden hat. Eins seiner
erfolgreichsten Gedichte trug die Überschrift:
„Die Russen kommen!", der Angstruf des
philiströsen Spiessbürgertums, über dessen Be-
denken gegen die Folgen der neuen !• reiheiten
er sich lustig macht
In jüdischem Jargon, als Isaak Moses Hersch
und unter anderen Namen, verfasste S. Löwen-
herz seine offenen Briefe „an den gewesenen
Ober-Borgemeister Krausnick", „an seine Mit-
berger", „an die Berliner Börsenleute, als da
sind: Banquiers, Kortiers, Komhändler und die
ganze übrige Maschpoche" u. a. m. Robert
Springer versichert uns, dass auch diese Flug-
blätter „ihr Furore selten verfehlten".
Jeder dieser produktiven Flugblattschreiber
hatte seinen Drucker, den er vor anderen be-
vorzugte. Nach dem Drucker konnte man
leicht auf die Gesinnung des Flugblattschreibers
schliessen. Was bei Julius Sittenfeld gedruckt
wurde, ging meist von der konservativen Partei
aus oder hatte doch einen konservativen An-
strich. Wilhelm Fähndrich aber und Ferdinand
Reichardt steuerten in entgegengesetzter Rich-
tung, Fähndrich, ein früherer Wein- und Tabak-
händler, Reichardt nach der Charakteristik
Springers „mit allen Hunden gehetzt 4 ', „immer
mit einem Fusse in der Stadtvogtei, aber wer
ihn ganz hinein bringen wollte, musste früh auf-
stehen", „gewaltig pfiffig, glatt wie ein Aal, und
lässt sich höchstens von Held übers Ohr hauen".
Aus Reichardts Presse sind alle die unzähligen
Plakate Heids und seine „Lokomotive" hervor-
gegangen. Für den Druck der Plakate kamen
dann noch in Betracht: die Deckersche Geh.
Oberhofbuchdruckerei für die amtlichen Er-
lasse der Staatsbehörden, A. W. Hayn für die
Bekanntmachungen des Magistrats, E. Litfass,
W. Moeser u. a. Cohnfelds humoristische
Blätter druckten Marquardt & Steinthal; Hopf
liess meist bei J. Draeger drucken; Löwenherz
hatte selbst eine Druckerei und Lithographie.
Um die Berliner Märztage hat sich ein reicher
Kranz von Dichtungen gewoben, in Versen und in
Prosa, von genannten und ungenannten, von be-
kannten und unbekannten Dichtern. Andreas
Sommer liess „Berliner Barrikadenlieder" er-
scheinen und besang den Tod des jüdischen
Philosophen Levin Weiss, der auf einer Barri-
kade in der Königstrasse gefallen war („Todt
wird von den Barrikaden weg der Philosoph
getragen" etc.), ein Vorgang, der uns auch noch
in einem lithographischen Bilde überliefert ist.
Julius Heinsius gab „Märzlieder" heraus, die
zwei Auflagen erlebten, Ignaz Julius Lasker den
Prolog, den er am 20. März im Königsstädtischen
Theater gesprochen hatte, Julius Minding, der
Dichter Sixtus* V., einen „Völkerfrühling", eine
Fahne, unter der damals noch viele andere
Dichtungen in die Welt gesegelt sind; August
Pauli dichtete einen „Friihlingsanfang", Moriz
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BuchholU, Die Berliner Litteratur von 1848.
Lövinson einen „Berliner Demokratenmarsch",
den H. Hauer als „Volkslied für ächte Patrio-
ten" komponierte, Theophil Bittkow ein „Jubcl-
lied zum Andenken an die glorreichen Tage
des 18. und 19. März 1848". Friedrich Eylert
dichtete „eine deutsche Marseillaise" und August
Brass richtete einen Gruss an Frankreich „am
ersten Tage der freien Presse in Preussem
„vive la liberte!" Zum Besten der Witwen und
Waisen steuerte Lebrecht Neuhof „drei Lieder
für die Zeit" bei, und Ludwig Karl Aegidi liess
ein Farben- und ein Parlamentslied drucken,
zum Besten eines Denkmals im Universitäts-
garten für die gefallenen Studenten.
Den Toten des 18. März wurden Nachrufe
gewidmet, die manchen schönen Gedanken aus-
sprachen, öfter aber verletzt die Schärfe und
Bitterkeit, mit der der traurigen Vorgänge ge-
dacht wird, und hier und da fällt die Sprache
in Abgeschmacktheit, wie in jenem einen unter
den „Liedern, gesungen bei der Beerdigung
unserer . . . gefallenen Brüder" von L. B. („Ob
auch Tiger sich bekriegt, diesmal hat der Mensch
gesiegt"). Nicht viel besser ist die von Mz.
J . . 1 gedichtete „Elegie auf die . . . Gefallenen".
Ergreifend aber ist Titus Ullrichs „Requiem:
den Todten des 18. März". Das Thema: „Die
Gräber in Friedrichshain" wurde viel variiert.
„Todtenopfer" und „Todtenmessen" ist eine
grosse Zahl von Dichtungen überschrieben,
die den Märzkämpfern gewidmet sind, und
noch nach Jahr und Tag verstummten die
poetischen Klänge nicht, die das Andenken
der Gefallenen aufzufrischen bemüht waren.
Andere Gedichte richten sich direkt an
und gegen den König, wie Friedrich Eylerts
„19. März 1848", „Des Königs Ritt" C.Der König
reitet schweigend, mit kummerschwerem Sinn. . .")
und viele andere, deren Inhalt sich nicht wieder-
geben lässt.
Keine unter den ernsten Dichtungen jener
Zeit konnte sich an tiefgehender Wirkung mit
Ferdinand Freiligraths im Juli 1848 verfasstem
und wiederholt aufgelegtem und nachgedrucktem
Gedicht: „Die Todten an die Lebenden" („Die
Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit ge-
spalten . . ."), vergleichen. Es wurde unter-
drückt und von der Polizei eingezogen, wo sie
seiner habhaft werden konnte, und der vor
mir hegende „Anzeiger für die politische Polizei
Deutschlands auf die Zeit vom 1. Januar 1848
bis zur Gegenwart", in Dresden 1854 erschienen
und jetzt eine bibliographische Seltenheit, ent-
warf von dem Dichter, den er eigentlich aus-
schliesslich nach jenem Gedicht beurteilte,
folgende Charakteristik: „Freiligrath, Ferdinand,
von Barmen, der, schändlichen Undankes voll,
seinen ehemaligen Wohlthäter, Se. Majestät den
König von Preussen, in dem bekannten Schand-
gedichte: „Die Todten an die Lebenden!" auf
das gröblichste und gemeinste beschimpfte und
auch ausserdem wegen dieses Gedichtes, einer
Pestbeule in der Geschichte deutscher Dichtung,
der Anklage auf Hochverrat unterworfen und
im August 1848 zu Düsseldorf verhaftet wurde.
Vor die Assisen gestellt, wurde er aber frei-
gesprochen!" Der ausführliche stenographische
Bericht über den Prozess ist gleichfalls in der
Friedlaenderschen Sammlung enthalten. Das
Gedicht selbst ist damals durchaus nicht ohne
Widerspruch aufgenommen worden, es rief eine
Anzahl Proteste und Antworten hervor, darunter
allerdings auch Zustimmungen. Überhaupt ist
Frciligraths Muse, die sich in den Dienst der
Revolution gestellt hatte, ausserordentlich pro-
duktiv gewesen; vieles ist zu grotesk, aber
das „Lied vom Tode", das er den Berliner
Arbeitern am 20. Oktober 1848 widmete G,Auf
den Hügeln steht er im Morgenrot . . ."), noch
heute nicht wirkungslos.
Mit vollen Händen haben auch unsere
Romanciers aus dem Leben der Märztagc ge-
schöpft Es war allerdings ein Wagnis, die
allernächste Vergangenheit mit ihrem aufregen-
den Inhalt schon zu einer Zeit poetisch be-
handeln zu wollen, wo sich der Lärm der
Parteien nicht gelegt hatte, wo die Gegen-
sätze noch unvermittelt und unversöhnt ein-
ander gegenüber standen, aber mutig wurde
jedes Hindernis genommen, und der Autor
suchte meist das Gewicht seines Buches noch
dadurch zu heben, dass er beteuerte, die Er-
zählung, die er böte, wäre einer wirklichen
Begebenheit jener Tage entnommen und gebe
ein getreues Bild der Zustände, wie sie
eben erlebt worden seien. Und dennoch ist
alles Phantasie und Übertreibung, und vieles
Närrische dabei. (Schiu*. folgt » Heft in.)
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Neue Illustrationswerke.
on dem im Aultrage des Barons Cornelius
Heyl zu Herrnsheim in Worms heraus-
gegebenen Prachtwerke „Geschichte der
rheinischen Städtekultur von den Anfängen
bis zur Gegenwart' von Heinrich Boos, dessen ersten
Hand wir im ersten Hefte dieser Zeitschrift besprechen
konnten, ist jüngst der zweite Band verausgabt
worden (Verlag von J. A. Stargardt in Berlin).
Der Band umfasst den Zeitraum vom Ausgang
des Xm. bis zur Wende des XV. Jahrhunderts,
und wiederum steht Worms im Mittelpunkte der
Darstellung. Es war dies beabsichtigt Professor
Boos hat sich darüber bereits in der kurzen Ein-
leitung zum ersten Bande ausgesprochen. Er
wollte die Entwicklungsgeschichte der Rheinstädte
an einem typischen Beispiel schildern, allerdings
Z. f. B. 98/99
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Neue
von JJo*ef Sattler au* Boo»
(Bcrhn. J. A.
IL
stetig unter Bezugnahme auf die allgemeinen Er-
scheinungen der Zeiten. Dass Worms ihm be-
sonders am Herzen liegt, erklärt sich nicht nur
aus seiner Freundschaft zu dem Baron Heyl, der
Bürger der Stadt ist und sie auch im Reichstage
vertritt, sondern aus der Thatsache, dass er mit un-
endlicher Mühe Sichtung und Ordnung in dem Chaos
des Wormser Archivs geschafft hat. Und durch
diese Ordnungsarbeiten wurde Boos so intim ver-
traut mit der Geschichte von Worms, dass eine
besondere Berücksichtigung dieser Stadt in seinem
Werke nahe lag. Die Gruppierung des Stoffes ist
wieder eine ausgezeichnete; nicht nur der Historiker
führt das Wort, sondern auch der genaue Kenner
mittelalterlichen Städtelebens, der Kulturhistoriker
und Sittenschilderer. Und immer ist die Boossche
Darstellung gleich interessant, warmherzig und
dennoch klar, sich nicht in Einzelheiten verlierend
wie die wirrsalige Politik jener Zeit, die er nur
in grossen Zügen verfolgt Das letzte Kapitel des
zweiten Bandes behandelt die „Katastrophe von
Mainz", den Einfall Adolf von Nassaus und die
Mordnacht des 28. Oktober 1462. Genau zehn
Jahre später rühmte Wilhelm Fichel, der Rektor
der Pariser Universität, den Mainzer Bürger Gutten-
berg: „Wahrlich — dieser Mann verdient es, dass
alle Musen, alle Künste und alle Zungen derer,
die sich an Büchern erfreuen, ihn mit göttlichem
Lobe verherrlichen. Dieser Guttenberg hat Grosses
erfunden dadurch, dass er Buchstaben gegossen
hat (exculpsit), mit welchen alles, was man sagen
und denken kann, rasch geschrieben und abge-
schrieben und der Nachwelt Uberliefert werden
kann" . . . Und in der erwähnten Mordnacht war
auch die Fust-Schöffersche Druckomzin zu Mainz
in Flammen aufgegangen und die Gesellen zer-
streuten sich nach allen Himmelsrichtungen und
trugen die neue Kunst weithin über die Lande . . •
Josef Sattler hat den zweiten Band des Werkes
in ähnlicher Weise geschmückt wie den ersten.
Seine Vollbilder, Initialen, Vignetten und Kapitel-
stücke sind von feinstem künstlerischen Reiz, nicht
alle gleichwertig, aber alle eigenartig und sich weit
über die landläufige Illustrationsmanier, die bei
diesem Buche wie ein Faustschlag gewirkt haben
würde, erhebend. Am treffendsten ist er
wo er die Tragik der
Geschehnisse zu symbo-
lisieren oder allegorisch
darzustellen versucht.
Wie famos ist z. B. die
Zeichnung des Tods als
Schnitter mit den sterben-
den Menschen zwischen
den fallenden Garben
und der untergehenden
Sonne im Hintergrunde,
deren Strahlen nicht mehr
imstande sind, das tiefer-
fallendeGewölk zu durch-
brechen! Femer das Bild,
auf dem Pfaffe und Bürger, auf den Stadtschlüsseln
von Worms hockend, das grosse W in giftigem
Streite zu zerbrechen drohen — weiter der Tod
auf der Fähre und die prächtige Verkörperung der
Zünfte von Worms. Am genialsten aber giebt er
sich in der Kleinkunst, in der Initial- und Vignetten-
zeichnung. Es sind Kabinetsstücke darunter, die
von sprühender Phantasie und von echt poetischem
Empfinden zeugen.
Auch dieser Band kostet, auf Büttenpapier von
Otto von Holten in Berlin gedruckt, nur 10 II
Ohne die Munifizenz des Barons Heyl würde ein
so billiger Preis sich nicht ermöglichen lassen.
Die fünfzigjährige Wiederkehr der Revolution
von Achtundvierzig hat zahlreiche Werke ins Leben
gerufen, die sich mehr oder weniger eingehend
mit den Ereignissen des „tollen Jahres" beschäftigen.
Unter ihnen nimmt Hans Blums „Die deutsche
Revolution 1848 — 1849. Eine Jubiläumsgabe für
das deutsche Volk" (Verlegt bei Eugen Diederichs,
Florenz und Leipzig. Gr. 8°, 480 S.) einen hervor-
ragenden Platz ein. Hans Blum ist der Sohn
Robert Blums, und als dessen Biograph hat er
sich schon vor Jahren in den Besitz eines wert-
vollen und umfangreichen Materials Uber die Ge-
schehnisse jener stürmischen Tage setzen können.
Der politische Standpunkt, auf dem der Verfasser
steht, befähigt ihn zu einer ruhigen und sachlichen
Beurteilung der grossen Bewegung; er stützt sich
zudem bei seinen Schil-
derungen in der Haupt-
sache auf Schriften jener
Zeiten selbst, ohne Rück-
sicht auf die Parteischat-
tierung der betreffenden
Autoren. So ist es ihm
gelungen, ein klares, um-
fassendes und sehr in-
teressantes Bild der letzten
Revolutionszeit zu geben,
in einer Darstellung, die
immer fesselt und durch
die von der ersten bis L»i P ,i g . Eug« Dicdcnch..)
Kin aitigcwieacncr
Litt« rat von 184g.
<A.« Blum. „Die y
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zur letzten Seite der Atemzug begeisterter Vater-
landsliebe weht
Auf eine kritische Beleuchtung der Einzel-
heiten einzugehen, ist hier nicht der Ort Der
Verfasser hat sein Werk in vier grosse Abschnitte
geteilt Das erste Buch giebt eine Übersicht der
Bestrebungen des Volkes vor Beginn der Revolution,
eine Schilderung der Metternichschen Politik, der
Burschenschaftsbewegung mit dem Attentat Sands,
der Karlsbader Beschlüsse und
Wiener Schlussakte, der Reaktion
bis 1830 und der Wirkungen der
französischen Julirevolution auf
Deutschland, des neuen nationalen
Aufschwungs und der ersten Re-
gierungszeit Friedrich Wilhelms IV.
Der zweite Abschnitt behandelt die
Märztage in Baden, Bayern (mit der
Ix>la Montez- Episode), Württem-
berg, beiden Hessen und Nassau,
in Hannover, Oldenburg, Sachsen,
den nord- und mitteldeutschen
Kleinstaaten — dann die Sturmzeit
in Wien mit dein Sturz Metternichs,
die Marzbewegung in Preussen und
speziell in Berlin, die ruhigeren Tage
des Vorparlaments und schliesslich
den sogenannten Heckerputsch im
badischen Oberlande. Das dritte
Buch beginnt mit dem ersten
Wirken der Nationalversammlung,
Reichsverweserlurn und Bundestag,
schildert das erneute Aufflackern
der Revolution in Prankfurt und
Baden, den Oktobersturm in Wien
und den allgemeinen Umschwung
in Österreich und Preussen. Der
Schlussabschnitt endlich enthält
die Darstellung der vergeblichen
Einheitsbestrebungen, der letzten
Kampfe in Sachsen und Baden, der
Auflösung des Parlaments und der
Jahre der Reaktion. Die letzten
Worte des Buches gelten Wilhelm L
und Bismarck. „Diese beiden
hohen Helden unseres Volkes er-
füllten in dreissigjährigem treuem
Zusammenwirken die Sehnsucht
nach den höchsten Zielen und Gütern der Deutschen,
um die unser Volk 1848/49 so heiss und ver-
geblich gerungen hatte, und sie legten der Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes und Deutschen
Reichs zu Grunde jenes Verfassungswerk der ersten
deutschen Nationalversammlung in Frankfurt a M.,
das im Frühjahr 1849 in Thränen und Blut er-
stickt und für immer begraben su sein schien" . . .
Ein besonderer Wert des Buches liegt in seiner
illustrativen Ausstattung, und das interessiert uns
hier am meisten. Herr Eugen Diederichs, der
Verleger, auf dessen Schultern die Last der Be-
schaffung des meisten Vorlagematerials ruhte, hat
ein wahrhaftes Wunder geschafft. Ein gutes Dritt-
teil des Werkes wird durch Facsimilebeilagen,
Karikaturen, Porträts und authentische Abbil-
dungen gefüllt Es mag nicht leicht gewesen sein,
aus der ungeheuren Fülle aller zeitgenössischen
Flugblätter, Journale und Illustrationen die ge-
eignete Auswahl zu treffen, die charakteristischsten
herauszusuchen — und zwar so, dass die An-
schauungen aller Parteien zur Vertretung und dass
En Kaffeehaus von 184t zur Po! i «ei »tunde.
Nach einer Originalieichnung von Jul. Raimond de Baux.
(Aus Blum. „IJje deutsche Revolution 1848/49.'* Leipcis. Eufen Diedenchs).
neben den kultur- und sittengeschichtlichen auch
die künstlerischen Gesichtspunkte zur Geltung
kommen konnten. Aber Herr Diederichs hat sich
seiner schwierigen Aufgabe gewachsen gezeigt. Die
Blustrationen und Beilagen sind nicht nur eine
Ergänzung zu dem Blumschen Text sondern an
und für sich gewissermassen ein kulturhistorisches
Bilderbuch des „tollen Jahres", das man nicht ohne
höchstes Interesse durchblättern kann. Ich erwähne
aus dem reichhaltigen Material der meist auf photo-
graphischem Wege hergestellten Druckbeilagen nur
einzelne Seltenheiten: die Nummer der „Isis" mit
Okens Bericht Uber das Wartburgfest und den
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Neue Illustrationswerke.
Oer Bürgergardut. wie er lein toll.
Satirc auf die Volk» Bewaffnung.
(Aua Blum.
„Die deutsche Revolution 1S4IV40,"
Lerpiig. Eugen Diedericha.)
höhnischen Vignetten zum Verzeichnis der auf dem
Scheiterhaufen verbrannten Gegenstände — Struves
„Wer ist reif und unreif für die Republik?" — den
Rastatter Festungsboten mit der berühmten Blut-
egelgeschichte — das Lola Montez- Vaterunser —
die Parodie auf „An meine lieben Berliner" —
die Nr. i des „Berliner Krakehler" — das offene
Sendschreiben Carl Hertzogs an den König von
Preussen — das Heckersche Guckkastenlied —
das einzige „Regierungsblatt" der Struveschen
Republik und das Exerzierreglement der Auf-
ständischen.
Ausser diesen Beilagen schmücken noch zahl-
reiche weitere Abildungen das Buch, alle nach
zeitgenössischen Illustrationen. Besonders inter-
essant ist der Reichtum an Karikaturen. Es
war nur natürlich, dass bewegte Zeiten wie jene
den Stift geistreicher Spötter geradezu heraus-
forderten. Wir selbst werden im nächsten Hefte
eine ganze Reihe im Original nur noch schwer
aufzutreibender Lola Montez-Karikaturen veröffent-
lichen, die man wohl als sittengeschichtliche Doku-
mente bezeichnen kann. Die Karikatur hat selten
eine so hervorragende Rolle gespielt als in diesen
Tagen des Sturms, der Hoffnungen und des
Schreckens. Im Blumschen Buche sind alle
Varianten vertreten: Bilder voll ätzenden Grimms,
gallebitterer Bosheit, niederträchtiger Respektlosig-
keit, voll beissender Satire und behaglichen Bier-
humors, voll köstlicher Naivität und hannloser
Biedermaierei — oft nur flüchtig hingeworfene
Skizzen, oft auch durchaus künstlerisch nach In-
halt und Ausführung. Und ich möchte nochmals
betonen: gerade dieser Illustrations und Beilagen-
schmuck verleihen dem Werke einen besonderen
Wert; man wird es nicht einmal durchlesen, sondern
häufig zur Hand nehmen, denn immer wieder
stösst man auf Neues und Interessantes.
Der Preis ist massig: 10 M. für das brochierte,
12 M. für das sehr hübsch in grünes englisches
Leinen mit I>ederrücken und Lederecken ge-
bundene Exemplar.
Als Kuriosum sei schliesslich noch erwähnt,
dass das genial entworfene Plakat für das Werk,
von der Künstlerhand J. V. Cissarz' herrührend,
in Naumburg a/S. als „aufreizend" verboten wurde.
Das Plakat, das sich darstellerisch an den Rethel-
schen Totentanz von 1849 anlehnt, wird wahr-
scheinlich um so mehr verlangt werden; was daran
„aufreizend" sein soll, werden nicht Viele verstehen.
Felix Vallotton ist den Lesern dieser Blätter
kein Fremder mehr. Wir haben oft Gelegenheit
gefunden, von diesem originellen Laienkünstler
zu sprechen, haben auch im vorigen Jahrgange
einige seiner charakteristischen Porträts reproduziert.
Nunmehr hat J. Meier- Graefe das „Werk" Vallot-
tons erscheinen lassen. Es liegt als elegant aus-
gestatteter Querfolioband vor uns (Berlin, J. A. Star-
gardt und Paris, Edmond Sagot) und enthält als
Einleitung eine Biographie und eine eingehende
künstlerische Würdigung von Seiten des Heraus-
gebers, der sich auch hier wieder als ein Kunst-
historiker voll feinem Empfinden und voll ehr-
licher Begeisterung für alles Gute und Eigenartige
giebt.
Vallotton ist Schweizer; er wurde am 28. De-
zember 1865 in Lausanne geboren. In seiner
Familie werden beide Sprachen gesprochen; er ist
eine glückliche Mischung gallischen und germa-
nischen Elements. Als Siebzehnjähriger kam er
nach Paris und versuchte sich zunächst in Litho-
graphien, denen später eine Reihe von Ölgemälden
folgte. Aber der Künsüer in ihm brach erst durch,
als er sein Talent für die Holzschnittzeichnung ent-
deckte. Sein erstes Porträt auf Holz war das Paul
Verla in es. Die Vallottonschen Porträts sind in ge-
wissem Sinne nur Skizzen und sind mehr Modellie-
rungen als Zeichungen. Populär werden sie wahrschein-
lich niemals werden, denn alles Süssliche und Kon-
ventionelle liegt ihnen fern. Der Künsüer stellt
sich ganz in den Bann seines Materials, des Holzes.
Für ihn giebt es nur schwarze und weisse Flächen,
scharf und schroff nebeneinanderstehend, ohne
weiche Übergänge und sanft getönte Vermittelungen.
So kommt es, dass seine Werke hier und da nahe
an die Karikatur streifen, aber auch dann ver-
lieren sie nichts von ihrer Ausdrucksfähigkeit, die
zuweilen geradezu frappiert, wie bei den Bildern
der Königin Viktoria, bei Edgar Allan Poe und
Dostojewski.
In seinen Strassenscenen liegt etwas von der
M Omentphotographie, die durch Künstlerhand
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Neue Illustrationswerke.
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beseelt worden ist Vallotton hält stets nur den
Augenblick fest Ein Windstoss wirbelt den Staub
empor und verfangt sich in Kleidern und Schirmen.
Ein Brilllchor jubelnder Chauvinisten schreit dem
Redner Beifall. Ein Selbstmörder verschwindet im
schwarzen Wasser der Seine. Im „Bon Marche"
breitet ein Schwärm von Commis die Stoffe vor
den Augen der kauflustigen Menge aus. Und all
das ist nur durch Linien und Flächen dargestellt,
und man glaubt gamicht, wie eminent malerisch
das wirkt und von welchem erstaunlichem Reize
auf Auge und Gemüt es ist
Ja — auch auf das Gemüt In Vallotton steckt
eine Dichterseele wie in unserem grossen Klinger,
wie in Sattler und wie auch in Th. Th. Heine,
durch dessen gallebitteren Humor immer ein ver-
söhnlicher und verklärender poetischer Atemzug
weht Man betrachte die letzten Blätter: Das
Begräbnis vom Trauerhause aus bis zum Friedhof.
Diese wunderbare Darstellungmenschlichen Jammers,
die doch auch nur eine Tragikomödie ist, greift
tief zu Herzen wie ein erschütterndes Lied. Un-
willkürlich denkt man dabei an eine der grausigen
Balladen, wie die Yvette Guilbert sie so mark-
durchrieselnd vorzutragen versteht
Allerdings — man muss sich Mühe geben,
Vallotton zu verstehen und die eigentümlich im-
pressionistische Art seiner Darstellung begreifen zu
lernen. Seine Schrift ist nicht allzu leicht lesbar
und vor allem nicht nach akademischem Kanon
zu beurteilen. Moment und Sehwinkel spielen bei
ihm eine grosse Rolle; ich möchte sagen, man
wartet darauf, dass seine Bilder sich im nächsten
Augenblick verändern werden — man wartet auf
die Bewegung in den fixierten Gruppen. Jedenfalls
muss man Herrn Meier-Graefe Dank wissen, dass
er uns intimer mit dieser originellen Künstlernatur
bekannt gemacht hat F. v. Z.
SelbttponriU »on Felix Vallotton.
Am Mcier-Graefe „Felix Vallolton". (Berlin. J. A. Surfaidt.)
Caxton im British Museum.
Von
Otto von Schleinitz in London.
rjjrSTjillium Caxton, geboren 142a in Kent, und
Lfi v k Wifl ,)ekannt durch die Einführung der Buch-
'A^pSS (irurkerkunst in England, brachte einen
Auw grossen Teil seines I,ebens im Auftrage
Eduards IV. in den Niederlanden zu. Magare the,
die Schwester des englischen Königs und Ge-
mahlin Karls des Kühnen, wurde hier seine
Gönnerin. Der „Recueil," das erste in englischer
Sprache gedruckte Buch, entstand auf nicht eng-
lischem Boden, indessen ist weder die Jahreszahl
noch der Druckort mit absoluter Gewissheit fest-
zustellen, da 1469, 147 1 und 1474 für das Datum,
sowie die Niederlande und Köln als Entstehungs-
ort in Betracht kommen. Caxtons Drucke werden
teils als die ersten in England, teils als alte Schriften
in der Landessprache, teils wegen ihren Inhalts
von allen englischen Büchersammlern hochgeschätzt,
obwohl sie sich sonst weder durch ihre Typen
noch durch ihre Holzschnitte ungewöhnlich aus-
zeichnen. Die Ashbumham-Auktion bot einen
wiederholten Beweis für die ausserordentliche Wert-
schätzung, die den Drucken Caxtons beigelegt
wird. Im übrigen wird der Gegenstand von
Otto MUhlbrecht in seinem vortrefflichen Werke
„Die Bilcherliebhabcrei" so übersichtlich behandelt,
dass es nur dieses Hinweises bedarf, um aller
weiteren Einleitungen enthoben zu sein.
Innerhalb der letzten neun Monate war die
Verwaltung des British Museum glücklich genug,
drei in der Offizin Caxtons gedruckte Werke zu
erlangen, die es bisher nicht besass. Mit Ausnahme
der 1874 erworbenen „St. Albans-Fragmente" ist
dies der bedeutendste Glücksumstand seit etwa
dreissig Jahren. Caxtons Werke gehören bekannt-
lich zu den ebenso seltenen wie begehrten, obwohl
in jeder Saison in London 2 — 3 davon unter den
Hammer kommen. Auf den ersten Blick hin er-
scheint die langsame Ergänzung, welche sich in
dem British Museum vollzieht, daher etwas über-
raschend. Die Erklärung dieses Umstandes ist
indessen sehr einfach. Ungefähr fünfundzwanzig
verschiedene Caxtons oder Caxtoniana können ver-
hältnismässig gewöhnlich genannt werden, da von
jedem dieser Werke 9 — 30 Exemplare vorhanden
sind. Dies sind die flotanten Bücher, die auf den
Auktionen wiederholt erscheinen, aber in der Haupt-
sache, wenigstens des Ankaufs wegen, das Museum
nicht interessieren. Gerade diese Drucke besitzt
das Institut durch die Munifixenz von Gönnern,
durch Vermächtnisse u. s. w. bereits in mehreren
Exemplaren. Von den seltenen Caxtons sind etwa
fiinfxig verschiedene Werke, teils jedoch nur in
Fragmenten, auf uns Überkommen. Von jenen
existieren nur 1 oder 1 — 3 Exemplare, die indessen
alle in den Museen festgelegt sind und deshalb für
den Kauf nicht in Betracht kommen. Von dieser
Klasse von Drucken besitzt das British Museum den
Löwenanteil, da es die Unica unter den Fragmenten
und zehn der nur in einem einzigen Exemplar
vorhandenen Bücher aufbewahrt
Zu den kürzlichen Erwerbungengehört„ZÄ?f/n'«fl/
Sapienee," aus dem ersten Teil der Ashbumham-
Auktion. Obgleich das Museum das Buch bisher
nicht besass, so gehört es doch gerade nicht zu
den seltenen Caxtons, denn dem verstorbenen
Mr. Blades waren neun Exemplare davon bekannt,
und seitdem sind abermals zwei weitere Exemplare
entdeckt worden. Dass das „Doctrinal" nicht schon
in der Bibliothek vorhanden war, beruhte auf Zufall.
Ein sehr schönes, vor allen andern ausgezeichnetes
Exemplar auf Velin, nebst dem Zusatzkapitel „Of
the necgligences happyng in the masse and of the
remedyes" befand sich in der Sammlung König
Georg III., die 1822 dem Museum überwiesen
wurde und durch die der Museumsbibliothek 37
Caxtons zufielen. Das erwähnte schöne Exemplar
war für 84 Mark von Mr. Bryant angekauft und
dem Könige geschenkt worden. Aus AnStands-
rücksichten wurde dies Buch dem Könige wieder
zurückgestellt und so kam es in die Privatbibliothek
der Königin nach Windsor.
Die beiden andern in diesen Tagen erworbenen
Caxtons sind viel kleiner als „Doctrinal," aber
bedeutend seltener. Man kann behaupten, diesen
Zuwachs habe Dibdin in gewissem Sinne prophezeit,
indem er „Curia Sapientiae" dem Museum irr-
tümlich schon zu seiner Zeit zuwies. Bekanndich ist
Dibdin nicht immer ganz zuverlässig in seinen An-
gaben. „Curia Sapientiae" oder „Court o/Sopiet/ee"
ist an und für sich ein ziemlich massiges Gedicht,
dass nach Stows Ansicht dem John Lydgate als
Verfasser zugeschrieben wird. Der wenig bedeutende
litterarische Inhalt handelt über Theologie, Geo-
graphie, Naturgeschichte, Gartenbaukunst, Rhetorik,
Grammatik, Musik, Arithmetik, Geometrie und
Astronomie. Wahrscheinlich ist das Buch 1481
gedruckt worden.
Derselben Zeit gehört das dritte Buch an, be-
titelt „/JistieAa de Moribus iK von Dionysius Cato,
nebst einer englischen Paraphrase in Versen. Das
Werk wird gewöhnlich verzeichnet als „Parvus et
Magnus Cato." Der Abschnitt „Parvus" enthält
nur 3 Seiten während „Magnus" 50 Seiten stark
ist. Das vorliegende Buch besteht in der dritten
Ausgabe des „Cato" und unterscheidet sich von
der früheren durch zwei Holzschnitte, welche
einen Lehrer mit seinen Schülern darstellt Auf
dem ersteren ist der Lehrer mit einer Rute be-
waffnet auf dem zweiten hat er ein bewegliches
Lesepult vor sich, welches unsern neuesten Kon-
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struktionen sehr ähnlich sieht. Diese beiden Holz-
schnitte kommen auch in Caxtons „Mirror of the
World" vor. Da sie aber viel besser zum Text
des „Cato" passen und für dies Werk gezeichnet
wurden, so darf man wohl annehmen, dass „Cato"
das erste illustrierte Buch Caxtons veranschaulicht
Als im Jahre 1 86 1 William Blades grosses Werk
„The Life and Typography of William Caxton" .er-
schien, gab Blades die gesamte Zahl der Caxtoniana
im British Museum (exclusive der Fragmente) auf
77 an, von denen 24 Duplikate waren, so dass also
dort 53 verschiedene Werke Caxtons verzeichnet
werden konnten. Zu jener Zeit war die Spencer-,
jetzige Rylands-Bibliothek reicher als das Museum,
da sie 56 verschiedene Werke besass, aber keine Du-
plikate, denn diese waren bereits samtlich verkauft.
Unter den 56 Exemplaren befanden sich 40 intakte
und 16 unvollkommene, gegen 40 intakte und
1 3 unvollkommene im British Museum. Das letztere
besitzt in Summa jetzt 58 Caxtons und hiermit
die grösste bisher bekannte Anzahl in einer Hand.
Die drei letzten Neuerwerbungen sind in der
Kings Library des Museums zur Besichtigung aus-
gestellt
Das Geburtsjalir Caxtons wurde weiter oben
in das Jahr 1422 verlegt, als eines mittleren Wahr-
scheinlichkeitsdatums, wie es Brockhaus annimmt,
während Mühlbrecht hierfür mit gleichem Recht
1421 angiebt In dem von Blades verfassten und
bei Trübner erschienenen Werke „William Caxton"
(Seite 6) wird es offen gelassen, ob 1421, 1422
oder 1423 das wirkliche Geburtsjahr des be-
rühmten Druckers ist Sein 1491 erfolgter Tod
lässt Uber die Richtigkeit dieses Datums keinen
Zweifel, obwohl noch 1493 Werke erschienen, die
aus seiner Offizin hervorgegangen sein sollen.
Sie stammen indessen von Wynkin de Wörde,
der den hochklingenden Namen Caxtons für seine
Geschäftszwecke ausbeutete. Im übrigen galt nach
damaligen Moralbegriffen ein derartiges Verfahren
nicht einmal für unschicklich. Die beiden einzigen
zur Zeit in England verkäuflichen Exemplare von
Caxtons Drucken befinden sich im Buchlager von
Bernard Quaritch. Nach Ausweis seines letzten
Antiquariatskatalog sind dies: Chaucers „Canter-
bury Tales," Klein Folio, erste Ausgabe, ein
schönes Exemplar, in dem das erste und sechste
Blatt durch Facsimile ersetzt wurde, und dessen
Preis mit 50,000 Mark angesetzt ist. Das andere
Werk ist „Dictes of the Philosophers," Klein- Folio,
ein perfektes Exemplar (30,000 M.) von 75 Blättern,
Typen No. 2, mit 29 Linien auf der Seite und hat
auf dem Schlussblatt den philosophischen Ausspruch:
„Et sie et finis."
Kritik.
Das neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen, mit
textlichen Beiträgen. Herausgegeben von Karl
Werkmeister. Berlin, Photographische Gesellschaft,
Heft I und II.
Er ist erfreulich, dass sich neben so unsinnigen
Sammelwerken wie „Berlin bei Nacht" und ähn-
lichen auch noch Platz und Emst für ein verdienst-
volles Werk gefunden hat wie das vorliegende.
Sagt uns doch oft ein Porträt und eine Photographie
mehr über den Charakter eines Menschen, als ein
dickleibiger monographischer Band.
Die erste Stelle des Werkes ist, wohl aus
Gründen des Geburtsdatums, den Gebrüdern
Grimm eingeräumt worden. Geheimrat Hermann
Grimm, ihr Nachkomme, hat, so gut sich dies in
kaum vier Spalten machen lässt ein paar charakte-
ristische Äusserungen zu den Bildem gefügt Neben
den grossen Zeichnungen Wilhelms von Ludwig
Grimm 1822 und Jakobs von Hermann Grimm
1855 sind dem Text noch zwei kleine Bildnisse
beigefügt Das zweite, eine Photographie, zeigt
Wilhelm Grimm im späteren Alter.
Gaben die gelehrten Grammatiker neben ihren
Studien dem deutschen Volke seine Kinder- und
Hausmärchen, so hat Ludwig Richter, der zweite
in der Reihe, ihm in seinen hunderten von Holz-
schnitten — seiner berühmten und geschätzten
Gemälde nicht zu gedenken — in seinen Dar-
stellungen aus dem Leben der Kleinen einen bei-
nah DUrerschen Schatz hinterlassen. Leon Pohle
— nach dessen Bild die Photographie aufgenommen
wurde — giebt ihn nach damaliger Mode im Pelze
auf einem Stuhl sitzend wieder, neben sich einen
Tisch mit Zeichenbogen. Seine stets fleissigen
Finger führen den Stift
Auf die Malerei folgt die Musik: Felix Mendels-
sohn-Bartholdy, der Liebling Zelters und Goethes,
der Heine der Tonkunst, nach dem Gemälde von
Magnus. Mendelssohn hat keine Selbstbiographie
hinterlassen, wie Grimm und Richter („Aus dem
lieben eines deutschen Malers"), aber sein Brief-
wechsel mit seiner Schwester Henriette und anderen
ist uns allen längst ein liebes Buch geworden.
Das fünfte Blatt ist einem Manne gewidmet dessen
Bedeutung auf allerneustem Gebiete, dem der
Elektrotechnik, liegt nämlich Werner von Simens.
Lenbach hat in seinem köstlichen Gemälde darauf
verzichten dürfen, ihm „seines Amtes Attribut", etwa
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Kritik.
das Modell einer elektrischen Bahn oder dergL,
wie es geschmackloserweise immer noch Mode ist,
in die Hand zu geben. Die siegende Intelligenz
der Stim macht solche Schilderei überflüssig.
Die Vogelsche Zeichnung des alten Thor-
waldsen ist noch besonders durch die Aufschrift,
die sie trägt, interessant. Sie ist „C. V. Maxen
20. Juni 1841" datiert und zeigt unter der Auf-
schrift: „Albert Thorwaldsen föd. d. 19. Novem-
ber 1770" eine zweite Handschrift. „Christine
Garape geb. Dalgas aus Nysöe, in Gesellschaft von
Thorwaldsen auf der Reise nach Rom von Kopen-
hagen". — Spätere Thorwaldsenbiographen dürften
die Reproduktion gerade dieses Bildes besonders
zu schätzen wissen.
Aus der Wiener k. k. Hofbibliothek stammen
das Original einer sehr schönen Lithographie des
Dichters T^tmartine von Maurin, sowie des Turner-
schen Stiches des Porträts Lord Byrons von Westall,
das den Dichter romantisch-klassizistisch als jugend-
schönen Schwärmer mit sehr kleinem Kopf und
langem Hals wiedergiebt
Interessant ist es, die grosse Photographie
Arthur Schopenhauers, die 1859 nach dem Leben
aufgenommen wurde, mit zwei kleinen Jugend-
bildnissen — der Philosoph eröffnet das zweite
Heft — zu vergleichen. Es will beinahe scheinen,
als habe der Lebensabend dem grossen Pessimisten
doch noch verklärenden Sonnenschein gebracht,
der aus den tausend Fältchen des klugen Greisen-
kopfes hervorbricht, während besonders das Ruhi-
sche Ölporträt des Missmuts garnicht genug thun
kann. Hier ist auch Eduard Grisebachs klar zu-
sammenfassender Text lobend zu erwähnen.
Auch Herr Julius Hart hat vielfach belehrende
Textnotizen geliefert, so u. a. zu Hans Christian
Andersens Porträtzeichnung von Vogls Künstler-
hand. Man kann sich kaum einen grosseren Kon-
trast denken als zwischen dem Abbild des Märchen-
dichters mit den guten Augen und dem schlichten
Haare und dem nächsten Blatt, auf dem das
orientalisch-sinnliche Antlitz der Aurora Dudevant
(George Sand) durch einen Stich Calamattas ver-
ewigt worden ist
Blatt 12 bringt einen andern, ebenso scharfen
Gegensatz: das leicht bäuerliche Pastorengesicht
Friedrich Overbecks, des friedlich-religiösen Schwär-
mers, des Illustrators der Sakramente und der
Passion, das Adolph Henning meisterlich in seinem
sinnenden Ausdruck wiedergegeben hat.
No. 13, die Unglückszahl, birgt hier ein Meister-
stück: die weltberühmte, bei Amsler & Ruthardt
in Berlin erschienene Radierung Stauffer- Berns
mit Gustav Freitags markigem Kopfe. Was uns
Deutschen Freytags „Bilder aus der deutschen
Vergangenheit" und a. m. sind, fühlt heut zu Tage
jedes Schulkind. Mit verdoppelter Sympathie beugen
wir uns über das Blatt, das uns neben einem
Unikum der Radierkunst auch das Porträt eines
verehrten Autors zeigt
Hektor Berlioz steht uns fremder; populär sind
bei uns eigendich nur seine paar Trivialitäten,
z. B. die „Danse macabre" geworden. Sein schönes
„Requiem", selbst die oft gespielte „Fausts Ver-
dammnis", haben es immer nur zu einem kleinen,
freilich desto musikverständigeren Publikum bringen
können.
Der Radossche Stich nach Focosis Zeichnung
des Canova mutet bei aller Feinheit der Durch-
führung etwas trocken und tot an, besonders wenn
man die prächtig lebensvolle Photographie Helm-
holtzs daneben legt
Aber was that ich da!? Ich habe die „banau-
sische Photographie" auf Kosten einer edlen Kunst
gelobt ! Freilich — gut photographieren, so photo-
graphieren, wie Fechner Helmholtz Photographien
hat, das ist auch eine Kunst Und da das Werk
bestimmt ist, die Porträts grosser Menschen „uns
wie unsere besten Freunde vertraut zu machen",
so meine ich, dass in diesem Falle dem lebens-
getreusten Abbild der Vorrang vor dem künsüerisch
vollendeteren gebührt
Wir sehen den folgenden Heften mit grosser
Spannung entgegen.
Der erstaunlich niedrige Preis von 1,50 M.
pro Heft ermöglicht dem Werke, in allen Kreisen
Eintritt zu finden- v. R
Die Schweizer- Trachten vom XVII. bis XIX.
Jahrhundert nach Originalen. Von Frau Julie
Heierli. Druck und Verlag von Brunner & Hauser,
photographische Kunstanstalt, Zürich TV. Serie II
und III.
Die Folgehefte halten völlig, was Heft I ver-
sprach. Das kostümgeschichüich höchst lehrreiche
Werk lässt l>ei jedem Blatte mehr bedauern, dass
die köstlichen alten Trachten langsam auszusterben
beginnen. Auch psychologisch kann man den
Blättern manches Interessante abgucken. Die
Bernerin in ihrem prächtigen langen Rock, das
Köpfchen von dem Glorienschein der Rosshaar-
haube umgeben, mit seidener Schürze und silber-
geziertem Mieder sticht wesentlich von der Baselerin
ab, die sich in Tracht und Behaben mehr dem
Schwabenmädli nähert Die Thurgauerin hat die
Schürze und die blühweissen Ärmel mit der ersten
gemein, doch lässt der grosse, das Gesicht malerisch
abhebende Radhut auf eine gewisse Koketterie
der Bewohnerin neben Sauberkeit und Wirtschaft-
lichkeit schliessen. Die Bewohnerinnen des Landes
an der Thür sollen thatsächlich die gewecktesten
der Schweiz sein. Die Ufer des Rheins bergen
beinah von der Quelle bis nach dem Zuidersee
hinab überall Wohlstand. Die Hallauer Braut aus
der Schaffhausener Gegend mit ihrer fusshohen,
edelsteingezierten Goldkrone ist ein stattliches
Beispiel dafür. Schade, dass gerade diese Tracht
schon bald seit einem halben Jahrhundert ver-
schwunden ist. Grundverschieden sind auch die
Männertypen in Heft II. Die Freiburger Sennen
sehen fast aus wie Studenten in besonders hohen
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Kritik.
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Semestern mit ihren verwogenen Käppis und den
bunten „Bierzipfeln" während der Bewohner des
rauhen Ury in seiner derbleinenen Hirtentracht und
mit seinen asketischen Sandalen uns als der echte
Sohn der Berge ohne Firlefanz und Schniegelei
erscheint
Schier operettenhaft in ihrer Pracht muten die
Gewänder einer Städterin aus Solothurn oder einer
Schwyzerin im Kirchschmuck an. Kostbare gestickte
Tücher und Schürzen, goldne Pfeile und Sammet-
pantöffelchen wollen uns kaum mehr zum Bauern-
stande passen. Freilich waren die damaligen
Schweizer Geschlechter von ganz anderer Art
als die, die heute vom Besuche der Touristen-
welt allein leben. Bei einem walliser Hochzeits-
paar scheint der Bräutigam direkt vom pariser
Hofe zu kommen, in Dreispitz und Schossweste;
er nimmt sich höchst sonderbar aus neben seiner
ausgesprochen bäuerlich gekleideten Liebsten mit
dem winzigen Blumenkrönchen und dem bunten
Brusttuch. Ein Bauernmädchen der Tessingegend ist
das deutlichste Beispiel einer Grenzmischung. Die
lang und gerade herabwallende Schürze, das kurze
Zuavenjäckchen und die Sandalen könnten gerade
so gut einer Schönen der Donauländer gehören.
Die Strumpfrohre sind eigentlich das einzige, was
an die Trachten der umliegenden Bergvölker erinnert.
Das einfache Züricher Gewand ist ganz jungen
Mädchen besonders kleidsam, deren jugendfrisches
Gesicht dann schelmisch aus der klösterlichen
Altfrauenmütze hervorlacht Eine eigentümliche
Mützenform mit einer Art weisser Schmucklappen
trägt die Bewohnerin des Kantons Glarus, deren
einfach und dunkel gehaltenes Kostüm wohl dem
unserer polnischen Grenze am nächsten kommt
Über die Einzelheiten der Kleidung giebt der
Text oft geschichtlich interessante Aufklärungen.
Wie köstlich dem Auge müsste einmal eine wahr-
haft kostümstilgerechte Aufführung des „Wilhelm
Teil" sein! — — n.
Part. Zweite Hälfte des dritten Jahrgangs,
drittes und viertes Heft F. Fontane & Co. Berhn.
Gleich die erste Kunstbeilage „Motiv aus
Hessen", Radierung von Ubbelohde, gewährt einen
hohen Genuss; die Renaissance dieser Technik
fördert prächtiges zu Tage. Auch Orlik pflegt
sie sorgfältig; er ist in dem Hefte reich vertreten.
Neben heumachenden Bäuerinnen und einer etwas
gleichgültigen Landschaft giebt er zwei ausser-
ordentlich feine Genrescenen, „Kurzweil" und
„Würfler"; alle vier sind kleinen Formats und in
Behandlung wie Thema grundverschieden. Da-
gegen verraten drei Arbeiten Thomas eine starke
Ähnlichkeit der Technik; das erste, „Narziss"
benannt, dürfte wohl das Beste sein. Nicholson
hat es verstanden, mit dem konturlosen Holz-
schnitt eine starke Wirkung hervorzubringen, doch
eignet sich diese Technik wohl mehr für sogenannte
eyescatcher, die auf die Entfernung berechnet sind.
z. f. B. 98/99.
Omamentale Schwäne beginnen nunmehr epi-
demisch zu werden. Rieh. Grimm hat ihnen
weder in seinem Schlussstück noch im Kapitel-
kopf neue Seiten abgewinnen können, eine Kunst,
die TA. TA. Heine mit seinen paar höchst ein-
fachen Linienmotiven aus dem Grunde versteht
und bei seinen Urnen, Guirlanden und Bändern
aufe neue beweist Zwei wundervolle, regenfeuchte
Baumstudien hat Ludwig Dill, nebst einem grossen
Blatt „Schneewehen im Moos" geliefert, während
Maurice Denis' Lithographie ein stark — nun
sagen wir benebelten Eindruck macht Eine Reihe
gut reproduzierter Dürerscher Holzschnitte sind
dem vortrefflichen Artikel des Herrn v. Sddlitt
beigegeben. Der Schluss des Heftes ist August
Rodin gewidmet von dem neben etlichen Skizzen
eine ausgezeichnete Radierung von Antonin Proust
und Reproduktionen einiger seiner berühmten
Bildwerke beigegeben sind Verehrungsvoller
Übereifer widmete einer Tuschzeichnung ein be-
sonderes Blatt: das wäre wirklich nicht notwendig
gewesen; man hätte lieber den prächtig lebens-
vollen Kopf Victor Hugos also ehren sollen: der
verdienfst — f.
«
Meisterwerke der Holzschneidekunst. Neue Folge.
Viertes Heft: Moderne Meister. Zehn Blatt Holz-
schnitte nach Originalen, mit Begleittext von Aemil
Fendler. Leipzig, J. J. Weber.
Es ist stets eine Freude, Lendachs Schöpfungen zu
begegnen, eine doppelte Freude aber, wenn er
Männer wie Kaiser Wilhelm L und seinen Kanzler
zur Darstellung erwählt hat Ich weiss nicht ob es
noch mehr Bilder des alten Kaisers aus den letzten
Lebensjahren giebt, besser mag es wohl keinem
gelungen sein, Hoheit mit Freundlichkeit zu paaren.
Lenbach hat Bismarck ungezählte Male porträtiert
— man kann ihm diese Vorliebe nachfühlen —
doch es will uns scheinen, als sei das gewählte
Bild nicht das menschlich ähnlichste der statt-
lichen ZahL
Ddtmann ist durch drei Scenen aus dem Ar-
beiterleben vertreten: charakteristische Gestalten,
denen es nicht an einer gewissen Poesie trotz alles
Realismus der Darstellung gebricht
Die büssende Magdalena von Gabriet Max
hat etwas gar zu Opemhaftes und Gekünsteltes, um
dem Beschauer zu Herzen zu gehen. Es ist, als
habe Max eine der mondainen Erscheinungen
Modell gestanden, die Reni Reiniche so kaleidos-
copartig bunt in seinen Strand- und Spielsaal-
bildern schildert: jene Welt, die gleichsam unter
der Sourdine zu leben scheint und aus der doch
von Zeit zu Zeit ein greller Misston, ein Jubellaut
hervorbricht
Den Frühling feiern Hofmann und Bartels;
ersterer durch Fidussche Backfischgestalten, letzterer
durch die erste Liebe eines hollandischen Bauern-
paares.
Ein ganz eigentümliches, mystisch durchwehtes
»3
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Bfld ist die Arbeit Angele Janks, die er „Sehnsucht"
nennt Ein einsames junges Weib, im Abend-
dämmer, zur Zeit der grossen Stille durch die
Wiesen schreitend, und fern auf dem Fluss ein
gleissendes Lichtkreuz: das Ziel ihrer Sehnsucht,
die kühle Tiefe.
Georg Papperitz' „DameiraKopfehawl" schliesst
die Mappe ab: ein hübsches, puppenhaftes und
nicht sehr seelenvolles Frauenköpfchen, um das
sich der Shawl in äusserst flotten Linien legt
Die Reproduktion der Hobschnitte ist durch-
weg sehr sauber und oft, wie bei dem Jankschen
Bilde und bei Dettmann, von grosser künstlerischer
Wirkung. Bilder, bei denen das koloristische vor-
wiegt, sollten meiner Ansicht nach überhaupt nicht
einlarbig reproduziert werden. — L.
Chronik.
Mitteilungen.
Die Weigelsche Miniaturaisammlung. — Zu den
kenntnisreichsten Bibliophilen muss unstreitig der
Leipziger Buchhändler Theodor Oswald Weigel
(geb. den 5. August 1812, gest. den 2. Juli 1881)
gerechnet werden. Als Sohn des als vorzüglichen
Kunstkenner und eifrigen Sammler hochangesehenen
Johann August Gottlob Weigel wuchs er mit den
vom Vater trefflich angelegten und gepflegten Samm-
lungen von Gemälden, Handzeichnungen, Kupfer-
stichen, Radierungen und xylographischen Werken
auf und früh erwachte in ihm die Liebe zur Kunst
und jenes feine Kunstverständnis, mit dem er
später die väterlichen Sammlungen erweiterte und
für die Allgemeinheit nutzbringend verwertete. Die
schönste Frucht seines Sammelfleisses, ein reicher
Schatz von Kenntnissen auf dem Gebiete der In-
kunabelkunde und der frühesten Buchdrucker-
geschichte, ist in seinem wichtigen, mit A. Zester-
mann zusammen herausgegebenen Werke nieder-
gelegt (T. O. Weigel und A. Zestermann: Die
Anfänge der Druckerkunst in Bild und Schrift.
An deren frühesten Erzeugnissen in der Weigelschen
Sammlung erläutert. Mit 145 Facsimiles und
vielen in den Text gedruckten Holzschnitten.
2 Bde. 1866. Fol). Wieviel Arbeit und Mühe,
welche Ausdauer und Beharrlichkeit gehörten dazu
die schöne Sammlung zusammenzubringen, welche
Fülle von Kenntnissen und wieviel Fleiss waren er-
forderlich, die reichen Schätze zu beschreiben!
Um so dankenswerter ist die Veröffentlichung der
Beschreibung. Und die Sammlung selbst? Ver-
geblich waren die Bemühungen, sie in ihrer Ge-
samtheit zu erhalten und an den preussischen
Staat zu verkaufen; der grosse Wert wurde an
massgebender Stelle — König Friedrich Wilhelm IV.
interessierte sich besonders dafür und war persön-
lich sehr für die staatliche Übernahme — wohl
anerkannt, aber die Mittel zum Ankauf für ein
Staatsinstitut nicht flüssig zu machen. So wurde
denn im Jahre 1872 die grossartige Sammlung, dieser
wertvolle Beitrag zur Geschichte der Typographie,
zur Versteigerung gebracht und zu dieser inter-
essantesten Auktion, welche in der deutschen Buch-
händlercentrale wohl je abgehalten worden ist,
erschien der „Katalog frühester Erzeugnisse der
Druckerkunst von T. O. Weigel und A. Zestermann.
Mit 12 Facsimile-Tafeln, 1872. Nebst Preisliste".
Naturgemäss nicht von jenem grossen Umfange
und ebensolcher Bedeutung wie die vorerwähnte
Weigelsche Inkunabelsammlung, aber ebenfalls hoch-
interessant ist die Kollektion von Handzeichnungen
gewesen, welche an zweiter Stelle versteigert wurde
und über die gleichfalls ein sorgfältig bearbeitetes
Verzeichnis erschien unter dem Titel „JCatalog
einer Sammlung von Originalhandteichnungcn der
deutschen, holländischen, flandrischen, italienischen,
französischen, spanischen und englischen Schule, ge-
gründet und hinterlassen von O. A. G. Weigel in
Leipzig. 1869".
Den dritten Teil der Weigelschen Sammlung
bildeten die Miniaturen, welche ausschliesslich
von dem eingangs erwähnten Theodor Oswald
Weigel gesammelt worden sind. Wir machen die
Weigelsche Miniatursammlung aus dem Grunde zum
Gegenstande einer kurzen Besprechung, weil auch die
Tage dieser Sammlung gezählt sind, da dieselbe,
wie die obenerwähnten beiden Teile der Weigel-
schen Sammlung, zur öffentlichen Versteigerung ge-
langen soll.
Die kostbare Miniaturensammlung enthält 2 2 Ma-
nuskripte mit zahlreichen Malereien, Initialen und
Bordüren, sowie 105 Einzelminiaturen, <L h. Male-
reien, die nur ein einziges Blatt umfassen, und
solche, die als Titel-, Anfangs- oder Einzelblätter
aus grösseren Manuskripten stammen. Es dürfte
wenige Sammlungen geben, welche so herrliche
Beispiele der Kunst der Miniatoren aufzuweisen
haben wie diese; namentlich unter den illumi-
nierten Codices befinden sich einige glänzende
Kunstwerke burgundisch-französischen Ursprunges,
die von seltener Vollendung und Wichtigkeit
sind. Von den 22 Manuskripten sind 7 deutschen
Ursprunges und gehören dem XII.— XI V. Jahrhundert
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Chronik.
99
an; eine Probe deutscher volkstümlicher Kunst
bietet eine Bilderbibel mit 285 Federzeichnungen
aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts. Weitere
7 ülumierte Codices sind französischen bezw.
burgundischen Ursprunges und zeugen durch glän-
zende Vertreter von der Blüte der Miniaturmalerei
im XTV. Jahrhundert Besonders seien ein Psal-
terium (eine entzückende Pergamenthandschrift in
Duodez), ein grosses Antiphonarium und ein Livre
d'heures von vollendeter Ausführung erwähnt
Italienischen Ursprunges sind 4 Pergamenthand-
schriften, unter denen die für den späteren Papst
Julius IL geschriebene Ordo celebrandae missae
hervortritt, während das grosse Missale Romanum,
eine Pergamenthandschrift von 306 Blatt mit Mi-
niaturen, figurierten und ornamentierten Initialen
und Bordüren, zwar französischen Ursprunges, aber
unter unverkennbarem Einflüsse italienischer Kunst
entstanden ist und ebensowohl zu der letzteren
Gruppierung gezogen werden kann. Den Beschluss
der illuminierten Handschriften bilden 4 deutsche
Manuskripte aus dem XV. und XVI. Jahrhundert,
von denen die Vita Christi deutsche volkstümliche
Kunst erkennen lässt, während die Federzeich-
nungen zu der „Hystoria von dem Edlen Ritter
Peter von Profentz vnd der schönsten Magalona,
des KUnigs vö Napples tochter" eine hochinter-
essante Illustrationsprobe des XVI. Jahrhunderts
bieten, welche auf Hans Burgkmair oder einen
diesem Künstler kongenialen Illustrator schliessen
lassen. Dass die letzterwähnte Hystoria auch von
sprachlichem Interesse ist, sei an dieser Stelle nur
nebenbei erwähnt
Die 105 Miniaturen auf Einzelblättern lassen
sich analog der Gruppierung der Codices in fünf
Abteilungen gliedern, von denen die erste
40 Miniaturen deutschen Ursprungs aus dem X
bis XIV. Jahrhundert umfasst Von hoher Wichtig-
keit ist das erste Blatt, welches die Verkündigung
darstellt und, dem X Jahrhundert angehörend,
den vollen Beweis für den unmittelbaren Einfluss
der Antike auf die Ottonische Zeit liefert Der
burgundisch-französischen Schule entstammen 27
Blätter; 15 Miniaturen sind italienischen und 7
niederländischen Ursprunges, während 16 Blätter
deutschen Ursprungs aus dem XV. und XVI.
Jahrhundert datieren.
Es würde zuweit führen und mangels bildlicher
Darstellung immerhin ungenügend sein, an dieser
Stelle eine detaillierte Beschreibung der kostbaren
Codices und Einzelblätter zu geben, welche Proben
der Renaissance in ihrem ganzen Umfange, von
der Frtlhrenaissance der Italiener bis zur Spät-
renaissance in Deutschland und den Niederlanden,
umfassen. Die vorstehende skizzenhafte Schilde-
rung der wertvollen Miniaturensammlung kann
naturgemäss kein annäherndes Bild von deren
Reichtum und Schönheit geben, aber für den
Liebhaber werden auch diese Zeilen von Inter-
esse sein, da sie ihn auf eine Uberaus seltene
Gelegenheit hinweisen, seine Studien zu erweitem,
seine Kenntnisse zu vergrössern und seine Samm-
lungen zu bereichem. Miniaturen müssen sorgfältig
beschrieben und minutiös genau abgebildet sein,
wenn sich der Leser einen ungefähren Begriff von
ihrer Schönheit und ihrem Werte machen will;
eine bezügliche Publikation in Bild und Schrift
oder wenigstens ein sorgfältig bearbeiteter be-
schreibender Katalog Uber die vorstehende Samm-
lung wird den Interessenten gewiss erwünscht sein,
und wir zweifeln nicht, dass, gemäss der früheren er-
folgreichen Praxis bei den Versteigerungen der ersten
beiden Weigelschen Sammlungen, ein sachgemässer
Auktionskatalog den Sammler in besserer Weise
über die Miniaturschätze unterrichten wird als es
hier mit einer oberflächlichen Andeutung möglich
war. Da vorläufig über den Zeitpunkt der Ver-
steigerung der Weigelschen Miniaturschätze nichts
Bestimmtes in Erfahrung zu bringen war (vielleicht
findet sie schon im Juni d. J. statt), so müssen wir
uns vorbehalten, später darauf zurückzukommen,
wie wir hoffen, an der Hand eines eingehenden
Kataloges.
Leipzig. CA. Grumpdi.
Druckermarken aus Speier und Neustadt a. d.
Hardt. Peter Drach der Ältere führte 1477— 1480 nur
eine einzige Druckmarke, die das Alliancewappcn
seiner und seiner Frau Familie bildet Es sind zwei
zusammengebundene, an einem Ast hängende Schild-
chen, rechts das Scbildchen mit Darstellung eines
Drachen als redendes Wappen Drachs, links dasjenige
mit dem Wappen seiner Frau : ein Baum auf einem drei-
zackigen Felsen stehend, zu beiden Seiten je ein Stern.
Das Gante dürfte eine Nachahmung des Druckerstocks
Fust-Schoeffer zu Mainz sein. Von der Darstellung
lässt sich nur das sagen, dass sie gering im Schnitt und
dass namendich der Ast, an dem die Schildchen hängen,
undeutlich und stillos ausgefallen ist. Diese Marke kommt
1477 zum ersten Mal vor und ward stets nur schwarz
abgezogen. Häufig fehlt dieselbe in einem Exemplar,
während ein anderes der gleichen Auflage dasselbe
besitzt. Es sei bemerkt, dass Drach auch beim Kot- und
Schwarzdruck von Über- und Unterschriften diese
eigentümliche Abwechselung liebte. Drachs Sohn,
l'eter Drach der Mittlere (1481— 1504) bediente sich der
Druckermarke seines Vaters, zog dieselbe aber meist
schwarz, in kirchenrechtlichen Werken seines Verlags
aber nur rot ab. Hierin ahmte er Peter Schoeffer zu
Mainz nach, bei dem sich diese Eigentümlichkeit auch
findet. Ausschliesslich für seine Missaldrucke führte
er eine grosse viereckig- längliche Druckermarke:
Drachen mit Monogramm und druckte dieselbe nur rot
ab, wie er denn überhaupt den Rotdruck sehr bevor-
zugte. Sein Sohn, Peter Drach der Jüngere (1504—1530)
kannte nur die Marken seines Vaters. So sehen wir
die eine dieser Marken 1477— '53° verwendet —
Von den Gebrüdern Hist zu Speier, Johann und
Conrad, ist eine Druckermarke nicht bekannt; sie
pflegten in ihrer Druckthätigkeit (1492— 1515) die
Illustration nur wenig.
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ioo
Chronik.
Hartmaim Biber (1502), Jacob Schmidt (1S14— 1530),
Hans Eckhardt (1522—1525), Jacob Fabri (1523—1535),
Anastasius Noltius (1523— 1542) und Johann Dreizehendt
(1569 — 1575) kannten keine Druckermarken. Erst
Beraard Albbus (1581— 1600) führte wieder Drucker-
marken in seinem blühenden Geschäft ein. Die grössere
derselben zeigt eine Kirche (Speier er Dom) mit und
ohne Umrahmung und Monogramm B. A., sowie eine
gleiche Darstellung in kleinerer Form für kleinere
Werke. Beide wurden übrigens willkürlich in allen
Formaten verwendet.
Bernard Albin us Witwe und Erben sowie David
Albinus (1600—1607) bedienten sich ebenfalls dieser
Druckermarken, von denen die eine auch bei Elias
Kembach vorkommt
Abraham Smesmann (1504— 1595) führte 1595 als
Marke einen Engelskopf zwischen zwei verbundenen
Füllhörnern.
Von Johann Lanrillotus (1601) ist keine Drucker-
marke bekannt.
AegidiusVivet(i6o2)führtekeinerlei Druckermarken.
Johann Philipp Spiess (1602 — 1603) hatte 1602 eine
Druckermarke: zwei verschlungene Hände, darüber
einen Kranz und zwei Spiesse, unten eine Burg mit der
Umschrift: „Johannes Spiess. Beat servata fides" im
Gebrauche.
Melchior Hartmann (1602 — 1605), Nicolaus Schoen-
wetter (1602), Simon Günther (1603—1622), Elias Kem-
bach (1604—1618) führten keinerlei selbständige
Druckermarken.
Johann Taschner (1606—161 1) druckte 1606 und 1609
mit einer aus einem doppelkopfigen Adler und einer
Kirche bestehenden Marke.
Augustin Scheider (1608— 161 1), Georg Bau-
meister (1622 — 1636), Johann Balthasar Buschmüller
(1646 — 1647), Christian Dürr (1659— 1666), Jacob Siverts
(1659—1675), Matthaeus Metzger (1675) und Johann
Matthaeus Kempffer (1680—1685) führten als Speierer
Buchdrucker keine Marken, so dass die Druckmarken
mit Anfang des XVII. Jahrhunderts zu Speier als ausser
Gebrauch gesetzt zu betrachten sind.
In dem Speier benachbarten Neustadt a. d. Hardt
wurde 1577 der Buchdruck bekannt. Johann Meyers
Erben führten ein Oval, innen Landschaft mit Piedestal
in der Mitte, auf dem das Monogramm H. M. und eine
Hand mit Blumenstrauss angebracht waren. Umschrift
in Majuskeln : „In manu domini sunt omnes fines terrae",
1579 vorkommend. Sehr fein geschnittene Darstellung.
Die Meyersche Druckerei scheint an den Verleger
Matthaeus Harnisch zu Neustadt gelangt zu sein. Dieser
führte dreierlei Druckmarken mit gleicher Darstellung
in zweierlei Grössen. Verschlungene Hände mit Füll-
horn, rechts oben Engel als Verzierung, Umschrift:
„Mathe. Harnisch. Ditat servata fides" in Majuskeln.
Die Marke kam schon zu Heidelberg, wo Hämisch als
Verlegerwirkte, i574vor. Reizende und gut geschnittene
klare Darstellung. Die zweite Marke ist ein Spiegelbild
der obigen und kommt seit 1581 vor. Sie zeigt starke
Abnutzung und ist unklar im Abdruck. Die dritte
Druckermarke ist wie die obige, aber kleiner im Schnitt,
die Engel fehlen. Sie findet sich meist in kleineren
Formaten. Josua und Wilhelm Harnisch, des Matthaeus
Söhne und Erben des Geschäfts, führten noch zu
Lebzeiten ihres Vaters die gleiche Darstellung, aber
ohne Engel in den oberen Ecken. Umschrift: „I. & W.
Harnisch ditat servata fides" in Majuskeln. — Hein-
rich Starckius, Buchdrucker zu Neustadt (1600— 1619),
führte als Druckermarke den Jonas mit dem Wallfisch :
Umschrift „Fata vi am invenient" in Majuskeln. Die
Darstellung ist gering. Die zweiteDruckermarke Starcks,
1617 vorkommend, zeigt eine einfallende Säulenhalle
mit Männern darin; Umschrift „Nomen domini nostra
fortitudo" in Majuskeln. Geringe Darstellung.
Wiesbaden. F. W. E. Roth.
In Brügge soll ein wichtiges Dokument ntr Ge-
schickte der Buchdruckerkunst entdeckt worden sein.
Ein kürzlich erschienenes umfangreiches Werk des
Brügger Archivars Gilliodts van Severe» beschreibt, der
Köln. Volksztg. zufolge, ein bis jetzt unbekanntes, in
der Pariser Bibliotheque Nationale befindliches Buch,
das mit beweglichen gusseisernen Buchstaben gedruckt
und „allem Anschein" nach älter sei als die erste Bibel
Gutenbergs. In diesem Werke, L'oeuvre de Jean Brito,
führt der Verfasser aus, dass das Pariser Unikum 1445
zu Brügge durch Johann Brito — der sich auf dem
Umschlage als „Bürger von Brügge, Buchdrucker und
Erfinder" vorstellt — unter dem Namen Doctrinacl
„zur Belehrung aller Christen" gedruckt wurde. Im
Archiv der Stadt Brügge wird Brito „Meister" genannt
Ähnliche Versuche, Denkmäler der Buchdruckerkunst
über Gutenberg hinaus nachzuweisen, sind bekanntlich
schon oft gemacht worden, aber stets gescheitert (Nach
A. v. d. Linde druckte Brito in Brügge erst von 1477
ab bis 1488.)
Meinungsaustausch.
Kann mir ein Leser der „Z. f. B." angeben, wer der
Autor von:
Geschickte eines Patriotischen Kaufmanns,
1. und 2. Teil. 2. Auflage. 1769.
ist
Weder Verleger, noch Verfasser, noch Drucker
sind genannt
London NW. Max Freund.
42 Upper Gloncester Place.
«9
Bezüglich meiner Notiz über den Casanovabrief in
der Morrison-Sammlung im Januar-Hefte Ihrer ge-
schätzten Zeitschrift macht mich Herr E. Fischer von
Röslerstamm in Rom darauf aufmerksam, dass von
Oettinger der Todestag Jacopos auf Grund des von
ihm eingesehenen Totenscheines endgültig auf den
4. Juni 1798 festgestellt sei, wie dies auch Herr Victor
Ottmann in seinem Aufsatze thut, und dass der von
Thibaudeau irrtümlich dem Abenteurer zugeschriebene
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101
Brief in der genannten Sammlung aber von dem 1805
in Hinterbrühl bei Wien verstorbenen Maler und
Radierer Francesco C. herrühre.
Bremen. Dr. H. H. Meier.
Antiquariatsmarkt.
Kurz vor Druckabschluss dieses Heftes ging uns
der neueste Katalog (Nr. 18) der Firma Jacques Rosen-
thal in München, Karlstrasse io, zu. Wir werden im
nächsten Hefte auf die interessanten Einzelheiten dieser
Sammlung näher zurückkommen und erwähnen für
heute nur, dass der Katalog wieder überreich an litte-
rarischen Seltenheiten, alten Handschriften, Pergament-
drucken u. s. w. ist In erster Reihe stehen zwei Mi-
niaturwerke von grosser Kostbarkeit: eine Pergament-
handschrift des Psalters, vielleicht um 1140 verfasst,
155 Blatt in 4«, mit einem reichhaltigen Kalendarium,
dessen Monatsbildcr von einem doppelten Portikus mit
Arkaden und Ornamenten, die teils auch mit mensch-
lichen Figuren wechseln, eingefasst sind. Ausser 19
ganzseitigen Vollbildern finden sich noch 2 halbseitige
Miniaturen, 12 grosse Initialen und mehrere hundert
ausgemalte grosse Buchstaben, Randleisten und der-
gleichen mehr vor. Der Deckel besteht aus zwei, durch
einen Kupferrand eingefassten bemalten Holzplatten
mit Lederrücken und lederner Hülle und stammt jeden-
falls auch aus dem XIII. Jahrhundert. Am Ende des
Werks befindet sich die Signatur von Hans Mühlig,
Miniaturmaler am bayrischen Hofe, geboren 1515 und
gestorben zu Augsburg 1572; dann folgen 2 Wappen
und 9 Pergamentblätter mit einer Familienchronik der
Mühligs. Das zweite Psalterium ist eine Pergament-
handschrift aus der Zeit um 1260 und enthält zunächst
ein Mouatskalendarium und einen Almanach für 1265
bis 1305, sodann 116 grosse Miniaturen zur Illustrierung
der Heiligen Schrift, beginnend mit der Schöpfung
und schliessend mit einer Darstellung Sankt Michaels
mit dem Drachen. Die Bilder sind von wundervoller
Frische der Farben, hauptsächlich in blau, grün, roth,
weiss und purpurn auf goldenem Hintergrunde, die
Gesichter prächtig individualisiert. Nur je eine Seite
ist bemalt, die Rückseiten sind weiss geblieben. Ausser-
dem schmücken die 237 Blätter des Werkes (in KI.-4 0 )
8 Initialen und vielfache Randleisten und Ornamente.
Gebunden ist die Handschrift in einen alten schönen
Maroquinband mit Hülle.
Aus den sonstigen, im Katalog aufgeführten Manu-
skripten heben wir noch hervor: ein Horarium aus dem
XV. Jahrhundert auf Velin, der flandrischen Schule
angehörig, mit 29 grossen und 26 mittelgrossen Minia-
turen, 30 Initialen und 84 Bordüren, der Text in rot
und schwarz ; 21 5 Bl, in K1.-8", Lederband mit Schliessen
— ferner eine Folge von 42 Miniaturen, Episoden aus
dem Leben des heiligen Benediktus darstellend, auf
Velin, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des XIII.
Jahrhunderts in Italien entstanden, von grösster Kost-
barkeit—eine Chronik von Frankreich, Velin, XV. Jahr-
hundert, Gr.-FoL, 269 und 281 BL, mit 33 herrlichen
Miniaturen, darstellend fast alle französischen Könige
von Chlodwig bis auf Karl V., auf und vor dem Throne,
zu Pferde, allein und mit Umgebung — ein Gebetbuch
der Marie d'Amboise, Gattin des Jean von Hangest,
Kanzlers Königs Karls VIII. von Frankreich, Velin-
manuskript mit 25 Miniaturen und zahllosen Randleisten,
Blumen und Früchte und belebt durch figürlichen Bei-
schmuck, 229 BL in 12*, in schönem Maroquineinband.
Der Katalog enthält noch die eingehende Beschreibung
von 30 weiteren Miniaturwerken, deren Besprechung
an dieser Stelle zu weh führen würde. Interessenten
thuen gut, sich den Katalog kommen zu lassen; die
illustrierte Ausgabe kostet 2 M. Vereinzelte Nummern
der Druckseltenheiten werden im nächsten Hefte der
„Z. f. B." Berücksichtigung finden. - bL -
Von den Auktionen.
Bei Amiler &* Ruthardt in Berlin wurde jüngst die
Sammlung des verstorbenen Direktors des KönigL
Münzkabinetts Herrn von Salle t versteigert. Von den
Kupferstichen und Holzschnitten alter Meister erzielten
die höchsten Preise: Albr. Altdorfer, Kirche zur schönen
Maria von Regensburg, M. 105 ; A. Dürer, Adam und
Eva, B. i, erster Abdruck, M. 3200; derselbe Christus
am Kreuz B. 24, M.6tO; ders. Schweisstuch der Veronica
B. 25, M. 220; ders. Jungfrau B. 31, M. 10$; ders.
Hieronymus in der Höhle B. 61, M. 46b; ders. Satyr-
familie B. 69, M. 305; ders. Melancholie B. 74, M. 215;
ders. der Traum B. 76, M. 3°°; ders. Ritter, Tod und
Teufel B. 98, M. 1300; ders. Wappen mit dem Toten-
kopf B. 101, M. 1155-, ders. Erasmus B. 107, M. 315;
ders. Das Marienleben B. 76—95, M. 1155 ; ders. Maria
mit Engeln B. 101, M. 200 und 205 ; ders. Ulrich Varn-
bühler B. 155 HauptbL, M. 405; ders. Wappen Rudolf
von Scheerenberg, M. 520; ders. Mönch und Nonne
B. 176, M. 400. Femer E. S. Meister 1466, Hostienteller,
M. 1050; Mart Schongauer, Maria Verkündigung B. 2,
M. 800; den. Kreuztragung B. 21, M. 1800; ders. Maria
mit Kind B.3t, M. 1160; ders. Die 12 Apostel B.34— 45,
M. 610 ; ders. Heiliger Antonius B. 47, M. 44$; ders.
Heilige Jungfrau neben Gott Vater auf dem Throne
B. 71, M. lifo; ders. Das grosse Räucherfass B. 107,
M. 800. Joh. Wechtlein, Gepanzerter Ritter B. 10,
M. 375; Mart Zasinger, Das Grosse Turnier B. 14,
M.300. Lukas Cranach, Luther als Junker Jörg Sch. 179,
M. 1855; ders. Melanchthon Sch. unbek., M. 400; ders.
Heiligtumsbuch Sch. 107, M. 300. — Ferner: Bibel,
Wittenberg 1534, M. 285; ein franzosisches Horarium
des XV. Jahrhunderts mit Miniaturen, M. 1850; ein
zweites aus gleicher Zeit, M. 1805; französ. Gebetbuch
des XV. Jahrb., M. 400 ; Petrarca, De vita solitaria,
Manuscr. um 1450, M. 455; Bergomensis, De pluribus
mulieribus, Ferrara 1497, M. 485; Bibel, Augsburg,
Zainer, gegen 1473, M. 310; Breydcnbach, Reysen,
Mainz i486, M. 200 ; Constanzer Concil, Augsburg 1483,
M. 425: Gaisth'che Usslegung, Ulm oder Strassburg
um 1470, M. 265; Hie hebt sich an die new Ee, Augs-
burg 1476, M. 265; Isolanis, Mysterii B. Veronicae,
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t02
Mailand 1518, M. 320 ; Leben der Heiligen, Nürnberg,
1488, incompl., M. 220; Missale Augustense, Augsburg
1496, M 620; Missale Patavicnse, Augsburg 1498, M.610;
Poliphili Hypoerotomachia, Venedig 1499, M. 500;
Stammbuch aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts,
M. 405; Voragine, Legenda sanctorum, Augsburg 1468,
M. 305. -f.
4P
In Paris brachte die Versteigerung der Sammlung
seltener Bücher des Grafen du Pro 258000 Fr. Eine
1652 bei Vitrrf in Paris gedruckte lateinische Bibel in
zehn Bänden, die nacheinander Longepierre, Finnin
Didot, Pixerecourt, dem Baron Pichon und dem Grafen
Roger du Nord gehörte, erreichte 5800 Fr. ; ein zu Paris
1586 bei Jamet Mettayer für die Kapelle Heinrichs III.
gedruckter lateinischer Psalter 3600 Fr.; ein 1653 zu
Löwen von Elzevir gedruckter lateinischer Psalter mit
dem Wappen des Grafen Hoym 700 Fr.; Paraphrase
en frome de pricres sur les psaumes de David, wahr-
scheinlich das einzige Exemplar dieses für Frau de
Bruc 1741 gedruckten Werkes, 2055 Fr.; Les Homelies
du Breviaire avec les lecons des Festes des saints,
mises en franeois par J. Baudouin, Paris, Pierre
Rocolet 1640, der Einband ein wahres Meisterwerk
von Le Gascon, mit dem Wappen des Kanzlers
Seguiere, 18500 Fr.; Adamantii originis de recta in
Deum fide Dialogus, Lutetiae, Michael Vascosami, 1556,
mit dem Wappen Heinrichs II. auf dem Einband,
21 000 Fr.; Les lettres de Saint Augustin, Paris, Crignard
1701, Wappen der Frau de Chamillard auf dem Ein-
band, 7040 Fr.; ein (französisches) Gebetbuch der Anna
von Österreich 920 Fr.; eine 1684 in Köln bei Balthasar
Winfeldt gedruckte Ausgabe der Provinriales von
Pascal, 2505 Fr.; eine 1700 von Nie. Schonken zu Köln
gedruckte Ausgabe desselben Werkes Pascals in zwei
Bänden, mit dem Wappen der Frau von Chamillard,
10400 Fr.; einer Nachfolge Christi, von de Bcuil ins
Französische übertragen, 1690 zu Paris bei G. Desprez
gedruckt, auf den Deckeln des Einbandcs (von Monnier)
Ereignisse des Alten Testaments in Mosaik dargestellt,
die Gestalten in chinesischer Tracht, 18550 Fr.; Assertio
Septem Sacramentorum advers us Marth. Lutherum,
Henrico VIII., Angliac Rege, Auetore ; Paris, G. Desboys
1 562, 2620 Fr. ; eine 1 583 zu Orleans bei Saturny Hottet
erschienene Trachtensammlung des Orleanais, 2550 Fr. ;
M. Tullii Ciceronis de Officüs Libri tres, in Löwen bei
Elzevir 1645 gedruckt, mit dem Wappen des Grafen
Hoym, 3010 Fr. ; Aquitilium animalium historiae, Romae
Hippol. Salvianum, 1554, mit Wappen der Äbtissin
Anne de Thou, 3820 Fr. ; Le Rommant de la rose, Paris
'529. 5150 Fr.; die Apokalypse (französisch), 1541, Paris
bei Angclicrs, 6100 Fr.; Les Aventurcs de Telemaquc,
Paris 1717, Delaulne, 9000 Fr.; Titi Livii historiarum
libri, Löwen, 1634, Elzevir, 4000 Fr.; Saint Graal, 1523
Paris, Le Noir, 3650 Fr.
m
Der dritte Teil der Ashburnham Bibliothek wird
am 9. Mai und den fünf folgenden Tagen bei Solheby
versteigert werdea Es verlautet, dass bei Katalogisierung
der Bücher sich das vorhandene Material auch dieser
Abteilung als wertvoller herausgestellt hat, wie es an-
zunehmen berechtigt erschien. So sollen unter andern
noch mehrere Drucke von Caxton zum Verkauf
kommen. — s.
Kleine Notizen.
Deutschland.
Der deutsche Kaiser hat, wie berichtet, durch einen
Erlass die Mittel zur Herausgabe eines Wörterbuches
der ägyptischen Sprache bewilligt, und die kgl. Akademie
der Wissenschaften in Berlin, die kgl. Gesellschaft der
Wissenschaften in Göttingen und Leipzig und die kgL
bayerische Akademie der Wissenschaften in München
haben vor kurzem eine Kommission zur Leitung dieser
Arbeiten eingesetzt, die aus den Professoren Ebers,
Erman, Pietschmann und Steindorff besteht. Diese
Kommission veröffentlicht nun in der „Zeitschrift, d.
deutsch, morgcnl. Gesellst h." den Plan, nach dem das
„Wörterbuch der ägyptischen Sprache" bearbeitet
werden wird. Es soll den gesamten Sprachschatz um-
fassen, den die in hieroglyphischer oder hieratischer
Schrift geschriebenen Texte uns bewahrt haben; die
demotischen und koptischen Texte sollen dagegen nur
soweit herangezogen werden, als es die Erklärung hiero-
glyphisch geschriebener Worte verlangt. Die Samm-
lung des Materials soll vermittels desselben Verfahrens
erfolgen, das bei dem „Thesaurus linguae latinae" aus-
gebildet worden ist, und das es erlaubt, für jedes Wort
sämtliche Belegstellen mit verhältnismassig geringer
Mühe zu vereinigen. Die Dauer der Arbeit bis zum
Beginne des Druckes ist auf etwa 11 Jahre berechnet.
Da zur Durchführung dieses grossen Unternehmens
auch solche Inschriften und Papyrus verarbeitet werden
müssen, die noch unveröffentlicht sind, so richtet jetzt
die Kommission an alle wissenschaftlichen Gesellschaften
und Körperschaften, an die Verwaltung der Alter-
tümer Ägyptens, an die Vorstände der Museen und an
die Besitzer ägyptischer Sammlungen die Bitte, ihr neu
entdeckte oder sonst noch unbekannte Texte in Ab-
schrift, Abklatsch oder 1'hotogTaphie mitzuteilen und
ihr die Berichtigung bereits veröffentlichter Texte zu
erleichtem. Die Kommission geht dabei für sich und
ihre Mitarbeiter ausdrücklich die Verpflichtung ein,
alles ihr so Zukommende als vertraulich mitgeteilt zu
betrachten, und es weder zu veröffentlichen, noch für
andere Zwecke als die des Wörterbuches zu benutzen.
In der „N. Fr. Pr." giebt Georg Brandes sehr inter-
essante Aufschlüsse über das Verhältnis Heinrich
Heines su seinen Komponisten, die auch unsern Lesern
als Ergänzung zu dem Artikel von Karpeles im Februar-
heft willkommen sein werden. Danach beläuft sich die
Zahl der musikalischen Kompositionen zu seinen Ge-
dichten auf 3000, und unter denselben befindet sich die
Fülle der schönsten Lieder von Schubert, Mendelssohn,
Schumann, Brahms, Robert Franz und Rubinstein. Nach
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103
ihm, mit seinen 5000 Kompositionen, kommt Goethe
mit ungefähr 1700 und dann erst folgen in grossen Ab-
ständen die anderen. Am allcrhäufigsten, doppelt so
häufig als irgend ein anderes Lied, ist „Du bist wie
eine Blume" komponiert worden : von nicht wenige Als
160 verschiedenen Tondichtern. Zwei von Heines Ge-
dichten sind je dreiundachtzigmal komponiert worden .-
„Ich hab' im Traum geweinet" und „Leise zieht durch
mein Gemüt". „Ein Fichtenbaum steht einsam" kommt
zunächst an die Reihe. Es ist sechsundsiebenzigmal
komponiert. Siebenunddreissigmal endlich ist jenes
Heineschc Gedicht komponiert worden, welches häufiger
als alle seine übrigen Lieder gesungen wird und das,
tuerst ein Studentenlied, nachmals ein Volkslied in
Deutschland wurde: „Ich weiss nicht, was soll es be-
deuten", das Lied von der Loreley. Was also von
Heines Lyrik den grössten Anklang fand und am häu-
figsten auf den Lippen singender Menschen lebendig
wird, das sind seine unschuldigsten, gefühlvollsten, naiv-
sten, volkstümlichsten Verse — wie im Grunde nur zu
erwarten stand, insofern nichts populär werden kann,
als das Schlichte und Volkstümliche.
Für eine durchgreifende Reform des städtischen
Bibliothekswesens in Berlin plädiert der bekannte Kieler
Bibliothekar Dr. Nörrenberg in dem neuesten Heft
der „Comenius-Blätter Air Volkserziehung". Er weist
darauf hin, dass es in der Absicht der Staatsregicrung
liege, falls ein geeigneterer Platz für die Unterbringung
der Kgl. Bibliothek nicht gefunden wird, diese Biblio-
thek ausschliesslich für die gelehrte Forschung offen
zu halten, wie dies seitens des Britischen Museums
geschieht Sollte es dazu kommen, so wäre ein er-
heblicher Teil der gegenwärtigen Benutzer, Gewerbe-
treibende, Künstler, Schriftsteller, Lehrer u. s. w.
gezwungen, zu einer anderen Bibliothek seine Zuflucht
zu nehmen. Angesichts dieser wenig erfreulichen
Möglichkeit würde allerdings die Frage der Errichtung
einer „Bürgerbibliothek", ähnüch der in Charlottenburg
ins Leben gerufenen Stadtbibliothek, ein erhebliches aktu-
elles Interesse erhalten. Nörrenberg nimmt Notiz von
dem Vorschlag, die Magistratsbibliothek zu teilen, eine
Handbibliothek im Rathause zu lassen und den Rest
nebst der wertvollen Goritz-LübeckBiblioihek in einem
halben Erdgeschoss des Vorhauses der Markthalle an
der Zimmerstrasse unterzubringen. Die Ausführung dieses
Planes, so urteilt der Kieler Bibliothekar, würde die Ber-
liner Bibliotheksverhältnisse auf Jahre oder Jahrzehnte
schädigen müssen. Die Berliner Bürgerschaft kann im
eigenen Interesse nur wünschen, dass eine grosse, reor-
ganisierte Stadtbibliothek nebst Leseräumen und erwei-
terter Benutzungszeit in einem besonderen, gut gelegenen
Gebäude geschaffen werde. In diesem Gebäude könnte
dann gleichzeitig das gegenwärtig im Kathause unterge-
brachte Stadtarchiv eine würdige Unterkunft finden.
Diese zentrale Stadtbibliothek sei dann in engste Ver-
bindung mit den Volksbibliothcken zu bringen und in
Ausrüstung und Einrichtung nach dem Muster der besten
englischen und amerikanischen Vorbilder zu gestalten.
Sie müsste versehen sein mit der gesamten Litteratur,
die der Bildung und auch den in Berlin blühenden
Erwerbszweigen dient, in Büchern und Zeitschriften,
daneben politische Zeitungen jeder Richtung, un-
parteiisch ausgewählt, und dazu ausreichende Leseräume
von früh bis spät um 10 Uhr geöffnet. Jedenfalls
wäre es wünschenswert, wenn bei einer Neuregelung
unseres städtischen Bibliothekwesens, gegen dessen
bedeutende bisherige Leistungen auch der genannte
Kritiker sich nicht verschliesst, von den Erfahrungen,
die man jenseit des Kanals und des Ozeans auf
diesem Gebiete gemacht hat, Nutzen gezogen würde.
Von der vortrefflichen Shakespeare-Ausgabe Pro-
fessor Alois Brandls (Leipzig, Bibliograph. Institut)
erschienen kürzlich Band III und IV. Besonders
interessant sind des Herausgebers Bemerkungen zum
„Hamlet", nur wenige Seiten stark, aber auf diesem
knappen Raum alles zusammenfassend, was zum Ver-
ständnis des komplizierten Charakters nötig erscheint,
und dies in lichtklarer Darstellung gebend — was man
von den meisten Veröffentlichungen aus der Hochflut
der Hamletlitteratur nicht sagen kann. —f.
In der Kunstsammlung von Keller und Reiner in
Berlin waren kürzlich sehr zarte künsUerische Buchein-
bünde von Maywald ausgestellt Sie sind aus Sämisch-
leder gefertigt und mit modern stilisierten Arabesken
in Aquarell auf das diskreteste bemalt So entzückend
der erste Eindruck-auch ist, so möchten wir doch immer
wieder betonen, dass Bucheinbände ein kräftiges An-
fassen aushalten müssen und dass allzuheikles Material
von der Anwendung ausgeschlossen sein sollte. — z.
Österreich -Ungarn.
Im Mährischen Gewerbemuseum tu Brünn ist am
6. März die lange geplante Buch-Ausstellung eröffnet
worden, welche die ganze Entwickelung des Schrift-
wesens und Druckwerkes veranschaulicht Für die
älteste Zeit haben das Haus-, Hof- und Staatsarchiv,
das mährische Landes- und das Brünner Stadtarchiv,
sowie die Stifte Admont und Zwetü die wichtigsten,
insbesondere auf Mähren bezughabenden Original-
urkunden zur Verfügung gestellt. Die sich daran
schü essende Siegelabteilung fuhrt an ausgewählten Bei-
spielen die künstlerische Ausführung des Siegels vom
IX. bis zum XIX. Jahrhunderte vor. Sehr reich und
und prächtig ist die Abteilung der mittelalterlichen
Bilderhandschriften, die Zeit vomX. bis zum XVI. Jahr-
hunderte umfassend, ausgefallen, für den Specialforscher
von besonderem Interesse die Inkunabelsammlung, in
der die hervorragendsten Typen und namentlich fast
sämtliche in Mähren erschienenen Frühdrucke zu
sehen sind — der Anfang zu einer Druckergeschichte
Mährens. Daran schliessen sich Holzschnitte und
Kupferstichwerke von der Renaissance bis zu den
modernsten österreichischen, deutschen, englischen und
französischen Werken, weiter eine Kollektion von Ex-
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104
Chronik.
Libris und eine umfangreiche Abteilung von Buchein*
bänden. Besonderen Wert verleibt der Ausstellung ein
gewissenhaft und ausführlich gehaltener Katalog. Wir
ersehen daraus, dass sich 6$ Aussteller beteiligt haben,
darunter die kaiserliche Fideikommissbibliothek, fast
alle Hof- und Staatsinstitute, zahlreiche in- und auslän-
dische Museen und die bekanntesten Privatsammler,
wie Dr. Alb. Figdor und Theodor Graf in Wien, Graf zu
Leiningen- Westerburg in München, Fedor v. Zobeltitz
in Berlin und Direktor J. Luthmer in Frankfurt a. M.
Von der „Deutsch-österreichischen Lüteraturge-
schickt*", herausgegeben von J. W. Nagel und Jakob
Zeidler (Wien, Carl Fromme), sind die 9. und 10. Liefe-
rung erschienen. Eine nähere Besprechung soll nach
Fertigstellung des Werkes erfolgen.
England.
Sidney Lee, einer der grössten Shakespearekenner,
machte der bibliographischen Gesellschaft Mitteilung
von einer seltsamen Entdeckung in einem von den
zwei Exemplaren der ersten Folioausgabe Shakespeares
im Besitz der Baroness Burdett Courts. Die Baroncss
besitzt ausser dem 1864 für 716 Lstr. gekauften sog.
Danielexemplar, das für das am besten erhaltene gilt,
noch die sog. Sheldonausgabc, die über anderthalb
Jahrhunderte im Besitz der Familie Sheldon war und
sich in deren Landhaus Long Compton in Warwickshirc
befand. Die Decke trägt noch, wie der „Voss. Ztg."
geschrieben wird, das Wappenschild der Familie
Sheldon und das Exemplar zeichnet sich durch Rand-
bemerkungen in einer aus dem XVII. Jahrhundert
stammenden Schrift aus. Die Bücherei wurde 1781
verkauft. Auffallend in diesem Exemplar ist nun, dass
die Schlussstelle von „Romeo und Julie" und die An-
fangsstellen von „Troilus und Cressida" zweimal in ver-
schiedenen Teilen des Bandes abgedruckt sind, was
darauf deutet, dass die Drucker ungewiss waren, ob
„Troilus und Cressida" nach „Romeo und Julie" kommen
oder ihm vorangehen solle. Nach der Berechnung des
Herrn Lee sind von den 200 Exemplaren der ersten
Folioausgabe nur 30 vollständig, etwa 20 haben kleinere
Fehler und 150 sind schwer beschädigt Dieser ersten
Folioausgabe von 1623 verdankt man die Erhaltung
von zwanzig
Die Historical Manuscripts Commission hat wieder
einen interessanten Band veröffentlicht Diesmal sind
es die Familienpapiere des Earl of Carlisle in Schloss
Havard, die R. G. Kirk herausgegeben hat Es werden
hier mehrere Tausend Aktenstücke geboten, die zumeist
auf Männer und Frauen Bezug haben, welche im XVI IL
Jahrhundert eine hervorragende Rolle spielten. Es
giebt da Briefe von Sir John Vanbrugh, dem Drama-
tiker und Architekten, der in den Tagen der Königin
Anna die Schlösser Blenheim und Howard erbaute,
femer Briefe des grossen Herzogs von Marlborough,
des Sir Robert Walpole, des Herzogs von Wharton,
des Lord Essex und des Herzogs von Kingston. Die
Briefe der Lady Anne Irwin, einer der Töchter des
Lord Carlisle, haben eine hohe sittengeschichtliche
Bedeutung, da die Lady ihrem Vater über gesellschaft-
liche Vorgange und bedeutende Persönlichkeiten Bericht
erstattete. Lady Mary Wortley Montagu, eine ihrer
Jugendfreundinnen, die ihrer Schönheit und ihres Witzes
wegen berühmte Tochter des Herzogs von Kingston,
erscheint hier in nicht sehr günstigem Lichte. Ein
ausschliesslich politisches Interesse beanspruchen die
Briefe des Earl Fitzwilliam. Sie stammen aus der
Zeit des Unabhängigkeitskrieges der amerikanischen
Kolonien, der Geisteskrankheit des Königs, reichen
bis in die französische Revolutionszeit und berühren
irische Angelegenheiten.
Frankreich.
Von Claude Gilberts Histoire de Calejeva, ou de
l'lsle des hommes raisonnables ist nur ein einziges
Exemplar vorhanden, welches die Witwe des Verfassers
dem Abte Papillon zum Geschenk gemacht hat Später
befand sich das Buch in der Bibliothek des Herzogs
von Lavaliiere und wurde bei der Versteigerung der-
selben 1784 für 120 Livres verkauft. Das Werk war
ohne Druckort und Jahr 1700 zu Dijon bei Jean
Resseyrc in t2° erschienen. Der Verfasser setzt die
Insel Calejeva nach Litthauen und handelt in Gesprächs-
form in zwölf Büchern über sie und ihre Bewohner.
Das letzte Heft des Illustrationswerkes „Les Mattres
de r Affiche" enthält u. a. die Reproduktion einer
Pan -Anzeige von Sattler (Kunstanstalt von Albert
Frisch in Berlin), die in Deutschland wenig bekannt
sein dürfte. Aus einer weit geöffneten Fabelblume
steigen Staubfäden in den Abendhimmel, die sich zu
dem Worte Pan verschränken, während ein Faun aus
dem Hintergrunde auftaucht Sehr reizvoll ist ein
Plakat für den Architekten Hankar, von Crespin ent-
worfen, das eine Art Porträtstudie darstellt Eine Bade-
scene „Carbourg a Paris" von Privat-Liremont gehört
neben einer Wülctteschen Zeichnung zum besten des
Werkes.
Naehdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin.
*ie 61
Gedruckt von W. Drugulin in Leipng für Velhafen St Kieling in Bielefeld uod Leiptig. — Papier der Neuen Papier-
Manufaktur in Strauburg i. K.
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ZEITSCHRIFT
KÜR
BÜCHERFREUNDE
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobcltitz.
a. Jahrgang 1898/99. Heft 3: Juni 1898.
Lola Montez in der Karikatur.
Von
Eduard Fuchs in München.
s ist an dieser Stelle nicht der
Platz, eine eingehende Dar-
legung der Münchener Ereig-
nisse in den Jahren 1846 — 1848
zu geben. Eine kurze Skiz-
zierung derselben erscheint uns
aber um so notwendiger, als das Verständnis
der Karikaturen, 1 mit denen sich der nach-
folgende Aufsatz beschäftigen wird, auf der
Kenntnis der Zustände damaliger Zeit beruht
Es war im April 1838, als dem Staatsrat
Abel vom König Ludwig I. das Portefeuille des
Innern übertragen wurde. Die bekannte „Knie-
beugeverordnung " war die erste That des neuen
Ministeriums. Eine weitere Verordnung, die
der Autokratie die Wege ebnen helfen sollte,
folgte. Nach dieser neuesten Verordnung
durften z. R. alle Eingaben nicht mehr die
Aufschrift tragen: „An das Staatsministerium' 4 ,
sondern nur: „An Seine Majestät"; an Stelle
des Ausdrucks „Staatsbürger" musste ferner
stets „Untcrthan" gesetzt werden u. s. w. Hier-
mit hatte die Regierung vollkommen freie Bahn
erhalten. Alle Vorwürfe, die an sie gelangten,
lehnte sie ab; achselzuckend konnte sie auf
den König als den Urheber der Verfügungen
verweisen. Dann kam die Lernfreiheit an die
Reihe, und als auch diese glücklich vernichtet
war, machte man es mit der Lehrfreiheit ebenso.
Alles das war gleichbedeutend mit der Ver-
nachlässigung der wichtigsten Kulturaufgabcn.
Die meisten öffentlichen Stellen wurden nur mit
zuverlässigen Parteigängern besetzt und unlieb-
same oder unbequeme Personen rücksichtslos
aus ihren Stellungen entfernt. Natürliche Folge
war, dass niemand nach Tüchtigkeit im Amte,
sondern nur nach Wohlgewogenheit der mass-
gebenden Stellen strebte, und dies bedingte
nicht selten eine Verwahrlosung der amtlichen
Körperschaften. Die Zensur war zur absoluten
Herrscherin im Reiche der Publizistik erhoben
worden; sie feierte wahre Triumphe. Die Blätter
vom Auslande — unter Ausland alle ausscr-
bayrischen deutschen Staaten inbegriffen— unter-
standen Nummer für Nummer der Kontrolle. Das
Volk war stumm gemacht worden. Und aus
dem stummen Volke wurde ein stumpfes Volk.
Wo noch eine höhere geistige Regung auf-
tauchte, erstarrte sie rasch unter dem Bahr-
tuche der Unduldsamkeit des Ministeriums
Abel. Verzweiflung hatte den besseren Teil
des Volkes erfasst, Gedankenlosigkeit seine
breiten Massen, und wie ein dichter undurch-
dringlicher Nebel breitete die Hoffnungslosigkeit
' Aus gleichem Gründe hat der Herausgeber den
Kaum gegeben, diesem selbst die Verantwortlichkeit für seine
z. r. b. 98/99.
Ansichtsäusserungen des Herrn Verfassers freien
F. v. Z.
14
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io6
Fachs, Lola Montez in der Karikatur
ihre düstern Schwingen über das ganze Land.
In diesem Zustande befand sich Bayern,
als Lola Montez nach München kam, um zu
tanzen (zu tanzen auf den Brettern der Mün-
chener Hofbühne), aber was sie tanzte, war
bayrische Geschichte.
Von völlig unhistorischem Blicke würde es
freilich zeugen, wollte man behaupten, dass
ohne Lola Montez der März 1848 mit seinen
Folgen für Bayern ausgeblieben wäre. Lola
Montez war nur das zufällige Instrument der
Geschichte. Weniger wegen ihres Tanzes, als
wegen ihrer fascinierenden Schönheit,* femer
durch ihre galanten Abenteuer in Paris, Baden,
Berlin u. s. w. hatte sie schon lange die Auf-
merksamkeit weiter Kreise, natürlich besonders
die der Lcbewelt, auf sich gezogen; auch
die Polizei hatte mehrfach ihr Augenmerk
auf sie gerichtet und ihrem skandalösen Be-
tragen durch Ausweisungsbefehle (z. B. in
Warschau und Berlin) für die betreffende Stadt
ein Ziel gesetzt Ein Ausweisungsbefehl aus
Reuss-Lobenstein-Ebersdorf, den Heinrich der
Zweiundsiebzigste ihr eigenhändig ausstellte,
war es auch, der sie nach München verschlug.
Aber dessen ungeachtet war sie bis dahin
doch nur die galante und geistreiche, die her-
kömmlichen Sitten verspottende Abenteurerin,
von der man sich eine Anzahl sehr pikanter Anek-
doten erzählte, die aber wohl kaum je eine
bemerkenswerte Beachtung in der Karikatur,
der gezeichneten Sittengeschichte, gefunden
hätte. Vergeblich forschten wir auch in fran-
zösischen und englischen Zeitschriften nach
Karikaturen aus der Periode, die ihrem Mün-
chener Aufenthalt voranging. Die galante
Abenteurerin wäre in dem Augenblick vergessen
gewesen, in dem das Alter ihren Erfolgen ein
unübersteigliches Ziel setzte. Deshalb muss sich
ihre Würdigung für uns auf München kon-
zentrieren, und es genügt, wenn wir Lolas
frühere Erlebnisse nur oberflächlich streifen.*
Von München ab datiert ihre geschichtliche
Rolle; hier entstanden die ersten Karikaturen,
auf die Münchener Ereignisse spielen sie sämt-
lich an, und auf diese sind auch alle späteren
zurückzuführen. Hier war sie zu einer Persön-
lichkeit geworden, mit der in der weitesten
öffenüichkeit gerechnet werden musste und
mit der man deshalb auch in der breitesten
Öffentlichkeit abrechnete. Ohne ihre politische
Rolle wäre ihr Benehmen auch nicht so ge-
schäftig als ein öffentlicher Skandal dargestellt
worden. Konnte es übrigens für den politischen
Gegner ein geeigneteres Angriffsfcld geben, als
den Lebenswandel einer Lola Montez, ihre freche
Brüskicrung jedweden gesellschaftlichen An-
standest Man bekämpfte die Sache, indem man
die Person der allgemeinen Verachtung aus-
zuliefern sich bemühte. —
Das für beide Teile so folgenschwere Zu-
sammentreffen der Lola Montez mit dem König
datiert bekanntlich aus den ersten Tagen ihres
Münchener Aufenthalts. Das vom Hoftheater-
intendanten erbetene Debüt wurde Lola ab-
gelehnt, worauf sie, resolut in allen Dingen,
sich einfach zum König begab, um die Erlaubnis
für das Gastspiel sich bei diesem unmittelbar
zu erwirken.
Wir übergehen die pikanten Einzelheiten,
die man sich über jene Audienz erzählt Lola
trat auf — nach dem einen dreimal, nach
andern nur einmal — aber ihr nicht gerade
aussergewöhnlicher Tanz liess das Publikum
ziemlich kalt; ob jetzt schon fremde Einflüsse
mitspielten, ist nicht festzustellen, behauptet
wird es zwar von verschiedenen Seiten, wie
auch rasch bekannt wurde, dass Lola des
Königs Gunst bereits im höchsten Grade be-
sitze. Ganz anderes Interesse erweckte der
Pas de deux, der jetzt folgte.
Es dauerte nicht lange, und die Angriffe
auf Lola Montez und den König begannen,
zuerst versteckt, allmählich aber immer lauter
und deutlicher.
Wie kam das? Sollte auf einmal in der
Allgemeinheit das sittliche Gefühl für Anstand
erwacht sein, das Jahrzehnte lang sich durch
nichts hatte aus seinem Schlafe aufstören lassen?
— Wer sich mit der Geschichte jener Jahre
« Durch die Eigenart ihrer Schönheit machte Lola Montez thaUächlich grosses Aufsehen. Litteraten, Künstler,
Musiker — unter ihnen eine Zeit lang auch Franz Liszt — spannte sie in grosser Zahl vor ihren Triumphwagen.
Die eleganten Lebemänner trugen ihr Bildnis auf Busennadeln, Ringen, Pfeifenköpfen, Nicht weniger häufig fand
man ihr Bild auf Porzellantassen, Hals- und Taschentüchern, Tabaksdosen u. s. w.
* Diejenigen, die sich für die näheren Einzelheiten des abenteuerlichen Lebens der Lola Montez interessieren,
werden unter der beigefügten Bibliographie überreiches Material finden,
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Fucbt, I.ola Montez in der Karikatur.
I0 7
eingehender beschäftigt hat und sich nicht
verblüffen lässt durch die dröhnenden Phrasen,
die damals reich verschwendet wurden, dem
kann die wahre Ursache nicht unverständlich
bleiben. Lola Montez war für die Zwecke des
Ministeriums nicht zu haben gewesen — das ist
die einfache Lösung! Versuche für Gewinnung
ihres begünstigenden Einflusses, so versichern
Zeitgenossen, seien mehrfach gemacht worden,
aber an ihrer Unbändigkeit gescheitert. Aus
diesen misslungenen Versuchen sei der unver-
söhnliche Hass zwischen ihr und dem Ministerium
Abel entstanden. Freilich spielten auch später
Lolas Extravaganzen dabei eine Rolle, aber
zweifellos eine willkommene, denn diese boten
das unerschöpfliche Arsenal, dessen Waffen
unausgesetzt gegen sie und den König ver-
wendet werden konnten.
Durch Lola wurde der König sehr bald
über die wirkliche Stellungnahme des Mi-
nisteriums Abel aufgeklärt, und so trennte er
durch Ordre vom 15. Dezember 1846 das
Ministerium der Erziehung und des Kultus von
dem Ministerium des Innern. Abels gewaltiger
Einfluss auf die Schule war hierdurch lahm-
gelegt worden. Zu Lola Montez aber, die Ludwig
für seine einzig wahre Freundin hielt, fühlte der
König sich immer mehr hingezogen und ge-
währte ihr allmählich auch Einfluss auf die
Regierungsgeschäfte. Dies wusste man, und
deshalb wurde der ganze Gang der ferneren
Entwickclung hauptsächlich ihr zur Last gelegt.
Das aber steigerte naturgemäss bei jeder neuen
Niederlage, die sich die Regierung holte, den
Hass gegen sie.
Das Bestreben des Ministeriums Abel war,
den König in die frühere Abhängigkeit
zurückzuführen. Das erste Mittel zu diesem
Zweck — ein Privatbrief, in dem Abel auf
seine Verdienste pochte — schlug aber fehl.
Nun galt es, den König in ein Dilemma zu
bringen — vorerst ihm damit zu drohen, dass
das Gesamtministerium zurücktreten und der
König gänzlich isoliert dastehen werde, wenn
er die Spanierin nicht entferne. Eine will-
kommene Ursache, diese Drohung wahr zu
machen, bot die bekannte Indigenatsgeschichte,
das heisst die Erhebung der Lola Montez zur
Gräfin Marie von Landsfeld.
Zur Erteilung des bayrischen Indigenats
bedurfte es der Zustimmung des Staats-
minbteriums. Die Gelegenheit wurde von Abel
benutzt und das berühmt gewordene Memo-
randum, unterzeichnet von dem gesamten
Ministerium, dem König überreicht
In diesem Memorandum hiess es, das
Ministerium könne seine Zustimmung zur Ver-
leihung des bayrischen Staatsbürgerrechts an
Lola Montez nicht geben, denn es habe zur
Folge: „Die Ehrfurcht vor dem Monarchen
wird mehr und mehr in den Gemütern aus-
getilgt, weil nur noch Äusserungen des bittersten
Tadels und der lautesten Missbilligung ver-
nommen werden; dabei ist das Nationalgefühl
auf das tiefste verletzt, weil Bayern sich von
einer Fremden, deren Ruf in der öffentlichen
Meinung gebrandmarkt ist, regiert glaubt, und
so mancher Thatsache gegenüber nichts diesen
Glauben zu entwurzeln vermag . . ."
Das Memorandum verfehlte trotz alledem
seine Wirkung, das gesamte Ministerium erhielt
seinen Abschied, und das Ministerium „der
Morgenröte" trat an seine Stelle, an dessen
Spitze der ebenso bedeutende Gelehrte als
gefügige Minister G. L v. Maurer stand. Lola
Montez erhielt das bayrische Indigenat nun
von Maurer, als dessen erste Amtshandlung,
obgleich er kurze Zeit zuvor im bayrischen
Staatsrate die Verleihung des Indigenats ab
das grösste Unglück für Bayern bezeichnet
hatte.
Wie aber war im Volke die Stimmung über
den Sturz des Ministeriums Abel? — Ohne Zweifel
eine freudige. Vertrauensvoller blickte man in
die Zukunft; das neue Ministerium Maurer-
Zu Rhein-Zenetti war von vornherein populärer.
Doch die Reaktion liess nicht lange auf sich
warten. Die angebrochene Morgenröte sank
rasch wieder herab. Maurer zeigte sich unfähig
zu wirklichen reformatorischen Thaten, und
seiner Regierungsweisheit letzter Schluss waren
binnen kurzem dieselben Mittel, mit denen das
Ministerium Abel geherrscht hatte. Nun kam zur
Steigerung des Unmutes noch ein neues Mo-
ment hinzu. Der Übermut der Spanierin stieg
jetzt, nachdem sie einmal erkannt hatte, wie weit
ihr Einfluss reichte, von Tag zu Tag, und bei
zahllosen Fällen war es einzig ihr Wille, der zum
Durchbruch gelangte. Auf allen Gebieten stand
es binnen kurzer Zeit schlimmer denn zuvor.
Dass dies den Zündstoff von neuem in den
Massen aufhäufte, war nur zu selbstverständlich.
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Flieh*, I.ol» Monte?, in der Karikatur.
Zum ersten grösseren Strassenskandal kam es,
als Professor Lasaulx, einer der Hauptschütz-
linge Abels, in den Ruhestand versetzt wurde und
deshalb seine Vorlesungen einstellen musste.
Die Studenten zogen demonstrierend vor Lolas
Haus, das damals in der Thercsicnstrasse lag,
und verliehen ihrem Unwillen und ihrer Ent-
rüstung durch Schreien, Lärmen und Percatrufen
Ausdruck. Als der
König eines Abends
aus dem Hause trat,
verfolgte ihn die aufge-
regte Menge, und nicht
allzu schmeichelhafte
Namen wurden ihm
massenhaft zugerufen.
Erst dem Militär gelang
es, die Strassen all-
mählich zu säubern.
Das Leben des
Ministeriums „der Mor-
genröte" dauerte nicht
lange, und das soge-
nannte „Lolaministe-
rium" folgte. Von Lolas
Gnaden war es und
nach Lolas Willen „re-
gierte" es. Es mag 11 n -
ter seinen Vorgängern
schlecht gewesen sein ;
was aber noch gesund
am Staatskörper war,
das wurde nunmehr
zerfressen von völli-
ger Korruption, einer
Korruption , wie sie
empörender nicht leicht
gedacht werden kann.
Wer zu Lolas Ver-
ehrern und Anbetern zählte, durfte auf Würden
und Ämter rechnen, wer ihr missfiel, der bal-
digsten Entlassung gewärtig sein.
War es ein Wunder, wenn die Unzufrieden-
heit nun aller Orten mächtig emporkeimte?
Dabei darf man nicht vergessen, dass eine
mächtige Partei ständig dafür sorgte, dass alles,
was an altem und neuem Skandal über Lola
Montez existierte, absichtlich in die weitesten
Kreise getragen wurde.
In zahlreichen Spottnamen fand die steigende
Unzufriedenheit zuerst ihren Ausdruck. Die
Anhänger der Lola Montez wurden vom Volks-
witz kurzweg mit „Lolarden" oder „Lolamon-
tanen" bezeichnet, was als Schimpfname galt.
Die Polizei taufte man „Lolaknechte" und das
Gensdarmeriekorps „spanische Garde". Lola
Montez nannte man „Gräfin von Kainsfeld",
weil sie den Abel erschlagen hätte. Es erschien
das scharf-satyrische „Lola Montez- Vaterunser"
(siehe weiter unten),
natürlich anonym. Viel-
begehrt wanderte es
von Hand zu Hand.
So war Lola zu einer
Figur geworden, die
den Satyrikcr kate-
gorisch zur Behandlung
Abb. t. Lol» MoMei »uf der Tribüne.
Ihre Extravaganzen,
die Reitpeitschenaben-
teucr, ihre Manie, sich
auf offener Strasse zu
prügeln, alles das bot
jene Merkmale, mit
denen die Zeichner den
Typ der Lola in der
Karikatur schufen. Als
die Gedichte bekannt
wurden, in denen Lud-
wig Lola und seine
Liebe zu ihr verherr-
lichte, gab dies dem
Zeichncrweitcren Stoff.
Damals erschienen Ka-
rikaturen wie „Ladung
I. und Lola Montez",
„Ein wider die Mauer
rennender Esel" u. a. m.
Als die Erhebung
zur Gräfin von Lands-
feld und die Verleihung des bayrischen Indigenats
aller Orten von sich reden machten, wurden
neue zahlreiche anonyme Einblattdrucke ver-
ausgabt, die mit mehr oder weniger Geist und
Sarkasmus die Gesinnung des Volkes zum Aus-
druck brachten. Und als Lolas Ubermut immer
grösser, ihr Einfluss auf die Regierungsgeschäfte
immer deutlicher wurde, fulgten Karikaturen
wie „Lola auf der Tribüne" und „Lola am
Theater tanzend", von denen besonders die
erste eine grosse Beachtung und entsprechend
auch schnell eine starke Verbreitung fand.
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110
Facht, 1-ola Monte« in der Karikatur.
Überhaupt wurden diese Blätter vom Publi-
kum mit Begierde entgegengenommen und
weiter verbreitet.
Von der Mitte des Jahres 1847 ab begegnen
wir Lola weniger mit dem König karikiert als
mit ihrer Leibgarde, den Allemannen, einer
Studentenverbindung, die sich eigens ihrem
Dienst gewidmet hatte. Und das kam so.
Alle Welt hatte sich von Lola Montez
zurückgezogen und ihren Umgang gemieden;
die grossstädtischen Gesellschaften verweiger-
ten ihr gleich von Anfang an den Eintritt,
und auch die Hofkreise blieben ihr trotz
aller Anstrengungen des Königs verschlossen.
Da war es denn begreiflich, dass Lola, die
durch des Königs Freigebigkeit über fürstliche
Revenuen verfügte, sich einen eigenen Hofstaat
gründete, mit dem sie paradieren konnte.
Geistreiche Leute, Maler, Schriftsteller und
Diplomaten wurden an diesen Hof gezogen,
darunter auch einige sehr hübsche Studenten
des Korps Palatia, wie z. B. der Senior Elias
Peissner. Lola Montez hätte gern die ganze
Studentenschaft zu ihren Anhängern und Ver-
ehrern gezählt, aber die grösstenteils im Banne
des Ministeriums Abel stehenden Lehrkräfte
hatten bei Zeiten einen Riegel vorgeschoben
und sich die jungen Leute gesichert. Nur
wenige kümmerten sich um die Mahnungen ihrer
Professoren nicht, und diese wenigen wurden
dann ausgeschlossen; hierauf gründeten die Aus-
geschlossenen ein neues Korps „Allemannia",
das von Ludwig mit allen Rechten versehen
wurde und dessen Anerkennung der König
erzwang. Lola Montez war die Protektorin
des neuen Korps, das allmählich auf 18 bis 20
Mitglieder kam; sie Hess es auf ihre Kosten
ausstatten und bildete sich aus diesen jungen
Leuten eine ständige Leibgarde. Die Allc-
mannen, vom Volkswitz sofort Lolamanen ge-
tauft, spielten die Hauptrolle im neuen Palais
der Lola. Sie hatten stets ungehinderten Zu-
tritt zu ihren Gemächern und bildeten ihre Be-
gleitung auf der Strasse, während wiederum
Lola häufig den Kneipen der Allemannen bei-
wohnte. Im enganliegenden Studentenkostüm,
die Studentenmütze auf dem Kopfe, erschien
sie bei den Trinkgelagen ihrer Schützlinge.
Über die Orgien, die dabei gefeiert worden
sein sollen, kursieren einige höchst pikante
Anekdoten. Auf diese beziehen sich in erster
Linie die erotischen Karikaturen, so „Löhs
Leibgarde", und auch „Lola auf dem Hunde
der Allemannen".
Die Skandale, welche die Alleraannen her-
aufbeschworen, waren es, welche die entschei-
dende Ursache zum Sturze der Lola wurden.
Reibereien zwischen diesen und den anderen
Korps liessen sich nicht vermeiden. Des Königs
Machtwort und die Versuche des Rektors
Thiersch, die Studenten zu veranlassen, mit den
Allemannen Frieden zu halten, halfen immer
nur für einige Tage, dann begannen die Streitig-
keiten mit verstärkter Kraft Das reizte Lola;
sie forderte rücksichtslose Genugthuung für die
schmachvolle Behandlung ihrer Schützlinge, und
sie erhielt sie auch. Der König ordnete zur
Strafe die sofortige Schliessung der Universität
an. Gleichzeitig wurde verfügt, dass sämtliche
auswärtige Studenten binnen 24Stunden München
zu verlassen hätten. Was alle Anstrengungen des
besseren Teils des Volkes nie zustande brachten,
einen energischen Protest gegen die unausge-
setzten Bedrückungen, das hatte diese Massregel
zur Folge. Sehr erklärlich, denn sie ging unmittel-
bar an den Geldbeutel der Bürger, ihre einzige
noch empfindliche Stelle. Die Bürger erklärten
sich solidarisch mit den widerspenstigen Studen-
ten, und es folgten nun die denkwürdigen Tage
des 9., 10. und 11. Februar: zunächst die Wieder-
eröffnung der Universität, und, als die einmal
aufgerüttelten Gemüter sich damit nicht zu-
frieden gaben, auch die dringend geforderte
Ausweisung der Spanierin. Die Ausweisung
der Allemannen, deren Passe nach Leipzig
visiert wurden, folgte Tags darauf.
Das Satyrdrama war zu Ende.
Lolas Sturz brachte die Hochflut ihrer
Karikaturen. In München erschien der in
der Geschichte der politischen Karikatur des
Jahres 1 848 zur Berühmtheit gewordene „Engel-
slurs", eine geistvolle Parodie auf das gleich-
namige Bild von Rubens. Sie machte grosses
Aufsehen, und in zahlreichen Abzügen ging die
anonym erschienene Karikatur durch alle Hände.
Es ist das bekannteste und interessanteste,
aber ein heute immerhin schon ziemlich selten
gewordenes Blatt. Ihm folgten dann die ver-
schiedenen „Polnischen Bilderbogen" und die
„Erinnertmgsblätter" vom 9., 10. und 1 1. Februar.
Jetzt erst sah man, mit welcher Spannung sich
die Augen der Welt auf Bayern richteten und dass
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III
Lola wirklich zum europäischen Skandal ge-
worden war. In allen deutschen Vaterlanden
wie im Auslande fand sie ihre treffende kari-
katuristische Behandlung. —
Bald nach Lolas Sturz war das Frührot
der deutschen Pressfreiheit angebrochen, und
die bis dahin gefesselten Geister konnten sich
entfalten. Man begann einzusehen, dass ein
epochemachendes Stück über die Bretter
der Weltbühne gehen sollte und dass der
Lola Montcz- Skandal gewissermassen nur das
parodistische Vorspiel dazu war. Das Stück
hub an, und die Ereignisse drängten sich; jeder
Tag brachte neuen aktuellen Stoff für den
Karikaturisten. Das Gestern wurde ob dem
wichtigeren Heute rasch vergessen, und so blieb
nicht viel Zeit übrig, sich bei Lola Montcz
aufzuhalten, umsoweniger, als deren politische
Bedeutung mit ihrem Sturze thatsächlich auf-
gehört hatte. Aber sie hatte doch einen so
stark empfundenen Eindruck hinterlassen, dass
man sich von der Ausbeutung ihrer Skandale
dauernderes Interesse versprach, und als sich
die Wogen wieder glätteten, da tauchten auch
wieder neue Karikaturen über sie auf, teils
Reminiscenzen an ihre frühere politische Rolle,
wie z. B. im „Satyrischen Bild", teils Karikaturen
auf neuerdings bekannt gewordene Intimitäten
aus ihrem abenteuerreichen Leben. Zu den
letzten Karikaturen, die über sie erschienen, zahlt:
„Lola Montez verkauft in New- York die Hüte
und Stiefel der von ihr geschiedenen Gatten".
Wir lassen nun das in verschiedene Kate-
gorien geordnete Material folgen:
L
Allgemeine und politische Karikaturen.
1. Ludwig I. und Lola Montez. Litho-
graphierte Karikatur in KI.-4 0 . Lola mit der
Krone auf dem Kopfe sitzt auf einem Sopha
und schlägt mit der Linken den Takt, während
ihre Rechte das Scepter hält. Vor ihr steht
mit der Dichterharfe im Arme lorbeergeschmückt
der König und greift in die Saiten. Auf dem
Boden links von Lola liegt ihre bekannte Bull-
dogge, rechts neben ihr steht das Notenpult,
auf das sie die Reitpeitsche gelegt hat.
2. Lola Montez in der Walhalla. Litho-
graphierte Karikatur in 4 0 mit der Unterschrift:
„Doch unerklärlich bleibt mir dieser Zwiespalt
der Natur, hier der alte Luther — dort die
neue Pompadour!"
Ludwig I. beabsichtigte, eine Büste Lolas
in der von ihm bei Donaustauf erbauten Wal-
halla aufstellen zu lassen; der projektierte Platz
befand sich zwischen Theodolinde und der
heiligen Elisabeth von Thüringen. Gegen dieses
Projekt wandte sich die Karikatur.
3. Ein tvider eine Mauer rennender Esel.
Lithographierte Karikatur in kL 4 0 . Anonym
und ohne jeden Text.
Der Esel trägt eine karrierte Schabracke,
ohne Zweifel eine Charakterisierung des bay-
rischen Wappenschildes. Links sind drei Orden
angeheftet; ferner trägt der Esel um den Hals
eine Ordenskette. Eine spanische Fliege im
Balletröckchen sitzt ihm ganz hinten am Rücken.
Im Hintergründe des Bildes ein Berg, dessen
Spitze mit einem Stern gekrönt ist.
4. Lola Montez, Comtesse de Landsfeld.
Ein Pas de deux. Dclacroix deL, de Sorel
lith. Paris chez le Blanc. 4 0 .
Lola in kurzem Röckchen und tief dekolle-
tiertem Kleide fliegt dem ihr entgegenstürmen-
den König in die Arme.
In der Technik dilettantisch, in der Idee
ohne Witz und Pointe.
5. Lola am Thealer tanzend. Lithographierte
Karikatur von W. Stek, gedruckt bei J. G.
Fritzsche in Leipzig. Folio.
Lola tanzt auf der Münchener Hofbühne,
mit der unvermeidlichen Reitpeitsche in der
Hand. Auf dem Boden liegen vier Minister-
portefeuilles, während im Hintergrunde der
Bühne vier Männer, den Rosenkranz in den
aufgehobenen Händen, kniecn. Anscheinend
flehen diese Lola an, sie möge durch ihren
Tanzschritt ihnen die Portefeuilles zukommen
lassen. Vor der Bühne befinden sich drei
Fauteuils, deren Inhaber, die jedoch infolge
der perspektivisch falschen Zeichnung nicht
sichtbar sind, Lola durch die Operngläser
anstarren. Der mittlere Fauteuil, aus dem ein
besonders grosses Opernglas hervorragt, soll
den Sitz des Königs bezeichnen, erkenntlich
gemacht durch die Krone über der Lehne
und dem bayrischen Wappenschild auf dem
dem Beschauer zugekehrten Rücksitz. Links
und rechts ist die Bühne von zwei Rosen-
sträuchern eingefasst, in denen Amoretten
sitzen. In der oberen Einfassung des Bildes
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iio
Füclv
Uberhaupt wurden diese Blätter
kum mit Begierde entgegengeiv
weiter verbreitet.
Von der Mitte des Jahres 1 847
wir Lola weniger mit dem Koni;
mit ihrer Leibgarde, den Allei
Studentenverbindung, die sich
Dienst gewidmet hatte. Und 1
Alle Welt hatte sich voi
zurückgezogen und ihren Un
die grossstädtischen Gesellsc 1
ten ihr gleich von Anfang
und auch die Hofkreise
aller Anstrengungen des K
Da war es denn begreifli
durch des Königs Freigebi
Revenuen verfügte, sich e
gründete, mit dem si
Geistreiche Leute, Ma!
Diplomaten wurden an
darunter auch einige
des Korps Palatia, wi
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hatten bei Zeiten
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befindet sich in einem Rahmen ein Esel ein-
gezeichnet, der wütend mit den Hinterbeinen
ausschlägt, weil ihn ein Maikäfer sticht. —
Dem Bild ist keinerlei Text beigegeben.
6. Lolas Erhebung zur Gräfin Landsfeld.
Lithographierte Karikatur, anonym und ohne
Angabe des Druckers. Folio. Nur rechts in
der Ecke befindet sich der Vermerk „ä Paris".
Es kann jedoch gar keinem Zweifel unterliegen,
dass die Karikatur den gleichen Zeichner zum
Urheber hat, von dem „Lola am Theater tanzend"
herrührt; zu diesem Blatt bildet es in jeder
Beziehung ein Gegenstück.
Ludwig in der Gestalt eines Fauns über-
reicht der mit einem kurzen Tanzröckchen be-
kleideten Lola die Grafenkrone. Lola — natür-
lich nicht ohne die Reitpeitsche — stützt sich
mit der Linken auf ein Wappenschild, das ein
mit Lanzen gespicktes Feld als Wappenzeichen
aufweist. Vor Lola liegen auf dem Boden
grossere Geldsäcke, von denen einer aufge-
brochen ist. Das Ganze hat als Staffage einen
Theatervorhang, in dessen oberem Rahmen sich
ein durch Lorbeer eingefasstes Büd befindet, das
ein grosses dichtverhangenes Himmelbett zeigt.
Auch diesem Bilde ist keinerlei Text beigegeben.
7. Lola Montez als Ariadne auf Naxos.
Lithographierte Karikatur. Folio. Druck von
L. Blau. Leipzig 1848.
Lola, auf einem Tiger liegend, erhält vom
König, der als Amor mit dem Köcher dar-
gestellt ist, die Grafenkrone.
Bezieht sich auf die Ernennung zur Gräfin
Landsfeld.
8. Lola auf der Tribüne. Lithographierte
Karikatur. Anonym. Verlag der Lith. Anstalt
von Ed. Gust. May in Frankfurt a. M. KL-
Folio.
Lola im hcrmelinverbrämten Reitkleid, den
Reithut auf dem Kopfe und die Reitpeitsche
in der 1 fand, steht hinter dem Rednerpult und
hält eine Rede. Auf einem am Pulte an-
gehefteten Zettel steht: „ — hat keinen Datum
nicht." Lola ist in der Weise karikiert, dass
der Maler ihr Gesicht mit einem Schnurr- und
Knebelbarte versah, wie ihn der König zu tragen
pflegte; dadurch erhält ihr Gesicht eine leichte
Ähnlichkeit mit dem seinen (Abbildung 1).
Abb. i. I. ü l a auf dem Hunde der Allcmanoen.
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ii 4
Fuchs, Lola Montez in der Karikatur.
9. Lola auf dem Hunde der Alkmannen.
Kolorierte Lithographie in Kl. -Querfolio. Druck
von A. Schäfer, Werderschcr Markt, Berlin,
Verlag und Eigentum von B. J. Hirsch, Kunst-
verlagshandlung Berlin, Niederwallstr. 11.
Lola liegt mit der Reitpeitsche in der Hand
auf dem Korpshunde der Alemania. Im Hinter-
grund ein bayrischer Grenzpfahl mit der Auf-
schrift: „Valencia!" Unter dem Bilde die Worte:
Die Tochter der Wildnis.
Zwei Seelen — und kein Gedanke!
Kein Hen, doch viele Schläge! ! —
Die Karikatur zahlt zu den seltensten Ein-
blattdrucken aus dem Jahre 1848 (Abbildung 2).
10. Der Engeisturs. Lithographierte Kari-
katur. Gross-Folio, Bildgrösse 26 cm breit,
38'/, cm hoch; Papiergrösse ßö'/i X 47'/»-
Anonym und ohne Angabc des Druckers.
Eine ebenso gute als geistvolle Parodie auf
das bekannte Rubenssche Bild Die in den Höllen-
schlund gestürzte Lola wird von dem Gendar-
meriehauptmann Bauer getragen. Bauer ist der-
selbe, unter dessen Schutze sie am 9. Februar in
die Theatinerkirche flüchtete, als sie vom Volke
bedroht wurde, derselbe auch, der den Grafen
Hirschberg, einen Allemannen, entwischen liess,
als dieser auf einen anderen Studenten den Dolch
zückte. An Lolas Kleid klammert sich der
Student Pcissner, während einige andere Alle-
mannen, den Pass nach Leipzig in der Hand,
voranstürzen. Rechts sehen wir den an seinen
Chokoladcnpaketen erkenntlichen Bonbon- und
Chokoladefabrikanten Mayrhofer, der Lola
Montez täglich mit Bonbons und Konfekt be-
schenkte; Mayrhofer gehörte zu Lolas devo-
testen Anhängern, und am Tage ihres Sturzes
wurde er von den aufgeregten Massen schwer
misshandelt, als er gerade zu Lola gehen
wollte. Links sehen wir einige Offiziere aus
Lolas Gefolgschaft und den Redakteur des
Morgenblattcs, der mit Lobhudeleien auf Lola
Montez ständig sein Blatt füllte und zu ihren
ergebensten Presslakaien zählte. Oben in den
Wolken erblicken wir links die Studenten mit
gezückten Schlägern, rechts die bekanntesten
Professoren, den Rektor Thicrsch und andere
an dem Schlusskonflikt beteiligten Personen.
In der Mitte den bayrischen Löwen, der das
bayrische Wappenschild hält, und im Hinter-
gründe die jubelnde Bürgerschaft Rechts und
links zwei Jesuiten mit aufgepflanzten Gewehren.
Als Unterschrift trägt das Bild nur die In-
schrift: „Ii. Febr. 1848". Erschienen soll die
Karikatur am 28. Februar sein (Abbildung 3).
11. Lola Montez als Genius der Sittsamkeit.
Lithographierte Karikatur in 4 0 von W. Stek.
Druck von J. G. Fritzsche in Leipzig.
In den Wolken kutschiert Lola in einem
von zwei Tauben gezogenen Triumphwagen.
Auf der Wagendeichsel sitzen zwei rauchende
Allemannen mit Mafskrügcn in den Händen.
Hinterher flattert eine Flagge mit der Inschrift:
„Pass nach der Schweiz". Eskortiert wird der
Wagen von zwei als Engel kostümierten Sol-
daten. Unten auf der Erde freudig bewegte
Volkshaufen, im Hintergrunde München.
Als Unterschrift dienen dem Bilde die Worte :
„Der Genius der Sittsamkeit verlässt das gelobte
Land und Alle Mannen, welche der Tugend und
Freiheit anhängen, begleiten sie; dasselbe tliun
zwei Tugendritter". — Ohne künstlerischen Wert
12. Die Apotheose der Lola Montes. Litho-
graphierte Karikatur in 4 0 von W. Stek, ohne An-
gabe des Druckers (wahrscheinlich gleichfalls
J. G. Fritzsche in Leipzig).
Lola als Venus mit der Reitpeitsche in der
Hand auf einer Muschel. Ludwig fliegt als
Cupido mit leerem Köcher hintendrein und
hält einen Sonnenschirm über Lola. Die Muschel
wird von drei als Engel dargestellten Gendarmen
getragen, deren jeder einen anderen Staat —
Bayern, Prcussen und Österreich — repräsentiert
Unten auf der Erde wird München verschwommen
sichtbar, während im Vordergrunde rechts
einige Jesuiten stehen. Über das Ganze spannt
sich der Himmclsbogcn, auf dem ein Amor
zwei Wappentafeln hält, von denen die eine
das Bildnis eines Jesuiten und die andere ein
Stern ziert. Auf den Seiten Löwe und Bär.
13. Neuestes Blatt aus der Gunstgeschichte
Bayerns. Extrabeilage zur Deutschen Brüssler
Zeitung vom I. April 1847. Lithographierte
Karikatur in 4 0 ohne Angabe des Zeichners.
Die Scene der Englische Garten in München:
Lola im Reitkostüm fliegt zur Sonne empor und
verweist den ihr sehnsuchtsvoll nachblickenden
Ludwig mit der Reitpeitsche auf den Himmel.
Im Hintergrunde lustwandeln vier Jesuiten. Über
dem Bilde befindet sich als Wappen die Krone
mit den Kroninsignien und einer Knute, durch
die sich Schlangen und Bänder winden. Auf
den Bändern stehen die Namen Ludwig und Lola.
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Fuchs, Lola Mout« in der Karikatur.
i'5
14. Illustrierte Karte von Österreich und
den angrenzenden Ländern. Lithographierte
Karikatur. Anonym und ohne Angabe des
Druckers. Gr.-Qucrfolio.
In Kartenform. In jedem Lande findet sich
das wichtigste derzeitige Ereignis verzeichnet.
Auf „Bayern" sehen wir im Vordergrunde einen
von der Bürgergarde, wie er die Jesuiten und das
Militär in die Flucht schlägt. Unterschrieben
„Sieg der Radikalen über die Weissblauen".
Seitwärts entflieht Lola Montez als Balleteuse
durch ein Stadtthor.
15. Mithologie des Jahres 1848. Litho-
graphierte Karikatur in 4° Überschrieben:
„Dem Verdienste seine Krone". Unterschrift:
„Der pensionirte Apoll und die auf Wartegeld
gesetzte Terpsichorc."
16. Liebesabenteuer im Gebirge. Lithogra-
phierte Karikatur. Anonym und ohne An-
gaben des Druckers. Folio.
1. Scene: Das Wiedersehen. Lola und der
König fallen sich in die Arme. Der König
tragt Zivilkleidung, Lola ein kurzes Röckchen.
2. Scene: Der Hinterhalt. Lola und der
König sitzen unter einer grossen Tanne. Lola
streichelt den König am Kinn; ihr Blick und
der leere Geldbeutel, den sie ihm hinhält,
zeigen zur Genüge die Gründe ihrer Schmeiche-
leien. Im Hinterhalte lauern vier mit Prügeln
bewaffnete Bauern.
3. Scene: Der Angriff. Die Zahl der Bauern
hat sich vergrössert; sie überfallen die Lieben-
den. Lola wehrt sich mit Dolch und Pistole,
während der König die volle Börse ergriffen
hat, mit der er die Wuth der Bauern zu be-
siegen hofft.
4. Szene: Der Sieg. Die Bauern haben die
Beiden überwunden und im Triumph auf den
Kopf gestellt. Einige schwenken die Hüte
und machen Luftsprünge vor Vergnügen.
Dilettantenarbeit und jedes Witzes bar.
17. Zwei Karikaturen, auf denen Lola
Montez nur eine untergeordnete Rolle spielt.
a) Die Staatsmaschine. Lithographierte
Karikatur. Eigentum von Hochfelder, Lithogr.
Anstalt in München. Anonym. Gross-Folio.
Die Karikatur zeigt uns, auf welche viel-
fältige Art das Volk zu Gunsten der Privat-
schatulle ausgepresst wird. Jetzt aber sind Lola
und Ludwig gestürzt, und links unten sehen wir
die Beiden abziehen. Der König trägt einen
Sack über die Schultern. Unterschrieben ist
diese Scene: „Er und Sie, Sie und Er."
b) Mannheimer Karikatur aus dem Jahre
1848. Lithographie in Querfolio. Anonym.
Vor dem „Europäischen Hotel" sitzt eine
Gesellschaft Flüchtlinge, darunter Louis Philipp.
Von links erscheint als Postillon gekleidet Prinz
Wilhelm von Preussen. In einem Wagen ver-
steckt trifft Metternich aus Wien ein, und
links an einem Wegweiser, dessen eine In-
schrift „Weg des Schicksals" lautet, Lola
Montez, die Reitpeitsche in der Hand und
Pistolen im Gürtel. Sie fragt: „Ist mein Ludwig
noch nicht da?" Aus dem Fenster des Hotels
schauen die bekannten Typen aus den Münche-
ner „Fliegenden Blättern", Eisele und Bciselc;
darunter ist an die Wand geschrieben: „Lieber
Doktor was thun denn die vielen Leute hier?"
„Lieber Herr Baron, das giebt einen europäisch
diplomatischen Thee als Fortsetzung der Wiener
und Karlsbader geheimen Beschlüsse!" — Als
Unterschrift dient dem ganzen Bild: „Bonjour,
Fürst Mitternacht, seid ihr a hie?"
18. Satyrisches Bild. Lola Montez, Ohr-
feigen austeilend. In Kupfer gestochene Kari-
katur von Cajetan, Geiger sc, koloriert, Kl.-
Querfolio. Wien im Bureau der Theaterzeitung,
Rauhensteingasse No. 926.
„Der alte Charon transportirt eine Gesell-
schaft von Individuen, die sich selbst überlebt,
über den Styx in die Unterwelt". Dies die
Unterschrift zu dem Bilde, das uns ein mit ver-
schiedenen, zum Teil historischen Personen
besetztes Boot zeigt, in deren Mitte Lola Montez
steht und eben im Begriff ist, einen Jesuiten
zu ohrfeigen. (Abbildung 4.).
19. Lola Montez verkauft in New -York die
Hüte und Stiefeln der von ihr geschiedenen
Galten. Lithographierte Karikatur von Cajetan.
Gedruckt bei J. Häselichs Wwe., Wien im
Bureau der Theaterzeitung, Rauhensteingasse
926. Kl. -Quart.
Im Reitkostüm, den Rock durch die mit
der Reitgerte bewehrten Hand geschürzt, bietet
Ix)la ein paar Stiefeln zum Kauf aus. Weitere
Stiefeln und Hüte sind in einer langen unabseh-
baren Reihe aufgestellt; hinter Lola wartet
dienstbereit ein schwarzer Groonu Die Kauf-
lustigen sind in zahlloser Menge erschienen. Im
Hintergrunde erblickt man das Meer, auf dem
zwei Dampfer sichtbar werden. (Abbildung 5.).
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n6
Fochs, Lola Montez in der Karikatur.
Abb. 6. Die »pani.che Fließe (Mu«a cantharidinas.
u.
Erotische Karikaturen.
Dass die erotische Karikatur unter den
Lola Montcz-Spottbildern eine verhältnismässig
grössere Rolle spielen musste, ist nur zu natür-
lich. Einerseits gaben die sich immer erneuern-
den Ausschweifungen der Lola ununterbrochen
derartigen Stoff, andererseits besass wohl kaum
eine Stadt soviel ausgelassene Künstler, die im
Stande und auch jederzeit bereit waren, für ein
Bonmot, eine schlüpfrige Anekdote sofort einen
noch boshafteren zeichnerischen Ausdruck zu
finden, wie gerade München. Zeitgenossen, die
infolge ihrer gesellschaftlichen Stellung damals
in intimem Verkehr mit der Künstlerschaft
standen, teilten uns mit, dass in jenen Jahren
unausgesetzt eine ganze Anzalü erotischer
Karikaturen auf Lola und den König kursierten.
Letzterer spielte auf ihnen freilich meist eine
recht klägliche Rolle. Von diesen Bildern
waren allerdings die wenigsten für den Verkauf
bestimmt; sie entstanden im Kreise irgend einer
Künstierschar und zirkulierten dann unter den
Freunden. Die nachstehend beschriebenen sind
uns näher bekannt geworden.
20. Der Triumphzug Lolas. Lithographierte
Karikatur. Querfolio. Anonym und ohne An-
gabe des Druckers.
Voran schreitet Lola, mit der Reitpeitsche
in der Hand und der Grafenkrone auf dem
Kopfe, sonst aber ziemlich kostiimlos. Ihr folgt
in endlos langem Zuge das zahlreiche Heer
ihrer Verehrer, Studenten, Offiziere, höhere
Beamte, Minister und alle Jene, die sich um sie
drängten, in der sicheren Erwartung, in ihrem
Dienste und unter ihrer Protektion recht bald
Karriere machen zu können. Die Darstellung
der Einzelheiten entzieht sich der Besprechung.
Bei verschiedenen Typen ist aus der Porträt-
ähnlichkeit sofort zu erkennen, wen der Künsticr
damit karikieren wollte; manche sind in der
Haltung noch besonders boshaft glossiert worden.
Rechts im Hintergrunde betrachtet Ludwig in
sehr trübseliger Stimmung den Zug.
Die zotige Unterschrift ist eine Anspielung
auf eine gelegentliche Bemerkung, die dem
König in den Mund gelegt wurde.
21. Lolas Leibgarde. Lithographierte Kari-
katur in 4 0 . Anonym und ohne Angabe des
Druckers. Federzeichnung.
Lola hegt auf einem Ruhebett, und rings
um dasselbe stehen 20 Allcmannen, in ähnlicher
Weise karikiert wie die Triumphzugfiguren
des vorerwähnten Bildes.
An Zügellosigkeit übertrifft diese Darstellung
noch bedeutend die unter No. 20 geschilderte.
Gesagt muss aber werden, dass diese beiden
Spottbilder in der Komposition wie in der Durch-
führung zu dem künstlerisch besten zählen,
was uns in der Karikatur über Lola Montez
bekannt ist Beide rühren daher allem An-
scheine nach von ziemlich tüchtigen Künstlern
her. Selbstverständlich fehlt jede Andeutung,
die auf den Autor schliesscn lassen könnte.
Abb. 7. Ludw,i g und Madame Lola.
Zekhauag «u J. NUler.
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ii 7
OL
Politische Bilderbogen und Erinnerungs-
blätter.
22. Erinnerungsblatt an die hochherzigen
ThttttH der edlen Münchner Bürger und Studen-
ten am g., w. und It. Februar 1S4.H. Folio.
Lithographie ohne Angabe des Zeichners und
Druckers in fünf Bildern mit folgendem Text:
1) Bild. „Den von einer Lola protegierten
und öffentlich verachteten Allemanncn wird von
den ehrliebcnden Studenten nach Gebühr ein
Pcreat gebracht Ein Lolianer zückt nach
Banditenart den Dolch, was ihm und seinen
Konsorten jedoch übel zu statten kömmt".
Abb. 5. Lola Momei verkauft in New-York
die Hüte und Stiefel ihrer geschiedenen Galten,
Lithographierte Karikatur von Cajctan.
(Die „Lolianer" sind in Unterröcken abge-
bildet.)
2. Bild. „Alsdann gerät die Abentheuer-
gewöhnte Seniorin der 20 Allemanncn oder
was auf ihrer Promenade hart ins Ge-
dränge, bekömmt sammt Ihrem Anhange von
allen Seiten bedeutende Verbal- und real-
Injurien, und wird förmlich in die Flucht ge-
jagt. Da jedoch alle Thüren für sie verschlossen
sind, retirirt sie in die Theatinerkirche".
3. Bild. „Sofort soll die Universität auf ein
Jahr geschlossen und alle 1 500 Studenten sollen
sich aus München entfernen. Es bewirken die
hochherzigen Bürger jedoch eine allerhöchste
Gnade Sr. Majestät des vielgeliebten Königs
und Lola wird aus Stadt und
Land gewiesen! — worüber
im biederen Publikum eine
jubelnde Freude entstand."
3. Bild. „Tief in ihr voriges
Nichts herabgesunken, ver-
lässt Sennora I-ola sammt
einigen Schmarotzerpflanzen
mittels Eskorte das schöne
Land der Bayern, in welchem
sie noch lange ihre bedeutende
Rolle zu spielen wähnte —
und der Stern von Sevilla —
ist verschwunden!"
5. Bild. „Donna Lola
Montcz ist in der Schweiz,
— hat wieder ihr altes Hand-
werk ergriffen — arbeitet
fleissig ums liebe Geld, — und
da sie in keiner Stadt mehr
reüssiert, — produziert sie
sich mit ihren sieben Sprüngen
auf dem Lande. — Entröe
6 kr.
O Lola Du voll süsser Huld — — —
Du bist — o ach — an Allem
Schuld".
(Auf diesem Bild sehen
wir Lola, als Balleteusc kari-
kiert, auf einer Dorf bühne ihre
Tanzkünste produzieren.)
23. Erinnerungsblatt an
die Ereignisse am 0., 10. und
it. Februar 1X48 in München.
Lithographie in Grossfolio.
Ebenfalls anonym erschienen.
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t 18
Fuchs, I.o1a Monte» in der Karikatur.
In sechs Bildern werden uns dieselben Vor-
gänge geschildert wie auf dem vorigen Blatt und
auch mit ähnlichem Text. Nur ist dieses Blatt
um das erste Bild Lola Montez und ihr Anhang
vermehrt worden. Der Zeichner stellt Lola
als Orden spendenden Engel dar, der über die
devot am Boden Knieenden, die Hände zu ihr
Aufhebenden hinschwebt und Orden und Schätze
mit der Linken ausstreut; in der Rechten hält
sie natürlich die Reitpeitsche.
24. Ein politischer Bilderbogen. Gr. -Folio.
Lithographie. Erschien ebenfalls anonym. Als
einziges Signum unten rechts in der Ecke ein K.
In zehn Bildern werden uns die wichtigsten
Münchener Ereignisse des Februar und März
vorgeführt. Oben links tanzt Lola zum Stadt-
thor hinein, auf dem die Jahreszahl 1846 steht.
In der Mitte sehen wir als zweites Bild Lola,
geschmückt mit der Grafenkrone, thronend in
einem weiten Saale und umgeben von den
Allemannen. In den Händen hält sie Reit-
peitsche und Pistole, als Fussschemel dient
ihr der Chokoladefabrikant Mayrhofen Ein sich
sträubender Minister sowie ein anderer Regie-
rungsbeamter werden vor dem Umfallen durch
Winden gestützt. Die Zeichnung trägt als
Überschrift „1847". Auf dem dritten Bilde
tanzt Lola wieder zum Stadtthore hinaus, be-
gleitet von den Steinwürfen der empörten
Bürger, wobei sie die Grafenkrone verliert.
Diesmal trägt das Thor die Jahreszahl „1848".
Die weiteren Bilder zeigen uns die Verkündigung
der Einberufung der Stände, das Dolchattentat
des Loliancrs, den Zeughaussturm, eine Kari-
katur auf den „Lolaminister" Berks (mit der
Unterschrift: „Langsam gehts hinauf zum Gipfel
des Bergs. — Aber kopfüber hinunter — merks!"),
den Abzug der Rcdemptoristen-Deputation aus
Alt-Oetting, die von Racheengeln zur ewigen
Wanderschaft hinausgetriebenen Lola-Montc-
ziancr und die Verbrüderung aller Stände.
Als Gesamtunterschrift dienen dem Bilde die
Sätze: „Es lebe Bayern! Es lebe Deutschland
hoch!" Eingefasst ist das Ganze von einem
dekorativen Rahmen, gebildet durch Wallen
aus dem Zeughausc, durch die sich ringsum
ein Band schlingt, das als Inschrift die be-
kannten Forderungen des Jahres 1848 tragt.
Von den moralischen Bilderbogen ist dieser
zweifellos sowohl in der Idee wie in der künst-
lerischen Durchführung der beste. Das Blatt
verrät durchweg einen tüchtigen Künstler; der
Technik nach zu schliessen stammt es von
derselben Hand, die den Engclsturz entwarf.
25. Das Nachtlager in Blutenburg. Roman-
tisches Schauspiel aus dem XIX. Jahrhundert in
mehreren Aufzügen. Lithographie. Gr. -Folio.
Anonym.
In sieben für die Allcmannen nichts weniger
als schmeichelhaften Bildern, jedes mit einem
entsprechenden Text versehen, wird die Flucht
der Lola Montez geschildert. In Blutenburg,
wo sie mit mehreren Allemannen zusammen-
traf, hat sie bekanntlich Nachtquartier ge-
nommen. Erst war sie in der Richtung nach
Lindau mit ihrem Wagen gefahren, gefolgt von
dem Grafen Arco- Valley, der sich versichern
wollte, ob sie nicht wieder zurückkehre. Als
dieser sich heimgewandt hatte, änderte sie die
Richtung nach Grosshesselohe und Blutenburg.
Idee, Text und Zeichnung sind dilettantisch.
IV.
Karikaturen in politisch-satyrischen
Zeitschriften.
Wenn wir in der politisch-satyrischen Presse
des Jahres 1848 nur sehr selten einer Karikatur
auf Lola Montez begegnen, so findet das, wenn
es auch auf den ersten Moment befremdlich
erscheint, eine sehr einfache Erklärung. Das
Jahr 1848, das die politische Karikatur in
Deutschland zum Leben erweckte, machte über-
haupt die Herausgabe politisch-satyrischer Zeit-
schriften erst möglich und es hat auch Deutsch-
land seine ersten derartigen Organe gebracht.
Als eines der frühesten auf dem Plane erschienen
die „Münchner Leuchtkugeln" im November 1847,
eine Art primula veris auf der deutschen
Blätterwiese; ihnen folgten im Anfang des Januar
der „Eulenspieget , Ende des Monats der
„Münchner Punsch", dessen Zeichner und Redak-
teur Martin Schleich in einer Person war. Am
7. Mai traten gleichzeitig der „Kladderadatsch"
und Glasbrenners „Freie Blätter" ins Leben und
am 18. Mai der „Berliner Krahehler". Hiermit
war die Reihe der wichtigsten politisch-saty-
rischen Zeitschriften des Jahres 1848 erschöpft
Lola Montez Rolle war also demnach bereits
ausgespielt, als die meisten dieser Blätter ge-
gründet wurden. Was sie somit über Lola
bringen konnten, waren lediglich Reminis-
cenzen, aber in einer für den Satyriker so be-
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Fuchs, Lola Montez in der Karikatur.
119
wegten Zeit auf Vergangenes und Gestürztes
noch nachträglich Pfeile zu verschiessen,
das wäre sinnloser Kräftevergeudung gleich-
gekommen.
Daraus erklärt es sich auch, dass z. B. der
„Kladderadatsch" nicht eine einzige Karikatur
auf Lola Montez brachte und auch textlich
niemals besondere Notiz von ihr nahm. Die
Münchener Blätter, die noch zu Lolas Zeiten ins
Leben traten: „Fliegende Blätter" (seit 1846),
..Leuchtkugeln" und „Punsch" hatten aber gar
keine Lust, ihr noch so junges Leben durch die
brutalen Striche des Zensors aufs Spiel zu
setzen. Man muss berücksichtigen, dass sämt-
lichen Blättern in Bayern aufs strengste unter-
sagt war, über Lola auch nur ein Wort zu
schreiben, gleichviel ob für oder gegen sie. Die
einfache Mitteilung von der Indigenatsvcrleihung
hatte einem Nürnberger Blatte eine strenge Rüge
eingetragen, und dabei war die Notiz aus dem
Kgl. Amtsanzeiger, dem Regierungsblatt, abge-
druckt worden. Witze und Karikaturen wären
Staatsverbrechen gleich gerechnet worden. Was
also der Satyriker zeichnerisch glossieren wollte,
das nahm kein Journal unter seine verantwort-
liche Flagge; anonym und als Freigut musste
es hinaus, und manche boshafte Fracht wanderte
auch, wie wir gesehen haben, so in die Welt,
zum masslosen Arger der Angegriffenen, zur
stillen Freude aller Gleichgesinnten.
Den ersten, übrigens sehr zahmen Witz auf
Lola Montez erlaubte sich Martin Schleich im
„Punsch" am 13. Februar 1848, also zwei Tage
nach ihrem Sturze. Der Scherz steht unter der
Rubrik „Kleine Törtchen" und lautet: „Ein
Franzose erzählt, das ehemalige prachtvolle
Schloss der fameusen Madame Pompadour sei
jetzt in eine Hosenträgerfabrik umgewandelt
worden! (Brauchen wir keine Hosenträger-
fabrik?)" — Vielleicht ist ein noch zahmerer
schon früher gebracht worden und unseren Sinnen
die Beziehung auf Lola Montez gar nicht mehr
wahrnehmbar. — Wir lassen nun das Verzeichnis
derjenigen Karikaturen folgen, die in der politisch-
satyrischen Presse doch noch erschienen sind.
Hier sei gleich bemerkt, dass auch der „Punsch"
keine Karikatur von Lola Montez brachte und
ausser dem weiter unten aufgeführten längeren
Spottgedichte nur noch einige Prosa-Glossen
und eine sehr nette Prosa-Satire in Nr. 8 unter
dem Titel: „Schau Dich nicht um, die Lola geht
rum!" Die Satire wandte sich gegen das öfters
auftauchende Gerücht, Lola Montez sei wieder
in München, was neben zahlreichen I Iausdurch-
suchungen sogar die Demolierung des Polizei-
gebäudes zur Folge hatte, in dem das Volk sie
verborgen glaubte.
26. Leuchtkugeln. Randzeichnungen zur Ge-
schichte der Gegenwart. München. Vierter
Band Nr. 10 (ca. August 1849) S. 77.
Die Spanische Fliege (Musca cantharidina).
Dieser hübsch in Hob: geschnittenen Kari-
katur, die wir in Originalgrösse reproduzieren
(Abbildung 6), ist folgende naturgeschicht-
liche Erläuterung beigegeben: „Sie ist ziem-
lich selten in Deutschland und wird nur von
gekrönten Häuptern gehegt; denn ihr Unter-
halt kostet ein horrendes Geld. Eine Art
davon (Musca mola lontes) hatte sich vor
einiger Zeit von Spanien verflogen und in
Süddeutschland eingenistet, wo sie in ganz
kurzer Zeit zu einer wahren Landplage wurde.
Im übrigen ist es ein hübsches Thierchen mit
glänzenden Farben, welche an der Hofsonne
chamäleonartig schillern. Das Klima sagt jedoch
der unstäten Arragonierin nicht zu, und es hat
sich an ihr schlagend erwiesen, dass sie die
deutsche Witterung nicht auf die Länge ver-
tragen kann."
Wenn man von den weiter unten zitierten
vier Illustrationen zu Goethes Lied vom Floh
absieht, ist dieses die beste Karikatur, welche
die „Leuchtkugeln" von Lola Montez brachten.
Wir begegnen dem Bilde der Spanierin im
Übrigen noch zweimal, und zwar einmal im
fünften Bande No. 17 und einmal im sechsten
Bande Nr. 18.
Im fünften Bande zunächst als Vignette zu
einem Gedicht „Vivat Lola! Pereat Loyola", in
dem es unter anderem heisst:
„Da kam Sennora Lolala,
Stürat Abel und Consorten:
Ach war sie doch jetzt wieder da,
Und jagte fort den — "
Der fehlende Reim soll lauten: „Pforten", der
spätere Minister. Die Vignette zeigt die über
München hinfliegende Lola, in der linken Hand
die Reitpeitsche, unter dem rechten Arme eine
Kassette und auf dem Kopfe die Grafenkrone.
Im sechsten Bande sehen wir I^ola, ebenfalls
mit Kassetten unter dem Arme, von einem Gen-
darmen verfolgt: eine Illustration zu einem
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120
Fuchs, lx>l» Monte» in der Karikatur.
satyrischenGespräch
über die Schwinde-
leien,die sie in Frank-
reich verübte, wo
sie sich eine wert-
volle Einrichtung
anfertigen licss, so-
fort verpfändete und
mit dem erlösten
Gelde abdampfte,
weshalb sie dann
auch wegen Betrugs
verfolgt wurde.
27. Eulcnspiegel
von Ludwig Pfau.
Stuttgart. No. 14
vom 1. April 1848,
Seite 54.
Eine mit „Lud.
wig Wittelsbacher
und Madame Lola 1 ',
überschriebene Ka-
rikatur (Holzschnitt,
gezeichnet von J.
Nisler, geschnitten
von A. Mauch) zeigt
uns Ludwig als Dreh-
orgelspieler, wie er
Abb 9. Lüh Monier,
de Ijuufeld, i
I>c«in de H. Em>.
(..Journ«! pour rire", i<iy,.)
gleichzeitig mit einem
Stocke auf eine Moritat zeigt, die Lola in der
Hand hält. Lola singt dazu:
„O Himmel was hab ich getha — ah — han f
Die Liebe war schuldig daran !"
Die Moritat trägt den Titel „Schreckliche
Geschichte" und zeigt in 6 Bildern die
Münchener Ereignisse vom 9. bis 11. Februar.
Ein Affe auf einem Pudel ist ebenfalls bei
der Gruppe. (Abbildung 7.)
In Nr. 16 desselben Jahrganges bringt der
Eulenspiel unter „Eulen-
spiegel als Menagerie-
herr" noch eine weitere
kleine Satyre auf Lola
resp. Ludwig.
28. Berliner Kra-
kehUr. No. 5 vom 7. Juni
1848.
Unter dem Titel „Blu-
st rirter Krakehl" wird
iL a. Lola Montez mit
einem Besen dargestellt.
— Witzlos und schlecht.
Paris. Jeudi, 17. Fe-
vrierl848. Dix-sep-
tiemeAnnee.N0.48.
La morale bava-
roise. Dieser an der
Spitze des Blattes
stehende humorist-
isch-satyrische Ar-
tikel ist mit zwei
Karikaturen von
Cham geschmückt,
deren zweite uns
Lola und den König
zeigt, wie sich beide
schmerzlich bewegt
in den Armen hegen
und gerührt und wei-
nend von einander
Abschied zu nehmen
scheinen.
Ibd. No. 51,
20. Fevrier 1848.
30. Revue co-
mique de la semaine
par Cham. Zwei
Karikaturen auf den
Die erste unter dem
Ahl. 8. I.oUi Kahn in den Olymp.
S<.hlui»»tücV iu einer franr tischen Parod 1 e .
m Bertall.
Sturz der Lola Montez.
Titel: „La couronne de la comtesse de Lands-
fcld" zeigt uns Lola, wie sie ihre beschmutzte
Grafenkrone einem Stiefelputzer zur Reinigung
übergiebt; darunter steht: „(^a vous coütera
eher pour que je vous nettoye cette couronne
— la . . . Elle est bien sale! . . ." Gut und
witzig gezeichnet
Die zweite Karikatur zeigt Lola Montez
auf der Flucht. Sie ist bepackt mit einer
Banditenbüchse, mit Reitpeitsche, Schirm und
Pistole. Ein Wegweiser
trägt die Inschrift : „Route
de France".
3 1 . La Revue comique.
Paris (November 1848
bis Dezember 1849).
Dieses für jene Zeit
hochinteressante poli-
tisch-satyrische Journal,
das zu seinen I Iauptmit-
arbeitem die berühmten
Karikaturisten Bertall
und Nadar zählte, hatte
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Fuchs, l.ola Monte* in der Karikatur.
121
es sich zur Hauptaufgabe gestellt, Louis
Napoleon zu bekämpfen. Dies Programm ver-
folgte es mit ebensoviel Geist als Hartnäckigkeit
bis zu seiner Unterdrückung im Dezember 1849.
„Les grandes fites de la libertt' betitelt sich
eine Karikatur von Nadar, in Nr. 8 vom 9. Januar
1849. Ludwig, mit mächtigen Ohren, kniet vor
Lola, die ein Tanzröckchen trägt Hinter Lola
steht eine Stange mit einem Plakat, auf dem
die Inschrift „Bavaroise au lait".
Eine weitere Karikatur aus Bertalls Stift
reproduzieren wir in der Abbildung 8. Sic
erschien im „Almanach comique" von 1853 und
bildet die Sclilussvignette zu einer dramatisierten
Z. f. B. 9«/99-
Parodie „Lola Montez. Cinq actis avec ipilogue
et afotheose" über ein Schauspiel (siehe unter
No. 47). das Lola Montez in Amerika aufführen
Hess. Natüriich war dies Stück dem Verfasser
der Parodie nicht bekannt; der Scherz beruhte
vielmehr nur auf der Annahme, dass man durch
Zufall hinter das Scenarium des Dramas ge-
kommen sei.
32. „Journal pour rire", Paris, No. 82 vom
25. August 1849: Impressions de voyage. „Lola
Montez, comtesse de Lanzfeld, enlevant son
der nie r mari."
Die Zeichnung (Abbildung 9) von II. Emy
parodiert die Flucht der Lola aus England, wo
16
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122
Fach«, I-ola Monte* in der Karikatnr.
sie im Sommer 1849 wegen Bigamie verhaftet
werden sollte. Sie hatte sich in London mit
dem Lieutenant Heald verheiratet, ohne von
ihrem ersten Gatten, gleichfalls einem englischen
Offizier, Namens James, geschieden worden
zu sein.
Eine zweite Karikatur auf Lola brachte das
„Journal pour Rire'' in der No. 1 57 vom 3 1 . Januar
1 85 1 unter dem Titel „Apropos non polittques,"
gezeichnet von Ed. Murin. Lola schlagt, ihre
Memoiren unter dem Arm, mit der Reitpeitsche
auf einen Studenten ein. Die Unterschrift
lautet: „Ah! tu m'as fichue ä la porte, choucroute
de Bavarois! je vais joliment t'arranger le
physique!" — Bezieht sich wahrscheinlich auf
Papon (No. 68) oder einen anderen ihrer Me-
moirenschreiber, in deren Schilderungen sie
schlecht fortkann.
Auch der londoner „Puncli' hat mehrfach
karikaturistische Glossen auf Lola und den König
gebracht.
Hier kann übrigens auch die Meinung richtig
gestellt werden, der man hic und da noch be-
gegnet und nach der Moritz Schwind in seiner
köstlichen Vignette in den , fliegenden Blättern"
„Der Teufel und die Katze" auf Lola und den
König angespielt haben soll; auf eine Information
bei der Redaktion wurde uns von Herrn Redak-
teur Schneider diese Anekdote als absolut un-
zutreffend und grundlos bezeichnet. Die „Fliegen-
den Blatter" brachten niemals eine Karikatur
auf Lola.
V.
Satyrische Flugschriften, Pamphlete,
Spottgedichte und Ahnliches.
33. IMa-Montez- Vaterunser. Erschien als
anonymes Flugblatt in 8°. Schwer zu finden. '
Es beginnt:
„Lola Montez, leider Gott noch die Unsere,
die du bald lebst in. bald um München, bald
in China, bald in Sendling, die du das Volk
nennst eine Canaille, und die du selbst eine
Canaille bist, du Verpesterin der Ruhe und
Ordnung, der Sitte und Zucht, des Vertrauens
und der Liebe, du Teufel ohne Hörner und
Schweif, aber mit sonst allen Teufclskünsten
und Attributen, du Babylonische, die nirgends
1 Iii lllam ,./'/'.- JeuLfhr Rr.\>l,!i.<ti iK^iW' in
zeichnete Gegenstück.
fast mehr leben kann, weil sie dich schon überall
hinausgehauen, verwünscht sei dein Name,
zerrissen dein Adelsbrief, verdammt bist du
von den Guten und Schlechten, von Gross und
Klein, von Nieder und Hoch!" . . .
34. Vaterunser der Lola Montez selber.
Anonymes Flugblatt im Anschluss an das
vorige. Gleichfalls sehr selten 8°.
Wenn das vorgenannte „Vaterunser" die
Gefühle des Volkes zum Ausdruck bringen
sollte, so will hier der Verfasser zeigen, wie
cynisch Lola Montez über das Volk dachte.
Steht an Heftigkeit dem vorigen nicht nach.
Es beginnt:
„Vater unser, an den ich mein Leben lang
nicht geglaubt habe, der Du bist in einem ge-
wissen Himmel oder wie er heisst, der Ort,
mir ist Alles recht" . . .
35. Münchener Fliegenblätter. Humoreske
aus den Februartagen von 1848. Mit einem
Titelkupfer. Leipzig 1848. Verlag von Ignaz
Jackowitz. 1 2°.
Das Titelkupfer zeigt uns Lola Montez mit
dem Allemanncn Pcissner auf der Flucht in der
Schenke von Blutenburg und trägt die Unter-
schrift „Sein oder nicht sein? — Gräfin Lands-
feld oder Lola Montez?" Lola hält in der
Linken die unvermeidliche Reitpeitsche ; neben
ihr auf dem Boden liegen zwei Geldsäcke.
Die 20 Seiten starke dramatisierte Humo-
reske erzählt Lolas Sturz in der damals häufig
angewandten Guckkästner -Manier. Der Ver-
fasser ist nicht angegeben, wir glauben aber
mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf A. Glas-
brenner schliessen zu dürfen.
36. Mola Lontes, Leipzig, Ph. Reclam jun.
1S47. Kl. 8 Q . 29 S. Auf dem Titel Holz-
schnitt-Karikatur, Lola in steifer Tanzpose, mit
der Unterschrift „Saltatio est circumferentia
Diaboli. St. Augustin." — Verfasser ist Eduard
Maria Oettinger. (Vergl. „Jüdisches Athenäum,"
Grimma und Leipzig 1851. 12 0 . S. 182.)
In dieser Satyre wird u. a. auch das Ver-
hältnis zwischen Lola und Heinrich dem Zwei-
undsiebzigsten, Fürsten von Reuss-Lobenstcin-
Ebersdorf, verspottet. Die der Broschüre vor-
angesetzte Karikatur ist übrigens nicht original,
sondern nur eine Kopie des letzten Bildes aus
csimilc wieiler^cncbcn ; el.enso tbv unter No. 35 ver-
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Fuchs, l.ola Monte» in der Karikatur.
> 2 3
dem von uns schon oben zitierten „Erinnerungs-
blatt an die hochherzigen Thaten etc."
37. Politische Soiree der Ex-Regenten m
England und ihre Begegnung mit Lola Montez.
Von A. Hopf. Berlin 1848.
38. Memoiren der Lulatsch Chontes (Jrete
von Landsberg). Veröffentlicht in der Berliner
Buddelmeyer-Zeitung (redigiert von Dr. Cohn-
feld), Februar und März 1 85 1 . Eine humoristische
Behandlung der damals soeben erschienenen
Montez-Mcmoiren; der Humor ist aber ziemlich
bescheiden.
39. Münchener Punsch. Humoristisches Origi-
nalblatt von M. E. Schleich. No. 4 vom 20. Fe-
bruar enthält ein längeres Spottgedicht auf Lola
Montez unter dem Titel „Februar-Geschichten",
ein Epos in Knittelversen. Breit und dürftig
an Witz.
40. Leuchtkugeln. Randzeichnungen zur Ge-
schichte der Gegenwart. (Gegen Ende Februar
1848.) Erster Band No. 13. Göthes Lied vom
Floh in vier Gesängen. Durch ebensoviel lustige
Holzschnitte illustriert. Die Holzschnitte zeigen
uns Lola als grossen Floh, umgeben von kleinen
Flöhen, den Allcmannen. Eine ebenso gelungene
als witzige Satyre. In der Nummer vorher
brachten die Leuchtkugeln ihre erste satyrische
Glosse auf Lola Montez.
41. Dasselbe. Zweiter Band Nr. 16. „Die
Solotänzerin", mit einer in Holz geschnittenen
Vignette, Lola als Balletteuse.
42. Das Mädchen aus der Fremde. Zur
Erinnerung an den 11. Februar 1848. Nach
Schiller. Anonymes Spottgedicht, ohne An-
gabe des Druckers. Zirkuliertc 1848 sehr häufig.
Nicht identisch mit dem gleichnamigen Gedicht
von Gustav Bernhard. Ziemlich trivial und in
der Form mangelhaft.
Ungefähr auf der Höhe dieses Gedichtes
stand der grössere Teil der damaligen (anonym
erschienenen) Spottgcdichtlitteratur. Pfaus Eulen-
spiegel, der Punsch und die Freien Blätter allein
boten mitunter Besseres.
43. Die Gräfin Landsfeld, weiland Lola
Montes und die Münchner Studenten. Von
Gustav Bernhard, Leipzig, Kösslingschc Buch-
handlung, 1848. KI.-8 0 .
32 S. Gedichte. Inhalt: 1. Abschied der
Gräfin Landsfeld von München. 2. Reiselied
der Gräfin Landsfeld. 3. Lied des abgesetzten
Gendarmeriehauptmann Bauer in München.
4. Freudiges Stossgebet eines Jesuiten. 5. Jubel-
licd der Münchner Studenten. 6. Noch ein
Jubellied der Münchner Studenten. 7. Gedanken
eines Witzigen über die Gräfin Landsfcld und
die durch sie hervorgerufenen Münchner Ereig-
nisse. Das Mädchen aus der Fremde. 8. An-
rede von dem Verfasser dieses an die Münchner
Studenten. 9. An das Volk in München.
10. An den König Ludwig von Baiern.
Geist- und witzlos.
44. Neuer Speisezettel. Satyrisches Flug-
blatt, anonym, ohne Angabe des Druckers. In 4 0 .
In Form von Speisen werden die jüngsten
Ereignisse in Baiern satyrisch behandelt. Unter
„Suppen" und „Voressen" verspottet der Ver-
fasser auch Lola Montez und Ludwig.
In den zahlreichen satyrischen Flugblättern
jener Zeit begegnen wir noch häufig Glossen
auf Lola Montez, die alle anzuführen aber
zwecklos wäre.
Unter den Spottgedichten darf das boshafteste
und gleichzeitig beste und geistreichste nicht
vergessen werden, nämlich das Heinrich Heines,
das, soviel wir wissen, sich nur in der ameri-
kanischen Ausgabe seiner Gedichte befindet.
Hier endigt eigentlich die uns gestellte Auf-
gabe, aber wenn auch die folgenden drei
Rubriken streng genommen nicht mehr in den
gegebenen Rahmen gehören, so glauben wir
doch, dass es angebracht ist, mit unserer Arbeit
eine möglichst vollständige Montezbibliographie
zu verbinden, umsomehr, da eine solche in der
Kuriositätenlitteratur bis jetzt noch nicht vor-
handen war.
VI.
Werke, die Lola Montez selbst zu-
geschrieben werden.
45. Lola Montez, Comtesse de Landsfeld:
L'art de la beautc ou secrets de la toilettc des
dames. Suivi de petites instruetions aux mes-
sieurs sur l'art de fascincr. Preface et notes
par H. Emile Chevalier. Paris chez tous les
libraircs 1862. 8°. 176 S.
Enthält ausser dem Vorwort in 28 Kapiteln
zum Teil ganz vernünftige Schönheitslehrcn und
kosmetische Ratschläge und als Nachwort die
im Titel angegebenen „Kleinen Instruktionen."
Nach dem Vorwort des Herausgebers ist
dies Buch zuerst englisch zu Anfang des Jahres
1858 in New- York erschienen; 60000 Exemplare
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Fuchs, Ix>la Monte/, in der Karikatur.
I2 4
sollen davon in wenigen Monaten verkauft
worden sein. Infolgedessen wurde es angeblich
in verschiedene Sprachen übersetzt Die fran-
zösische Übersetzung soll dagegen von Lola
Montez selbst besorgt worden sein; der
Herausgeber habe nur die Korrektur über-
nommen. Am Schiasse seiner einleitenden
Notizen bemerkt der Herausgeber noch, dass
die „Instruktionen für die Männer, Frauen für
sich einzunehmen", für Franzosen weniger In-
teresse hätten; sie seien lediglich in Rücksicht
auf die Yankees geschrieben worden.
46. Lola Montes: Abenteuer der berühmten
Tänzerin. Von ihr selbst erzählt. Verlag der
Kösslingschcn Buchhandlung, Leipzig. 1848.
12°. 32 S.
Die Broschüre enthält heftige Ausfälle gegen
die Jesuiten, aber keine Autobiographie.
47. Ein Drama von Lola Montez. Der
genaue Titel dieses Dramas ist uns nicht be-
kannt geworden; es soll anfangs der fünfziger
Jahre in New -York und später auch in Kali-
fornien mit Beifall aufgeführt worden sein und
Lola in der Heldin des Stückes sich selbst
verherrlicht haben.
48. Lectures of Lola Montez (Countcss
of Landsfeld), including her Autobiography.
New York, Rudd & Carleton, 310 Broadway
MDCCCLVIII (1858). 8". Mit Porträt. 292 S.
Chap I — 2: Autobiography. 3. ßeautiful
women. 4. Gallantry. 5. Heroines of history.
6. Comic aspect of love. 7. Wils and women
of Paris. 8. Romanism.
49. Memoiren der Lola Montez (Gräfin von
Landsfeld). Neun Bände. Berlin 1851. Druck
und Verlag von Carl Schultzes Buchdruckerei,
Breite Strasse 30. 8°. Gegen 1600 Seiten.
Angeblich nach dem Englischen. Inwieweit
es sich hier um Lolas eigenes Produkt handelt
oder wieviel eine fremde Hand mitgewirkt hat,
lässt sich schwer feststellen. An Abenteuer-
lichkeit kommen die in dem Buche geschilderten
Erlebnisse beinahe denen des Casanova gleich;
wenn aber Casanovas Schilderungen zu vier
Fünftel wahr sind, so existierten die Lolas zu
vier Fünftel wohl nur in deren Einbildung. Dem
Ganzen merkt man die Absicht an. Sensation
zu machen, doch ist das Buch gewandt und
interessant geschrieben. Dass Lola nach ihren
eigenen Schilderungen — sofern es wirklich
solche sind jind das Ganze nicht eine geschickte
Buchhändlerspekulation ist, was zu untersuchen
sich nicht der Mühe lohnt — absolut rein und
bewunderungswürdig dasteht, bedarf keiner
besonderen Bestätigung.
VII.
Bemerkenswerte Artikel über Lola
Montez.
Bei der Flut von Artikeln, die seiner Zeit
über Lola Montez in allen Blättern der Welt
erschienen, kann es sich für uns nur darum
handeln, einzelne der wichtigsten derer anzu-
führen, die wirklich interessantes Material bringen
oder psychologisch und kulturgeschichtlich von
Bedeutung sind.
50. Aus dem bayrischen Vormärz von Ludivig
Steub. Beilage der „Augsburger Allgemeinen
Zeitung" vom 20. April 1849. Wiederabgedruckt
in dem im Jahre 18C9 im Verlag von Ernst
Keil, Leipzig, unter dem Titel Altbayrisclu
Kulturbilder erschienenen Buche des wackeren
Steub.
51. Baiern unter dem Ministerium Abel.
„Die Gegenwart", Leipzig. Sechster Band 1851.
S. 672 — 734. Dieser, wenn auch nicht direkt
sich mit Lola beschäftigende Artikel giebt ein
instruktives Bild der Zustände, die zu dem
endlichen Zusammenbruche führen mussten.
Anonym
52. Baiern unter dem Übergangsministerium
von — 4g. Ebendaselbst. Siebenter Band
1852. S. 688— 758. Die Fortsetzung des vorher-
genannten und von demselben Verfasser. Be-
schäftigt sich eingehend mit dem Einfluss und
der Bedeutung der Lola Montez auf die Ent-
wicklung der bayrischen Verhältnisse.
53. Dr. Sepp: Ludwig Augustus, König von
Bayern 1869.
54. Baiern und sein König Ludzeig f. „Gegen-
wart', I. Band, S. 183—202.
VIII.
Werke über Lola Montez.
Wenn man die zahlreichen Broschüren und
Werke über Lola Montez überblickt, so wird
man finden, dass die meisten einer Buchhändler-,
Litteraten- oder Parteispekulation ihre Ent-
stehung verdankten. Die wenigsten Arbeiten
können geschichtswisscnschafüichcn Wert für
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I2 5
sich in Anspruch nehmen; das Urteil der Ver-
fasser wurde durch gründliche Sachkenntnis
meist nicht getrübt.
55. Dr. Paul Erdmann: Lola Montez und
die Jesuiten. Eine Darstellung der jüngsten
Ereignisse in München. Hamburg, Hoffmann
& Campe, 1847. 8°. VI u. 370 S.
Der Verfasser dieses ziemlich interessanten,
damals viel gelesenen und häufig zitierten
Werkes stellt sich ganz auf die Seite der Lola
Montez. Sein Buch soll von der ersten bis
zur letzten Seite eine Rechtfertigung ihres
Charakters und ihrer Handlungen sein.
56. 7. Venedey: Die spanische Tänzerin
und die deutsche Freiheit. Paris, gedruckt bei
Wittersheim, rue Montmorency 8. 1847. l6°.
119 S. S. 1 — 43 betrifft Lola Montez.
Diese Broschüre enthält den bekannten gegen
Ludwig I. gerichteten Brief, den Venedey an
die „Kölnische Zeitung" richtete, sowie die
Kontroverse, welche Venedey mit den Redak-
teuren des Pariser „National" und der „Demo-
cratie paeifique" hatte, als er dort den Brief
unterbringen wollte, nachdem ihm die „Kölnische
Zeitung" die Aufnahme verweigert hatte.
57. Die Münchner Vorgänge. Mit Porträt
der Lola Montez. („Die Laterne" 1847. No. 2.)
58. Mola oder Tanz und Weltgeschichte.
Eine spanisch -deutsche Erzählung. Leipzig,
Ernst Keil & Comp., 1847. K1.-8-. 326 S.
59. Lola Montez und andere Novellen von
Rudolf O.Zicgler Stuttgart und Leipzig, Deutsche
Verlagsanstalt (vorm. Ed. Hallbcrger). 8°. 209 S.
S. 1 — 80: Lola Montez.
6b. Lola Montez mit ihrem Anhange, und
Münchens Bürger und Studenten! Ein dunkler
Fleck und ein Glanzpunkt in Bayerns Ge-
schichte. Münchens edlen hochherzigen Bürgern
und Studenten in tiefgefühlter Verehrung zu-
geeignet von einem Unparteiischen. München,
Dr. Wildsche Buchdruckerei 1848. 12". 36 S.
Als Verfasser stellt sich am Schluss des
Buches Karl Wilhelm Vogt vor.
61. Lola Montes und ihre politische Stel-
lung in München. Nach einem englischen Be-
richte und mit einem Vorwort des deutschen
Herausgebers. München 1848. Druck der Joh.
Deschlerschen Offizin. Gr.-8°. 16 Seiten.
Der Bericht stammt angeblich von dem
Engländer Francis, der sich im Herbst 1847
längere Zeit in München aufhielt und auch
bei Lola Montez eingeführt war. Er war zuerst
in „Frazers Magazin" erschienen und wurde dann
von der in englischer Sprache in Paris er-
scheinenden Zeitung „Galignanis Messenger" in
der Nummer vom 18. Januar 1848 abgedruckt.
Aus diesem Blatte stammt die Ubersetzung ins
Deutsche. Francis beginnt mit einem Hymnus
auf die kulturellen Grossthatcn Ludwig I. und
endigt mit einer durchaus nicht ironisch ge-
meinten Tirade auf Lolas Sittenstrenge.
62. Lola Montes, Gräfin von Landsfeld. Mit
Titelporträt (Kniestück in Holzschnitt). München,
J. Deschler, 1848. 8".
16 S. Inhalt: 1. Allgemeine Studenten- und
Volksbewegung in München am 8. bis 1 2. Februar
1848. 2. Die Allemannen. 3. Das Volk in
München und die Küche der Gräfin I-andsfeld.
4. Die durch geraubtes H0I2 verfolgte Gen-
darmerie. 5. Lola auf der Flucht und das
Nachtlager in Blutenburg. 6. Nachtrag.
63. Bericht aus München über die Ereignisse
des 9., io., 1 1. Februar 1848. München, Leonh.
Henzel, 1848. 8°. 2! S.
64. L. Beyer (ps.): Glorreiches lieben und
Thaten der edclen Sennora Dolores. Aus dem
Spanischen, vertcutscht durch — . Leipzig,
E. O. Weller. 1847. kl. 8°. 24 S.
65. Lola Montez (1823— 61). Anfang und
Ende der Lola Montes in Bayer». Wahrheits-
getreue Schilderung der Zeit vom Oktober 1846
bis Februar 1848. München 1848. In Kom-
mission bei Christian Kaiser. 8°. 14 S. u. 2 Bl.
Anhang: Das Nachtlager in Blutenburg oder
der Lota Montez letztes Verweilen in Münchens
Nähe. 8°.
Volkstümliche, höchst einseitige Darstellung
der Ereignisse.
66. Strödt: Kirche und Staat in Bayern
unter dem Minister Abel und seinen Nachfolgern.
Eine kirchlich -politische Denkschrift. Schaff-
hausen, Hurter, 1849. 8°. XII u. 425 S. S. 227
— 38 1: Die Zeit des Lola-Montanismus, der
Morgenröte und der neuen Freiheit.
67. Dr. Jos. Wolf: Walhalla der grossen
Fest- und Versöhnungswoche zwischen König
und Volk in München, vom 6. — 13. März 1848.
Historisch erbaut von — . München, Dr. Wolf
und Deschler. Gr.-8 U . 16 S. 1848.
Kapitel 8. Fort mit Loh! — Lola noch-
mals in München. — Achte Biographie der
Lola.
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126 Fuchs, I ola Monte* in der Karikatur.
68. Lola Montes. Mcmcircs accompagnes
de lettres intimes de S. M. le roi de Bavicre
et de Lola Montes, avec faesimile, orncs des
portraits de S. M. le roi de Bavicre et de Lola
Montes, sur originaux donnes par cux ä l'autcur.
Poesies, documents politiques et littcraires
inedits, par Auguste Papon. Nyon, Canton de
Vaud (Suisse) J. Dcsoche, Imprimeur-editeur.
1849. Gr.-8°. 96 S. — Statt angekündigter fünf
Lieferungen erschien nur diese eine.'
Erpressungsschrift ärgster Art.
C9. Lola Montez. Memoiren in Begleitung
vertrauter Briefe Sr. Majestät des Königs Ludwig
von Bayern und der Lola Montez. Heraus-
gegeben von A. Papon und Anderen. 5 Bändchen
in I Band. Stuttgart, Verlag von J. Scheible,
1849. 12°. 552 S.
Der erste Teil ist eine Übersetzung des
ebengenannten französischen Originals; als aber
nichts weiter erschien, d. h. als Papon allem
Anscheine nach mit dem veröffentlichten Teil
das glücklich erreicht hatte, auf was er speku-
lierte, ein gehöriges Schweigegeld, da wusste
sich der deutsche Übersetzer zu helfen: er
schusterte aus dem vorhandenen Material den
grösseren Rest zusammen und schrieb auf den
Titel neben Papon „und Andere". So kam es,
dass das Werk, das mit den heftigsten Angriffen
auf Ludwig und Lola begann, sich allmählig
ungefähr in das Gegenteil umwandelte. Ein
Sammelsurium von Wahrheit und Dichtung.
70. Lola Montez oder Münchens Bürger
von einst und jetzt. Mit Porträt auf dem Um-
schlag. Verlag von Ottomar Zieher, München
1896. gr. 8°. 16 S.
71. Vor fünfzig Jahren. Lola Montez in
München, von J. M. Forster. (Separatabdruck
aus dem „Neuen Münchener Tageblatt".) Mit
dem Porträt der Lola, des Studenten Peissner,
des Ministers Maurer und des Fürsten Ludwig
von Ottingen -Wallerstein. Nebst Ansicht des
Hauses der Gräfin von Landsfeld in der Barer-
strassc zu München und der Flucht der Gräfin
von Landsfeld in das Kgl. Schloss. gr. 8".
16 S. i8rf>.
72. Der An t heil der Münchener Studenten-
schaft an den Unruhen der Jahre 1847 und 1848.
(Lola Montez — Studentcnfreicorps.) Von
Ferdinand Kurs. München, Akademischer Ver-
lag. 8°. 112 S. 1897. Enthält die Porträts von
I-ola Montez, des Staatsministers v. Pechmann
und des Rektors Friedrich v. Thicrsch in
Autotypie.
Vom Studentenstandpunkt aus geschrieben.
An weiteren Werken über Lola Montez
fanden, wir noch die folgenden zitiert:
Lola Montez. Ein Roman von Bidow. (Wo
erschienen?)
Lola Montez, jetzige Gräfin von Landsfeld,
oder das Mensch gehört dem König. Gerichts-
verhandlung aus der neuesten Zeit. Birsfeld
1848. 8°.
Nach Hayn Bibl. Germ. Erot. S. 207 seltene
Skandalschrift voll heftiger Ausfälle gegen den
König und Lola.
Auch Gautier soll in seiner „La Gitana"
Lola Montez zum Vorbild genommen haben.
Hiermit ist das Material erschöpft, das wir
über Lola Montez erlangen konnten. Wir sind
überzeugt, dass in allen Rubriken Lücken vor-
handen sein werden, doch wird es das Wich-
tige in ziemlicher Vollständigkeit umfassen. 2
Wir haben gesehen, dass für die Entstehung
der Lola Montcz-Karikaturen alle Grundlagen
vorhanden waren, die für die Karikatur im
allgemeinen von Wichtigkeit sind. Vor allem
das Haupterfordernis: grosse politische Be-
deutung, ferner zahlreiche Angriffspunkte im
öffentlichen und privaten Leben und endlich
eine ständig treibende Kraft in einer mächtigen
Oppositionspartei. So wurde Lola Montez neben
den Spottbildern auf die Berliner Ereignisse
zu dem interessantesten Kapitel der politischen
Karikatur des Jahres 1848, doppelt interessant,
weil das Jahr 48 das eigentliche Geburtsjahr
der deutschen politischen Karikatur ist und die
Lola Montez-Karikaturen die erste grössere
Manifestation dieser Art bedeuten.
1 In der Münchener Ilofbibliothck befinden sich 2 Lieferungen des Pamphlets. 1'". v. Z.
- Lola Montcz-Kaiikaturen sollen sich, wie ich erfahre, noch in süsserer Anrahl in folgenden Sammlungen
bclnidcn: Freiherr von Marschall in Hamberg, Germanisches Museum in Nürnberg, Maillingcrschc Sammlung in
München, Historisches Muslim in Vurrbur:;, Altertumsverein in Mannheim. Ich weiss indessen nicht, ob sich unter
«Uesen Karikaturen auch solche befinden, du: dem Herrn Verfasser de* obijjen Aufsatzes, unbekannt geblieben sind. F.v.Z.
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Wie logieren wir unsere Bücher?
Anregungen und Vorschläge.
Von
F. Grunwald in Berlin.
ic Regal, hie Schrank! tönt schon seit
ein paar Jahrhunderten der Kriegsruf,
und die schlechtesten Bücher sind es
nicht, die der freudeglühende Forscher aus
alten Truhen hob. Wenn der Franzose das
Unterbringen der Bücher „caser les livres" nennt,
so drückt er damit völlig die Ansicht jedes
Bibliophilen aus. Wir wollen — heute mehr
als je — unsern Büchern eine Wohnung geben,
nicht nur ein Behältnis, um sie aufzuheben, und
wenn wir selbst dabei auf Kosten sorgsamerer
Conservierung hier und da das offene Regal
der Glasscheibe vorziehen, so geschieht dies
wohl meistens, um leichter und intimer mit unsern
Lieblingen in Verkehr treten zu können, um
uns ungeblendet an der Schönheit ihrer Ein-
bände erfreuen, sie ohne den ewig unauffind-
baren Schlüssel liebevoll erfassen und ohne
kreischende Thüren ihre Blätter wenden können.
Die Schränke können aber schräg zum
Fenster gestellt, die Schlüssel am Brett auf-
bewahrt, die Thüren geölt werden, höre ich
Mhl.ll
■ .
Siudieriimmer,
von Mix I!
(Abb. J.)
& Co. .n Berlin
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128
Grün wähl, Wie lofjieren wir unsere Bücher?
sagen. Gewiss — aber ist denn Alles in dieser
Welt, wie es sein könnte 1 —
Seit die fürchterliche Zeit der Massenstilc
der siebziger und achtziger Jahre überwunden
ist, beginnt man wieder die gesamte Ein-
richtung um das Hauptmöbel herum zu kom-
ponieren, und so richtet sich nicht mehr die
Bibliothek nach den Sesseln, sondern hat den
ihr gebührenden ersten Platz wieder erobert.
Geschmackvolle „Innenarchitekten" — wie
reich ist doch die Zeit an neuen Worten! —
haben ihr ein Spezialstudium gewidmet.
Arbeitszimmer mit litbliotheksschrank.
tutworfeu in den Alchen von Mai Dodcuhcim & Ci. in Berlin.
.(Abb. 4.)
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GnuiirtM, Wie logieren wir unsere Bücher?
129
Eine Reihe besonders reiz-
voller Skizzen, welche aller-
hand Geschmacksrichtungen
gerecht werden, hat auf unsern
Wunsch die Firma Max Boden-
heim 6* Co., Ateliers für Innen-
dekoration, in Berlin W., Unter
den Linden 6, durch ihre
Architekten Meier und Werle
entwerfen lassen. Sie behan-
deln sowohl die Miniatur-
bücherei, wie die tausend-
bändige und dürften das
Interesse unserer Leserfcssein.
Ich möchte der Besprech-
ung der Skizzen ein paar
allgemeine Bemerkungen vor-
anschicken. Bei einer Biblio-
thek soll immer die Frage der
Zweckmässigkeit des Ganzen
obenan stehen: also viel Licht
und Luft, denn auch die sorg-
lichst abgestäubten Bücher
verbreiten bei der geringsten
Erschütterung auf der Strasse
oder im Hause eine grosse
Menge Staubpartikclchcn. Die
Fenster müssen leicht zu-
gänglich und in voller Grösse
zur Beleuchtung ausgenutzt
sein. Leichte, schmale Gar-
dinen, etwa in Libertyseide,
deren köstliche Muster zum
Teil von Walter Crane und
seinen Jüngern selbst her-
rühren, sind durchaus nicht
zu „weibisch" und gestalten
ein Zimmer im Verein mit
einem Teppich, der das Knirschen derber
Stiefelsohlen bei einsamen Spaziergängen auf-
saugt, sehr traulich.
Es ist glücklicherweise ausser Mode ge-
kommen, die Platten der Salontischc mit sog.
l'rachtbänden zu überladen. Man leistet sich
dafür heute eine kleine Anzahl prächtiger Bände,
die nicht nur vom ungeduldigen Besucher
durchblättert werden, während Madame Toilette
macht. Diesen zierlich gebundenen, auch den
Besitzern vertrauten Bänden, die verlorene
Minuten gut ausfüllen helfen, ist ein kleines
Eckplätzchen (Abb. l) gewidmet. Das cnglisch-
z. f. i;. 98/99.
Partie einer Um e d- Ii ibl iothek.
Entworfen in den Atelier» Ton Max Butlenhcim & Co. in Berlin.
(Abb. I.)
schlanke geschlossene Schränkchcn enthält
vielleicht Maupassants Werke in ümptedas voll-
endeter Übertragung, ein paar gute deutsche
Romane — es soll auch deren geben — während
aus der ungleich niedrigeren, halb offenen Seite
einige Bände Bierbaum oder Dehmel, irgend
etwas aus einem modernen Verlage mit
ihren vielfarbigen Deckeln schimmert. In den
zwei flachen Schiebladen, welche den Unter-
bau einnehmen, bergen sich verschämt die
Modenblätter, die nur hervorgeholt werden,
wenn kein spöttischer Mann im Zimmer weilt.
Unmittelbar an das Schränkchen schliesst
»7
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130
Orunwald, Wie logieren wir uniere Bücher?
sich ein Eckdivan, der durch einen gemalten
Fries gegen die Wand abgegrenzt und durch
ein schmales Bort gekrönt ist, auf dem sich
ebenfalls Bücher, vielleicht mit Bronzen ge-
mischt, befinden können. Ein kleiner, vier-
eckiger Tisch und ein bequemer niedriger
Polsterstuhl füllen die Ecke aus. Jedes recht-
eckige Zimmer irgend einer Mictswohming lässt
diese Anordnung zu.
Ebenso leicht ist die Einrichtung des Biblio-
thekzimmers Abb. 2 unterzubringen: ein nicht
zu unterschätzender Vorzug der Werlcschen
Skizzen. Das Zimmer ist als am Ende der Flucht
liegend gedacht; die Thürlaibung des links ge-
legenen Eingangs ist mittels schmaler Regale
nutzbar gemacht; eine Sammlung Duodezbände,
etwa Elzcvirs, lässt sich ohne Überladung gut
aufstellen. Ein tuchbezogencr Divan unterhalb
des Fensters gestattet dem Bewohner noch,
die letzten Lichtstrahlen auszunutzen, während
der Regalreihc die ganze Längswand gegenüber
der Thüre reserviert bleibt Die horizontale
Gliederung dieser Regale wird in halber Höhe
durch eine Reihe von Schiebladen betont, ober-
I'rivatbücherei 10 einem Mietshaute.
Entworfen in den AüKtM von Mu lj-jJciiheim & Co. in Her Im.
(Abb. ».)
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Orunwald, Wie logieren wir unsere Bücher?
13'
halb welcher die nächstfol-
gende, etwas höhere Bücher-
kolonnc durch eine seidene
Gardine verhängt werden
kann. Ebenso lässt sich je
nach Bedarf an Raum und
Eleganz der Ausstattung die
oberste Reihe durch ein Sims
mit Schnitzereien ersetzen.
Der Büchertisch mit Seiten-
klappen ist freistehend ge-
dacht.
Eine glückliche Verbin-
dung von Regal und Schrank
stellt Abb. 3 dar; bis zu
zwei Dritteln der Höhe reicht
die Verglasung, während die
oberen, durch luftige Holz-
schnitzereien eingesäumten
Brette offen sind. Dieser
Mittelbau wird rechts und
links von schmalenSchränken
flankiert, deren Thürcn reich mit Schmiedeeisen
geziert sind. Die von Vorhängen geschlossenen
Tische des unteren Teils bringen geschickt
Abwechslung in den vertikalen Charakter des
Ganzen. Der Schreibtisch mit seiner schmalen
Schmuckgalleric — die ich übrigens an dieser
Stelle nicht für recht praktisch halte — schliesst
sich dem Stil des Ilauptmöbels an. Obwohl
man eigentlich Bücher nie gegen das Licht
aufstellen soll, ist doch die Seitenbalustrade
des Erkers sehr geschickt für ein niedriges
Gestell ausgenutzt worden, dessen Deckbort
frei bleiben soll, um durch entsprechende
Nippes, Köppinggläser oder Elfenbeinschnitze-
reien, das ziemlich wuchtige Äussere der Ein-
richtung etwas leichter erscheinen zu lassen.
Abb. 4 bringt durch un regelmässige Verwen-
dung kleiner, etwa Brochüren verbergender Zier-
felder eine neue Variante des Rcgalcharakters.
Der Ausschmückung der Krönung ist beson-
dere Sorgfalt gewidmet; ein Vorhang schliesst
die unteren Buchreihen gegen Staub ab. Der
Gesamteindruck dürfte wohl ein wenig spielrig
und unruhig sein und mehr für die Konversations-
zimmer eines eleganten Hotels als für ein
ernstes Bücherzimmer passen; auch der Schreib-
tisch scheint mir mit seinen Papierschiebladen
und der nicht allzu grossen Platte besonders
für jenen Zweck geeignet; er würde fraglos,
Partie aus ciaer Sc h I o *»- H ibl i o iliek.
den Alchen von Mm Bodenheim & Co. in
(Abb. 6.)
an eine feste Wand gestellt, sehr gewinnen.
Skizze 5 und 6 verlassen das Mietshaus,
um sich dem eignen Besitz zuzuwenden. Erstere
ist wohl als eine Art „Library-Hall" gedacht,
obwohl ein augenscheinlich zum Durchgang
bestimmtes Zimmer nicht gerade das Ideal des
die tiefste Stille liebenden Bücherfreundes sein
dürfte. Schlichte, hin und wieder durch vor-
springende Schränkchen unterbrochene Bücher-
reihen paneelicren in zwei drittel Höhe den
hohen überwölbten Raum. Ganz besonders
originell ist hier der Schreibtisch, an dessen
Diplomatcnplattc sich links ein Spindchen
anschliesst, das gleichzeitig die Verbindung
mit der Wand herstellt. Aufbau und Schnitzerei
erinnern an die stumpftürmigen Kirchen des
XIII. Jahrhunderts.
Abb. 6 reproduziert Bücherschränke im
eigensten Sinne, die in keinerlei organischem
Zusammenhang mit dem Bau stehen, wenn sie
auch auf der Skizze die ihnen zugewiesene Wand
gerade ausfüllen. Sie stehen rechts und links
neben einem Kamin, aber man kann sich ganz gut
noch ein halbes Dutzend ebensolcher Schränke
an den andern Zimmerwänden denken. Bei
diesen grossen, edelproportionierten Schränken
liegt die ganze Wirkung in der Schönheit des
verwandten Materials und der Schnitzerei. Die
einzig zulässige Farbenverwertung dürfte durch
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I32 GntawaM, Wie logieren wir unsere Bücher?
Bib I iolh ck th a U e in einem l.andichlots.
Entworfen in den Alchen von Max Uudenhcim & Co. in Berlin.
(Abb. 5.)
bunte Kissen auf dem weit vorspringenden bank-
artigen Unterbau und schmale Borte aus Bunt-
glas, die sich längst des dekorativen, halbrunden
Fensters hinzieht, zu erreichen sein. Selbst-
verständlich bedarf ein solcher Kaum — nach
den Dimensionen ist wohl an eine Schloss-
bibliothek gedacht worden — noch anderer,
grösserer Fenster, um das erforderliche Licht
in sich aufzunehmen.
Man sieht, Max Bodenheim & Co. haben
thats. ichlich für jede Geschmacksrichtung etwas
gefunden, das unsern Büchern ein behagliches
Heim sichert. Ich möchte denjenigen Formen
den Vorzug geben, die einen steten weiteren
Anbau gestatten, wenn die Sammlung zu
zahlreich für das alte Heim geworden ist. Es
sieht doch gar zu hasslich aus, wenn eine
Bibliothek „auf Zuwachs" berechnet ist und
wenn uns jahrelang hohle Lücken vorwurfs-
voll anstarren oder wenn gar zwei Reihen
von Büchern hintereinander postiert werden
müssen — aus Mangel an Platz, und wenn man
nur nach den Umschiebungskünsten eines chine-
sischen Geduldspicls den gewünschten Band
erwischen kann.
Natürlich ist mit einem oder selbst mehreren
Rcpositorien und dem Schreibtisch die Ein-
richtung einer Bücherei nicht erschöpft. Da
fehlen noch die Pulte, auf denen schwere Bände
zum Nachschlagen ruhen können; da fehlen
Tritte und Leitern, Studierlampcn und solche,
die auf beweglichem Gestell an den Schranken
hin und her gleiten. Da fehlen Glasschreine
für kostbare Einbände und Zeitungstische für
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• 33
die grossformatigen Brochürcn und Monats-
schriften. Auch eine Mappe für einzelne
Illustrationsblätter und ein Papierkorb gehören
in unsre Bücherei, wenn sie uns wirklich der
behagliche Aufenthalt werden soll, in dem
wir uns mit unsern lieben gedruckten, ge-
schriebenen und gemalten Freunden ungestört
unterhalten können. Ich hoffe auch von diesen
noch nicht gebrachten Gegenständen bald so
vollendete Abbildungen zu erhalten, dass es sich
lohnt, sie den Lesern der „Z. f. B." bei passender
Gelegenheit vorzufuhren.
Die Berliner Litteratur von 1848.
Von
Dr. Arend Buchholtz in Berlin.
„Preussenvordemachtzehnten März" (Leipzig,
J. J. Weber 1849, 2 Teile) ist ein anonym er-
schienener politischer Roman, zu dem Heinrich
Simon das Vorwort geschrieben hat, recht
harmlos nach seinem Inhalt und unbeholfen in
der Form. Noch im Revolutionsjahre selbst
kam Alexander v. Sternbergs Erzählung „Die
Royalistcn" heraus (Bremen, Schlodtmann); sie
Ist einmal viel gelesen worden, und alle Vor-
züge dieses talentvollen Dichters verleugnen
auch die Royalisten nicht; seine patriotische
Gesinnung, die ihn damals, obwohl er selbst
kein Preusse war, für Preussens Grösse und
Ruhm eintreten lässt, ist erfrischend, aber wenn
er allen Ernstes behauptet, die Schilderung des
achtzehnten März, die er in einem Kapitel giebt,
wäre so wahr, dass auch nicht ein Wort von
dem, was dort als Thatsache hingestellt sei,
ohne die sorgfältigste Prüfung und ohne un-
mittelbaren Bericht der Augenzeugen nieder-
geschrieben worden wäre, so ist das doch eine
Naivetät.
In zwei Abteilungen schrieb Rudolph Lu-
barsch unter dem Pseudonym L. Schubar einen
historischen Roman aus der Berliner März-
revolution: „Fürst und Volk" mit der Fort-
setzung: „Die Märztage" (Berlin, Sacco 1849
und 1850), Hugo Harzburg einen vierbändigen
Roman: „Der achtzehnte März. Dies Buch ge-
hurt dem deutschen Volke" (Berlin, Schneider
1850), Adolph Schirmer einen Tendenzroman
in Versen: ..Politisches Maibüchlein" (Hamburg,
Hofimann & Campe 1848), und Adolph Streck-
fuss sein vielgelesenes Buch : „Die Demokraten.
i» Heft II.)
Ein Roman in Bildern aus dem Sommer 1848"
(Berlin, Gerhard 1850, 3 Teile) mit vielen die
Neugier des Lesers spannenden Kapitelüber-
schriften : „Wie Meister Neumann einen geheim-
nisvollen Miether erhält", „Die Vorbereitungen
der Royalisten zum Zeughaussturm", „Wie der
Lieutenant von Berg in einer Schlinge gefangen
wird" u. a. m., das ganze dicke Buch auf fast
achthundert Seiten eine dichterische Verherr-
lichung der „Reinheit und Herrlichkeit der demo-
kratischen Ideen", aber auch ein ununterbrochenes
Geschimpfe auf die „Hinterlist und Gewissen-
losigkeit" der Reaktion. Die reiche Phantasie
des Dichters Streckfuss macht in diesem seinen
ersten grossen Roman ebenso tolle Sprünge, wie
der .Geschichtsschreiber' Streckfuss sie in seinen
bekannten verbreiteten Geschichtswerken mit
grösserem Erfolge auch noch in späteren Jahren
ausgeführt hat.
Ausserordentlich reich ist die Friedlaendcr-
sche Sammlung an humoristischen Blättern.
Es kam ihrer Popularität wohl sehr zu statten
dass eine Anzahl talentvoller Zeichner ihnen
ihre Kunst zur Verfügung stellte.
Noch aus dem vormärzlichen Berlin stammte
der liebenswürdige Illustrator Theodor Hose-
mann. Er war dem Buchhändler Winckelmann
von Düsseldorf nach Berlin gefolgt, und jahr-
zehntelang war nun hier sein Zeichenstift in
unausgesetzter Bewegung: er wurde der Refor-
mator der illustrierten Jugendliteratur, und kaum
dass ein Weihnachtsfest verging, an dem nicht
Werke seines anmutigen Humors erschienen
wären. E. T. A. Hoffmanns und Jeremias Gott-
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134
Ruchholti, Die Berliner Litteratur von 1848.
helfs Erzählungen, dem „Münchhausen" und
den „Geheimnissen von Paris" hat er durch
seine Illustrationen erst die rechte Verbreitung
geben helfen, und selbst populär wurde er durch
seine köstlichen Zeichnungen von Berliner
Volkstypcn, die einer nun schon lange hinter
uns liegenden Epoche angehört haben. Er
schuf die schwarzen und die bunten Bilder zu
Glassbrenners „Komischen Volkskalendern" und
„März-Almanachen", zu der politisch-humo-
ristischen Zeitung „Freie Blätter", die gleichfalls
Glassbrenner herausgab, vor allem aber zu den
vielen Heften seines „Berliner Volkslebens": den
Eckensteher Nante, die Leierkastenmänner und
die Guckkästner, den Arbeiter mit Frau und
Kindern, wie sie sich um die dampfende Kartoffel-
schüssel setzen, den Weihnachtsmarkt und
Fritz und Stephan mit ihren Waldteufeln und
Papierfahnen, wie sie brüllend ihre Ware feil-
bieten, den Droschken- und den Lohnkutscher,
Schusterjungen und Hökenveiber und was sonst
noch alles das Berliner Strassenbild belebte.
Auch noch in den Märztagen und später be-
gegnen wir oft den Zeichnungen Hosemanns.
Zu seinen grossten Bildern zählt ein koloriertes
Blatt, das bei Wilhelm Hermes, Berlin, König-
strasse 26, erschien und das Begräbnis der
Feder und die Herrschaft der Zensur darstellte.
Bekannter sind Hoscmanns „Rehbcrgcr" — so
nannte man die an der Abtragung der Reh-
berge beschäftigten Erdarbeiter — Leute, die
andere an der Arbeit hinderten und sie von
ihr gewaltsam vertreiben wollten, auch gegen
den bauleitenden Beamten aufsässig wurden und
ihn gern an den nächsten Baum gehängt hätten,
sodass sich eines Tages das ungeheuerliche
Gerücht in Berlin verbreitete, die Rehberger
wollten die Stadt überfallen. Die Verlumptheit
dieser die Berliner Strassen unsicher machenden
Gestalten zu skizzieren, ist Hosemann vortreff-
lich gelungen, aber zur humoristisch-satirischen
Illustration politischer Vorgänge war er denn
doch nicht so geschaffen, wie für die Klein-
malcrci des Krähwinkeltums, das dem vor-
märzlichen Berlin in so prägnanter Weise an-
haftete.
Da trat dann in Wilhelm Scholz ein echtes
Berliner Kind auf, dem mit der Gabe sonnigen
Humors ein glänzendes Talent zur Karikatur,
ein erfindungsreicher Witz und eine spitze
Zeiclienfeder verliehen waren. Zum erstenmal
war er in die Öffentlichkeit getreten, als er,
mit Ernst Kossak verbunden, eine Satire auf
die Berliner Kunstausstellung schrieb. Auf dem
Felde der politischen Satire tummelte er sich
zum ersten mal, als er sich mit Rudolph Genee,
der damals ein sehr fleissiger und rühriger Holz-
schneider war, und Gustav von Szczcpanski
zusammentrat, um ein politisch-satirisches Blatt,
den „Eulenspicgcl" (Winter 1847/48, im Verlage
von Simion) zu kreieren; aber als dies hoffnungs-
volle Kind schon nach dem ersten Lebens-
zeichen verendete, wandte sich Scholz anderen
Blättern zu. Als die Februarrevolution aus-
brach, gab er mit Szczepanski „Berliner Rand-
zeichnungen zur Geschichte der Gegenwart"
heraus. Davon ist aber nur ein Heft mit sechs
köstlichen „Variationen" über Louis Philippe
erschienen; zu einer Fortsetzung kam es nicht,
da Scholz inzwischen durch seine Thätigkeit
an den „Freien Blattern" Glassbrenners, dem
„Berliner Krakehler" und dem „Kladderadatsch",
dem er fortan bis an seinen Tod angehört hat,
voll in Anspruch genommen war.
Die bildliche Karikatur hat überhaupt aus
den Ereignissen der Berliner Märzrevolution
und ihren kleinsten Einzelheiten auf das Reich-
lichste geschöpft. Es wäre nicht wenig lohnend,
wenn man die lange Reihe der Blätter auf ihre
Entstehung, auf den Urheber, Zeichner und
Lithographen oder Holzschneider prüfen wollte.
Viele Blätter hat A. Hofmann, der Begründer
des „Kladderadatsch", verlegt, anderes ist bei
H. Delius, S. Löwenherz, Hirsch, Schepeler,
A. Sala u. a. herausgekommen, und auch Gustav
Kühn in Neuruppin blieb nicht unthätig. Meist
sind die Zeichner unbekannt geblieben.
Nur einige der verbreitetsten Karikaturen
greife ich heraus. Eine stellt die am 18. März
gefallenen „1 200" — Militärs dar. Sie begehren
an der Himmelspforte Einlass, aber Petrus wirft
mürrisch die Pforte zu: „Ach was, es sind ja
nur zwanzig angemeldet!" Ein anderes Blatt
stellt den „Kongress falscher Spieler unter eng-
lischem Schutze" dar: beim Kartenspiel in einer
Taverne sitzen drei bekannte Männer, die ihr
Asyl in London hatten und schon oft karikierenden
Zeichnern hatten herhalten müssen.
Sehr beliebt waren die grossen gelben
Bilderbogen, die A. Hofmann vertrieb: „Traum
eines roten Republikaners" („Kr träumt so süss
von Republik, sieht die Tyrannen schon am
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Buchholti, Die Berliner Littcratur von 1S48.
Strick . . .") und das Pendant hierzu: „Traum
eines Reaktionärs". Oft ist der Prinz von
Preussen Gegenstand der Karikatur, viel öfter
der Konig, daneben VVrangel, die Bürgerwehr,
Ministerium und Generalität Der Karikatur war
in den Tagen der absoluten Ungebundenheit
der Presse ein freies Feld gegeben. Wenn man
ihre Leistungen überblickt, so kann man nicht
sagen, dass sie in den fliegenden Blättern, die
oft zu Tausenden an einem Tage im Publikum
verbreitet wurden, viel Geist und Witz entwickelt
hat. Neben viel Harmlosigkeit treten doch auch
viel Plumpheit und Plattheit hervor. Der Geist
der politischen Karikaturenzeichner erschöpfte
sich in den paar Witzblättern, und was ausserdem
noch geleistet wurde, war nicht viel wert. Auch
die I lerstcllung der Illustrationen in Holzschnitt,
in Steindruck und dazwischen auch in Farben-
druck war meist ausserordentlich dürftig, aber
alles musste möglichst schnell geschafft werden,
sodass man keine Zeit hatte, auf Zeichnung und
Vervielfältigung sorgfältig zu achten.
Eins der ersten periodischen Blätter, die
ihre Aufgabe in der humoristischen Behand-
lung der politischen wie unpolitischen Tages-
begebnisse sahen, war „Die ewige Lampe".
Ihre erste Nummer erschien in Berlin am
15. April 1848. Den Namen hatte sie sich von
dem Sieclienschen Bierlokal in der Neumanns-
gasse geborgt, und ihrProgramm war, schonungs-
lose Kritik zu üben: „Ihr Grundsatz ist die
Wahrheit . . . Sollte jemand einen Injurien-
prozess gegen sie versuchen, so wird ihm der
Dr. Stieber als Verteidiger empfohlen. Die
Colpnrtirung dieses Organs erfolgt durch die
Nachtwächter Berlins, welchen aus Rücksicht
einer höheren Politik vor den arbeitslosen
pietistischen Predigern der Vorzug gegeben
werden musste. 1 ' Anfangs gab sich „Die ewige
Lampe" recht harmlos. Oft war der Inhalt einer
Nummer der Niederschlag der Gespräche im
Kneiplokal der „ewigen Lampe", in dem viele
Schauspieler verkehrten, bis schliesslich Dr.
Arthur Muellers Geist und Ton die Färbung
gaben, die schon gar nicht mehr harmlos war.
„Die ewige Lampe", die beinahe nur durch den
fliegenden Buchhandel vertrieben wurde und
weite Verbreitung fand, hat viele ausgezeichnete
Artikel voll originellen Geistes und sprühenden
Witzes gebracht, bald aber erregte sie doch
durch die Rücksichtslosigkeit und Unverfroren-
heit, mit der sie angesehene Personen angriff
und in die intimsten Privatverhältnissc hinein-
leuchtete, wohlbegründetes Ärgernis. Nament-
lich die hässliche Charakteristik der Mitglieder
der preussischen Nationalversammlung, die Un-
geniertheit, mit der sie sich über Takt und
Anstand hinwegsetzte, verietzte allenthalben.
Aufsehen erregte sie, als sie in einer Nummer
ein Verzeichnis aller Berliner Wucherer brachte
und dann und wann noch eine Ergänzung gab.
Als Wrangel „Die ewige Lampe" ver-
bot, versuchte es Arthur Mueller getrosten
Mutes mit der „Ewigen Leuchte", wie er von
nun ab sein politisch-satirisches Oppositions-
blatt nannte, am 1. Januar 1849, und als auch
sie wie die früher erschienenen Extrablätter
„Die Knute" und „Die Gasflamme" unterdrückt
wurden, da schrieb Arthur Mueller für die erste
Nummer der „Ewigen Fackel", wie er die Fort-
setzung seines Blattes nunmehr nannte, einen
Leitartikel unter der Überschrift: „Hol' sie der
Teufel!", der ihm sechs Monate Gefängnis ein-
trug. Im April 1849 wurde „Die ewige
Lampe" nochmals „angezündet", diesmal vor-
sieht ige rweise in Leipzig, wo es keinen Be-
lagerungszustand gab. Im März 1 850 aber zog sie
nach Berlin zurück und führte hier nur noch
ein kurzes, von der Polizei und der Staatsan-
waltschaft vielfach beanstandetes Dasein. Im
Mai hatte sie ausgelebt. Ein vollständiges
Exemplar dieses originellen Erzeugnisses der
Märztagc mit allen Fortsetzungen und Beilagen
gehört zu den grössten Seltenheiten. Die
Friedlacndersche Sammlung hat den Vorzug,
ein solches zu besitzen. Einige Nummern
tragen die Bezeichnung: zweite, dritte oder
vierte Auflage, was beweist, dass die Nach-
frage nach dem pikanten Blatte ungewöhnlich
lebhaft war.
Weit überholt wurden alle die bisherigen
humoristischen Blätter durch die gemeinsame
Gründung Albert Hofmanns und David Kalischs:
am 7. Mai 1848 erschien die erste Nummer
des „Kladderadatsch". Er nannte sich ein
„Organ für und von Bummler". Seinen Cha-
rakter in Blatt und Witz gab er in folgendem
Programm Ausdruck: „Die Zeit ist umgefallen!
Der Geist hat der Form ein Bein gestellt! Der
Zorn Jehovahs brauset durch die Weltgeschichte!
Die Preussische Allgemeine, die Vossischc, die
Spcncrschc — Gesellschafter, Figaro und
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■36
Fremdenblatt haben zu erscheinen aufgehört
— Urwahlen haben begonnen — Fürsten sind
gestürzt — Throne gefallen — Schlösser ge-
schleift — Weiber verheert — Länder gemiss-
braucht — Juden geschändet — Jungfrauen
geplündert — Priester zerstört — Barrikaden
verhöhnt — Kladderadatsch! Wer dürfte hier-
nach die Farbe — die Tendenz — den Cha-
rakter unseres Blattes in Zweifel ziehen. Der
klare Ausdruck unseres Bewusstseins wird uns
Männer wie Junius, Julius, Curtius, Gervinus,
Ruppius und Nebenius; — Löwisohn, Löwcn-
fcld, Löwenberg, Löwenthal, Löwenheim, Löwen-
stein, Löwenherz, Ledru-Rollin, D. A. Benda,
Louis Blanc, von Bülow, Eylert und Lamartine,
Thiele, Hocker, Eichhorn, Struve, Mcding und
Herwegh, Jacoby und Aegidi zu Mitarbeitern
gewinnen. Berliner! Räumt die Hindernisse
weg, die dem Erscheinen dieses Journals im
Wege stehen! — Entsendet Männer voll des
ächten Berliner Geistes, die auf Kladderadatsch
subscribiren!" Dank Kaiisch, und noch mehr
dank Löwenstein und Dohm, die sich ihm sehr
bald anschlössen, wurde der Kladderadatsch
unter allen damaligen Witzblättern das beliebteste,
mit Glück, Geschick und Talent redigierte Blatt.
Elf Tage nach der ersten Nummer des
,,Kladdcradatsch" begann der „Berliner Kra-
kchler" zu erscheinen, am 18. Mai 1848, „am
sechzigsten Tage nach dem ersten Missver-
ständnis", im Verlage von Ernst Litfass, und
von C. O. Hoftmann, später von Heinrich Beta
redigiert. Sein Motto war: „Ruhe ist die letzte
Bürgerpflicht, die erste aber: immer mit dem
Kuhfuss:" Und sein Programm: „die Tendenz
des Krakehlcrs ist einzig und allein Krakehl".
Als Zeichner waren W. Scholz, G. Bartsch u. a.
thätig. Auch der „Krakehlcr" erfreute sich
grosser Beliebtheit, wenn er auch an Verbreitung
hinter dem ..Kladdenidatsch" zurückstand.
Viel weniger wurden Glassbretiners „Freie
Blätter", mit dem Motto: „der Staat sind Wir",
gelesen, obgleich Glassbrenner der beliebteste
Humorist in dem vormärzlichen Berlin gewesen
war, aber er wusstc Mafs zu halten, und in jener
Zeit, die aller Schranken spottete, war das ein
Mangel. Daneben gab es eine Anzahl illu-
strierter Blätter, denen nur ein kurzes Leben be-
schieden war. ..Der Teufel in Berlin" ( Verlag
von Louis Hirschfeld), noch vor den Marztagen
begründet — auch hier arbeitete W. Scholz
mit — musste, von der Zensur bedrängt, ein-
gehen; der Märzfreiheit sich freuend, erschien
er dann noch zweimal, bis er gänzlich einschlief.
Nur zu einer Nummer brachte es der bei
A. Bartz gedruckte „Satyr, Blatt für offene
Meinung und freies Wort", redigiert von Max
Cohnheim und Adolph Reich, und auch „Der
blaue Montag, Organ des passiven Widerstan-
des" erschien einmal und nicht wieder, im
Dezember 1848, da Wrangel ihn unterdrückte.
Die Strassenkämpfe der Berliner Märztage
sind uns in einer Reihe bildlicher Darstellungen
überliefert worden. Wie weit hierbei die Phan-
tasie mitgespielt hat, wer weiss das heute noch
zu entscheiden? Auf denjenigen, der unbe-
fangen die Bilder betrachtet, machen sie den
Eindruck, als ob die blutigen Szenen doch
stark aufgeputzt wären, wie das von Winckel-
mann gedruckte farbige Blatt, das den Kampf
in der Breitenstrasse am Kölnischen Rathause
darstellt. Sehr viel dürftiger, aber auch natur-
getreuer ist die kleinere Lithographie von
J. Boehmer: „Die Barrikade an der neuen
Königstrassc in der Nacht vom 18. bis 19. März",
während bei den bunten Bildern von den Kämpfen
am Alcxanderplatz und an der Landsberger
Strasse wiederum die Phantasie des Zeichners
manches hinzugethan hat. Auch hier giebt
ein schwarzer Steindruck von Wundt eine ge-
treuere Vorstellung des Barrikadenkampfes. Ganz
in das Reich der Phantasie gehört ein Bunt-
druck von P. C. Geissler in Nürnberg. Auch
von den Barrikaden an der Ecke der Tauben-
und Kronenstrasse giebt es ein Bild, und noch
so mancher andere Vorgang aus jenen Tagen
ist bildlich dargestellt worden : der Triumphzug
der freigelassenen Polen, eine Parade der Bürger-
wehr und Schützcngilde vor dem Könige auf
dem Opernplatzc, der Umritt des Königs am
21. März, die Aufbahrung der Särge der Ge-
fallenen, ihr Begräbnis und schliesslich ihre Ein-
segnung im Friedrichshain.
Die ergreifendste Illustration zu den Bürger-
kämpfen des Jahres 1848 von der Hand eines
bedeutenden Künstlers sind die sechs schönen,
ideal ersonnenen, aber realistisch behandelten
Bleistiftzeichnungen Alfred Rethels: „Auch ein
Todtentanz aus dem Jahre 1848", die Hugo
Biirkner in Holz geschnitten und Robert Reinick
mit erläuterndem Text versehen hat. Neben
einer Ausgabe in sechs Blättern in Querfolio
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Schur, Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
137
giebt es noch einen Brockhausschen Schnell-
pressendruck, einen grossen Bogen, der vor
fünfzig Jahren für fünf Silbergroschen verkauft
wurde. Beide Ausgaben hat Georg Wigand
in Leipzig verlegt Der Sensenmann, der einen
Erntetag wittert, rüstet sich mit seiner besten
Wehr, der List, der Lüge, der Eitelkeit, Toll-
heit und Blutgier, und trabt mit wilder Hast
auf seinem Klepper in die Welt hinaus. In
einer Schenke wiegelt er Bürger und Bauers-
mann gegen die obere Gewalt auf und beweist
ihnen, indem er Krone und Pfeifenstiel gegen
einander abwägt, dass die Krone nicht mehr
gilt als ein PfeifenstieL Er drückt dem Volke
das Schwert in die Hand, begleitet es auf die
Barrikaden und steht dahinter. „Sie stürzen
rings, er aber lacht: Jetzt lös' ich mein Ver-
sprechen Euch: Ihr alle sollt mir werden gleich!
Er hebt sein Wams, und wie sie's schaun, da
fasst ihr Herz ein eisig Graun. Ihr Blut strömt,
wie die Fahne, rot, der sie geführt — es war
der Tod! — Der sie geführt, es war der
Tod! Er hat gehalten, was er bot Die ihm
gefolgt, sie liegen bleich als Brüder alle, frei
und gleich. — Seht hin, die Maske that er
fort; als Sieger, hoch zu Rosse dort, zieht der
Verwesung Hohn im Blick, der Held der roten
Republik!" . . .
Nur flüchtig habe ich den Inhalt der an-
sehnlichen Sammlung berühren und manches
nur streifen können, was eingehender Behand-
lung wert gewesen wäre, aber betonen möchte
ich nochmals zum Schluss, dass des Geschichts-
forschers, der seine Studien der Bewegung von
1848 zuwenden will, eine reiche Fundgrube harrt
Auch zu einer Geschichte der so mannig-
faltig gearteten Berliner Presse von 1848 und
ihrer oft gar wunderlichen Eigentümlichkeiten
ladet das übersichtlich geordnete Material ein.
Vielleicht glückt es, eine Charakteristik der
politischen und humoristischen Blätter und ihrer
Redakteure, wie der Strassenlitteratur und der
Verfasser der unzähligen Einblattdrucke zu
schreiben, ähnlich wie die Pariser sie für die
Zeit der Belagerung und der Kommune in den
drei Büchern Firmin Maillards schon lange be-
sitzen: der „Histoire des journaux", den „Publi-
cations de la nie" und den „Affiches, professions
de foi, documents officiels, clubs et comites
pendant Ie Siege et sous la Commune".
Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
Von
Ernst Schur in Friedenau- Berlin.
II.
Neue Typen.
:nn ich am Schlüsse des vorigen Auf-
satzes CiZ. f. B." Heft I) Melchior
Lcchter als den Künstler erwähnte,
•eitesten sich bei der Ausstattung des
Buches vorgewagt hat so führe ich dafür zum
Beweise die Vorsatzblätter für zwei Kalender
des Tierschutzvercins an, für einen Katalog der
Leinenindustrie (Hildebrand & Sack) und den
Roman „Gegen den Strich" von Huysmans
(Schuster & Loeffler), wo das Bild des Umschlags
in Ermangelung eines anderen als Vorsatzblatt
z.f. b. 98/99.
verwandt ist eine Idee, die in diesem Falle wohl
als Notbehelf gedient hat, die aber garnicht
von vornherein abzuweisen ist Denn erstens
ist diese Wiederholung jedenfalls besser als die
sonstige Frostigkeit und Gleichmässigkeit des
Aussehens, die wir bis zum Ekel über uns er-
gehen lassen müssen; ich meine die Anordnung,
bei der unfehlbar oben in der Mitte der Name
des Verfassers steht dann der Titel folgt und
die Seite mit der Angabe des Druckortes, des
Verlages, des Erscheinungsjahres abschliesst,
18
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138
Schur, Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
die ebenso unfehlbar unten in die Mitte gesetzt
ist. Dann ist noch zu sagen: gerade in dem
nochmaligen leiseren Anschlagen des Tones, der
uns entgegenklang, ehe wir das Buch öffneten,
liegt eine Feinheit und eine Diskretion in der
Durchführung der Absicht, die entzücken kann
und oft besser wirkt als ein neues Bild, das die
Harmonie stört, weil es neue Gedanken weckt
Wie es bei dem erwähnten „Huysmans" denn
auch der Fall ist.
Es gilt, dem Buch den Massencharakter zu
nehmen; das Buch ist ein Individuum. Drama
und Roman können eher Fabrikware werden, ja
müssen, um sich Geltung zu verschaffen, ihrem
Wesen gemäss vielleicht Zugeständnisse machen ;
daher lasse man diese Gattungen beiseite;
gehen doch, wie uns jeder Verieger sagen
kann, von einem Roman sicher 300 Exemplare
an die Leihbibliotheken. Man wende sich also
zu der vornehmsten Kunst, zu der, sagen wir
es offen, eigentlichen Kunst, zu der Lyrik.
Hier, an dem richtigen Punkte, setzten auch
die Blätter für die Kunst ein. Denn da die
wirklich wahre, moderne Lyrik eines ursprüng-
lichen Geistes naturgemäss nie rückschauend,
sondern, weil aus dem Innersten einer Persön-
lichkeit geboren, die sich mit sich und ihrem
Schicksal auseinandersetzt, immer nur eine
Poesie der Zukunft, gerichtet an einige wenige,
sein kann — so ist es offenkundig, dass, einer
solchen Lyrik Massenabnahme zu prophezeien
ein Unding wäre; also ist ein solches Buch
notgedrungen, wie es sich aus dem Wesen
einer Kunst ergiebt — Gott sei Dank — immer
Individuum. Gerade deshalb ist es hier am
ehesten möglich anzuknüpfen, Neues zu geben
und Anregungen, dann auch für die anderen
Gebiete, nutzbar zu machen und fruchtbar.
Man muss einen Widerwillen bekommen,
wenn man die Kataloge der verschiedenen
Druckereien, mit allen möglichen Typen an-
gefüllt, durchblättert; man findet bei emsigem
Suchen wohl viel, sehr viel, aber nicht das
Eine; man muss förmlich lechzen, eine krank-
hafte Sehnsucht empfinden nach Neuem, wo
überall Wust ist Ja, wenn es überhaupt einen
Zug zur dekorativen Kunst giebt, muss dieser
ja in logischer Weiterentwickelung notgedrungen
auf dies Gebiet führen! —
Das Buch muss erst wieder einsam werden,
ein Kunstwerk, ein wunderbar fein abgestimmter
Organismus. Die Erneuerung der Type ist
dazu der gesundeste und, weil er die Sache
im Kern packt der natürlichste Weg, der am
schnellsten zum Ziele führt
Ich denke mir den einfachsten Fall, der
wohl noch nie eingetreten, so schön er auch
ist Der Dichter verkauft sein Manuskript
wie der Maler sein Bild direkt Das Buch ge-
langt garnicht in den Handel. Der Besitzer
hat das einzige Exemplar in Händen, in der
eigenen Niederschrift des Verfassers. Ein
Kunstenthusiast, der reich genug wäre, könnte
wohl auf diese Idee kommen; wenn er den
Ehrgeiz hat, Bilder von einem bestimmten Maler
ausschliesslich für sich zu besitzen — weshalb
soll er nicht auch diese Begeisterung auf eine
Dichtung erstrecken wollen? Die Type ist dann
der geschriebene Buchstabe; will er das Werk
unter seine Freunde verbreiten, so lässt er Ab-
drücke nehmen; der nach der Handschrift ge-
nommene Abdruck erlaubt so die Verviel-
fältigung, während das Original in Händen des
Besitzers bleibt. Ja, es wäre denkbar, dass eine
ausserordentlich fein und charakteristisch durch-
gebildete Schrift vorbildlich sein für eine all-
gemeine Type und Anknüpfungspunkte bieten
könnte für spätere Massenvervielfältigung.
Hat der Autor schon einen kleinen festen
Kreis von Anhängern um sich (der produktive
Geist fühlt sich gern von anderen getragen),
so kann er auch diesem sein Werk über-
geben. Die Kosten der Überlassung verringern
sich natürlich dadurch bedeutend; vergleichen
wir es wieder mit der Malerei! Das Ver-
hältnis wird dann sein je nach der Anzahl der
Liebhaber geringer oder höher wie Ölgemälde
zu Radierung. Will man nicht den oben an-
gegebenen Weg wählen, so ist folgendes das
naheliegendste, künstlerisch sowohl neu wie eigen-
artig und zu dem Charakter der ganzen Ver-
öffentlichungsart vortrefflich passend : man über-
giebt, da das jedesmalige Abschreiben für den
Autor lächerlich und lästig sein würde, das
Manuskript einem Künstler, der die dazu nötige
Begeisterung und dekorative Begabung besässe.
Er zeichnet in Typen, die aus dem Cha-
rakter des Buchs oder des Autors oder bei-
der herausgeboren sein müssten, das ganze
Buch, oder der Künstler spiegelt seinen Geist
und seine Auffassung darin wieder, und das
Werk stammt also von Umschlag bis zur letzten
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Schur, Ziele fttr die innere Ausstattung des Baches.
139
Seite von seiner Hand. Davon werden dann
soviel Abdrucke genommen, wie erforderlich
sind, und die Platten werden vernichtet. Das
Original aber bleibt je nach Abmachung im
Besitz des Autors oder der Liebhaber, die den
Auftrag zur Vervielfältigung gegeben.
Man darf nicht dagegen einwenden, dieses
Handeln des Autors mit seinem Manuskript
wäre entwürdigend. Ist die heutige Stellung
des Verfassers zum Verleger angemessener?
Hängt nicht der Verleger wiederum vom Publi-
kum und seinen Massenbedürfnissen ab? Be-
dingt sich nicht durch dies Missverhältnis von
vornherein die schlimme Lage für den Dichter?
— Der Verleger kann nur von Massenabgaben
leben; das ist das Prinzip des heutigen Buch-
handels. Die ganze Misere der lebenden Dichter
resultiert aus dieser Verkennung der natürlichen
Lage, wie sie nun einmal ist und wohl bleiben
wird. Man macht die Prinzipien, nach denen
man viel zu billigem Preis auf den Markt bringt,
weil man auf viele Abnehmer mit Bestimmtheit
rechnen kann, da geltend, wo man nach ver-
ständiger Überlegung nur auf wenige Abnehmer
gefasst sein darf. Diese Verkennung der öko-
nomischen Seite bringt dann vielleicht noch
eine andauernde Entwertung, ein Sinken im
Preise mit sich- Findet man etwas dabei, wenn
ein Maler von irgend jemand gegen eine
bestimmte Summe einen Auftrag annimmt?
Gleichgiltig, welcher Auftrag es sei; man achtet
hier vielmehr auf das Wie, das Sache des
Künstlers ist; bei der Dichtkunst achtet man
aber fast ausschliesslich auf das Was. Daher
die Annahme, solch Auftraggeben wäre beim
Dichter entwürdigend, ja unmöglich. Wurden
nicht früher, zu Haydns, Mozarts, Beethovens
Zeiten, die Musikstücke, ja sogar ganze Opern,
gegen ein festes Honorar bestellt? Verdanken
wir nicht gerade diesen abgeschlossenen Adels-
kreisen und Musikfreunden in Österreich unend-
lich viel? Ist es besser, den Dichter hinauszu-
stossen, damit er sehe und suche — wie sein
Werk nicht gekauft wird? Die Vertragsfreiheit,
wenn man es so nennen will, hat auch hier
keinen Segen gebracht Ist nicht die That-
sache, dass ein Gegenstand im Verhältnis zu
der sinkenden Zahl der Abnehmer im Preise
steigen muss, ein bekanntes Gesetz?
Also ist gerade dieses Verfahren, das den
Künstler nur in Berührung mit den Kreisen
bringt, die ihn eben als Künstler ansehen wollen,
ist dieses Sichabschliessen in der Gegenwart
das einzig natürliche und zweckentsprechende
Mittel. Natürlich, weil es die Entwicklung der
Dinge berücksichtigt. Ausserdem ist es auch
das einzig würdige. Dringt der Einfluss in
die Masse, dann ist es Zeit, hinauszutreten.
Der Dichter laufe nicht dem Publikum nach.
Der dritte und letzte Weg ist der, der wohl
erst eintreten wird, wenn durch die beiden
vorherigen Einflüsse viel vorbereitet ist Man
lässt neue Drucktypen herstellen. Das kann
aber nur geschehen, wenn der Boden so durch-
ackert ist, dass sich auf gute Ernte mit Sicher-
heit rechnen lässt Denn die Kosten, welche
die Ausfuhrung dieser Idee bereiten würde,
sind keiner Druckerei zuzumuten, ohne dass
sie sichere Aussicht auf Gewinn hat Zu ver-
werten und von grossem Nutzen werden da die
Erfahrungen sein, die man vorher gemacht hat
Sind diese neuen, modernen, künstlerischen
Typen erst in grosser Auswahl vorhanden, wo-
bei alle künstlerischen Kräfte mitarbeiten müssen,
ist somit die Vorherrschaft der langweiligen
überkommenen Typen beseitigt, dann erst wird
man sagen können, dass wieder ein bis dahin
brachgelegenes Land urbar gemacht worden
ist Material ist sodann in Hülle und Fülle vor-
handen; man ist dem modernen Buch um ein
gutes Stück näher gekommen; der Kern, der
Grundstock ist wenigstens vorhanden. Die
Reichsdruckerei, deren Aufgabe es wäre, hier
voranzugehen, hat es unterlassen. Das Nibe-
lungenlied, das mit grossen Kosten zur Pariser
Weltausstellung hergestellt wird, dürfte wohl
wieder die alte oder wenigstens eine aus-
gegrabene Type zeigen. Anderen Druckereien
aber ist die Inangriffnahme dieser Aufgabe
nicht zuzumuten, zumal da die Notwendigkeit
hierfür noch garnicht tief empfunden wird. Ja,
es fragt sich, ob man jetzt schon dazu geneigt
sein wird, ein so modern gedrucktes Buch in
der richtigen Weise zu verstehen und zu ge-
messen. Auch die Fähigkeit des Lesens müsste
ja gesteigert werden, denn eine künstlerische
Type wird, da sie neu ist und eigenen Geist
trägt, eben wegen ihrer Neuheit nicht so schnell
entziffert werden können wie die alte. Und zu-
letzt legt man dann das Buch aus der Hand,
lächelnd über diese Kuriosität Wir haben durch
die Glattheit und ewige Gleichmässigkeit der
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Schur, Ziele für die innere Ausstattung de« Buchet.
Drucktypen viel vom künstlerischen Sehen und
schnellen Aufnehmen verlernt Doch um diesen
Zustand, der erhebliche Kosten erfordern würde,
möglich zu machen, sind ein künstlerischer
Boden, eine Bildung, eine Kultur notwendig,
wie sie augenblicklich nicht vorhanden sind und
in absehbarer Zeit nicht eintreten werden. Von
der Lyrik ausgehend müsste man dann alle
anderen Gebiete in Angriff nehmen; solange
jedoch die Kunstgewerbcschulen ihren Schülern
Sammelmappen aller Initialen und Typen aus
allen Jahrhunderten zum Nachzeichnen und zum
Vorbilde geben, steht das noch in weiter Ferne
und legt den Gedanken nahe, dass von den
Künstlrm das Heil kommen muss.
Es fragt sich nun: wer soll hier helfend
eingreifen? Ich denke mir, es wäre keine Un-
möglichkeit, dass sich ein Liebhaber, der im-
stande ist, sich Bilder zu kaufen und ausser den
Vergnügungen und dem Luxus künstlerischen
Neigungen nachzugehen, wohl einmal bei dem
Wunsche ertappte, von seinem Lieblingsdichter
sich ein Manuskript zu erwerben. Oder giebt
es solche Menschen nur in Frankreich? Damit
wäre der Anfang gemacht Es brauchte nicht
einmal Neigung vorhanden zu sein; die Mode
thut vieL Die Mode bestimmt ja bisweilen auch
die Maler, deren Bilder man absolut kaufen muss.
Warum soll es auf diesem Gebiet nicht auch
Sitte werden? Oder sehen wir von diesem ein-
gebildeten Idealmenschen ab (der in Wirklich-
keit gamicht so unmöglich wäre); ist es nicht
denkbar, dass ein Bücherfreund, dessen Nei-
gungen sich auch auf die moderne Litteratur
erstrecken, auf die Idee käme, die Gedichte,
die er besonders hochschätzt, sich in Urschrift
von dem Verfasser zu verschaffen; oder etwa
die Auswahl der besten sich besonders drucken
zu lassen; oder aber für sich eine besondere
Ausgabe auf besonderem Papier herstellen zu
lassen, Papier, dessen Berührung schon ihm ein
feiner Genuss ist? Er lässt den Druck genau
nach der Handschrift des Autors vornehmen,
oder er lässt das ganze Werk von einem Künstler
zeichnen. Die Kosten sind nicht so unerschwing-
lich; und ist der Gedanke so fernliegend, auch
in der Dichtkunst etwas für sich zu haben,
das kein anderer neben ihm geniesst?
Doch sehen wir wieder von diesem ein-
gebildeten Idealmenschen ab! Nehmen wir an,
ein feiner Dichter besitzt einen kleinen, aber
geschlossenen und treuen Anhängerkreis. Da
liegen die Ideen nicht mehr so ferne. Dieser
Kreis lässt die Manuskripte nur für sich her-
stellen, nach der Handschrift abdrucken oder
zeichnen oder, wenn die Anzahl der Mitglieder
gestiegen ist, drucken. Das Bewusstsein, etwas
Eigenes zu besitzen, es nur mit wenigen Gleich-
gesinnten zu teilen, muss doch für die Mehr-
kosten entschädigen.
Kann man sich nicht denken, dass ein
begeisterter Verehrer d'Anunzios sich dessen
fein gesponnenen lyrischen Roman „Lust" be-
sonders drucken lässt vielleicht jedes Kapitel in
einem Bande? Oder sieht man in der Dichtung
immer noch nicht die reine Kunst immer nur
noch das Berichtende, das Erzählende, das
Sagende? Von Pflicht der Nation zu reden
und der Besitzenden, hat nicht viel Sinn; ist
das Bedürfnis nicht vorhanden?
Spinnt man diesen Gedanken weiter aus, so
wird daraus das, was wir für die Vergangenheit
schon besitzen: ein Verein der Bücherliebhaber.
Diese müssten einzelne Werke in bestimmter An-
zahl für sich herstellen lassen, deren Autorrechte
auf sie übergegangen wären. Auch sie würden
dann noch etwas Besonderes für sich haben, das
sich nicht jeder verschaffen kann. Die Autoren
würden sie ja nach ihrenWünschen wählen. Oder
wenn ihre Neigungen noch nicht bis in unsere
Zeit gehen, dann wähle man die Dichter, deren
Schätze noch so gut wie ungehoben sind. Hölder-
lin, Novalis und andere! Man behandle diese, als
gehörten sie der Jetztzeit an und gebe ihre Werke
von neuem einzeln für sich heraus. Den
wechselnden Wünschen kann ja dann Rechnung
getragen werden. Und dieser in modernem
Sinne geleitete Verein hätte die Aufgabe und den
schönen Zweck, das moderne Buch vorzubereiten,
Proben und Erfahrungen durch eigene Prüfungen
zu machen. Er gebe wenig, doch das bis ins
einzelnste künstlerisch durchgebildet, und sei
eingedenk, dass die „gesammelten Werke" eines
Dichters meist der Sarg sind, wo die Schätze
schlummern; er lasse die Toten wieder unter uns
leben ; soweit wird das Verständnis doch wohl
sein, dass es die Richtungen der Gestorbenen
erfassen kann, in ihrer ganzen stillen Schön-
heit Auch alte, antike Dichter könnte man
so wieder auferstehen lassen in modernem
Gewände. Welch' intimer Reiz würde darin
liegen! Ein solcher Verein würde wirklich
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Kritik.
14!
Zukunftsarbeit, praktisches Wirken leisten, und
er würde der Dichtung eine tiefe Achtung
wiedergewinnen. Der ganze Buchhandel, jetzt
ein Risiko und allen Wünschen der breiten
Masse preisgegeben, auf die sie angewiesen ist,
würde in gesundere Bahnen gebracht werden.*
Wenn ich Wert lege auf eine moderne
Zimmereinrichtung, weshalb mache ich dann
beim Buch Halt? Und weshalb beim Buch
wiederum bei dem Umschlag? Das Buch muss
erst wieder ein Individuum sein; dann wird es
auch äusserlich ein Kunstwerk werden.
Kritik.
Georg Kaufmann: Die Geschichte der deutsehen
Universitäten. Band I, 2. Stuttgart, Cotta. (M. 20.)
Der erfreuliche Aufschwung, den die Kultur-
geschichtsschreibung in unseren Tagen genommen hat,
ist auch der Erforschung einem der interessantesten
historischen Probleme, dem der Entw icklung der gei-
stigen Kultur und der Stätten, an denen dieselbe geför-
dert wurde, wesentlich zu Gute gekommen. Man hat,
und das nicht erst in unseren Tagen, neben der Ge-
schichte der Wissenschaften auch die Geschichte
der Lehranstalten, vornelunlich der Universitäten in
den Kreis der Forschung gezogen, und andrerseits
bat das neu erblühende akademische Leben zu einer
Betrachtung der Vergangenheit aufgefordert, die so-
wohl für die Kenntnis des studentischen Wesens und
Treibens in früherer Zeit, als auch für die der be-
treffenden Alma matcr Früchte getragen hat Die
Jubelfeste und Säkulartage, die an zahlreichen deut-
schen Universitäten im letzten Jahrzehnt gefeiert wurden,
haben die äussere Veranlassung zu einer Reihe vielfach
vortrefflicher Spezialuntersuchungen geboten, die nun-
mehr insgesamt der Verarbeitung in einem alle Uni-
versitäten gleichmässig umfassenden Werke harren,
das dann wohl in der historischen Litteratur einen her-
vorragenden Flau einzunehmen bestimmt wäre. Gäbe
es doch die Geschichte einer Institution, die Jahrhun-
dertc lang der Träger des gesamten geistigen Fort-
schrittes gewesen, die als Brennpunkt künstlerischer
und litterarischer Interessen gedient hat, und der wir
selbst unsere Bildung danken.
Früh hat man daher angefangen, sich mit der Ge-
schichte der Universitäten zu beschäftigen, allerdings
ist diese mehr Spezial- oder Lokalgeschichte gewesen ;
wo es zusammenfassend geschah, ist mehr dem päda-
gogischen als dem kulturhistorischen Interesse Rech-
nung getragen worden. Die älteren Werke enthalten
entweder Biographien von Professoren oder Geschichte
der Wissenschaften. So verfolgt auch eines der be-
deutendsten Bücher neuerer Zeit, Paulsens Geschichte
des gelehrten Unterrichtes (2. Auflage, Leipzig 1896/97,
2 Bde.), wiewohl es auch für dieses Gebiet reiche Aus-
beute gewährt, wesentlich andere Ziele. Der erste so
ziemlich, der für die Geschichte der höheren Bildungs-
anstaltcn die allgemeine Grundlage zu gewinnen suchte,
ist Friedrich Zamcke gewesen, dessen wichtigste dies-
bezügliche Arbeit (Die deutschen Universitäten im
Mittelalter. Beiträge zur Geschichte und Charakteristik
derselben. Leipzig 1857) erst jüngst in diesen Blättern
(I, 4.) durch W. Fabricius eine wertvolle Ergänzung
erfahren hat Zamcke hat die zahlreichsten und bedeu-
tendsten Vorarbeiten, aber auch nur solche zu einer
wirklichen und umfassenden „Geschichte der deut-
schen Unh'ersitäten" geliefert. Diese zu schreiben hat
erst der Breslauer Professor Georg KaufTmann unter-
nommen, uns liegen die beiden ersten Bände, in längerem
Zwischenräume erschienen, vor. Das Werk, auf An-
regung und mit Unterstützung des preussischen Unter-
richtsministers verfasst, soll die Geschichte der Univer-
sitäten bis auf unsere Zeit behandeln. Kauffaianns Werk
enthält eine quellenmässig gegründete und wissenschaft-
lich vollwertige Darstellung, die daneben, insbesondere
im 2. Bande, den Reiz lebendiger Anschaulichkeit hat
Bei der ganz verschiedenartigen Entwicklung, die die
einzelnen Hochschulen im Laufe der verflossenen Jahr-
hunderte genommen und die erst in unserer Zeit in
einheitlichere Bahnen gelenkt wurde, besteht für den
Bearbeiter die Schwierigkeit darin, der Gefahr, eine
Geschichte der einzelnen Universitäten aneinander-
zureihen, zu entgehen und dafür ein Bild von den gemein-
samen Grundzügen ihrer Verfassung, von ihren Zielen
und dem Ergebnis ihrer Wirksamkeit auf Gesellschaft
und Wissenschaft zu geben. Kauffmann hat diese
Schwierigkeit glücklich bewältigt.
Der erste Band, welcher der Universität Bologna,
„welche zuerst der akademischen Freiheit rechtliche
Formen gab", gewidmet ist, behandelt die Vorgeschichte
des deutschen Universitätswesens und beschäftigt sich
daher hauptsächlich mit den Universitäten Italiens,
' In Frankreich und England existiert eine ganze Anzahl derartiger Vereine: die Soci&e' des amis des livres,
der Roxburghe-Club, The Sette of Odd Volume j, The Edinburgh Uibliographical Society u. s. w. Während die
englischen Vereine hauptsächlich Neudrucke alterer Werke in der geringen Anzahl ihrer Mitglieder veranstalten,
berücksichtigen die französischen auch lebhaft die moderne Litteratur und Buchausstattung. F. v. Z.
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142
Kritik.
Frankreichs und Englands. Eine genaue Scheidung
und Bestimmung der einzelnen Stände, Grade, Privi-
legien und Rechte wird versucht, und vor allem die
kulturelle Mission der einzelnen Anstalten, ihre Be-
deutung für das nationale Leben entsprechend gewür-
digt Naturgemäss muss an diesem Orte von einer
rein fachlichen Würdigung des Werkes abgesehen
werden und dieselbe einer anderen Gelegenheit über-
lassen bleiben. Nur soviel sei bemerkt, dass es wohl
wünschenswert gewesen wäre, wenn die vorhandene
umfangreiche Litteratur nicht nur benützt, sondern auch
fleissiger zitiert worden wäre, als dies durch das alpha-
betische Register der benutzten Werke geschehen ist
Der Verfasser hätte dadurch künftigen Arbeitern manche
Mühe erspart und sein Werk gewissermassen zu einem
umfassenden Grundrisse auf diesem Gebiete gestaltet
Das gleiche gilt dem zweiten Bande, der, die Entstehung
und Entwicklung der Deutschen Universitäten bis zum
Ausgang des Mittelalters schildernd, sich zu einem
farbenreichen Gemälde des Lebens und Treibens auf
den deutschen Hochschulen von anno dazumal erweitert.
Was Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deut-
schen Vergangenheit angedeutet, ist hier auf breiterer,
zumeist aktenmassiger Grundlage ausgeführt. Wir sehen
die Universitäten im Kampfe um ihre Selbständigkeit,
Schüler und Lehrer in fester Eintracht zur Förderung
und Unterstützung bereit, wir sehen, wie die Körper-
schaften Schritt für Schritt sich Boden und Privi-
legien erkämpfen, ohne dabei die im Inneren aus-
brechenden Zwistigkeiten unterdrücken zu können. Die
Fakultäten untereinander befehden sich, wie sie auch
mit der Universität, deren Glieder sie sind, Streit zu
beginnen keine Scheu tragen. Wir beobachten die
Studenten in ihren Bursen und Kollegien, beim Studium
in den Hörsälen, auf dem Marktplatze im Kampfe mit
den eingeschüchterten Bürgern oder kecken Hand-
werksgesellen, die Universität in Kriegsnot, in Acht und
Bann, dann wie die ganze Körperschaft die Stadt verlässt,
um sich anderwärts ein Heim zu suchen; wir werden
in das ganze so vielrädrige Getriebe einer mittelalter-
lichen Universität eingeführt, wie verwickelt die Studien-
ordnung ist, wie langwierig die Erreichung akademischer
Grade und Würden, wie schwierig der Stand der Pro-
fessoren, der in der Lehrfreiheit durch hundert Vor-
schriften, in der Ausübung seines Berufes durch die
nicht immer leise Willcnsäusserung der Zuhörer beengt
war, dann die Disputationen mit all den Feierlichkeiten
und Zeremonien im Gefolge. Wir lesen auch vom
Leben der Studenten manch interessantes Detail, so
wenn in Heidelberg der Senat einmal verbietet, die
Kapuzen der Mäntel nach Art der Reitersknechtc
zu tragen, oder ein andercsmal, die Vorlesung durch
Geschrei und Schimpfreden zu stören oder dadurch,
„dass sie einen Fuchs zwängen, das salve anzustimmen
oder mit Dreck würfen". Auch die Pedelle haben ihre
liebe Not mit den Musenjüngern; die Streitigkeiten und
Schlägereien wollen nicht aufhören, trotz aller Verbote
werden Waffen getragen, Wirtshäuser besucht mit
Würfeln und Karten gespielt. Der Fortschritt der
Wissenschaft ist nicht gross. Lehrziel und Lehrmethode
bleiben so ziemlich dieselben. Die Jurisprudenz artet
in Rabulistik, die Theologie in Spekulation aus. Ein
frischer Hauch in das allmählich stagnierende Leben
der Universität kam erst durch den Humanismus und
durch — Luther. „Er beseitigte die ganze scholastische
Theologie und damit die Hauptstütze der Scholastik
überhaupt, er beseitigte ferner im besonderen die bis-
herige Stellung des Aristoteles in der Wissenschaft und
der Studienordnung. Damit war die Bahn frei gemacht
für eine wirkliche Erneuerung des akademischen Unter-
richts — gleichzeitig auch für eine Neuordnung der
Verfassung der Universitäten".
Mit diesem Ausblicke schliesst der 2. Band des
Werkes. Der 3. wird mit Halle und Göttingen be-
ginnen und bis zur Gründung von Strassburg führen.
Möge er uns bald bescheert werden.
Im Anschluss an obige Besprechung sei eine Reihe
andrer neuerer Schriften zum Universitätswesen kurz
erwähnt Allen voran kommt hier in Betracht
Friedrich Zarncke: Aufsätze und Reden zur Kultur-
und Zeitgeschichte (Kieme Schriften II). Leipzig, Ave-
narius.
Aus dem Nachlasse des Altmeisters auf diesem
Gebiete, von dessen Sohne pietätvoll herausgegeben,
ist dieser Band zum grössten Teile mit Beiträgen zur
Universitätsgeschichte ausgefüllt. Neben den Recen-
sionen einschlägiger Werke aus dem durch fast ein
halbes Jahrhundert von Friedrich Zarncke geleiteten
„Litterarischen CentralblatC' findet sich eine Reihe
grosser Aufsätze aus sonst schwer zugänglichen Zei-
tungen, deren Abdruck man hier mit Freuden begrüssen
wird, so die weitausgreifende Rektoratsrede von iS8t
„Über Geschichte und Einheit der philosophischen
Fakultät" oder die seinerzeit in Tagesblättern abge-
druckten Abhandlungen „Einst und Jetzt Aus dem
Verfassungsleben der Universität Leipzig" und „Theodor
Kömers Relegation aus Leipzig", wie nicht minder den
bisher ungedruckten Aufsatz über „Caspar Borner und
die Reformation der Universität Leipzig". In den um-
fassenden Abhandlungen wie in den kurzen Anzeigen,
überall zeigt sich Zarncke als ein gründlicher Kenner
des Universitätswesens überhaupt, und insbesondere
war er wie kein zweiter mit der Geschichte der Uni-
versität Leipzig vertraut, an der er als Lehrer durch
lange Jahre erfolgreich gewirkt hatte. Die Lücke, die
sein Tod gelassen hat, ist noch nicht ausgefüllt.
Mit einem Gegenstande, dem auch Zarncke ein-
dringliche Aufmerksamkeit geschenkt, und den er als
erster gründlich erörterte, den Schülergesprächen, be-
schäftigt sich ein Beitrag von
A. Börner: Die lateinischen Schülergespräche der
Humanisten. Erster Teil. (Texte und Forschungen zur
Geschichte der Erziehung und des Unterrichtes in den
Ländern deutscher Zunge . . . herausgegeben von Karl
Kehrbach) Berlin, J. Harrwitz.
Die Schülergespräche, Dialoge für Schüler zur
Übung in der lateinischen Umgangssprache geschrieben,
sind durch die Mannigfaltigkeit der behandelten Gegen-
stände eine der kostbarsten Quellen für Kulturgeschichte
im allgemeinen und Kenntnis des Studentenlebens im
besonderen. Sie sind daher wiederholt zum Gegen-
stande der Forschung gemacht worden und haben auch
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Kritik.
»43
in einem zusammenfassenden grösseren Werke von
L. Massebieau, Les colloques scolaires du seisiime sücle
et leurs auUurs, Paris 1878, eingehende, wenn auch
nicht allzu gründliche Behandlung erfahren. Auf die
Erörterung dieses Gegenstandes von kundiger Seite
in diesem Blatte ist bereits oben hingewiesen worden.
Börner behandelt nun die Schülergespräche der
Humanisten. Durch Nachforschungen an gegen
40 deutschen und ausserdeutschen Bibliotheken ist er
in den Stand gesetzt, die Angaben Massebicaus vor-
nehmlich nach der bibliographischen Richtung hin
zu berichtigen und zu ergänzen. Anhebend mit dem
Manuale scholarum druckt er in dem vorliegenden
ersten Teile zehn solcher Dialoge von Paulus Kiavis,
Laurentius Corvinus, Desiderius Erasmus, Christopherus
Hegendorffinus und anderen ab, mit Einleitung und
reichlichen Anmerkungen verschen. Durch das für
den Schlussteil des Buches versprochene Sachregister
wird das Werk, mit dem die Reihe der im Auftrage
der Gesellschaft für deutsche Erziehung«- und Schul-
geschichte herausgegebenen „Texte und Forschungen"
glücklich eröffnet wird, an Brauchbarkeit wesentlich
gewinnen.
In eine zwei Jahrhunderte spätere Zeit versetzt
uns Der Leipziger Student vor hundert Jahren. Neu-
druck aus den „Wanderungen und Kreuzzügen durch
einen Teil Deutschlands von Anseimus Rabiosus dem
Jüngeren". (Leipziger Neudrucke I). Leipzig, J. C.
Hinrichs.
Unter dem Pseudonym Anseimus Rabiosus verbarg
sich der Schriftsteller Andreas Friedrich Georg Reb-
mann (1768— 1824). Die erste Auflage seiner „Wan-
derungen und Kreuzzüge", Schilderungen einer Reihe
deutscher Städte, ist gleich nach ihrem Erscheinen
1795 «n Leipzig von der Bücherkommission verboten
und die 235 Exemplare, die sich bei dem Buchhändler
Liebeskind vorfanden, sind konfisziert worden. Der im
folgenden Jahre erschienenen „zweiten ganz verbesserten
und umgearbeiteten und vermehrten Auflage" fügte,
wie wir dem Nachwort des von G. Wustmann besorgten
Neudruckes entnehmen, Rebmann einen zweiten Teil
hinzu, der sich — offenbar ein Akt der Wicdcrvergeltung
— ausschliesslich mit der Leipziger Universität, ins-
besondere mit der Leipziger Studentenschaft beschäf-
tigte und den Zweck hatte, Leipzig als Universitätsstadt
unter den deutschen Studenten in Verruf zu bringen.
Ob diese zweite Ausgabe auch wieder weggenommen
und verboten worden, ist ungewiss. Jedenfalls gehört
ihr zweiter Teil zu den grössten litterarischen Selten-
heiten und ist die Erneuerung dieses litterarischen
Kabinettstückes dankbarst zu begrüssen.
Nach Giessen fuhrt uns
Alfred Bock -. Aus einer kleinen Universitätsstadt.
Kulturgeschichtliche Bilder (I). Giessen, E. Roth.
Das Buch vereinigt eine Reihe früher in verschie-
denen Zeitschriften erschienener Aufsätze Goethe und
Professor Höpfner in Giessen, Klinger auf der Univer-
sität, Börne als Giessener Student, Goethe und Pro-
fessor Wilbrand, Fichte, Schleiermacher und Schmidt,
Blücher in Giessen, Karl Vogt im Jahre 1848. Der
Verfasser, der vielfach aus den Akten geschöpft hat,
giebt recht ansprechende und abgerundete Aufsätze;
leider hat er es verschmäht, den einzelnen Aufsätzen
die nötigen litterarischen und bibliographischen belege
und Quellen beizufügen. Weitere Bandchen sollen folgen.
Wien. A. L. Jellinek.
Die Kölner Büchermarken bis Anfang des XVII.
Jahrhunderts, herausgegeben von Paul Heits, mit Nach-
richten über die Drucker von Otto Zaretzky. Strassburg,
J. H. Ed. Heitz (Hcitz & Mündel) 1898. LH, 5 SS. und
LXIII Tafeln. Imp. 4 0 .
Schon wieder erfreut die Vcrlagsfirma die Freunde
der Buchdrucker-Kunst und -Zeichen mit einer Arbeit
von Paul Hcitz, dem sich für den Text der Assistent
an der Kölner Stadtbibliothek, Zaretzky, zugesellt hat
Eingeleitet wird dieses fünfte derartige Paul Heitzsche
Werk, zugleich das sechste in der Reihe der „Bücher-
marken oder Buchdrucker- und Verlegerzeichen" aus
Heitz' Verlag, mit einem Vorworte des Kölner Stadt-
bibliothekars Adolf Keysser, dem wir entnehmen, dass
die kürzlich in ein neues prächtiges Heim übergesiedelte
dortige Stadtbibliothek als gediegenen Grundstock eine
Fülle der seltensten, typographisch und litterarisch hoch-
bedeutenden älteren Druckwerke besitzt, deren Er-
schliessung eine der nächstliegenden Aufgaben der
Bibliothekverwaltung bilden solle. Nun giebt zwar
seit Jahren diese eigene „Veröffentlichungen" heraus,
nicht über eingezogene Böden, Anzahl der fertig gewor-
denen Titelkopien u. dgl., was in einen Bericht an
vorgesetzte Behörden passt, nein, Mitteilungen biblio-
graphischen Inhaltes; aber die Zaretzkysche Arbeit
wäre für diese zu umfangreich und zu teuer herzustellen
gewesen, und so musste es mit Freuden begrüsst wer-
den, dass die auf dem Gebiete der Buchdruckergeschichte
fortgesetzt sich hervorthuende Firma den Verlag über-
nahm. Keysser bezeichnet selbst die Zaretzkyschen
Nachrichten über die Drucker als „Vorarbeit" für die
von der Bibliothekverwaltung geplanten grösseren Ar-
beiten zur Geschichte der Druckkunst in Köln; sie sind
aber das Ausfuhrlichste, was man bis jetzt über dies
Thema besitzt Denn bis jetzt verbarg sich der Stoff
in etwas über 70 verschiedenen Büchern und Zeitschrift-
Artikeln, die Zaretzky als seine Quellen verzeichnet
(S. 3 — 5), eine Monographie zur Geschichte der Kölner
Buchdrucker gab es jedoch nicht Dagegen waren
Kölner Inkunabeln zweimal bearbeitet worden, zuerst
von L. Enncn in seinem Katalog der Inkunabeln der
Kölner Stadtbibliothek, Köln 1865, der nicht über Ab-
teilung I. hinausgekommen ist, und zuletzt von R. Busch
in seinem Verzeichnis der Kölner Inkunabeln in der
GrossherzogL Hofbibliothek zu Darmstadt, erschienen
in den Jahrgängen 6—8 des Centraiblattes für Biblio-
thekswesen, 1889—91. Durch das vorliegende Werk
erfahren wir von 58 Buchdruckern mit 23$ Signeten
und von 65 ohne solche, aus den Jahren 1466—165$.
Von jenen gehören 14 ganz oder zum Teil dem XV.
Jahrhundert an ; es sind Ulrich Zell, Arnold Therhoernen,
Peter von Olpe, Johann Koelhoff, Johann Veldencr,
Nikolaus Götz (von Schlettstadt), Konrad Winters (von
Homborg), Quentel, Ludwig (von Renchen), Cornelius
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144
Kritik.
(von Zyricksee), Hennann Bungart (von Kettwig),
Johannes Landen, Martin von Werden und Heinrich
von Keuss; etwa 40 lebten im XVI., die übrigen im XVII.
Jahrhundert. Da auf den Tafeln die Signete nur mit
Nummern versehen sind, so musstc ein besonderes
Verzeichnis der Werke beigegeben werden, in welchen
sich die Signete finden: es füllt die Seiten XXXVII—
LI., und ihm schliesst sich ein alphabetisches Verzeich-
nis der Drucker und Verleger an: S. 1—2., und somit
wäre den meisten Ansprüchen genügt. Aber nicht
allen, denn es dürfte sich doch empfehlen, solchen
Signetwerken noch zwei Register beizugeben, —
auf 4—5 Seiten kommt es wohl bei so wichtigen Wer-
ken nicht an, — nämlich eins über die Initialen bez.
M onogrammc und ein anderes über die De visen. Wenn
man in einem Buche ein Signet mit den Buchstaben
„i k" ohne Namen des Druckers oder Verlegers, aber
mit Angabe des Ortes findet, so muss man, um Johann
Karlhof als dessen Inhaber zu entdecken, alle Signete
durchsehen, ebenso bei Devisen; ja, wenn der Ort
verschwiegen ist, dann muss man aufs Gcradcwohl alle
möglichen Werke durchblättern, eine zeitraubende
Arbeit, die sehr eingeschränkt wurde, wenn man,
besonders im letzteren Falle, solche Register vor-
fände.
Zum Schlüsse nur noch die eigentlich nicht hierher
gehörende, aber gewiss vielen Freunden der Heitzschcn
Büchermarken interessante und erfreuliche Mitteilung,
dass in Madrid das Manuskript einer grossen, das ver-
dienstvolle Haeblcrsche Werk über spanische und
portugiesische Signete an Umfang wcitübcrtrefTenden
Arbeit eines spanischen Bibliographen desselben In-
haltes ruht, — weil die Druckkosten zu grosse sind.
Avis au Iccteur! P. E. R.
's Freindl. Von Otto Berner. Heft I. Berlin,
Mcusscr, Messer & Co.
Wem ists nicht schon passiert, dass er einen lusti-
gen, in Weinlaune verübten Streich erzählen wollte,
und siehe da, der Streich war garnicht so lustig! Die
Wcinlaune fehlte eben, und die Nüchternen warteten
kopfschüttelnd auf die Pointe. Herrn Beraers Humor
setzt eine gleich feuchtfröhliche Stimmung voraus, wie
sie den Künstler zur Zeit der That beherrscht hat.
Seine Blätter erinnern mehr an das Fremdenbuch einer
genialen Kneipkumpanei, als an ein sclbstständigcs
Kunstwerk, das mit 6 M. veranschlagt ist Dass wir es
mit einem genial veranlagten Künstler zu thun haben,
verraten die leicht hingeworfenen köstlichen Typen-
studien „Mein Freind" und der St. Lukas mit seinem
urkomischen Vogelvieh — verrät vor allem aber ein
Frauenköpfchen von so entzückender Schönheit und
leicht hingehauchter Grazie, dass man das Überwiegen
des grotesk-komischen Elements im Genre des „kleinen
Moritz" nur doppelt bedauern kann. Eine originelle
Initiale möchten wir noch erwähnen, nämlich einen
Schlangenleib, der in dem Kopf einer altdeutschen
Xantippe endet und dessen Windungen höchst unge-
zwungen ein S, ein D und nochmals ein S bilden, —f.
Bogitennen, udgiv ct af Forening for Boghaandvaerk
(Der Bücherfreund, herausgegeben vom Verein für
Buchhandwerk) 1896. Kjöbenhavn, E. Bojescn.
Die Zeitschrift der dänischen Bücherfreunde bringt
in jedem neuen Jahrgang neben dem Jahresbericht
über die Thätigkeit der Fachschule für Buchhandwerk
eine Reihe gediegener Fachaufsätze. Der erst neuer-
dings erschienene Jahrgang 1896 beginnt mit einer
Abhandlung des Ägyptologen O. Langt über das
Schrift- und Buchwesen im alten Ägypten. Nach ein-
gehender Behandlung der bei den Ägyptern gebräuch-
lichen Schreibmaterialien (Papyrus, Holztafeln, Kalk-
steinplatten, Thonscherben, Pergament) giebt der Ver-
fasser eine Übersicht über die verschiedenen Zweige
der ägyptischen Litteratur und verweilt besonders bei
dem interessanten Kapitel von den illustrierten Toten-
büchem. — In einem „Beitrag zur Geschichte der Fibel-
Litteratur in Dänemark" weist Julius Clausen nach,
dass dereinst in Dänemark ein ABC- Brett, ähnlich dem
„Horn-Book" der Englander in Gebrauch gewesen sein
muss. 1 Denn in einer Komödie des dänischen Lust-
spieldichters Ludw. Holberg (1684 — 1754) wird ein
Schulmeister mit dem Schimpfwort „Du ABC-Brett"
beehrt. Die älteste der erhaltenen dänischen Fibeln
ist erst im Jahre 1731 gedruckt. „Kleine Drucksachen
überstehen schwer die Fährnisse der Zeitläufte. Es
scheint fast, als ob nicht die Bedeutung, sondern die
Grösse eines Buches für seine Daseinsdauer bestimmend
ist, dass ein Buch, je kleiner es ist, um so schwerer den
Kampf ums Dasein besteht" Die dänische Fibel hat
in ihrer Entwickelung wesentlich unter deutschem Ein-
fluss gestanden. So ist der Hahn, der auf der Nürn-
berger Fibel v. J. 1537 erscheint, ebenfalls auf den
dänischen ABC-Büchern ein beliebtes Symbol des Früh-
aufstehens und der Aufmerksamkeit. Aus Deutsch-
land entlehnte man auch die geistreichen zoologischen
ABC-Verse. — Dem i J. 1896 verstorbenen englischen
Buchreformator William Morris widmet F. Hendriksen
einen Nachruf, der über das Leben und Wirken des
verdienten Mannes ausfuhrlich berichtet, und der mit
Wiedergaben von charakteristischen Buchseiten aus
seinen in der Keimscott Press gedruckten Werken ge-
schmückt ist. — Aus dem angefügten Jahresbericht der
Fachschule für Buchhandwerk sieht man, dass diese auf
das beste gedeiht. Die Zahl der Schüler nimmt stetig
zu, und die jährlichen Prüfungen ergeben meist über-
raschend gute Resultate. D.
« Das alte englische Hornbuch bestand aus einem Stück Pappe, auf dem das Alphabet und das Vaterunser
gedruckt waren. Als Schut* gegen Unsauberkcit diente eine durchsichtige Homscheibe und als Einfassung ein
Holzrahinen, der unten mit einer Handhabe versehen war. Vgl. A. W. Tuer, History of the Horn-Book. London 1895.
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145
Early Printed Boots by Rodert Praetor. London,
Kegan Paul, Trübner & Go.
Unter der bescheidenen Form eines Index für die
Frühdrucke im British Museum und der Bodleian Biblio-
thek hat Mr. Robert Praetor thatsächlich eine detail-
lierte Geschichte des goldenen Zeitalters der Inkunabeln
geschaffen. In dem ersten uns vorliegenden und über
Deutschland handelnden Abschnitt wird uns die Arbeit
der Drucker bis zum Jahre 1500 vorgeführt und er-
läutert, insoweit sie sich in den beiden grossen Biblio-
theken befindet Da letztere aber etwa 40 Prozent aller
aus dieser Epoche herrührende Bücher besitzen und
sogar 60 — 70 Prozent solcher Drucke, die wirklichen
Wert darstellen, so ist Proctors Sammelwerk um so
willkommener. Der zweite Abschnitt des Index soll
über die in Italien hergestellten Drucke handeln. Der
dritte Teil wird England, Frankreich und die übrigen
Staaten von Europa umfassen, deren Erzeugnisse nicht
entfernt an Deutschland heranreichen. Der Index stützt
sich in seiner Anordnung nur auf den typographischen
Punkt hinsichtlich des Merstcllungsortes für den Druck.
Nachdem 54 Ausgaben von Blockbüchern genannt sind,
beginnt der Index mit Aufzählung der in Mainz ge-
druckten Werke. Unter den Büchern der beiden Biblio-
theken bis zum Jahre 1500 werden für Mainz 11 ver-
schiedenen Offizinen angenommen, von denen 5 anonym
sind. Von Peter Schoeffer und Fust besitzen die ge-
nannten Bibliotheken 19 Bücher, von Peter Schoeffer
allein 62 Werke. In diesen 81 Büchern wurden 9 ver-
schiedene Typen im Gebrauch vorgefunden. Das
Besondere in dem Index bildet der Umstand, dass
erstens für jedes Buch die Typen genannt werden und
dass ferner der Nachweis erbracht wird, in welchem
andern Buche sich diese Typen gleichfalls noch vor-
finden, ob sie nun von Schoeffer gedruckt sind oder
nicht. Endlich wird versucht, die undatierten Werke in
die richtige Reihenfolge einzuschieben, so dass Jahr
für Jahr die Erzeugnisse jeder Druckerei angegeben
werden, soweit es sich eben um die beiden Bibliotheken
handelt. Und was für Mainz zusammengestellt ist,
geschah auch für Strassburg und jede andere deutsche
Stadt, je nachdem dort Drucke zur Ausgabe gelangten.
Die bibliographischen Werke Fischers, Panzers und
H ains haben auf diese Weise eine nicht zu unterschätzende
Bereicherung erfahren. Im vierten Teil der Arbeit soll
schliesslich auch ein nach den Namen der Autoren ge-
ordnetes Register veröffentlicht werden, das die Über-
sicht noch mehr erleichtern helfen wird. v. S.
Chronik.
Mitteilungen.
Eine büchersammelnde Bauernfamilie. — In
meinem Heimatskirchspiele Heeslingen liegt der
einstellige Vollhof Ahof, in den alten Urkunden
des Zevener St. Viti-Klosters Hrodmundesa, um
1500 herum Rotmansa genannt Hier wohnt seit
Jahrhunderten eine Bauernfamilie Albers — echte
Niedersachsen.
Alle Vorfahren dieser Familie seit 1571 haben
Bücher gesammelt, entweder Werke, welche flir
sie von praktischem Nutzen waren wie Gesetz- und
VieharzneiblicheT oder aber religiöse Erbauungs-
schriften; daneben jedoch — kurz gesagt, die Bücher
des jeweiligen Zeitgeschmackes. Alle Mitglieder
dieser bUchersammelnden Bauernfamilie aber sind
dabei wackere, praktische Bauern gewesen —
keiner ist aus dem Stande herausgetreten und etwa
Lehrer oder Pastor geworden.
In letzter Zeit ist nun der BUcherschatz in Ahof
ganz bedenklich zusammengeschmolzen; das heute
Vorhandene bildet kaum die Hälfte des noch vor
1 5 Jahren dort befindlichen Büchermaterials. Immer-
hin lässt sich auch aus diesen Resten noch die
ehemalige Zusammensetzung erkennen und so will ich
hier an der Hand der Bücher etwas darüber mitteilen.
Z.f. B. 98/99-
Vorbemerkt sei: Durch mehrere Erbschafts-
teilungen ist schon in früheren Jahren der Bücher-
bestand in Ahof wesentlich vermindert worden; so
z. B. bestimmt eine vor mir liegende Ehestiftung
vom Jahre 1818 die Teilung der Bücher zwischen
den beiden Brüdern Johann und Hinrich Albers.
Das älteste Buch der Sammlung ist ein Fo-
liant vom Jahre 1563. Er enthielt die Werke:
Moscouitische Historien (Heinr. Pantaleon), gedr.
zu Basel bei Nie. Brillinger vnd Marx Russinger
1563; mit blattgrossen Holzschnitten, und: —
Türkische Historien. Von der Türken Ankunft/
Regierung / Königen / vnd Keysern / Kriegen/
Schlachten / Victorien vnd Sigen / wider Christen vnd
Heiden . . . Aus dem Italienischen von Dr. Heinr.
Müller. Frankfurt a/M. 1 563. Mit zahlreichen Por-
träts. Angehängt ist der Abdruck von Luthers
Schrift: Von Krieg wider den Türken, 1529. —
Der Band trägt vom folgende Einschrift: „Dises
Buch habe ich auf einer Auction in Sittensen I$J2
für 10 Je. gekauft. Johann Albers" — (Sittensen ist
ein 10 Km. von Ahof entferntes Kirchdorf. Hier
lebten die Herren von Schulte.) — Dann folgen:
I tiner ari um, Das ist / Ein Reisebuch / Uber das
Newe Testament Wittenberg, Zacharias Kraft, 1587.
Mit merkwürdigen Karten — Newe Keyser Chronica.
Magdeburgk, Druck von Joachim Böel, Verlag von
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Ambrosii Kirchners. 161 4. — In diese Zeit durften
auch die in Resten erhaltenen „///ustrirten Kräuter-
bücher" zu setzen sein. Aus dem XVII. Jahrhundert
stammen femer: Waldenser Chronik. Mit Titel-
holzschnitt 1655 — und mehrere sehr unvoll-
ständig erhaltene landesgeschichtliche und religiöse
Werke, so z. B. Jagd- Policey- und Teich- Ordnung
in den Herzogthümer Bremen -Verden. 1693,
und ein Druck der Peinlichen Halsgerichtsordnung
Karls V. —
Am reichsten ist das XVIII. Jahrhundert ver-
treten. Nach allgemeinen Gruppen geordnet sind
es folgende Bücher: a) Geschichte und Rechtskunde:
Gottfried Achenwall, Geschichte der allgemeineren
Europäischen Staatshändel u. s.w., Göttingen, 1761 —
Siebenfacher KönigL Gross-Bntt. u. Churf.Braunschw.
LUneb. Staats-Calmdcr auf 1775, Lauenburg bei
Joh. Georg Berenberg — /oh. Math. Schröhh,
Allgemeine Weltgeschichte für Kinder, Leipzig,
Weidmanns Erben und Reich 1787 — Ihrer
König!. Majestät zu Schweden Brem- und Vehr-
dische Hoffgerichts- Ordnung. (Stade, 1675) .An-
zutreffen bey Ernesto Gohlen, Buchhändlern
daselbst" — Samuel von Pufendorffs Werke über
Natur u. Völker Recht, 1 7 1 1 — Einleitung in die
bürgerliche Rechtsgdchrsamkeit für diejenigen, so
keine Rechtsgelehrte sind. Von Dr. Joh. Jacob
Lange. Schwerin 1781. — b) Religiöse Werke.
Arndts Wahres Christenthum, Lüneburg 1730, bei
Stern — Dr. Heinrich Müllers Evangelischer
Hertzens-Spiegel, Minden 1761 — Dr. Joachim
Lütkemanns, Apostolische Aufmunterung, Minden
1768. — c) Schöne Litteratur: Werlhofs Ge-
dichte, 1749 — 0. Albrecht Halters Versuch
Schweizerischer Gedichte. Vierte Auflage. Mit
Kupfern. Göttingen, Abram Vandenhoek, 1 748 —
Johann Friedrich Löwens Poetische Nebenstunden,
Leipzig, Johann Wendler 1752 — „Der Messias."
Halle, im Magdeburgischen, Verlegt von Carl
Herrmann Hemmerde 1751. Erster Band. (Mit
Titelkupfer) — Brocke „Irdisches Vergnügen in
Gott" — Bodmers Gedichte — ,J)ie Räuber.' 1
Ein Schauspiel. Frankfurt u. Leipzig. 1781, die
erste, sehr seltene Ausgabe. — Ja sogar der Streit
Lessing-Goeze ist bis in die stille Heide nach Ahof
gedrungen In einem (arg zerfetzten) Sammelbande
ist erhalten: „Noch nähere Berichtigung des Mähr-
chens von 1000 Dukaten oder Judas Ischarioth,
dem zweyten. Monath December 1779." —
d) Moralische Schriften und Verschiedenes. —
Schau Bühne, oder Teutsehe Physic: Eröffnet durch
Theodor Hersfeld, Joh. Pfingsten, Verlag des
Waisenhauses. 17 14 in Frankfurt u. Leipzig —
Joh. Adolf Hoffmanns Zwey Bücher von der Zu-
friedenheit, Hamburg 1742 — Christan Thomasens
Einleitung zu der Vemunfft Lehre. Halle 1 7 1 9 —
Derselbe: Von der Kunst Vernünftig und Tugend-
haft zu heben, Der Einleitung der Sittenlehre.
Halle 1730. (In diesen Sammelband schreibt
H. Albers 1804 ein: „Diss Buch] führet seinen
Grund Zwar deutlich aber Weitleufb'g auss, und
ist aber mein Lehrreichste Buch dass ich gelesen
habe.") — Menota, Ein Asiatischer Printe, welcher
die Welt umher gezogen Christen zu suchen, . . .
Aber des Gesuchten wenig gefunden. Aus dem
Dänischen Ubersetzt Copenhagen,Kiselgedr. 1747 —
Conrad Met\ Kurtzer Begriff der Kirchen Historie,
171 2 (die ganze bibL Geschichte gereimt) —
Pubiii Ovidii . . . Epistol . . . Heroidu, oder Brieffe
der Heldinnen, Quedlinburg u. Aschersleben, Müntz,
1723 — Cosmographia , oder Erdbeschreibung,
(drei verschiedene, alle sehr defect) — Historia
von dem Edlen Finken- Ritter, . . . Herrn Paly-
carpo von Kirrlarissa, Gedruckt in diesem Jahr,
(ca. 1715—20) — Die Familie Hokenstam, oder
Geschichte edler Menschen, von Christ Soph.
Ludwig. Leipzig 1796 — („Diss Buch ist zwar
edel, aber tu langweilig. H. A") — Vermächt-
niss an Helene von ihrem Vater. Vom Verfasser
des Greises an den Jüngling mit einer Vorrede
von Adolph Freyherrn Knigge. Bremen, bei Fridrich
Wilmans. 1798. (Mit Titelkupfer) — Anleitung
für den geringen Mann in Städten und auf dem
Lande, in Absicht auf seine Gesundheit; von Herrn
Tissot. Petersburg. Auf Kosten einer Gesellschaft.
1774 — Hausvieh • Artney buch, von Prediger
/. C. Giesecken. Magdeburg 1792. („Ist offtmals
verkehrt H. A.") — Herrn Johann Hübners Reales
Staats-Zeitungs- und Conversations-Lexicon. Leipzig,
bei Friedrich Gleditschens Erben. Anno 1724. —
Aus diesem Jahrhundert waren in früheren
Jahren in Ahof eine grosse Anzahl Bücher pikanten
Inhalts erhalten, „Curieux Liebes-Affären" u. s. w.,
die heute nicht mehr vorhanden sind. Ich ent-
sinne mich nur eines Titels mit ziemlicher Ge-
wissheit: „Scherte vnd ernsthafte Gespräche im
Reiche der Liebe" . . .
Bibel-Ausgaben haben sich in Ahof drei erhalten:
„Die Propheten alle Deutsch. D. Mart Luth. Cum
Gratia & Privilegio, Wittenberg, Gedruckt durch
Lorentz Seuberlich M.D.XC1X" (Erstes Titelblatt
fehlt) Dann eine Folio -Ausgabe der Bibel der
von Sternschen Druckerei in Lüneburg von 1703,
(mit Holzschnitten) und eine Grossquartausgabe
der heiligen Schrift: „Schiffbeck bey Hamburg, Bey
Jacob Rebenlein, Hofftirstl. Schleswig-Holsteinischen
Privilegirten Buchdrucker." (ca. 1750.) —
Seit 1820 etwa lässt das BUchersammeln nach,
oder es treten landwirtschaftliche und landesge-
schichtliche Werke ausschliesslich an die Stelle der
früheren Vielseitigkeit Seit 1848 sind es die
Tageszeitungen, welche die Bücher verdrängen.
Wie sein Vorfahr Hinr. Albers das hannoversche
Magazin" lange Jahre hält, so kommt nun bei
Jon. Albers das „Hannoversche Volksblatt" von
Dr. Arnold Schroeder an die Reihe — der Jahr-
gang 1 848 ist allein eingebunden erhalten. Später
erscheint jahrzehntelang die „Weserzeitung" auf
dem einsamen Bauernhof, und der heutige Besitzer
erhält täglich seine Berliner Tagesblätter.
Das BUchersammeln in Ahof hat aufgehört.
Was an alten Büchern noch der Erhaltung wert
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Chronik.
147
war, kam in meine Sammlung — über 100 Werke,
die keinen Anfang and kein Ende mehr hatten,
sind der gänzlichen Vernichtung anheim gefallen.
Zeven. Hans Müller-Brauel.
Wer hat Luthers Thesen gedruckt? Diese Frage
beantwortet neuerdings der Ober-Bibliothekar Dr.
G. Wustmann im Leipziger Tageblatt dahin, dass
dieser Druck nicht etwa in Wittenberg, sondern viel-
mehr durch Melchior Lotther in Leipzig hergestellt sei.
Das ist keine Neuigkeit; er bestätigt dadurch nur die
Ansicht, welche der Bibliothekar an der König!. Biblio-
thek zu Berlin Dr. Johannes Luther schon 2 Jahre
vorher in der Festzeitung zum 200jährigen Universitäts-
Jubiläum der Universität Halle, No. 3 und 4 vom
2. und 3. August 1894, aufgestellt und bewiesen hatte.
Es handelt sich dabei um den nur noch in zwei Exem-
plaren, auf der Königl. Bibliothek zu Berlin und in der
Bibliothek des British Museum zu London, vorhan-
denen Plakatdrutk von Luthers Thesen, welcher bei
der Einweihung der Schlosskirche zu Wittenberg am
31. Oktober 1892 in Facsimilewiedergabe nach dem
Berliner Exemplar den Teilnehmern der Feier über-
reicht wurde. Dieser Druck wurde schon von dem
Begründer der weimarischen Kritischen Gesamtausgabe
von Luthers Werken, Pfarrer D. Knaake, i. J. 1883 im
ersten Bande dieser Ausgabe aus inneren Gründen als
derjenige Druck der Thesen bezeichnet, welcher dem
Reformator am nächsten stehe. Den Drucker dieses
Blattes aber, der sich, wie das in jener Zeit ungemein
häufig war, nicht genannt hat, hatte Knaake nicht er-
mittelt. Und doch ist es nicht nur interessant,
auch nicht unwichtig, über die Herkunft dieses
Denkmals der Reformationshtteratur auf das genaueste
unterrichtet zu sein; denn die allgemeine Meinung, die
selbst die Fachleute hegten, bevor dieses Blatt leichter
zugänglich war, und die dahin ging, dass höchst wahr-
scheinlich Luthers erster Drucker Johann Grünenberg
in Wittenberg das Blatt gedruckt habe, ging eben Uber
den Grad der Wahrscheinlichkeit nicht hinaus. Ein
zweiter Plakatdruck, von welchem je ein Exemplar auf
der St. Michaels-Kirchenbibliothek zu Zeitz und im
Königl. Geheimen Staatsarchiv zu Berlin bekannt ist,
wird von Knaake als nüm bergischer Druck betrachtet
Eine Ausgabe in Buchform in Quarto, die mit dienen
Plakatdrucken etwa gleichzeitig ist, kommt für die
Frage nach dem Originaldruck gar nicht in Betracht
Für jenen ersten Druck standen nun von den mannig-
fachen Mitteln zur Erforschung des Druckers nur das-
jenige der Typen zur Verfugung. Die Typen haben
in jener Zeit für die einzelne Druckerei zumeist noch
ein derartig eigenes charakteristisches Gepräge, dass
man durch sie ohne grosse Schwierigkeit den Drucker
ermitteln kann — wenn man erst einmal weiss, wem
sie gehören. Auf diese Weise haben sowohl Wustmann
wie vor ihm J. Luther nachgewiesen, dass dieser erste
Thesendruck nicht von einem wittenbergischen Drucker,
sondern von Melchior Lotther in Leipzig hergestellt
ist, zu welchem Luther von dieser Zeit an in regster
den hat; wenige Jahre später richtete sogar der alte
Melchior seinem gleichnamigen Sohne in Wittenberg
eine eigene Druckerei ein, die dort eine Reihe von
Jahren, auch unter Beihilfe des zweiten Sohnes Michael
Lotther, bestanden hat und aus welcher eine grosse
Anzahl lutherischer Schriften hervorging. Während
nun Wöstmann sich damit begnügt den Leipziger
Melchior Lotther als Drucker festgestellt zu haben, ist
J. Luther seiner Zeit noch weiter gegangen und hat
nachzuweisen gesucht dass mit dieser Feststellung
des Druckers auch die bisherigen Ansichten über den
Anschlag und die Verbreitung der Thesen einer Ab-
änderung bedürfen. Diese Ansichten gingen bekannt-
lich dahin, dass, wie auch Wustmann noch annimmt,
Martin Luther seine Thesen handschriftlich an die
Thür der Schlosskirche angeschlagen, und weiter,
dass die Presse sich wider seinen Willen der Sache
bemächtigt habe. Das lässt sich nach den Aus-
fuhrungen J. Luthers in diesem Umfange nicht mehr
aufrecht erhalten. Denn erstens geht aus diesen
a. a. O. hervor, dass Martin Luther die Thesen bereits
vor der Disputation, mit welcher er am 31. Oktober
15 17 auf den Kampfplatz trat, bei Lotther in Leipzig
hatte drucken lassen, wie er auch für ihren Versand
vor der Disputation bereits Sorge getragen hatte.
Damit aber hat er, wenn auch diese Art der Veröffent-
lichung nur eine beschränkte war, sie doch selbst der
Presse Ubergeben, und nur die Schnelligkeit ihrer Ver-
breitung und das Aufsehen, welches sie überall verur-
sachten, erregte sein Staunen. Lagen aber einmal
gedruckte Exemplare vor, so ist weiterhin die Annahme
nicht von der Hand zu weisen, dass Luther sie auch in
dieser gedruckten Form, nicht handschriftlich, an die
Schlosskirche angeheftet hat. — r.
M e inungsaustausch.
Die Geschichte eines Patriotischen Kaufmanns,
2. Aufl. 1769, ist die Selbstbiographie des Berliner
Kaufmanns J. E. Gotzkowsky. Zuerst erschienen 1768,
neu abgedruckt in den Schriften des Vereins für Ge-
schichte Berlins. Heft VII, 1873. In Kommission bei
E. S. Mittler & Sohn.
G. Weüstein.
In dem Artikel „Ein Annalemoerk der Litho-
graphie" (Heft II) wird des Rappschen Bäderatlas zu
semem Lehrbuch Erwähnung gethan. Es durfte
interessleren, zu erfahren, welches ausser den beiden
allegorischen Zeichnungen nach Michel Angelo noch
der Inhalt dieses Werkes ist. Es finden sich in ihm :
2 Kreidezeichnungen: Landschaften, HR 1808.
1 Federzeichnung: Landschaft, Dattenhofer sculp.
1 Federzeichnung: Ansicht einer alten Stadtmauer.
Federzeichnungen: Auf einem Blatt acht Allegorien
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l 4 8
Der Plan der Tuilerien, in Stein gez. von J. Carl
Ans/elJ,
Stereotypen auf Stein von //. Rapp.
J.A.
Zu der in Heft I S. 30 angeführten Liste der
Bücher, die nachweislich in Fischarts Besitz waren
und mit dessen Namenseintragung versehen sind, muss
noch hinzugefügt werden die Cosmographia PetriApiani.
Köln 1574. (VgL Ernst Martin in den „Strassburger
Studien" 3. S. 146), die auf der Strassburger
Universitäts-Bibliothek aufbewahrt wird.
grossen Gravüre, Christus am Kreuz; M 66b): Joh.
Marchesius „Mammotrectus super bibliam, Mainz,
Schöffer, 1470 (mit den Durandustypen; M. 300);
„Horae Maguntiensis, Schütter 1488 (unbekannter
Druck, gotisch, rot und schwarz; M. 650); „Aesopi
fabularum Uber", s. L (Poitiers, ca. 1490 ; Druckermarke
statt Titel; das einzige bisher bekannte Exemplar in
der Bibliothek zu Rouen; M. 1200); Basilius „Novus
elegiansque conficiendar. epistol" . . . Saint-Die", 1507
(Unikum ; das letzte Exemplar in Strassburg verbrannte
1870; M. 1500); „Processionarium ord. Praedkaiorum'\
Sevilla 1494 (erstes spanisches Buch mit Musiknoten;
nur noch 2 Exemplare in Paris und London; M. 1500);
McUllfchaitt aus Turreeremata« „Meditationet", Albi 14B1.
(Im Belitz« ron Jacquci Roicnthal in München.)
S. 21. Spalte rechts Z. 12 von unten muss es heissen
Cardanus statt Candanus.
Prag. A. Haufen.
Antiquariatsmarkt
Im Anschluss an die Notiz unter dieser Rubrik im
letzten Hefte seien aus dem Katalog No. 18 des Buch-
und Kunstantiquariats von Jacques Rosenthal in
München noch die folgenden sehr interessanten Selten-
heiten hervorgehoben:
Das erste in Albi in Languedoc von Jean Nummeister
(Neumeister) gedruckte Buch von Joh. de Turreeremata
„Mcditationes posite de ipsius mandato in ecclesia" . . .
1481, mit 33 Metallschnitten (M. 7000); „Missale Basi-
leense" (ca. 1478; von Weale nicht ädert, mit einer
Anscharius „Oratiuncula sive collecta . . . omnes
psalmos", s. L et d. (wahrscheinlich Stockholm, ältestes
Werk eines Christen, geborenen Hamburgers, im
Norden; M. 1200).
An Pergamentdrucken verzeichnet der Katalog
zehn Nummern, fast durchweg Seltenheiten ersten
Ranges. Zahlreich sind die Illustrationswerke des XV.
und XVI. Jahrhunderts vertreten. Darunter: Acneas
Sylvius „Lystoire de deux a vrays amans Eurial et
Lucresse", Lyon ca. 1490 (Unbekannte Übersetzung in
Versen; M. 2200); Bibel, Frankfurt, Egcnolf, 1534
(mit Behams Holzschnitten, hier zum ersten Male ab-
gedruckt; M. 600); Vierzehnte deutsche Bibel, Augsburg,
Otmar, 1518 (M. 610); Bibel, Nürnberg, Peypus, 1524
(M. 800); Schweiger Bibelübersetzung (von Leo Juda),
Zürich, Froschowcr, 1524/29, vollständiges Exemplar;
M. 1200); Bauchet „Von den losen Füchsen dieser
Welt", Frankfurt 1546 (Das einzige Exemplar war in
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Chronik.
149
ton
Hcyses Bibliothek; 84 Bl., 4 0 , 13 Holzschnitte; M. 37s);
„Compost des Bergers" , Paris 1497 (Unikum; Fol., got,
65 Holzschnitte; M. 850); Josephus Flavius „De Bello
Judaico", Leyden 1566 (mit Holzschnitten von Wociriot;
nur 2 Exemplare bekannt; M. 2000) ; Staffier „Römisch
Calender", Oppenheim, Köbel, 1518 (Exemplar der
Philippine Welser mit Namensinschrift und Randbe-
merkungen; M. 375); „Das teglich Brot von der seyt",
Hagenau 1522 (got, 8 Vorbl., 155 Bl., 3 Bl. Reg., Fol.;
unter der Vorrede „Hierony-
mus aus dem Kloster RebdorfT ' ;
bisher unbeschrieben; M. 450).
Unter den Werken mit be-
rühmten Einbänden befinden
sich: ein Josephus Flavius,
Venedig 1544, in einem Cane-
varius (M. 2800); Aristoteles
„Libri politicorum", Paris,
Stcphanus, 1 5 1 1 und Xenophon,
ebda., 1 $ 1 1 , schwarzerM aroquin
mit Wappen Franz I. (M. 1800);
Xenophon „Opera", Basel 1534,
braunes Kalbleder, Grolier
(M. 2800); Cicero, Paris 1545,
braunes Kalbleder, Diane von
Poitiers (M. 250) ; Augustinus
„Dialogi", Rom 1592, roter
Maroquin, de Tkou (M. 150)
und zahlreiche andere.
An Bibelausgaben enthält der
Katalog ausser den schon oben
genannten u. a. noch mehrere
Manuscripte und ausserdem
die zweite deutsche Bibel,
(Strassburg, Mentel, 1466; M.
2500) die vierte, Bd. 1 (Nürn-
berg, ca. 1475; M. 600); die
fünfte (Augsburg, ca. 1473; M.
1275); die sechste (Augsburg,
1477; M. 1200); die neunte
(Nürnberg 1483; M. 500); die
erste Kölner in niedersäch-
sischer Mundart(Köln, ca. 1475;
M.450). Sehr reichhaltig sind
ferner die Rubriken „Amerika'*,
„England 1 , „Bibliographie",
„Böhmen" C.Biblia croatica",
Evangelisten und Apostelge-
schichte, Tübingen 1562; M. 150), „Katechismen"
(Calvins „Catecismo", Genf ISS9. 2- Ausgabe, M. 300;
Leo Judas „Grösser Catechismus", Zürich 1534, M.
200), „Jagd 1 , „Trachten", „Schach", „Reittuns f, „Fecht-
bücher", „Spanien", „Exlibris" (Alfieri [M. 20], Sebald
Beham [M. 66], Dürer, Wappen mit Löwe und Hahn
[M. 220], Johann von Regensburg [M. 80], Virgil Solis
[M. 48], Herzog Wilhelm von Bayern [M. 40].)
Aus der Abteilung „Frankreich" seien erwähnt:
„Cent nouuelles nouueltes" Paris, ca. 1520, Ülustr.(M. 600);
Christine de Pisan „Les cent hystoires de Troyes", Paris
1522 (M. 2200); Martin Franc „Champion des dames",
Lyon ca. 1485 (M. 2000); „Lhistoire de Gerard de
St*
2(6enfeuerlti$enSimp!icii
QSecfet>cfe SBelt.
Sftic^C / foie e$ fcf^etnef/
DemCefer Alfrin jur Cufl un&
nem(id) enfroorffert
Simort lertflfn'fd; t>5 &drt<nfc.5.
tifuI'Äupfr r$ Grflarunrj
Tin £irfd) itn fi'it>ncn 3ä<jrr Uqif
TcDft,? manrhmafjl Den ü?ffe^rfd)läg(/
Z rr 2irm Dem deichen <cttuu tri^U
3ur 5lrbcil 0 r 1 6olt)ai fici regt/
Der $autr in 2Ba([t n fidj ittot af/
©eld) 2>tng. Bit 2$}<lt ju iibrn
Titel von Grimmel. hauten. „Verkehrter Welt",
o. O. 167t.
I ia I
Nevers", Paris 1520 (einziges bekanntes Exemplar der
ersten Ausgabe ; M. 2500); „Romant nomme Jehande
Paris", Lyon ca. 1525 (M. 3000); „Lancelot du Lac",
Paris 1533 (M. 2600).
Altere deutsche Litteratur: „Eyn Christenlich nutz-
bar Betbüchlein", Nürnberg ca. 1520 (M. 60); Eberlin
v. Günzburg „Die 15 Bundtgenossen", Basel 1521 ;
(„vollständig fast unauffindbar" sagt der Katalog; mir
kam kürzlich ein trefflich erhaltenes Exemplar durch
die Hände; M. 450); Fischart
„Eulcnspiegel Reimens weis"
Frankfurt ca. 1580 (M. 300);
„Hystori der Florio und Bian-
ceffora", Metz 1500 (M. 300);
Grimmelshausen „Verkehrte
IVeir, o. O. 1672 (M. 60);
Logau „Hundert Teutscher
Reimen", Breslau 1638 (wohl
Unikum; M. 500); Wandkalen-
der deutsch, Basel ca. 1500
(Holzschnitt am Ende, got,
rot und schwarz, unbekannt;
M- 75).
Es folgen die Abteilungen
„Gastromonie" (prächtige Sel-
tenheiten), „Genealogie" (mit
verschiedenen Stammbüchern),
„Holland', „Ungarn' 1 , ,,/mi-
tatio Christi" (10 Nummern),
„Antisemitismus", „Liturgie"
(dabei köstlicheStücke), „Astro-
nomie" (u. a. „Teutsch Kalen-
der", Augsburg 1522, mit zahl-
reichen Holzschnitten älteren
Ursprungs, 57 BL 4 0 , Einband
Lortic; M.450), „Alte Medizin"
(voller Kuriositäten), „Mili-
taria", ,, Totentanze" , „Musik" ,
„ Ornamente", „Die Philippinen,
Japan und China", ,J*olen",
,,/brträ/werke", Reformation"
(zahlreiche Flugblätter), „Russ-
", „Geheime Wissenschaf-
(hauptsächlich Alchimie),
„Schweden", „Schweiz", „Paläs-
tina" und „ Topographie". Emen
der eigentümlichen Metall-
schnitte aus <
und die Titelbilder der Grimme
kehrten Welt" bringen wir anbei.
©ct>nirftim3« v r i6jt.
„Ver-
Kleine Notizea
Deutschland.
Am 23. April ist in Leipzig der Grundstein zu dem
Deutschen Buchgewerbehause in feierlicher Weise ge-
legt worden. Auf dem von der Stadtgemeinde Leipzig
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über 300 qm Flachenraum bedachte Saal, zu dessen
künstlerischer Ausschmückung von einer grösseren An-
zahl von Angehörigen des Buchgewerbes aus ganz
Deutschland bereits ein namhafter Betrag gestiftet
worden ist, soll eine Ehrenhalle der Buchgewerbe
werden. Die Bildnisse der hervorragenden Erfinder
und anderer um das Gewerbe verdienter Männer sollen
darin Aufstellung finden, anderer künstlerischer Schmuck
an die Stätten erinnern, an denen die vervielfältigenden
Künste ihre hauptsächlichste Pflege gefunden haben.
Errichtung eines Vereinshauses geschenkten Bauplatze,
der sich im Rücken des deutschen Buchhändlerhauses
befindet, wird ein stattlicher Bau nach den Plänen
des Architekten Emil Hagberg erstehen, welcher den
gesamten Buchgewerben Deutschlands eine Heimstätte
an ihrem Zentralpunkt bieten solL Das Haus wird
die dem genannten Zentralverein zur Verwaltung anver-
traute königlich sächsische bibliographische Sammlung
und die eigenen Sammlungen des Zentral Vereins bergen,
bilden; ferner Ausstellungsräume für neue Erzeug-
nisse und Hilfsmittel des Buchgewerbes: Neuerschei-
nungen des Buch- und Kunsthandels, Mustererzeugnisse
der Druck- und Kunstanstalten, der Buchbindereien,
Schriftgiessereien, Papierindustrie u. s. w., sowie buch-
gewerbliche Maschinen. Ein Geschoss wird den buch-
gewerblichen Vereinen zu Bureau- und Sitzungsräumen
vorbehalten. Ein geräumiger Saal dient als Lese- und
Zeichensaal, um den ausübenden Technikern und
Künstlern die Vorbildersammlungen und den Gewerbs-
genossen die schon ziemlich stattlich»: Bibliothek leicht
zugänglich zu machen. Als ein Weiheraum wird die
Gutenberg Halle dem Gebäude eingefügt Dieser mit
Ein Buchdruckmuseum soll auch in Berlin zur Feier
des 500jährigen Geburtstages der Buchdruckkunst im
Jahre 1900 errichtet werden. Während in Mainx, der
Vaterstadt Johann Gutenbergs, eine Gutenberg-Gesell-
schaft und die Eröffnung eines Gutenberg-Hauses geplant
wird, das alles für Gutenbergs Lebensgang, sowie für
die Entstehung und Entwickelung der Buchdrucker«
Wichtige aufnehmen und übersichtlich geordnet der
Nachwelt aufbewahren soll, ist für die Hauptstadt des
Reiches, als den Sitz so vieler angesehener Vereinigungen
für Kunst und Wissenschaft, sowie für die graphischen
Gewerbe, ein Buchdruckmuseum grossen Stils in
Aussicht genommen. Das Museum soll ein Bfld der
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Entwickelung der Buchdruckkunst vergangener Jahr-
hunderte bieten und gleichzeitig im Anschlüsse an die
Leistungen der Gegenwart zeigen, wie die heutigen
Vervollkommnungen der Maschinen und Geräte Schritt
für Schritt entstanden sind, welche Wandlungen unsere
Schriften und Zierate durchgemacht, wie die ver-
schiedenen Kunststilarten auf die Herstellung und Aus-
schmückung der Drucksachen Einfhm genommen
haben. Eine Zusammenstellung aller Maschinen,
Modelle und Zeichnungen, von den ältesten, gegen-
wärtig im Amsterdamer Plantinmuseum aufbewahrten
Pressen bis zur modernsten Setzmaschine, würde einen
ebenso lehrreichen als allgemein interessanten Ab-
schnitt aus der Geschichte der menschlichen Kultur-
entwickelung darstellen. Im Anschlüsse an das Buch-
druckmuseum soll dann die in Fachkreisen seit langem
herbeigewünschte graphische Hochschule erstehen,
deren Anfange bereits in der Fachklasse fürTypographen
an der Berliner Handwerkerschule vorhanden sind.
Der Nürnberger Magistrat hat beschlossen, auf die
Vervollständigung der für Nürnbergs Vergangenheit so
bedeutungsvollen Kaspar Hauser-Litteratur in der
Stadtbibliothek Bedacht zu nehmen. Anlass zu diesem
Besch! uss hat ein jetzt eingegangenes Werk einer in
München lebenden Engländerin über Kaspar Hauser
geboten, welches aufs neue die bekannte fürstliche Ab-
stammung des Findlings beweisen will.
Der verstorbene Maler Professor August von Heyden
in Berlin hat seine Sammlungen zur Kostümgeschichte
dem Germanischen Museum in Nürnberg vermacht.
Nach testamentarischer Verfügung des im Jahre
1 873 verstorbenen Friedrich v. Raumer ist jetzt nach dem
am 31. Dezember v. J. erfolgten Hinscheiden des letzten
Gliedes seiner Familie (Fräulein Agnes v. Raumer)
seine ganze reichhaltige Bibliothek, dem Vernehmen
nach etwa 12000 Bände stark, nebst einer grossen
Sammlung von Kupferstichen u. dergl. und einem von
L. Knaus gemalten trefflichen Porträt des Erblassers,
wie die ,,Nat. Ztg." berichtet, in den Besitz des Staates
übergegangen. Und zwar soll die Sammlung einer
grösseren Stadt in der Nähe von Berlin überwiesen
werden. Die Wahl des Ortes bleibt dem Kultusminister
überlassen. Dem Vernehmen nach hat sich bereits der
Magistrat von Frankfurt a. O. um die Überweisung
dieser reichen Schätze beworben.
Eine sehr interessante kleine Studie über die
„ Tablettes Autrichiennes" von Robert IV. Arnold findet
sich in „Ein Wiener Stammbuch" (Wien, Carl Koccgcn,
1898), S. 182 u. ff. Während des Zeitraumes zwischen
Wiener Kongress und Märzrevolution entstand eine
grosse Fülle pseudopolitischer Skandalschriften, unter
denen die „Tablettes Romaines" des sogenannten
Grafen Santo- Domingo einen Hauptplatz einnahmen
151
und zahllose Nachahmungen hervorriefen. Eine dieser
Nachahmungen — wenigstens dem Titel nach — er-
schien als „Tablettes Autrichiennes contenant des faits,
des aneedotes et des observations sur les moeurs, les
usages des Autrichiens, et la chronique secrete des
cours d'Allemagne, par un temoin oculaire" in Brüssel
bei H. Tarlier 1 83a Der belgische Bibliograph Dclecourt
bezeichnete Santo-Domingo als den Verfasser; Arnold
weist nun aber nach, dass der fragwürdige Graf keines-
wegs der Autor dieser Schrift ist, sondern, dass sich ein
Name von litterarischer Berühmtheit hinter der Ano-
nymität verbirgt — und zwar kein Geringerer als Charles
Sealsfeald recte Karl Postl. Die „Tablettes" sind nämlich
ein bis auf kleine Verkürzungen wörtlicher Abdruck von
„L'Autriche teile cju'elle est, ou chronique sercröte de
certains cours d'Allemagne" (Paris, A. Bossanges, 1828),
welches wiederum den Urtext der Sealsfieldschen Sen-
sationsschrift „ Austria as it is; or sketches of continental
courts. By an eye-witness" (London, Hurst, Chance
& Co., 1828) getreu übersetzt Zum Ruhme Sealfields
haben freilich weder Original noch Nachdruck beige-
tragen; das nimmt den Untersuchungen Arnolds aber
nichts von ihrem Interesse. In der von Arnold ge-
gebenen Bibliographie der Scandalosa Santo Dorningos,
ihrer Übersetzungen und Nachahmungen fehlt nur
unter 1825 die bei Viewcg in Braunschweig erschienene
Verdeutschung der „Tablettes romaines", die ich in
meiner Bibliothek fand; sonst würde ich sie schwerlich
vermisst haben. — z.
England.
Sotheby in London beendete am 12. März die
Versteigerung verschiedener Autographen-Sammlungen.
Ein Brief von Robert Borns, 1787, und ein solcher von
1791 erzielten je 315 M. (Daüaway); vier Quartseiten
Gedichte von Bums Hand, yto M. (Pearson); die
Unterschrift der Königin Elisabeth, 140 M. (Mrs. Lang);
das Originalabkommen zwischen Oliver Goldsmith und
Thomas Cadell für die „Compilation der Geschichte
Englands", datiert 5. Januar 1771, kam auf 370 M.
(t'earson). Ein Brief von der Königin Henriette
Maria von England an ihren Bruder Gaston von
Orleans, undatiert, brachte 175 M. (Martin); ein bisher
für unveröffentlicht erachteter Brief Keats an K. Haydon,
den 8. März 1819 datiert, 252 M. (Dallaway); ein
schöner Brief Schillers, datiert vom Neujahrstagc
1789 in dem der Dichter erklärt, er hoffe bei harter
Arbeit innerhalb von zwei Jahren so weit zu sein, um
sich von den drückenden Schulden befreien zu können,
die sein Leben verbitterten, 205 M. (Grevel). Eine
Folioseitc Manuskript, ein Gondellied, unterzeichnet
„Felix Mendelssohn-Bartholdy, Sorrento den 1. Juni
1831," wurde mit 820 M. bezahlt (Read). Ein Schrift-
stück über Marineangelegenheiten, datiert März 1648,
als von Milton herrührend angenommen, brachte 400 M.
(Lang); ein Brief Heinrichs VIII. an den Herzog von
Savoyen, 200 M. (Barker); ein Brief von William
Penn, 4. Oktober 1670, beginnend: „to my worthy friend
Samuel Pepys", 520 M. (Moore). — s.
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152
Chronik.
Das vierte Heft mit dem Katalog (Clarendon Press)
des Rev. IV. F. Macrays über die Rawlinson Manu-
skriptt der Bodleian Bibliothek ist erschienen. 900 Manu-
skripte sind katalogisiert und der Inhalt derselben
summarisch mitgeteilt worden. Hauptsächlich enthalten
die Schriften Material aus dem XVII. und XVIII. Jahr-
hundert und zwar über Buchsammeln, Theologie, die
englische Armee in Flandern, über Kunst, Litteratur u. s.w.
Die betreifenden Manuskripte bilden für den littera-
rischen Antiquar eine reiche Fundgrube. — s.
Frankreich.
„Le Petit Nitots" veröffentlicht zwei kurze Artikel
des Herrn Sappia über die Einfuhrung der Buchdrueker-
kunst in Nissa, Es scheint, dass im XVI. Jahrhundert
Nizza noch keinen Drucker besass, denn erst 161 4 liest
man von Unterhandlungen des Senats mit einem
Drucker und einem Buchhändler aus Turin. Die erste
in Nizza erschienene Druckschrift ging aus der Presse
eines gewissen Castello hervor und enthielt synodale
Verfügungen des Erzbischofs Martinengo, die um 1620
erschienen. Im XVIII. Jahrhundert kennt man Bücher
aus den Pressen Gio. Battista Romens (1751) und
Gabriele Floteronts (1759). Ende desselben Jahr-
hunderts entstanden dort die als die besten italie-
nischen Klassikerausgaben bezeichneten Druckwerke
der typographischen Gesellschaft. Sie veröffentlichte
u. a. die vollständigste bekannte Ausgabe desMetastasio.
Italien.
Über die erste neapolitanische Ausgabe der Dante-
sehen „Divina Com media" schreibt Herr Cavalcanti
in der „Kivista delle Biblioteche e degli Archivi":
Wenn auch Dantes Dichtart nicht so viele Nachtrctcr
hatte, wie z. B. Petrarca, so finden wir seine Spuren
doch häufig wieder. Besonders auffällig ist dies in
Palmieris „Cittä di vita", d'Arezzos „Visione", Gherardo
daCignanos „De septem virtutibus", Jonatas „Giardino",
De Jennaros „Le Sei Etä" u. a. m., die sich mehr oder
weniger an die „Göttliche Comödie" anlehnen. Die
erste neapolitanische Ausgabe des Werkes erschien
während der Regierungszeit Ferdinands von Arragonicn,
und zwar 1472 bei Francesco dcl Tuppo, der damit die
Buchdruckerkunst in Neapel einführte. Das Buch
wurde in Klein -Folio verausgabt und hatte keinerlei
Initialen, noch war es datiert; es enthielt 89 in je zwei
Spalten bedruckte Seiten, von denen die meisten 15,
einige nur 14 Terzinen brachten. Die Ausgabe ist sehr
selten; man kennt nur noch zwei Exemplare; das eine
befindet sich in der Königl. Bibliothek zu Stuttgart, das
zweite im Londoner British Museum, welches das Buch
1835 für 60 Pfund erstand. Die „Divina Commedia"
erschien 1472 in vier Städten, nämlich in Foligno, Man-
tua, Jesi und Neapel; das Buch gehört also zu den vier
überhaupt ersten Ausgaben. — m.
Drei bekannte Gelehrte, die Professoren Solcrti in
Bologna, Campanini in Reggio-Emilia und Sforza in
Lunigiana, haben ein sehr interessantes „Leben des
Ariosf' zusammengestellt. Der erste Band enthält
Mitteilungen über sein Leben, seine Liebesangelegen-
heiten, seine diplomatischen Sendungen. Der zweite
Band bringt Briefe, Dokumente und eine Bibliographie
über alles, was Ariost betrifft. Facsimiles, Porträts und
Illustrationen sollen das Buch schmücken. — az.
Spanien.
Wie alljährlich — wir verdanken der Firma die
Facsimile-Ausgabc des Don Quixote von 161 5 (spa-
nisch) — veröffentlichte auch diesmal Montaner y
Simon in Barcelona eine Extranummer der Jluslraciön
Artistka", welche ganz einer klassischen spanischen
Dichtung gewidmet ist. Diesmal handelt es sich um
„El sueno de las calavcras" des Quevedo. Alejandro
de Riquer hat die schöne chromotypische Aus-
schmückung entworfen. — m.
Martine* Salatar lässt binnen kurzem seine
„Cronka troyana" im Druck erscheinen. — m.
Amerika.
Mag der „Inland Printer", die amerikanische
Buchdruckerzcitschrift, ein spielendes Kind, eine Herbst-
landschaft, einen Indianer oder einfach ein Ornament
als Deckelzeichnnng bringen — es wirkt fast immer
reizvoll und in die Augen fallend. Die dem Text ein-
gefügten Druckproben sind häufig sehr künstlerisch,
so in der Fcbruarnummer eine Anzeige von Bradley
für „The Ault and VViborg Co.", die in ihrer Kontur-
Iosigkeit und Farbenwirkung an Steinten erinnert. Der
Zeichner eines brillanten Schlittschuhläuferpaares auf
mostrichgelbem Grunde, Herr F. R. C. (für Jaenccke
Broths. Fr. Schneemann) ist uns leider noch unbekannt.
Ein Artikel über die moderne Bewegung im Reich
der Affiche ist mit interessanten Illustrationen von Pla-
katen Willettes, CheTCts, Bradleys u. a. versehen. Auch
eine photographische Anzeige von Mr. John E. Dumont
befindet sich darunter, doch ist sie mit den Hand-
zeichnungen nicht zu vergleichen. —f.
A'arkdrurt vtrbfttn. — Alle Rechte vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an detten Adrette; Berlin W. Augtburgerttraste 61 erbeten.
Gedruckt »on W. Drugulm in Le.pr.g für Vellingen ft Klating in Bielefeld und Leipiig. - Pap.« der Neuen Papier-
Manufaktur in Strasburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
I Icrausgegeben von Kedor von Zobeltitz.
2. Jahrgang 1898/99. Heft 4: Juli 1898.
Chodowieckis Werther-Bilder.
Von
Professor Dr. Georg VVitkowski in Leipzig.
Iis im Herbst 1774 Goethes
„Werther" erschien, hatte Da-
niel Chodowiecki sich bereits
die Stellung des grössten deut-
schen Illustrators seiner Zeit
errungen. Zwar waren seine
ersten Leistungen auf diesem Gebiete, die
zwölf Kupfer zu „Minna von Barnhelm", erst
fünf Jahre zuvor erschienen; aber diese feinen,
weichen und doch so charakteristischen Bild-
chen hatten sogleich die Augen der Kunstver-
ständigen und zumal der Verleger auf sich
gelenkt, die für den damals fast unentbehrlich
scheinenden Schmuck ihrer Bücher und Al-
manache nach neuen geeigneten Kräften eifrig
Umschau hielten. So häuften sich bald die
Auftrage, und der Meister verlieh zahlreichen
Dichtungen und wissenschaftlichenWerken durch
seine Titelblätter, Vignetten und Illustrationen
erhöhten Reiz und erhöhte Anziehungskraft.
Der Verleger des „Werther", Christian
Friedrich Wcygand in Leipzig, glaubte solche
I lilfsmittel entbehren zu können. Bei den früher
in seinem Verlage erschienenen goethischen
Werken „Götter, Helden und Wieland" und
„Clavigo" hatte er sich begnügt, die Titel mit
zwei alten, nichtssagenden Holzschnitten aus-
zustatten; jetzt beim „Werther" bediente er sich
ebenfalls nur einer kleinen Verlagsvignette, die
ebensowenig wie die früheren irgendwie zu dem
f. B. 98'99,
Inhalt des Buches in Beziehung stand. Als
sich dann der grosse ungeahnte Erfolg ein-
stellte, als gleich im zweiten Jahre sieben Nach-
drucke erschienen, da meinte auch Wcygand,
ein übriges thun zu sollen und versah die
Titelblätter der zweiten ächten Auflage von
1775 mit zwei süsslichen Medaillons, deren
Gegenstand dem Roman entnommen war. Der
ungenannte Künstler dürfte dem Stile nach Meil
oder einer seiner Schüler sein.
Auch die Flut von Nachahmungen, Gegen-
schriften, Parodieen und Gedichten, die unmittel-
bar auf das Erscheinen des „Werther" folgte,
bietet in künstlerischer Beziehung sehr geringe
Ausbeute. Nur ein bemerkenswertes Erzeugnis
bildender Kunst ist dadurch hervorgerufen wor-
den, die Vignette Chodowieckis zu Nicolais
Schrift „Freuden des jungen Werthers. Leiden
und Freuden Werthers des Mannes. Voran und
zuletzt ein Gespräch." Berlin, bey Friedrich
Nicolai, 1775. (Abb. 1.)
In diesem kleinen Pamphlet bäumt sich der
philiströse Verstand des „selbstklugen" Jahr-
hunderts gegen die brausende Leidenschaft der
neuen Generation auf, die seine sorgsam auf-
geführten Dämme durchbrechen und das be-
hagliche, wohlgeordnete Dasein, das er hinter
ihnen führt, vernichten will. Die Gewalt der
Bewegung verkennend, glaubt Nicolai mit Spott
ihrer Herr werden zu können. Die Sprache
20
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154
freuten
jungen äßertjjerö
£cifcen unb freuten
SBOMM xuxb äulftvr ein &<\'pxäi}.
Berlin,
bei) 5 r i c r i * 4 J! i c e I « t.
1 7 7 5-
Abb. i.
Titel van Nicolai» ..Freuden de» jungen WcrthctV".
der Genies mit ihrem Streben nacli Wieder-
gabc der natürlichen Redeweise parodiert er
übertreibend in dem Gespräch am Anfang, dann
zeigt er, wie Weither mit einer ganz geringen
Veränderung hatte glücklich werden können.
Er lässt im zweiten Teil des Romans Albert
mit Lotte nicht verheiratet, sondern nur verlobt
sein; Albert erfährt bei seiner Rückkehr von
dem letzten Gespräch Werthers mit Lotto, er-
kennt, dass ihre Liebe gegenseitig ist, und
schickt Werther, als der Knabe mit dem Zet-
telchen kommt, die Pistolen wie im Roman,
nur dass er sie vorher mit Ilühnerblut ladet.
Als der Selbstmorder, der sich schon verloren
wähnt, dies durch Albert erfahrt, springt er
auf, umarmt Albert und mag es kaum glauben,
dass der Freund so gross mutig gegen ihn
handeln könne. Aber noch mehr. Albert ver-
zichtet, nach wenigen Monaten wird Werthers
und Lortens Hochzeit vollzogen, und „nach zehn
Monaten war die Geburt eines Sohnes die
Losung unaussprechlicher Freude".
Das Kind wird durch eine kranke Amme
tödlich vergiftet und steckt auch Lotte an, die
mit Mühe dem Tode entrinnt. Werther ver-
liert sein Vermögen, muss ein Amt annehmen,
ist oft missmutig und viel vom Hause ab-
wesend. Lotte schmollt deshalb mit ihm und
lässt sich von einem der neuen Genies den
Hof machen. Schliesslich scheiden sie sich
von Tisch und Bett, I,otte kehrt zu ihrem Vater
zurück, und beide sind tief unglücklich.
Albert hört davon, redet beiden ins Gewissen,
bringt sie zur Vernunft und vereinigt sie wieder.
„Albert holte Werther auf den Jagdhof, der alte
Amtmann hiess Werthern kurz und lang, Lotte
weinte und entschuldigte ihn. Werther umarmte
Lotten, und sie reisten völlig versöhnt zurück."
Diese Scene hat Chodowiecki in seiner
reizenden Vignette dargestellt. Deutlich und
doch nicht aufdringlich deutet er durch die Ge-
wehre, den Hirschkopf und das Horn an der
Wand, den Jagdhund unter dem Tische das
Lokal an, in lebendigster Haltung zeichnet er
die vier Gestalten, unter denen besonders der
alte behäbige Amtmann in seinem Erstaunen
und seinem Zorn gegen Werther äusserst glück-
lich charakterisiert ist
Man meint, es der warmen, liebevollen Aus-
fuhrung des Bildchens anzumerken, dass der
Künstler mit ganzem Herzen bei seiner Aufgabe
war und völlig mit dem Verfasser und seiner
Tendenz übereinstimmte. Freilich hatte Goethe
Recht, wenn er gegen Nicolais Parodie die
zornigen Worte (von noch schlimmeren zu
schweigen) richtete :
Matf jener dünkelhafte Mann
Mich als gefährlich preisen,
Der Plumpe, der nicht schwimmen kann,
Kr wills dein Wasser verweisen.
Was schiert mich der Iterliner Hann,
( '.cschmäcklcrpfatTcnwcscn !
Und wer mich nicht verstehen kann,
Uer leme besser lesen!
Die hellauf lodernde Leidenschaft, die grenzen-
lose Verzweiflung, die gefühlsselige Schwärmerei
Werthers war durch Welten von dem verstän-
digen, bürgerlich soliden Berlinertum getrennt.
Ein behagliches, streng an die geltenden Moral-
begrifie gebundenes Familienleben herrschte
hier, der Verstand führte das Scepter, und ihm
Witkowski, Chodowieckis Werther • Bilder.
155
LUnicl Chodowiccki. Nack dem Ölbild von Aniou Gull.
ordnete sich auch die Kunst unter, als deren Haupt-
Vertreter ein Nicolai und Chodowiccki galten.
Wo die Leidenschaft sich unvernünftig geberden
wollte, da war sogleich der Spott ihr zur Seite,
um ihre gefahrdrohenden Wirkungen aufzuheben
und sie in ihre Schranken zurückzuweisen.
Aber daneben forderten auch die Bedürf-
nisse des Gemüts ihre Befriedigung, und die
Berliner verschlossen sich keineswegs der Em-
pfindsamkeit, die damals allenthalben regierte.
Sanfte Rührung, mitleidige Thranen bei unver-
schuldetem Unglück liess nun sich gern ent-
locken, und gerade Nicolai hatte in einem] viel-
gelesenen Roman, seinem „Scbaldus Nothanker",
kurz zuvor ein Muster dieser Art geboten, das
durch eine reiche Anzahl von Stichen Cbodo-
wieckis seinen völlig entsprechenden Schmuck
erhielt. Auch der „Werther" fand in Berlin zahl-
reiche gerührte Leser, und ein späterer Schrift-
steller leitete in seinen „Bemerkungen eines
Reisenden durch die königlich preussischen
Staaten" (Altenburg 1799 I, S. 600) das dort vor-
handene Übermafs an Empfindsamkeit geradezu
von der Einwirkung des goethischen Romans ab.
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i 5 6
Witkowski, Chodowiecki* Werther -Bilder.
L — *' '■ *■ • *.' It t" . ir • .:" • J
Abb. a.
Titelkupfer nun „Werther", llerli», Himburg 1775.
Diese starke Wirkung konnte dem aufmerk-
samen Auge Chodowieckis nicht entgehen.
I lielt er doch andauernd eifrige Umschau nach
den Erscheinungen am litterarischen Himmel,
die durch ihre Beliebtheit seiner nie rastenden
Nadel lohnende Beschäftigung verhiessen, und
die Aufforderungen der Verleger an ihn be-
zogen sich naturgemäss gerade auf solche
Werke, die als die am meisten gelesenen den
höchsten Gewinn erhoffen Hessen.
Durch den „Werther" war Goethe, der
schon seit dem „Götz von Berlichingen" eine
führende Stellung unter den deutschen Dichtern
behauptete, mit einem Schlage zum ersten unter
ihnen, zu einer europäischen Berühmtheit ge-
worden. Kein Wunder, dass ein unternehmender
Buchhändler, der Berliner Christian Friedrich
I Iimburg, sogleich auf den Gedanken kam, die
Schriften des jungen Autors, ohne ihn erst um
seine Erlaubnis anzugehen, zu sammeln und in
einer gefälligen, mit guten Kupfern geschmückten
Ausgabe dem Publikum vorzulegen. Als ersten
Band liess er 1775 den „Werther" erscheinen.
Die beiden Titelblätter und das letzte Bild,
Werther auf dem Totenbette darstellend, hatte
Chodowiecki gezeichnet und Berger gestochen.
Die ersteren stellten in graziöser Komposition
Lottes und Werthers Porträt im Medaillon dar,
das ihrige von Blumen, das seine von Baum-
zweigen umkränzt. An eine beabsichtigte
Porträtähnlichkeit mit den historischen Vor-
bildern der Gestalten ist gewiss nicht zu denken.
Zwar weist Lottes Porträt, wie Könnecke be-
merkt hat, mit dem Bilde der Lotte Buff ge-
meinsame Züge auf ; aber Werther hat gar nichts
von dem jungen Jerusalem erhalten. Unterhalb
der Rundbilder sind zwei Scenen des Romans
in der Art von Basreliefs wiedergegeben.
Unter Lottes Bild der Moment, als Werther sie
zum Balle abholt und sie, den Geschwistern
Brot schneidend, findet, jener Vorgang, der
später durch Wilhelm von Kaulbachs liebens-
Abb. j
Titclkupfcr tum „Werlher", t. Aull., Berlin. H<mbur( 1777.
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Wilkowslu, Chodowiecki» Werlher- ltildcr.
würdige Darstellung so populär geworden ist,
und unter Werthers Forträt das letzte Bei-
sammensein der Liebenden in leidenschaftlicher
Umarmung, deren heissc Glut in dem Bilde
trotz seiner Kleinheit zu hinreissendem Ausdruck
gelangt (Abb. 2).
Während wir heute dem Helden des Romans
höheres Interesse zuzuwenden pflegen als der
einfachen, heiter ruhi-
gen Gestalt Lottes, ha-
ben die Zeitgenossen
vor allem an ihr Ge-
fallen gefunden und sich
mit ihr beschäftigt. Aus
diesem Grunde gab
I iimburg wohl auch von
dem Blatte, dessen Me-
daillon Lottes Porträt
darstellte, einzelne Ab-
drücke, das Stück zu
achtGroschen, aus,und
so nützte sich die Platte
schneller ab als ihr
Gegenstück. Für die
zweite Auflage von
1777 wurde sie nach-
gestochen und der un-
tere Teil durch eine
neue Komposition Cho-
dowieckis ausgefüllt
(Abb. 3), für die er den
Besuch beim Pfarrer
von St . . . wählte. Wir
sehen den gichtischen,
halbtauben Alten, wie
er die Geschichte der
Nussbäume vor seinem
Hause erzählt , Lotte
„herzt seinen garstigen
schmutzigen jüngsten
Buben, das Quakelchen
seines Alters", und Werther lauscht eifrig.
Auch diese Komposition blieb nicht die
letzte, die das immer wieder aufgeätzte und
retouchierte Medaillonbild Lottes begleitete.
Dieses wies schliesslich kaum noch einen
Schimmer des Reizes auf, den es in den ersten
Abdrücken besessen hatte: alle feineren De-
tails waren verschwunden, von der zarten Ar-
beit mit der kalten Nadel keine Spuren mehr
zu entdecken, und unnatürlich schauten die
Abb. 4.
KoleUtudie (im lieiiti der Frau I>r. Ewald in nerlin)
iu der Vignette Abb. 5.
grossen schwarzen Augen aus dem leer und
matt erscheinenden Gesicht hervor. Das war
freilich kein Wunder; denn im Jahre 1778
musstc der Stich auch zu einer Einzelausgabe
des „Werther" (trotz der fingierten Bezeichnung
„Frankfurt und Leipzig" bei Himburg erschienen)
herhalten und dann noch in der dritten und
letzten Ausgabe von Goethes Schriften 1779
(Abb. 7) seinen Dienst
thun. Allerdings war
nun wieder die unten an-
gebrachte kleine Kom-
position völlig abge-
nutzt, und Chodowiecki
lieferte eine dritte Bei-
gabe zu Lottes Porträt,
die an Vollendung die
beiden früheren noch
übertraf. Auch der
Stecher Berger ging
in ihrer Wiedergabe
besser als zuvor auf die
Manier des Meisters
ein (Abb. 5). Wie sorg-
fältig Chodowiecki die
reizende Darstellung
der Scenc, wie Lotte
dem Diener Werthers
die Pistolen reicht, vor-
bereitete, lehrt eine in
grösserem Format aus-
geführte Rötelstudie
(Abb. 4), in der die
Anmut der Haltung
und die Natürlichkeit
des Ausdrucks noch
weit besser zur Geltung
kommen.
Das Wertherme-
daillon hatte mit seinen
kräftigeren Zügen und
der einfacheren Komposition des Sockelbildes
den vielfachen Ansprüchen der vier Ausgaben,
in denen es überall als Pendant zu Lottes Bild
erschien, besser Stand gehalten. Jetzt aber, in
dem letzten Druck von 1779, war es ebenfalls
bis zur Unkenntlichkeit abgenutzt und allent-
halben durch ungeschickte Auffrischungen ent-
stellt. Es zeugte von geringer Gewissenhaftigkeit
des Verlegers, dass er es so noch einmal dem
Publikum darzubieten wagte. Nur für die
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i 5 8
At.b. 5.
Scenenbild auf ..Werther"! Lotte dem Diener die Pittolcn
reichend; Titelkunfcr tu Gocthet Schriften, Berlin 1779.
begleitende Darstellung Hess er von Berger
eine neue Zeichnung Chodowieckis stechen,
die reizvoll die Schlussscene des ersten Teils
wiedergab (Abb. 6).
I limburg that ausserdem für diese Ausgabe
noch ein übriges. In den früheren waren dem
„Werther" ausser den Titelkupfern drei Bilder
beigegeben, von denen 7.wei von Krüger ge-
zeichnet und von Berger gestochen waren.
Nur für die letzte Illustration, Werther auf dem
Totenbette (ebenfalls durch Berger reprodu-
ziert), hatte von Anfang an Chodowiecki die
Vorlage geliefert. Ihre Auffassung war nicht
sehr glücklich, da besonders die Gestalt des
Helden infolge der durch die Anordnung ge-
botenen Verkürzung zu gedrungen erschien,
sie wurde aber trotzdem in allen Himburgschen
Drucken beibehalten. In der dritten Ausgabe
der Schriften von 1779 traten nun noch an
Stelle der beiden unbedeutenden Bilder Krügers
solche von Chodowiecki, die aber leider durch
den leipziger Stecher Gcyser bei der Übertragung
auf die Platte eine ungenügende Wiedergabe
erfuhren. Das erste, Lottes Abschied von den
Geschwistern darstellend, ist süsslich und durch-
aus konventionell, in dem zweiten hat Geyser
offenbar die Karikaturen aus der adlichen
Abb. 6.
Scenelil.ilJ aut „Wcf Iii er •' : Lulle. Albert uud Werlher in der Laube;
Tiiclkupfer tu Gocthet Schriften, licrlin 1779.
Gesellschaft, die Werther eine so tiefe Kränkung
zufügt, ins Grimassenhafte übertrieben (Abb. 8
und 9).
Es zeigte sich hier der Nachteil, der fast
überall hervortrat, wo eine Vorlage des grossen
Illustrators einem seiner minderbegabten Kunst-
genossen in die Hände fiel. Mochten sie auch
noch so sehr sich bestreben, getreulich seine
Absichten auszudrücken, das mangelnde Können
und die einmal eingewurzelte eigene Manier
liessen die Absichten des Meisters nur zu unvoll-
kommener Wirkung gelangen. Schon deshalb
werden also, abgesehen von ihrem weit höheren
künstlerischen Wert, diejenigen Bilder Chodo-
wieckis zu Goethes Roman, bei denen keine
fremde Hand die Vermittlung übernahm, uns
Abb. 7.
Mcdaillonbiid littet
aut dem Titclkupfer ta Gucthet Schriften,
lterlin 1779.
über sein Verhältnis zu der Dichtung und seine
Auffassung derselben allein eine wirklich zu-
verlässige Auskunft geben können. In diesem
Sinne sprach schon die Vignette zu Nicolais
„Freuden des jungen Werthers" zu uns, nocli
mehr können wir es den beiden Vignetten
entnehmen, die der Künstler zu der franzosischen
Üb ersetzung Deyverduns, die 1776 in Maastricht
erschien, zeichnete und radierte. Die erste von
ihnen zählt mit Recht zu den geschätztesten
Blättern des Meisters. Sie stellt dieselbe Sccne
dar, die er schon fur Himburgs erste Ausgabe
zu Lottes Medaillon gezeichnet hatte. Aber wie
hoch steht diese zweite Komposition über der
ersten! Das Puppenhafte in Lottes Erscheinung
ist einem liebenswürdigen Ausdruck gewichen,
der hereintretende Werther erscheint schlanker,
seine Haltung freier, die Raumvertcilung, ins-
besondere die Anordnung tler sechs Kinder ist
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Witkowski, Chodowieekis Werther -Bilder.
»59
weit geschickter, von der höheren technischen
Vollendung und der feineren Durcharbeitung des
Details ganz zu schweigen.
Eine besondere Stellung nimmt die zweite
Vignette der Ubersetzung ein. Sie stellt
Werthers Zimmer dar und giebt in allen Einzel-
heiten gewissenhaft Goethes Beschreibung
wieder. Im Bette sieht man durch die zuge-
zogenen Gardinen die Hand des Toten, an
der Wand hängt Lottes Silhouette, auf dem
Schreibtisch liegen aufgeschlagen Lessings
„Emilia Galotti" und der Abschiedsbrief an die
Geliebte, daneben eine der Pistolen. Ausser
dieser Darstellung kennen wir noch zwei Skizzen
dazu, die beide den Gegenstand in abweichen-
der Auffassung behandeln. Die eine, kleinere,
zeigt die Gestalt des Toten dadurch, dass die
eine Gardine des Himmelbettes in die Höhe
genommen ist, vollständiger, und auf dem
Boden liegt die Pistole, mit der die unglück-
selige That geschehen ist; die zweite (Abb. 10)
Abb. «.
Kupfer tum „Weither" am Cocthci Schriften,
Berlin 1779.
Abb. 9.
Kupfer zum „Werth er'- aui Coethe« Scbrilteu,
Herl in 1779.
lässt den Fuss Werthers sehen und deutet durch
den vor dem Bette stehenden Sarg das Ge-
schehene an. Jede der drei Kompositionen ist
in Bezug auf Anordnung und Auffassung des
Raumes von den andern völlig verschieden ; alle
drei beweisen, wie gewissenhaft der Meister seine
Aufgabe behandelt hat und mit welchem rich-
tigen Takte er schliesslich in der Ausführung
nur das Milieu, in dem die That vor sich ging,
auf den Beschauer wirken Hess, indem die Gestalt
des I leiden bis auf eine leise Andeutung völlig
verschwand.
In ähnlicher, symbolisierender Weise ist ein
technisch meisterhaftes Fächcrblatt Chodo-
wieekis in Federzeichnung und Tusche aus dem
Jahre 1776 behandelt, dessen vordere Seite er mit
drei Vignetten aus „Werthers Leiden" schmückte
(Abb. 1 1 ). Durch eine Umrahmung von Weiden-
zweigen wird die mittlere, die Lottens Flucht
vor dem letzten leidenschaftlichen Ausbruch
Werthers darstellt, von den beiden seitlichen
i6o
Witkowiki, Chodonrieckis Werther- Bilder.
Abb. 10.
Slciue tu einer TitelvigneUe für die friniiiiilche Cberselning • !«•
Maesiricht 1776.
geschieden. Diese sind als Landschaften mit
Staffage behandelt: links das Fällen der Nuss-
bäume, unter denen- die Liebenden einst ge-
sessen hatten, und rechts die Begegnung mit
dem Wahnsinnigen und seiner Mutter, von der
der Brief vom 30.
November eine
so erschütternde
Schilderung giebt.
Trotz der Klein-
heit des Mafs-
stabs sind die
gebrochene Ge-
stalt des Liebes-
kranken, die er-
klärende 1 laltung
der Mutter und
die ermutigende
Werthers mit
voller Schärfe aus
gedrückt Die ent-
laubten Wetden-
stämme und die
nebelige Winter-
luft geben den
passendsten Hintergrund
zu der düstern Scene.
Die Rückseite des Fächers
ziert eine freiesymbolische
Komposition: Eulen, die
über eine vom Blitz ge-
troffene Eiche dahin-
fliegen (Abb. 12).
In späterer Zeit wurde
Chodowiccki nur noch
einmal veranlasst, aus
dem goethischen Roman
den Gegenstand einer
künsüerischen Kompo-
sition zu entnehmen. Als
Goethe endlich im Jahre
1786 sich entschloss,
selbst (bei Göschen in
Leipzig) eine Ausgabe
seiner Schriften zu ver-
anstalten, berief der Ver-
leger zu ihrer Aus-
schmückung eine Anzahl
der ersten Künstler der
Zeit, unter ihnen auch unsern Meister.' Zu
dem ersten Bande lieferte er eine Radierung,
die jene Begegnung am Brunnen vor der Stadt
(nicht zu Wahlheim, wie Engelmann angiebt)
darstellt, die Werther in seinem Briefe vom
..Wcnher"
Abb. ||. Km Ucttc «Ic» Kacherentwurf* Abb. Kl.
Vergl. Jahrgang I dieser Zeilschrift S. 403 f.
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J
Z, f. B. 9S/99-
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162
Witkowski, Chodowieckis Werlher- Bilder.
6. Julius beschreibt Er hat das kleine Malchen
geküsst, und das Kind reibt sich auf den Rat
der unten stehenden Lotte eifrig mit seinen
nassen Händchen die Backen, aus Furcht vor
der Schmach, einen hässlichen Bart zu kriegen.
Man wird nicht umhin können, diese Radierung
als ganz verfehlt zu bezeichnen. Von dem
rührenden Humor des Vorgangs ist nichts
darin zu bemerken, Ix>tte steht steif und
ausdruckslos da, und aus Werthers Gesicht,
das durch den ungeschickt geformten Hut
zum grössten Teile beschattet wird, spricht
ebensowenig Empfindung. Nicht einmal das
traditionelle Werther- Kostüm ist beobachtet,
und schon hierin zeigt sich die geringe
Sorgfalt, die der Künstler auf das Blatt ver-
wandt hat.
Er ist offenbar nicht mit dem Herzen bei
der Sache gewesen. Der Empfindungskreis
Werthers, die leidenschaftliche Stimmung des
Romans lag dem alternden Künstler zu fem,
als dass er sich noch hätte hineinversetzen
können ; jener Gegensatz der Lebensauffassung
Chodowieckis zu dem heissblütigen Ringen des
jungen Goethe, den wir schon oben berührten,
hatte sich sicher in den Jahren, die seit dem
Erscheinen der Dichtung vergangen waren, noch
beträchtlich vertieft. Wohl hatte er, gleich so
vielen Zeitgenossen von dem ersten Eindruck
überwältigt, unmittelbar nachher, einzelne Bilder
in liebenswürdiger und nicht unangemessener
Weise wiederzugeben vermocht; aber der Sturm
der Leidenschaft, die Glut des Herzens, dessen
Schlag wir aus jedem Worte der Dichtung
vernehmen, findet bei dem Künstler keinen
Widerschein. Er gehört zu jener Generation,
die der des „Werther" vorausging, und es mag
als ein neuer Beweis seiner überragenden Grösse
gelten, dass er im Gegensatz zu fast allen seinen
Altersgenossen dem Werke eine Teilnahme
zuwandte, die über die berufsmässige Beschäf-
tigung damit weit hinausging. Chodowiecki
fühlte das Grosse, obwohl es den Traditionen,
in denen er aufgewachsen war, und der Lebens-
anschauung, die ihn beherrschte, widersprach,
und so leuchtet uns aus seinen Werther-Bildern,
trotzdem sie vom Geiste der untergehenden
Epoche erfüllt sind, doch ein Schimmer der neuen
Sonne des anbrechenden Tages der klassischen
deutschen Dichtung entgegen.
Wir dürfen es unserm grossen, liebenswerten
Künstler nicht als Mangel anrechnen, dass er
dem Fluge des goethischen Geistesaars nicht
bis zu seiner höchsten Höhe zu folgen ver-
mochte. Wie schwer die Vorurteile der morali-
sierenden und antikisierenden Aufklärungszeit
auf ihren Söhnen lasteten, mögen uns die Worte
des grössten unter ihnen, Lessings, lehren, der
über den „Werther" schrieb: „Glauben Sie wohl,
dass je ein römischer oder griechischer Jüng-
ling sich so und darum das Leben genommen?
Gewiss nicht. Solche klcingrosse, verächtlich
schätzbare Originale hervorzubringen, war nur
der christlichen Erziehung vorbehalten, die
ein körperliches Bedürfnis so schön in eine
geistige Vollkommenheit zu verwandeln weiss.
Also, lieber Goethe, noch ein Kapitelchcn zum
Schlüsse; und je cynischer je besser ! -
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Die Bibliophilen.
l
Eduard Griscbach.
Von
Fedor von Zobeltitz in Berlin.
^TSB'-Ii besuche gern. Bücherauktionen, auch
K Bsfl wenn ich einmal nicht zum Kaufen
[^^^H aufgelegt bin. Schon die Physiog-
nomien der Anwesenden zu beobachten, ge-
währt einen gewissen Reiz. Da sind zunächst
die berufsmässigen Vertreiber der Ware, die
Antiquare. Aber nicht immer sind die Bücher
für sie nur „Ware" und ein Handelsartikel, den
sie erwerben, um ihn möglichst schnell wieder
mit Profit loszuschlagen. Ich kenne Antiquare,
die sich nicht ohne eine gewisse Überwindung
von ihren Schätzen zu trennen vermögen und
die irgend eine Seltenheit lieber noch länger
auf Lager behalten, ehe sie selbe in die
Hände eines Käufers übergehen lassen, der
vor dieser Rarität nur den Respekt des Geld-
wertes, aber nicht die liebende Hochach-
tung der Bibliophilen hat. Und gerade diese
Leute habe ich besonders gern. Sie betreiben
ihr Geschäft nicht lediglich kaufmännisch, sie
bringen den wandernden Schätzen ihrer Re-
positorien ein Gefühl zärtlicher Neigung ent-
gegen. Viele von ihnen sind auch selbst
Sammler und die meisten ausgezeichnete Kenner,
wie — um nur ein einziges Beispiel aus der
Berliner Antiquariatswelt anzuführen — Albert
Cohn, der sich seit langen Jahren lediglich mit
dem Vertrieb von ausgesprochenen Selten-
heiten befasst, ein Mann von hervorragendem
Wissen, der sich speziell um die Inkunabel-
und Shakespeareforschung grosse Verdienste
erworben hat . . . Dann kommen die Privat-
sammler. Bei Auktionen von Gemälden, Kupfer-
stichen u. dergl. m. sind die Versteigerungs-
lokalitäten gewöhnlich überfüllt — bei Bücher-
auktionen selten. In Frankreich und England
ist das anders — bei uns sind die Bücher-
liebhaber noch immer zu zählen. Einen, den
ich vor Jahren fast regelmässig auf den Auk-
tionen traf, hat der Tod auch hinweggerafft : den
alten Baron von Maitzahn, der zu einer Zeit,
da er seine schöne Sammlung längst verkauft
hatte, noch immer mit Eifer die Versteigerungen
besuchte und die Preise notierte.
Und auf einer solchen Auktion lernte ich
vor längerer Zeit auch den Konsul Dr. Eduard
Grisebach kennen; wir stellten uns einander vor,
weil wir beide fanatisch um ein einziges ver-
gilbtes Blatt kämpften, das jeder von uns be-
sitzen wollte und das schliesslich keiner bekam:
es wanderte nach Weimar in das Goethearchiv,
dessen persönlich anwesender Leiter die Börse
weiter öffnen konnte als wir. Grisebach hatte
damals erst vor kurzem den Abschied aus dem
Staatsdienst genommen und konnte nun für
seine Bücherei einen ruhigen Standplatz suchen,
nachdem er sie viele Jahre hindurch über Meere
und Länder geschleppt hatte. Er liess sich in
Berlin nieder.
Das beigefügte Bild stellt ihn dem Leser
vor. Es ist vortrefflich. So sieht Grisebach
aus: eine schlanke, vornehme Erscheinung mit
feinem Gelehrtenkopf, hoher Stirn, lebhaften
Augen und weichem Mund, der nur ungern die
Cigarrette entbehrt. Biographisches kann ich
nicht allzuviel über ihn berichten. Ich weiss
nur, dass er am 9. Oktober 1845 in Göttingen
geboren wurde, Jurisprudenz studierte und als
Berufskonsul in Italien, im Orient und zuletzt
an etwas entlegener Stelle, auf Haiti, thätig
war. Wie aber der Verfasser der köstlichen
Tanhäuserlieder, die seinen Namen weit über
die Grenzen der Heimat hinaus bekannt ge-
macht haben, zum Bibliophilen wurde, dass er-
zählt Grisebach selbst in einer so hübschen
„auto-bibliographischen" Plauderei (in Heft II,
Jahrgang XIV von „Vom Fels zum Meer"),
dass ich es mir nicht versagen kann, einiges
daraus hier wiederzugeben.
Ich kann den Zeitpunkt noch ziemlich
genau bestimmen — so schreibt Grisebach — da
bei mir die Bibliophilie erwachte, das heisst die
Liebe zum Buche in utraque forma, als Geistes-
produkt und in seiner körperlichen Erscheinung
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v. ZobeltiU, Eduard Ori«ebach.
als typographisches Kunstwerk, mit allem, was
daran hängt, wie: erste Ausgabe, historischer
Einband, Ex-Libris des Vorbesitzers etc. Es
war im Februar 1871, als ich vom grünen
Tisch des Berliner Kammergerichts zum Feld-
auditoriat nach Epinal kommandiert wurde.
In den dienstfreien Stunden durch die Strassen
der kleinen Vogescnstadt wandernd, sah ich
an den Auslagefenstern eines Buchhändlers
eine Reihe rotgebundener Kleinoktavbücher
mit dem Aufdruck „Bibliotheque Elzeviricnne"
und dem altberühmten Buchdruckerzeichen, der
Sphäre. Es waren darunter die Werke Francois
Villons, Antoine de la Sales „Quinze joyes de
Manage", Lafontaines „Contes", Scarrons Komö-
diantenroman. Diese Bände waren mit eigens
gegossenen Charakteren gedruckt, den Typen
der Elzcviers nachgebildet, sie waren mit Kopf-
leisten und Schlussstücken in Holzschnitt ge-
ziert, das Papier war mit der Hand geschöpftes
Büttenpapier, der Einband schön gepresstes
rotes Pcrcaline, und der Buchbinder hatte die
Bogen unbeschnitten lassen müssen. Der Her-
ausgeber dieser Bibliothek war der Pariser
Bibliophile Pierre Jannet. und im August 1853
hatte er die ersten neun Bände seines auch
für Frankreich neuen Unternehmens erscheinen
lassen. Die in Epinal erworbenen Bände seiner
Elzevierbibliothek wurden seitdem meine Hand-
bücher und erweckten mir die Sehnsucht, die
Jannetschc Idee „in mein geliebtes Deutsch
zu übertragen." In Deutschland wurden vor
25 Jahren die Bücher der schönen Litteratur
in der Regel in der nüchternen Weise ausge-
stattet, wie sie z. B. die Campesche Ausgabe
von Heines Werken zeigt; den höchsten Auf-
schwung bezeichnete die „Miniaturausgabe mit
Goldschnitt" mit dem konventionellen Stahl-
stich als Titelbild. Jede Erinnerung an die
herrliche Bücherausstattung in der glorreichen
Zeit der Wiegendrucke des XV. Jahrhunderts,
an die mit Initialen, Holzschnitten, Kopfleisten
und Schlussvignetten gezierten Bücher Albrecht
Dürers und Hans Burgkmayrs war den Druckern
und Buchhändlern, die damals den Markt be-
herrschten, entschwunden. Ich wusste damals
freilich ebensowenig davon und nahm daher für
meine eigenen bibliophilen Bestrebungen anfang-
lich nicht jene grössten Blütezeiten des deutschen
Druckgewerbes zum Muster, sondern die aller-
dings immer noch köstliche Nachblüte vom
Ausgang des XVI. bis ins XVII. Jahrhundert,
die Elzevierzeit, auf die ich durch Jannet ge-
wiesen war. Und so veranstaltete ich, im April
nach Berlin zurückgekehrt, alsbald die erste
deutsche „Elzevierausgabe" meines zwei Jahre
vorher erschienenen Erstlingswerkes „Der neue
Tanhäuser". Ich wählte eine Antiqua-Kursiv-
schrift, um die Typen denen meiner geliebten
Elzcviere möglichst anzunähern; bei einem
Holzschneider wurde eine Vignette bestellt,
auf Büttenpapier, das damals überhaupt in
Deutschland kaum zu haben war, wurde ver-
zichtet, aber bei der Firma Flinsch ein mög-
lichst festes gelbliches Kupferdruckpapier aus-
gesucht, das Format dem der Jannetschen
Bibliothek genau angepasst etc. Ende Juni 1871
konnte das im Text um das Doppelte ver-
mehrte Buch erscheinen, in grauem Umschlag,
die Titelzeile rot, auf der Rückseite die eine
Vignette. Lange dauerte die Freude an diesem
ersten Austattungsversuchc nicht: im Winter
desselben Jahres fiel mir ein von Wilhelm
Drugulin in Leipzig gedruckter Katalog in die
Hände, der die echte Antiqua-Renaissancc-
schrift aufwies, dazu Zierinitialen, Kopfleisten
und Schlussstücke. So musste mein Buch auch
gedruckt werden, und zu Anfang 1872 kam es
auch wirklich dazu, da die 600 Exemplare der
zweiten Auflage nahezu vergriffen waren. Von
der dritten Auflage an, die im Juni 1872 er-
schien, wurde das Buch nun bis zur zehnten
Auflage (1877) einschliesslich bei W. Drugulin
gedruckt; echtes holländisches Papier von der
Firma Van Gelder kam hinzu, neue Vignetten
in der Manier Aldegrevers wurden geschnitten —
kurz, die Ausstattung konnte sich zuletzt mit
derjenigen der Pariser „Bibliotheque Elzevi-
ricnne" sehr wohl messen. Neben dem „Neuen
Tanhäuser" gingen dann aus derselben Druckerei,
in gleicher Ausstattung, drei andre meiner
Bücher hervor. 1873: „Die treulose Witwe,
eine chinesische Novelle und ihre Wanderung
durch die Weltlitteratur", 1875: „Tanhäuser in
Rom", 1876: „Die deutsche Litteratur seit 1770".
Da die Antiquaschrift ihren schönen, gleich-
massigen, einheitlichen Eindruck einbüsst, wenn
die Substantiva durch Majuskeln hervorgehoben
werden, so sind in allen diesen Ausgaben
meiner Bücher die Hauptwörter mit Minuskeln
gedruckt, wie dies von Jakob Grimm, freilich
nicht aus ästhetischen Gründen, zuerst eingeführt
Digitized by Google
J
t. Zobcltitz, Eduard Griieb«ch.
I6 5
wurde. In der zweiten Hälfte der siebziger
Jahre vollzog sich jedoch ein Umschwung im
deutschen Druckgewerbe, indem jetzt die alte
Schwabacher Schrift in neuen scharf geschnit-
tenen Lettern aufkam, und gerade die Firma
W. Dnigulin war es, welche 1877 für Velhagen
und Klasing Goethes Faust, als „Ausgabe der
Kabinetsstücke", in Schwabacher Schrift, mit
Vignetten und Initialen, auf Büttenpapier druckte.
Damit hob eine wirkliche Wiederbelebung des
ersten Blütcnalters des deutschen Buchdrucks
an, denn wenn auch schon in jener Zeit in
lateinischer Sprache geschriebene Werke wenig-
stens teilweise mit Antiqua gedruckt worden
Nach einer Phoi'»grj|ihic Je* Pattellbild« von Mn Lieb ermann.
sind, so sind doch die deutsch geschriebenen
regelmässig mit sogenannten gotischen, das
heisst deutschen Typen gedruckt. Dürer hat
bekanntlich sowohl Tür die Antiqua wie für
die deutsche Schrift ein mustergültiges Alpha-
bet erfunden. Durch die Wiedereinführung
der Schwabacher Typen und meine inzwischen
gewachsene Bekanntschaft mit den deutschen
Druckwerken des XV. und XVI. Jahrhunderts
kam ich nun von meiner bisherigen Vorliebe
für die Elzevierdrucke zurück, und so wurden
1880 und 1882 die elfte und zwölfte Auflage
des „Neuen Tanhäuser" ebenso wie die neuen
Auflagen des „Tanhäuscr in Rom" mit Schwa-
bacher Schrift und die Haupt-
worter mit grossen Anfangsbuch-
staben gedruckt Denn bei dieser
Schrift wird, wenigstens für mein
Auge, die Schönheit des Seiten-
bildes durch den Wechsel von
Majuskel und Minuskel nicht be-
einträchtigt, während ich mich
andrerseits auch überzeugte, dass
die den Hauptwörtern gegebene
Majuskel im Deutschen ein wesent-
liches Hilfsmittel der raschen Ver-
ständlichkeit ist Seit 1880 habe
ich nie wieder ein Buch von mir
mit Antiqua drucken lassen.
Die grösste Förderung erfuhr
meine Bücherliebe durch meine
Ernennung zum deutschen Konsul
in Mailand. In den Jahren 1883
bis 1886, die ich in Italien zu-
brachte, habe ich meine freie Zeit
dazu verwendet meine Bibliothek
zu bereichern, insbesondre ge-
langte ich hier erst zur Bekannt-
schaft mit der italienischen Renais-
sancelitteratur und ihrer bewun-
derungswürdigen Bücherausstat-
tung. Erste Ausgaben des Dante
und Petrarca, des Hieronymus und
andere Meisterdrucke von Mai-
land, Venedig, Florenz, Ferrara
waren es denn, denen ich die
Titelumrahmungen , Kopfleisten
und Schlussstückc , sowie die
Initialen entlehnte, mit denen die
im Verlage von F. und P. Lehmann
in Berlin 1885 erschienene Gross-
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166
v. ZobeltiU, Eduard Grisebich.
quartausgabe (dreizehntes Tausend) des „Neuen
Tanhäuser" geschmückt ist Die Ausgabe, die
noch heute im Buchhandel zu haben ist, scheint
den Kennern und Liebhabern nicht so bekannt
geworden zu sein, wie sie es durch die illustrative
Ausstattung, besonders aber durch die Mitarbeit
Klingers und Liebermanns verdiente. Auch die
Klcinoktavausgabc des „Neuen Tanhäuser", von
der das vierzehnte, fünfzehnte und sechzehnte
Tausend 1888 und 1889 im selben Verlage
wie die Grossquartausgabe erschienen, sind
durch vorzüglich reizvolle Titelumrahmungen
und Kopfleisten geschmückt, die ich nach dem
in Mailand gefundenen seltenen Werkchen
„Philippi Calandri de aritmethica opusculum.
Firenze per L. da Morgiani et Giovanni The-
desco de Maganza 1491" reproduzieren liess.
Dieselben sind auch in der siebzehnten Auf-
lage (V erlag der „Union" in Stuttgart) wieder-
holt, die rote Titelzeile dieser neuesten Ausgabe
ist mit Dürers oben erwähntem Musteralphabct
gedruckt.
Das typographisch gelungenste meiner Bücher
ist wohl die zweite Sammlung meiner Ver-
deutschungen chinesischerNovellen. Bei Drugulin
gedruckt, auf einem von der Firma Gebr, Ebart
in Berlin eigens angefertigten Büttenpapier, mit
Doppeltitel in chinesischen Charaktern (die ich
dem Pinsel des chinesischen Gesandten in
St Petersburg verdanke), mit Kopfleisten und
Schlussvignctten, die sämtlich nach chinesischen
Originalen in Holz geschnitten sind — ist der
in Seidenfaserpapier geheftete Kleinoktavband
wirklich eine Freude des Bibliophilen . . .
Man ersieht aus dem Vorstehenden, mit wel-
cher Liebe Grisebach für die Ausstattung seiner
eigenen Schöpfungen gesorgt hat. Nach Ge-
währung der von ihm aus Gesundheitsrück-
sichten erbetenen Pensionierung beschäftigte
er sich zunächst mit der Abfassung einer
populären Schopenhauerausgabc und mit seiner
prächtigen Hundertjahrausgabe der Gedichte
Bürgers, die in schönem Äusseren und mit den
Heliogravüren der alten Kupfer von Riepen-
hausen, Chodowiecki, Meil und Schcllenberg
bei Grote in Berlin erschien.
Grisebach hat den Katalog seiner interes-
santen Buchersammlung zweimal veröffentlicht
Zuerst unter dem Titel „ Katalog der Bücher eines
deutschen Bibliophilen" (Leipzig. W. Drugulin,
1894, 8°, 287 S. und Supplement) und das
zweite Mal s. t. „Weltliteratur- Katalog eines
Bibliophilen mit litterarischen und bibliographu
sehen Anmerkungen" (Berlin, Ernst Hofmann & Co.,
1898. 8°. VHI und 341 S.). Dieser zweite
Katalog ist insofern ein Auszug des ersten, als
er von dessen sechzehn Abteilungen nur die
erste bis neunte, die sogenannte schöne Litte -
ratur aller Völker, umfasst; aber diese neun
Abteilungen sind gegen den Katalog von 1894
sehr erheblich vermehrt, enthalten auch neue
litterarische Exkurse, während andrerseits die
im ersten Katalog gegebenen (wie z. B. die
Ausführungen über Antoine de la Sale) im
Weltlitteraturkatalog nicht wiederholt sind.
Grisebach ist kein reicher Mann, der jährlich
Tausende für seine Bibliothek ausgeben kann.
Aber gerade deshalb ist seine hübsche Samm-
lung so interessant, weil sie mit einer grossen
Liebe zusammengestellt worden ist und weil
man merkt, dass der Besitzer nicht „um des
Sammeins willen" kauft, sondern aus Freude
am Gcnuss der Bücher, die er studiert, kolla-
tioniert und wieder und wieder zur Hand nimmt
im stolzen Gefühl des Besitzes und in dem
Frohcmpfinden der Wahrheit des Fcucrbach-
schen Wortes, dass Bücher unsere besten und
bleibendsten Freunde sind.
Die orientalische Littcratur des Katalogs
umfasst 147 Nummern. Verhältnismässig reich-
haltig ist die indische und die chinesische
Littcratur vertreten; mit letzterer hat sich
Grisebach eingehend beschäftigt Seine deut-
sche Übertragung der „Treulosen Witwe" und
der Novellen des „Kin-ku-ki-kuan" sind bekannt
Bei der Bopp.schcn Übersetzung von „Nalas
und Damajanti" aus dem Sanskrit erwähnt
Grisebach auch die „verkürzte Nachdichtung"
des Maha-bharata von A. Holtzmann, die er
ausgeschieden hat. da der Bearbeiter das Ge-
dicht so gehalten wissen wollte, dass „es auch von
Frauen (!) gelesen werden könne". Holtzmann
hat deshalb das ihm „anstössige Verhältnis der
Draupadi zu den fünf Söhnen des Pandu" in
eine „Ehe" mit dem ältesten Sohne „verwandelt".
Grisebach fugt richtig hinzu: „Dergleichen Be-
arbeitungen müssen aus jeder anständigen
Bibliothek ausgestossen werden". Chezys 1814
bei Didot in Paris erschienene franzosische Über-
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i6 7
tragung der Yadjnadatta-Badha trägt in Grise-
bachs Exemplar die handschriftliche Widmung:
„I'our l'academie royale des Sciences de Munich
de Ia part de l'autcur". Auch Chezys letzte Publi-
kation, die Übersetzung von Kalidasas Sakuntala,
ist vorhanden. Aus der arabischen Litteratur
erwähne ich die sehr selten gewordene, hoch
im Preise stehende zchnbändige englische Über-
setzung der „Tausend und Eine Nacht" von
Richard F. Burton — aus der türkischen
Diezens Bearbeitung des „Buch des Kabus"
mit der handschriftlichen Widmung Goethes an
Herrn von Willemer und die Neudrucke des
Nasr-Eddin-Hodja und BahNameh, alttürkischer
Erotika von saftigster Derbheit.
Die griechische und römische Litteratur
umfasst mit den Mittel- und Neulateinern gegen
150 Nummern. Aesop, Pindar, Sophocles,
Aristophanes, Hcrodot, Platon, Aristoteles,
Plutarch, Lucian, Longus, Xenophon sind in
trefflichen alten Ausgaben vertreten, ebenso
Plautus, Terentius, Lucretius, Cicero, Sallust,
Catullus, Vergil u. s. w. Von Ovids Metamor-
phosen finden wir die Folio- Ausgabe von
1 5 1 3 (Venedig), von den „Amatoria" 1546
(Leyden, Gryphius), 1629 (Leyden, Elzevir),
1652 (ebda.), 1762 (Paris, Barbou, mit Eisen-
schen Titelkupfern und Kopfleisten), und
1763 (ä Cythere, aux dc'pens du Loisir). Ähn-
lich reichhaltig sind die Petron-, Juvenal- und
Apulejus- Ausgaben; unter den letzteren fehlt
Fiorenzuolas italienische Übersetzung mit den
drastischen Holzschnitten nicht. Erwähnt sei
noch eine Imitatio Christi, Mailand, 1488,
und eine Horae Virg. beat. Mariae, Paris
1492, in KI.-8 0 , gotischer Druck auf Pergament,
jede Seite mit figurenreicher Umrahmung und
mit herrlichen Holzschnitten und Initialen.
Ferner Poggios „Facecie", o. O. u. J. (um
1482), die zweite Ausgabe von Bebels Facetien
und von Huttens Epistolae obscurorum virorum
u. s. w. Von Choricrs Satyra sodatica notiert
der Katalog den ersten Lyoner Druck und
die Ausgabe Amsterdam 1678 mit den
„Fesccnnini", von der Ebert ohne Grund be-
hauptet, dass sie in Deutschland gedruckt sei.
Für die italienische Litteratur hat Grise-
bach als halber Italiener ein besonderes Inter-
esse. Die undatierte Danteausgabe, die No. 303
verzeichnet, ist die von Ebert unter No. 5697
beschriebene, wahrscheinlich bald nach der
Aldine gedruckte. Der Petrarrca von 1539
stammt aus Marcolinis Druckerei in Venedig,
vom Decamerone Bocaccios ist zunächst die
erste kritische Ausgabe, Venedig, Gregorio di
Grcgori, 1516, zu nennen — wundervoll erhalten
ist die Amsterdamer, nach der Giuntine von
1527, in schönen Lederbänden, ziemlich selten
geworden, auch die Londoner in folioartigem
Quart. Ich greife natürlich immer nur einzelne
Nummern heraus, die mir für die Zusammen-
stellung der Bibliothek charakteristisch er-
scheinen.
Am interessantesten in den Einzelheiten
ist die Abteilung der französischen Litteratur.
Ich kann hier zum Teil wiederholen, was ich
in einer Rezension über den ersten Grisebach-
schen Katalog niederschrieb. Über den Vater
des modernen französischen Romans, Antonie
de la Sale, bringt Grisebach einen bemerkens-
werten litterarischen Exkurs. Er schreibt Sale
mit einem I, im Gegensatz zu den französischen
Biographen des Meisters, Gossart, Pottier u. a.,
und begründet dies damit, dass Sale selbst
seinen Namen meist nur mit einem einfachen
1 geschrieben habe. Grisebach hat persönlich
das Handschriftenmaterial über Sale in Paris
und Brüssel eingesehen und u. a. in dem
Brüsseler Manuskript von „La Saladc", dem
frühesten Werke des Autors, auf Seite 4 in
roter Schrift den Namen „Anthoine de la sale"
gefunden. Die gleiche Schreibweise des Namens
fand Grisebach in dem Manuskript des „Petit
Jehan de Saintr£" in der Biblioteque Nationale
in Paris, in dem Pariser Manuskript des Salcschen
Traktats „comment les tournoys en armes se
font" und in der Glasgower Handschrift der „cent
Nouvclles nouvclles". Antoine de la Sale war
der erste französische Poet, der sich aus dem
Banne des alten bretonischen und normannischen
Ritterromans frei machte. Er wurde im Jahre
1388 in der Provence geboren und verfasste
seine erste Schrift „La Salade" als Gouverneur
des ältesten Sohnes des Herzogs Rene" von
Anjou, Grafen der Provence und Königs von
Sicilien. „La Saladc" erschien zuerst gedruckt
in Paris 1 521 und befindet sich als Manuskript
(geschrieben ist es wahrscheinlich zwischen
1437 und 1442) auf der Bibliothek in Brüssel.
In „La Salade" ist ein kleines Traktat „Les
quinze advisements de guerre" eingeflochten,
das Grisebach als eine Art „Vorahnung" des
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v. Zobeltili, Eduard Gri»eb»cli.
interessantesten Werkes Sales, der „Quinze
joyes de Manage" bezeichnet Die erste
Skizze dieser „Quinze joyes" findet sich in de
la Sales zweitem, nie veröffentlichtem Werke
„La Salle" (des histoires), das er dem Conne-
table von St Pol, Herzog von Luxemburg,
widmete. Von den „Quinze joyes de Manage"
besitzt Grisebach in seiner Bücherei eine
Anzahl Neudrucke, von denen die erstange-
fuhrte, die bei Techener in Paris erschienene,
nicht die beste ist; sie ist nämlich eine ver-
kleinerte Reproduktion der zwischen 1495 und
1502 (wahrscheinlich 1499) bei Jehan Treperel
in Paris edierten Quartausgabc, die zahlreiche
Lücken enthält Interessant sind bei der
Tcchenerschcn Publikation das Vorwort, die
Varianten und das Glossarium. So ist z. B.
dem Vorwort der Schluss jenes Manuskripts
in Facsimile beigegeben, das Dr. Andrö Pottier,
Stadtbibliothekar in Rouen, im Jahre 1830 in
der dortigen Bibliothek entdeckte und das in
Form eines Silbenrätsels „den Namen desjenigen
enthält der die fünfzehn Freuden der Ehe
geschrieben hat". Pottier hat die Lösung dieses
Rätsels ausgeklügelt und sie in einem Briefe
an den Buchhändler Techcner (abgedruckt im
Oktavheft 1830 der „Revue de Rouen" und
später als Brochüre erschienen) veröffentlicht
Damit war der Streit um die Autorschaft der
„Quinze joyes" endgültig entschieden. Das
Manuskript in Rouen ist das einzige z. Z.
bekannte. Ein zweites Manuskript der „Quinze
joyes", nach welchem die editio prineeps (in
Folio, gotisch, ohne Ort und Datum, wahr-
scheinlich Lyon 1470—80) hergestellt worden
ist verloren gegangen. Auch der von Rosset,
zum ersten Male 1595 in Paris veröffentlichte
Text (bei Grisebach Neudruck von 1734) ist
mit den vorgenannten beiden Manuskripten
nicht identisch. Jannet publizierte 1853 eine
neue Ausgabe nach der Rouener Handschrift
und 1866 eine „Scizieme joyc de Mariage"
die er in einem alten Manuskripte als Fort-
setzung der „Quinze joyes" gefunden haben
will; um die Lektüre zu erleichtern, hat er die
Orthographie und einzelne Ausdrücke moder-
nisiert. In dem Exemplar Grisebachs ist das
..Avis de l'Editcur" handschriftlich folgcnder-
niassen unterzeichnet: „L'auteur P. Jannet";
Grisebach schliesst daraus, dass Jannct selbst
der Verfasser der „sechzehnten Ehefreude" sei.
An deutschen Ausgaben der „Quinze joyes**
führt Grisebachs Katalog an: „Zehen Ergetz-
Iichkciten des Ehestandes" (Hamburg, Frank-
furt und Leipzig, o. J., jedenfalls Ende des XVII.
oderAnfangdes XVIII. Jahrhunderts) mitund ohne
Kupfer, wahrscheinlich eine Bearbeitung der
1679 in Amsterdam erschienenen holländischen
Ausgabe. Dieselbe sehr seltene Ausgabe
erschien übrigens auch ohne Ortsangabc mit
der Jahreszahl 1690 in Duodezformat Die
erste wirkliche deutsche Übersetzung aus dem
Französischen (nach Rosset) veröffentlichte
erst Friedr. Samuel Mursinna unter dem Titel
„Fünfzehn Freuden der Ehe, aus einem uralten
Werke gezogen" (Gotha 1794). Ein 1872 in
Berlin erschienener Neudruck (Grisebach Welt-
lit No. 548) wurde meines Wissens polizeilich
konfisziert. Die „Quinze joyes" sind eine geist-
reiche Satire auf die Ehe — ein Meisterwerk,
das nur ein tiefer Kenner des menschlichen
Herzens geschrieben haben kann.
Die „Hystoyre et plaisante Cronicque du
petit Jehan de Saintre" vollendete de la Salc
in Genappe bei Brüssel, wohin er seinem
Gönner, dem Grafen von St Pol, gefolgt war.
Das Pariser Manuskript trägt am Sclüusse das
Datum „25. September 1459." In dieser Hand-
schrift wird Salc übrigens mit einem doppelten
1, also Salle, geschrieben, was in einer Zeit
da die Sprache und selbst die Schreibart der
Eigennamen einem beständigen Wechsel unter-
worfen waren, freilich nicht Wunder nehmen
kann. Die erste Druckausgabe erschien in
Paris bei Lenoir 1517 in Folio, die zweite
ebenda 1523 in Quart (Neudruck der letzteren
d. d. Paris 1724 in 12 0 ); etwas später veran-
staltete auch derselbe Jehan Treperel, der mit
der lückenhaften Ausgabe der „Quinze joyes"
gute Geschäfte gemacht hatte, eine Edition
des Werkes. Alle diese Ausgaben stehen
hoch im Preise; die erste Lenoirsche wurde
in den sechziger Jahren mit 3450 Franken
bezahlt Die beiden „aultres hystoyres" von
Floridan und Ellinde, die dem „Petit Jehan"
beigegeben sind, stammen nicht von de la
Sale, sondern sind wahrscheinlich lateinische
Originale von Nicolaus de Clemangin, die
Sales Freund Rasse de Brichamel in das Fran-
zösische übersetzt hat. In dem „Kleinen Jean
de Saintre" persifliert Sale in entzückender
Weise das nichtige Treiben der Rittenveit;
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v. Zobeltit*. Eduard Oriscbach.
,69
der Roman ist gewissermassen eine satirische
Antwort auf die grossen alten Ritter-Epopöen
der Franzosen, die in den Amadis-Geschichten
einen neuen Aufschwung erlebten.
Die Mitarbeiterschaft de la Salcs an den
„Cent Nouvelles nouvelles", dem unmittelbaren
Vorläufer des Heptamerons der Königin von
Navarra, ist nie bestritten worden, zumal la
Sale selbst durch seinen Protektor St. Pol in
die Tafelrunde des Herzogs Philipp von Burgund
und seines Gastes, des Dauphins von Frank-
reich, eingeführt wurde. Grisebach schliesst
sich in einer sehr interessanten Note der An-
sicht Ludwig Sterns an, dass das ganze Werk
dem Verfasser der „Quinze joyes" zuzuschreiben
sei, und führt u. a. als Beweis dafür an, dass
die XCVIII. vom „Acteur" („auteur") erzählte
Novelle inhaltlich identisch mit der dem „Petit
Jchan" angehängten Erzählung von Floridan und
Ellindc ist. Schlagkräftiger als dieser Beweis,
der immerhin fragwürdig ist, da die Geschichte
von Florian und Ellinde nachweisbar nicht von la
Sale stammt, scheint mir die Thatsache zu sein,
dass der Autor in der XXXVII. Novelle die
„Quinze joyes de Mariage" ausdrücklich erwähnt
Aber auch das ist meiner Ansicht nach noch
kein stichhaltiger Beweis, da die „Nouvelles
nouvelles" ihren Stoff nicht nur aas altfran-
zösischen Fabliaux und lateinischen Facetien
schöpfen, sondern sich auch an zeitgenössische
Vorbilder anlehnen; es erhöht nur die Wahr-
scheinlichkeit, dass la Sale das komplette Werk
im Auftrage des Herzogs Philipp nach den
Erzählungen an seiner Tafelrunde verfasst
habe. Die Abfassungszeit setzt Grisebach auf
die Jahre 1461 und 62. Die erste Druckaus-
gabe erschien in Paris bei Ant. Verard im
Jahre i486 in Klein-Folio, gotlüsch zu zwei
Kolonnen mit einem Holzschnitt zu jeder
Novelle; sie ist sehr selten und wurde bis zu
6000 Franken bezahlt. Im Jahre 1858 veröffent-
lichte Th.Wright eine neue Edition nach einem
im Museum Hunter in Glasgow aufgefundenen
Manuskript, das zu der berühmten Kollektion
des Bibliophilen Gaignat gehört hatte. Nach
dem Verschwinden des la Saleschen Dcdikations-
exemplars aus der alten Bibliotheque der Ducs
de Bourgogne ist die Glasgower Handschrift
der hundert Novellen die einzige heute bekannte.
Das Manuskript ergänzt die Verardsche Aus-
gabe vielfach; es trägt das Datum: M IUI c
Z.tB. 98/99-
XXXII — 1432, was zweifellos ein Irrtum ist
Der Schreiber hat über den drei Zehnen ver-
mutlich den Verdopplungsstrich vergessen, der
das Datum wie folgt lesen lassen müsstc: M.
mic XXXII. gleich 1462, was der von Grise-
bach vermuteten Abfassungszeit entsprechen
würde. La Sale war damals ein Greis Mitte
der Siebziger; sein Todesjahr ist nie bekannt
geworden. Eine deutsche Ubersetzung der
„Cent Nouvelles", gemischt mit Erzählungen
aus dem Heptameron, erschien 1745/46 in
Stockholm, eine zweite o. J. (gegen 1860) unter
dem Titel „Liebesschwänke" in Berlin.
Ich bin bei la Sale absichtlich etwas weit-
schweifig geworden, um zu zeigen, wie sich
bei Grisebach mit der Sammclpassion das
Interesse für gelehrte Forschung verbindet,
die charakteristischen Kennzeichen des echten
Bibliophilen. Neben la Sale gebührt Charles
Sorel ein Ehrenplatz in der Geschichte des
älteren französischen Romans. In seiner „Vraye
histoirc comique de Francion" entwirft er ein
prächtiges Sittenbild seiner Tage und geisselt
unbarmherzig die Thorheiten seiner Zeit-
genossen. Die erste seltene Ausgabe des
„Francion" erschien 1622, als Sorel 23 Jahr
zählte; sie enthielt nur sieben Bücher. Der
Roman wurde im Laufe der Zeit mehr als
sechzig Mal neu aufgelegt und zahllos oft
glossiert. Die Ausgabe Grisebach (Wcltlit.
No. 601) Paris 1641, ist die erste Edition, die
das XII. Buch enthält. Grimmelshausen erwähnt
den Roman im „Satyrischen Pilgram"; wahr-
scheinlich, dass er ihn in der deutschen Über-
setzung kennen gelernt hat, die 1663 unter
dem Titel „Lustige Historia von dem Leben
des Francios" in Frankfurt erschien (Grisebach
Weltlit. No. 603). Einen deutschen Elzevir-
Druck des Romans s. t. „Vollkommene komische
Historie des Francions", Leyden 1668, entdeckte
ich bei einem berliner Antiquar: eine Uber-
arbeitung der deutschen Ausgabe vom Jahre
1663, aber als Elzcvir-Druck von Seltenheit
und auch nicht von Willems aufgeführt.
Es würde zu weit führen, wollte ich noch
weiter auf Einzelheiten eingehen. Ich erwähne
nur noch aus der Voltairesammlung Grisebachs
die erste, mit dem Zugeständnisse Voltaires,
dass er der Autor sei, erschienene Ausgabe
der „Pucelle", o. O. (Genf) 1762 mit den 20
nicht signierten Kupfern, und die ersten Aus-
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170
Bulthaupt, Die Bremischen Theatcriettel von 1688.
gaben der Übersetzungen Goethes von „Maho-
met" und „Tancred" — ferner die hübschen
kupfergeschmückten Ausgaben der Dichtungen
vonGreoourt, Dorat,Cr£billon, Nerciat, Choderlos
de Laclos und ihrer Schule, die editio prin-
ceps von Voisenons „Tant mieux pour eile",
die Sammlungen Rousseau, Diderot und Beau-
marchais (mit der Erstausgabe der „Folie
journ£e") und die vollständige Serie desDelalain-
schen Musenalmanachs von 1765—94. Ebenso
sind die Neueren: Balzac, Hugo, Musset,
Gautier bis auf Maupassant und Huysmans
ziemlich vollständig vertreten.
England umfasst hundertNummem, Deutsch-
land gegen tausend im Weltlitterat ur- Katalog.
Ich greife folgendes heraus: Das Lied von
dem Danheüser, o. O. u. J., 8 Bl. mit Titel-
vignette (Anfang des XVI. Jahrhunderts),
Steinhöwels Übersetzung von Boccaccios „Für-
nembsten Weibern" von 1566, Eybs „Keweib
oder nit" von 1540, Dürers Zirkelmessung von
1525, vieles von Hans Sachs, den Zeitver-
treiber, die buhlende Jungfer und die Schein-
heilige Witwe des Gorgias u. s. w. Von
Grimmelshausen ist fast alles vorhanden: die
erste Simplicissimus-Ausgabe in fünf Büchern
(von 1669) und die erste des sechsten Buchs
aus demselben Jahre mit der Rückdatierung
am Schlüsse, der Nachdruck vom gleichen
Jahre und die Ausgabe letzter Hand von 1671,
die Goedecke 2. Aufl. nicht verzeichnet Ferner
der Ewigwährende Kalender (Altenburgi670) und
die ersten Ausgaben der Courasche, des Spring-
insfeld und des Ratio Status sowie verschiedene
posthume Simplicissimusausgaben. Wieland
ist durch zahlreiche Erstausgaben vertreten, von
Scheflher ist Alles da, reich mit litterar-
historischen Glossen versehen, die sich auch
vielfach bei Heinse, Herder und Goethe finden.
Von Lichtenberg und Bürger giebt der Katalog
eine ziemlich vollständige Bibliographie, ebenso
sind von Kleist, Brentano, Heine, Waiblinger
die meisten Erstausgaben vorhanden, der Heine
vielfach in Originalumschlägen, wie auch die
Schopenhauerausgaben, von denen die editiones
prineipes bekanntlich selten geworden sind.
In strengem bibliothekswissenschaftlichem
Sinne sind die Grisebachschen Kataloge nicht
zusammengestellt; das war auch nicht die
Absicht des Verfassers. Trotzdem möchte
ich ihre Anschaffung besonders den Privat-
sammlcrn bestens empfehlen, denn auch sie
bewähren sich, ähnlich wie die Verzeichnisse
Tieck, Heysc, Maitzahn, Lipperheidc u. s. w.,
als praktische Nachschlagebücher und erheben
sich zudem durch die eingestreuten biblio-
graphischen und litterarischen Glossen weit über
das Niveau des Schematischen.
2&
Die Bremischen Theaterzettel von 1688.
Von
Professor Dr. Heinrich Bulthaupt in Bremen.
| der Bremer Stadtbibliothek, deren
Schätze ich seit nun bald zwanzig
J Jahren verwalte, befinden sich in einem
:leincn Gelehrten.stübchcn des prächtigen
und behaglichen Neubaus untcrGIas und Kähmen
zwei merkwürdige Dokumente zur deutschen
Thcatergeschichtc. Ks sind Komodienzcttel,
von der Hand eines Unerfahrenen, der sich an
ihren rauhen Rändern gestossen haben mag,
säuberlich geradlinig beschnitten und auf einen
gemeinsamen Karton gespannt. Die seltenen
Papiere sind aus Bremischem Besitz — es
lässt sich nicht genau feststellen, nach welchen
Wanderungen — in die Hände des um die
Theaterstatistik wohlverdienten Schauspielers
Theodor Mehring in Hamburg gelangt, von
diesem an den Direktor und Hofrat Pollini
verkauft, der sie auf der Wiener Musik- und
Theaterausstellung im Jahre 1892 ausstellen
Hess und, nachdem sie auf diese Weise vor
der Öffentlichkeit unter seiner Flagge ihre
Schuldigkeit gethan, der Bremer Stadtbibliothek,
die sich schon länger darum bemüht, zum Kauf
anstellte. Das Geschäft kam zustande. Die
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Kulthaup«, Die Bremischen Theaterzettel von 1688.
Zettel sind in ihre Heimat zurückgekehrt, und
nun grüssen sie den Beschauer, so nah vereint
wie unsre beiden grössten Dichter auf dem
Weimarer Denkmal, wie ein Vorspuk grösserer
Zeit. Einen „Faust" und einen „Wallenstcin"
kündigen sie an, aber deren Verfasser ver-
schweigen sie. Es werden keine Geister wie
Goethe und Schiller gewesen sein, die uns die
beiden gewaltigen Schatten für immer im Ge-
dichte gebannt haben.
Dass die Zettel, die hier im Facsimile wieder
gegeben werden, aus Bremen stammen, hat
Herr Theodor Mehring, der sie hier erworben,
wiederholt bekundet, und die Scencrie bekräftigt
es: des seligen Kapitän Nissens Maus auf der
Langenstrasse vor dem Thorc (der „Natel").
Auch über das Jahr kann es einen Zweifel
füglich nicht geben, trotzdem die Zettel es so
wenig wie den Ort bezeichnen. Aber sie
nennen die Schauspieler die „Sächsischen
Hoch-Teutschen Komödianten", und am 6.
und 20. April 1688 hat das Gesuch einer
Schauspielertruppc um die Erwirkung der
Spielcrlaubnis den Bremer Rat beschäftigt.
Im Wittheits-Protokoll Vol. XIV de 1688 findet
sich auf pag. 505 unter dem 6. April die Ein-
tragung:
„Commoedianten. ... 6) Ist proponiiet, dass die
Comoedianten von der Bande Ihrer Churfürstlichcn
Durchl. zu Sachsen verlangen hier zu agiren, quaesit :
ob sie zu adtnittiren. Conclusum quod sie, doch
dass sie vorhero, wie auch was sie agiren wollen
zu examiniren, keine obscoena meliren, und die
Herren frey sein sollen,"
und unter dem 20. April Vol. XIV, pag. 513,
die folgende:
„Comoedianten. t) Ist referiret wegen der an-
gegebenen Commedianten, dass sie soviele auss
dem ausserlichen zu judiciren guhte Leute 2u sein
schienen und hätten sich crklahrct nicht alleinc
28 freyzettel als vor jeden der H. Bmstr. [Bürger-
meister] und Kathsh. eines aus gäben, sondern auch
alle Woche einmal für die Armen zu spielen und
sich in ihren propositionen aller ehrbarkeit sich zu
berleissigen hingegen sich aller obscoenis und An-
züglichkeiten zu enthalten, concluss : quoad primum
dass solche conditioncs denen Commedianten ein-
zuwilligen."
Da nun nach dem Kalender alten Stils, der
damals noch in Bremen galt, der 16. Mai
(der Tag der Wallcnstein-Auffiihrung) auf einen
Mittwoch, der 18. auf einen Freitag fiel, und
da es „Sächsische I loch-Teutsche Komödianten"
171
sind, die die beiden Stücke gaben (das Witt-
heits-Protokoll spricht von der „Bande Ihrer
Churfurstlichen Durchl. zu Sachsen"), so miisste
schon eine starke Zwcifelsucht dazu gehören,
anzunehmen, dass die Schauspieler, die dem
Bremer Rat im April ihr Gesuch vorgelegt,
nicht dieselben gewesen, die um die Mitte des
Mai im nämlichen Jahre in Bremen auch wirk-
lich gespielt haben.
Wer aber war die Truppe? Und unter wessen
Leitung stand sie? Mehring und andere —
auch ich — haben immer angenommen, Jo-
hannes Velten sei ihr Führer gewesen, denn
dessen Gesellschaft, die Veltenschc oder Velt-
heimsche „Bande", hatte sich durch ihre Vor-
stellungen am Sächsischen Hofe das Recht
erspielt, sich (seit 1679) „Kursächsische Komö-
diengcsellschaft" zu nennen. Im Jahre 1688
aber hat Velten, dessen Name überall im Reich
einen guten Klang hatte und der mit seinen
Leuten weit herumzog, woldbezeugter Massen
Vorstellungen in Hamburg gegeben, und zwar
im Juni. Es läge also nahe genug zu glauben,
er habe der Bremer Spielzeit die Hamburger
folgen lassen. Dem scheint nun freilich ein
Auszug aus den Leipziger Messrechnungen zu
widersprechen, die Wustmann in den „Quellen
zur Geschichte Leipzigs" (1889) veröffentlicht
hat. Aus diesen Rechnungen ergiebt sich, dass
Velten (oder „Felden", wie ihn der Marktvogt,
echt sächsisch, Anfangs schreibt), zuerst im
Jahre 1679 zur Neujahrsmesse nach Leipzig
gekommen und mit seiner Truppe fünfzehnmal
aufgetreten ist, 1684 zum zweitenmale, nun
aber nicht mehr allein, sondern in Gemeinschaft
mit Christian Starcke und Johann Wolfgang
Ries, deren Compagnie ihm vom Kurfürsten
Johann Georg III. von Sachsen, da sie „ältere
Rechte" geltend machen konnten (Starde stand
schon seit 1669, Ries seit 1676 in kurfürst-
lichen Diensten), aufgezwungen war. Mit diesen
seinen Gesellschaftern, die um der Anciennetät
willen ihren Namen dem seinen voransetzten,
besuchte Johannes Velten die Leipziger Messe
seit 1684 fast regelmässig, und nach den Stand-
geldrechnungen müssten die drei auch während
der Ostermessc 1688 vom 7. bis 28. Mai dort
gespielt haben, „in Rothhäupts Hofe" an 15
Tagen; in dem Velten- Artikel der „Allg. deut-
schen Biographie" meint darum auch H. A. Lier,
dass die Bremer Theaterzettel, die besonders
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COMOEDI ANTEIL
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COMOEDI ANTEN
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D.TOHANNESFAUSTUS
Atf it OScitTf (ragjrr pirff lOiUim^ ftiffigfrit von
änfang btfaumGrnbf.
nipN'Sffr/oiiiPirb mit ©frrpiuiMnngjufr&rtifan:
2. J>c^tt»\(lffHe 3«uibfrfr»un&.iSrnh»t>aiiiiii BerGVifttr.
j. *T?i AlMtSfl in r-e m fr <*ofi> faulen rctl »ftp von »WrrnemP boeiufrcrren^cV.
4. rar. f«ytod<£<;nqwr) brp welchen fce <rM'mi<Ef?cn in nnmfcrrlütjc$(.
fltittöVernwitiVit trrrtvn.
f • ■ ^dtafffrüt ;i: t", K' ii fem ; ine t:uc< einer ^aftctt ?ntcn(Itm rJMntfcr/Ärtij«
tnr-mitw ir-ure h:n.wrcmmrnunPPurrt> c-ir fcuifTrtiiqfn.
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Bremischer
Theaterzettel
vom Jahre iMl
174
Bulthaupt, Die Bremischen Theaterzettel von 1688.
seit der Wiener Ausstellung schon manchen
Literarhistoriker beschäftigt haben, von Veltens
Truppe nicht herrühren können. Dem strengen
Wortlaut nach gewiss nicht. Nun wissen wir
aber aus dem Bremer Wittheits-Protokoll, dass
die Petenten von 1688 sich „Komödianten von
der Rande Ihrer Kurfürstlichen Durchl. zu
Sachsen" nennen; wir wissen, dass Velten, dem
eine 1 Ioftrauer sein Auftreten in Berlin, Braun-
schweig, Wolfcnbüttel, Breslau und an andren
Orten vereitelte, sich Anfangs 1688 entschloss,
einen „sehr weiten Weg zu reisen"; wir wissen,
dass er im Juni desselben Jahres mit seiner
Gesellschaft in Hamburg gespielt hat. Ander-
seits hatte Niemand sonst das Recht, sich die
Bande des Sachsischen Kurfürsten zu nennen.
Was bleibt also andres übrig, als anzunehmen,
entweder, dass die Schauspielergcsellschaft, die
in Bremen gespielt, sich fälschlich den Ehren-
titel kursächsischer Komödianten beigelegt, oder
dass die Truppe sich geteilt, ein Teil in Bremen
gespielt habe, ein Teil zur Ostermesse nach
Leipzig gereist sei. Beide Falle wären denk-
bar. Es hat schon einen falschen Blondin,
einen falschen Renz, falsche Oberammergauer,
es hätte also auch eine falsche kurfürstlich-
sächsische Schauspielertruppc geben können.
Aber die Dreistigkeit würde in diesem Falle,
wo es sich um Aufführungen handelte, die der
besondren Sanktion der Bremischen Stadtvätcr
bedurften, doch eine ungewöhnliche gewesen
sein, und es ist schwerlich zu glauben, dass
der Rat Reisepässe und Titel der Gäste nicht
sorgfaltig geprüft haben sollte. Für die zweite
Möglichkeit aber spricht der Umstand, dass
die Bittsteller sich nicht schlechtweg „die Bande
Ihrer Kurfürstlichen Durchl. zu Sachsen", sondern
„Komödianten von der Bande" desselben nennen.
Das erklärt den scheinbaren Widerspruch der
Annahme, es seien Veltensche Schauspieler
gewesen, die in Bremen im Mai 1688 den
„Faust" und „Wallenstein" gegeben, mit der
Notiz der Leipziger Rechnungen ziemlich mühe-
los und mutet uns nicht die geringste Unwahr-
scheinlichkcit zu. Und so könnten denn Mit-
glieder der Veltenschcn Truppe wirklich gleich-
zeitig in Leipzig und in Bremen gespielt haben.
Über die Dichter, den Wert und Charakter
der beiden Dramen, von denen uns die Zettel
melden, ist uns, wie schon erwähnt, näheres
nicht bekannt. Der „Wallensteincr" mag das
Drama des August Adolf von Haugwitz sein,
der Schillern auch mit einer „Maria Stuart"
vorgegriffen und in der Vorrede zu seinem
„Prodromus poeticus" bereits ein Fricdländer-
Drama seiner Vaterschaft angekündigt hatte.
Wenigstens hat Velten (nach Licr in der Allg.
d. Biographie) in Torgau — Lier sagt nicht,
wann — den Haugwitzschen „Wallenstein" zur
Aufführung gebracht. Der gewaltige Stoff hatte
seine dramatische Anziehungskraft schon zu
Wallensteins Lebzeiten und in ungleich stärkerem
Grade natürlich sehr bald nach des Fürsten
Ermordung in Eger geübt. In einem Schrift-
chen „Wallcnstcin in der dramatischen Dich-
tung des Jahrzehnts seines Todes" (Frauenfeld
1894) hat uns Theodor Vetter kurz und an-
ziehend darüber belehrt. Schon im Jahre 163 1
erschien der düstre Held als der „Wüterich
Lastlevius" in der „Pomeris" des Stettincr Rek-
tors Lüttkeschwager, und unmittelbar nach
seinem Tode behandelte der Löwener Dichter
und Gelehrte Vernulz das tragische Geschick
des von der „ambitio" Verführten. Und wenn
Wallenstein in England, Spanien, Italien auf
der Bühne erschien, dann begreift es sich, dass
er in Deutschland so bald nicht wieder ver-
schwinden konnte, und jetzt vollends nicht
wieder verschwinden kann, seitdem ein Genius
ihm seine Worte geliehen.
Auch aus der Ankündigung der Faust-
Auffuhrung lässt sich nicht ersehen, welche
der zahlreichen Bearbeitungen der Sage für das
Theater ihr zu Grunde gelegen. Vermutlich
hatte jeder Bühnendirektor seine eigene. Seit
der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts liess
das grosse Problem, das sich in dem Stoff
verbarg und das erst durch Goethe ganz ge-
hoben wurde, unser Volk, seine Erzähler und
Dramatiker nicht ruhen. Aber so wenig wir von
dem Verfasser des ältesten deutschen Volks-
buches wissen, so wenig kennen wir den Dichter
des ältesten Volksschauspiels vom Doktor Faust,
das, vermutlich nur im Manuskript, von Hand
zu I land weiter wanderte und von den Schau-
spielern zu den Marionetten kam, bei denen
es sich bis weit in unser Jahrhundert hinein
erhielt. Die Gestalt, in der Simrock es vor-
gefunden und herausgegeben (1846), ist ja
bekannt genug. Velten hat jedenfalls das
„unvergleichliche und weltbekannte Stück", das
höchstwahrscheinlich durch Marlowes „Faust"
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Hulthaupt, Die Bremischen Theaterzettel von 1688.
175
stark beeinflusst war, in seiner Redaktion ge-
geben, und sie wird nicht die schlechteste
gewesen sein.
Der „George Dandin", der den Schluss der
Vorstellung vom 18. Mai bildet, ist natürlich
Molieres bekanntes Werk. Der grosse fran-
zösische Lustspieldichter gehörte zu Veltens
Lieblingen, und er hat es sich mit seiner Ein-
führung in das Repertoire der deutschen Bühnen
Ernst sein lassen.
Ob die Bremer Zettel die ältesten sind oder
geblieben sind, das heisst, ob nicht seit dem
15. November 1891 irgendwo noch ältere zur
öffentlichen Kunde gelangt sind, ist mir nicht
bekannt. An jenem Tage erschien nämlich
in dem Organ der „Genossenschaft deutscher
Bühnenangehörigcr" ein kleiner Artikel von
Arthur Deetz, der Mehrings Notiz in derselben
Zeitung, und zwar in der Nr. 45 vom 8. No-
vember desselben Jahres, wonach der Faust-
Zettel der „älteste Theaterzettel aus der deut-
schen Bühnengeschichtc" sei, korrigierte. Mit
jener Bezeichnung war Mehring allerdings ein
kleiner Irrtum passiert, denn der Wallcnstein-
Zettel ist ja, wie sein Datum ausweist, um
zwei Tage älter. Darauf wollte aber Deetz
nicht hinaus. Er meldete sich vielmehr als
der glückliche Besitzer einer Schauspiel-An-
kündigung, die sich (nach Rudolph Gencc) auf
den Beginn der Saison 1629 auf dem Fecht-
hause in Nürnberg beziehen soll und nach
Deetz' Mitteilung folgenden Wortlaut hat:
„Zu wissen sei Jedermann, dass allhier an-
kommen eine ganze neue Compagnie Comö-
dianten, sowie niemals zuvor hier zu Land
gesehen, mit einem sehr lustigen Pökelhering,
welche täglich agiren werden, schöne Comödien,
Tragödien, Pastorellcn (Schäfercyen) und His-
torien, vermengt mit lieblichen und lustigen
Interludicn, und zwar heute Mittwoch den 21.
Aprilis werden sie praesentiren eine sehr lustige
Comödi, genannt:
Der Liebe Siissigkeit verändert sich
in Todes Bitterkeit.
Nach der Comödi soll pracsentirt werden ein
schön Ballet und lächerliches Possenspiel. Die
Liebhaber solcher Schauspiele wollen sich Nach-
mittags Glock 2 einstellen auffen Fechthaus,
allda um die bestimmte Zeit praecise soll an-
gefangen werden."
Das wäre, wenn man auf solche Unter-
scheidung Wert legen will, in Form und Inhalt
immerhin noch etwas andres als ein eigent-
licher Theaterzettel. Doch entsprechen die
Bremischen Zettel den Anforderungen unsrer
jetzigen Programme mit ihrem vollständigen
Personenverzeichnis, der Angabe der Dar-
steller u. s. w. ja auch nicht. Karl Engel und
Crcizenach weisen in ihren bekannten Schriften
zur Faust-Litteratur einen älteren Zettel nicht
nach. Und so oder so: das literarhistorische
Interesse und der Reiz der Kuriosität bleiben
ihnen, auch wenn sie von neu entdeckten
Vorgängern um die Ehre der Alterspräsidenten
gebracht werden sollten.
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Zur Geschichte des „Kladderadatsch."
Von
Dr. Max Ring in Berlin.
Mit Zusätzen von Fedor von Zobcltitz.
e üi schichte des „Kladderadatsch"
liefert einen ebenso interessanten wie
wichtigen Beitrag zu unserer allgc-
meinen Litteratur- und Kulturgeschichte. Der
Boden, auf dem das lustige Blatt aufwuchs und
sich entwickelte, war das vormarzlichc Berlin
mit seinem scharfen kritischen Verstand, seinem
kaustischen, originellen Witz, seiner ange-
borenen „Unverfrorenheit" und seiner politischen
Unzufriedenheit. Seine Geburt fiel in das ver-
hängnisvolle Jahr 1848, in die bewegte Zeit
der Märzrevolution. Sein Vater war David
Kaiisch, ein geborener Schlesien die Pathen, die
an seiner Wiege standen, waren der findige
Kladdcradtttch, linnurtk t«ieka«ad.
Zeichnung von G. lir.indt.
Verlagsbuchhändlcr Albert Hof mann, die beiden
geistvollen Kandidaten der Theologie und Philo-
logie Ernst Dohm und Rudolph Löwenstciii,
sowie der witzige Zeichner Wilhelm Schob.
Kaiisch zeigte, ursprünglich Lehrling, später
Handlungsgehilfe und Prokurist in dem an-
gesehenen Galanterie- und Möbelgeschäft der
Gebrüder Bauer in Breslau, schon früh eine
entschiedene Neigung und auch Begabung
für die dem schlesischen Volksstamm eigene
Gelegenheitspoesie. Da er sich aber durch
seine Stellung in seiner Freiheit beschränkt und
in seiner geistigen Entwicklung gehemmt fühlte,
fasste er den Fntschluss, Breslau zu verlassen
und nach Paris zu gehen, wo
er, wie so viele Deutsche in
jenen Tagen, das Eldorado der
politischen und persönlichen
Freiheit zu finden hoffte. Mit
geringen Geldmitteln und eini-
gen Empfehlungen an deutsche
Flüchtlinge, an Mcrwegh und
Freiligrath, reiste er über Brüs-
sel nach Paris, mit der Absicht,
daselbst ein Kommissionsge-
schäft für französische Galan-
teriewaren zu begründen.
Zunächst genoss Kaiisch
in vollen Zügen die so lang
entbehrte Freiheit und die
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Ring, Zur Geschichte de» Kladderadatsch.
177
verführerischen Vergnügungen des modernen
Babel. Vom frühen Morgen bis zum späten
Abend flanierte er durch die Strassen und auf den
Boulevards, besuchte er die glänzenden Cafös
und verlockenden Tanzsäle, vor allem aber die
zahlreichen Theater, in denen er den ersten
Grund zu seiner bewunderungsw ürdigen Bühnen-
kenntnis legte und sich unbewusst den graziösen
Witz, die Leichtigkeit und Feinheit des franzo-
sischen Geistes, die Anmut und Schlagfertigkeit
der Couplets und Chansons aneignete, den
Stoff und die Form für seine späteren Arbeiten
sammelte.
Während Kaiisch in solcher Weise das
Pariser Leben gründlich kennen lernte, schwan-
den seine mitgebrachten Napoleonsdore nur zu
schnell dahin, so dass er in die grösstc Not
geriet und sich gezwungen sah, auf der Strasse
sein Brod zu suchen, um sein Leben zu fristen.
Eine Zeit lang diente er seinen I-andsleuten als
Fremdenführer, aber die Konkurrenz war zu
gross und das Geschäft zu wenig einträglich.
Um nicht zu verhungern, trat er als Arbeiter
in eine Fabrik, doch seine Schw ächlichkeit und
Kurzsichtigkeit nötigten ihn bald, auf diese
Hilfsquelle zu verzichten. Zuletzt blieb ihm
nichts übrig, als seine überflüssige Wäsche und
seine Kleider zu versetzen oder zu verkaufen.
In seiner grossten Not wendete sich Kaiisch
an Heinrich Heine, der mit der ihm eigenen
Herzensgüte sich des armen, verlassenen Land-
manns annahm und ihn nach Kräften unter-
stützte.
Von Heine, Herwegh und Karl Grün em-
pfohlen, erhielt endlich Kalisch mit Hilfe des
berühmten sozialistischen Nationalökonomen
Froudhon eine vorteilhafte Stellung als Buch-
halter und deutsch-französischer Korrespondent
in einer angeschenen Seidenhandlung zu Strass-
burg; leider nur für kurze Zeit, da Kalisch ohne
sein Verschulden in die zwischen seinen beiden
Prinzipalen bestehenden Streitigkeiten ver-
wickelt, seine Kntlassung nehmen und nach
Deutschland zurückkehren musste. Arm an
Geld und Hoffnungen, aber reich an Erfah-
rungen und Menschenkenntnis, an politischer
Einsicht, litterarischen und besonders drama-
tischen Eindrücken, betrat Kalisch nach jahre-
langer Abwesenheit die deutsche Heimat. Ein
modemer „Gil Blas" hatte er die verschieden-
sten Verhaltnisse. Personen und Zustände in
Z. f. B. 98^99.
seiner Jugend kennen gelernt, die Freuden und
Leiden des Daseins, selbst Mangel und Not
erprobt Abwechselnd Fremdenführer, Kauf-
mann, Projektenmacher, Arbeiter und Prole-
tarier hatte er tiefe Blicke in das Leben ge-
than und eine Fülle interessanter Beobachtungen
gemacht.
Anfänglich liess er sich in Leipzig nieder,
wo er mit Oettinger und Herlosssohn bekannt
wurde und für das Witzblatt „Charivari" und ähn-
liche Zeitschriften kleine Gedichte und Artikel
schrieb. Da er aber in Leipzig zwar Aner-
kennung, doch keine Honorare fand, so ver-
tauschte er noch einmal die litterarische Lauf-
bahn mit einem Engagement in einem grösseren
Speditions- und Kommissionsgeschäft in Berlin.
Mit der ihm eigenen Pünktlichkeit, Ordnungs-
liebe und kaufmännischer Solidität besorgte
er die übernommenen Arbeiten. Nichtsdesto-
weniger behielt er noch immer Zeit und Lust
für seine Licblingsneigungen. In seinen Muße-
stunden schrieb er mehrere kleine Theaterstücke,
unter ihnen die witzige Bluette „Ein Billet von
Jenny Lind", die jedoch nicht in Berlin, sondern
im Schöneberger Sommertheater zum ersten
Male aufgeführt und mit dem grössten Beifall
aufgenommen wurde.
Aufgemuntert durch den unerwarteten Er-
folg bearbeitete Kalisch eine bekannte franzö-
sische Posse, „Einmalhunderttauscnd Thaler",
die auf dem früheren Königsstädtischen Theater
einen ungewöhnlichen Triumph feierte, da er
es verstanden hatte, ein eben so treues als
unterhaltendes Bild des damaligen Berlin zu
geben und statt der verbrauchten Theater-
schablonen wirkliche Menschen, wahre Typen
der Gesellschaft, wie den unvergleichlichen
„Zwickauer", darzustellen. Dazu kam noch der,
bei der schon vorhandenen politischen Gärung
doppelt zündende Dialog voll versteckter, aber
wirksamer Anspielungen auf das reaktionär-
pictistische Regiment, vor allem aber das in
dieser Weise nie zuvor benutzte Couplet mit
seinen scharfen Spitzen und treffenden Aus-
fällen, getränkt in der ätzenden Lauge eines
revolutionären Witzes, der sich geschickt unter
scheinbarer Harmlosigkeit verbarg und selbst
die Polizei zum Lachen zwang.
Mit einem Schlage wurde der kleine unbe-
kannte Kommis ein populärer, allgemein be-
liebter Schriftsteller. Das Volk sang seine
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i 7 8
Ring, Zur Geschichte des Kladileradatsch.
leicht fasslichen Lieder auf der Strasse, die
Gebildeten lachten über seine geistreichen Ein-
fälle, und seine witzigen Redensarten wurden
sprichwörtlich. Die Kritik feierte einstimmig
das plötzlich auftauchende Talent und begrüsstc
ihn als den modernen Aristophancs des neuen
Spree-Athen. In der bekannten Hippeischen
Weinstube, wo sich um Bruno und Edgar
Bauer die jüngste Hegeische Schule sammelte
und mit vernichtender, weltvcrachtender Kritik
den Staat und die Gesellschaft angriff, wurde
Kaiisch ein angesehener
und beliebter Stammgast,
und in dem sogenannten
„Rüth," einer zwanglosen
Gesellschaft, in der Ernst
Kossack, Titus Ulrich,
Rudolf Gottschall, Ernst
Dohm, Wilhelm Scholz,
u. a. m. verkehrten, wurde
Kaiisch mit Vergnügen
aufgenommen.
Hier herrschte jener
übermütige Humor, der
„höhere Blödsinn", welcher
in der nur von und für
Mitglieder geschriebenen
und von Scholz illu-
strierten „Rütli-Zeitung"
seine lustigen Blüten trieb.
Durch Dohm und Löwen-
stein eingeführt , fand
Kaiisch in dieser Gesell-
schaft bereits alle Keime
und Elemente des künf-
tigen „Kladderadatsch",
die er allmählich in seinem
Geiste reifen Hess. Ausserdem fehlte es ihm
nicht an mehr oder minder nennenswerten Vor-
bildern des Berliner Witzes und deutschen
I lumors, wie der komische Beckmann mit dem
Eckensteher „Nante Strumpf, der witzige Glass-
brenner, mit „Berlin, wie es ist — und trinkt"
und sein Namensvetter Ludwig Kaiisch mit
der Mainzer Karnevalsschrift „Xarrhalla".
Alle diese Hilfsquellen geschickt benutzt
und den richtigen Augenblick erfasst zu haben,
ist das grosse und alleinige Verdienst von
Kaiisch. Als die Revolution im Jahre 1848
ausbrach, in den Fürstenschlosscrn die Furcht,
in den Ministerhotels Verwirrung und Ratlosig-
Verlagstjuchhüixller Albert llofmann.
keit, in den Volksversammlungen und Klubs
der Unverstand und die Phrase, in den Strassen
Anarchie und Zuchtlosigkeit herrschten, da ent-
sprang dem Kopf des kleinen David der
„Kladderadatsch", wie die gewaffnete Minerva
dem Haupte Jupiters. Mit dem vollständigen
Manuskript der ersten Nummer trat Kaiisch in
das bescheidene Gcschäftslokal des Buchhänd-
lers Albert Hofmann, der vorzugsweise sich
mit dem Verlage der humoristischen Tages-
litteratur befasste, und bot ihm das neue Unter-
nehmen an.
Der Verleger zögerte
und forderte einige Tage
Bedenkzeit, nach deren
Ablauf er sich zwar bereit
erklärte, das beabsichtigte
Blatt in Kommission zu
nehmen, jedoch mit der
Bedingung, dass der Autor
die Kosten für Druck und
Papier tragen sollte. Das
vorläufige Honorar für
eine Nummer wurde auf
einen Friedrichsdor fest-
gesetzt. Einige Tage
später riefen die fliegen-
den Buchhändler in den
Strassen Berlins mit lau-
tem Geschrei: „Kladdera-
datsch, Kladderadatsch!"
— Das Publikum stutzte,
wurde aufmerksam, kaufte
aus Neugier das neue
Blatt, las und lachte über
den komischen Leitartikel,
bewunderte den scharfen
Witz und die Kühnheit, mit der der Verfasser
alle Parteien gcisselte, amüsierte sich über die
pikante Geschichte einer anrüchigen Schau-
spielerin, und das Glück des neuen Blattes war
gemacht, wenn auch kein Mensch und selbst
nicht der Vater des Neugeborenen die künftige
Grösse und kulturhistorische Bedeutung des
kleinen Weltbürgers ahnte.
Aber bevor der „Kladderadatsch" diese un-
erwartete Höhe erreichte, musste auch er erst
den allgemeinen schweren Kampf um das Da-
sein bestehn. Obgleich Kaiisch mit übermensch-
lichem Fleissc arbeitete, so vermochte er
doch nicht allein die geistigen Kosten seines
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Ring, Zur Geschichte des Kladderadaisch.
179
Witzblattes zu bestreiten. Er sah sich daher
genötigt, geeignete Mitarbeiter zu suchen, die
er zum Glück an seinen beiden Vettern und
Freunden Rudolf Löwenstein und Ernst Dohm
fand, zu denen sich als Vierter der geistreiche
Zeichner der „Rütli-Zeitung", Wilhelm Scholz,
gesellte. Durch diese frischen Kräfte gewann
das Blatt natürlich an Mannigfaltigkeit, Ab-
so erzählt Schmidt- Weissenfeis — an den
Minister von Manteuffel nach Berlin: „Kladde-
radatsch nichts zuleide thun!" — Auch die
demokratischen Parteiführer erkannten die neue
Macht an, die schonungslos ihre Hiebe zur
Rechten und zur Linken austeilte. Hauptsäch-
lich durch die kühnen Angriffe des witzigen
Blattes wurde der gefürchtete Agitator Held
David Kalitch auf dem Schooiie Thalia», in den Armer,
den Kladdcradattch hallend.
ZcKhnung von Herben König au« den Jahre 185;.
wechslung und auch an innerem Gehalt. Bald
erregten einzelne Artikel ein ungewöhnliches
Aufsehn und übten einen nicht zu unterschätzen-
den Einfluss auf die öffentliche Meinung und
selbst auf die politischen Verhältnisse aus.
König Friedrich Wilhelm IV. wurde ein eifriger
Leser und Gönner des Kladderadatsch; selbst
witzig, fühlte er eine gewisse Sympathie für den
verwandten Geist; als das Staatsministerium
das Blatt seiner unverbesserlichen Haltung
wegen unterdrücken wollte, telegraphierte er —
von seiner Höhe herabgestürzt und wie so
manche andere Grösse entlarvt und lächerlich
gemacht.
Natürlich fehlte es dem „Kladderadatsch"
auch nicht an erbitterten Feinden, die ihn um
jeden Preis zu unterdrücken suchten. Während
des Belagerungszustandes von Berlin stand vor
allen dieses Blatt auf der Proskriptionsliste der
Reaktion. Auch die Mitarbeiter wurden er-
barmungslos verfolgt; Löwenstein, der noch
Landwehrmann war, sollte vor das Kriegsgericht
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Ring, Zur Geschichte de» Kladderadatsch.
gestellt werden. Ein ähnliches Schicksal be-
drohte Kaiisch und Dohm, dem sich beide
durch die Flucht entzogen. In dieser Zeit der
grössten Not trat der Verleger Hofmann als
rettender Steuermann an das Ruder des dem
Untergang geweihten Schiffleins. Er wanderte
mit seinem verstossenen Kinde nach Leipzig,
wo Ernst Keil, der spätere Begründer der
„Gartenlaube", ihm Unterschlupf gewährte, bis
Verwendung der Rcicbistcuern.
..Wohin »ollen w.r mit all' dem GeLle? Und v„r allen Dingen -
Polizeipräsident von Hinkeldey unter dem
9. Dezember 1848 die Rückkehr gestattete.
Damit waren aber noch nicht alle Fährlich-
keiten überwunden. Im Januar 1849 erfolgte
ein neues Verbot; Hofmann und Löwenstein,
die mit Ausgewiesenen, siedelten nach Neustadt-
Eberswalde über, wo der „Kladderadatsch" in
der Buchdruckerei von E. Müller weiter erschien.
Aber auch in Berlin versuchte man ihn um
diese Zeit dennoch einzuschmuggeln und zwar
zunächst unter dem Titel ,. Karnevals-Zeitung"
und später als „Fastnachts-Zeitung in der Art
des Kladderadatsch". VVrangels und Hinkeldeys
scharfen Augen entging indessen auch diese
Contrebande nicht, bis die Aufhebung des Be-
lagerungszustandes dem Blatte erlaubte, ohne
Visier wieder in Berlin einzuziehen.
Nach beendetem Exil stellte sich jedoch
immer mehr die Notwendigkeit heraus, dem
Blatte einen eigenen Redakteur zu geben.
Mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit und
Schüchternheit überliess Kaiisch das
wichtige, aber gefahrliche Amt seinem
Freunde und Kollegen Dohm. Dieser
hatte in Halle unter Wegscheider und
Tholuk Theologie studiert, bereits mit
Erfolg gepredigt und ab Hauslehrer
in einer angesehenen Familie gelebt.
Sein Talent und seine Liebe zur Un-
abhängigkeit führten ihn der Litteratur
zu. Einige Zeit schrieb er für den
„Gesellschafter" von Gubitz und für Leh-
manns „Magazin für die Litteratur des
Auslandes." Gleichzeitig leitete er ein
Knaben-Pensionat, das er jedoch bald
wieder aufgab.
Mit Dohm kam ein neues lieben,
ein höherer Aufschwung, ein idealeres
Element, eine universellere Richtung
in das Blatt. Der spezifische Berliner
Witz wurde durch die klassische Bil-
dung, die gediegene Kritik und die
poetische Form des neuen Redakteurs
geadelt. Der Kladderadatsch feierte
gewissermafsen seine Wiedergeburt,
eine Art Renaissance, die Vermählung
des modernen Couplets mit dem antiken
Epigramm, des Chansons mit der Para-
base, des höheren Blödsinns mit dem
aristophanischen Geist — In ähn-
lichem Sinn wirkte Rudolf Löwenstein,
der gründlich gebildete Philologe und Verfasser
gemütvoller „Kinderliedcr", durch sein lyrisches
Talent und seine schlesische Behaglichkeit, be-
sonders aber durch die ihm angehörenden
Freunde „Prudelwitz und Strudelwitz". Dass
aber trotz dieser Umwandlung die ursprüngliche
Komik nicht fehlte, dafür sorgte Kaiisch mit
seiner unerschöpflichen lustigen Laune.
Aus dem blossen Berliner Lokalblatt wurde
jetzt ein Weltblatt, aus dem „Organ fiir und
von Bummler" ein Organ für die Gebildeten
der Nation, eine bedeutende litterarische und
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Ring, Zur Geschichte des Kladderadatsch.
1S1
Dohms Abschied vom Molkenrn-irkt.
Zeichnung von W. Scholl.
kulturhistorische Schöpfung für ganz Deutsch-
land, die den grüssten Einfluss auf die öffent-
liche Meinung übte, ein Freund der Freiheit
und ein gefürchteter Gegner der Reaktion.
Die Zahl der Abonnenten wuchs mit jedem
Tage, der Verleger wurde ein reicher Mann,
die Mitarbeiter erhielten Ministergehälter und
eine zugesicherte Pension für sich und ihre
Familien. Aber mit des Geschickes Machten
ist kein ewiger Bund zu flechten; noch einmal
drohte ein wütender Sturm dem Dasein des
„Kladderadatsch", als Zar Nikolaus von Russland
1852 das von der demokratischen Seuche ge-
reinigte Berlin mit seinem hohen Besuche beehrte.
Ks galt dem allmächtigen Kaiser eine bessere
Meinung von der Bevölkerung beizubringen
und einen schmeichelhaften
Empfang zu bereiten, wozu
der damalige Polizeipräsi-
dent von Ilinkeldey die
nötigen Massregcln verord-
nete. Auf seinen Befehl
mussten sämtliche Berliner
Zeitungen dem gefürchteten
Zaren huldigen und die
Stadt das freudigste Gesicht
machen. Nur der ver-
wegene ..Kladderadatsch"
wagte zu widerstehen und
mit dem allmächtigen Auto-
kraten artzubinden, vor dem
Fürsten und Völker zitterten.
Einige Witze über die be-
fohlene Fälschung der öffent-
lichen Meinung, über die
gemachte Begeisterung versetzten Ilinkeldey
in unbeschreibliche Wut. Kaiisch und Löwen-
stein wurden ohne Erbarmen abermals aus-
gewiesen, bei Dohm wurde Haussuchung ge-
halten und dessen Papiere mit Beschlag belegt
Zwar kehrten die Verbannten, nachdem sich
das Ungewitter verzogen, heimlich wieder nach
Berlin zurück und wurden von den nachsich-
tigen Behörden stillschweigend geduldet, aber
über ihrem Haupte schwebte fortwährend das
Damoklesschwert der polizeilichen Willkür.
Erst der Vermittlung einflussreicher Gönner,
besonders den Bemühungen des Redakteurs
Adami, des Geheimen Hofrats Louis Schneider
und des Gartendirektors Lenne* gelang es, den
Bann aufzuheben und die vollständige Be-
gnadigung der armen Sünder durchzusetzen.
Von der schweren Sorge um die Existenz und
von ferneren Verfolgungen befreit, widmeten
die Mitarbeiter ihre ganze Kraft dem geretteten
Blatt Immer frischer und fröhlicher entwickelte
sich ihr Humor, und immer grösser wurde die
Zahl der Abonnenten und ihr Leserkreis.
Zu den vielen Gönnern des „Kladderadatsch"
zählte auch Bismarck, nachdem ein zwischen
ihm und der Redaktion ausgebrochener Konflikt
(im Dezember 1849) wegen einer unabsichtlichen
Beleidigung seines Hauses auf eine für beide
Teile gleich ehrenvolle Weise beigelegt war. Bei
dieser Gelegenheit schrieb Bismarck, der damals
noch Bundestagsgesandter in Frankfurt war, den
folgenden charakteristischen Brief an Dohm:
Crino-caro-line. — Spoitbild von W. Schölt.
Dohm unter der Crinolinc (im Gefängnis des Molkenmarkts), links Kalitch. I/iwenitcin
und Schöll, recht« KUddcradatscb mit Schulze und Muller.
y Google
182
Ring, Zur Geschichte de* Kladderadatsch.
„Ew. Wohlgeboren sage ich meinen ver-
bindlichsten Dank für die offene und zufrieden-
stellende Art, in der Sie die Güte gehabt
haben, mein Schreiben zu beantworten. Ich
freue mich, dass ich mich in der Voraus-
setzung nicht getäuscht habe, dass neben
einer politischen Farbe, die sich auch unter
veränderten Umständen gleich bleibt, auch
das Vorhandensein einer ehrenhaften Auf-
fassung von Privatverhältnissen anzunehmen
sei. Mit der Versicherung aufrichtiger Hoch-
achtung Ew. Wohlgcboren ergebenster
Bismarck."
Seitdem herrschte zwischen den beiden
Mächten Eintracht, Friede und Freundschaft,
und als Bismarck als Ministerpräsident nach
Berlin berufen war, empfing er den Redakteur
Dohm als einen der ersten Besucher, den er
einer langen und inhaltsreichen Unterredung
würdigte. Dafür fand er auch am „Kladde-
radatsch" einen ebenso tapfern als einsichts-
vollen Bundesgenossen im Kampfe gegen seine
Feinde, besonders gegen Frankreich und Louis
Napoleon, den das witzige Blatt in Wort und
Bild mit scharf geschliffenen Waffen gewaltig
angriff und dessen Anschn in Deutschland und
ganz Europa der „Kladderadatsch" wesentlich
vernichten half, wodurch er sich ein grosses
patriotisches Verdienst erwarb und seine poli-
tische Bedeutung zeigte.
Dankbar für die ihm geleisteten Dienste,
schützte Bismarck seinen Freund bei mancher
Gelegenheit. Trotzdem fehlte es auch in diesem
freundschaftlichen Verhältnisse nicht an kleinen
Zwistigkeiten und Reibungen, da „Kladdera-
datsch" kein byzantinischer Schmeichler und
Augendiener war, sondern den Mut seiner
Meinung behauptete. Als der lustige Schalk
die neuen Schutzzölle des Reichskanzlers in
einem ziemlich unschuldigen Bilde anzutasten
wagte, wurden der Verleger und Redakteur
je mit einer Busse von 200 Mark belegt, worüber
„Kladderadatsch" folgende Verse an seinen
„Otto" richtete.
„Ich werd' es trafen, wie ich Manches trug,
l'nd auch von diesem Schmerz werd' ich genesen;
Doch wollt ich wohl, die mir die Wunde schlug,
War eines andern Mannes Hand gewesen.
Indes — vielleicht schon reut Dich, dass Du mir
So hart begegnet bist in Deinem (irimmc;
Vielleicht ruft in Dir selbst schon eine Stimme:
Nein, Otto, nein, das war nicht hübsch von Dir" ..
Auch in diesem Falle bewährte sich das
alte Sprichwort: „Was sich Lebt, neckt sich."
„Kladderadatsch" blieb seinem Otto treu bis zum
letzten Augenblick, und als der Reichskanzler
seinen Abschied nahm und sich zurückzog, rief
ihm der kleine Freund mit weinenden Augen
ein schmerzliches Lebewohl zu:
„Heil Dir, o Fürst! So lange auf dem Krdcnrund
Noch Deutsche wohnen, wird die stolze Kunde nicht
Von dein versterben, was Du für Dein Volk gethan. —
„Heil Dir, o Fürst! beschieden sei Dir's lange noch,
Mit rustgem Schritt im Sachscnwald Dich zu ergehn.
Und oftmals magst Du feiern noch den frohen Tag,
Der uns den besten Deutschen hat dereinst geschenkt."—
„Kladderadatsch" selbst blieb nicht verschont
von schweren Schicksalsschlägen. Im Jahre
1872 erkrankte David Kaiisch und starb, be-
weint von seinen zahlreichen Freunden. In
kürzeren und längeren Zeiträumen folgten ihm
Ernst Dohm, Albert Hofmann, Wilhelm Scholz
und zuletzt auch Rudolf Löwenstein nach langer
geistiger Umnachtung, die ganze lustige Ge-
sellschaft, die ein glücklicher Zufall zusammen-
geführt und so innig verbunden hatte. Zwar
überlebte „Kladderadatsch" seine unersetzlichen
Verluste und suchte durch neue Kräfte die
entstandenen Lücken so gut als möglich aus-
zufüllen, aber die veränderten Zeitverhältnisse
waren ihm nicht so günstig, wie in den glück-
lichen Jahren seiner Jugend und seiner Blüte.
Dennoch wird er fortleben in der Geschichte
und sein Name noch von der Nachwelt stets
mit einem heiteren Lächeln begrüsst werden. . .
Ich möchte mir zu dem Artikel des Herrn Dr.
Max Ring noch einige Zusätze erlauben. Über
die Griindungsgcschichte des „Kladderadatsch"
ist bisher wenig mehr in die Öffentlichkeit ge-
langt als das, was Dr. Ring in obigem wieder-
erzählt hat. Am 7. Mai d. J. feierten der Ver-
lag und die Redaktion des Blattes im Kreise
engerer Freunde den fünfzigsten Geburtstag
des „Kladderadatsch", den auch Fürst Bismarck
nicht vorübergehen Hess, ohne dem alten
Freunde und Gegner einen Glückwunsch und
ein Grusswort zu senden. Bei dieser Gelegen-
heit erschien ein Blichelchen „Der Kladdera-
datsch und seine Leute iStf—ilirß", das
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»33
mancherlei Neues und Interessantes zur Ge-
schichte des vielgenannten Witzblattes bringt.
Zunächst in Bezug auf die Namenstaufe. Kaiisch
war mit seiner Idee schon bei Hofmann ge-
wesen, und Ilofmann hatte sich einverstanden
erklärt, sie auszuführen. Er hatte auch bereits
eine Titelvignette gefunden, die ihm für das
Blatt passend und charakteristisch erschien,
die feiste Kladderadatschbüste, die den Leser
seit fünfzig Jahren unverändert mit schlauen
Philisteraugen anschaut und mit dem Finger
auf den Inhalt der ersten Seite hinweist.
Durch einen glücklichen Zufall war Ilofmann
in den Besitz dieses charakteristischen Bildes
gelangt, das nicht besonders für den „Kladde-
radatsch" gezeichnet worden, sondern älteren
Ursprungs war. Der Kopf hatte nämlich schon
den Umschlag des 1847 bei B. Senffin Leipzig
erschienenen ,.Anekdotenjägers" geschmückt
und hatte bei einer Abonnementsaufforderung
in No. 52 desselben Blattes nochmals Ver-
wendung gefunden. Ein lustiger und talentierter
Commis, dessen Name unbekannt geblieben ist,
hatte ihn gezeichnet; Hofmann, der von Senflf
häufiger Clichös erwarb, kaufte den Kopf, und
an einem Apriltage 1848 brachte er den Holz-
schnitt mit in die Hippeische Weinstube am
Alexanderplatz in Berlin, wo er sich mit Kaiisch
und dem Schriftsteller Julius Schweitzer verab-
redet hatte. Man plauderte über das neue
Blatt und beriet den Namen, den es erhalten
sollte, als plötzlich der Jagdhund eines anderen
Gastes, von irgend jemandem gehetzt durch
das Lokal zu rasen begann, das Tischchen
umstiess, an dem Hofmann, Schweitzer und
Kaiisch sassen, und Teller, Gläser und Flaschen
mit lautem Geklirr zu Boden warf. „Kladde-
radatsch!" rief Kalisch aus — und „Kladde-
radatsch!" wiederholten die beiden Freunde.
Und plötzlich jubelte Kalisch auf — gab es
denn einen besseren Namen für das neue
Blatt, als dieser Ausruf „Kladderadatsch!?" —
Der Zufall wollte, dass der Zeichner des Titcl-
kopfs in die rechte Backe als eine Art Vexier-
bild einen Hundekopf hineinkomponiert hatte —
damit kam auch der ungestüme Köter zur
Geltung, der die äussere Veranlassung zu dem
Taufakt gegeben hatte. Wie populär Mann
und Kopf allmählich"' wurden, beweisen schon
die zahlreichen Nachahmungen, die der „Kladde-
radatsch" u. a. auch bei kaufmännischen Re-
klamen, Festzeitungen u. dgl. m. erfuhr. Bei
seinem Eintritt in die Welt nannte sich der
„Kladderadatsch" bekanntlich in Berlinerisch
grammatikalischer Bummelei „Organ für und
von Bummler". Am 5. August 1849 verschwand
diese Bezeichnung und „Humoristisch-satyrisches
Wochenblatt" trat an ihre Stelle. Erst in der
Nummer vom 16. April 1870 wurde aus dem
Satyr eine Satire, und „Kladderadatsch" nannte
sich rechtschreibend nunmehr ein „humoristisch-
satirisches Wochenblatt." Dagegen hat sich
der Ausspruch: „Dieses Blatt erscheint täglich
mit Ausnahme der Wochentage," ein Einfall
Glassbrenners, bis heute erhalten — ebenso der
„Wochenkalender" zu beiden Seiten des Titel-
kopfs. Die prosaischen Leitartikel des ersten
Jahrganges (den die Verlagshandlung als will-
kommene Jubiläumsgabe im Neudruck veraus-
gabt hat) wichen mit der Zeit poetischen
Ergüssen, die bei ernsten Ereignissen und in
verhängnisvollen Zeiten nicht selten eine klas-
sische Höhe erreichten.
Die humorvollen „Illustrierten Rückblicke"
begannen in den Nummern 59 und ob des
Jahrganges 1856. Die volkstümlichen Ty|>cn
Schultze und Müller treten in No. 8 von 1848
in einer uns heute nicht mehr verständlichen
Unterhaltung zum ersten Male auf; übrigens
hatte Hofmann auch das Urbild dieser Gruppe
von SenfT in Leipzig erworben. Strudelwitz
und Prudelwitz, Löwensteins Erfindung, tauchen
schon in No. 3 des ersten Jahrganges auf.
Der geistige Vater des Zwickauer war Ka-
lisch; auch der gelehrte Quartaner Karlchen
Miessnick und sein Freund Adolar Stint
stammten von ihm, ebenso die von Zeit zu
Zeit wiederkehrenden Bierphilisterresumees
„Unter den Tulpen" und „Bei der Weissen."
In neuerer Zeit haben sich noch andere Typen
zu den alten gefunden, so beispielsweise der
Acolsharfensänger Hunold von der Havel, den
meines Wissens der lustige Chemiker Jakobsen
ersonnen und erdichtet hat.
Verantwortlich für die Redaktion zeichnete
bis No. 28 von 1848 die Verlagshandlung,
von No. 29 bis 32 kommt das Leipziger Inter-
regnum mit Ernst Keil & Co. an die Reihe,
No. 32 bis No. 2 1849 zeichnete wieder der
Berliner Verlag und von No. 3 bis No. 20
Rudolf Löwenstein. Von da ab bis zu seinem
Tode, 5. Februar 1883, übernahm Dohm die
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184
Ring, Zur Geschichte des Kladderadatsch.
ller Abichiecl Bismarck! v um K I ,< I d c r a J .i[»c Ii.
Zeichnung von C. iirandt.
Leitung der Redaktion; ihm folgte nochmals
Lowcnstcin und nach dessen Ausscheiden im
Jahre 1886 Johannes Trojan.
Löwenstein und Dohm standen Kaiisch
schon in den ersten Monaten des Bestehens
des Blattes zur Seite. Im Jahre 1862 trat Trojan
ein, 1883 Wilhelm PolstorfT, der schon seit 1874
Heiträge geliefert hatte — 1890 als jüngstes
Mitglied endlich Paul Roland, der „Bilder-
erfindcr." Zu den auswärtigen Mitarbeitern der
ersten Zeit zählten vor allem: Glassbrenner,
Buddelmeyer-Cohnfeld, Dove, Kossack, Herwegh
(der seine Heiträge G. H. zeichnete), Albert
WollT, der spätere „Figaro"-Redakteur, Prutz
und Dingclstedt, zu denen in späteren Jahren
Emil Jakobsen, Heinrich Seidel, Lohmeycr u. a.
traten. Als Zeichner begann Wilhelm Schob
schon in der zweiten Nummer seine
Thätigkeit; von Zeit zu Zeit lieferten
aber auch Albert Wolff, der den
Stift ebenso gewandt führte wie die
Feder, Carl Reinhardt, LölTler,
Steintet, Trützel, Schroeder illustrierte
Heiträge, denen sich öfters auch der
geniale Constantin von Grimm zu-
gesellte, ehemals Offizier beim Enten
Garderegiment , dann Herausgeber
eines eigenen Witzblattes, des „Puck,"
das den „Kladderadatsch" bitter zu
bekämpfen pflegte. In den letzten
Lebensjahren von Wilhelm Scholz
assistierten ihm die vortrefflichen
Karikaturisten Jiittner und Rete-
meyer: an ihre Stelle sind gegen-
wärtig die Zeichner Brandt und Stutz
getreten. Unter den „unfreiwilligen" Mit-
arbeitern nahm vom Staatsstreich ab „KR"
die erste Stelle ein. Der Napoleonsbilder im
„Kladderadatsch" sind Legion; No. 4 von
1850 bringt den Usurpator zum ersten Male,
wie er sich mit dem damals in Paris weilen-
den Kaiisch vertraulich unterhält. Der ge-
harnischte Spott, mit dem er Napoleon ver-
folgte, trug ihm oft genug Verwarnungen
ein; seine erste Haft aber hatte er einer
Dame zu verdanken, der Fürstin Karoline
von Rcuss ältere Linie, deren „Prinzessin-
steuer" er in einem lustigen Lied vom
15. November 1863 glossierte. Das Gedicht
stammte von Trojan, aber Dohm musste dafür
brummen. Einige Tage vor Dohms Haftent-
lassung brachte der „Kladderadatsch" das
auch hier wiedergegebene „Crino-caro-linen"-
Hild. König Wilhelm amüsierte sich köstlich
darüber, und da zufällig an diesem Tage
Ministerpräsident von Bismarck Vortrag beim
Könige hatte, so sprach man über die gelungene
Karikatur, und Bismarck schlug vor, dem ein-
gesperrten Redakteur den Rest seiner Strafe
zu schenken. Bismarck selbst teilte dies Dohm
in einem liebenswürdigen Briefe mit, der mit
folgender Mahnung endete: „Darf ich eine
persönliche Bitte an diese Mitteilung knüpfen,
so ist es die, die arme Karoline nun ruhen zu
lassen . . ." Und Karolinc erhielt ihre Ruhe.
Damals hatte Dohm für Trojan sitzen müssen;
heute muss Trojan für die Idee und Zeichnung
eines Andern in das Gefängnis spazieren . . .
Kl a d'l * r ad 1 1 lc h. Napoleon titulierend,
/cilmuiig VM W. Schuir.
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Ring, Zur Geschichte des Kladderadatsch.
Über Bismarck und den „Kladderadatsch" hat
der Verlag selbst eine ganze Litteratur ver-
öffentlicht 1 Bildlich erschien Bismarck zum
crstenmale in der No. 45 vom 4. November
1849 in der als „Peter von Amiens und die
Kreuzfahrer" persiflierten Gruppe der Kreuz-
zeitungspartei. Erst nach 1853 finden wir das
typische Gesicht Bismarcks; die No. 20 vom
3. Mai 1 863 bringt ihn zuerst mit den charakte-
ristischen drei Haaren, die der scheidende
Kanzler dem „Kladderadatsch" in der No. 14/15
von 1 890 beim Abschiede zurücklässt (siehe die
Seite 184 wiedergegebene Abbildung). In den
Stürmen der 1848er Zeit war der „Kladdera-
datsch" ausgesprochen demokratisch; unter
Löwenstein lenkte er sodann in das Fahr-
wasser des politischen Fortschritts ein, bis er
unter Trojan bei einer gewissen Annäherung
an den Nationalliberalismus eine objektivere
Haltung in der Politik einnahm, d. h. sich über
die Parteien zu stellen suchte. Trojan selbst hat
sich bei Gelegenheit der fünfzigjährigen Gcburts-
tagfeicr des „Kladderadatsch" sehr witzig über
diese „Wandlung* ' ausgesprochen ; der „Kladdera-
datsch" erreichte schliesslich das, was er wollte:
185
er verdarb es mit allen Parteien, um fessellos
an allen seinen Witz üben zu können. Für
ein politisch - satirisches Blatt vielleicht der
richtigste Standpunkt
Von den Gründern des Blattes weilt keiner
mehr unter den Lebenden. Kaiisch starb, noch
nicht 53 Jahre alt 1872; 1880 folgte ihm Albert
Hofmann, zwei Jahre später Dohm, dann
Löwenstein und Scholz, die beiden lustigen
Kumpane in geistiger Umnachtung. Nach
dem Tode des ersten Verlegers übernahm den
Verlag dessen Sohn, Rudolf Hofmann, der ihn
noch heute mit voller Energie leitet
Auch der „Kladderadatsch" hat seine Pfeile
zuweilen auf Ziele gerichtet die er aus monarchi-
schem Respekt hätte verschonen sollen. Das
ist eine persönliche Ansicht der man aus dem
Wesen der Satire heraus widersprechen kann.
Eins muss man dem „Kladderadatsch" jeden-
falls nachrühmen: er hat stets den Mannesmut
gehabt unter Schelle und Pritsche tapfer und
furchtlos für die Wahrheit zu kämpfen und nach
besten Kräften dem Vaterlande zu dienen, und
zu allen Zeiten hat über seinem Haupte die
nationale Fahne geweht F. v. Z.
1 BismarckAltum des Kladderadatsch 1849 —'890. Mit 300 Illustrationen von WUhelm Schah und vier faesimi-
Herten Briefen des Reichskanzlers. Einleitung von Rudolf Genie. 1895. — Bismarck- Gediehle des Kladderadatsch, mit
Erläuterungen herausgegeben von Horst Kohl und vielen Illustrationen von W~. Schölt und G. Brandl. 2. Tausend 1894. —
Der Kladderadatsch und seine Leute. Ein Kulturbild. 1898. Alles bei A. Hofmann & Co. in Berlin.
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Die dritte Ashburnham -Auktion.
Von
Otto von Schleinitz in London.
m 9. Mai begann bei Sotheby in London
der Verkauf des letzten Drittels der durch
den verstorbenen Grafen von Ashburnham
1 begründeten Büchersammlung. An diesem
Tage wurden 196 Nummern verauktioniert, die einen
Erlös von 4 5 3 6 o Mark ergaben. Die bedeutendsten
Bücher und die dafür gezahlten Preise waren folgende :
Phoebus, Comte de Foix „Ph£bus des deduiz de
la Chasse des Bestes Sauvaiges", Paris, Vcrard,
ungefähr 1507, ein vollkommenes Exemplar dieses
sehr raren Werkes, 1 000 M. (Quanten). Die seltene
Ausgabe von „Proenico di Ser Alesandro Braccio al
prestantissimo Giovanni Lorenzo di Pier Francesco
de medici", Florenz, undatiert, brachte 1800 M.
(Quaritch); Plinius Secundus „Historia Naturalis
lib. XXXVH", auf Velin gedruckt von Jenson,
Venedig 1472, im besten Renaissancestil illu-
miniert, 3800 M. (Quaritch); eine andere Ausgabe
desselben Werkes „tradosta di lingua Latina in
Florentina", von Landino, 1476, gleichfalls von
Jenson auf Velin gedruckt, 1600 M. (H. Yates
Thompson); Pluvinel „Llnstruction du Roy en
l'exercise de monter ä Cheval", 1627, mit kolo-
rierten und mit Gold gehöhten Kupferstichen,
1360 M. (Thompson). Die Serie „Prayer-books"
umfasste 50 Nummern; die nachstehenden waren
darunter die bemerkenswertesten : Ein schönes und
sehr seltenes Exemplar von dem unter Elisabeth
gebräuchlichen „Common Prayer-book", 1559,
vollständig, 4800 M. (Quaritch); eine spätere Aus-
gabe, von der das vorliegende Exemplar allein
den Psalter enthält, 2960 M. (Field & Co.); ein
Exemplar der ersten Ausgabe von John Knox'
„Liturgy", 1566, mit dem Wappen des Herzogs
von Bedford, 3000 M. (Quaritch); „The Booke
of Common Prayer", 1604, von R. Barker ge-
druckt, 1620 M. (Field & Co.); „Prymer of
Salysbury Use, newly emprynted al Paris", 1531,
auf Velin, sehr selten, 1700 M. (Quaritch); „A
Goodly Prymer in English, printed in Fleet-street
by John Byddell for Wylliam Marshall, June 16,
1 535"» a,u " Velin, vollständig, wahrscheinlich ein
Unicum, 4500 M. (Quaritch). Von den 19 Aus-
gaben des Psalter ist die nachstehende hervor-
zuheben: „Psalterium ex mädato victoriosissimi
Anglic Regis Henrici Septimi", 1504, aus der
Offizin von William Facques, mit dem Autographen
von Arthur Nowell 1588, nur noch in zwei anderen
Exemplaren bekannt, 2000 M. (Quaritch).
Am zweiten Tage wurde die Summe von
43718 Mark erreicht. Besonders erwähnenswert
sind nachstehende Werke: Claudius Ptolemeus
„Cosmographia", ein vollständiger Satz von 27 Kar-
ten, die seltene von Peter de Turre 1490 in Rom
hergestellte Ausgabe, 310 M. (Stevens); F. Rabe-
lais „Les Oeuvres", 1556, die vier ersten Teile
enthaltend, 250 M. (Ellis); „La Plaisante et Joyeuse
Histoyre du Grand Geant Gargantua", die vier
ersten „Livres"; drei davon in der Original-
Valence- Ausgabe, die nach Brunet nur noch in
zwei Exemplaren bekannt ist, 1260 M. (Quaritch);
„Les Songs Drolatiques de Pantagruel", 1556, ein
schönes Exemplar der ersten Ausgabe, 820 M.
(Rain); Sir Walter Raleigh „The Discoverie of
the Large, Rieh, and Bewtiful Empire of Guiana",
1596, erste Ausgabe, sehr selten, 620 M. (Jackson).
Vier kleine Quartbände, enthaltend 124 italieni-
sche Stücke, bekannt unter dem Namen „Rap-
presentationi" , gedruckt Ende des XVI. oder
Anfang des XVII. Jahrhunderts, jedes Stück in
der Regel aus 8— 10 Blättern bestehend, brachten
14240 M. Drei Bände kaufte Mr. Aubrey, den
vierten M. Quaritch. Der Roman de la Rose,
mit sämdichen Hobschnitten, das Titelblatt in
Facsimile, erzielte 7100 M. (Pickering).
Ein ähnliches Resultat wie das der beiden Vor-
gänger wurde am dritten Tage in Höhe von
56913 Mark erreicht Den bemerkenswertesten,
wenn auch nicht den höchsten Preis erzielte ein
nicht beschnittenes Exemplar der ersten Ausgabe
von Walter Scotts „Waverley", 18 14 durch Con-
stable veröffentlicht, mit 1560 M (Pickering). Das
sogenannte Gibson Craig-Exemplar, ein vollkommen
gleiches Objekt wie dieses, wurde vor zehn
Jahren nur mit 210 M. bezahlt Demnächst ge-
langten die Folio- Ausgaben Shakespeares zum Ver-
kauf. Die Ausgabe von 1623 erstand Sotheran
für 1 1 700 M.; R Scott „The Discoverie of Witch-
craft", 1584, ein schön erhaltenes Exemplar,
1040 M. (Jackson); „Paradoxes ofDefence", 1599,
ein sehr interessantes Buch, weil es einige Scenen
Shakespeares und anderer Dramatiker unter Elisa-
beth illustriert, 1440 M. (Quaritch); „Why Come
ye Nat to Courte", gegen 1520, die sehr seltene
erste Ausgabe, deren Inhalt eine Satire auf den
Kardinal Wolsey bildet, geschrieben von John
Skelton, 1365 M. (Bain); „Speculum Christiani",
lateinisch und englisch, um 1484, London, aus
der Offizin von Machlinia, 4600 M. (Pickering);
„Speculum Vitae Christi", schönes Exemplar mit
einigen ganz unbedeutenden Defekten, ungefähr
1480 von Caxton gedruckt, 10200 M. (Pickering).
Blades zählt in seinem Werke nur 10 und meistens
defekte Exemplare auf. Dies Buch kostete dem
Grafen Ashburnham nicht mehr als 500 M.
Das Interesse des kauflustigen Publikums hatte
sich am vierten Tage etwas abgeschwächt, so dass
die Einnahme nur 27813 M. betrug. Bedeutendere
Werke wurden aber trotzdem gut bezahlt: M.
Stevenson, „The Tweloe Moneths", 1661, sehr
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v. Schleimt*, Die dritte Ashburnham -Auktion.
I8 7
selten, 490 M. (Quanten); Jonathan Swift, ein
schönes Exemplar der ersten Ausgabe von „Gulli-
ver's Travels", 1726, extrafeines Papier, 1220 M.
(Stevens); T. Tasso „Rime et Prose", von Clovis
Eve gebunden, mit der Devise der Marie -Mar-
guerite de Valois, Saint-Remy 1589, nur Teil III
und IV, 1020 M. (Quaritch); der erste und zweite
Teil des Werkes, gleichfalls von Eve für Margarete
von Valois gebunden, wurde im Jahre 18S2 in
der Hamilton - Auktion verkauft R. Taverner
„The Confessyon of the Fayth of the Germaynes",
übersetzt von Tavemer im Auftrage von Thomas
Cromwell, 1536, kam auf 1220 M. (Bain); Terentius
„Book of Sentences", lateinisch und englisch, wahr-
scheinlich ein Unikum, London, von Machlina ge-
druckt (von den 32 Blättern des vollständigen
Exemplars sind 2 abhanden gekommen) 4020 M.
(Quaritch); Terentius „Guidonis Juvenalis natione
Cenoniani in Terentium Familiarissima Interpre-
tatio", 1493, mit vielen interessanten Holzschnitten,
1420 M. (Pickering). Von den 69 zur Versteige-
rung gelangten Testamenten war die grössere An-
zahl unvollständig. Die erste kombinierte Ausgabe
von Tyndales englischem und des Erasmus latei-
nischem Testament, 1538, mit zwei fehlenden
Blattern, kaufte Sotheran filr 1 140 M., und dasselbe
Buch, aber von 1 549 datiert, erstand er für 1020 M.
Tyndales Testament, 1 548, von R. Jugge hergestellt,
2600 M. (Quaritch). Das sehr seltene, 1557 in
Genf gedruckte Neue Testament, in welchem zum
erstenmale in der englischen Übersetzung die Ein-
teilung des Textes in Verse geschieht, brachte
560 M. (Quaritch).
Der fünfte Tag ergab einen Erlös von
39687 Mark. Der „Tewrdanck", 1517, Nüm-
berg, mit 118 Holzschnitten nach Zeichnungen von
Hans Scheufflein, ein schönes Exemplar, 6200 M.
(Quaritch); Tondalus „Libellus de Raptu Anime
Tundali et eius Visione", gotische Buchstaben,
absque ulla nota (wahrscheinlich aber 1475) 9^o M.
(Bain); „A Boke of Divers Ghostly Matters", von
Caxton ungefähr 1490 gedruckt, ein gut erhaltenes
Exemplar, 6200 M. (Quaritch). letzterer erstand
auch die beiden folgenden Werke von George
Turberville „The Booke of Faulconrie or Haw-
king", 1575, editio prineeps, 1000 M. und „The
Noble Arte of Veneri or Hunting", 1575, erste
Ausgabe, 1020 M. Robertus Valturius „De Re
Militari IIb. XH a , 1472, die äusserst seltene erste
Ausgabe, 4380 M. (Dobell). „Viazo da Venesia
al Sancto Jherusalem et al Monte Sinai", 1500,
obgleich sehr selten, erzielte nur 800 M.; Virgil
„Opera", von Heinsius herausgegeben, Elze vir,
1676, 225 M. (Quaritch); „Burolica Virgilii cum
Commento Famihari", 1529, von Wynkyn de Wörde
gedruckt, unvollständig, 620 M. (Quaritch).
Der letzte und sechste Auktionstag wies ein
Resultat von 64936 M. auf, sodass im ganzen
für das letzte Drittel der Ashburnham- Bibliothek
278427 Mark gezahlt wurden. Kleinere Irrtümer
oder Ungenauigkeiten in diesen Zahlenangaben
sind indessen nicht ausgeschlossen, da hin und
wieder einzelne Bücher nicht abgenommen werden
oder wegen entdeckter Fehler u. s. w. nachträglich
geringer in Ansatz kommen. Die erste Ausgabe
der ersten vier Bücher von Virgils „Aeneide" in
englischer Sprache, von John Pates 1582 in Leyden
gedruckt, ergab 2160 M.; Voragine „La Legende
Doree", illuminiert, das Exemplar des Herzogs von
Sussex, 1493, auf Velin, 3300 M.; Voragine „Legen-
dario de Sancti", 1499, ein Band, 2400 M.; „Vora-
gines Legende Aurea, that is to saye in Englyshe,
the Golden Legend", gotische Buchstaben, un-
vollständig, Caxton 1493, m defektem Zustande,
3020 M. Ein anderes von Wynkyn de Wörde 1498
gedrucktes Exemplar brachte 1000 M. Die ersten
5 Ausgaben von Waltons „Compleat Angler",
wahrscheinlich ein Unikum, 1653 — 1676 gedruckt,
16000 M. Wolfium von Esschenbach, Parzifal
und Titurell, die Originalausgabe, 1477, lith. got
Buchstaben, 1620 M.; „The Bokys of Hawking
and Hunting, by Dame Juliana Barnes", erste
Ausgabe, 1496, unvollkommen, gotische Buch-
staben, in St. Albans gedruckt, 2400 M.; C&xtons
„Chaucers Canterbury Tales", erste Ausgabe,
nur 295 Blätter (vollständig 372), 1478 gedruckt,
4600 M.; dasselbe als Fragment von 277 Blättern,
1200 \L, und als Fragment von 165 Blättern,
1 2 20 M. „Canterbury Tales", zweite Ausgabe, 1 484,
Westminster, von Caxton gedruckt, 2000 M.; John
Gowers „Confessio Amantis", Westminster 1484,
gothische Buchstaben, von Caxton hergestellt, un-
vollständig, 2000 M.; Du Saix (Fraire Antoine)
„Lesperon de Discipline", Velin, gotische Buch-
staben, 1532, aus der Offizin von Koehler, 3020 M.
Da auch an diesem Tage Mr. Quaritch die be-
deutendsten Werke erwarb, so kann man wohl mit
Recht behaupten, dass der Löwenanteil der Ash-
burnham-Bibliothek in seinen Besitz Ubergegangen
ist. Wenn auch einzelne Bücher recht gut bezahlt
wurden, so hat sich im ganzen doch die Unsicher-
heit der politischen Verhältnisse fühlbar gemacht
Die beiden ersten Drittel der Sammlung hatten
den Betrag von 966009 Mark ergeben, so dass
unter Hinzurechnung des Erlöses des letzten Drittels
in Höhe von 278427 Mark, die Totalsumme von
1 244436 Mark erreicht wird. In den nächsten
Monaten soll bei Sotheby ein vollständiges Preis-
verzeichnis der drei Ashburnham -Auktionen er-
scheinen, durch welches, wie bereits oben angedeutet,
kleinere Änderungen von Preisangaben, sowohl für
einzelne Bücher, als auch für das Gesamtresultat,
entstehen können. Im allgemeinen dürfte die
Differenz jedenfalls keine erheblich grosse sein.
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Kritik
Johannes Brahms. Von Professor Dr. Heinrich Rei-
mann. Berlin, Verlagsgesellschaft Harmonie. (M. 3.50.)
Unserer Zeit kann mit Recht nachsagen, dass
sie den Autoritäten auf jedem Felde der menschlichen
Leistungen mit der gebührenden Achtung und Ver-
ehrung entgegen kommt und — was nicht zu vergessen
ist — sie auch der irdischen Sorgen enthebt Die Ver-
lags-Gesellschaft Harmonie in Berlin, im Jahre 1897
gegründet, bestehend aus einer Anzahl litterarisch
gebildeter Männer, unter der künstlerischen Leitung
des Professors Dr. Heinrich Reimann, Bibliothekars der
Königlichen Bibliothek, hat sich zur Aufgabe gestellt,
unsere neueren bedeutenden Musiker durch ausführ-
lichste Biographien in schmuckem Gewände weiteren
Kreisen bekannt zu machen. Die erste Ausgabe be-
handelt das Lebensbild Johannes Brahms von Prof. Dr.
Heinrich Reimann, Mit gewandter Feder verbindet er
den Schriftsteller mit dem Urteile des Musikers und
Kritikers. Das Leben Brahms bietet nur wenig Ab-
wechselung. Er wurde am 7. Mai 1833 zu Hamburg
geboren. Sein Vater, Johann Jakob, aus Heide im
Dithmarschen, arbeitete sich aus eigener Kraft zum
Musiker empor, wurde Contrabassist am Hamburger
Theaterorchester und spielte auch zum Tanze auf.
Die musikalischen Anlagen des jungen Johannes zeigten
sich sehr früh, und der Vater sorgte dafür, soweit seine
beschränkten Mittel es erlaubten, dieselben auszubilden
und nutzbar zu machen. Ein Glück für ersteren war
es, dass er neben der praktischen Ausbildung an dem
Theoretiker Eduard Marxsen in Hamburg einen Mann
fand, der seine bedeutenden Kompositionstalente er-
kannte und sich des Knaben ohne Entgeld mit Liebe
annahm. Seine Jugendzeit war mühevoll: am Tage
musste er die Märsche und Tänze für Blechmusik
arrangieren und Nachts zum Tanze aufspielen, um zum
Unterhalte der Familie mit beizutragen. Am 21. Sep-
tember 1848 hielt ihn sein Lehrer für reif, sich als Klavier-
virtuose öffentlich vorzustellen. Charakteristisch ist das
Programm, denn neben allerlei damals im Schwange
befindlichen Virtuosenstücken, wie Rosenhain, Döbler,
Marxsen, stand auch eine Fuge von Sebastian Bach;
sie bildete das Sinnbild der künftigen Richtung seiner
eigenen Laufbahn. Am 1. März und 14. April 1849 folgten
weitere öffentliche Kunstgcbungen, in denen er neben
Beethovens grosser Sonate in Cd. (op. 53) auch eine
eigene Komposition vortrug. Die folgenden Jahre bis
1853 waren ernsten Studien geweiht, doch in letzterem
Jahre bewog ihn der Violinist Eduard Remenyi, der zur
Zeit in Hamburg konzertierte und Brahms kennen ge-
lernt hatte, mit ihm eine Künstlerfahrt durch Nord-
deutschland zu machen. Das erste Ziel war Göttingen,
wo sie Joseph Joachim trafen, der als Hospitant an der
Universität historische und philosophische Vorlesungen
bei Waitz und Ritter hörte, nachdem er soeben auf dem
rheinischen Musikfeste mit dem Vortrage des Beethoven-
sehen Konzerts sich als gottbegnadeter Künstler ge-
zeigt hatte. Hier lernte er den zwei Jahre jüngeren
Brahms kennen, der ihn durch sein Spiel und seine
Kompositionen fesselte und mit dem er einen Bund
fürs Leben knüpfte. Von Göttingen reisten die beiden
Künstler nach Hannover, dann nach Weimar. Nun
trennte sich Brahms von Remenyi, denn Liszt verstand
es, den jungen Mann an sich zu ketten, und erst nach
einem sechs wöchentlichen Aufenthalte ging er nach
Göttingen zu Joachim zurück. Die Konzerttour scheint
recht einträglich gewesen zu sein ; nach kurzem Auf-
enthalte folgte bald eine Reise nach der Schweiz, sodann
zu Fuss den Rhein abwärts nach Bonn, wo Brahms die
Bekanntschaft von Wasielewski, des Violoncellisten
Reiners und Wüllners machte, die er durch seine Kom-
positionen begeisterte. Anfang Oktober befand er sich
in Düsseldorf und besuchte Robert Schumann; wie tief
der Eindruck war, den letzterer empfing, beweisen sein
Urteil über Brahms in der „Neuen Zeitschrift für Musik"
vom 23. Oktober 1853 S. 484 und die Briefe, die er an
Breitkopf & Härtel in Leipzig schrieb. Die Leipziger
Verleger wollten Brahms selbst hören,- am 17. Dezem-
ber 1853 trat er daher in einem Konzert in Leipzig mit
eigenen Kompositionen auf, die ihren Zweck soweit
erfüllten, dass Breitkopf & Härtel, sowie Bart. SenfTzehn
seiner Werke, meist Klavierkompositionen, in Verlag
nahmen. Auch in den nächsten Jahren scheint er sich am
Rhein aufgehalten zu haben, denn als Schumann 1854
in Wahnsinn verfiel, war Brahms der Einzige, der im
Endenichcr Irrcnhause bei Bonn zugelassen wurde und
bis zu Schumanns Tode, 1856, den Meister pflegte. Im
Jahre 1858 leitete er die Hofkonzerte und den Gesang-
verein in Detmold, 1859 weilte er in Hamburg und gab
Konzerte, in denen Joachim und Stockhausen, der
Sänger, mitwirkten. Anfang der sechziger Jahre ging
er nach Wien, um dort zu konzertieren. Der Eindruck
war so bedeutend, dass man ihm die Direktion der
Singakademie anbot, die er auch bis 1864 leitete. Trotz-
dem man ihn im genannten Jahre für die nächste drei-
jährige Periode wieder wählte, legte er das Amt doch
im Juli nieder. Er konnte nicht lange an einem Orte
verbleiben und hat dies Zugvogclähnüche bis an sein
Lebensende beibehalten. Bis zum Jahre 1872 lebte er
teils in der Schweiz, besonders in Zürich, in Karlsruhe,
Bonn und Baden-Baden, teils vorübergehend in Wien.
1871 unternahm er mit Joachim eine Konzertreise nach
Ungarn. Erst vom Jahre 1872 ab verbrachte er regel-
mässig den Winter in Wien und übernahm dort die
Leitung der Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde,
die er bis 1875 führte. Dies war seine leüte amtliche
Direktionsthätigkeit. Seine Kompositionen standen so
hoch im Preise, dass er von den Honoraren ein sorgen-
freies Leben führen konnte und noch ein Vermögen
von 100000 Gulden hinterliess, welches ihm sein alleiniger
Verleger Simrock in Berlin verwaltete.
Die vorliegende Biographie schreibt über sein
äusseres Leben: „Im Genüsse vollster persönlicher
Freiheit und Unabhängigkeit, in einer Stadt, dessen
volkstümlich heiteres Wesen ihm ausserordentlich bc-
hagte, im vertrauten Umgange mit einem Kreise von
Künstlern und Schrifststellern (Hanslick, Goldmarck,
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Kritik.
189
Brüll, Nottebohm, Mandycewski, Kalbeck u. a.), die
dem Meister sämtlich in treuer Verehrung zugethan
waren, vor allem im intimen Verkehr mit Billroth, in
dessen gastlichem Hause die meisten Kompositionen
für Kammermusik zum erstenmal gehört wurden,
führte er ein ausserordentlich zufriedenes, behagliches
Dasein in völlig ungestörter Hingabe an seine Kunst.
Über das trauliche, aber einfache Junggesellenhcim, das
er sich in dem Hause Karlsgasse 4 im dritten Stocke
begründet hatte, führten treu sorgsame, befreundete
und mit der Eigenart des Meisters wohlbekannte Frauen-
hände die Obhut Den Frühling pflegte er gern in
Italien zuzubringen, den Sommer in der Schweiz. Die
zweite Hälfte des Winters, in der Regel von Neujahr
ab, nahm er Einladungen zur Aufführung seiner Werke
an, wobei er selbst als Dirigent oder Klavierspieler
thätig war." Trotz der Verehrung und der akade-
mischen Auszeichnungen, die ihm von vielen Seiten
entgegen gebracht wurden, beschrankte sich der Kreis
seiner Freunde nur auf ein kleines Häuflein, und der
allgemeine Erfolg seiner Kompositionen war nur ein
Achtungserfolg, selbst in Wien. Der Antagonismus der
sogenannten Wagner-Partei, die gerade in den siebziger
Jahren in einem Brahms gespendeten Lobe eine Be-
leidigung ihres Meisters erblickte, mochte das zum
grössten Teile verschuldet haben. Ein Leberleiden,
nicht früh genug erkannt und von Brahms selbst zu
wenig beachtet, führte seinen Tod herbei.
Die äussere Ausstattung der vorliegenden Bio-
graphie ist ausserordentlich geschmackvoll ; schon der
Einband aus weisser Leinewand, mit Gold- und Braun-
druck und einer idealen Frauengestalt geschmückt,
zeigt die Absicht, ein künstlerisch ausgestattetes Druck-
werk zu bieten. Trefflich ist das Brustbild Brahms,
das in Mattlichtdruck als Titelbild beigegeben ist; zahl-
reiche andere Porträts aus verschiedenen Lebensaltern,
zum Teil nach gänzlich unbekannten Amateurphoto-
graphien seiner Freundin Marie Fellinger, unterbrechen
den Text, ausserdem findet man die Porträts seines
Vaters, seines Lehrers Marxsen, seiner Freunde Joachim,
Stockhausen u. a., femer sein Geburtshaus, seine
Wohnungseinrichtung in Wien, mehrere allegorische
grössere Abbildungen, die Bezug auf seine Werke haben,
radiert von Max Klinger, mit dem Brahms — wie aus
der Widmung seines letzten Opus (4 ernste Gesänge)
zu ersehen ist — eng befreundet war, Facsimiles von
Briefen (z. B. des vierseitigen Briefes, den Brahms nach
seinem ersten Konzert an seine Eltern schrieb), mehreren
Liedern (wie das bekannte Wiegenlied „Guten Abend,
gut' Nacht — " im Dedikationsexemplar), einer Seite
Partitur aus seinem Triumphliedc und vieles andere in
künstlerischer Darstellung, sodass der Gesamteindruck
ein durchweg befriedigender und anregender ist. Der
Preis ist ausserordentlich niedrig bemessen worden.
Templin. Robert Eitner.
Nachbildung deutscher Gedichte. Leipzig, Dietrichsche
Verlagsbuchhandlung. (1 M.)
Dass die Übersctzungslitteratur, die Wiedergabe
fremder Dichtungen in unsere Sprache in der Ge-
schichte unserer Dichtung von nicht geringer Bedeutung
ist, dürfte nach den Arbeiten von Degen, Goedeke,
Bemays, Boke u. a. hinlänglich bekannt sein. Weniger
allgemein ist wohl die Kenntnis der Geschichte der
Nachbildung deutscher Gedichte in neulateinischen
Rhythmen, die auch in engstem Zusammenhange steht
mit der Geschichte der neulateinischen Dichtung über-
haupt. Soviel für die letztere bereits gethan ist (vgL
„Z. f. B." 1. Bd. II S. 384/85), so wenig für die erstere.
Eine sehr kurze „Übersicht über die Nachbildung
deutscher Gedichte in neuUteinisch-rhythmischer Form"
findet sich in der von Pemwerth v. Bämstein jüngst
herausgegebenen Jmitata". Pemwerth zufolge habe
man erst in unserem Jahrhundert begonnen, deutsche
Gedichte in die Sprache Ciceros zu kleiden. Dem
gegenüber bin ich, wenn auch augenblicklich ausser
stände, Beispiele beizubringen, gewiss, dass sich bei
eingehenderen Nachforschungen auch aus früherer Zeit
Beispiele finden würden, namentlich in Humanisten-
und Studentendichtungen. Für das XIX. Jahrhundert
führt Pemwerth eine ganze Reihe von solchen Um-
dichtern an, darunter von bekannteren Namen den
Philologen Welker, den Archäologen Fuss, den Buch-
händler Gustav Schwetschke, dessen Arbeiten für die
Geschichte des Buchhandels in wohlverdientem An-
sehen stehen, den Goetheforscher Friedrich Strchlkc,
den Philologen Wölfflin, die Schriftsteller Scheffel,
Dahn u. a. Der Verfasser, seit einer Reihe von Jahren
auf dem Gebiete der Geschichte des Studentenwesens
und der studentischen Littcratur erfolgreich litterarisch
thätig — seine „Beiträge zur Geschichte und Littcratur
des Deutschen Studententums", Würzburg 1882, sind
noch immer die beste und reichhaltigste Bibliographie
der gesamten einschlägigen Litteratur — und dadurch
auch mit dem Grenzgebiete deutscher und lateinischer
Dichtung vertraut, hat, nachdem er in früheren
Schriften bereits eine Reihe lateinischer Gedichte in
deutscher Fassung vorlegte (Carmina burana selecta
1879, Ubi sunt qui ante nos in mundo fitere 1881, In
Duplo 1888), uns nunmehr mit einem Bändchen latei-
nischer Nachbildungen bekannter deutscher Gedichte
beschenkt. Das von der Verlagsbuchhandlung reizend
ausgestattete Werkchen enthält Übersetzungen von
Gedichten von Goethe, Schüler, Herder, Geibel, Greif,
A. Grün, Rückert, Scheffel, U bland, Schack und haupt-
sächlich Heine. Gerade bei den Liedern Heines kann
der Übersetzer trotz aller Formgewandtheit nicht den
melodischen Zauber des Originals wiedergeben. Da
gegen ist die allerdings freie Übertragung des Goethe-
schen „Über allen Gipfeln ist Ruh" ziemlich geglückt.
Wien. A. L. Jellinek.
Pemwerth von Bärnstün: Imitata. Lateinische
Nachbildungen bekannter deutscher Gedichte. Mit einer
kurzgefassten Geschichte der lateinisch rhythmischen
Die Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in
Wien, die sich in dem Viertcljahrhundert ihres Be-
stehens die weitgehendsten Verdienste um Pflege und
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Kritik.
Förderung der graphischen Künste im ganzen deutschen
Sprachgebiet erworben hat, betritt jetzt mit einem
neuen Unternehmen ein Gebiet, welches ihrer bis-
herigen Thätigkcit gänzlich fern lag. Ihre grossartigen
Verlagswerke richteten sich bisher meist, wenn auch
nicht an die „oberen Zehntausend" der Reichen, so
doch vorzugsweise an die der Gebildeten, ihre Bilder-
bogen für Schule und Haus sollen indes Bildung im
allgemeinen und Kunstbildung im besonderen in die
grosse Masse des Volkes tragen und darin mit der
Schule beginnen ; die Keime für die Liebe zur Kunst
sollen schon in die Herzen der Jugend gesenkt, Ver-
ständnis für die Kunst soll in ihr entwickelt werden.
Deshalb wird diesen Bilderbogen auch ein weitaus-
schauendes Programm zu Grunde gelegt. Die Ver-
öffentlichung von 500 Bogen ist zunächst in Aussicht
genommen, und diese werden biblische und profane
Geschichte, Sagen und Legenden, Märchen, Geographie,
Darstellungen aus dem Leben des Volkes, Tierleben,
technische Einrichtungen und Kunstgeschichte umfassen ;
von den Sagen und Legenden werden die meisten, von
den Märchen aber alle Bogen in farbiger Ausführung
hergestellt, die übrigen sind in Schwarzdruck ausge-
führt. Die Bilderbogen erscheinen in dreifacher Ge-
stalt: in einer Volksausgabc, einer Liebhaber-Ausgabe
und einer Luxus-Ausgabe, erstere zu dem ungemein
billigen Preise von 10 Pf. pro Einzelblatt in Schwarz-
druck und 20 Pf. in Farbendruck oder 3 Mark pro
Mappe mit Umschlag und Titelblatt; die Liebhaber-
Ausgabe in eleganter Kartonmappe, deren Blätter auf
feines Velin gedruckt sind, kostet 10 Mark; das Format
der Blätter beider Serien ist 37 : 48 cm. Die Luxus-
Ausgabe, Format 48 : 62 cm., erscheint nur in 100
numerierten Exemplaren, ist auf Japanpapier gedruckt
und auf Kupferdruckpapicr montiert; ihre Blätter sind
ohne Schriftdruck, tragen dafür aber die eigenhändigen
Unterschriften der Künstler, und der Text, der bei der
Volksausgabe auf die Rückseite der Blätter gedruckt
ist, wird hier, wie bei der Liebhaber-Ausgabe, auf be-
sonderen Blättern beigegeben; ihr Preis ist 100 Mark
für die Mappe von 25 Blättera
Was den Inhalt des ersten Heftes anbelangt, so ist
derselbe den vorstehend angegebenen Zweigen des
Wissens entnommen, besonders umfassend aber ist die
Geschichte— durch 1 1 Tafeln — vertreten, und in betreff
der Ausführung der teueren hat man augenscheinlich
nach dem Grundsatz gehandelt, dass das Beste gerade
gut genug für die Kinder und für das Volk. Sie ist in
jeder Hinsicht vortrefflich. Die Darstellungen aus der
biblischen Geschichte von F. Jcnewcin erinnern durch
grossartige Auffassung und markige Kraft an die Blätter
von Schnorr von Carolsfeld, und auch die anderen Bil-
der sind von ersten Meistern entworfen und teils in
Holzschnitt (im Atelier der K. K. Hof- und Staats-
druckerei in Wien), teils in Autotypie und Zinkätzung
meisterhaft reproduciert. Diese Reproduktion könnte
man auf einigen der Blätter fast zu fein für Schul
rwecke halten, denn sie macht, soll ihre ganze Schönheit
erfasst und empfunden werden , ein Betrachten aus der
Nähe unerlässlich selbst für gute, jugendliche Augen;
als Wandtafeln werden sie sich nur bedingungsweise
verwenden lassen, doch ist eine derartige Verwendung
wie schon aus der Feinheit der Zeichnung der meisten
Blätter hervorgeht, kaum beabsichtigt worden.
Ausgeführt sind die Blätter in Holzschnitt und
Zinkographie, einschliesslich Autotypie und Chromo-
zinkographie ; zehn Blätter in Holzschnitt sind aus den
xylograpischen Ateliers der K. K. Hof- und Staats-
druckerei hervorgegangen und zwei schuf Meister
Hermann Paar in Wien; Angerer & Göschls photo-
chemigraphische Kunststatte ist an der Herstellung von
zehn Blättern durch autotypische, zinko- und chromo-
zinkographische Ätzungen beteiligt, sechs Blatter für
Schwarzdruck ätzte Jan Vilim in Prag, und eins Max
Perlmutter in Wien; man darf letzteren beiden nach-
rühmen, dass sie redlich bestrebt gewesen sind, es der
altberühmten Firma von Angerer & Göschl gleichzuthun.
Unter den Holzschnitten aber befinden sich wahre
Perlen xylographischer Kunst, die jedes Prachtwerk
zieren würden. Eröffnet wird die Mappe durch ein
Porträt des Kaisers Franz Joseph, geschnitten in der
Staatsdruckerei und auf Chamoisfond ebenda gedruckt ;
auch alle anderen Blätter der Mappe hat die genannte
Anstalt in durchaus tadelloser Weise gedruckt
So tritt uns unter dem bescheidenen Titel von
„Bilderbogen" eine neue Schöpfung der Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst entgegen, die, was ihre graphi-
sche Ausfuhrung anbelangt, selbst in der einfachen
Form der Schulausgabe als ein Prachtwerk bezeichnet
zu werden verdient, dessen Schönheit aber allerdings
erst auf dem feinem Velin der Liebhaber- Ausgabe ganz
gewürdigt zu werden vermag. Eines nur scheint uns be-
dauerlich: dass alle Jahre nur eine einzige Lieferung
erscheinen soll. Alle Freunde graphischer Kunst seien
auf diese „Bilderbogen" hiermit aufmerksam gemacht.
Stuttgart. Theodor Goebtl.
Schillers Werke. Herausgegeben von Ludwig
Iiellerntann. Kritisch durchgesehene und erläuterte
Ausgabe. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut.
8°. 14 Bände.
Der grossen Serie der vortrefflichen Meyerschen
Klassikerausgaben ist durch die vorliegende Schiller-
edition eine neue Perle eingereiht worden. Professor
Dr. Bcllermann hat sich als Schülerforschcr längst
einen Namen von Ruf erworben; in seinem ausgezeich-
neten Buche über Schillers Dramen, das wir bei dieser
Gelegenheit in empfehlende Erinnerung bringen
möchten, hat er sich auch als glänzender Stilist erwiesen,
was man nicht allen Gelehrten nachrühmen kann.
Unwillkürlich drängt sich beim Durchblättern der vor-
liegenden stattlichen Bändereihe ein Vergleich mit
früheren Schillcrausgaben auf. Man pflegte die
kritischhistorische Ausgabe Goedeckes bisher am
höchsten zu stellen, und zweifellos verdient sie auch
eine hohe Schätzung. Aber uns dünkt, als sei Beller-
mann bei der Sichtung und Bearbeitung des Materials
noch zweckmässiger vorgegangen. Vielleicht lag dies
auch daran, dass er in gewisser Weise einer gegebenen
Marschroute zu folgen hatte: den gemeinsamen
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Kritik.
191
Gesichtspunkten, die für die Herausgabe der gesamten
Mayerschcn Klassikerausgaben massgebend sind.
Dadurch wurde u. a. der Ballast gelehrter Anmerkungen
vermieden, der Goedeckes Ausgabe beschwert.
Die ersten acht Bände der vorliegenden Ausgabe
umfassen die für den weiteren Leserkreis wichtigsten
Schriften : ausser den Gedichten die sämtlichen grossen
Dramen, die geschichtlichen Hauptwerke, die be-
deutendsten der erzählenden Dichtungen und die
philosophischen Abhandlungen in fast vollständiger
Auswahl. Band IX und X enthält die Gedichte, bei
denen das Eigentumsrecht Schillers nicht überall im
einzelnen erwiesen ist: die „Anthologie von 1782", die
„Tabulac votivae" und die Xenien aus dem „Musen-
almanach von 1797", ferner den dramatischen Nachlass
in seinem ganzen Reichtum nach dem Kettnerschen
Text. Band XI und XII umfasst die Übersetzungen
und die Mannheimer Bühnenbearbeitungen der
„Räuber" und des „Fiesco", Band XIII die kleineren
historischen Aufsätze und Band XIV endlich die
kleineren Erzählungen und die Beiträge zur Philosophie
und Ästhetik, Vorreden, Ankündigungen, Rezensionen
und als Schluss alles das, was aus Schillers Schulzeit
vorhanden ist bis zu der Dissertation „Über den Zu-
sammenhang der tierischen Natur des Menschen mit
seiner geistigen", die Schillers Austritt aus der Militär-
akademie bezeichnet
Dem Text liegen überall die Ausgaben letzter
Hand zu Grunde resp. diejenigen, die „als letzter nach-
weisbarer Wille" des Dichtens zu gelten haben. Die
Anmerkungen im Text nehmen keinen allzu breiten
Raum ein; dennoch scheint mir, als hätte auch hier
noch manches erläuternde Wort erspart werden können,
da insbesondere, wo bei kühnen dichterischen Um-
stellungen der Sinn doch ein klarer bleibt Uneinge-
schränktes Lob verdient die Sichtung der Lesarten,
die einen anschaulichen überblick über die Geschichte
des Textes gewährt — bl-
äß
Die Gesammelten Werke des Grafen Adolf Friedrick
von Schock (in zehn Bänden, Stuttgart 1897/98, J. G.
Cotta Nachf. 8°) erscheinen zur Zeit in dritter Auflage,
ein Beweis dafür, dass sie auch beim Publikum Beifall
und Anteilnahme gefunden haben. Über die eigen-
artige Stellung, die Schack in der zeitgenössischen Li-
teratur einnimmt, ist kaum noch etwas Neues zu sagen.
Er selber, eine fein besaitete, vornehme und empfind-
same Natur, litt Zeit seines Lebens schwer darunter,
dass man ihm nicht die Beachtung schenkte, die er zu
verdienen glaubte. Und in der That: wenn auch seine
phantastischen Dramen sich nicht die Bühne zu erobern
vermochten, so haben doch seine formenschönen und
poesiedurchglühten Dichtungen ein Anrecht darauf, im
deutschen Hause heimisch zu werden. Die Cottasche
Ausgabe zeichnet sich durch treffliche Ausstattung und
Wohlfeüheit aus. Die bis jetzt erschienenen fünf Bände
enthalten: die Dichtungen „Nächte des Orients", „Epi-
soden", „Weihgesänge", „Lotosblätter", „Lothar", „Tag-
und Nachtstücke", die poetischen Erzählungen „Durch
alle Wetter" und „Ebenbürtig" und die Dramen „Die
Pisancr", „Gaston", „Timandra" und „Atlantis". —f.
Nicht viel Neues, aber doch mancherlei Interessantes
bietet das bei H. K. Dohrn in Dresden erscheinende
Lieferungswerk „Die Körperstrafen bei allen Völkern
von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart'. Kultur-
geschichtliche Studien von Dr. Rickard Wrede. Es ist
nicht so umfangreich wie des braven alten Jakob Döpler
Theatrum poenarum und Seint-Edmes Dictionnaire de
la penalite, vor allem schwelgt der sehr belesene Ver-
fasser nicht gar so gewaltig in der Ausmalung des
Grausigen und Scheusslichen wie die erwähnten Autoren ;
aber auch die knapper gefassten Angaben genügen,
sich ein anschauliches Bild von der Kriminaljustiz der
Völker entwerfen zu können. Dr. Wrede berührt in-
dessen auch verwandte Gebiete. In der Abteilung von
den religiösen Körperstrafen nimmt die Flagellomanie
einen verhältnismässig breiten Raum ein, und auch nach
dieser Richtung hin scheint der Herr Verfasser die ein-
schlägige Litteratur, von Herodo t bis zu Boileau, Mar-
born, Cooper, Corvin und Lanjuinais, ziemlich gründ-
lich durchgeackert zu haben. Dass die grossen Geissler-
fahrten ebensowenig fehlen durften wie die Beschrei-
bung der Disciplina gynopygica des Krater Adriaensen
in Brügge ist selbstverständlich; wenn indessen der
Autor bei letzterwähnter Gelegenheit meint, dass
mystische Religiosität zu derartigen Übungen gelangen
könne, so irrt er wohl. Der „Bussdoktrin" des
Briiggener Dominikaners lagen kaum andere Ursachen
zu Grunde wie jene waren, die zweihundert Jahre
später unter Katharina II. zu der Eröffnung des Club
physique in Petersburg führten, von dem Masson de
Blamont Ergötzliches erzählt In den Kapiteln über
die Glaubensverfolgungen waltet das sichtliche Be-
mühen vor, den Wahnsinn des Fanatismus regelrecht
auf alle Parteien zu verteilen. Unter den beigegebenen
Abbildungen sind leider nicht überall die Original-
quellen angegeben. Fünf Lieferungen (zu je M. 1,50)
liegen vor; mit fünfzehn soll das Werk beendet sein.
Der „Klassische Skuipturenschatg" ', den K von Reber
und A. Bayersdorfer bei der Verlagsanstalt F. Bruck-
mann A.-G. in München erscheinen lassen, hat kürzlich
seinen zweiten Jahrgang begonnen. Die Vorzüge des
Unternehmens sind bekannt; besonders erwähnen
möchte ich nur, dass auch in diesem zweiten Bande der
Plastik des Mittelalters ein weiter Raum geöffnet wird.
Eine gewisse bunte Abwechslung ist bei derartigen
populären Werken ja notwendig; jedoch bekundet die
Auswahl eine geschickte Hand. Die Reproduktionen
sind vottrefflich, der knappe Text genügt völlig zur
Orientierung, der Preis (50 Pf. das Heft) ist so niedrig,
dass der Verlag in der That nur bei grossem Absatz
auf die Kosten kommen kann. —f.
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IQ2
Von IV. Wyls „Spasiergänge in Neapel, Sorrent,
Pompeji etc." und seinen venezianischen Novellen
„Aus Titians Tagen" sind vor kurzem neue wohlfeile
Auflagen erschienen (Zürich, Cäsar Schmidt). Friedrich
von Wymetal, der Sohn des verstorbenen Verfassers,
den seine ruhelose Seele immer wieder zum Wander-
stabe greifen liess, hat die Herausgabe besorgt Die
„Spaziergänge" wirken noch heute so frisch und
wanderfroh wie vor 25 Jahren; es ist ein Buch, das man
gern von neuem in die Hand nimmt, um sich an dem
durch die Bläuer wehenden erquicklichen Humor und
an den köstlichen Schilderungen des Lebens und Trei-
bens am Golf zu erfreuen. — g.
Von John Grand-Carterei, ist ein neues Illustrations-
werk zur Geschichte der Karikatur erschienen ,,L'Affaire
Dreyfus et f Image 11 . 266 Caricatures franc,aises et
toangeres. Paris, Em est Flammarion. 8°. 252 S.
(Fr. 3,50).
M. Grand-Carteret ist ein Sammelgenie ersten
Ranges. Seinem Späherauge entgeht nichts. Auch
in dem vorliegenden Buche hat er mit bienenhaftem
Fleisse wieder zusammengetragen, was sich in allen
Witzblättern der Welt über die Dreyfus-Angclegenheit
vorfand. Charakteristisch ist die Titelzeichnung,
Vallotons „L'Age du papier": eine Gesellschaft Herren
vor einem Boulevardcafe' Zeitungen lesend, indes die
Journalausträger schreiend vorüberstürmen. Ein
Niederschlag unserer papierenen Zeit ist auch dies
Buch Grand-Carterets. Was ist nicht für und wider
Dreyfus zusammengeschrieben worden und wie hat
sich auch an diesem Unglücksmenschen der Witz ge-
übt! Die Franzosen eröffnen den Reigen, voran
Meister des Stifts wie Hermann Paul im „Cri de Paris",
der in Andre" Gills Fusstapfen tritt, wie Willette im
„Courrier Francais", Forain und Caran d'Ache im
„Figaro". Dann die Riesenkolonne der Kleineren,
unter ihnen auch geniale Künstler, voll Humor und
satirischer Bitterkeit: Trick von der „Patrie", Moloch
von der „Chronique amüsante", Pe"pin vom „Grelot",
Bobb von der „Silhouette", Fertom und Chirac vom
„Pilori", Llandre vom „Rire" und den „Quat" z'arts" —
die meisten wütende Dreifusgegner und Antisemiten,
nur wenige Verteidiger Zolas, aber fast alle Deutschen-
fresser. Ihr Witz ist meist gut und treffend, häufig
sehr derb wie in der „Re*ponse de la jeunesse" Bobbs,
wo die Mouquette aus „Gcrminal" die Kleider rafft,
oder bissig bis zur Gemeinheit wie in des gleichen
Zeichners Bilde „Coupeau-Zola", auf dem der Autor
des „Assomoir" mit schief verzerrtem Munde im
Säuferwahnsinn rast. Ähnlich ist GeVacs Bilderreihe
„La vie de Zola" im „Pilori"; Fertom ist auch nicht
milde, aber politischer — er weist in den meisten seiner
Zeichnungen auf das sich schadenfroh freuende Aus-
land hin.
Die deutschen Witzblätter — „Kladderadatsch",
„Ulk", „Lustige Blätter", „Süddeutscher Postillon",
„Jugend" — nehmen durchweg Partei für Zola; anti-
semitisch ist der „Deutsche Michel". Von den Wiener
Blättern nimmt der gleichfalls antisemitische „Kicke-
ricki" in Wort und Bild gegen Zola Partei; „Floh" und
„Humoristische Blätter" bringen einzelne ausgezeichnete
Karikaturen — trefflich gezeichnet ist auch die von
der Meute umtanzte französische Republik in den
„Glühlichtern". Ungarn ist durch „Borsszem Jankö",
„Ustökös" und „Bolond Istok" für Zola vertreten, die
böhmischen Blätter „Sipy" und „Humoristicke" Listy"
sind antisemitisch und gegen Zola. Vor Zola tritt
überall Dreyfus selbst in den Hintergrund, und das
ist erklärlich. Englands Witz ist sparsam; in
Belgien besitzt die „ReTonne" einen sehr gewandten
Zeichner. Recht gut sind auch die Dreyfusbüder
Braakensieks im Amsterdamer „Weekblad". Italiens
beste Witzblätter „Fischietto" und „Pasquino" haben
neben den kleineren „L'Asino", „Rugantino", „Rana",
„Don Chisciotte" die Dreifusaffairc von allen Seiten
beleuchtet; auch Russland, Dänemark, Spanien und
Portugal, die Schweiz und Amerika fehlen nicht. „Mos
Teaca" in Bukarest bringt Zola als Athleten auf einem,
aus seinen Werken gebildeten Piedestal, auf das die
gegen ihn demonstrierenden rumänischen Studenten
zu klettern versuchen.
Einige weitere Kapitel beschäftigen sich mit der
Ausbeutung der Dreifusaffairc für das Gebiet der
Reklame, der Zeitungsannonce, des Plakatbildes —
kurzum, es fehlt nichts; auch eine Bibliographie ist an-
gehängt. Das Buch ist nicht nur sehr unterhaltsam,
nicht nur ein Stück Politik in der Karikatur, sondern
mehr : auch ein Dokument zur Zeitgeschichte.
Berlin. F. von Zobcltits.
Die Universitätspresse in Cambridge hat sich ein
Verdienst erworben durch die Veröffentlichung des
nachstehenden Werkes: „Fragments 0/ the Books of
Kings aecording to the translation of Aquila, from
a Manuscript formerly in the Genisa at Kairo".
Dr. Schlechter und Dr. Taylor, Lehrer an der Uni-
versität Cambridge, fanden im vorigen Jahre in der
Rumpelkammer der Synagoge von Kairo einen Wust
von alten Manuskripten, den sie zur prüfenden Durch-
sicht mit nach England nahmen und alsdann hier
ordneten. Unter den bis jetzt entdeckten wertvolleren
Schriften ist das oben bezeichnete vor allem zu er-
wähnen. Aquila war ein Bürger der Stadt Sinope in
Pontus. Als Prosetyt übersetzte er im Interesse der
griechisch sprechenden Juden das alte Testament in das
Griechische. Sein Lehrer, der Rabbi Akiba, hatte ihn
nämlich aufgefordert, die Septuaginta treuer als bisher
und namentlich möglichst wörtlich zu übersetzen. Diese
Methode barg natürlich manche Nachteile in sich, aber
sie gewährte andererseits grosse Vorteile für eine Text-
kritik. So kann denn fast mit absoluter Gewissheit,
soweit der Fund vorliegt, der hebräische Text, wie er
im II. Jahrhundert feststand, rekonstruiert werden.
Zusammenhängende Übertragungen des Aquila
waren bisher nicht bekannt, sondern alles, was von ihm
herrührte, war fragmentarisch zerstreut. Es ist das
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Chronik.
193
besondere Verdienst des Mr. Burkitt, diese in Kairo
entdeckten Manuskripte zusammengestellt und entziffert
zu haben. Im Verein mit Professor Bensly hatte der-
selbe bereits früher den berühmten „Lewis Palimpsest",
das syrische Evangelium, entziffert. Auch das vor-
liegende Manuskript ist eine Palimpsestschrift und er-
weist sich als Teile des Buches der Könige Ausser-
dem fand Dr. Schlechter, der Talmudgelehrte, noch
ein Blatt mit Fragmenten aus den Psalmen. Durch
Vergleiche und paläographische Details stellte sich
heraus, dass es sich hier nur um ein Werk des Aquila
handeln könne, wenngleich es kein Original, d. h. nicht
die Urschrift von ihm, sondern eine Abschrift von
zweiter oder dritter Hand darstellt.
Die Handschrift ist eine regelmässige, gut ausge-
bildete, in griechischen Uncialbuchstaben. über dem
griechischen Text befand sich eine hebräisch-liturgische
Schrift, die dem XI. Jahrhundert zugewiesen wird. Da
die Kapitelcinteilung nicht mit der unsrigen und der
althebräischen Lesart korrespondiert, so würde ihre
Angabe, ohne den wirklichen Text zur Seite stellen zu
können, nur verwirren. Die Blätter sind auf jeder
Seite in zwei Kolonnen eingeteilt; jede derselben ent-
hält 23 — 24 Linien. Dem Werk sind sechs Helio-
gravüren von M. Dujardin beigegeben, die sechs Seiten
aus dem Buche der Könige in Facsimile repräsentieren.
Alsdann folgt der Text in gewöhnlichen Typen nebst
Anmerkungen, die einen vollständigen kritischen Ap-
parat mit den verschiedensten Varianten zum Vergleich
vorführea Die Entscheidung, für oder gegen die
neuere Lesart, vermag natürlich nur die Fachwissen-
schaft zu fällen.
Das am meisten in die Augen springende Resultat
dürfte darin zu erkennen sein, dass manche Annahmen
des Origenes und Hieronymus, deren Richtigkeit an-
gezweifelt wurde, hier ihre Bestätigung erhalten. Als
am interessantesten in dem neuentdeckten Manuskript
werden diejenigen Stellen angesehen, die Beiträge über
die Aussprache und Rechtschreibung des Namens , Je-
hovah" und „Javeh" liefern. Endlich fordert das
Manuskript zu Kritiken darüber heraus, ob in den
älteren griechischen Schriften die üblichen hebräi-
schen Buchstaben für „Javeh" angewandt oder ob
der Name „Jehovah" in griechischen Zeichen nieder-
geschrieben wurde. Oft sind in der vorliegenden
Handschrift die althebräischen Zeichen gebraucht
worden, aber gelegentlich, als der Schreiber auf der
Zeile keinen Raum mehr hatte, übersetzte er „Jehovah"
auch in die griechische Sprache.
London. Otto von Schleinits.
Von den bei A. W. Sijthoff in Leiden erscheinenden
photographischen Nachbildungen berühmter griechi-
scher und lateinischer Codices wird gegenwärtig als
dritter Band Plato, Codex Oxoniensis Ctarkianus jo
angekündigt Damit schreitet das grossartige Unter-
nehmen, dessen Leiter, der Leidener Universitätsbiblio-
thcks-Dircktor Dr. Scato de Vries, und dessen Ver-
leger der Dank der ganzen gebildeten Welt gebührt,
wiederum um einen tüchtigen Schritt vorwärts. Die
eminente Wichtigkeit derartiger photographischer Re-
produktionen ist auch in diesen Heften oft genug betont
worden, nicht allein wegen ihres Wertes für die text-
kritische und palaeographische Forschung, sondern
auch, weil die Nachbildungen — zumal wenn sie in so
mustergültiger Ausführung hergestellt werden wie die
Sijthoflschen — für den Fall des Verlustes des Origi-
nals dieses in gewisser Weise zu ersetzen vermögen.
Band I der Codices graeci et latini enthielt den Codex
Sarravianus-Colbertinus, herausgegeben von Heinrich
Omont, Band II den Codex Bemensis 363, heraus-
gegeben von Hermann Hagen, der dritte Band mit
dem ersten Teil des Codex Clarkianus wird von Thomas
W. Allen, dem bekannten Oxforder Philologen, einge-
leitet. Format (38 X 42 cm.) und Ausstattung sind
unübertrefflich; der Preis entspricht dem der früheren
Bände und beträgt 200 M. —1—
Chronik.
Mitteilungen.
Deutsche oder lateinische Schrift? — Ein
Brief von Karl SimrocA. In dem Streite, der
immer wieder einmal entbrennt: ob der Deutsche
sich lateinischer oder deutscher Lettern in seinen
Büchern bedienen solle, wird es Vielen von Inter-
esse sein, die Stellung eines Mannes kennen zu
lernen, der so recht berufen war, seine Stimme
hierüber vernehmen zu lassen, und zwiefach ge-
eignet scheint — als warmherziger Poet und als
Z. f. B. 98/99.
scharfsinniger Gelehrter — ein entscheidendes
Urteil in der vielumstrittenen Frage abzugeben.
Karl SimrocA, der rheinische Dichter und Sprach-
forscher, hat 1873 in einem Briefe an einen
Kölnischen Bekannten seine Ansichten Uber deutsche
und lateinische Schrift niedergelegt, und das End-
ergebnis seiner Ausführungen deckt sich — um
dies vorweg zu sagen — mit der Ansicht des
grössten lebenden Deutschen, des Alten von
Friedrichsruh. Während dem grossen Staatsmann
aber lediglich eine starke Vorhebe zu dem
Gewohnten, Altvertrauten oder höchstens ein dunkler
25
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194
Chro tv i k i
Instinkt für das Rechte die Sache der deutschen
Lettern verfechten lässt, weiss der Sprachgelehrte
seine Meinung mit kräftigen Beweisen zu belegen
und Bismarcks Fürspruch und Forderung dadurch
erheblich eindringlicher zu machen.
Die klaren, Uberzeugenden, Liebe und tiefes
Verständnis für die Muttersprache atmenden Aus-
lassungen Simrocks werden der Partei der deutschen
Lettern neue Freunde zuführen, ausserdem aber
auch, wie wir hoffen, der Nation einen ihrer natio-
nalsten Dichter zu guter, passender Zeit ins Ge-
dächtnis rufen. Gerade jetzt beabsichtigt seine
rheinische Heimat ihm das wohlverdiente Denk-
mal zu errichten, zu dem bereits begeisterte Männer
und Frauen eine grundlegende Summe zusammen-
getragen haben. Noch aber bedarf das Unternehmen
weiterer Unterstützung. Möge auch dieser Brief —
wir sagen es nicht nur parenthesisch, sondern
fordern geradeswegs dazu auf — neue Beiträge
dem Denkmal-Fond zufliessen lassen! 1
Wir lassen nun das Schreiben — unter Weg-
lassung einiger rein persönliche Dinge betreffende
Stellen, aber sonst in seinem vollen Wortlaut —
„Geehrtester Hr. Doctor!
.... Ihren Vorsatz gegen die deutsche Schrift
zu plaidiren führen Sie ja nicht aus. Wenn die
deutsche Schrift nicht schon eingeführt wäre, so
müsste man sie einführen, weil sie allein alle deut-
schen Laute wiedergiebt Die lateinische Schrift
hat kein fj und die verschiedenen Versuche, die
man gemacht hat, es in der lateinischen Schrift
zu ersetzen, sind willkürlich und ungenügend. Die
lateinische Schrift hat eigentlich auch kein K und
verführt daher zu solchen Ungeheuerlichkeiten wie
Cö/n, Cöslin, Cösfeld u. s. w. Selbst Grimm hat
sich ihrer nicht enthalten, ja er schreibt sogar Carl
der Grosse neben Kerl, Kerlinge, Kerlingische;
femer ist das deutsche V ein anderer Laut als das
lateinische V und die lateinische Schrift hat es zu
verantworten, dass man die Namen Veldeke, Varren-
trapp und viele andere unrichtig ausspricht Aber
es bleibt bei den Namen nicht, auch viele Wörter
werden durch die lateinische Schrift falsch ausge-
sprochen. Falsche Schreibung verführt überhaupt
zu falscher Aussprache, wie falsche Aussprache zu
falscher Schreibung, und ich kann nicht umhin,
die lateinische Schreibung eine falsche zu nennen,
weil sie auf die deutschen Laute nicht passt Das
führt auf Ihre zweite Frage der mir freundlichst zu-
geschickten Vorlage. Allerdings hat eine richtige
Schreibung ein nationales Interesse. Unsere Sprache
ist unser hehrstes Heiligthum und Alles müssen wir
fern zu halten bedacht sein, was sie beschädigen
und verderben kann. Der klassische Zopf hat
schon so viele Schädigungen unserer Sprache und
Schreibung zu verantworten, z. B. in den Völker-
namen Dänen statt Tenen, Thüringer statt Duringe
u. s. w., er wird hoffentlich jetzt, wo wir unsere
Sprache historisch kennen gelernt haben, nicht
noch weitere Verheerungen anrichten. Wir sprechen
jetzt schon Wörter wie Küsse, Rosse unrichtig aus,
man muss nach dem ELsass oder nach Österreich
gehen, um die richtige Aussprache zu lernen. Dar-
an sind aber lateinische Wörter wie Masse u. dgL
Schuld. Auch das lateinische s ist wie das fran-
zösische s ein anderes als das deutsche. Das
französische s ist im Anlaut ein fj. Das deutsche \ ist
viel weicher. Wird es im Inlaut verdoppelt, so
sollte es seine Weichheit nicht einbüssen; wir
sprechen es aber jetzt scharf wie ein f$, und eben
das ist schon eine Beschädigung unserer Sprache,
welcher noch viele andere nachfolgen werden, wenn
wir den klassischen Zopf nicht abschneiden.
Was glauben Sie mit der lateinischen Schrift
zu gewinnen? Dass die Franzosen das Deutsche
leichter lernen? Am Ende sollen wir auch noch
die russische Schrift annehmen, damit es den Russen
leichter werde, deutsch zu lernen. Wer deutsch
lernen will, fange damit an, die deutsche Schrift
zu lernen: das ist sehr viel leichter als alles andere.
Kann er diese geringste Schwierigkeit nicht über-
winden, so kann er überhaupt nie deutsch lernen.
Und wie viel Franzosen lernen es denn, und wie
sprechen sie's, wenn sie es gelernt haben? Wollen
sie uns mit Deutsch sprechen in die Flucht jagen?
Oder wollen sie uns nur den I^achkitzel erregen und
dann mit unserer eigenen aqua tofana vergiften?
Die sogenannte deutsche Schrift ist etwas mehr
als eine bloss sogenannte. Ihre eckige Form
schreibt sich noch von den Runen her, die man
einritzte, und die daher nur aus geraden Strichen
bestanden . . .
Mit freundlichem Gruss
Ihr
8/4 73- K. Simrock."
Mitgeteilt von Ctorg Bmdtrr.
Über den Absatz der Scheffehchen Werke macht
Dr. Max Oberbreyer auf Grund von Mitteilungen der
Herren Adolf Bonz & Co. in Stuttgart, der Verleger
Scheffels, Angaben in dem nunmehr bei Georg Hein-
rich Meyer in Leipzig erscheinenden .Jahrbuch des
Sctuffclbundes für 1897". Diesen Angaben entnehmen
wir folgende, die Leser der „Z. f. B." sicherlich interes
> Professor Dr. B. I.ietzmann in Bonn, Koblenzerstr. 83 a, nimmt Beiträge entgegen.
* Wir geben den obigen Brief Simrocks gern wieder, obschon es nicht eines gewissen Humors entbehrt, dass
diese gegen die Lateinschrift polemisierenden Zeilen in einem Blatte veröffenüicht werden, das mit Antiquatypen
gedruckt ist Aber die Gründe, die uns in der Wahl dieser Schriftgattung veranlagen, haben sich als stichhaltig
erwiesen; die „Z. f. B." geht fast in der Hälfte ihrer Auflage in das Ausland, und thatsächlich erleichtern die
lateinischen I-ettcrn den Ausländern die Lektüre erheblich. F. v. Z.
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Chronik.
195
Frau Aventiurt hat seit 1863 b der Klcb-Oktav-
Ausgabe 17 Auflagen mit zusammen 25 500 Exemplaren
erlebt; von der von A v. Werner illustrierten, 1880
erschienenen Gross- Oktav -Ausgabe ist die erste Auf
läge von einigen Tausend Exemplaren noch nicht
erschöpft
Die Bergpsalmen mit 6 Bildern von demselben
Künstler, haben innerhalb 20 Jahre in der Klcb-Oktav-
Ausgabc einen Absatz von 6 Auflagen mit nahezu
18000 Exemplaren erzielt. Die Kunstausgabe hat es
seit 1868 bis zur 3. Auflage und damit zu einem Ab-
satz von über 4000 Exemplaren gebracht.
Ekkehard, seit 1870 im Bonzschcn resp. Metzler-
sehen Verlage hat die 154. Auflage hinter sich.
Bei dem Kontingent von 1200 Exemplaren jeder der
Auflagen ist der Ekkehard also in beiläufig 185000
Exemplaren abgesetzt worden. Dazu kommt das, was
von den früheren Verlegern O. Meidinger in Frankfurt
a. M. und O. Jankc in Berlin von 1853 und 1870 unter
das Publikum gebracht worden ist. Von der Gross-
Oktav-Ausgabe sind seit 1884 insgesamt 8400 Exem-
plare in 7 Auflagen verkauft worden. Der Ekkehard
hat es also auf über 200000 Exemplare gebracht.
Gaudeamus in Klein- Oktav hat seit 1867 60
Auflagen erlebt mit 72000 Exemplaren. Von der mit
Illustrationen von A. v. Wemer geschmückten Gross-
Oktav-Ausgabe hat man seit 1885 einige Tausend
Exemplare abgesetzt, ebenso von der seit 1867 existie-
renden Quartausgabe.
Die Kleb-Oktav-Ausgabe des Trompeters von
SaAkingen kam 1854 heraus und hat innerhalb 44 Jahren
227 Auflagen mit zusammen 227800 Exemplaren er-
reicht. Ausserdem sind von der Gross-Oktav-Ausgabe
seit 1884 an 16000 Exemplare in 4 Auflagen, von der
Quart-Ausgabe seit 1868 mehrere Tausend Exemplare
in 3 Auflagen verkauft worden. Der Trompeter von
Sakkingen ist also alles in allem in nahezu 300000
Exemplaren über die Lande verbreitet.
Vom Wallarilied, illustriert von Alb. Baur, sind
etliche Tausend Exemplare in Quart seit 1874 abge-
gangen.
Mit dem von A. v. Werner illustrierten Juniperus
hat man in einer Klein-Oktav-Ausgabe einen Absatz
von 5 Auflagen, d. i. insgesamt von 20000 Exemplaren
seit 1870 erzielt. Die 1867 in einer Auflagehöhe von
1600 Exemplaren erschienene Quartausgabe ist ver-
griffen.
7500 Exemplare sind von der mit Bildern von
Julius Marak geschmückten Waldeinsamkeit seit 1880
abgesetzt worden. Die 5. Auflage ist auf dem Markte.
Hupideo, 1884 erschienen, ist in 8 Auflagen von
insgesamt 9000 Exemplaren ins Land gegangen.
Von den Reisebildern, die 1887 erschienen, sind
die 4000 Exemplare der 1. Auflage erschöpft Die
2. Auflage ist noch im Handel.
Die Episteln {1892), die Fünf Dichtungen (1S97)
und Aus Heimat und Fremde (1891) haben bis jetzt
einen Absatz von je mehreren Tausend erreicht.
Die Gedichte aus dem Nachlass sind seit 1888 in
4 Auflagen mit zusammen 4000 Exemplaren erschienen.
München. Hugo Oswald.
Schriften von und über Frau von Krüdener aus
der Zeit ihres Wirkens in der Schweiz und in Deutsch-
land sind, trotzdem sie damals in Massen verteilt und
sehr gelesen wurden, jetzt zum Teil sehr selten ge-
worden. Zu den seltensten gehören die Gesänge, welche
die Krüdener bei Versammlungen gebrauchte. Das
Büchlein umfasst 16 Seiten und enthält neun Lieder,
deren Anfänge sind: 1. Jesus Christus herrscht als König
(23 Strophen); 2. Mir ist Erbarmung wiederfahren;
3. Die Gnade sei mit allem ; 4. Grosser Gott, wir loben
Dich; 5. Wollt ihr wissen, was mein Preis; 6. Heii ge
Liebe ! Himmelsflammc ; 7. O ! dass doch bald dem
Feuer brennte; 8. Meinen Jesum lass ich nicht; g. Wirf
Sorgen und Schmerz ins liebende Herz. Die Flugschrift
„An die Armen", welche die Krüdener hauptsächlich
in der Schweiz verteüte, umfasst ausser dem Titelblatt
10 Seiten. Der Inhalt ist in hohem Grade aufreizend,
indem mit Hilfe von Bibclstellcn bewiesen wird, wie die
Reichen dieser Welt sich der göttlichen Ordnung nicht
fügen wollen, wie die Armen bestraft werden, wenn
sie Almosen begehren etc. Dieselben Tendenzen, die
Armen gegen die Reichen aufzustacheln, verfolgt die
„Zeitung für die Armen", welche die Krüdener gründete.
Die erste Nummer erschien am 5. Mai 1817; ob über-
haupt mehr Nummern davon erschienen sind, ist frag-
lich. In den Biographien der Krüdener wird weder
dieser Zeitung noch der vorerwähnten beiden Schriften
Erwähnung gethan. Den Inhalt des Zeitungsblattes
bilden eine Ansprache an die Leser ganz im Sinne der
Krüdenerschen Ideen, dann eine göttliche Ankündigung
der Strafgerichte und des Reichs Gottes, ferner das
Traumgesicht einer Frau in Lahr im Breisgau in der
Neujahrsnacht von 1815 zu 1 816 mit Hinzufiigung ähn-
licher Fälle, weiter ein Artikel „Die Natur predigt
Busse", ein paar Miscellen und ein Gedicht „Zeugnis
von Jesu Christo". Am Schluss der Nummer befindet
sich die Notiz: „Die Armen erhalten die Zeitung um-
sonst, teilen sie gegen Speise den Reichen mit und
beten für diese."
Berlin. Dr. Heinr. Meisner.
Der Brügger Achivar Herr Gilliodts van Severen,
dessen Werk über Jan Brito derzeitig um so lebhafter
die Presse beschäftigt, als man sich in Mainz zur
Gutenbergfeier zu rüsten beginnt, ist von dem Uni-
versitätsbibliothekar Paul Bergmanns in Gent in dessen
Brochüre „L'imprimeur Jean Brito et les origines de
timprimerie en Belgique d 'apres le livre recent de
M. Gilliodts- van Severcn" scharfsinnig widerlegt
worden. Interessant ist auch eine klebe Entgegnung,
die Oskar von Hase in der „Vossischen Zeitung" durch
H. R. Fischer veröffentlichen lasse Dass Belgien
schon im vorigen Jahrhundert die Priorität der Erfin-
dung der Buchdruckerkunst für Jan Brito vergeblich b
Anspruch nahm, ist bekannt — bl—
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196
Chronik.
Meinungsaustausch.
Zu dem Artikel „Lola Montez in der Karikatur"
ist noch nachzutragen:
Der „Kladderadatsch" ha einmal eine Karikatur
über sie gebracht — aber erst nach Erscheinen ihrer
Memoiren. „Lola Montes fangt ihre Memoiren {Ba-
varoisej' betitelt sich das Bild. Es ist in der No. 42
vom 19. Oktober 185 1 enthalten und zeigt uns Lola mit
Blumenketten gefesselt zwischen zwei Gendarmen. Im
Tanzschritt geht es der bayrischen Grenze zu, auf die
durch eine Grenztafel „Reichsgränze" hingewiesen wird.
Links im Hintergrunde verschwinden die Münchener
Frauentürme. Die Unterschrift der mit dem Signum
■F (FT) versehenen Karikatur lautet: „.Einst spielt ich
mit Krone, mit Scepter und Stern'. Finale. Pas de
trois. Mü obligater Gensd armeriebegleitung."
Auch in der Jubiläumsriummer des „Kladdera-
datsch" vom 8. Mai d. J. findet sich Lola Montez im
Bilde vertreten, und zwar in der illustrierten Revue
über die Hauptereignisse von 1848 bis auf die Gegen-
wart. Lola posiert kostümlos vor dem Spiegel; Klad-
deradatsch sitzt als Kind daneben. Unterschrift: „1851
enthüllt die bekannte Lola, M/mahige Königin von
Bayern a. D., ihre Reize in ihrem Memoirenzimmer.
Das Kind versteht ja nichts davon, wozu sich also
genieren.'" Als Verfasser der Revue zeichnet G.Brandt.
München. E. Fuchs.
Meinen Ausführungen über die Drucktrfamilie Le
Rouge (Heft 7. 1897) ist Herr Hierte in Heft 12 ent-
gegengetreten und schliesst seine Worte mit der Be-
merkung: „Monccauxs Hypothese ist doch mehr wert,
als S. glaubt" — M. vertritt den Standpunkt, dass alle
Mitglieder der Familie Le Rouge nicht nur Buch-
drucker, sondern auch Miniaturmaler oder Holzschnei-
der waren, hat aber bei keinem hinreichende Beweise
für seine Behauptung beigebracht, und gegen diese
Aneinanderreihung unbewiesener Vermutungen rich-
tete sich mein Tadel. Wenig wäre mithin für M.'s
Hypothese gewonnen, wenn sich herausstellen sollte,
dass ein einzelnes Glied der Familie, nämlich Jacobus,
neben seinem Druckerberufe auch als Miniaturmaler
thätig war — und dies ist der einzige Punkt, in dem
mich Herr Hiertc zu widerlegen versucht
Doch selbst die in dieser Beziehung von Letzterem
angeführten Gründe sind keineswegs überzeugend.
Er beruft sich auf eine Anzeige von Quaritch, in der
zwei handilluminierte Drucke des Jacobus angegeben
sind. Aber aus den eigenen Worten des Herrn Hierte
geht hervor, dass er weder selbst die beiden Drucke
gesehen, noch dass Quaritch die darin enthaltenen
Miniaturen als Arbeiten des Jacobus bezeichnet hat, so
dass die Frage nach dem Urheber der Miniaturen, die
möglicher Weise zwei ganz verschiedenen Händen ihre
Entstehung verdanken, unbeantwortet bleibt. Dann
erwähnt Herr Hierte einer gemalten Zierleiste, in einem
ihm gehörenden Exemplare der von Jacobus gedruck-
ten Historia Fiorentina, die seines Erachtens franzö-
sische Arbeit sei. Die Richtigkeit dieser Annahme
vorausgesetzt, bleibt es mindestens zweifelhaft, ob
Jacobus neben seiner Druckerthätigkeit noch ge-
nügende Mufse zum Illuminieren fand, oder ob die
Miniaturen nicht von einem seiner Landsleute her-
rühren.
Mit Wahrscheinlichkeit wird man erst dann Jacobus
als Miniaturmaler bezeichnen können, wenn man nicht
nur unter den Drucken aus seiner venetianischen Zeit,
sondern auch unter denen seiner späteren Thätigkeit
in Pinerolo, Mailand und Embrun Exemplare, die
zweifellos von derselben Hand illuminiert sind, findet.
Herr Hierte hat Monceaux den Rat gegeben, Beweise
für seine Hypothese in den Bibliotheken Italiens zu
suchen — warten wir daher das Resultat ab !
Potsdam. W. L. Schreiber.
Ist einem Leser der „Z. f. B." bekannt, in wessen
Besitz sich heute die Holzstockt su den Schnitten von
Friedrich Wilhelm Gubits befinden oder in wessen
Verlag oder Zeitschrift eine grössere Anzahl <lieser
Schnitte erschienen ist ?
Für freundliche Nachricht wäre sehr dankbar
R. Winter, Berlin W., Steglitzerstr. 53.
Von den Auktionen.
Bei /. M. Heberle in Köln erzielten Ende Mai bei
der Versteigerung der Konsul Beckerschen Kunst-
sammlung einige Pergamentmanuskripte hohe Summen.
Es wurden bezahlt: für ein Gebetbuch in lateinischer
Spruche aus dem XV. Jahrundert, 73 Bl. mit bunten
Bordüren und vielen Miniaturen nach Art der Grisaille-
malerei, in schönem Lederband, aus der Hamiltonschen
Bibliothek: M. 3250; für ein lateinisches Livre d'heures
aus dem Anfang des XV. Jahrhunderts, 143 BL mit
10 Miniaturen: M. 910; für ein Livre d'heures aus
gleicher Zeit, 103 Bl. mit 12 blattgrossen und 16 kleineren
Miniaturen mit Bordüren von ausgezeichneter Arbeit:
M. 5250; desgleichen, 126 Bl. mit 10 grossen und
3 kleinen Miniaturen, 17 Bordüren und 1206 bunten
Initialen, französischer Renaissanceband in Grolicr-
schem Genre: M. 2850; Gebetbuch in lateinischer
Sprache auf feinem Jungfernpergament, 121 BL, mit
Bordüren, 30 Initialen, 17 blattgrossen und 30 kleineren
Miniaturen, italienische Arbeit, Lederband: M. 4800.
Über die zweite Hälfte der Auktion Fiat in Paris
lesen wir in No. 3 der „Revue Biblio-iconographiquc" :
Von den illustrierten' Büchern des XIV. Jahrhunderts
bildete ein Exemplar von „Paul und Virginie" auf
China den Glanzpunkt Da es bei der Ausstellung
vor der Auktion etwas gelitten hatte, erzielte es nur
1010 Fr., während ein Exemplar zwei Monate früher
mit 1600 Fr. fortgegangen war. „Le Diable boiteux"
(Paris, Bourdin, 1842) brachte 103 Fr. und „Les Mille
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Chronik.
et une Nuits" (1840) desselben Verlags mit26oOriginal-
zeichnungen 855 Fr. Die „Oeuvres de Rabelais", von
Robida illustriert, auf China, kosteten 220 Fr., die
„Histoire de Manon Lescaut", (Paris, Glady Frcrcs,
1875) auf Whatmann mit Porträts und Folgen 180 Fr.
Biillat-Savarins berühmte „Physiologie du Goüt" (Paris,
Libr. d. Biblioph., 1879) m blauem Maroquin gebunden,
auf Whatmann und mit angefugten Folgen, erzielte
460 Fr., die „Oeuvres de Florian" (Paris, Renouard, 1820)
mit 400 Kupfern 335 Fr.
Unter den Neudrucken befand sich eine Reihe von
Vclinbänden ; u. A.: „Anakreon", Paris bei Crozct et
Didot 1835, blau Maroquin von Simier mit Folgen
(255 Fr.); „Rolandslied", Paris, Silvestre, 1837, rot
Maroquin von Nidrce(2o6 Fr.); „Roman de la Violette",
Paris, Silvestre, 1834, rot Maroquin von Nidrce (305 Fr.).
Goethes „Faust" auf Papier Holland, mit Zeich-
nungen von Delaroche, stieg bis auf 175 Fr.
Piat hatte die Gewohnheit, Illustrationen und Aqua-
relle zur Charakteristik eines Buches zu sammeln, ja
zeichnen zu lassen. So zum Beispiel zu Balzacs „Contes
drolatiques", Paris 1855 , illustriert von Dore", Zeich-
nungen von Coindre (185 Fr.) und „Physiologie du
mariage", Paris, Ollivier, 1834, mit 103 Zeichnungen
von Chauvet (305 Fr.). Ferner zu Deroulede: „Monsieur
le Hulan" (16 Aquarellen von Kauffinann in einer
Maroquinhülle 950 Fr.) und „Lea Premicres illustre«
1881 — 1886" (1885 fehlt; auf Japan mit zahlreichen
Originalen 1350 Fr.).
Unter den modernen Ausgaben sind: Sautier,
„Madcmoiselle Maupin", Paris, Conquet, 1883, Japan,
Zeichnungenfolge (480 Fr.) und „Une Nun de Cle*o-
patre", Paris, Ferrond, 1894, Whatmann, mit Zeich-
nungen von Paul Avril 1893 (492 Fr.) zu erwähnen.
— m.
Die Versteigerung der Sammlung des Marquis de
Chennevüres in Paris, etwas über zweihundert Zeich-
nungen französischer Künstler des achtzehnten Jahr-
hunderts umfassend, brachte 17 1 902 Fr. ein. Nicht
alle Stücke erreichten hohe Preise. Hervorzuheben
sind: Boucher, Frauengestalt, schwarz und weiss,
1000 Fr.; Mutter 800 Fr.; Psyche 1420 Fr. ; Anbetung
der Hirten 1600 Fr.; Mittagmahl 1250 Fr.; Chardin,
Speise spind 1220 Fr.; Cochin, männliches Bildnis
1250 Fr. und weibliches Bildnis (Schwarzslift) 1900 Fr.;
Fragonard, Mein Hemd brennt (Sepia) 16600 Fr.,
der kleine Bruder (Sepia) 10 100, zwei Landschans-
zeichnungen 780 Fr. und 950 Fr.; Freudenberg, Auf-
wachen (Tuschzeichnung) 11 20 Fr.; einige Zeichnungen
von Greuze gingen dagegen unter 100 Fr. weg. Leprince,
Rosenstrauch, 4050 Fr. und Russisches Dorf (Sepia)
980 Fr.; Morcau le Jcune, Strasse bei Rouen 700 Fr.;
Tod eines Kriegers (Sepia) 2000 Fr.; A. de Peters,
Spulerin, 3150 Fr.; Portafl, Edelmann, aufrechtstehend
(Schwarz- und Rotstift), 8800 Fr. ; Frau und Mädchen
(Schwarz- und Rotstift) 4050 Fr.; Rosalba Camera,
Junges Mädchen mit einer Taube (Pastell) 6020 Fr.;
Saint-Aubin, Bildnis der Prinzess Lamballe (Stift-
zeichnung) 8100 Fr.; Taunay, Erholung (Sepia) 700 Fr.;
Antoine Watteau, ein Türke (Rotstift) 4200 Fr. ; sitzende
Frau 2500 Fr. ; Rast im Park (Rotstift) 31 50 Fr. ; sitzende
Frau, den Rücken kehrend (Rotstift), 2000 Fr.; Stell-
dichein (Rotstift) 1900 Fr.; italienische Schauspielscene
(Rotstift) 1700 Fr.; Hände- und Fussstudien (Rotstift)
2000 Fr.
Für die Versteigerung der Collektion Georg Hirth
in München, die bereits stattgefunden hat, wenn dieses
Heft die Presse verlässt, ist ein kostbarer Katalog er-
schienen, dessen zweite Abteilung auch einiges für
unsere Leser interessantes enthält: Aesopi fabule von
1591 ; ein schönes Exemplar der ersten Theuerdanckaus-
gäbe; ein Breviarum Romanum, Manuskript aus dem
XV. Jahrhundert mit Musiknoten; Höre beat. Marie
virginis, Paris 151 1, mit Holzschnitten, und das Album
amicorum eines Joh. Christ Hetze! mit Eintragungen
und Miniaturmalereien von 1630—1650. Ferner eine
Anzahl sehr schöner Einbände deutscher, französischer,
italienischer und orientalischer Arbeit und zahlreiche
Schabkunst-, Farben- und Linienstiche, über deren
Auktionsergebnisse wir berichten werden. Der Kata-
log selbst ist ein Prachtwerk ersten Ranges. Es war
dies bei einem Manne wie Hirth nicht anders zu er-
warten; seine ganze Persönlichkeit strömt lautere
Kunstbegeisterung aus. — bl—
Aus dem Verlage von F. Fontane 6> Co. in Berlin
geht uns eine Reihe belletristischer Neuheiten in höchst
geschmackvoller äusserer Ausstattung zu. Leider sind
die Zeichner der Umschlagblättcr nicht überall genannt
Ausserordentlich hübsch giebt sich Emil Rolands
Novcllensammlung „In blauer Ferne" (M. 3): auf
blauem Grund ein dunkelblaues Pflanzenornament, das
sich auf der oberen Hälfte des Blattes zu landschaft-
lichen Motiven erweitert. Hugo Gerlachs kemiglustiger
Berliner Roman ,JJeirath auf Tausch" trägt ein eben-
so reizvolles Gewand: das neue Kleid der Fontaneschen
Zwei Mark-Bücher. Das viereckige Schild mit dem
Titel umgiebt ein weisses Ornament, dessen zarte
Konturen sich sehr wirksam von dem dunkelblauen
Grunde abheben: Wasserrosen und Schilfstauden, über
denen Schmetterlinge und Libellen flattern. Das obere
Feld trägt ein Buch, vor dem eine Eule sitzt; dahinter
sieht man den Zauberwald der Poesie, zwischen dessen
schwarzen Stämmen das Sonnengold leuchtet — Bei
Richard Bredenbrückers neuen Tiroler Geschichten
„Crispin der Dorfbtglücker und Anderes" (M. 3) —
Dorfnovellen voll warmsaftiger Frische — dehnt sich
die Umschlagzeichnung über Vorder- und Rückcndeckel
aus, eine aus Paris uns überkommene Mode, gegen die
sich vom künstlerischen Standpunkt aus allerhand ein-
wenden lässt, die aber trotzdem viel für sich hat, da sie
uns die hässlichen Verlagsreklamen auf der letzten
Deckelseite erspart Die Zeichnung ist sehr einfach:
ein grauer Baum auf moosgrünem Felde, oben abendrot-
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198
leuchtende Wolken. Aber die Farbenzusammenstel-
lung ist von frappierendem Reiz und mahnt an die
Worpswedener Ilaidebilder. Das an sich sehr nied-
liche Verlagssignet hätte auf der hinteren Umschlag-
seite fortfallen müssen und wäre besser auf die letzte
Buchseite gestellt worden. — Die Deckelzeichnung zu
Clara Viebigs Novellenband „ Vor Tau und Tag" (M. 3)
trägt den Namen des Entwerfers, O. Steck, von dem
wohl auch der Umschlag zu Gerlachs „Heirath auf
Tausch" herrührt. Frühlingsahnung und Warschauern
vor Sonnenaufgang — im Umschlagbilde wie im Buche:
ein Fluss, über den ein Reiher fliegt, eine Schlange
im Schnabel; schlanke Buchen am Ufer, dunkelgrüne
Hänge in der Ferne, Luft und Wasser von rosigem
Frühlicht durchtränkt. Das Alles ist hübsch empfun-
den und weckt die Stimmung; man geht sozusagen von
vornherein gern an die Lektüre des Inhalts. — Zu
Wilhelm Hegelers „Sonnige Tage" (M. 3) hat Odo
Eckmann, der Vielbegehrte, das Titelblatt entworfen:
lila auf lichtem Elfcnbeinweiss eine schön erblühte
Orchidee und ein Heckenröschen, und zwischen beiden
tummelt sich eine Hummel. Hier wird der Inhalt des
Romans anmutig symbolisiert — aber dreht man den
Band herum, so fallen auf der Rückseite des Deckels
wieder die Ankündigungen des Verlags hässlich und
störend in die Augen. Will man keine Abschlussvig-
nettc, dann lieber das Rückenblau frei lassen! — Einige
der Umschlagzcichnungen aus dem neueren Verlag
von F. Fontane bringen wir bei Gelegenheit eines dem-
nächst erscheinenden grösseren Artikels über moderne
Buchumschläge in verkleinerter Abbildung. —f.
Von Richard Dehmels Dichtungen „Erlösungen"
hat der Verlag von Schuster & Lctfflcr in Berlin eine
zweite Ausgabe erscheinen lassen, die uns in einem
gebundenen Exemplar vorliegt, das schon äusserlich
Freude macht F. R. Weiss, der vortreffliche junge
Künstler, dem der moderne Buchschmuck viel Schönes
verdankt, hat die Deckelzeichnung ausgeführt: eine
schlichte Arabeske, aber gerade in seiner Einfach-
heit tausendmal wirksamer als die bunten Cüche'illustra-
tionen, die man unbegreiflicher Weise noch immer
häufig auf die Umschläge klcxt. Der ganze Einband —
aus den Ateliers von H. Sperling in Leipzig — ist ein
kleines Meisterstück: die Zeichnung liegt sattgolden
auf leicht cremefarbenem Untergrund aus Seidenfaser-
karton. Das Papier ist imitiertes Bütten, den Druck
besorgte Oskar Bonde in Altenburg, mit haargenauer
Verteilung der Typen von der Mitte der Blattscitcn
aus, korrekt und schön. 15 Exemplare in besonderem
Format und Umschlag sind als Liebhaberausgabc
(zum Preise von 15 M.) gedruckt worden. Die Deckel-
Zeichnung soll bei Gelegenheit hier reproduziert wer-
den. — Derselbe unermüdlich thätige Verlag bringt
ein zweites neues Gedichtbuch „Seltene Stunden" von
Thassilo von Scheffer mit einer feinen und stimmungs-
vollen Titclzeichnung in zwei Farben von Theodora
Quasch, und Karl Larsens eigentümlichen Roman
„Doktor Ix" in vortrefflicher Übersetzung von
E. Brausewetter mit einem gleichfalls sehr gelungenen
Umschlagbilde, dessen Zeichner nicht genannt ist: ein
weisses Netz mit Blütendolden, über das ein unheim-
liches Fabeltier seine Fangarme reckt — bl—
Die Sitte, dann und wann auch von belletristischen
Werken Sonderausgaben in besserer Ausstattung für
Bücherfreunde zu veranstalten, scheint sich auch bei
uns einbürgern zu wollen. Von „Der gemordete Wald",
ein Bauernroman aus der Mark von Fedorvon Zobeltits,
kündigt die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart ausser
der gewöhnlichen Ausgabe noch eine zweite in einer
geringen Anzahl von Abzügen auf Büttenpapier an,
jedes Exemplar numeriert und vom Autor gezeichnet
„Die Schweis", die Schweizer illustrierte Halb-
monatsschrift (Zürich , Polygraphisches Institut A G.),
auf die wir hier mehrfach aufmerksam gemacht haben,
ist in ihr zweites Lebensjahr getreten. Was wir an
diesem Blatte so hoch schätzen, ist das glückliche
Bemühen, sich nicht auf den landläufigen Illustrations-
schmuck der meisten deutschen Familicnblätter zu
beschränken, sondern durch Vignetten, Umrahmungen
und Kapitelstücke den Charakter des Künstlerischen
über den des rein Unterhaltenden zu stellen. Wie
reizvoll wirkt nicht schon die Kopfleiste von H. Hirzel,
die der Ankündigung des ersten Heftes des neuen
Jahrgangs ab Zierstück beigegeben ist! Auch die
farbigen Umschläge der einzelnen Hefte mit ihren
wechselnden Motiven sind meist aussergewönlich
hübsch. — z.
Kleine Notizen.
Deutschland.
Von dem Katalog der Freiherrlich von Upper-
heideschen Sammlung für Kostiimwissenschaft ist die
siebente Licfcntng der dritten Abteilung — Bücher-
sammlung — erschienen, wiederum reich illustriert und
voller interessanter bibliographischer Angaben. Er-
wähnt seien : Tcnglers „Laiensptegel" in den Ausgaben
von 151 1 und 1536; die zweite Ausgabe des Theuerdanck
(1517) in einem schönen Exemplar; Melanchthons Pas-
sional mit den Cranachschen Bildern in der Original-
ausgabe von 1521 ; ältere Verdeutschungen des Linus,
Cicero, Justinus, Heriodan, Vergil, Xenophon; die
erste deutsche Ausgabe des Fierrabras (1533); Pontus
und Sidonia von 1539 und 1548; Boccaccios „De daris
mulieribus" von 1539 und „Fümemmste historien" von
1545; die erste Verdeutschung von Pantaleons Helden-
buch (1567/71); das Studentenstammbuch des Job. Ad.
von Glauburg (mit zahlreichen Wappen, figürlichen
Darstellungen und von 1572— 1590 reichenden Abbil-
dungen) in schönem gleichzeitigem Pergamenteinband
mit 'dem Wappen des Besitzers; Schrots „Zehn Alter
der Welt" von 1574; die erste Ausgabe von Ammans
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Chronik.
199
Stamm- und Wappenbuch (1579); Stammbücher von
Michael Löchel (Nürnberg 1587/1616) und Leonhard
Hayder (ebenda., 1589/1645); der Weisskunig von 1775;
ein sehr interessantes Stammbuch aus dem XVII. Jahr-
hundert (von Michael Schmidt) mit figürlichen Dar-
stellungen in Aquarell; ein wenig bekannter Wieder-
täuferbericht, Köln, um 1540 ; die selten aufzutreibende
„Abcontrafactur Vnd Bildnis aller Gross Heriiogen",
Wittenberg, Säuberlich, 1599, die Bilder von Georg
Mack koloriert; an Bibeln: die Kroschauersche von
1 531 , Behams Bibelbilder von 1536 und 1537, die
LufTtsche Bibel von 1556, Solis Biblische Figuren von
1565, die wendische Bibel, Wittenberg 1584, mit den
Teufclschen Bildern, Holbeins Bilder zum alten Testa-
ment im Wigandschen Neudruck, Dürers Kleine Passion
im Neudruck, die Endtersche Kurfürstenbibel von
1649/1653 u. s. w. — z.
Von dem Lieferungswerke „Am Hofe Kaiser Wil-
helms IT." (Berlin, Neuer Verlag) erscheinen gegen-
wärtig die Schlusshefte. Ein Prachtwerk in veraltetem
Sinne ist diese Publikation ebenso wenig wie im Sinne
moderner Ausstattung, denn die eingefügten Abbil-
dungen sind lediglich Reproduktionen nach Photogra-
phien, und auf künstlerischem Beischmuck ist von vorn-
herein Verzicht geleistet worden. Inhaltlich aber ist
das Werk zweifellos sehr interessant. Es bietet Uber
das Leben und Treiben und die Persönlichkeiten am
Berliner Hofe viele intime Einzelheiten und auch
manche Aufklärung aus sachkundiger Feder; die Re-
daktion hat es verstanden, sich für die verschiedenen
Abteilungen Mitarbeiter zu sichern, die ihr Thema be-
herrschen. Für ein derartiges Werk, dessen Hauptreiz
in der Aktualität liegt, ist die sogenannte authentische
Illustration — nach Photographien — übrigens das
Richtigste. — bl—
Das erste Heft des neuen Jahrganges der „Exldbris
Zeitschrift' enthält u. a. Abbildungen eines Bücher-
zeichens der Stadt Oehringen von Lukas Cranach,
von Graf zu Leiningen erläutert, sowie eines modernen
gotisierenden Ex-Libris, von Melchior Lechler für die
Grossheimsche Bibliothek entworfen. Graf Leinigen
bespricht in derselben Nummer auch drei neue
Fachwerke; „Gli Ex-Libris" von Achille Bertarelli,
„Artists and engravers of british and american book-
plates" von H. IV. Fincham und „Ex-Libris, cssays of
a collector" von Charles Detter Alten, dessen 800
Exemplare bereits vergriffen sind. —f.
Vor einiger Zeit wurde hier über ein neu auf-
gefundenes Kantbildnis berichtet, das, von der Gräfin
Keyserling gemalt, den Philosophen in jungen Jahren
darstellte. Dr. E. Fromm hatte darüber in einer
Broschüre Näheres mitgeteilt. Neuerdings ist nun
wiederum ein Bild Kants aufgefunden worden, das sich
bisher in dem Besitze eines Antiquars befunden hatte.
Wie Prof. H. Vaihinger in den „Kantstudien" mitteilt,
stellt dieses Bild, das von einem echten Künstler her-
rührt und unzweifelhaft nach dem Leben gemalt, dem-
nach keineswegs auf Grund anderer Kantbildnisse frei
komponiert ist, den Philosophen in einer vom Durch-
schnittstypus abweichenden, eigenartigen, aber durch-
aus natürlichen und lebenswahren Auffassung dar. Das
Bild ist vom Magistrat der Stadt Königsberg angekauft
worden.
In Leipzig ist Mitte Mai die bvchgewerblüht fahret-
ausstellung im Buchgewerbemuseum eröffnet worden.
Die „Leipz. Ztg." urteilt nach besonderer Würdigung
der illustrativen Leistungen Muchas und der stimmungs-
vollen Buchausstattung der Holländer, über Deutsch-
lands modernes Buchgewerbe ziemlich abfällig; sie
schreibt u. a.: In Deutschland sind die Firmen noch
recht vereinzelt, die es verstehen, von den Fremden
zu lernen und dort das hervorgebrachte Gute auf die hei-
mischen Arbeiten zu übertragen. Wir sind doch sonst
in Deutschland nicht so langsam, das Ausland in
seinen Leistungen zu bewundern und sie ihm nachzu-
empfinden — der deutsche Buchhandel jedoch verhält
sich, wenige Ausnahmen abgerechnet, recht reserviert
Man kann auch heuer wieder „Prachtwerke" sogenannter
erster Finnen aufschlagen und zu seinem gerechten
Bedauern finden, dass man in mancher Beziehung noch
auf demselben langweiligen Standpunkte zu kleben
scheint wie vor zwanzig und mehr Jahren. Geradezu
wohlthuend wirken in dieser Wüste die von Lcfler und
Urban originell illustrierten „Rolandsknappen" des alten
Musaeus: hier greifen wirs ja mit Händen, welchen
Genuss ein Buch, das in Bild und Wort einheitlich
gestaltet ist, bietet; nur ein einziges Blatt fällt darin
auf und damit aus dem Rahmen des Ganzen heraus.
Wir haben gewiss sehr respektable Unternehmungen
grösseren Stils zu verzeichnen (aus München, Bruck-
mann: Furtwänglers „Sammlung Somzee", Photogr.
Union: des Böcklinwerkes III. Folge, Hirths verschie-
dene Publikationen; aus Dresden Gutbier: „Der Tro-
janische Krieg"; aus Leipzig und Berlin mehrere Häuser
mit Büchern von bestem Klange; aus Wien die Gesell-
schaft für vervielfältigende Kunst, die ausser den
„Rolandsknappen" die „Bilderbogen für Schule und
Haus" mit anerkennenswertem Geschick in der Auswahl
herausgiebt); aber ein rechter, echter Fortschritt, ein
freudiges Erlassen der von der heutigen Kunst in über-
grossem Reichtum gebotenen befreienden Gedanken
ist nur teilweise zu spüren. Gewiss passt ein modernes
Geranke nicht zu einer strengwissenschaftlichen Ge-
lehrtenarbeit, aber dass man auch hierin dem Buche
zu Liebe etwas mehr daran wenden könnte, das beweisen
die Erfolge der Keimscott- Presse des kürzlich verstor-
benen Morris und die dem Werte des Gegenstandes
gerecht werdenden Facsimilc-Ausgaben der berühm-
testen klassischen Codices (Sarraviano - Colbertinus,
Bernensis 363, Oxoniensis Clarkianus 39 u. a.) durch
den Leidener A W. Sijthoff ... — .
Frankreich.
Es ist merkwürdig und trotzdem immer wieder in
der Geschichte der Wissenschaften zu finden, dass
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200
Chronik.
grosse Entdeckungen frühzeitig gemacht werden, doch
mitsamt dem Namen ihrer Schöpfer vollkommen in Ver-
gessenheitgeraten. Ein Pariser Arzt hat kürzlich ein Buch
vom Anfangt des XVIII. Jahrhunderts in der dortigen
Nationalbibliothek ausgegraben, ein kleines Werk von
60 Seiten, das jedenfalls nur in sehr wenigen Exemplaren
noch sonst vorhanden sein wird. Sein Verfasser war
Arzt in Lyon und hiess Goiffon. Das Buch handelt
über Gifte und Pestilenz und zeigt deutlich, dass der
Verfasser die Theorie von der Entstehung ansteckender
Krankheiten durch in der Luft enthaltene winzige Keime
durchaus erkannt hat Jedenfalls war das Gedächtnis
an diesen Mann so gründlich verschwunden, dass auch
Pasteur, der neue Schöpfer dieser Theorie , nichts von
ihm gewusst hat, denn sonst hätte er bei seiner be-
kannten Gewissenhaftigkeit gegen alle Vorarbeiten die
Bedeutung dieses Mannes hervorzuheben sicherlich
nicht unterlassen.
Mucka, der Liebling der „Plume", hat vier matt-
kolorierte grosse Panneaux entworfen. Sie stellen
symbolische Verbindungen von Frauen und Blumen
dar und sind, ihren scharfen Konturen nach zu urteilen,
für moderne Glasfenster gut geeignet. — a.
Eine sehr reizvolle Affiche hat der pariser Künstler
Mr. Berthon für den Roman „Sainte Mariedes-Fleurs"
von R. Boylesue entworfen. Es ist bedauerlich, dass
man in Deutschland noch immer auf derartige Vor-
anzeigen verzichtet. — a.
Holland und Belgien.
Das erste Heft des neuen Jahrgangs der
„ Vlaamse SchooF' ist mit einer wunderhübschen Titel-
zeichnung von Charles Doudeltt geschmückt. Der
talentvolle Künstler ist in dem Heft neben vielen anderen
Zierstücken auch durch eine grosse Originalzeichnung:
„We'er't Paradijs" vertreten. Die Zeitschrift bringt
ausser ihren Originalartikeln auch stets eine vielseitige
Journalrevue, Gedichte und Illustrationen. Eine Ab-
handlung Sanders van Loo über die „Unbekannten
Meister um 1480" verdient besondere Beachtung.
In einem grossen, wohlerleuchteten Saal der Königl.
Bibliothek zu Brüssel sind die wertvollsten Hand-
schriften der alten Burgunder -Sammlung ausgestellt
worden, zugleich mit mehreren hundert Miniaturen, die
ein vollständiges Bild der flandrischen Kleinmalerei
geben. In besondern Schreinen haben die berühmten
Inkunabeln chronologisch Unterkunft gefunden, sowie
sehr interessante Autographen und Stiche, von denen
die letzteren vom XV. Jahrhundert bis auf unsere Tage
reichen und die Entwicklung von Kupferstich und
Radierung illustrieren. Eine Abteilung ist auch merk-
würdigen historischen Einbänden aller Art eingeräumt
worden. — m.
England.
Aus London geht uns eine höchst interessante neue
Monatsschrift zu, welche das Motto: „Truth is stranger
than Fiction" unter ihrem eigentlichen Titel.- „The
Wide World Magasine" fuhrt und der Wiedergabe
nur wirklicher Erlebnisse kultur- und naturhistorischen,
sowie geographischen Inhalts gewidmet ist; alle Illustra-
tionen sind Photographien nach dem Leben. Von be-
sonders aktuellem Interesse ist ein Nordpolartikel
von Nansen, dem mancherlei noch unveröffentlichte
Photographien beigegeben sind. Der Preis ist niedrig
— 6 d für das Heft — e—
Unter dem Titel: „Cartoons for the Cause ;
1SS6—96" hat Walter Crane in der Twentieth-Century-
Press eine Folge von stark socialistisch angehauchten
Holzschnitten in Dürermanier erscheinen lassen.
W. Crane hat wohl von seinem Freunde Morris die
radikale Richtung übernommen. — m.
Amerika.
Die Märznummer der amerikanischen Monatsschrift
The Book Buyer enthält u. a. einen Artikel über die
Buchbindekunst Otto Zahns in Memphis, Tennessee.
Herr Zahn ist ein Schwarzburg- Sondershausener Kind
und der Sohn eines Pastors. In Arnstadt in seinem
Fach ausgebildet, begab er sich schon früh auf Reisen
und Hess sich nach mancherlei Irrfahrten 1884 in
Memphis nieder, von wo aus er eine gewisse leitende
Stellung im Buchbindergewerbe erlangt hat Auch auf
den grossen Ausstellungen haben seine Arbeiten stets
hervorragenden Beifall gefunden. — a.
Die Dunlap Society veröffentlichte kürzlich eine
Monographie Shipmans über zwölf von W.J. Gladding
1867 gezeichnete amerikanische Theaterkarikaturen.
Von einem neuen Diktiomir zur Bibel ist der
erste Band bei Charles Scribners Sons in New- York
und bei Clark in Edinburg erschienen, und zwar unter
Leitung des Rev. James Hostings und der Mitarbeiter-
schaft berühmter Specialisten, wie Professor Sanday und
Präsident Harper. — a.
Kackdnuk verboten. — Alle /fechte vcrhehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fcdor von Zobeltitz in Berlin.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dessen Adrette: Berlin W. Augtburgeritraite 61 erbeten.
Gedruckt «m W. Orugulin in I.eipiif für Velhafen & Klating in Bielefeld und Leprig. - Papier der Neuen Papier-
Manufaktur in Slraoburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobcltitz.
2. Jahrgang 1898/99. Heft 5/6: August/Septbr. 1898.
August Hermann Francke
und die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle.
Von
Dr. Georg Frick in Kassel.
lum zweitenmale innerhalb weni-
ger Jahre hat Halle, die alte
Salzstadt an der Saale, ein
erinnerungsreiches Jubiläum be-
' gangen. Freilich so glänzend,
I wie bei dem Jubelfest der Uni-
versität im Jahre 1894, war das Junifest dieses
Jahres, die zweihundertjährige Gründungsfeier
der Franckeschen Stiftungen nicht; aber treue
Liebe und dankbare Anhänglichkeit zeugten
auch in diesen Tagen laut von den Segen-
strömen, die sich seit zwei Jahrhunderten über
hunderttausende von Schülern ausgegossen
haben. Zahlreich strömten sie aus allen Teilen
Deutschlands herbei, um die Stätten ihrer
Kindheit und frühen Jugend wieder aufzusuchen
und pietätvoll dem Gedächtnis des Mannes zu
huldigen, der jene grossartige Schulstadt ins
Leben rief und so vielen eine zweite Heimat
schuf. Denn es ist eine Persönlichkeit, dem
dieser gewaltige Organismus von ineinander-
greifenden, sich gegenseitig ergänzenden und
tragenden Einzelgründungen von Schulen, Er-
ziehungshäusern und erwerbenden Anstalten ihr
Dasein und zweihundertjährige Dauer verdankt
Wohl sind sie auch im Laufe der Zeit gewachsen
und von den Nachfolgern des Stifters ausgebaut,
aber ihre ganze Anlage und grundlegende Ein-
Z. f. B. 98W
richtung geht zurück auf die schöpferische
Kraft A. H. Franckes, des schlichten Pastors
zu Glaucha bei Halle und gelehrten Professors
an der neugegründeten Universität.
Die Tageszeitungen haben über das Leben
Franckes und seine allgemeine Bedeutung Tür
die kirchlichen, gelehrten und sozialen Bewe-
gungen seiner Zeit den Leser hinlänglich unter-
richtet, soweit dem einzelnen der grosse Mann
und seine Schöpfungen nicht schon vorher ver-
traut waren. Uns kommt es hier darauf an,
im Anschluss an eine der zahlreich erschienenen
Festschriften eine besondere Seite der Wirk-
samkeit Franckes herauszustellen, die, bisher
noch nicht genügend gewürdigt, doch ganz
überraschend neue Gesichtspunkte für seine
Beurteilung eröffnet. Bekanntlich war A. H.
Francke, von Haus aus Theologe, einer der
nachdrücklichsten Vertreter des von Spener
zuerst weiteren Kreisen vermittelten Pietismus.
Gegenüber der damaligen Orthodoxie, einer in
Dogmatik erstarrten Theologie und eines an
Liebes werken armen Kirchentums, machte er
die Vertiefung in die heilige Schrift selbst und das
hingebende persönliche Verhältnis zu Gott und
Christo zur Hauptforderung des Christentums.
Aus der Kraft eines durch innere Erfahrungen
gewonnenen und täglich neu errungenen
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202
Frick, August Hermann Francke und die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle.
Glaubens schöpfte er den Trieb, von dieser
innerlichen Gewissheit nach aussen Zeugnis ab-
zulegen und überall dem Reiche Gottes Eingang
zu verschaffen: so begann er seine gewaltige
missionierende Thätigkeit, die auf Kanzel und
Universitätskatheder anhub und ihn bald auch
zur Arbeit an der Jugend führte; ihr galten in
erster Linie seine zahlreichen Gründungen. Sie
umfassten, um dem Leser einen kurzen Über-
blick zu geben, bei Franckes Tode folgende
Anstalten: eine Freischule für Knaben und eine
solche für Mädchen, eine Bürger-Knaben- und
eine Bürger-Mädchenschule, ein Pädagogium,
ein Gymnasium (die sogenannte Lateinische
Hauptschule), ein Gynäceum, eine Waisenanstalt
für Knaben und eine solche Tür Mädchen, eine
Pensionsanstalt für die Gymnasiasten, ein
Seminar für die Kandidaten des höheren
Lehramts; dazu kamen die Buchhandlung, die
Buchdruckerei, die Waisenhausapothekc und
Medikamentenexpedition, die von Cansteinsche
Bibelanstalt und die Ostindische Missions-
anstalt.
Die äusseren Mittel zur Herstellung und
Erhaltung seiner Schöpfungen gewann Francke
teils durch freiwillige Gaben teilnehmender
Menschen, die umso reichlicher flössen, je mehr
der Pietismus zu einer wirklichen Macht inner-
halb der Kirche wurde und je weiter der Ruhm
des Hallischen Waisenhauses drang, teils durch
die hochherzige Unterstützung der preussischen
Herrscher, die ihm in besonderer Weise ihre
Huld zuwandten, am meisten aber doch schliess-
lich aus den von ihm selbst gegründeten erwer-
benden Instituten: der Apotheke und Medi-
kamcntenanstalt und der Buchhandlung und
Buchdruckerei.
Der Überlieferung nach gilt der treue Ge-
hilfe Franckes Heinrich Julius Elers als der
Begründer der Waisenhausbuckhandlung. Er
soll im Jahre 1697 die Leipziger Ostermesse
mit einer Predigt Franckes bezogen und diese
durt an einem Tischchen stehend unter dem
Hohn der zünftigen Buchhändler feilgeboten
haben. Diese Tradition ist, wie Schürmann 1
nachweist, irrig. Gewiss dürfen die Verdienste
Elers für die Entwicklung der Buchhandlung
nicht gering veranschlagt werden, aber den
eigentlichen Anstoss zu ihrer Einrichtung, die
kräftigste und nachhaltigste Förderung zu ihrem
Aufblühen hat doch Francke selbst gegeben.
Dieser setzt die Errichtung eines eigenen Buch-
ladens in das Jahr 1699, zu welcher Zeit zum
erstcnmale die Leipziger Ostermesse bezogen
worden sei. Um indes den Buchladen bei dem
damals geltenden Tauschhandel reichlich mit
fremden Verlagssachen versehen zu können,
musste jedenfalls schon eine gewisse Vcrlags-
thätigkeit vorhergegangen sein, deren Werke
dann in Leipzig als Tauschmittel dienen konnten.
Eine solche lasst sich nun thatsächlich nach-
weisen. Das älteste Verlagswerk ist Franckes
„Glauchaisches Gedenkbüchlein", ein Buch von
300 Seiten aus dem Jahre 1693, das, im Selbst-
verlage erscheinend, noch keine Verlagsbe-
zeichnung, sondern nur den Erscheinungsort und
den wichtigsten Messplatz: Halle und Leipzig
trägt. Dem gleichen Jahre entstammt ein
Lexikon in Novum Testamentum, griechisch
und deutsch, das auch zunächst noch anonym
erschien, aber schon im Messkatalog von 1701
als in den Waisenhausverlag übergegangen be-
zeichnet wird. Aus der folgenden Zeit werden
dann eine ganze Reihe von Schriften genannt,
die in Beziehung zum Waisenhausverlag ge-
bracht werden dürfen, so dass mit dem Jahre
1698 schon ein gewisser Bestand von eigenem
und übernommenem Verlagsgut vorhanden war,
mit dem Elers samt einem Gehilfen die Messe
beziehen konnte. So begeht denn innerhalb
des grossen Jubiläums die Buchhandlung des
Waisenhauses in diesem Jahre noch im beson-
deren das Fest ihres zweihundertjährigen Be-
stehens.
Auf der Michaelismesse 1698 war das
Waisenhaus schon mit folgenden eigenen Ver-
lagswerkcn erschienen: Gottfr. Arnold, Leben
der Alt-Väter. I. Band. Erasmus Rotterd.,
Enchiridion militis christiani. A. H. Francke,
Busspredigten; Postille oder Sonn-, Fest- und
1 Aug. Sckürmann: Zur Geschichte der Buchhandlung des Waisenhauses und der Canstein sehen Bibel&nstalt
in Halle n. S. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses 1898. M. 3. — Wer sich einen Überblick über die Geschichte
der Kranckeschen Stiftungen überhaupt zu verschaffen wünscht, dem sei das in gleichem Verlage tur Jubelfeier
erschienene Schriftchen von l'rof. Gmt. Fr. lltrfcherg: Aug. Hermann Francke und sein Haitisches Waisenhaus
empfohlen. Preis M. 1,80. Im Nachfolgenden ist mehrfach benutzt die gani knappe Studie des früheren Direktors
der Franckc'schcn Stiftungen, Dr. Ütu Iruk: Die Krankeschen Stiftungen. Halle 1892. M. 0,36.
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Frick, August Hermann Francke und die Buchhandlung de* Waisenhauses in Halle.
203
Aposteltags Predigten; Speculum fidei; An-
leitung zum Christentum; Einleitung in die
heilige Schrift; Predigten (alphabetweise, d. i.
nach der Bogenzahl abgegeben). F. H. Licht-
scheid, Gedanken über das Büchlein vom
ewigen Evangelio. Joh, Wilh. Petersen, Stimmen
aus Zion. 3 Teile. Phil Jak. Spener, Para-
phrasis in I. epist Johannis oder Erklärung
der ersten Epistel Johannis. Usserii Harmonia
evangeliorum oder Zusammen fügung der vier
heil Evangelien. Gottfr. Vockrodt, Erläuterung,
was mit den vorgegebenen Mitteldingen in der
Christenheit vor Ärgernis angerichtet worden;
Sieg der Wahrheit — Schwerlich ist damit das
Verzeichnis der Verlagswerkc, über die damals
das Waisenhaus gebot, erschöpft. Aber schon
aus den genannten Schriften geht als charak-
teristisch hervor, dass sie durchweg theolo-
gischer und erbaulicher Natur sind. Neben
dem Spenerschen Buche, das Francke selbst
als erstes bedeutenderes Verlagswerk rühmt,
mögen vor allem die zahlreichen eigenen
Schriften Franckes dem jungen Unternehmen
von Nutzen gewesen sein. Die steigende Be-
deutung des Buchladens bekundet sich auch
darin, dass derselbe aus der engen Kammer,
die ihm ursprunglich zur Verfügung stand, nach
mehrfachem, durch Raummangel bedingtem
Wechsel schon im Jahre 1700 in die neuer-
bauten Räume des Waisenhauses übersiedeln
musste. Die Geschäfte blieben nicht allein
auf die Leipziger Messe beschränkt, sondern
bald ging von Halle selbst ein weitgehender
unmittelbarer Verkehr nach dem In- und Aus-
lande aus. Wie schon Francke bemüht war,
diesen zu heben, bezeugt die Errichtung einer
privilegierten Buchhandlung in Berlin, welche
1702 als Buchhandlung des I Iallischen Waisen-
hauses am Mühlendamm daselbst im Beisein
Franckes und Elers eröffnet wurde; ihr schlössen
sich stehende Niederlagen in Leipzig und Frank-
furt an, den Hauptplätzen des damaligen Buch-
handels. Denn eben durch einen ausgebreiteten
Sortimcntshandel gewann Francke die Mittel
Tür eine umfassende /ra&vtazvThätigkeit; der
Verlag und die äusserstc Spannung des letzteren
waren es, wie Schürmann meint, worauf es ihm
hauptsächlich ankam. Die Sortimentsgeschäfte
waren ihm nur Mittel zum Zweck. Um jenen
besser zu fördern, richtete er im Jahre 1701 eine
eigene Buchdruckerei ein, die zwar zunächst
nur mit zwei Handpressen arbeitete, aber doch
von vornherein auf den wissenschaftlichen Bedarf
einer grossen Verlagshandlung zugeschnitten
wurde: sie sollte mit dem besten in Deutschland
vorhandenen Schriftmaterial ausgestattet werden
und nicht nur deutsche, griechische und latei-
nische, sondern auch hebräische, syrische und
äthiopische Typen führen; selbst das Slavo-
nische blieb nicht ausgeschlossen.
Mehr noch als der Buchhandel des Waisen-
hauses ist diejenige Thätigkeit Franckes weiteren
Kreisen bekannt geworden, die auf eine billigere
Herstellung und damit allgemeinere Verbrei-
tung der Bibel hinzielte. Und doch hat es
eine Reihe von Zufälligkeiten gefügt, dass auch
auf diesem Gebiet, das ihm Herzenssache war
und von dem Drang, der seelischen Not seines
Volkes abzuhelfen, das beredteste Zeugnis giebt,
die Nachwelt ihm die gebührende Anerkennung
versagt hat. Der Freiherr Carl Hildebrand
von Canstein (1667 — 1719) gilt als der Vater
jener hochherzigen Idee, den ärmeren Schichten
die Bibel zu einem billigen Preise zu überlassen
und sie dadurch erst zu dem Volksbuche zu
machen, das sie schon nach Luthers Auffassung
werden sollte. Francke hatte selbst das beste
seines Wesens, den tief innerlichen Glauben,
einer immer erneuten Beschäftigung mit der
heiligen Schrift zu verdanken, hatte bereits als
junger Magister in Leipzig mit seinen Studenten
im collegium philobiblicum die Auslegung der-
selben betrieben und dann später in seiner
seclsorgerischen Thätigkeit beständig auf die
Bibel als die Quelle rechter Gottseligkeit ver-
wiesen. Schon in Erfurt hatte er, unterstützt
durch wohlgesinnte Freunde, den Armen Bibeln
zu billigen Preisen abgegeben, die er aus Lüne-
burg bezogen hatte. Die Bibel und die bibli-
sche Littcratur wurde nun auch in Halle der
vornehmste Gegenstand seiner publizistischen
Thätigkeit Reformatorisch und mit einer in
der Zeit der Orthodoxie doppelt bewunderungs-
würdigen Kühnheit ging er auch dabei zu Werke,
indem er seit dem Jahre 1695 eine Monats-
schrift herausgab unter dem Titel: „Obser-
vationes biblicae oder Anmerkungen über einige
Ürter H. Schrift, darinnen die teutsche Uber-
setzung des Sei. Lutheri gegen den Original-
text gehalten und bescheidentlich gezeigt wird,
wo man dem eigentlichen Wortverstande näher
kommen könne." Wenn auch diese Gedanken
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Frick, August Hermann Francke und die Buchhandlung des Waisenhauses in Halle.
für die Revision und Berichtigung des Luther-
textes, die Francke hier zum erstenmale aus-
sprach, und die ihn allein schon davor schützen
sollten, dass man das Wort Pietist im heutigen
Sinn auf ihn und seine Bewegung anwendet,
zunächst noch keine durchgreifenden praktischen
Ergebnisse zeitigten, so war es doch dem
Waisenhause vorbehalten, zwei Jahrhunderte
nach solchen Erörterungen die neue, soge-
nannte „Revidierte Bibel" herauszugeben, deren
Text nun allmählich den alten Lutherschen ver-
drängt.
Ohne in Beziehung zur nachmaligen Bibel-
anstalt zu stehen, weist schon der frühere
Verlag eine Reihe von Bibelausgaben auf. Bei
der ältesten, einer Duodczbibel von 1702, ist
. \n.i yns m.RMA \msjra vckii
1 m ii . 1 Mn nir-^fTTTii MT tiir .n i' » , .. ii;i Iii iiTmi f ri' . 'ii *if*i n iir'ii'i i iir ii mu rr'i nf ^
es freilich zweifelhaft, ob sie schon im Waisen-
hause gedruckt oder nur von diesem über-
nommen ist. Nach einem handschriftlich erhal-
tenen Katalog lautete ihr Titel: „Biblia, das
ist, die gantze H. Schrift A. u. N. T. nach der
teutschen Übersetzung D. Martin Luthers, mit
jedes Kapitels kurzen summarien, concordan-
zien u. Joh. Arnd's Informatorio biblico, be-
nebens A. II. Franckens Unterricht, wie mann
die H. Schrift zu seiner Erbauung lesen soll."
1708 folgte eine Grossoktavausgabe der Luther-
bibel, von der Francke selbst sagt, dass sie
„nach den besten Editionen accurat revidiert,
auch mit dessen Randglossen und Vorreden,
ingleichen mit sehr vielen locis parralelis ver-
sehen sei." So zeigte sich auch hier das Be-
streben einer gründlichen Bear-
beitung des Textes. Schon vorher
war i. J. 1704 „ein sehr bequemes
Teutsches Neues Testament in 24.
mit sehr deutlichem Typo", wie es
in der Ankündigung heisst, heraus-
gekommen. Auch fü r fernere Kreise
wurde bereits gesorgt: so war zur
Verbreitung in den evangelischen
Gemeinden Böhmens bestimmt ein
Neues Testament in böhmischer
Sprache vom Jahre 1709 und für die
griechische Kirche die von Francke
veranstaltete und eingeleitete Aus-
gabe des Neuen Testamentes im
griechischen Grundtext mit neu-
griechischer Ubersetzung vom Jahre
1710. Seit 1705 arbeiteten Francke
und J. II. Michaelis an der Biblia
hebraica, der ersten kritischen
hebräischen Bibelausgabe in der
evangelischen Kirche, die im Jahre
1 720 vollendet wurde. Dem Verlag
standen bei diesen Arbeiten helfend
und fördernd zur Seite die Mitglieder
des Collegium Orientale theologi-
cum, das Francke in Verbindung
mit seinen Kollegen in der theo-
logischen Fakultät aus befähigten
Studenten gegründet hatte, um mit
ihnen das Studium der H. Schrift
in den Grundsprachen zu betreiben.
Für die I lerausgabe der hebräischen
Bibel ist die Mitarbeit dieses Colle-
giums ausdrücklich bezeugt; aber
FricV, August Hermann Francke und <iie Huchhandlung des Waisenhause» in Halle.
auch sonst mag es an den übrigen im Waisen-
hausverlag erschienenen Bibeln beteiligt gewesen
sein und den ersten wissenschaftlichen und
litterarischen Stab für die Unternehmungen des-
selben abgegeben haben. Mit Recht kann da-
her Schürmann sagen: die Buchhandlung des
Waisenhauses war schon Bibelanstalt, als das
Institut, welches in weiterer folge unter diesem
Namen verstanden wird, noch gar nicht existierte.
Dass diese Bibelanstalt nachmals nach dem
Freiherrn von Canstein benannt wurde, war ein
Akt der Pietät, der 56 Jahre nach dem Tode
jenes erfolgte. Bis dahin haben die Bibeln
den Zusatz: „Zu finden im Waysenhause"; und
erst nach diesem Zeitpunkt heisst es: „Halle,
in der Cansteinischen Bibelanstalt". Aus dieser
Benennung hat sich die Meinung herleiten
können, der Freiherr von Canstein sei der
materielle und geistige Urheber der Bibclanstalt,
die somit eine selbständige Stiftung innerhalb
der Franckeschen Stiftungen sei. Das Irrige
dieser Annahme nachgewiesen und das wirk-
liche Verdienst an seinen Platz gestellt zu
haben, ist Schürmann auf das glücklichste ge-
lungen, und darum darf seine Schrift auch über
die Fachkreise hinaus eine weitgehende Beach-
tung beanspruchen. Fr weist nach, wie Francke
selbst den schon früher in die Praxis umge-
setzten Gedanken der Beschaffung billiger Bibeln
auch innerhalb seiner Anstalten wieder auf-
genommen und durchdacht hat Schon im
grossen Aufsatz' vom Jahre 1704 ist er erwogen,
dann wieder zurückgestellt und endlich im
Jahre 1709 zum erstenmale an die Öffentlich-
keit gebracht. Der Freiherr von Canstein in
Berlin, auch sonst ein eifriger Förderer Francke-
scher Ideen und Thaten, nahm sich des Planes
warm an ; er erklärte sich bereit, um „das Odium
der Buchführer' von dem Waisenhause abzu-
lenken, zunächst die Sache mit seinem Namen
zu decken. Doch sagt er ausdrücklich: „In-
dessen, wenn ich die Sache zu Stande gebracht,
so will ich Ihnen das ganze Werk hingeben,
damit Sic in Wahrheit bezeugen mögen, es
gehöre zu Ihren Anstalten und werde es also
ein ornamentum davon". Es handelte sich
zunächst um Beschaffung eines Grundkapitals
durch freiwillige Gaben, für die eben Canstein
205
Dai Francke-Dcnkmal in Halte.
Photographie und Verlag von Sopliut Williams in Berlin.
als einflussreicher Mann innerhalb der pietisti-
schen Bewegung und durch seinen Wohnsitz
in Berlin besonders befähigt war. Und doch
erscheint das Ergebnis gering im Verhältnis
zu den Gaben, die Francke sonst im Interesse
seiner Stiftungen aufzubringen wusste. Bis zu
Cansteins Tode gingen wechselnde Beträge von
300 bis über 2000 Thaler ein; dieser hintcrliess
der jungen Anstalt 3312 Thaler 12 Groschen.
Die Gesamtsumme dessen, was an fremden Bei-
steuern überhaupt eingegangen ist, beträgt nicht
mehr als 1 1 285 Thaler 4 Groschen. So ist denn
in Wirklichkeit die Anstalt viel mehr auf ihre
eigenen Erträgnisse und sorgsame Berechnung
angewiesen gewesen als auf die Mithilfe anderer.
« A. H. Franckes Grosser Aufsalz, herausgegeben vom Direktor Dr. W. Fries all Festschrift /um zweihundert-
jährigen Jubiläum der Universität Halle. Halle a. S. 1894.
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2CX5
Frick, August Hermann Francke und die ßnchhandlung de« Waisenhi
in Halle.
Eine der ersten Sorgen war die Herstellung
eines Bibeltextes. Da Canstein schriftlich ver-
sprochen hatte, so lange Francke lebe, sich
keiner Direktion über das Bibelwerk anzu-
massen, so muss auch hier diesem der Haupt-
anteil zugeschrieben werden, .umsomehr als
jener Laie war und Francke sich in den oben-
genannten observationes biblicac bereits mit
solchen Fragen beschäftigt und wichtige Vor-
arbeiten geliefert hatte. Im Sinne dieser Grund-
sätze handelte nun auch der zum Leiter des
Instituts berufene Joh. Heinrich Grischow, ein
Schüler Franckes, der 44 Jahre lang dem Werk
mit grosser Treue vorgestanden hat. Unter
Benutzung der Franckeschen Vorarbeiten und
mit dessen steter Unterstützung stellte er in
kurzer Zeit den Text her. Zu Grunde gelegt
waren die Stadischen Bibeln aus den Jahren
1690, 1698, 1703. Doch ging die Verbesserung
nur schrittweise vor; noch die späteren Auf-
lagen zeigen nicht unbedeutende Veränderungen
gegenüber den früheren. Dieser sogenannte
Cansteinsche Text ist dann im Laufe der Zeit
zum grössten Teile der evangelischen Kirche
rezipiert und auch der neuen „Revidierten Bibel"
zu Grunde gelegt worden. Somit hat die Bibel-
anstalt des Waisenhauses auch darin ihre Be-
deutung, dass es ihr gelungen ist, die verschie-
denen Glieder der evangelischen Kirche auf
einen gemeinsamen Bibeltext zu vereinigen. —
Der Zusammenhang dieser Bibelanstalt mit der
Buchhandlung wird dadurch bezeugt, dass Gri-
schow gehalten war, dem Vorsteher des Buch-
ladcns, Kiers, Rechnung, über Einnahmen und
Ausgaben abzulegen, sowie in der technischen
Leitung seiner Anleitung und seines Rates sich
zu bedienen. Die Buchhandlung sollte die Ver-
kaufsstattc und Bezugsquelle der Masscnbibcln
überhaupt bilden. Auch hier heisst es auf den
Titeln: „Zu finden im Waysenhause", doch fehlt
nicht der Zusatz: „Nebst der Vorrede Herrn
Baron Carl Hildebrands von Canstein", wodurch
die Bezeichnung Cansteinsche Bibeln mit der
Zeit immer mehr in Aufnahme kam.
Nach Erledigung der Vorarbeiten erschien
im Jahre 17 12 die erste Ausgabe in einer Höhe
von 5000 Exemplaren unter dem Titel: „Das
Neue Testament unseres HErrn und Heylandes
JEsu CHristi, verteutscht von D. Martin Luthern;
mit jedes Capkels kurtzen Summarien, und
nöthigsten Parallelen. Nebst der Vorrede Iln.
Baron Karl Hildebrands von Canstein. Halle,
Zu finden im Waysenhause. 17 12". Das Testa-
ment ist in Kleinduodez gedruckt und noch
ohne Psalter. Voran geht das kurze Vorwort
Cansteins; ihm folgt ungenannt Grischow mit
seinem Bericht „Was in dieser Edition geleistet
worden" nebst einem Verzeichnis der textlichen
Änderungen gegen die Stadische Ausgabe.
Der ungewöhnliche Erfolg machte schon in
demselben Jahre eine zweite, im folgenden eine
dritte Auflage nötig. Nachdem so Text, Format
und Schrift Beifall gefunden hatten, konnte man
daran gehen, Tür die 4. Auflage den stehenden
Satz zu verwenden. Dadurch wurden die Her-
stellungskosten derart verringert, dass man der
5. Auflage, ohne den Preis zu erhöhen, den
Psalter beifügen konnte. Nunmehr wurden 3 5 7t
Kleinduodezbogen für den Preis von zwei
Groschen abgegeben. Auf diese Weise ge-
langten in 3*/, Jahren 38000 Neue Testamente
zur Verbreitung, und zwar nicht nur in Deutsch-
land, sondern auch weit über seine Grenzen
hinaus. — Im Jahre 17 13 erschien dann eine
Hausbibcl in Grossoktav zum Preise von
IO Groschen: „Biblia, das ist die gantze H.
Schrift Altes und Neues Testaments. Nach der
teutschen Ubersetzung D. Martin Luthers. Mit
jedes Capitcls kurtzen Summarien u. nöthig-
sten Parallelen; mit Fleiss übersehen, u. gegen
einige, sonderlich erstere, Editiones des Sei.
Mannes gehalten, auch an unterschiedlichen
Orten nach denselben eingerichtet, und von vielen
in den bisherigen Exemplarien hin u. wieder
eingeschlichenen Fclüern gesäubert. Nebst einer
Vorrede Hrn. Baron Carl Hildebrands von
Canstein. Halle. Zu finden im Waysenhause.
Im Jahre MDCCXIII". Sie ist unter dem Namen
„Grossoktavbibel" nachmals bei allen Bibelan-
stalten und bibeldruckenden Gesellschaften ty-
pisch geworden. Nachdem bis zum Jahre 1716
fünf Auflagen von je 5000 Exemplaren nötig
gewesen waren, wurde auch sie auf stehenden
Satz gebracht. — Im Jahre 171 5 erschien dann
die Handbibel in Duodez, die bis zu dem viel
späteren Erscheinen der Mittcloktavbibel be-
rufen war, als verbreitetste Bibclausgabe sich
in den Schulen einzubürgern.
Als Canstein im Jahre 17 19starb, ging der Ver-
abredung gemäss das Bibelwerk ganz in Franckes
Hände über. An 100000 Testamente, 40000
Grossoktavbibcln und ebensoviel Duodezbibeln
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Frick, August Hermann Francke und die Buchhandlung de* Waisenhauses in Halle.
207
waren inzwischen hergestellt und verbreitet
worden. Aber ihre eigentliche Blüte erlangte
die Anstalt doch nun erst, wo sie, nicht mehr
einem auswärtigen Leiter unterthan, im engsten
Anschluss an das Waisenhaus und seine An-
stalten fortentwickelt wurde und, als eine im
Kassen- und Rechnungswesen natüriieh ge-
trennte Abteilung der Buchhandlung, doch mit
dieser die Strenge der Geschäftsgrundsätze
und Ziele teilte. Vor allem musste sie unab-
hängig von fremder Unterstützung gemacht
werden. Indem die Bibclanstalt nun in den
folgenden Jahrzehnten ohne jeden Beistand von
Wohlthätern mit Ausnahme der Stiftungen, die
den Grund und Boden für die notwendigen
Bauten hergaben, allein auf sich selbst gestellt
werden konnte, wurde sie erst recht begründet
und für eine lange Lebensdauer gekräftigt. Aus
dem ersten unscheinbaren Gedanken, den Armen
die Anschaffung der Heiligen Schrift zu ermög-
lichen, erwuchs eine Anstalt, die auf lange Zeit
hinaus für sich allein erfolgreich wirkte und
dann den Anstoss gab zur Weckung zahlreicher
verwandter Bestrebungen und somit die Bibel
in der Lutherschen Ubersetzung erst zum
Gemeingut des evangelischen Volkes machte.
Darin liegt die hohe Bedeutung der Canstein-
schen Anstalt; die Zahlen der von ihr ver-
breiteten Heiligen Schriften treten gegenüber
den Zahlen der grossen Bibelgesellschaften,
welche auf dauernde beträchtliche Unterstütz-
ungen rechnen können, freilich zurück, immerhin
sind bis zu diesem Jahre insgesamt über
7 Millionen' Bibeln und Neue Testamente in
deutscher, wendischer, polnischer und litaui-
scher Sprache aus ihr hervorgegangen.
Einen gleich glücklichen Fortgang hatte in-
zwischen auch die Buchhandlung des Waisen-
hauses genommen. In den wenigen Jahren nach
ihrer Gründung war sie zu einem grossartigen
Institut angewachsen, in welchem wissenschaft-
liche und praktische Interessen der verschieden-
sten Art gefördert wurden. Und auch hier ist es
weniger der in seiner Art sehr tüchtige technische
Leiter Liers, als vielmehr wieder Francke selbst,
der allen Unternehmungen Antrieb, Kraft und Er-
folg verleiht. Zwei Naturen schienen in ihm
sich zu vereinigen: unmittelbar neben seiner fast
mystischen Gcfühlsinnigkeit, einer natürlichen
Schlichtheit und ungeheuchelten Demut, einem
fast überschwenglichen Idealismus, der beständig
in grossen Entwürfen schwebte, fand sich doch
ein ungewöhnlich scharfer und nüchterner Blick
für alle praktischen Dinge, eine geschäfts-
männische Klarheit und Besonnenheit, die ihn
auf den verschiedensten, weit auseinander-
liegenden Gebieten, wie Seelsorge, theologischer
Wissenschaft, Schulunterricht und den Ge-
schäften der Buchhandlung und Apotheke zu
ausserordentlichem befähigte.
Nach drei Richtungen erstrecken sich die
Unternehmungen der Buchhandlung. Zu der
biblischen Littcratur gesellt sich die Theologie
und zwar vorwiegend nach der Eigenart Franckes
die praktische Theologie. Wir wissen, dass
zunächst Speners Schriften den ersten Grund-
stock mit bildeten, und der Name des hoch-
gefeierten Vaters des Pietismus mag dem An-
sehen der neuen Buchhandlung von grossem
Nutzen gewesen sein. Aber ihren Schwerpunkt
hatte sie doch in der eigenen litterarischen
Thätigkeit Franckes. Im Verlagskatalog von
1738 kommen von 39 Oktavseiten allein Ii auf
Franckes Schriften, die mit 174 Titeln vertreten
sind. Neben der grossen Masse von Predigten
und Traktaten finden sich auch akademische
Compendien und andere meist lateinisch ab-
gefasste Schriften. Namentlich die erstge-
nannten Erbauungsschriften entspringen dem
innersten Drang Franckes, sich auch litterarisch
an das Volk zu wenden und für Kirche, Schule
und Haus reformierend zu wirken. Ihre Ver-
breitung war von Anfang an eine ungewöhn-
liche; obwohl gleich in mehreren tausend Exem-
plaren hergestellt, erfuhren sie doch immer
wieder neue Auflagen. Der verbreitetste Traktat
ist der „Einfältige Unterricht, wie man die Heilige
Schrift zu seiner wahren Erbauung lesen soll";
er findet sich zum erstenmale in der Duodez-
bibel vom Jahre 1702. Als Sonderdruck ist er
dann unter den kleinen Erbauungsschriften zum
Preise von 2 Pf. zu haben. Nachdem er später
(seit 1775) allen Cansteinschen Bibelausgaben
vorgedruckt worden, haben ihn auch andere
Bibelgesellschaften übernommen, so dass er
gegenwärtig in Millionen von Abdrücken ver-
breitet ist Diese kleinen Schriften bildeten eine
wertvolle Einnahmequelle der Buchhandlung
« Nach einer nns freundlichst erteilten persönlichen Auskunft A. Schürmanns.
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208
und damit der Stiftungen überhaupt, so dass
Francke, wie Schürmann mit Recht bemerkt,
nicht nur der Schöpfer und Organisator der-
selben auf Grund fremder Mittel ist, sondern
auch durch die Erträgnisse seiner Schriften
unter den Wohlthätcrn der Anstalten einen
hervorragenden Platz beanspruchen darf.
Zu der erbaulichen Litteratur lieferten auch
die Mitarbeiter Franckes Beiträge. Namentlich
ist J. K. Freylinghausen, der Schwiegersohn
Franckes, durch das von ihm herausgegebene
den Händen ganz unerfahrener Lehrer, junger
Studenten, lag, galt es an Stelle der bisherigen
mittelalterlichen Lehrbücher, wie z. B. Donat,
neue Unterrichtsmittel zu schaffen. Sie wurden
durch die aus den Franckeschen Stiftungen
hervorgehenden, wegen ihrer methodischen
Schulung sehr gesuchten Lehrer bald weithin
verbreitet. Sie brachten den Namen Franckes
auch dort zur Anerkennung, wo man sich seinen
religiösen Bestrebungen gegenüber ablehnend
verhalten mochte. Beginnt doch mit Francke
Die Franckctchcn Stiftungen in Hallt.
Photographie und Verlag von Sophus Williams in Berlin.
Gesangbuch bekannt, das zahlreiche neue Lieder
und Melodien aufnahm. Auch hier hat die
Ausgabe des Waisenhauses vorbildlich gewirkt.
Denn trotz der Anfeindungen, welche die Samm-
lung anfangs erfuhr, sind heute doch die Lieder
und Melodien derselben in die meisten evan-
gelischen Kirchen Deutschlands ubergegangen.
Auch Gotthilf Francke, der Sohn des Stifters,
nahm sich der Traktatlitteratur mit Fifer an, ein
Zeichen der idealen und praktischen Bedeutung,
die sie für das Waisenhaus hatte.
Ebenfalls ein Ausfluss der eigensten Be-
thätigung Franckes war der pädagogische Verlag
des Waisenhauses. Für seine grossartigen
Schulstiftungen, deren Unterricht zur Zeit in
eine ganz neue Epoche in der Geschichte der
Pädagogik und Didaktik. Das verbreitetste
Lehrbuch wurde Joachim Langes „Verbesserte
und Erleichterte Lateinische Grammatica" vom
Jahre 1703. Sie erlebte in dem Zeitraum von
1703 — 1898 rund 60 Auflagen. Nach ihrem
Vorbild erschien im Jahre 1 705 die „Verbesserte
und Erleichterte Griechische Grammatika" ohne
Angabe des Autors, daher im Volksmunde
kurz als „Waisenhäusischc Grammatik 44 be-
zeichnet. Sie war gleichfalls bis in das folgende
Jahrhundert hinein im Gebrauch und erlebte
57 Auflagen. Für den Religionsunterricht schrieb
Freylinghausen eine Anzahl Compendien. Der
bekannteste Schulschriftsteller jener Zeit war
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tx-Libri» der ..Iteu Luiicbui*cr KaltbiLlioihck.
Ztitickri/t /*r Dmikrr/rtuMJt.
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Müller-Bwuel, Drei Ex-Libri« der Lüneburger Ritsbibliothek.
Freyher, der auf dem Gebiete des deutschen, alt-
sprachlichen, geschichtlichen, erdkundlichen und
religiösen Unterrichts eine ebenso vielseitige wie
erfolgreiche Thätigkeit entfaltete und am meisten
zur Verdrängung der alten Lehrbücher beitrug.
Die engen Beziehungen mit der Universität,
die schon durch Franckes Lehramt gegeben
waren, führten schliesslich auch zu einem be-
deutenden gelehrten Verlag. Die Blütezeit der
Halleschen Universität, in erster Linie durch
Francke und Thomasius hervorgerufen, lag in
den Jahren von 1700 — 1730 und deckte sich
mit der Wirksamkeit Franckes, nachdem sein
Waisenhaus erstanden war. Aus dieser Zeit
weist der Verlagskatalog gegen 19 Mitglieder
der verschiedensten Fakultäten als Autoren
nach, und auf diese 19 Universitätsgelehrten
kommen 157 grosse Verlagsunternehmungen,
darunter viele Quartanten und Folianten, sowie
einzelne bändereiche Werke. Der Theologe
Joachim Lange ist allein durch 26 Titel ver-
treten. Diese starke Beteiligung der Univer-
sitätsprofessoren und die so augenfällig bekun-
dete Anhänglichkeit derselben sind wohl zumeist
auf die Persönlichkeit Franckes zurückzuführen,
die in der Nähe auch Fernerstehende zu ge-
winnen und für sich einzunehmen wusste.
Ebenso sprechen aber die zahlreichen und
dauernden Geschäftsverbindungen gerade mit
den hervorragendsten Kräften der Universität
auch für die gesunden, vertrauenerweckenden
Grundsätze, unter denen das Geschäft geleitet
wurde, und die Art der grossen Publikationen
für einen schwungvollen, weitblickenden Unter-
nehmergeist
Schürmann führt die Geschichte der Buch-
handlung des Waisenhauses auch durch die
folgenden Jahrhunderte fort Wer den Ver-
fasser aus seinen früheren Schriften kennt, weiss,
dass er zu unseren ersten Kennern auf dem
Gebiete der Entwicklung des deutschen Buch-
handels zählt und der kundige Forscher verrät
sich denn auch in jeder Zeile des vorliegenden
Werkes. Uns kam es darauf an, im Jubiläums-
jahre die Wirksamkeit A. H. Franckes klar-
zustellen, aber auch über diesen begrenzten
Rahmen hinaus findet sich viel des allgemein
Interessanten in der Schrift: mag Schürmann
über das Messwesen, den Tauschhandel, das
Privilegien- oder Zeitungswesen reden, immer
bieten seine Ausführungen wichtige Beiträge
zur Geschichte des Buchhandels. Wir würden
uns freuen, wenn wir durch diesen Bericht zur
Lektüre des Buches selbst Anregung gegeben
hätten. Kein Bücherfreund wird es ohne den
reichsten Gewinn aus der Hand legen.
Drei Ex-Libris der Lüneburger Ratsbibliothek.
Von
Hans Müller-Brauel in Zeven.
m
ior einiger Zeit fand ich zwischen einem
Haufen alter Kupferstiche, welche einst
in der von Stemschen Druckerei in
Lüneburg gedruckt wurden (für die berühmten
„Sternschen Bibeln"), zwei hochinteressante Ex-
Librisdrucke, die meine Aufmerksamkeit er-
regten.
Ich wusste sofort, dass ich in diesen Blättern
die Folgezustände eines handgemalten stadt-
lüneburgischen Bücherzeichens, welches schon
vor längerer Zeit in meinen Besitz gekommen
war, in Händen hatte. Ausserdem hatte ich
Z. U B. 98/99.
aber beim Durchsuchen der reichen Lüneburger
Stadtbibliothek in verschiedenen Fällen diese
beiden Bibliothekszeichen als solche in verschie-
denen geschichtlichen und rechtswissenschaft-
lichen Werken thatsächlich verwendet gesehen.
Irre ich nicht, so sind auch einige gemalte
Ex-Librisblätter in den Bänden der Bibliothek
eingeklebt — der Lüneburger Museumsvcrcin
besitzt eine Buchdeckelklappe mit dem gleichen
Blatt. — Von einer andern Buchdeckelklappe, die
vor langen Jahren beim Neubinden eines alten
Foliobandes in einer lüneburgischen Buch-
»7
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2IO
Maller -Brauet, Drei Ex-Libru der Lüneburger Ratsbibliothek.
binderei liegen geblieben war, löste ich mein
Blatt herab. Leider, muss ich hinzusetzen. Ich
kannte damals die Bedeutung des Blattes noch
nicht, und deshalb nahm ich die mir heute
thöricht erscheinende Trennung vor; die buntge-
presste schweinslederne Deckelklappe schenkte
ich später dem Bremer Kunstgewerbemuseum.
In Bezug auf die Blätter selbst verweise
ich in der Hauptsache auf die beigegebenen
getreuen Abbildungen, die eine eingehende
Beschreibung überflüssig erscheinen lassen.
Das gemalte Blatt, 21 x 16,8 cm gross,
zeigt in zwar flotter, aber doch handwerks-
mässiger Ausführung in einem Ölenaissance-
Rahmen das Lüneburger Stadtwappen in male-
rischer, nicht streng heraldischer Gestaltung.
Irgend eine Beischrift ist nicht vorhanden. Im
Papier ist die Hälfte eines Wasser-
zeichens, ein Wappenschild, er-
kennbar. Zeitlich zu datieren
nach Form und Ausführung
ist es etwa zwischen 1550— 60 ;
dazu passt die Deckelklappe,
welche ehemals das Blatt trug.
In kräftigem Hobschnitt aus-
geführt ist das zweite Blatt,
31,5 X20,5 cm gross. Ein reicher
Kranz von Renaissanceornamen-
ten und Fruchtgehängen, in
welchem vier weibliche Figuren,
die Gerechtigkeit, Eintracht,
Tapferkeit und Klugheit darstellend, angebracht
sind, rahmt das grosse Lüneburger Wappen mit
seiner vollen Hclmzierde ein. Die untere Figur,
die Tapferkeit, welche im rechten Arme die
sagenhafte Lunasäule hält, (nun im Lüneburger
Museum) steht auf einem ornamental um-
rahmten Schilde, das ein leeres Feld enthält
für eine Einschrift resp. die Katalognummer.
Eine direkte Bezeichnung als „Ex-Libris" ist
auch hier nicht angebracht; die weiblichen
Figuren sind durch lateinische Beischriften
erklärt Zweifellos ist das Blatt aber ein Besüz-
zeichen, also ein richtiges Ex-Libris. Als solches
ist es auch, wie erwähnt, in verschiedenen Folio-
bänden der Lüneburger Bibliothek angebracht
worden.
Was dem Blatte eine ganz besondere Wich-
tigkeit beilegt, ist der Umstand, dass es höchst-
wahrscheinlich von der Hand des berühmten
Bildschnitzers Albert von Soest herrührt, der
(vermutungsweise ein Sohn Aldegrevers) in den
Jahren 1572 — 1583 die berühmt gewordenen
Schnitzereien für das Lüneburger Rathaus schuf.
Bis 1588 wird Soest in Lüneburg urkundlich
nachgewiesen. Sein Einfluss auf Kunst und
Handwerk in Lüneburg war ein sehr grosser;
ausser seinen Arbeiten im Rathause sind zahl-
reiche andere Arbeiten in Holz, Stein und Papier-
mache von ihm erhalten, ja, er hat auch Thon-
friese für Häuserfronten und Ofenkacheln ge-
schaffen, resp. sind solche unter seinem Einfluss
und in seiner Schule entstanden. Zeitlich ist
dieses Blatt wohl sicher in die Jahre 1570 — 80
zu setzen; die Ausführung des Ganzen, die
Ornamente, insbesondere aber die weiblichen
Figuren, sprechen sehr für die gestaltende
Hand des Meisters Albert Will man indessen
nicht seine direkte Thätigkeit
annehmen, so bleibt sein starker
Einfluss doch immer bestehen.
Der Schnitt selber könnte, will
man wieder von A. von Soest
absehen, sehr gut in der v.
Sternschen Druckerei, die zu da-
maliger Zeit im Formschnitt und
in der Buchdruckerkunst auf der
Höhe ihres gesamten Schaffens
stand, erfolgt sein. Die Druck-
legung des Bücherzeichens ist
jedenfalls, wie ja auch die Auf-
findung meines Blattes schon
beweisen würde, in der v. Sternschen Druckerei
selbst erfolgt.
Wird erst einmal die jetzt in Angriff ge-
nommene Durcharbeitung des städtischen Ar-
chivs in Lüneburg vollendet sein, so werden
sich diese Fragen mit Sicherheit beantworten
lassen; bei der unerschöpflichen Reichhaltigkeit
des Archivs kann man die einstige Auffindung
der Rechnungen für das Blatt mit Bestimmtheit
voraussagen.
Das Blatt scheint übrigens sehr selten zu
sein ; ausser den etwa */i Dutzend Exemplaren,
welche sich in Lüneburg befinden dürften, ist
mir nur noch Kunde geworden von einem Exem-
plar in der Sammlung der Düsseldorfer Aka-
demie. Dieses kopierte wenigstens in den acht-
ziger Jahren der Maler Heinrich Vogeler in
Worpswede.
Gut 1 50 Jahre später nach der Herstellung die-
ses künstlerischen Bibliothekzeichens entstand
LIBER
\BIBU0THEOE>
\SENATORLE\
der alten Luneburger Ralsbibliothelc
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212
Möller- Brauel, Drei Ex-Librii der Lünebnrger Rattbibliothek.
das letzte städtische Bücherzeichen, ein nüch-
ternes, reizloses Blatt, nicht viel mehr wert
als ein Siegelstempel. Es ist in Typensatz (?)
hergestellt und ein reines Besitzzeichen; inner-
halb einer doppelten kreisrunden Linienein-
fassung stehen die Worte: LIBER BIBLIO-
THEK SENATORIN LÜNEBURG und
eine kleine Vignette. Das Zeichen ist auf Folio-
bogen gedruckt und zwar so, dass die erste
und dritte Seite des Bogens je 6 x 4 Drucke
enthalten'. Auf der Stadtbibliothek ist es fast
nur in rechtswissenschaftliche Werke eingeklebt,
die um und nach 1750 gedruckt sind. — Die
Nachrichten über die BibEothek selbst, für
welche diese Buchzeichen Verwendung fanden,
sind nicht eben gross. Die wenigen bezüg-
lichen Notizen hat Prof. W. Görges übersichtlich
zusammengestellt in seiner Abhandlung „Zw
Gesckichte der Stadtbibliothek' 1 im Osterpro-
gramm des Johanneums zu Lüneburg für 1880.
Dieser Arbeit sind auch die nachstehenden
Angaben entnommen.
Bereits vor Einführung der Reformation
besass der Rat der Stadt eine, wenn auch
vielleicht nur unbedeutende Bibliothek; es finden
sich nämlich in einer Schcdelschen Chronik
die Worte: „Hanc cronicam Ludolphus Tobingh
senatui Luneburgensi ad librariam dono dedit
Vita funetus anno 1494". Mehrere juristische
Werke tragen die Einschrift „Hunc librum Spec-
tabili Senatui Dominus Rudolffus de Calle Vi-
carius, dum esset in humanis, in Ecclesia Divi
Johannis Luneburgens. Anno 1516 legavit."
Diese und andere Bücher der Ratsbiblio-
thek werden nach 1555, als die letzten Franzis-
kanermönche Lüneburgs ihr Kloster verlassen
hatten, und nun ihre reiche Bibliothek durch
Senatsverfügung dem geistlichen Ministerium
und der Schule zum Gebrauch überwiesen
und so die jetzige Stadtbibliothek begründet
wurde, wahrscheinlich mit in die neue Bücherei
gelangt sein.
Mit der Zeit entstand dann wohl wieder
eine, für den Handgebrauch des Rates be-
stimmte Bibliothek, welche, nach den Resten
zu schliessen, aus geschichtlichen, namentlich
aber aus rechtswissenschaftlichen und auch
aus genealogischen Werken bestand. Die An-
schaffung der letztgenannten war erklärlich, da
die Mitglieder des Rates fast alle alten hoch-
angesehenen Patrizierfamilien entstammten. Es
lag nun nichts näher als diese Handbibliothek
des Rates als solche für alle Fälle zu kenn-
zeichnen, und so wurde wohl in jedes oder aber
in diejenigen Bücher, welche oft entliehen wurden,
ein gemaltes Eigenzeichen als Ex-Libris hinein-
geklebt
Nötig war diese Kennzeichnung aber auch
noch aus einem andern Grunde. Prof. Görges be-
richtet in einer Fussnote zu seiner Abhandlung:
„Der Rat liess sich selten eine Gelegenheit ent-
gehen, Handschriften zu kaufen, deren Inhalt
sich auf Lüneburg bezog. Es waren dies
meistens Kollektionen, die sich ehemalige Mit-
glieder des Rats zum Handgebrauch angelegt
hatten, und die der Rat nicht in fremde Hände
kommen lassen wollte. In den Rechnungen
sind diese Handschriften so ungenau bezeichnet,
dass sich jetzt nicht mehr konstatieren lässt,
welche davon sich noch auf der Stadtbibliothek
befinden. Vermutlich sind aber viele dieser
auf Kosten der Stadtbibliothek angeschafften
Handschriften gar nicht auf die Bibliothek ge-
bracht oder sie sind später von irgend welchen
Mitgliedern des Rats in Gebrauch genommen
worden und so verioren gegangen."
Diese Gefahr aber, etwa beim Ableben eines
Ratsmitgliedes für die Ratsbibliothek verloren
zu gehen, bestand auch begreiflicherweise
für solche Bücher, welche die Ratsmitglieder bei
Lebzeiten zu Hause benutzt hatten. So musste
also schon der — allzeit praktische — Rat der
Stadt ein Eigenzeichen für diese schaffen. Für
die immerhin wenigen Bände genügte ein ge-
maltes Blatt, welches natürlich das Stadtwappen
zeigte.
Als nun wenige Jahrzehnte später der Rat den
Meister Albert von Soest zur Ausschmückung
des Rathauses nach Lüneburg berief, lag es
wiederum nahe, dieses Blatt, welches wohl von
Fall zu Fall angefertigt wurde, durch ein vorrätig
gehaltenes zu ersetzen, und so mag das Holz-
schnitt-Ex-Libris entstanden sein.
Dazu kam, dass die Sitte, seine Bücher durch
ein Ex-Libris zu zieren, gerade zu dieser Zeit
in Lüneburg in höchster Blüte stand. Von fast
allen Patrizierfamilien Lüneburgs sind aus jenen
Tagen geradezu herrliche, blaUgrosse Ex-Libris
• Ein Foliobogen befindet (ich in meinem Be»iU. H. M.-B.
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Schmidt, Mittelalterliche Lesezeichen.
213
(auch Geschenk-Ex-Libris) erhalten». Der Jagd-
junker Hieronymus von Witzendorf Hess sich von
dem Maler Daniel Frese, der von 1 572 — 78 das
Rathaus mit Bildern schmückte, ein Ex-Libris
schneiden, sein Vater und er selber Hessen
ihren Büchern das Familienwappen aufpressen
mit einem eigens gravierten Stempel'; — diese
selben Bücherfreunde sassen nun im Rate der
Stadt — so waren also alle Vorbedingungen
für ein Ratsbibliotheksseiclun gegeben.
Mit der Zeit kamen dann diese Bücher auch
in die Stadtbibliothek; als solche bezeichnet sie
1662 der damalige Bibliothekar Caspar Sagi-
tharius in seinem Vorschlag: die bibliotheca
hujus reipubticae et ecclesiae publica möge auf
städtische Kosten, wie früher, gereinigt werden.
Die Abgabe der Ratsbibliothek-Bücher an
die allgemeine BibHothek geschah wohl ent-
weder aus der Erkenntnis heraus, dass sie so
der Allgemeinheit zu gute kamen, oder es waren
neuere, bessere Werke an Stelle der vorhan-
denen getreten.
Aus eben denselben Gründen entstand um
1750 wieder das letzte Ratsbibliothekszeichen.
Hiermit sind, wie oben wiederholt gesagt,
meist rechtswissenschaftliche Werke gezeichnet
worden; ich vermeine auch irgendwo gelesen
zu haben, damals hätten die Ratsmitglieder unter
sich eine Lesegesellschaft begründet, deren
Bücher dann nachher eine eigene kleine Rats-
bucherei gebildet hätten.
Ich hoffe, in vorstehenden Zeilen mit Sicher-
heit nachgewiesen zu haben, dass für eine, zum
Handgebrauche des Lüneburger Rates be-
stimmte Bibliothek diese drei, hier, wie ich
glaube, zum erstenmal* beschriebenen Bücher-
zeichen, t/tatsächlich als Ex-Libris in Gebrauch
gewesen sind, wenn sie auch, dem Umfange
der Bibliothek entsprechend, nur in wenigen
Exemplaren Verwendung gefunden haben.
Mittelalterliche Lesezeichen.
Ein Nachtrag
von
Dr. Adolf Schmidt in Darmstadt.
\
Vi:
m
Im Maiheft des laufenden Jahrgangs
] der „Zeitschrift für Bücherfreunde" ver-
öffentHchte Herr Dr. R. Forrer in
Strassburg eine sehr interessante, mit Abbil-
dungen geschmückte Abhandlung über „Mittel-
alterliche und neuere Lesezeichen." Da auch
ich mich vielfach mit diesen kleinen Gebrauchs-
gegenständen, die in den Handschriften der
GrossherzogUchen Hofbibliothek zu Darmstadt
in Menge erhalten sind, beschäftigt habe, ver-
mag ich einige Ergänzungen und Nachträge
zu Forrers Ausführungen zu geben.
Man nannte die Schnüre oder Bänder, die
man in die Bücher einlegte, um eine Stelle
rasch auffinden zu können, im Mittelalter
„Register". Ein in den siebziger Jahren des
XV. Jahrhunderts wahrscheinHch von Günther
Zainer in Augsburg gedruckter lateinisch-
deutscher Vocabularius erklärt Registrum als
„register vel buch schnür, in proposito est zona
vcl multitudo zonarum interposita foliis quater-
norum ut scriptura quae quaeritur citius inve-
niatur et facilius inveniri possit," ein anderes
Wörterbuch übersetzt „Register" sehr treffend
mit „Kersnuor". Weitere Stellen über die
mittelalterlichen Lesezeichen mag man in der
unerschöpflichen Quelle für die Geschichte des
Buches, in Wattenbachs vortrefflichem Schrift-
wesen im Mittelalter, 3. Auflage, Leipzig 1896,
S. 396—397 nachlesen.
« a. » Ich behalte mir vor, auf diese Fatrizier-Ex-l.ibris und auf
eigenen Abbandlang zurückzukommen. Allerlei interessante
hoffe auch, dass die jeUige Verwaltung der Stadtbibliothek ihre
zeichen und Einbände erteilen wird. H. M.-B.
die von
Witzcndorfschc Bibliothek In
tteht mir zur Verfugung, und ich
r Veröffentlichung ihrer Bibliothek*.
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214
Schmidt, Mittelalterliche Le*eieichen.
Abb. i.
Die von Herrn Dr. Forrer für die Entstehung
des Gebrauchs, Lesezeichen zu verwenden, ge-
gebene Erklärung, sie seien aus dem Bedürfnis
der mittelaltcriichen Chorsänger, die einzelnen
öfter gebrauchten Gesänge in den Antiphonarien
ohne langes Suchen rasch finden zu können,
hervorgegangen, scheint mir zu eng gefasst
zu sein, denn ein solches Bedürfnis lag nicht
nur für die Chorsänger, sondern für alle Bücher-
benutzer vor. Die Bücher waren damals weit
weniger bequem eingerichtet als jetzt; es fehlten
vielfach die Blatterzaluen und häufig die In-
haltsverzeichnisse und alphabetischen Register.
Wie lange es selbst nach der Erfindung der
Buchdruckerkunst noch dauerte, bis man durch
Seitenzahlen und bequeme Register die Be-
nutzung der Bücher erleich-
terte, habe ich in einer
längeren Abhandlung über
„Zeilenzählung in Druck-
werkenjnhaltsverzeichnisse
und alphabetische Register
in Inkunabeln" im „Centrai-
blatt für Bibliothekswesen"
13. -3—30, Leipzig 1896,
nachzuweisen versucht. In-
folge der schwerfälligen
Einrichtung der Bücherkam
man auf verschiedene Not-
behelfe, um das rasche Auf-
Abt», y schlagen einer gesuchten
Stelle zu ermöglichen. Einmal liess man zu Be-
ginn der einzelnen Teile eines Codex oder auch
an besonders wichtigen Stellen kleine Pergament-
streifen oder aus Pergament oder Leder ge-
flochtene Knöpfe über den Seitenschnitt des
Buches hervorragen, erstere vielfach mit Auf-
schriften versehen, mit deren Hilfe man sich
leicht zurechtfinden konnte. Nach meinen
Erfahrungen ist diese Einrichtung bei liturgischen
Handschriften viel häufiger als das zweite
Mittel, die Benutzung der Bücher zu erleichtern,
und als die eigentlichen Lesezeichen, die mir
mehr in wirklich zum Lesen bestimmten Büchern,
namentlich in den im späteren Mittelalter
massenhaft verbreiteten Andachts- und Er-
bauungsbüchern vorzukommen
In Handschriften der
GrossherzoglichenHofbiblio-
thek hat sich eine grosse
Menge von Lesezeichen er-
halten, von dem einfachen
Pergament- oder Leder-
st reifen oder der geflochtenen
Schnur an bis zu den mit
schön geflochtenem Kopfe
versehenen seidenen Bän-
dern. Bald sind die Lese-
zeichen nur eingelegt, bald
sind sie oben im Rücken des
Buches befestigt, eine Sitte,
die nicht erst, wie Herr Dr. Forrer annimmt,
im XVL Jahrhundert aufkommt, sondern sich
auch schon in Handschriften findet, von denen
sich mit Sicherheit nachweisen lässt, dass sie
im XV. Jahrhundert gebunden worden sind.
Besonders interessant sind einige Lesezeichen,
die mir namentlich in Handschriften des XV.
Jahrhunderts aus Kölner Klöstern (z. B. in Hs.
519, 792, 1004, 1250} begegnet sind, und die es
nicht nur ermöglichen, die Seite, auf welcher der
Leser stehen geblieben ist, zu finden, sondern
sogar die Spalte und die Zeile. Um die sonst
allein verwendete Schnur oder den Pergament-
streifen ist nämlich ein kleines viereckiges oder
nach der Seite zugespitztes Pergamentblättchen
geschlagen, in das ein zweites kreisrundes
Stückchen Pergament so eingenäht ist, dass es
um seinen Mittelpunkt drehbar bleibt Auf
dieser Scheibe sind nun bei einspaltiger Schrift
ein und zwei dicke schwarze Punkte mit Tinte
gemalt, bei zweispaltiger Schrift ein, zwei, drei,
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Fischer ron Koslerstamm, Vom dcnttchen Autographenmarkt.
215
vier Punkte oder die Zahlen I— IM. Will der
Leser festhalten, dass er auf der ersten Spalte
stehen geblieben ist, so dreht er den einen Punkt
oder den Einer nach aussen, ist er bis zur
vierten Spalte gekommen, in gleicher Weise die
vier Punkte oder die Zahl MI. Die beiden Ab-
bildungen (1 und 2) in naturlicher Grösse werden
diese sinnreiche Einrichtung noch deutlicher
machen als es die blosse Beschreibung vermag.
Bei dem Gebrauch dieser Lesezeichen darf
man selbstverständlich die Spalten nicht in
unserer heutigen Weise zählen, bei der die
zwei Spalten der Vorderseite eines Blattes als
erste und zweite, die beiden Spalten der Rück-
seite als dritte und vierte bezeichnet werden.
Die erste Spalte ist vielmehr die bei aufge-
schlagenem Buche am weitesten links vom
Leser liegende, also auf der Rückseite eines
Blattes befindliche, und die Zählung schreitet
von links nach rechts fort, so dass die letzte
Spalte rechts zur vierten wird. Es ist dies
eine Art der Spaltenzählung, die mir auch in
Kölner Inkunabeln, verbunden mit der ent-
sprechenden Blattzählung, vielfach begegnet ist
Aber nicht nur die Seite und Spalte, auf
welcher der Leser stehen geblieben ist, vermag
er mit Hilfe dieses sinnreich erfundenen Lese-
zeichens rasch aufzufinden, sondern sogar die
Zeile, da das Pergamcntblättchen an dem Per-
gamentstreifen oder der Schnur auf- und abge-
schoben und deshalb auf eine bestimmte Zeile
gestellt werden kann. Dieses Lesezeichen leistet
also alles, was man nur verlangen kann.
Nicht weniger merkwürdig ist ein anderes
Lesezeichen, das sich in der in den sechziger
Jahren des XV. Jahrhunderts in dem Kötner Kar-
thäuserkloster geschriebenen Handschrift 11 02
erhalten hat. Es ist ein herzförmig zugeschnit-
tenes Pergamentblättchen, das, wie aus der
Abbildung 3 zu ersehen ist, in der Mitte einen
den äusseren Rändern parallel laufenden Schnitt
hat, vermittelst dessen es dem Rande eines
Blattes aufgesetzt werden kann, so dass der
obere Teil über den Schnitt des Buches her-
vorragt Ein ganz gleiches, nur etwas kleineres
herzförmiges Lesezeichen fand Spyr. P. Lambros
1880 in einem der Athosklöster; es findet sich
in der „Byzantinischen Zeitschrift" VI, 566
Leipzig 1897, beschrieben und abgebildet
Es ist nicht ohne Interesse zu sehen, wie
das Bedürfnis nach Erleichterung der Bücher-
benutzung in einem Kölner Kloster und im
fernen Osten in Griechenland die nämliche
Befriedigung gefunden hat
Vom deutschen Autographenmarkt.
Von
E. Fischer von Röslerstamm in Rom.
n den Resultaten der im Oktober 1897
in Berlin und Leipzig (4. Abt der
Sammlung Kunzel) abgehaltenen Auk-
tionen wurden in dieser Zeitschrift bereits kurze
Mitteilungen gegeben. Seither kamen in Leipzig
(bei List 6- Franke) die 5. und 6. Abteilung
Künzel zur Versteigerung und fanden ferner
Auktionen statt in Berlin (bei Leo Liepmannssohn
im März) und in Wien (bei Gühofer eV Ransch-
bürg im Februar), über welche in wenigen
Zeilen gleichfalls schon berichtet wurde.
Alle diese Versteigerungen standen, wenn
ich mich so ausdrücken darf, unter dem Sterne
des in den letzten Jahren in Deutschland —
nur Chauvinisten genügt es noch nicht! —
mächtig erwachten Nationalgefühles. Damit
will ich beileibe nicht sagen, die deutschen
Autographensammler hätten es in den früheren
Jahrzehnten an Patriotismus fehlen lassen. Sie
haben, nicht nur mit der Pietät des Alles
conservierenden Liebhabers, sondern, sobald
dieses Moment mit in Frage kam, auch mit
dem doppelten Interesse, das der Gebildete an
den Schicksalen seiner eigenen Nation nimmt,
Schriftstücke, die auf die Geschichte unseres
Volkes Bezug haben, in ihren Schränken auf-
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216
Vom
gehäuft, und das kommt jetzt, da ein alter
Sammler nach dem anderen die Augen schliesst,
nach und nach wieder auf den Markt; das
seither herangewachsene Geschlecht aber sendet
den Alten seinen Dank für die Sorgfalt, mit
der sie die Handschriften deutscher Patrioten
bewahrten, noch ins Grab nach, indem es für
solche Stücke hohe Preise anlegt Die Notie-
rungen für Beckers „Rheinlied" und Chemnitz'
„Schleswig-Holstein meerumschlungen," welche
im Mai 1896 bei Herrn Liepmannssohn erzielt
wurden (111, bezw. 90 Mark), und die ich in
dieser Zeitschrift gebührend hervorgehoben
habe, waren Vorläufer für eine Reihe von
Kämpfen, in denen ähnliche Schriftstücke heiss
umstritten wurden. (In den nachfolgenden Aus-
zügen behalte ich für die bei List & Franke in
Leipzig abgehaltenen Auktionen der Künzcl-
schen Sammlung das K bei und bezeichne die
Berliner und Wiener Auktionen mit B und W.)
Friesen, der Freund Körners und Lützows, ist
allerdings ausnehmend selten, aber 205 E, die
für einen (langen interessanten) Brief von ihm
in Berlin bezahlt wurden, sind eine riesige
Summe, ebenso Andreas Hof er (B 1. s.) 250 M.,
SchM(B las.) 80 ; Jahn (B las.) 62; die schles-
wig-holsteinschen Patrioten Lornsen und Samwer
(B 22 und 1 1 Mark) wären vor einigen Jahren
kaum beachtet worden. Hierher gehört auch
ein Brief von Moritz Busch an Ernst Keil, aus
Reims vom 8. Sept. 1870, in dem zu einer
Illustration für die Gartenlaube die Begegnung
zwischen Napoleon III. und Bismarck geschildert
ist, und der bei K mit 100 M. bezahlt wurde.
Dass die Stadt Dresden zu Gunsten des
Körner-Museums für das Zriny-Manuskript
1800 M bewilligte und in Leipzig anwesende
Sammler, darunter der seither verstorbene
Rudolf Brockhaus, 600 M. opfern wollten, um
das wertvolle Stück Herrn Posonyi-Wien zu
entreissen, ist doch auch ein Beweis für meine
Behauptung, dass man heute bereit ist, für
Autographe, die mit den nationalen Fragen in
Berührung stehen, hohe Summen zu bezahlen,
wenn auch in diesem Fatle die Liebesmühen
unbelohnt blieben. Die Scene in Leipzig er-
innert übrigens an eine ähnliche, die sich vor
einigen Jahren mit demselben heissblütigen
Autographenliebhaber in Berlin abgespielt hat
Damals entriss man Herrn Posonyi ein wert-
volles Manuskript von Hans Sachs, für dessen
Erwerbung das Germanische Museum, dem
Hans Sachs bis dahin fehlte, eine seine Finanz-
kraft schon erschöpfende hohe Summe ausge-
worfen hatte. Dieselbe war bereits überschritten,
Herr Posonyi, der noch immer weiter ging,
wurde aber von einem Berliner Sammler glück-
lich in die Flucht gesclilagen, und rauschender
Beifall ertönte, als das Autograph in das
Auktionsprotokoll als vom Germanischen Mu-
seum erworben eingetragen wurde. Der Be-
trag, um welchen die von der Nürnberger
Muscums-Direktion ausgeworfene Summe über-
schritten werden musste, wurde noch am selben
Tage durch Subskription unter Freunden des
Museums gedeckt Übrigens kann sich die
städtische Kömer-Sammlung in Dresden dar-
über trösten, dass ihr das Zriny-Manuskript
vorläufig noch entgangen ist Dasselbe ist nicht
in den Besitz der ungarischen Regierung über-
gegangen, also wohl nicht auf immer für
Deutschland, resp. Dresden, verloren. — In
der Künzelschen Sammlung fanden sich zu viele
Autographe Theodor Körners, als dass alle die
Briefe, Gedichte, Entwürfe hätten einen hohen
Preis erzielen können, dagegen wurden im März
in Berlin die beiden vorhandenen Gedichte,
„Harras, der kühne Springer" mit 400, und
„An den Frühling" mit 155 M bezahlt
Meine Befürchtung, dass im Oktober 1897
in Leipzig so viele ÄA/'/Är-Briefe angeboten
werden dürften, dass daraus eine Schiller-Baisse
entstehen könnte, ist glücklicherweise über-
flüssig gewesen. Herr Künzel scheint, was ihm
in den vielen Jahren, während welcher er Briefe
Schillers an C. G. Körner verkauft hat, übrig
geblieben ist, dazu bestimmt zu haben, dass es
von seinen Erben nach und nach zum Verkauf
gebracht werde. Das zu diesem Briefwechsel
gehörige Schreiben vom 28. Aug. 1788 wurde
mit vollen 620 M. bezahlt ein ebenso kost-
barer Brief Schillers an Schwan mit nur hundert
Mark weniger. Dagegen wurde sein Jugend-
gedicht „An die Sonne" als zweifelhaft zurück-
gezogen. Berlin brachte übrigens gleichfalls
erstaunlich hohe Schiller-Preise. Zwei Briefe
wurden mit 480 und 46$, zwei Rätsel (eines
ungedruckt) mit 455 M. bezahlt
Hat nicht auch hier der nationale Enthusiasmus
mitgesprochen? Ferner darf man die Vermutung
aussprechen, dass nicht nur Begeisterung für
die Schöpfungen unserer Musikheroen oder
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Fischer rem Röslerstamro, Vom deutschen Autognphenmszkt
Interesse an Varianten o. dgL es waren, welche
Dr. Prüger bestimmten, die hohe Summe zu be-
zahlen, welche für die Haydn-, Mozart-, Schubert-,
Beethoven- und anderer Musikmanuskripte
verlangt wurden, die aus dem Besitze der Ar-
tariaschen Handlung stammten.
Genug davon! Freuen wir uns, dass es da-
mit besser geworden ist! Frankreich, Italien,
England und Amerika haben ihren Autographen,
besonders auch denen ihrer Nationalhelden, eine
oft übertriebene Wertschätzung angedeihen
lassen; die deutschen Sammler haben durch
ihre Mitbewerbung um französische, englische,
italienische Stücke, die jedenfalls in viel aus-
gedehnterem Mafee stattfindet, als sich umge-
kehrt das Ausland um deutsche Handschriften
bekümmert, noch dazu beigetragen, die Prae-
tensionen der Nichtdeutschen zu erhöhen; bei
uns zu Hause dagegen hat man — überdies
auch noch von dem deutschen Billigkeitsge-
fühle durchdrungen, dass man den „kleinen
Leuten" oder „mittelmassigen Berühmtheiten"
zukommen lassen müsse, was ihnen gebührt —
förmlich eine Scheu davor gehabt, für erste
Namen oder für, uns nur ihrer nationalen Ge-
sinnung und Thätigkeit wegen ganz besonders
sympathische Persönlichkeiten singulare Aus-
nahmen zuzugestehen, — unser Kalkül ging
eigentlich bisher nur dahin: Hat der Betreffende
viele Briefe hinterlassen? Ist er jung verstorben?
Und was dergleichen Philistrositäten mehr sind.
Endlich aber — und dies praktische Moment
darf auch nicht vergessen werden — spiegelt
sich in den höheren Autographenpreisen auch
ab, dass in erfreulicher Weise unser National-
reichtum gestiegen ist; und wenn ein kleiner
Teil des grossen Mehrgewinnes, den Handel
und Gewerbe jetzt erzielen, im Autographen-
verkehr ausgegeben wird, so kommt dies denn
doch auch in beschränktem Sinne der Ver-
mehrung der idealen Güter unserer Nation zu
gute.
In dem Nachfolgenden teile ich meistens
nur Preise von solchen Persönlichkeiten mit,
die in dem, im Oktoberheft 1897 erschienenen
längeren Berichte über Autographen-Auktionen
in Deutschland nicht vorgekommen sind. —
Ich beginne wieder mit dem Zeitalter der
Reformation (wenn nicht anders bemerkt, las.
d. h. eigenhändiger und unterzeichneter Brief):
Alle aus Berlin (im Märe): Agricola p. s. 26;
Z.LB. 98/99.
D. Chytreuus 13 — 25; Continus 16; R. Cruciger
28; V. Dietrich 28; Hedio 45; Luther (fragm.
de las.) 35; Melanchton las. 79, mscr. a. s. 91 ;
MuHanus Rufus (1- a.) 22; Oslander 24,
Spalatin (poes. a. s.) 50; Stancaro (l. s. e. c.
a.) 17 M
Deutsche Litteratur; J. V. Andreae B 13;
Rosa Maria Assing K 14; y. J. C. Bode K
9 — 12; L. Brachmann (B poes. a. s.) 13;
v. Canitz (K p. a. s. 1691) 20; Castelü (K
mscr. <u s. 15 p. 8) 20 ; Chamisso K 14 (B
12 — 27); B Manuskripte 40—105; J. A. Cramer
K 8—12; A 7. Cranz K IO; Eichendorff (B
mscr. a. s.) 90 ; Freiligrath (B Manuskripte)
42—55; Gaudy (B „Wo bleibt mein Geld?") 20;
Geibel K 11 (B 1835 an Chamisso) 68, (B
poes. a.) 16—62; Henr. Gersdorf B 30 ; Joh.
CharL Gersdorf B 35; Goethe (B poes. a.
„Zwischen Waizen und Korn u. s. w." 18 Zeilen)
395, — in Leipzig brachten 62 Stücke von G.
meist 1. s. oder L s. e. c. a., nur 1 las. und
4 unbedeutende p. a. s. zusammen 563 M;
Gottsched (K, mitunterz. von seiner damaligen
Braut) 71 ; B 46; GriUparser brachte in Wien
34—51 Gulden, Raimund sogar 110, auch (aber
Lokal-) Patriotismus; V. Herberger B 12;
Hölderlin (B poes. a.) 1 10; Hölty (B poes. a. s.)
205, (K poes. a. s.) 37; E. Th. A. Hoffmann
B 26; Iffland K bis zu 15; Ew. v. Kleist K
25 — 52, B (über Lessing) 105; Lenau K (WIL
a. s. „Niembsch Lenau") 12 ; Ludwig I. v.
Anhalt-Kothen B 13; Christlob Mylius, Lessings
frühverstorbener Freund, (B an A. v. Haller,
schön) 26; Platen B 34— 61 ; Remick B (poes.
a. s.) 16; Rückert B (Manuskripte) 20—84;
Schenkendorf B (poesie a. s. „M Schf.") 19;
Schiller W (an Hufeland) 120 Gulden; sein
Vater K (quitt, a. s.) 16; seine Frau K (p. a.)
IO; seine Schwester Christophine K (doc. a.
und p. a.) 8—14; sein Schwager Reinwald K
(2 poes. a. und bilL a. s.) 20 ; sein Schwieger-
vater K (1. s. e. c. a., interessant) 32; seine
Schwägerin K. v. Wolzogen K 10 — 17; deren
Mann K (mscr. a.) 20; A. W. Schlegel B 1 1 ;
Sieg/r. Schmid K (las. 1800) 25; Schmidt
v. Lübeck B (mscr. a. s.) 14; Schubart K
(Hohenasperg 1786) 75, B (Augsbg. 1774)67;
seine Frau K 10 — 27; Seume B (poes. a. be-
glaubigt) 40; CharL Stieglitz K 10; A. Sföber
B (mscr. a.) 12 ; H. P. Sturz K 12; Thümmel
K und B 9—12; Unland B (poes. a.) 115, (p.
a8
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218
Fischer TOD RÖflcr^tixmtn, Von deutschen AutOpTÄphenmarkt.
a. s.) 26; Wackenroder K 13—40; Waiblinger
K (las., fleckig) 8, (mscr. a. s.) 16— 21 ;
Wekhrlin K Ii; Hfour K 6, B (inter-
essant) 20; Willamov K (poes. a. s.) 25 M.
Einer kurzen Erläuterung bedürfen folgende
Preisnotierungen: Der recht seltene M. Denis
wurde bei K wohl deshalb nur mit 2 M. be-
zahlt, weil der Brief italienisch abgefasst war;
ein schöner GV/firrf-Brief mit der vollen Unter-
schrift brachte in Leipzig 46 M., in Berlin da-
gegen ein ebensolcher nur noch 17 M., die
bloss „G." oder „Glrt" gezeichneten Briefe
gingen viel billiger weg; G. ist eine der weni-
gen Persönlichkeiten, deren Schriftstücke im
Preise sinken. Ebenso verhält es sich mit
A. v. Hallet, dessen las. in Leipzig und in
Berlin 10 M. nicht erreichten. Ein unbedeu-
tender Brief von Klaus Groth, mit einer p. a. s.
dazu, wurde bei K mit 2 M. 70 Pf. bezahlt,
während in Berlin ein interessanter Brief, in
dem der Dichter unter seinen „Nachtretern"
Fritz Reuter nennt, bis auf 14 M. ging. Von
Anas/. Grün wurde ein „A. Auersperg" ge-
zeichneter Brief in Berlin wohl nur deshalb
mit vollen 40 M. bezahlt, weil er sich darin
„zu den wärmsten Bewunderem Heines offen
bekennt." Noch komischer berührt, dass ein
Brief von Therese Huber, die sonst wenig gilt,
in Berlin mit 16 M. bezahlt wurde, weil sie
darin von ihrer zehnten Entbindung spricht
Ein Brief von Immemiann ging in Berlin auf
41 M. t weil er an Heine gerichtet war; von
Jung-Stilling konnte man bei K 5 Briefe für
11 M. haben, während in Berlin einer, in dem
der Schreiber über die französische Revolution
seinen Zorn ausschüttet, mit 16 M. bezahlt
wurde. Die Briefe der Karschin sind nicht
selten und wurden dementsprechend in Leipzig
bezahlt, — in Berlin wurde ein Gedicht an
Friedrich den Grossen, zur Taufe des nach-
maligen Königs Friedrich Wilhelm BX auf
15 M. getrieben. Just. Kerner folgt seinem
Freunde und Landsmann Uhland, der immer
mehr im Preise steigt; K. wurde in Leipzig
und Berlin (las. bis zu 16 M., Gedichte noch
höher) sehr gut bezahlt. Lessing ist so selten
geworden, dass ein von General Tauentzien
gezeichneter Brief, den L. als dessen Sekretär
geschrieben hat (18 Zeilen), mit 725 M. be-
zahlt wurde. Uz, der nur erst als ziemlich
selten bezeichnet wird, ist schon bei 20 M.
angelangt Wielands Briefe werden in die
haussierende Tendenz für die Klassiker all-
mählich hineingezogen (Herder ist davon vor-
läufig noch ausgeschlossen); eine Nachschrift
Wielands zu einem Briefe seines Sohnes, worin
es nach der Schlacht von Jena heisst „Wir
sind nun unter dem Schutze des grossen
Napoleon" wurde bei K mit 29 M. bezahlt
Von der Litteratur des Auslandes kamen in
Berlin vor: H. C. Andersen (mscr. a. s.) 21;
y. de Lamettrie 126; Maupertuis 1 1. In Leipzig:
Byron (bill. a. s., in schlechtem Zustand) 34;
Cumberland 20; Longfellow 13; Sheridan I0; E.
Young (las., beschnitten) 10; Piron 11 ; Goldoni
las. 32, f. d'alb. 13; C. Gozsi 20— 25; Leopardi
13— 21; Manzoni 24; Metastasio 8— 10 M.
Die fiinfte Abteilung der Auktion Künzel
brachte hauptsächlich Stücke aus Italien, Eng-
land und Amerika. Die daraus hervorzuheben-
den Preise schliesse ich hier an: Eugen v.
Savoyen las. (eigenhändig selten) 30; Victor
Emanuel II. 15; Cavour 13; A. Doria (1. s.)
12 — 15; Fieschi (p. a. s. dürftig) 12 ; Carlo
Borromeo (L s.) 28; Baronius (1. s. e. c. a.) 12 ;
Aldrovandi (1. s. e. c. a.) 1 1 ; Gah/ani (p. a. s.)
30; V. Gioberti 4 — 12 ; Fr. Guicciardini (1. s.
e. c. a.) VII; Bolingbroke (doc. s.) 12, (p. a. s.) 1 1 ;
Ch. Howard (Armada) L s. 10; Marlborough
1. s. 13— 20; Monk 1. s. 16— 20; W. Pitt d. j.
13; Salisbury (1563 — 1612) doc. s. 15— 20;
Walpole 12; Casaubonus 10; P. Gassendi 37;
Sautnaise 19 M. Von Berlin nenne ich von
hochbezahlten Ausländern noch: Berthier 1. s.
mit postscr. a. (7 Zeilen) 1 5 ; Duroc 1 1 ; Junot
25; Hey (1. s., wichtig) 13; Uhrich 31; Mazarin
L s. e. c. a. 61 ; Mirabeau 70 ; Robespierre (p.
a.) 71 ; Saint Simon (interessant) 50; Oldenbarne-
veldt 1. s. 25; J. de Witt 1. s. 32; Napoleon I.
(1. s. „Bonaparte") 39; Maria Lesczczynska (L a.)
12; Wilhelm III. (Oranien) v. England (doc. s.)
13 M. Ein Fragment von Leo X. brachte es
auf 11 M., während von Künzels Päpsten
nur Gregor XIII. (L s. als Papst) und Sixtus V.
(1. s. als Kardinal) 15, bezw. 14 M. erreichten.
Der verhältnismässig mehr begehrte Clemens XI V.
blieb mit einem eigenhändigen Briefe, „Frä
Lorenzo Ganganelli" gezeichnet bei 9 M. stehen.
Von sonstigen Regierenden und deren An-
gehörigen erwähne ich noch: WiUulmine v.
Bayreuth, die Schwester Friedrichs des Grossen,
(über die Schlacht von Leuthen) 100 M. ; Georg
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Fischer von RöslersUmm, Vom deutschen Autographenmarkt
219
d. Bärtige (1- s -) 20 i Friedrich Christian v.
Augustbg. (über Schiller) 15; WüJtelm I. v.
Würtbg. (hochinteressant) 21 ; die früher so
hochgeschätzte Pfahsgräfin kommt jetzt häufig
mit las. vor; deshalb brachte sie es bei K nur
auf je 20 M. In Wien wurden 22 las. und
bill. a. s. der Maria Theresia an G. v. Swieten
mit 295 Gulden bezahlt, ein eigenhändiger, inter-
essanter Brief Karls V. an den Papst mit
226 Gulden.
Von wissenschaftlichen Grössen seien ge-
nannt: P. Bayle B 17; Boerhaave (K 2 las.)
28; Comenius (B p. a. s. 2 p. 8, enggeschrie-
ben) IOO; Darwin B 27; Euler K 14—26;
Fichte K (las. „F.") 17, (las. voll unterzeichnet)
20 — 24, B (sehr schön) 41 ; Fröbel K (interes-
sant) lO; W. Grimm B (hochinteressant) 21 ;
H. Grothts B (mscr. a.) 13; Hamam K 8— 9;
Hegel K 4—20, B (2 Tage vor seinem Tode)
20 ; Herschel d. Ä. K 10 — 16; HeveliusYL 37;
Chr. Huygens B 56; Jenner K 12—23; Kant
B 120; Leibnis K (nicht unversehrt) 46, B (eben-
falls lateinisch) nur 20 ; £m«/ B 30; Mesmer
K IO; Montgolfier B 49; Pestalozzi B 29;
Reaumur B 20 ; Schleiermacher K (las. „Schi.")
4, (voll) Ii; Schopenhauer B (ungedruckt) 135^
K 72, W 49 Gulden; Z>. S/raa.« K 12; Fo/ta
B 52; Zinsendorff K 21 M.
Die bildende Kunst und die waren in
Berlin und Leipzig diesmal nicht besonders ver-
treten. Ich erwähne aus Leipzig nur Ph. H ackert
13 und aus Berlin: Dannecker 6b; Schlüter
(noch nie dagewesen — eine eigenhändig ge-
schriebene und unterzeichnete Quittung) IOO;
G. Fr. Schmidt (Kupferstecher) 30; Lortzing
f. d'alb. 37, mus. a. (ergänzt) 27; Mendelssohn
46 — CO; Süssmayer mus. a, (wurde von dem
Vorbesitzer, weil S.' Noten ebenso zierlich ge-
schrieben sind, für ein Mozart-Autograph ge-
halten) 30; Zelter (las. an Schiller) 30, (mus. a.)
12 M. In Wien wurden Briefe von Beethoven
mit 88—176 Gulden, J. Haydn 89—125, R.
Wagner 60 — 120 bezahlt.
Die sechste Abteilung der Sammlung Künzel
welche im Mai d. J. versteigert wurde und auf
die im Obigen gar nicht Bezug genommen
worden ist, brachte in mehr als 1600 Katalogs-
nummern etwa 10000 Stücke von deutschen
Fürstenhäusern, Bischöfen und Staatsmännern,
welche die Mappen vieler Sammler, die es
schon als eine Lücke betrachten, wenn ihnen
irgend ein Glied einer Dynastie fehlt oder
irgend ein Ministerium nicht vollständig ist,
bereichert haben werden.
Es erübrigt mir noch eine Nachlese, welche
zumeist solche Personen betrifft, die von den
Sammlern unter die „Diversen" gelegt werden.
Vorher erwähne ich noch aus der Berliner
Auktion: Forcade 17; H. J. v. Ziethen (eigen-
händig selten) 40 und Garibaldi, der den Über-
gang bilden kann. Was er schreibt (die halbe
Oktavseitc brachte 2 1 M.), ist zwar wenig, aber
sehr interessant: „Caprera 27. Sept 1870. Mon
eher Dubief. Le gouvernement provisoire ne
veut pas de nous. Votre devoue" G. Garibaldi." —
Drei Briefe des Verlegers Crusius an Schiller
wurden in Berlin mit je 15 — 19 M. bezahlt;
James Watt K IO; Pasquale Paoli K 12;
Casanova K (mscr. a. 2 p. fol.) 10 ; die Dubarry
K(p. a. s.) 23; Antoin. ßourignon, die bekannte
Schwärmerin, B 23 — 39; die Gräfin Lichtenau
B 72 M.; endlich schoss Therese Krones in
Wienmit 65 Gulden den Vogel ab.
Wieder habe ich den Lesern dieser Zeit-
schrift eine lange Reihe von Namen vorgeführt,
die ich, weil ich den hier gebotenen Raum
nicht ungebührlich in Anspruch nehmen darf,
meistens ohne Erläuterung, ohne Lebensdaten
hinstellen musste. Wenn aber schon jeder
einzelne Autographenkatalog ein kleines Laby-
rinth ist, in dem nicht einmal der dabei inter-
essierte Sammler stets den Ariadnefaden in
der Hand behält, so ist ein Massenangebot,
wie es die Saison 1897/98 brachte, geradezu
sinnverwirrend. Und dabei stand, als dieser
Bericht abgeschlossen wurde, noch eine präch-
tige Auktion bei Heberle in Köln (die Samm-
lung des verstorbenen Lempertz sen.) bevor, und
es sind Aussichten vorhanden, dass 1898/99
wieder grosse Versteigerungen bringen wird.
Wenn das Autographensammeln in den letzten
Jahren nicht erheblich zugenommen hätte, in
demselben Verhältnis, wie der leidige Auto-
graphcabettel in erfreulicher Abnahme ist, so
wäre das Angebot kaum zu bewältigen.
Ich schliesse diesen Aufsatz mit dem Aus-
druck dankbarer Anerkennung dafür, dass die
Familie Brockhaus in Leipzig die Autographen-
Schätze, welche Herr Rudolf Brockhaus in
vierzig Jahren eifrigen Sammeins um sich ver-
einigt hat, gleichsam als ein ideales Fidei-
commiss beisummen halten wird.
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Georg Leopold Fuhrmanns Schriftprobenbuch von 1616.
Von
Heinz König in Lüneburg.
pe für Italien mit den Städten Venedig
und Florenz, so verbindet sich für
Deutschland mit Augsburg und Nürn-
berg die Vorstellung, dass sie auf dem Gebiete
der Buchausstattung bahnbrechend für die
Renaissance gewesen sind. Augsburg, die
Geburtsstadt eines Holbein, die Heimat Hans
Burgkmairs, Daniel Hopfers, Hans Schäufcleins,
verliert zwar im Laufe der Bewegung an Be-
deutung, Nürnberg jedoch erhält sich auf der
Höhe. Besonders die deutschen Schriften
finden in beiden Städten eine hervorragende
Pflege und Verwendung.
Um das uns vorliegende Schriftprobenheft
Georg Leopold Fuhrmanns voll würdigen und
verstehen zu können, werfen wir vorerst einen
Blick auf die Zeit, aus der — und auf die Basis,
auf welcher es hervorgegangen. Hier nimmt zu-
nächst der „ Theuerdanck" unser volles Interesse
für sich in Anspruch.
Gerade der „Theuerdanck" mit seiner herr-
lichen Frakturtype, die, einzig in ihrer Art,
weder vorher noch später an eigenartiger Schön-
heit erreicht wurde, bietet in seiner Gesamt-
erscheinung ein Bild von ausserordentlich de-
korativ wirkender Buchausstattung. Die ganze
Freude des Kalligraphen an zierlichen Feder-
schwüngen und Verzierungen, die unendlich
abwechselungsreiche Anwendung verschieden-
artiger Buchstabenformen, zeigt so recht die
Reichhaltigkeit, welche der deutschen Schrift
mÄftclMlLcToltfcpB/
twfritttmfperftiwf
hierin zu Gebote stand Interessant ist die
Herstellung dieses Werkes für den Fachmann
wegen der technischen Schwierigkeiten, welche
bei der freien Verwendung der Federzüge zu
überwinden waren; die Lösung der Aufgabe
ist eine tadellose, so dass in früherer Zeit häufig
die Vermutung ausgesprochen wurde, der
Theuerdanck sei von Platten gedruckt worden.
Der Zeichner der vielbewunderten Buchstaben
war bekanntlich Vincenz Rockner, der Hof-
sekretär Kaiser Maximilian L Diesen Schrift-
formen, welche man als den Ausgangspunkt der
„Deutschen Schriften" bezeichnen darf, steht
Albrecht Dürer ohne Frage sehr nahe; er ver-
wendet sie mit Vorliebe und hat sogar die
Regeln für die Grundformen der Fraktur ge-
geben, nach welchen Hieronymus Holzel dann
die Buchstaben schnitt Auch nach Dürers Zeit
blieb Nürnberg noch die Hauptpflegestätte für
die Frakturschrift Schreibmeister wie der
ältere und jüngere Neudörffer, Fabian und Paul
Franck, Wolfgang Fugger, Künstier wie Jost
Amann und Virgil Solis u. a. m. liefern im
Verlaufe des XVI. Jahrhunderts eine ausser-
ordentlich reiche Fülle von Schrift- und Ver-
zierungsformen.
Mit Schluss dieser Periode hört die gesunde
Weiterentwickelung der deutschen Schriften
nahezu auf; was für die Folge entsteht, ist von
übermässigen Verschnörkelungen in den Kanz-
leien entstellt und charakterisiert sehr anschau-
lich mit seinen maturierten
Formen das papierne Regi-
ment des grünen Tisches.
Jahrhundertc lang behilft sich
der Buchdruck mit den über-
nommenen Fraktur- und
Schwabacherschriften; diese
ausserordentliche Lebens-
fähigkeit ist ein günstiges
Zeichen für deren Wert als
Schriften. Neue, dem Stil der
Zeit entsprechende Formen
Abb. I. 1* (TO
zum Ausdruck; nur in über-
ladenen Initialen und Leisten
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König, Georg Leopold
von 1616.
221
giebt die Buchaus-
stattung Kunde da-
von, dass sie noch
nicht gänzlich erstor-
ben ist Die gren-
zenlose Verarmung
infolge des unglück-
seligen dreissigj ähri-
gen Krieges und der
gänzliche Mangel an
künstlerisch schaf-
fender Neugestal-
tungskraft bedingen
das langsame Ab-
fluten der kräftigen
Renaissancebewe-
gung auf dem Ge-
biete der Buchaus-
stattung. An der
Wende des XVI.
Jahrhunderts finden
wir, dass dieselbe
bereits ihren Höhe-
punkt überschritten
hat und ihre Kraft
gebrochen ist.
Aus dieser Zeit
nun, dem Jahre 161 6,
hat sich ein Buch-
drucker - Schriftpro-
benbuch erhalten,
welches uns einen
ausserordentlich in-
teressanten Uber-
blick über die ver-
flossene Periode und
das Material giebt,
das den damaligen
Typographen zur
Verfügung stand.
Es stammt aus
der Officina calco-
graphica von Georg Leopold Fuhrmann, „Civis
et Bibliopolae Norici", wie er sich nennt, und
ist kürzlich in den Besitz des Berliner Kunst-
gewerbemuseums gekommen. Fuhrmann zählte
nebst Petrejusund Peypus in Nürnberg, Egenolph
und Sabon in Frankfurt zu Deutschlands 1
Schriftgiessern damaliger Zeit
Da an älteren Schriftproben auf
Tage verhältnismässig wenig gekommen ist,
4#ttt0fCftWÜ
jümmitt>ano:etqpi
ifmi
► im
iiu^:ctqHtnaftm v cralM
gij qmomomum ggB
v<M-^iiti)inutThitdc(fat>c
Abb. i«. Eioe Seite aus Kaiser Maximilians Gebetbuch too 1515
, Rudteichnunge».
ausser Einzelblättcm, wie z. B. von Erhart
Ratdolt, so bietet uns dieses Buch einen um
so willkommeneren Anhalt für die Beurteilung
der damaligen Leistungen. Es dürfte vielleicht
eines der frühesten zusammenhängenden Muster-
bücher sein, welche uns erhalten geblieben sind.
Es ist für uns von um so grösserem Interesse,
als wir in ihm deutsche Initialproben aus der
besten Zeit sowohl, wie auch spätere finden, und
unsere
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222
König, Georg Leopold Fahrmanns Schriftprobenbnch von 1 616.
sich uns dadurch ein Bild von der Entwicke-
lung dieser Schriften resp. Initialen entrollt,
wie wir es nirgendwo so einheitlich, mit Aus-
nahme natürlich der Schreibvorlagen, finden.
Gerade diese Sparte der Schrift ist bislang
bedauerlicherweise sehr vernachlässigt worden.
Butsch hat in seiner „Bücherornamentik der
Renaissance" die Fraktur und deren Ubergangs-
formen einfach übergangen. Es ist das um so
weniger zu verstehen, als die deutschen Schriften
zur Entwickelung des geschichtlichen Bildes der
Buchausstattung gar nicht zu entbehren sind.
Gehen wir nun auf die Betrachtung der
Einzelheiten des Fuhrmannschen Schriftproben-
buchs näher ein. Das Werk ist in kleinem
Hochquart gedruckt, die SatzgrÖsse der ein-
zelnen Kolumnen beträgt 12x15,2 cm. Letztere
sind durchweg mit einer halbfetten Linie und
daran schliessender zierlicher Arabeskenein-
fassung umgeben, sogenannten Mauresken.
Der ausführliche Titel führt gleichzeitig den
Inhalt an; er enthält als Vignette die Abbildung
einer alten Druckerei mit hölzerner Handpresse,
Setzkästen, an denen gearbeitet wird, dem
Gestell zum Papiertrocknen, kurz dem ganzen
einfachen Druckapparat von damals.
Die Presse unterscheidet sich im wesentlichen
nicht von Abbildungen aus früherer Zeit; der
Drucker ist gerade damit beschäftigt, Papier-
bogen in das Rähmchen zu legen, und der
Pressgespan schwärzt die Form mit den Ballen
ein. Oberhalb des Tiegels steht das Stundenglas,
um den Fortgang der Arbeit zu kontrolieren,
daneben liegt der Schliessnagel; Hammer,
Scheere und anderes unentbehrliches Hand-
werkszeug hängen oben an der Presse an
Nägeln, um gleich bei der Hand zu sein. An
dem Seitenteile derselben sieht man das Schwert,
das Symbol der Wehrhaftigkeit, welches dem
Buchdrucker zu tragen verliehen war, eine
Anordnung, welche jedenfalls in damaliger
unruhiger Zeit nicht unnötig erscheint
Die linke Seite der Vignette ist mit dem
Signet Fuhrmanns in einem Schilde, dem Mono-
gramm G. L. F., in Form alter Hausmarken
gezeichnet, verziert; um dasselbe schlingt sich
ein Band mit der Inschrift „prelum Fuhrman-
nianum." Es geht natürlich oline die nun
folgende unvermeidliche lateinische Vorrede
„Dissertatiuncula, quando et ubi regionum lo-
corumve, Typograpliia primitus inventafit"
nicht ab. In derselben wird uns erzählt, dass,
den Geschichtsschreibern gemäss, in neuerdings
entdeckten Ländern, dieCataitanier, ein indischer
Volksstamm, sowohl den Gebrauch des Schiess-
pulvers als auch die Typographie lange gekannt
hätten ; es sei daher wahr, was Aristoteles sage,
dass unabhängig von einander zu verschiedenen
Zeiten und in verschiedenen Ländern dieselben
Erfindungen gemacht werden könnten.
Es wird dann weiter fortgefahren, dass in
unserm Weltteil letztere Erfindung von den
Deutschen gemacht worden sei, ,dieses himm-
lische Geschenk, das von Faustus und Peter
Schöffer von Geinsheim, seinem Schwiegersohn,
dem er seine einzige Tochter Christine zur
Gattin gegeben hatte, geheim gehalten wurde;
doch während alle Gesellen durch feierlichen
Eid zum Stillschweigen verpflichtet waren, ver-
öffentlichte es im zehnten Jahre darauf der Diener
(Minister) des Faust, Johannes Guttenbergcr aus
Strassburg, in Deutschland . . .'
Der alte Streit über die Erfindung der
schwarzen Kunst scheint also auch damals
bereits die Gemüter bewegt zu haben, denn
ein späterer Besitzer des Buches fügt unter
Anziehung einer Reihe von Autoren hand-
schriftlich auf der ersten Seite des Buches
hinzu . . . „hieraus erscheint hell und klar, dass
dies Büchlein (Alphabetum divini amoris, de
elevatione mentis in Deum, vencrabilis Magistri
Johannis Gerson, Cancellarü Parisiensis. Im-
pressum Parisi per Georgium Mittelhus) drij?
nach der Erfindung zwar ze Paris, aber nit
durch einen Franzosen , sondern von den so
genandten Tcutschen Georg Mittelhusz ge-
druckt und die Kunst nit aus Frankreich in
Teutschland sondern von dar in Frankreich
gebracht worden seye. Wird damethe der
streit zwischen den Teutschen und Franzosen
aufgehoben und liegt nichts daran, was die
Stadt Strassburg und Mainz über den Vorgang
sich zanken . . ."
Nach der fünf Seiten umfassenden Vorrede
fügt Fuhrmann eine „Memoria magnorum aliquot
virorum, qui liberales ac benefici in Typographos
fuerunt" hinzu, der ein abwechselnd in latei-
nischen Hexametern und Pentametern ge-
schriebenes Gedicht „Artis typographicae queri-
monia, de illiteratis quibusdam typographicis,
propter quos in contemptu venit; autore Henrico
Stepliano (Eticnne)'* folgt. Nach Überwindung
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König, Georg Leopold Fuhrmanns Schriftprohenbuch »on 1616.
223
auch dieser weitschwei-
figen Verse kommen wir
endlich zu den Schriften.
Der Formenkreis an
Brod- oderWerkschriften,
welche demTypographen
jener Zeit zu Gebote stand,
ist nur ein kleiner, aus
Fraktur, Schwabacher,
Antiqua und Kursiv be-
stehend. Die gotischen
Schriften der Inkunabeln
sind ausser Gebrauch ge-
kommen ; die Buchdrucker
bchelfen sich während
mehrerer Jahrhunderte
fast ausschliesslich mit
diesen vier Hauptschrift-
charakteren, wie Probenbüchcr aus späterer Zeit
ausweisen.
Der grosse Kanon ist die erste Schriftart in
unserm Probenheft. Grössere Titelzeilen werden
im XVI. Jahrhundert meistens besonders ge-
zeichnet und in Holz geschnitten; erst später
kommen grossere Grade wie Sabon, Missal,
Principal, Real und Imperial hinzu. Diese grosse
Kanonfraktur (Abb. 1) ist von jenem herrlichen
Schnitt, wie solcher zum Text des Gebetbuches
Kaiser Maximilian I. mit Dürers Randzeich-
nungen verwendet wurde (Abb. ia). Sie wird
in den Drucken des XVI. Jahrhunderts durch-
weg gebraucht und findet sich auch noch lange
Zeit später, wenngleich der Schnitt allmählich
verdorben wird.
Die nun folgenden kleineren Schriftgrade:
Der kleine Kanon, Text, Tertia oder Bibelschrift,
Mittel, Cicero, Garmond, Petit oder Jungfraw-
schrift" tragen nicht mehr jenen reinen gleich-
massigen Schnitt wie die erste. „Schwobachcr"
ist nur in den Grössen von Tertia abwärts
vorhanden, es folgen Mittel, Klein Schwo-
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Abb. 1 und y Nolcntypen Fuhnoaaas.
bachcr oder Garmond und
Maintzer oder die kleine
Rheinländerin.
Die Antiquaschriften
sind von breitem klarem
Schnitt, in deren Minus-
keln der Federstrich gut
zu Tage tritt; sie sind nur
in wenigen Graden vor-
handen. Auf Kleinkanon
folgt Tertia, Mittel in
Frankfurter und Nürn-
berger Schnitt, Cicero
und Garmond. Es fällt
bei der Bezeichnung der
Schriften auf, dass ein-
zelne Namen für mehrere
Grössen verwendet wer-
den, so z. B. Garmond nicht nur für die kleine
Zehnpunktschrift, sondern auch für die kleine
Kanonantiqua; es muss also der Name, der
bekanntermafsen von dem berühmten französi-
schen Schriftgiesser Claude Garmond stammt,
noch nicht für eine bestimmte Schriftgrösse
feststehend gewesen sein. Falls sich die Be-
zeichnung bei der kleinen Kanon lediglich auf
den Schnitt beziehen sollte, wäre jedenfalls die
Überschrift anders gewählt und Garmond nur
als Zusatz gebraucht worden, wie solches bei
der Cicero und Petit-Fraktur mit dem Namen
„Sabon" geschehen ist.
Die Kursivschriften, von denen vier Grade,
Tertia, Mittel, Cicero und Garmond, vorhanden
sind, zeigen im Verhältnis zum Kegel ein ausser-
ordentlich kleines Schriftbild. Die über und
unter die Zeile hinausragenden Buchstaben sind
infolge dessen sehr lang geraten; es fällt dieses
jedoch nicht unangenehm auf, da die Schrift
im ganzen klar bleibt.
Eine Reihe von Ligaturen finden sich in
der Kursiv, welche heute nicht mehr gebräuch-
lich sind; so sind für die Buchstaben sp
fr et is ris us besondere Lettern vorhanden,
224 König, Georg Leopold Fuhrmanns Schriftprobenbuch von 1616.
neben ss ist ein Zeichen für sz gegossen, eben-
falls kommen zwei et-Zeichcn vor. Zur Belebung
des Schriftbildes dienen einzelne Anfangs- und
Endbuchstaben mit Schwüngen und Ausläufern.
Bei Versalien sind für diesen Fall zwei Formen,
verziert und unverziert vorhanden, die jedoch
nur bis zur Cicero durchgeführt sind. Aus
den in mittelalterlichen Hand-
schriften üblichen Kürzungen hat
sich die lateinische Endung que
in der bekannten Form in die
Kursiv hinübergerettet Mit zwei
Graden griechischer Typen
schliessen die Schriften.
Wir kommen jetzt zu den
Notentypen.
Scchslinige Noten dürften an
und für sich nicht häufig sein, da
sich in bekannteren musikge-
schichtlichen Werken nichts da-
rüber findet; es gehören daher
die zwei Grade, welche als
„Characterum ad Testudinem &
tabulaturam Gallicam aecomoda-
torum, exemplum primum" und
„Spccimcnsccundum"bezeichnet
werden, jedenfalls auch als Typen
zu den Ausnahmen. Auf den
Notenlinien stehen bei beiden
Arten kleine lateinische Buch-
staben, bei der ersten Sorte in
Form der bekannten Antiqua
geschnitten, während die zweite
sich der Rundschrift nähert.
Der Unterschied zwischen
diesen beiden Systemen hegt in
den Zeichen, welche oberhalb der
Notenlinien stehen; da eine Ab-
bildung das Verständnis ausser-
ordentlich vereinfacht, dürfte die
beifolgende für Musikverständige von Interesse
sein. (Abb. 2 und 3.)
Drei weitere Blätter mit „notas figurales
und Chorales" bieten nichts Charakteristisches.
„Calenderzeichcn, Aspccten und Ziffer-Prob"
sind auf zwei Blättern zusammengefasst. Wie
ausserordentlich lange derartige Zeichen in
Benutzung geblieben sind, bevor sie durch
Neuschnitt ersetzt wurden, geht aus einem
Vergleich mit dem etwa 125 Jahre späteren
Schriftprobenbuch von Ernesti in Leipzig her-
Abb. «-Ii.
Aul Fuhnnanaicheo Alphabeten,
vor. Unbedingt dieselben Originalschnitte sind,
wie eine genaue Vcrgleichung ergiebt, auch
zu diesen späteren Klischees benutzt worden,
wenigstens bei der groben Kanon, die kleineren
Grade zeigen dagegen Abweichungen.
Uber welcherlei Verrichtungen der Kalender
in früherer Zeit zu Rate gezogen wurde, setzt
uns in Erstaunen; so finden wir
unter den Bauernkalenderzeichen
ein Kreuz für gut Aderlassen, ein
Kleeblatt für gut Säen, ein Beil
für gut Holzfällen, einen Stern für
Arzneibrauchen, eine Scheere für
Haare, eine Hand für Nägel-
schneiden; auch über Schröpfen,
Fischen, Jagen, Ackern u. a. m.
geben diese Kalender Auskunft;
unglückliche und glückliche Tage
werden durch Zeichen bereits im
vorausbestimmt Dass man sogar
das Wetter vorher kannte, deuten
die Zeichen für Regen, Wind,
Schnee, Kälte, Donner, Hagel und
Sonnenschein mit den verschie-
densten Unterabstufungen an.
Wir wenden uns jetzt zu den
Initialen, unstreitig dem interes-
santesten Teil des Buches; gleich-
zeitig ist er auch der umfang-
reichste, da von den 63 Blättern,
aus denen das Werk besteht 26
für Ziermaterial, davon 17 allein
für deutsche Initialen verwandt
worden sind. Wir müssen diese
Reichhaltigkeit dem Umstände
zuschreiben, dass das Buch in
Nürnberg, der Wiege der Fraktur-
schrift entstand. Ein volles Jahr-
hundert blühte diese hier und
lieferte das zierlichste Material für
die „Modisten", wie sich die Schönschreiber nann-
ten, von denen wir bereits weiter vorn eine Reihe
von Namen erwähnt haben. In besonderen
Schulen wurde die Ausbildung der Schreiber ge-
pflegt die im Gegensatz zu den Schreibern der
mittelalterlichen Handschriften die Entwickelung
und Verzierung der Schrift und des Initials aus
dem Federzug durchführten, während erstere zur
Malerei und dem Ornament gegriffen hatten.
Bei nicht allzu übermässiger Verschnörkelung
giebt der Federzug ohne Frage ein sehr geeignetes
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König, Georg Leopold Fuhrmanns Schriftprobenbuch von 1616.
225
Abb. 11—14. Aui Fuhnaannichen Alphabeten.
Ziermaterial ab und gestattet vor allem der
Erfindungsgabe des Schreibers einen weiten
Spielraum in der Neuschöpfung von Buch-
stabenformen. Die Fraktur hat den Vorzug
vor der Antiqua, dass sich ihre Grundformen
durch die Anwendung der breiten Feder viel-
gestaltig variieren lassen; sie erscheint gewisser-
mafsen selbst als Ornament in der Fläche. So
giebt es besonders von dem älteren Neudörffer
aus dem Jahre 1538 Schriftvorlagen, in Kupfer
gestochen, die uns die Schönheiten der Fraktur,
vor allen Dingen aber die Übergangsformen
aus der Gotik in die neuen Formen erkennen
lassen. Die Bezeichnung „Kanzleischrift", welche
für die abgerundetere Form der Fraktur viel-
fach gebraucht wird, stammt ebenfalls aus den
Nürnberger Schreiberschulen, in denen die
Sekretäre für die kaiserliche Kanzlei ihre Aus-
bildung fanden.
In dem uns vorliegenden Material finden
wir nun Initialen, in denen die Durchführung
der mit der Feder möglichen Verzierungen in
der verschiedenartigsten Weise gelöst ist
Die einfachste Art ergiebt sich aus der
begleitenden feinen Linie, welche, zunächst
parallel mit dem Grundstrich laufend, in einer
Spirale oder dem Teile einer solchen mit einem
Punkte, einem anschwellenden Federzug oder
einem flotten Federschwung als Ausgang endigt
Die Kombination dieser Begleitungslinien, die,
von Anfang und Endung des Grundstriches
ausgehend, in der Mitte oft zu reizenden Linien-
kreuzungen führt, ergiebt allein schon eine un-
endliche Fülle von Verzierungen. Diese Linien
werden noch weiter unterbrochen durch kleine
Federstriche, Punkte, Häkchen, Kreuze u. a. m.,
die zur Belebung der Fläche beitragen.
Die Grundstriche der Buchstaben erscheinen
im Anfang aus einem Federzug bestehend, aus
welchem häufig die Weiterführung in die ver-
zierende Spirale erfolgt Verdoppelungen dieser
Hauptstriche, welche die Grundform bilden
(Abb. 18 — 20), Unterbrechung derselben durch
kleine Querstriche (Abb. 5, 6, 7, 10), bis schliess-
lich zur Auflösung der letzteren in ein Netz
von Linienkreuzungen, geben der Phantasie des
Schreibers den weitesten Spielraum.
Es erscheint geradezu unmöglich, diese
unendliche Fülle von Verzierungen durch Be-
schreibung verdeutlichen zu wollen, und muss
das Bild hier das fehlende Wort ersetzen. Je
weiter sich die Bewegung von ihrem Anfang
Z. f. B. 98/99.
Abb. 13—18. FubrraaDnji.bc Eiuielbuchiubeu.
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226
König, G«org Leopold Fuhrmanns Schriftproben buch von 1616.
Abb. 19— ji. Fnhrminttsche Einxelbuchstaben.
entfernt, desto grösser und überwuchernder
wird das Beiwerk, bis schliesslich die klare
Buchstabenform unter dem Wust von Ver-
zierungen erdrückt wird und nur mit Mühe zu
erkennen ist
Fremdartiges Ornament, das nicht aus dem
Federzug hervorgeht, sondern aus Arabesken
(Abb. 4), zopfigem Blattornament, landschaft-
lichen und naturalistischen Blumen und Laub-
motiven entstammt, verdrängt schliesslich den
verzierenden Federzug, und diese organisch
nicht zur Grundform gehörenden Verzierungen
nehmen sich wunderbar genug neben ersterer,
die noch den Federzug zeigt, aus. Interessant
ist es, zu beobachten, welche bedeutende Rolle
die Überlieferung bei der Entwickelung der
Schrift und ihrer Vcrzicrungs weise spielt, wie
sich einzelne Formen aus den anderen ent-
wickeln, allmählich die Oberherrschaft gewinnen
und, nachdem sie eine Zeitlang mit Vorliebe
verwendet worden sind, durch neue wieder
ersetzt werden. Linienkreuzungen, die im ersten
Drittel des XVI. Jahrhunderts aufkommen,
finden wir bereits vereinzelt in genau derselben
Art bei romanischen Buchstaben an Stelle des
alten keltischen Bandornaments, dieses durch
den Federstrich in seinen Kreuzungen, jedoch
dunkel auf weissem Grund, nachahmend. In
der Zeit der Gotik wieder vollständig verloren
gehend, kommt jene somit sehr alte Verzierungs-
weise erst im XVI. Jahrhundert zu ihrem Recht
und zur vollkommenen Entwickelung.
In Abb. 13 sehen wir die Linienkreuzungen
oder Bandverschlingungen in der denkbar mög-
lichen Weise durchgefulirt, so dass die Form
des Buchstabens nur aus ihnen gebildet er-
scheint; bereits der ältere Neudörffer zeichnete
ähnliche reiche Initialen. Druckstöcke mehrerer
sehr grosser Buchstaben dieser Art finden sich
in der reichen Sammlung des germanischen
Museums, welches gerade
an deutschen Zierbuch-
staben einen grossen
Schatz besitzt
Von den in Abb. 4— 14
abgebildeten Initialen be-
findet sich in den Fuhr-
mannschen Schriftproben
je ein volles Alphabet,
von denen jedoch bei ein-
zelnen die Buchstaben X
und Y, bei einigen ferneren vereinzelte Buch-
staben fehlen.
Die Zeichner dieser Schriften lassen sich
nur durch Vergleich mit den vielfach vor-
handenen Schreibbüchern feststellen; es sind
die oben erwähnten Namen, unter denen die
Familie Neudörffer ein Jahrhundert lang den
hervorragendsten Platz einnimmt. In geschickter
Weise ist die freie Entfaltung des Federstrichs
der quadratischen Form, welche für die Zwecke
des Buchdrucks erforderlich war, angepasst, und
die Initialen sind, ausserordentlich harmonisch
sich entwickelnd, in den Raum komponiert
Von den Abbildungen 15 — 21 ist nur je
eine einzige vorhanden; diese Buchstaben sind
jedenfalls für besondere Zwecke geschnitten
worden.
Zu bedauern ist, dass es dem Buchdruck
durch seine Technik verwehrt ist, Federzüge
in voller dekorativer Weise verwenden zu
können, wie es dem Schreiber möglich ist; es
geht die Verbindung der Schrift mit dem Initial
verloren, und es fehlt letzterem der Anschluss
durch die auslaufende Federverzierung.
Die in dem Werke noch ausserdem vor-
handenen fünf Alphabete Antiquainitialen bieten
nichts Unbekanntes und sind daher ohne tieferes
Interesse, während die Seiten mit Zicrieisten
auf geschrotenem Grunde eine ausserordentliche
Fülle guter Motive besitzen, auf die hier näher
einzugehen jedoch zu weit führen würde.
Den Schluss bildet eine Kartusche mit dem
Ritter Georg in der Mitte, unten rechts und
links mit je einem Schilde belegt von welchen
der eine das Fuhrmannsche Monogramm, der
andere einen Mann mit einem Lorbeerzweige
trägt; über der Kartusche steht „Spes mea
Christus", und unten befinden sich die Worte
aus Ovid „Quamvis est igitur meritis indebita
nostris: Magna tarnen spes est in bonitate Dei."
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tob Heinr. Vogeler tut „H«BDOY«r»che» Dichterbacb".
(Göttin*«, L. Horemunn.)
Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
Von
Ernst Schur in Friedenau-Berlin.
DL«
Die Komposition als Mittel.
:r hat nicht schon, wenn auch nur
in Abbildungen, auf denen sie vom
eigentlichen Reiz viel verlieren, alte,
auf Pergament geschriebene und gezeichnete
Handschriften gesehen? Auf wen haben sie
nicht nach langem Anschauen jenen stillen
Zauber ausgeübt, dem wir uns schwer entziehen
können? Sie haben etwas Seltsam- Abge-
schlossenes, Verschlafenes; in der Sorgsamkeit
und Genauigkeit der Ausführung liegt bei aller
Bescheidenheit eine weltabgeschiedene Grösse;
diese Handschriften, diese von fleissiger Hand
mühsam gezirkelten Buchstaben haben fast etwas
Heiliges an sich; wir ergehen uns wie in einem
umfriedeten Garten; von mir zu dir wandern
nur die Empfindungen. Es ist gleichgiltig, ob
die Menschen der Zeit, aus der diese Schriften
stammen, so empfunden haben; anzunehmen
ist, dass dies sicher nicht der Fall war — be-
wusst waren sie sich dessen jedenfalls nicht.
Aber wir, die wir aus der Vergangenheit die
guten Lehren herüber nehmen, wollen uns als eine
goldene merken: Das Buch ist ein „Interieur";
mache das Buch gleich einem solchen, ver-
wende dieselbe stille Mühe darauf, und du
wirst verflossene Schönheiten heraufbeschwören,
und deine Seele wird klingen! . . Das Buch Ist
für den, der es ausstattet, ein feines Instrument,
auf dem er alle Töne zur Verfügung hat; es
ist für den, der es aufschlägt, eine Folge von
Tönen, hervorgebracht von allen Instrumenten,
bald rauschend, bald nur leise sich hinziehend,
auch verstummend und dann wieder anhebend;
es ist eine volltönende Komposition.
Ich will den Begriff „Komposition" und
„komponieren" im eigentlichsten, wörtlichsten
Sinn angewendet wissen: als ein Zusammen-
setzen, und da dies nicht ohne einen Plan, ohne
eine Idee, ohne einen darüber dominierenden
Geist oder Geschmack geschieht, besser als ein
Zusammenstimmen; auch Dissonanzen stimmen
zusammen. Wenn ich ein Zimmer arrangiere,
sei es nach einem alten Stil, sei es modern, sei
es nach meinem personlichen Geschmack, sei
es nach einer augenblicklichen Laune, nach
Willkür — ich komponiere. Wenn ich den
Tisch künstlerisch decken lasse — ich kompo-
niere. Womit komponiere ich ein Buch? Was
ist das Material, das mir hierbei zur Verfügung
steht? Aus der Natur des Gegenstandes ergiebt
sich, dass Papier und Type die Mittel sind,
deren ich mich zu bedienen habe. Papier und
Type bilden das Buch.
Die „neue Type" haben wir noch nicht,
wohl aber komponierte Bücher, wie ich zeigen
werde. Beides wird gleichzeitig nebeneinander
gehen, aber bis wir eine neue Schrift haben,
wir uns mit der Komposition behelfen;
■ Schlnuartikcl. Vergl. Heft I und III des laufenden Jahrgang*.
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228
Schur, Ziele fit die innere AmsUttting de* Baches.
doch so sehr diese auch nur als Ausweg er-
scheint, so ist sie doch mehr. Die Komposition
ist der Weg zu einem Ziel; wenn man offene
Augen besitzt und einen lebendigen Sinn, so
sieht man auf den Weg und erfährt viel Neues;
wenn wir Erfahrungen gesammelt haben werden
durch die Komposition, und es erscheint dann
zur rechten Zeit, vielleicht durch sie angeregt
und unterstützt, die neue Type, dann wird man
viel von dem Bisherigen streichen können.
Bleiben wird sie immer; denn wenn man die
neue Type den Kern, das Herz nennen will, so
ist die Komposition das Blut, das Belebende.
Aber wenn sie nicht verschwindet, so wird sich
vielleicht der Grad ihrer Leidenschaft massigen.
Doch nein, massigen ist nicht das richtige Wort;
hoffen wir, mit Rücksicht auf die Entwicklung,
dass wir uns nie massigen. Aber wenn man
Neues will, vor allem da, wo bisher wenig an-
gebaut war, ist man um der Sache willen ei-
friger und neuerungssüchtiger; man will alles
probieren, alles heranziehen, um Erfahrungen
zu sammeln; später, vor allem, wenn man durch
eingehendes Arbeiten auf dem Gebiete allen
Anregungen nachgegeben hat, dann auch, wenn
der Geschmack sich gebildet hat an den An-
forderungen, die die Sache selbst stellt, wird
man weniger stark aufzutragen brauchen. Wo
man früher viele Worte und viele Hindeutungen
brauchte, um seine Absicht klar zu machen,
genügt dann vielleicht nur ein feiner Wink; wo
man früher viel in Bewegung setzte, um sich
auszudrücken, kommen wir zur Einfachheit Mit
einem Satz ausgedrückt: die Kulturarbeit streicht
das Überflüssige — überflüssig, weil es im Ge-
wissen der Menschen nun festsitzt — und es
erscheint der Stil. Betrachten wir die Sache
von anderem Gesichtspunkt, so können wir
sagen: es giebt Komposition ohne neue Type,
jedoch keine neue Type ohne Komposition.
Die Komposition wird immer ein Mittel bleiben ;
jetzt ein Hauptfaktor, später bescheidener,
stiller wirkend, ein Nebending, das sich nicht
vordrängt Die Komposition ist ein Mittel, wie
man die Sache anfasst; die Type ist der Kern
der Sache selbst. Damit ist die Stellung des
Inhalts dieses Aufsatzes zu dem vorigen ge-
nügend gekennzeichnet
Aus Papier und Type setzt sich das Buch
zusammen ; so trivial das klingt, so ist es doch
nicht so bedeutungslos, wie es scheinen könnte.
Wenn ich in dem ersten Aufsatz die Richtungen
in französische und englische unterschied, die
erstere als malerisch und die andere als archi-
tektonisch definierte, so kann ich erweiternd
hinzufügen: die eine dient den Gesetzen des
Schmuckes, die zweite denen der Praxis, richti-
ger des organischen Aussichherauswachsens.
Und wenn ich ferner sagte, dass die franzö-
sische Art keine Zukunft für sich habe, ja zum
Stillstand führe, so begründet sich dies Urteil
auch hier. Man muss sich notwendig immer
in demselben Kreise drehen. Sicher ist, dass
die Vertreter dieser Richtung etwas für sich
anführen dürfen, was wohl die Gegner an ihrer
Ansicht zweifeln lassen könnte: die Geschichte.
Blicken wir auf die alten Drucke, so sehen wir
anscheinend denselben Geist; die Ausstattung
scheint sich offenbar zu gleichen, wenigstens
im Grunde zu ähneln. Druck wechselt mit Bild,
beides sich gegenseitig ergänzend, sich eng
aneinander anschliessend. Wenn das Bild bei
uns auch wolü freier geworden ist und loser
im Text steht, im Prinzip ist es doch wohl
das gleiche. Aber das ist es nicht Was giebt
den alten Drucken ihre Berechtigung? Ihre
Einheitlichkeit. Der geistige Horizont war, weil
eng, ein allgemeiner; was der Verfasser wusste,
wusste ebenso der Maler, ebenso derjenige, der
den Druck herstellen Hess. Die allgemeinen
Anschauungen hatten solche Geltung, dass sich
ihr jeder unterordnete, und es gab immer einen
Punkt wo sicher alle Gemüter zusammentrafen.
Noch mehr war das der Fall zu der Zeit, als
man sich noch der Schrift bediente; in den
Klöstern herrschte eine noch stillere Luft Der-
jenige, der den Buchstaben gezeichnet hatte,
unterschied sich nicht sehr von dem, der die
bildliche Ausstattung gab, und Bild und Buch-
stabe sind auf demselben und aus demselben
Allgemeingcist erwachsen; und dieser All-
gemeingeist konnte entstehen und seine Geltung
behaupten nur in der lokalen und geistigen Ein-
schränkung. Da sie aus demselben Stilempfinden
hervorgehen, Bild und Type, machen die alten
Drucke einen so wunderbar geschlossenen,
einheitlichen Eindruck.
Heute wird keiner mehr an die Existenz
eines Allgemeinkulturgeistes glauben. An die
Stelle der Einheit des Geistes ist die Vielheit
getreten. Und da, wo ein einheitlicher Ein-
druck erzielt wird, ist dies nur möglich, indem
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Schur, Ziele für die innere Ausstattung des Buches.
229
man die Vergangenheit getreu kopiert, wie wir
es bei den von William Morris hergestellten
Drucken sehen. Sonst fallen Bild und Text
immer auseinander, müssen es thun, weil eben
die Type individualitätslos geworden ist und die
Zeichnung höchstpersönlich; ja selbst, wenn
man die Regeln, die man dem Vergangenen
ablauscht, getreu anwendet, muss eine Lücke
klaffen, um so tiefer, je bedeutender und
origineller der Künstler ist
Ein Buch, das mit Bildschmuck „komponiert"
worden, ist Burbaum- Vallottons „Bunttr Vogel".
Mit vielem Geschick ist alles zusammengestimmt
worden. Der Hauptton ist Derbheit, mit ein
wenig Ungeschicktheit vermischt, humoristisch
und ein bischen altvaterisch. Zwei Künstler,
Vallotton und Weiss, sind gewählt worden, die
sich in künstlerischer Beziehung wohl ähneln.
Type und Papier passen gut zusammen. Aber
Text und Schmuck wollen nicht zusammengehen.
Die dicken, breiten Flächen der Zeichnungen
stören das Gesamtbild; wenn ich mich an dem
Bild der Seite freuen will, gehen die Zeichnungen
nicht mit, wollen sich nicht hineinfugen und
umgekehrt. Das Gesetz, das die Ausstattung
hier beherrscht, ist das der Laune, der freien
Willkür; in die etwas japanisch gefasste Art
der Anordnung will sich die schwere Technik
der Ausschmückung nicht fügen; ich kann,
wie gesagt, entweder nur die Bilder oder nur
die Type gemessen; meist erdrückt das Bild
die Type. Und dies ist der Fall, trotzdem
alles so gut, wie es irgend angeht, zusammen»
gestimmt ist.
Ich wähle ein zweites Beispiel. Die „Barn-
sens" von Pierre dPAubecq. Hier liegt der Fall
noch misslicher; ich kann nämlich nicht einmal
einen Künstler angeben, der die Ausschmückung
in die Hand genommen hätte. Es sind deren
so viele, dass ich sie kaum aufzählen kann.
Heine ist der, der uns am meisten und aus-
schliesslich fesselt und der das Buch auch
lebendig erhalten wird. Hier ist also das Über-
gewicht der Zeichnung ein so enormes, dass
der Text nicht nur langweilig, sondern direkt
abstossend wirkt Ich gehe natürlich nicht auf
den Inhalt ein; aber wenn ich auf einer Seite
eine der wunderbar feinen, melodiösen Linien-
führungen Heines erblicke, verschwindet der
Druck vollständig; ja, Druck und Zeichnung be-
kämpfen einander vollständig, und wer das Buch
durchblättert, schimpft innerlich auf den Text und
möchte die Zeichnungen lieber auf Kunstdruck-
papier für sich geniessen. Nun kommt noch
dazu, dass man die Geschmacklosigkeit beging,
andere Künstler heranzuziehen; man nahm
Vignetten und Seitenschmuck aus einer Kunst-
anstalt und fügte dann noch Photographien
hinzu. Der kindliche Fidus neben dem kräftigen
Vallotton und neben Weiss, diese neben Heine,
und alle diese wieder neben Plakaten von
Cheret und Realier- Dumas; eine herzlich un-
geschickte Kohlenskizze von Rauchinger, Photo-
graphien der Barrisons, die als wirkliche Bilder
nur dem Text eingefügt sind, ohne sich ihm ein-
zugliedern, lassen den Buchschmuck dann ganz
in das Gebiet der Illustrationskunst der längst
verpönten, herabsinken. Hier zeigt sich so recht,
dass Künstler und Drucker nicht zusammengehen
können, weil da eben Persönlichkeit neben
Unpersönlichkeit steht, und dass ein Einklang
nicht zu erreichen ist wdl die Einheitlichkeit,
aus der beides fliessen muss, Bild und Type,
hier den Bedingungen der Herstellung gemäss
fehlt Erst wenn der Künstler auch die Type
entwirft, wird von einem Gesamtbild zu sprechen
sein; aber es fragt sich, ob wir dann nicht da
der Druck an sich ja schon ein künstlerisches
Bild giebt, ganz auf den Bildschmuck zu ver-
zichten wünschen. Denn seinem Wesen nach
wird der Bildschmuck immer rein äussserlich,
eine Zuthat, also überflüssig sein und den stillen
intimen Genuss stören, weil er plötzlich in das
Auge fällt als etwas Neues, mit dem ich mich
ganz anders auseinandersetzen muss ab mit
dem Druck und selbst dann, wenn das Bild
nur dekorativ verwandt worden ist
Papier und Druck sind die notwendigen
Bestandteile eines Buches. Mit diesen gilt es
also zu operieren. Bei beiden sind zwei Ge-
sichtspunkte zu berücksichtigen: bei dem Papier
Wahl desselben in Bezug auf Farbe, Stärke und
Form, beim Druck Wahl der Type und Stellung,
resp. Anordnung. Die Art und Weise der
Handhabung möchte ich die intuitive nennen;
sie verschmäht grundsätzlich jeden Bildschmuck,
weil sie als Hauptcharakteristikum unserer Zeit
die Unruhe des Geistes und Gefühls erkannt hat,
und strebt zur Schlichtheit ab einfache Folge
des Kontrastgesetzes; sie unterscheidet sich
jedoch von der englischen dadurch, dass sie
die Langeweile und Trockenheit derselben zu
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Schar, Ziele ftr die innere Ausstattung des Baches.
vermeiden sucht, durch die Vergeistigung der
Materie, durch energisches Betonen des reiz-
vollen Äusseren, kurz durch die Komposition.
In neuester Zeit bevorzugt man die gelbe
Farbe des Papiers; auch ein graugetöntes wird
gewählt, immer mit rauher Oberfläche; das
Papier soll als Persönlichkeit mitsprechen. Gelb,
grau, weiss, das werden wohl die einzigen Tone
sein, die in Betracht kommen können; etwas
anderes würde geschmacklos wirken. Unendlich
zahlreicher sind die Wege, die man beschreiten
kann, wenn es sich um die Form handelt. Auch
hier macht sich, wenn auch sehr spärlich, ein
Wandel des Geschmackes bemerkbar. Eine
schlanke Form hat für den feinnervigen Men-
schen einen unsagbaren Reiz; der „Bunte Vogel"
geht aus dem gewöhnlichen Rahmen heraus,
indem er, was er der Höhe nimmt, der Breite
zuerteilt. Kurz, es ist zu konstatieren, dass man
aus dem alltäglichen Buchformat heraus zu
kommen strebt Ich führe als Beispiele dafür,
wie sie mir gerade einfallen, noch S. Fischers
„CoUection"und Langens .Kleine Bibliothek 44 an.
Für die Type giebt jeder Katalog einer
Druckerei Fingerzeige in Hülle und Fülle; je
nach dem Inhalt, nach dem Geist des Buches
passt die oder die Type besser in das Gesamt-
bild ; der Autor oder der Verleger hat danach
zu wählen. In der Form sieht man den Wechsel
eintreten oder vielmehr die Abkehr vom Alten,
indem man z. B. dem Format des Satzes ein
schmallanges Aussehen giebt oder den Text
mehr in die Breite gehen lässt oder den Titel
willkürlicher gruppiert; kurz, auch hier findet sich
ein Eindringen des persönlichen Geschmackes
in ein Gebiet, das man bisher lediglich dem
Drucker überliess.
Wieder wird sich in der Lyrik diese Neuerung
zuerst den Weg bahnen, weil hier ja die Per-
sönlichkeit am ursprünglichsten wirkt; freilich
gehört dazu ein ausgebildeter Geschmack und
die Lust, ein Feld zu betreten, das so gut
wie brach liegt; auch auf die Gefahr hin, nicht
verstanden zu werden, selbst auf die Gefahr hin,
zu Massregeln zu greifen, die man vielleicht
später wieder verwirft Es giebt allerdings
wenig Menschen, die Freunde des Wechselnden,
d. h. der Entwicklung sind. Und doch muss
es Tür den Leser eine Freude sein, zu sehen,
wie die Maschine spielend bewältigt wird und
der Geist des Künstlers bis in die Einzelheiten
hin sich symbolisiert; für den Autor ist dies
Streben, wenn anders sein Streben überhaupt
in die Tiefe geht eigentlich selbstverständlich.
Die Hand fühlt die wohlthuende Berührung
mit dem starken rauhen Papier, das Auge ist
entzückt von der Farbe, von der Anordnung
der Typen, der Inhalt ist für den Geist oder
das GefühL Ist nicht diese Ganzheit des Ge-
nusses das Selbstverständliche, das einzig Rich-
tige? Der eigene Gebt hat immer Recht und
der geschmackvolle Leser wird, wo er ihn spürt,
seltsam und wohlthuend berührt sein. Es ist
nun einmal nicht abzuleugnen, dass nur der
Indivualität die Sprache der Wahrheit gegeben
ist und die unwiderstehliche Sucht der Instinkt
zum Neuen.
Ehe ich auf Beispiele eingehe, die hier sehr
spärlich sind und selten auch dann noch in
jeder Weise befriedigend, will ich noch eine
Frage erledigen, die in letzter Zeit oft zur Be-
handlung gekommen ist wenn man sich auch
nie in eingehender Weise mit ihr beschäftigt hat:
ich meine die der unbedruckten Fläche. Ist
das Papier dadurch selbständig als Schmuck zu
verwenden, dass die glatte, unbenutzte Fläche,
der möglichst breite freie Rand u. a., je nach-
dem die Anordnung der Seite gefasst ist als
gelungener Hintergrund für den im Gegensatz
zu früher spärlicher gesetzten Druck gelten
kann? Wo der bildliche Schmuck verschwindet
ist von vornherein schon das Streben gegeben,
etwas Anderes an die Stelle des Verloren-
gegangenen zu setzen. Indem das Papier durch
das Verschwinden des Bildwerks an Raum ge-
winnt, sich geltend zu machen, muss man be-
strebt sein, ihm eine persönliche Note zu geben,
nicht durch irgendwelche Raffiniertheiten, son-
dern einfach durch Güte des Materials. Dann
gewinnt auch das Streben nach vornehmer
Wirkung immer mehr an Bedeutung, und frag-
los wirkt auf jeden, für den der Begriff „Zierde"
nicht unumgänglich mit Schnörkeleien und dgL
verbunden ist, die glatte Fläche eines mit
Sorgfalt ausgewählten Papiers, die in feiner
Anordnung, mehr oder minder frei, die Type
wie in einem sicheren Schosse trägt ruhig und
elegant Ausserdem ist nicht zu verkennen,
dass neben dem modernen Inhalt, der mich
notwendig aufregt, für das Gefühl die Stärke
des Papiers, für das Auge die ruhige, gleiche,
ringsherum freigelassene Fläche einen ungemein
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Schur. Ziele fllr die
wohlthuenden Gegensatz schaffen. Gerade die
Zeitschriften, die dem Streben des modernen
Geistes dienen, folgen diesem Drang, das Papier
zu betonen: „Deutsche Kunst und Dekoration",
„ Kunstwarf' (in der neuen Ausstattung), „ Wiener
Rundschau", vor allem der „Pan". Letzterer
muss freilich oft genug hören, wie wenig man
versteht, weshalb er auf das grosse Format
seiner Seite häufig nur ein kleines Gedicht von
wenigen Zeilen setzt, in einer oft wahrhaft ent-
zückenden Druckart Ein solches unwillkürliches
Drängen nach einer Richtung sollte aber allen,
die sich darüber entrüsten, zu denken geben.
Beispiele für die Ausstattung in derartig
komponierter Weise sind sehr selten; ich nenne
zuerst die „Blätter flir die Kunst" und im An-
schluss daran die Gedichtbücher von Stefan
George und Wolfskekl Ich erwähnte diese
schon einmal, weil sie — der Erkenntnis folgend,
dass schnelle Lesbarkeit, also alltägliche Deut-
lichkeit, nicht immer das oberste Gesetz bildet
— statt der grossen Anfangsbuchstaben der
Worte die kleinen setzen; sie geben auch keine
Interpunktion. Und sie haben dadurch einen
unendlich vornehmen, abgeschlossenen Eindruck
gewonnen; die Bücher haben das, was den
anderen fehlt — Geschlossenheit Sie haben
ein sehr starkes, rauhes, gelbliches Papier; sie
sind mit lateinischen Typen gedruckt und
zeichnen sich durch eine aussergewöhnliche
Anordnung des Satzes aus. So setzt Stefan
George einmal den Titel zu einem starren
Viereck geordnet auf den starken Umschlag
links oben in die Ecke und erzielt damit eine
ausserordentliche Wirkung. Wolfskehl nimmt zu
seinem Bande „ U&as" einen knitternden, faserigen
Umschlag mit einer Zeichnung von Lechter;
Stefan George zu seinem Buche „Das Jahr der
Seele" graues weiches Papier, das sich wie
Sammet anfühlt Bei dem ganzen Kreise dieser
jungen Dichter überrascht die Einheitlichkeit
und die Reife, die sie schon jetzt besitzen, und
die Zielbewusstheit mit der sie vorgehen. Sie
sind gewissermafsen die ersten, die erkannten,
dass ein Buch aus Papier und Type besteht
Ein anderes Beispiel finde ich in einem so-
eben bei Schuster &Löffler erschienenen Roman
von Huysmans „Gegen den Strich". Mag es
Zufall sein oder nicht: das Buch ist ausserordent-
lich fein komponiert. Nur das Bild des Ver-
fassers fällt heraus; auch könnte man einwenden,
dass die lateinische Type im Gegensatz stehe
zu der von M. Lechter gezeichneten Type des
Titels, der zugleich auf festem, derbem grau-
weissem Pappdeckel den Umschlag bildet;
beides, weil Persönliches zu Unpersönlichem,
will nicht recht zusammen; doch ist erst zu
entscheiden, ob der Umschlag dem Inhalt fremd
gegenüberstehen oder aus ihm hervorwachsen
soll Und in der That ist ein allzu greller Zwie-
spalt vermieden worden, indem beide wundervoll
ineinandergreifen. Zwischen dem von Lechter
gezeichneten Umschlag und Titelblatt sehen
wir eine Seite, die den Titel bereits in lateinischer
Type trägt, auf die Art des Folgenden vor-
bereitend. Das Format geht mehr in die Breite
als gewöhnlich; die Farbe des Papiers ist gelb-
lich, um eine Nuance gelblicher, als die der
„Blätter für die Kunst" Auf dem breiten Vier-
eck der Fläche steht, etwas nach innen zu
eingerückt, der Druck. Nur ist die lateinische
Type hier von einer ganz besonders feinen
Wirkung. Es ergiebt sich ein unendlich reiz-
volles Spiel von Wechselbeziehungen. Alles ver-
einigt sich hier zu einer intimen Wirkung, ohne
aufdringlich zu sein. Das Buch ist an sich um
kernen Preis ein Muster; aber der Geist der
die Ausstattung leitete, ist achtunggebietend.
Weil das Buch einheitlich komponiert ist und
einfach, darum kann man aus ihm sich manche
Regel ableiten. Denn nicht das soll erstrebt
werden, was man wohl litterarische Wirkung
nennt und was mit Recht verpönt ist Nur
wie ein leiser Ton soll manches angeschlagen
werden, so wie es der, der in dem Geist des
Buches lebt wünscht Dann wird eine zu grelle
Wirkung auch schon um deswillen ausbleiben,
weil der feine Geschmack so wie so das Zuviel
gern fortnimmt und zum Einfachen neigt Später
brauchen wir die Symbolik vielleicht überhaupt
nicht oder aber sie verfeinert sich noch mehr;
da hier ja alles aus der Notwendigkeit * us den
Bedingungen der Praxis, verbunden mit dem
Geschmack, hervorgegangen ist so ist wohl an
einen Wandel im einzelnen, nicht aber an ein
überbordwerfen des ganzen Prinzips zu denken.
Dieses wird überall da wieder auftauchen, wo
man sich ernsthaft mit der Ausstattung be-
fasst Und wenn jemand sagt, es komme
allein auf den Inhalt nicht auf das Äussere an,
der Geist sei die Hauptsache, so erwidere ich,
dass ja gerade der Geist, den man bis jetzt
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232
Wolff, Inwieweit rthrt „Die Familie SchrorTenstein" von Kleist her?
vernachlässigt hat, zu seinem Recht kommen will.
Das Werk ist an sich wohl ewig und bedarf nicht
der nachhelfenden Hand; aber denen, die die
Ewigkeit im Munde führen, mag gepredigt sein,
dass jede starke Zeit eher die Gegenwart be-
tonte als die Vergangenheit und Zukunft und
dass unsere junge Zeit nicht da anfangen soll,
wo eine alte Kulturperiode aufhörte, sondern
sich selbst seine Erkenntnisse holen muss. Wenn
also das Werk als solches der Ewigkeit an-
gehört, der Vergangenheit und Zukunft, so ist
das Äussere eine Konzession an die Gegenwart,
an mein Ich. Den Geist der Alten, die schlichte
tiefe Versenkung sollen und werden wir auf das
neue Gebiet hinübernehmen, diesen Geist der
Anbetung und Grösse. Da wir aber mit kompli-
zierteren technischen Mitteln arbeiten können
und eine andere Zeit andere Forderungen hin-
sichtlich der Wirkung stellt, vielseitiger, mannig-
faltiger, auch misstönender und zwiespältiger,
so gilt es mit der verfeinerten Technik, die die
zartesten Nuancen erlaubt, in diesen Geist unsere
modernen Gedanken hineinzulegen. Das ist die
kulturhistorische Seite dieser Bestrebungen.
Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein" von Kleist her?
Von
Professor Dr. Eugen Wolff in Kiel.
|enn es eines Beweises für Berechtigung
und Notwendigkeit wissenschafdichcr
Betrachtung auch der neueren Litte-
ratur bedürfte, würde schon allein die Fülle
ungelöster Rätsel in Heinrich von Kleists Leben
und Werken ihn erbringen können. Der ver-
suchte Nachweis, dass zwei Lustspiele, die 1802
anonym beim Verleger der 1803 gleichfalls
anonym herausgegebenen „Familie Schroffen-
stein" erschienen, von Kleist herrühren, 1 wird
nicht die einzige Überraschung für littcrarische
Kreise bleiben. Von mehreren Werken des
Dichters sind die Handschriften erhalten, deren
Vergleich mit den Drucken von der weitgehen-
den Leichtfertigkeit Zeugnis ablegt, mit der
Kleist wie seine Mit- und Nachwelt seine Texte
bei der Drucklegung behandelten.
Die Handschrift des meisteriiehen Lustspiels
„Der zerbrochne Krug" zeigt noch, wie — bis-
weilen nach Schwankungen — der Text des
Druckes gewonnen ist. Aber auch er ist an
nicht wenigen Stellen preisgegeben und hat
einer vollkommneren Fassung Platz gemacht.
Nun finden sich solche Verbesserungen zum
grössten Teil in denjenigen Scenen, aus denen
Proben in den ersten fragmentarischen Druck
übergingen, den Kleists Zeitschrift „Phöbus"
1808 brachte. Und doch rührt der erste voll-
ständige Druck mit den primitiveren Lesarten
aus dem Jahre 181 1 her?! Es ergiebt sich die
ungewöhnliche Thatsache, dass die Buchausgabe
von 181 1 auf eine Abschrift zurückgeht, die
Kleist sofort nach Vollendung des Lustspiels
1806 anfertigen Hess und nach Berlin sandte,
während die 1808 überarbeitete Handschrift
sogleich als Grundlage des fragmentarischen
„Phöbus"- Druckes diente. Da alle bisherigen
Ausgaben auf die Buchausgabe von 181 1
zurückgingen, wurde eine allgemeine Revision
des Textes nach der Handschrift nötig. 1
Für „Prinz Friedrich von Homburg" waren
wir lange Zeit allein auf den Druck angewiesen,
welchen Ludwig Tieck nach Kleists Tod ver-
anstaltete. Vor einem Vierteljahrhundert tauchte
endlich eine Abschrift des Originalmanuskriptes
auf. Wer sie mit philologischem Auge mustert,
kann nicht zweifeln, dass fast in allen Ab-
weichungen ihr vor dem Tieckschen Drucke
t Zwei Jugend-Lustspiele von Heinrich von Kleist,
« Meisterwerke von Heinrich von KUist. L Der icrbrochne
ait Erläuterungen von Eugen %VJff. Minden 1898.
von Eugen Wolff. — Oldenburg 1898.
Krug. Kritische Ausgabe nach der Handschrift
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Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffen stein" »on Kleist her?
233
Aui der tUnduhrifi von Klents „Familie Ghonorc«".
der Vorzug der Authentizität gebührt. Tieck
hat sich um Erhaltung und Veröffentlichung
von Kleists Nachlass unvergängliche Verdienste
erworben, aber er besass weder genug geistige
Verwandtschaft mit unserm Dichter, noch genug
Z. f. B. 9S/99.
philologische Gewissenhaftigkeit, um den Text
unverstümmelt vorzulegen.
Von je her ist ein fremdes Eingreifen in
die Gestaltung der „Familie Schroff enstein"
behauptet worden. Merkwürdig genug hat die
30
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234
Wolff, Inwieweit rührt „Die F«miüe Schroflenstein" von Kleist her?
wissenschaftliche Forschung bisher jeden Ver-
such unterlassen, diese Gerüchte auf ihre
Wahrheit zu prüfen. Und doch liegt seit andert-
halb Jahrzehnten die Handschrift des Dichters
zum Vergleich mit dem Urdruck vor.
Schon im Bücherkatalog von Hcinsius, als-
dann in Meusels „Gelehrtem Teutschland im
XIX. Jahrhundert" (Bd. IX, S. 556) und noch in
Gocdckcs „Grundriss" (Bd. III der 1. Auflage)
wird auch Ludwig Wieland, dem Schmerzens-
kind des Klassikers, dem Schwager des Ver-
legers Gessncr, einem von Kleists Berner
Freunden, ein Trauerspiel „Die Familie Schroffen-
stein" zugeschrieben. Aus welchen Keimen
eine solche Mutmassung entstanden, lasst sich
aus Ludwig Tiecks und Eduard von Bülows
Mitteilungen erschliessen. In der Einleitung
zu Kleists „Gesammelten Schriften" (S. XII) er-
zählt Tieck, allerdings irrig, vom alten Wicland:
„Auf dessen Rat arbeitete er die Familie
Schroffenstein um und legte die Scene aus
Spanien nach Deutschland." Bülow, der in
seiner Schrift über „H. v. Kleists Leben und
Briefe" weithin aus schriftlichen und mündlichen
Quellen schöpft, berichtet (S. 29), an dies Werk
sei „in der Schweiz die letzte Hand gelegt.
Nur dass Kleist den fünften Akt bloss in Prosa
geschrieben und die Herausgeber Wieland und
Gessner ihn in Verse gebracht haben sollen.
Es heisst auch, dass derselbe Wieland Kleist
bewogen habe, das Stück nochmals umzu-
schreiben und die erst in Spanien vorgehende
Handlung nach der Schweiz zu verlegen."
Nun bestätigt die Handschrift des Dichters,
dass dieser tragische Erstling in Spanien spielte
(unter dem Titel „Die Familie GJionoref 1 ) und
in einer Reihe von Sccnen die Prosaform vor-
herrschte. Die Namen fast aller Personen und
Ortschaften sind spanisch. Die nicht ritterlichen
Personen reden in Prosa, im Gespräch mit diesen
sowie in der Wahnsinns- Schlussscene zum Teil
auch die ritterlichen. Dass die Verlegung der
Handlung nach Deutschland rein äusserlich
durch blosse Änderung aller Namen geschehen
und dass die Umschrift in Verse durchwegs
mechanisch und kunstlos geblieben, darüber
herrscht unter neueren Forschem volle Über-
einstimmung. Und doch nahm man die auch
anderweit wesentlich überarbeitete Form des
Druckes ohne weiteres als Kleists Werk hin.
Theophil Zollings Abdruck der Handschrift im
Anhang zu seiner Ausgabe der „Familie
Schroffenstein" (Kleists sämtliche Werke, Bd. I)
veranlasste weder den Herausgeber noch sonst
jemand zu philologischer Abwägung der zahl-
losen Differenzen.
Ein einziger Blick auf die Handschrift hätte
den Glauben an die Authentizität der Druck-
fassung erschüttern können. Hinter der 2. Scene
des IV. Aktes steht von Kleists eigener Hand
die flüchtige Bemerkung:
„(bis hierher abgeschickt)"
— es ist am Schluss des 31. Bogens im Manu-
skript. Wer trotzdem noch zweifeln wollte,
dass der Dichter die Fassung der Handschrift
(und keine Überarbeitung) abschriftlich in Druck
gegeben, dem hätten zwei weitere Notizen aus-
reichende Fingerzeige geben sollen. Am Anfang
der 5. Scene des IV. Aktes vermerkt Kleist
am Rande:
„Nachricht für den Abschreiber: statt
Rodrigo wird überall Oltokar gesetzt."
Acht Seiten weiterhin:
„Nachricht für den Abschreiber: statt
Ignez überall Agnes."
Zwischen diesen beiden letzteren Notizen
ist auf zwei Seiten teilweise der Versuch ge-
macht, die neugewählten Namen im einzelnen
an Stelle der früheren durchzuführen.
Danach steht also fest, dass die Preisgabe
der spanischen Scene erst nach Vollendung
des ganzen Werkes und nach Absendung der
zum Druck bestimmten Abschrift von Akt I
bis III sowie IV, I und 2 des Manuskriptes,
aber vor Absendung von Akt IV, Scene 5 er-
folgte. Dass die Verlegung der Scene auf Rat .
von Ludwig Wieland, der als Schwager und
Helfer im Hause von Kleists Verleger Heinrich
Gessner lebte, nachträglich erfolgt sei, erhält
somit weitgehende Bestätigung. Ebenso bleibt
die Thatsachc bestehen, dass bis zur Schluss-
scene Prosastcllen in die für den Druck an-
gefertigte und fortgeschickte Abschrift gelangen.
Bietet der Druck aber vielleicht trotz dieser
äusseren Gegenzeugnisse eine vom Dichter
herrührende Vervollkommnung des Dramas?
Zwar die Übertragung der Scene müssen wir
wohl hinnehmen: ist sie schon von aussen her
angeregt und bleibt sie rein äusserlich, da der
Geist der Tragödie nach wie vor eher spanisch
als deutsch anmutet, so hat sie der Dichter
doch immerhin ausdrücklich gutgeheissen.
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Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie SchroflenMein" von Kleist her?
Aber sah er denn in den Prosastellen über-
haupt eine Unvollkommenheit oder Unebenheit,
dass er sie dem vorherrschenden Versmafs
angeglichen hätte? Mit voller künstlerischen
Absicht lässt er, immer auf realistische Ab-
stufung der Sprache bedacht, den Dialog an
entsprechenden Stellen aus dem Heroischen
ins Schlichte übergehen. Kein geringeres Vor-
bild als Shakespeare lockt ihn hier. Dass nach
dieser Richtung keine Sinnesänderung ein-
getreten, beweist noch später „Das Kätchen
von Heilbronn" mit seinen breiten Prosapartien.
Und wenn er sich zu einer Umschrift in Verse
entschlossen hätte, würde ihm die mechanische,
stümperhaft -handwerksmässige Aufteilung auf
zehn- bis elfsilbige Verszeilen genügt haben,
würde sein Dialog nicht wirklich zu „gebundener"
Rede, zu gewandter Verssprachc geworden
sein?!
Wie steht es schliesslich um die umfang-
reichen Eingriffe anderer Art, von denen die
Fassung des Druckes gegenüber der Hand-
schrift zeugt? Wirkliche Verbesserungen finden
sich in verschwindend geringer Zahl. Einzelnen
Entstellungen mögen Druckfehler oder Lese-
fehler des Abschreibers zu Grunde liegen. Als
überwältigender Gesamteindruck philologischer
wie ästhetischer Gegenüberstellung der beiden
Fassungen ergiebt sich aber die hundertfach
gestützte Überzeugung, dass nur der Text der
Handschrift von Kleist selbst herrührt: der
Druck dagegen von grober Verkennung und
Verstümmelung des Dichterwortes strotzt und
nacltweisluh nicht auf Kleist selbst zurückführbar
ist, vielmehr Ursprung aus einem fremden Geist
verrät, der dem Ideenflug unseres Dichters
weder zu folgen versteht, noch überhaupt mit
dichterischem Blick das Werk betrachtet. Nach
allem, was wir betreffs Entstehung der „Familie
SchrofTenstein" mündlich überliefert fanden,
richtet sich der bestimmte Verdacht der Autor-
schaft für diese eigentümliche Überarbeitung
auf Ludwig Wieland. Auch befindet sich die
dreiste Impotenz seines Eingreifens in voller
Ubereinstimmung mit dem, was von seinem
Charakter und seinem litterarischen Dilettan-
tismus sonst bekannt geworden.
Doch wir wollen uns nicht mit allgemeinen
Eindrücken begnügen, sondern im einzelnen
abwägen, welcher Ursprung sich für die meisten
der Änderungen nachweisen lässt.
Beschränken wir uns auf die markantesten
Fälle, so treten vor allem eine Reihe von Ab-
weichungen hervor, die auf offenkundigem Miss-
verständnis des ursprünglichen Sinnes beruhen.
Wir legen unserer Untersuchung natürlich nicht
den entstellten Abdruck Zollings, sondern die
Original -Handschrift selbst zu Grunde, zitieren
aber nach der Verszahl des Drucks.
V. 270 bietet der Druck:
„Mein Pferd, ein ungebändigt türkisches",
während in der Handschrift deutlich tückisches
steht.
Ähnlich ist V. 865 ff. in Anknüpfung an
Sylvesters Wort:
„Mir ist so wohl, wie bei dem Eintritt in
Ein andres Leben"
die Antwort Gertrudes verstümmelt:
„Und an seiner Pforte stehn deine Engel,
wir, die Diener, liebreich Dich zu empfangen."
Nicht die Diener, vielmehr die Deinen will
die Handschrift als Engel des Gatten bezeichnen.
Auf Miss Verständnis geht offenbar die Les-
art V. 1048 f. zurück:
„Es hat das Leben mich wie eine Schlange,
Mit Gliedern, zahnlos, ekelhaft, umwunden,"
während die Handschrift die Glieder deutlich
zahllos nennt.
Liesse sich auch hier noch immer die Mög-
lichkeit eines groben Druckfehlers und gedanken-
losen Korrekturlesens nicht völlig abweisen, so
liegt der Fall bereits in einem andern Verse
erheblich verdächtiger. V. 277 ff. lässt der
Druck Johann von seinem Pferde berichten:
„Wie der Pfeil
Aus seinem Bogen, fliegt's dahin — rechtsum
In einer Wildbahn reiss' ich es bergan,"
gegen den Schluss der Handschrift:
„Rechts herum
In eine Wildbahn reiss' ich es, bergan."
Da die Streichung von her — offenbar zur
Regulierung des Versbaus — bewussten Ein-
griff erweist, gewinnt auch die Konstruktion
der Ruhe anstatt der im Original ausgedrückten
und notwendigen Bewegung den Charakter des
Missverständnisses.
V. 75s ff. will Ottokar „ganz klar" die Ge-
liebte sehen:
„Dein Innres ist's mir schon, die neuge-
bornen Gedanken kann ich wie Dein Gott
errathen,"
während Kleist die „««gebohrnen-' schrieb und
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236
Wölfl, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffeiutein" von Kleist her?
t;
cf—^- s£/<H>
Au» der Handschrift von Kleuü „Familie Ghunorci".
als Dichter von Kraft und Kühnheit allein ge-
meint haben kann.
Die Annahme einfacher Druckfehler ver-
bietet sich vollends für V. 775 ff. Man rücke
nur beid^ Fassungen nebeneinander. Ültokar
schiiesst:
„Drum will ich, dass Du nichts mehr vor
mir birgst,
Und fordre ernst Dein unumschränkt Ver-
trauen."
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^37
Handschrift:
Ignez.
Mir weht ein Schauer wie von bösen Geistern
Um Haupt und Hrust und hemmt die Rede mir.
Rodrigo.
Was ängstigt Dich? O sag's mir, Thcure, an,
Ich kann Dir jeden falschen Wahn benehmen.
Ignez.
Du sprachst von Mord — und der Entsetzenslaut
Hat Deine reine Lippe bös gefleckt.
Rodrigo.
Von Liebe Sprech' ich nun — das süsse Wort,
(liebt jeder Lippe Reiz, die es berührt.
Ignez.
Von Liebe, hör' ich wohl, sprichst Du mit mir,
Doch sag' mir an, mit wem sprachst Du vom
Morde?
Sehen wir vorerst selbst davon ab,
dass keine Künstlernatur ihre schönsten
Geisteskinder derart verstümmeln, wie es
hier dreimal geschehen, noch die ausge-
merzten tragischen Accente durch ein
prosaisches Stammeln — „Ich kann nicht
reden" — ersetzen wird. Auch äusserlich
wird das Eingreifen eines in den ursprüng-
lichen Sinn Uneingeweihten greifbar durch
die Verkennung des Gegensatzes, den die
Handschrift geflissentlich zwischen einst
und jetzt, zwischen Präteritum und Präsens
betont: „Du sprachst von Mord — Von
Liebe sprech' ich nun." Die Erklärung
liegt in V. 750 zurück: Die Beteuerung der
Geliebten, dass ihr Vater in Frieden mit
den Nachbarn lebe, wiegt Ottokar in den
Wahn, sie sei dennoch nicht die Tochter
des Feindes seines Vaters:
„O
Mein Gott, so brauch' ich dich ja nicht
zu morden!"
Gegen die Thatsachen läuft demnach
sowohl die Behauptung Ottokars:
„Von Liebe sprach ich nur",
wie das Zugeständnis von Agnes:
„Von Liebe, hör* (!) ich wohl, sprachst
Du mit mir."
In Wahrheit sprach er nur von Mord
und spricht nun erst von Liebe.
Wie hier nicht im Zusammenhang
zurückgedacht ist, unterliess der Verfasser
von V. 2361 den Zusammenhang im voraus
zu bedenken. Ottokar, im Begriff, aus dem
Druck:
Agnes.
Ich kann nicht reden, Ottokar.
Ottokar.
Was angstigt Dich?
Ich will Dir jeden falschen Wahn benehmen.
Agnes.
— Du sprachst von Mord.
Ottokar.
Von Liebe sprach ich nur.
Agnes.
Von Liebe, hör' ich wohl, sprachst Du mit mir,
Doch sage mir, mit wem sprachst Du vom
Morde?
lna'rd. 'Zweifel und Un^e
o
mir von je unleidlich ; in den b
"Verlust kann ich mich ichjcken, aber u
wissen, was ich Mein nennen kann
wenn ich ents.igcn umt.
Sophie. Und was ist das anders als Hoch
■roih , der entweder Alles oder Nichts besi-
Hten will , und auch da un.;.ntümrri fod< rt (
<iv> m/m nur durch Hingebung nni l'„ h, i-f
Äcnheit am meisten 'gewinnt;
Eduard. Die Zeit der romantischen Lieber '
Ist vorüber, wr> man sein lieben in fnirhtlo-
, w ■ oyttsnfiF ,0 >* v
sen Seufzern verbauchte , und da» Bcvfatlslä- -
cheln einer Schönen das Z:< ■', ! 1 grö.[it< n
Tluten wir; jrzt tvolJen wir gehen und em-A
pfänden t licbtsi oed. gelabt »»erden, LesliifcnT
und ajlein genicssrn.
L'ri fiebi
Aus .,Co'|u eticrie und Liebe**«
einem 18*1,1 anonym ertchieocQen JugcnciluiUpiel Klent*.
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2 3 8
Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffetistein" von Kleist her?
Kerkerfenster zu springen, hängt einen Mantel
um mit dem theatralischen Ausruf:
„Und dieser Mantel bette meinem Fall!"
Wie viel mag sich der Umarbeiter mit
dieser „Poetisicrung" der allerdings für den
Uneingeweihten nüchterner klingenden Original-
fassung gewusst haben! Da steht nämlich:
„Und diesen Mantel kann ich brauchen
just."
Dass der Held ihn aber nicht „brauchen" will,
um „seinem Fall zu betten", beweist sofort die
folgende Scene zwischen ihm und der Geliebten,
die berühmte Brautnacht-Phantasie, nachweislich
der Ausgangspunkt der ganzen Tragödie, wo
Ottokar den Mantel „braucht", um Agnes durch
Verkleidung dem Mordstahl seines Vaters zu
entziehen.
Ganz widersinnig behauptet Rupert V. 2535 f.
von seinem Feind:
„der mich so infam
belogen hat, dass ich es werden musste."
Echt Kleistisch konstruiert vielmehr die I Iand-
schrift:
„der mich so infam
GVlogen hat, dass ich es werden müsste."
d. h. der mich lügnerisch als so infam hin-
gestellt hat, dass es kein Wunder wäre, wenn
ich wirklich infam würde. Man vergleiche die
ähnliche Konstruktion im „Zcrbrochnen Krug"
(Meisterwerke, Bd. I, V. 1962):
„Was hilft's, dass ich jetzt schuldlos mich
erzähle?"
Von weiteren Missverständnissen verzeichnen
wir zunächst in V. 724 die irrige Unterschiebung
des Bildes:
„Der Kranz ist ein vollendet Weib",
wo die Handschrift, wenn auch undeutlich, ihn
nur schlechtweg als „ein vollendet Werk" be-
zeichnet und schon die unmittelbar vorher-
gehende Sentenz:
„Ein Weib
Scheut keine Mühe"
jeden Vergleich mit dem Kranz ausschliesst.
Hier wie in V. 2647 könnte vielleicht ein Ver-
schen vorliegen ; jedenfalls beweisen auch diese
Irrtümer, dass der Dichter selbst nichts mit
der Fassung des Druckes zu thun gehabt.
Denn auch
„Ein Schwert — im Busen — einer Leiche — "
lässt nur der jedes feineren Sprachgefühls bare
Revisor den die Leiche betastenden blinden
Grossvater stammeln. Der Dichter ist nicht
so geschmacklos, Ausrufe des Entsetzens in
Abhängigkeit zu einander zu setzen. Johann
versprach:
„Ich führe dich zu Agnes."
„Ist es noch weit?"
fragt der blinde Alte.
„Ein Pfeilschuss. Beuge dich!"
Darauf im Tasten die Interjektionen:
„EinSchwerdt — in der Brust — eine Leiche — "
Nach Brust wie nach Leiche ist in unserer
Interpunktion ein Ausrufungszeichen zu denken.
Nebenbei bemerkt: die wiederholte Ersetzung
von Brust durch Busen gehört zu den Betäti-
gungen „poetischen" Sinnes im Korrektor.
Bewusste Änderungen von fremder Feder
auf Grund mangelnden Verständnisses liegen
jedenfalls noch V. 1002 f. und V. 1299 f. vor.
Franziska-Gert rude unterrichtet ihren Gemahl:
„Ruperts jüngster Sohn ist wirklich
Von Deinen Leuten im Gebirg erschlagen",
um nach seiner schreckcnsvollen Zwischenfrage
fortzufahren:
„O, das ist bei Weitem
Das schlimmste nicht."
Nun variiert der Schluss; Kleist schrieb:
„Der Eine hat es selbst
Gestanden, Du, Du ,hätt's ihn su dem Mord
gedungen."
Dass dem Überarbeiter der Sechsfüssler an-
stössig war, kann uns nicht mehr Wunder
nehmen; der Korrektheit des Verses opfert er
leichten Herzens den Nachdruck des Gedankens
und setzt:
„Gestanden, Du hätt's ihn sunt Mord ge-
dungen."
Aber auch, dass die Wendung: „der Eine . . .
selbst" das eigene Geständnis des Ergriffenen
scharf hervorheben will, hat der auf Korrekturen-
jagd ausgehende Stumpfsinn nicht entdeckt:
er nahm das Pronomen selbst als Adverb,
empfand diese Form des Adverbs als zu matt
und druckt beherzt:
„Der Eine hat's sogar
Gestanden."
Die Ergebung der Liebenden in alles, was
ihr vom Geliebten kommt — und sei es der
Tod — ging schliesslich vollends über den
Horizont des Korrektors. Als Ottokar, der
Sohn des Feindes, ihr Wasser schöpft, glaubt
sie, er werde Gift hineinmischen, wankt aber
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Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroflenslein" von Kleist her?
239
nicht, auch diesen Trank von seiner
Hand zu nehmen. Denn eben hat sie
entdeckt, dass der Geliebte aus Feindes-
lager kommt (V. 1 296).
„Nun ist's gut.
Jetzt bin icli stark. Die Krone sank
ins Meer,
Gleich einem nackten Fürsten werf
ich ihr
Das Leben nach. Er bringe Gift, er
bringe
Es tiicht, gleichviel, ich trink' es aus,
er soll
Das Ungeheuerste an mir vollenden."
Nach dem ganzen Zusammenhang ist
klar: Agnes hofft auf Gift — aber aucli
wenn ihr der geliebte Feind was immer
sonst reiche, sie wird, wünsch- und
willenlos, es trinken. Eine wesentliche,
im Zusammenhang unorganische Ab-
schwächung bedeutet dem gegenüber
die Lesart des Druckes:
„Er bringe Wasser, bringe
Mir Gift, gleichviel' 4 —
eine Wendung, die von der Hoffnung
auf Wasser ausgeht und nur in zweiter
Linie mit der Möglickheit des Giftes
rechnet.
Eine Verderbnis des Sinnes liegt
nicht minder V. 2416 vor. Um die
bangende Geliebte zu beruhigen, flüstert
ihr Ottokar zu:
„Du weisst ja, Alles ist gelöst, das
ganze Geheimnis klar, dein Vater ist
schuldig."
Es ist eigentlich widersinnig, wenn Agnes hieran
die Frage knüpft:
„So war' es wahr?"
In Wirklichkeit hat sie nie an der Unschuld
ihres Vaters gezweifelt, auf die man zunächst
ihre Worte beziehen müsste, und auch die
Lösung sonst hat sie erhofft, den Beteuerungen
des Geliebten, dass beiderseits ein unseliger
Irrtum obwalte, hat sie vertraut. Die Fassung:
„So ist es wahr?" steht in der Handschrift
durchstrichen, und dafür ist denn auch treffen-
der gesetzt: „So ist's nun klar?" Ist nun ans
Sonnenlicht gekommen, wovon sie, die lieben-
den Kinder der feindlichen Eltern, bereits zwei
Akte früher (III. Aufzug, I. Scene) überzeugt
sind? Die äusserlich prägnante, inhaltlich be-
CSrtntriJ
Deute Kinder 7 Uerf,
loh inögte lieber not EicbcnpOanaung
"Croff liehen , ab) dein Fr«ulein.
'Sjrl»e»ter.
Wie meinst du dal ' j •
Gärtner.
Dean ««Ii fic <lcr NordoitYrind nur nicht
i£j ' ftüru, i, . J
So tollt' mir mit dein Beile keiner Bahn,
XV i» Junker Philipp'n.
Svlveitcr. ■
■ 4!
Schwelg ! Ich kann daj alberne
Gcichtväti im Haut' nicht leiden.
G ü r t n e r.
Nun , ich pflanz' .,.
.Die Bäume. Aber rfu ihr nicht die Fruchte,
Der Teufel bei' mich , icliick' ich tie nach
Hojitti.
■
(G armer ab; A^ncl verbirgt ihr C«->.
«Jehl an der Brun ihrer Mutter.)
WBkJL Svl-
Aui KJeiit» „Familie Schroffen»tein".
Entsprechende Stelle der Handschrift „Familie Cbonorei" liehe Seite 140.
un-
rechtigte Fassung vollends wieder durch eine
farblosere und schiefe zu ersetzen, war natür-
lich nur einem andern als d cm Dichter niüidich.
Barnabe steht in der realistisch zu einer
„Bauernküche" gewordenen Hexenküche und
rührt den Zauberbrei. Sie spricht dazu „die
drei Wünsche:" „Zuerst dem Vater . . .", „Dann
der Mutter . . .", „Nun für mich:
Freudenvollauf: dass mich ein stattlicher Mann
Ziehe mit Kraft kühn ins hochzeitliche Bett!"
Die Fortsetzung variiert, in der Handschrift
„Blüthe des Leib's: dass mir kein giftiger Duft
Sudle das Blut, Furchen mir ätz' in die Haut.
Fröhlichen Tod: fröhlich im gleitenden Kahn,
Bin ich am Ziel, stosse er sanft an das Land."
Diese antike Vorstellung des Todes könnte im
Munde des Bauernmädchens allenfalls über-
raschen ; immerhin ist es durchweg edel gehalten
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240
Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Rchroffcnstein" von Kleist her?
Aui der Handschrift MM Klein« ..Familie Ghonorer".
Drink der entsprechenden Stelle in der „Familie Sehr offen »lein" tichc Seite
und yiebt auch von der Auferstehung des
Vaters sehr ästhetische Anschauungen kund:
„Leichtes Erstehen: dass er hochjauchzend
das Haupt
Drange durchs Grab, wenn die Posaune ihn ruft.
Ewiyes Glück: dass sich die Pforte ihm weit
Öffne, des Lichts Glanzstrum entgegen ihm
wog'."
Jedenfalls kann kein Zweifel aufkommen, dass
die vier Krsatzvcrse keine Verbesserung, sondern
eine unästhetische Sudelei bieten (V. 2 1 29 ff.) :
„Gnädiger Schmerz: dass sich die liebliche
Frucht
Winde vom Schoos o nicht mit Ach! mir
und Wehr
Wie vid anstössi^er im Munde eines halben
Kindes, das alsbald ausdrücklich seine Jung-
fräulichkeit und Reinheit betont, um von dem
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Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein" von Kleist her?
2 4 I
durch ihren Liebreiz hingerissenen Ottokar die
Bekräftigung zu erfahren:
„Ja, darauf schwör' ich . . .
Du liebe Jungfrau . . ."
Aber nun gar die ärmlich zusammengestoppelten
Schlussvene:
„Weiter mir nichts; bleibt mir ein Wünschen
noch frei,
Gütiger Gott, mache die Mutter gesund."
Ist doch bereits der ganze
zweite Wunsch der Gesund-
heit der Mutter gewidmet, nur
dass ihr dort anschaulicher
und spezialisierter „Heil an
dem Leib" erfleht wird.
„Gütiger Gott, mache die
Mutter gesund!" ein kindisch-
prosaisches Lallen an Stelle
des ursprünglichen plastisch
künstlerischen Abschlusses . . .
Ohne zunächst die Aufzäh-
lung grober Sinnentstellungen
zu erschöpfen, mögen wir
weiterhin nach Prinzipien der
Umarbeitung forschen. Un-
verkennbare Eingriffe fremder
Hand bekunden sich nämlich
ferner in Preisgabe zahlreicher
spezifisch Kleistscher Kon-
struktionen und Wendungen.
Ja, hätte der Dichter sie alle
künftig überhaupt abgestreift,
so vermöchten wir an eine
nachträgliche Korrektur von
seiner eigenen Hand zu glau-
ben. Wo er sie aber sein
Lebelang festgehalten und
man ihnen gleichmässig in
allen seinen späteren Werken
begegnet, kann es sich nicht
um eine authentische Preis-
gabe solcher Eigentümlich-
keiten handeln.
V. 135 f. steht gedruckt:
„Niemals
War eine Wahl mir zwischen
euch und ihnen", während die
Handschrift „zwischen euch
und sie" konstruiert. Ähnlich
verbessert der Druck nach
V. 512: „Agnes verbirgt ihr
Z. f. B. 98/99-
Gesicht an der Brust ihrer Mutter" aus der
Fassung der Handschrift, wonach Ignez „das
Haupt an die Brust ihrer Mutter verbirgt."
Solche Konstruktion eindringlicher Bewegung
gehörte aber dauernd zu Kleists Spracheigenart
und sie ist echt dramatisch.
Ahnlich lautete die Anweisung zu V. 726
ursprünglich: „Rodrigo fasst sie in seine Anne",
zu V. 1053: „Sie fällt besinnungslos in seine
v
J/ X
03^
£31
1
Aiu der ILancUchrilt von Kleists .. Zcrbrochncm Krug".
31
Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein" von Kleist her?
Arme.' 1 Als Verwischung Kleistscher Kraft des
Ausdrucks haben wir es anzusehen, wenn die
gedruckte Fassung die Lesarten bietet: „Ottokar
fasst ihre Hand" bezw. „sie sinkt bewegungslos
zusammen". An letzterer Stelle musstc einer
Natur, die Klcistschen Geistes keinen Hauch
verspürt, doppelt anstössig sein, dass die Ver-
folgte besinnungslos in die Arme des — Ver-
folgers sinkt: das ist eine der nur gerade bei
diesem Dichter begegnenden grossartigen Offen-
barungen eines künstlerischen Realismus, einer
unerschrockenen Wiedergabe naiv menschlicher
Schwäche. Ein Ludwig Wicland konnte der-
gleichen Kühnheit natürlich nur als widersinnig,
als unlogisch ansehen!
Verkennung eines Klcistschen Prinzips müssen
wir schliesslich annehmen, wo das vom Dichter
stark bevorzugte Pronomen nichts durch das
Adverb nicht ersetzt ist.
„Und zückt' er gleich den Dolch? Und
sprach er nichts T
Kannst Du Dich dessen nicht entsinnen
mehr?"
(V. 1083 f.) klingt Kleistischcr und kräftiger
als die gedruckte Fassung: „sprach er nicht f",
die im Minblick auf das nicht des folgenden
Verses eine doppelte Verschlechterung be-
deutet. Ähnlich steht es um V. 21 50 ff., welche
auf die lebensechte Prosadialogform zurück-
gehen:
„Aber nun geh, lieber Herr. Die Mutter
sagt, wenn ein Unreiner zusieht, taugt der
Brei nichts."
Durch ein paar Flickwörter werden daraus die
elenden Verse:
„Aber nun geh fort,
Du lieber Herr! Denn meine Mutter sagt,
Wenn ein Unreiner zusieht, taugt der Brei nicht."
— wobei nicht überdies durch Einzwängung als
überzählige Senkung abermals eine doppelte
Abschwächung darbietet —
Ein durchgehender Zug von Kleists Dialog
ist der realistische Anschluss an die Umgangs-
sprache. Sehen wir nun in zahlreichen Fällen
solche Ausdrücke durch schriftgemässe Wen-
dungen ersetzt, so gewinnen wir abermals
Spuren eines fremden Überarbeiters. Kleist
schreibt: eben, erst, der Druck führt die volleren
littcrarischen Formen: soeben, zuerst ein (vor
V. 1 bezw. V. 2095). Die Handschrift ver-
wendet optativ : mag, mächt' (mögt'), der Druck
korrigiert: möge, mög' (V. 319 und V. 1804).
Desgleichen zählt zu den bekanntesten Be-
rührungen des Dichters mit der Umgangs-
sprache die Verwendung von her und dessen
Zusammensetzungen im Sinne von hin. Es ist
deshalb ausgeschlossen, dass die Korrektur
V. 2316: „ich muss hinaus" für „ich muss
heraus" der Handschrift, von Kleist herrührt.
Auch der Gebrauch des verbum simplex
an Stelle des compositum der Büchersprache ist
von je her an Kleist (wie schon an Klopstock
und Goethe) als eindringliche Sprechweise be-
merkt worden. Kleist wäre der letzte gewesen,
der V. 59 verdränge an Stelle der ursprüng-
lichen Fassung gesetzt hätte:
„und dränge
Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist,
Aus ihrem Herzen."
Noch schlimmer steht es um die schulmeister-
liche Änderung V. 88:
„Geh hin nach Warwand, künd'ge ihm
den Frieden auf",
wo das simplex der I landschrift: „künd'ge ihm
den Frieden" nicht nur Kleistischer und nicht
nur gewandter klingt, sondern auch die Fünf-
zahl der Jamben sorgsamer wahrt.
Nicht nur in solchen kleinen, freilich recht
verräterischen Eigenheiten bekundet sich der
Stil eines Heinrich von Kleist. Zu den charak-
teristischen Äusserungen seiner sprachschöpfe-
rischen Kraft gehört vor allem die bildnerische
Anschaulichkeit der Kleistschen Rede. Nicht
blosser rednerischer Schmuck — eigentliche
Form des Denkens wird ihm in zunehmendem
Mafse die Bildlichkeit, und wie er die Vergleichs-
objekte plastisch erschaut, lässt er seine Hand
von ihnen nicht ab, ehe er ihren bildnerischen
Gehalt in vollem Umfange ausgeschöpft hat.
Doch nicht allen Kleistschen Bildern wurde
das Glück eines Übergangs in den Druck zu
teil. Dass die Fassung des Druckes nicht vom
Dichter selbst überwacht wurde, erhellt schon
aus einem hierher gehörigen Falle, wo an Stelle
eines glänzend durchgeführten Mildes aus Ver-
sehen eine vom Dichter fallen gelassene, über-
aus unvollkommene Lesart in den Text gesetzt
ist. V. 530 ff. steht gedruckt:
„Dem Pöbel, diesem Staarmatz — diesem
Hohlspiegel des Gerüchtes — diesem Käfer
Die Kohle vorzuwerfen, die er spielend
Aufs Dach des Nachbars trägt — "
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WollT, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffcnstem" von Kleist her?
243
während die vom Dichter gewollte Fassung in
scenischer Handkingsfülle kühn ein einheitlich
plastisches Bild entfaltet:
„Dem Volk, diesem Hohlspiegel des
Gerüchts, den Funken vorzuhalten, den
Er einer Fackel gleich zurückwirft." —
Schwerer fallen geflissentliche Verstümme-
lungen aus Unverstand ins Gewicht. Betrachten
wir V. 1455 fr. Ersichtlich ist dem Dichter
hier von seiner besten Eigenart geraubt worden.
Rodrigo-Ottokar erklärt es für unmöglich, den
Sinn seines Vaters zu mildem:
„Er trägt uns, wie die See das leichte Schiff,
Wir müssen tanzen, wie die Wogen wanken,
Sic sind nicht zu beschworen — "
Seine Geliebte spinnt das Bild noch fort durch
den Einwurf:
„Doch zu lenken
Ist noch das Schiff."
„Ich wüsste wohl was Besseres" —
leitet Rodrigo-Ottokar ab. Diese dreifache
Wendung und Auswertung des Bildes ist echt
Kleistisch: nicht als gelegentliches Vergleichs-
objekt liest dieser Dichter irgend ein Ding auf,
er schaut es in vollem plastisch -dramatischem
Wirken. Die See trägt das leichte Schiff —
was besagt das? Die Wogen wanken, und
das Schiff muss tanzen, wie sie es treiben —
allerdings versucht der Steuermann das Schiff
zu lenken — vergebens.
Diese bewegte Ausmalung ist einem tasten-
den Dilettanten zu kühn: er weiss sich genug,
wenn er äusserlich einen Vergleich zustande
bringt. So schiebt er die wankenden Wogen
und das gelenkte Schiff als unnötig bei Seite,
die im Takt der wankenden Wogen des väter-
lichen Ungestüms tanzenden Kinder erscheinen
ihm wohl gar lächerlich — „poetisch" ist ihm
nur die einzige unanschauliche Wendung vom
„Beschwören" der Wogen; für diese poetische
That entschädigt er sich durch die Banali-
sicrung des „Tanzens" in ein „Fortmüssen"! So
setzt er keck:
„Er trägt uns, wie die See das Schiff, wir
müssen
Mit seiner Woge fort, sie ist nicht zu
Beschwören. — Nein, ich wüsste wohl was
Besseres."
Offenbar derselben Unfähigkeit, dem Flug
einer kühnen dichterischen Phantasie zu folgen,
entspringt die radikale Ausmerzung der in der
Handschrift auf V. 2597 folgenden Verse, in
denen der immer milde, gefühlvolle Alonzo-
Sylvester den Verlust der Tochter beklagt:
„Sie gieng gleich einer Frühlingssonne über
Mein winterliches Dasein auf, und gab
Ihm Jugendfarbe wieder und Gestalt.
Aus ihrer Hand empfieng ich nur die Welt,
Die sie zu einem Strausse mir gewunden.
Wer geht mir lächelnd jetzt zur Seite auf
Dem öden Weg in's Grab?"
Welch 1 Dichter selbst, welch' überhaupt
dichterischer Nachempfindung fähige Natur,
würde wagen, uns diesen köstlichen Strauss
blütenreicher Bilder nachträglich zu unter-
schlagen ?
Wiederum bekundet sich die rohe Faust
eines verständnislosen Revisors. Kühn setzt
V. 42 ff. die dichterische Phantasie ein:
„Doch nichts mehr von Natur.
Ein holdcrgötzend Mährchen ists, der Kindheit
Der Menschheit von den Dichtern, ihrer Amme,
Erzählt."
Wiederum stehen wir vor einer Textstelle,
deren Vcrballhornung allein schon für fremde
Provenienz der Überarbeitung beweiskräftig
wäre:
„Ein hold ergötzend Märchen ist's der Kindheit,
Der Menschheit von den Dichtern, ihren
Attttnen,
Erzählt."
Verräterisch bekundet schon die Versetzung des
Kommas, dass der famose Korrektor den Sinn
ganz und gar nicht verstanden, das dichte-
rische Bild ganz und gar nicht geschaut hat.
Durch Einführung des vermeintlich grammatisch
regelrechten Plurals fällt er vollends vom Er-
habenen ins Lächerliche. Jeden Einzcldichter
sich als Amme eines einzelnen Menschen vor-
zustellen, hat etwas überwältigend Komisches.
Gross und poetisch gedacht ist aber die kollek-
tive Zusammenfassung der Dichter zur einheit-
lichen, märchenkundigen Amme der einheitlichen
Kindheit der Menschheit.
Aus ähnlicher grammatischen Pedanterie
entspringt, freilich ohne grösseren Schaden an-
zurichten, die Ergänzung zu V. 1063.
„O meine Tochter,
Mein Einziges, mein Letztes — "
schreit die Franziska des Dichters entsetzt auf,
als sie ihre Tochter ermordet wähnt Die
Gertrude des Druckers ist gesetzter, auch in
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244
Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffeiutein" von Kleist her?
der Verzweiflung entsinnt sie sich, dass ihre
Tochter ein Femininum, kein Neutrum ist! Um
also die in den Vers passende neutrale Form
zu ermöglichen, stellt sie uns die Tochter aus-
drücklich als ihr Kind vor und ruft:
„O meine Tochter,
Mein einzig Kind, mein letztes!"
Und die Ehre der Schulgrammatik ist gerettet.
Zu prosaisch müssen dem für die Sprache
des Lebens tauben Büchermenschen eine Reihe
legerer Wendungen geklungen haben.
„Ich will im Voraus jede Kränkung Dir
Vergeben, wenn Du es nur edel thust';
es, d. i. das Kränken, also: wenn die Kränkung
nur aus edler Gesinnung entspringt. Nicht
klar erfasst diesen Sinn die gedruckte Umschrift
(V. 815 f.)=
„Ich will im Voraus jede Kränkung Dir
Vergeben, wenn sie sich nur edel zeigt."
Aus dem Natürlichen ins Steife ist V. 1029
versetzt.
„Um GoUeswMen folge meinem Rathe — "
bricht die um das Leben ihres Mannes bangende
Gräfin aus. Immer würdig, denkt der Korrektor
und „verbessert":
„0 mein Gemahl, o folge meinem Rathe — "
Stürmische Kraft und Prägnanz bekundet
sich in Kleists Stil häufig durch verbalen Ge-
brauch der Adverbien unter Auslassung des
Verbs, wie schon bei Goethe: „Rodrigo (lebhaft
auf und nieder)", „(Barnabe in den Hinter-
grund)", „Rodrigo (in Gedanken)" — pedantisch
ergänzt hier der nüchterne Korrektor: „lebhaft
auf- und niedergehend" (vor V. 2175), „Barnabe
geht in den Hintergrund" (nach V. 2432),
„Ottokar steht in Gedanken" (zu V. 241 1).
In derselben Richtung bewegt sich der ab-
solute Gebrauch des Verbs: „da dieser folgen
will"; „ihm folgen will" — ergänzt (zu V. 2282),
wer keine höheren Sprachgesetze als die der
Grammatik kennt.
Grosse Ausdehnung gewinnt in der Sprache
unseres Dichters der Gebrauch des Dativs an
Stelle der Präposition. Auch dieses Kraft-
mittel ist im Druck verkannt. Kleist schrieb:
„Ach, doch ein Engel
Schien sie, als sie verhüllt mir wiederkehrte: 1
Für ein Schulexerzitium passt allerdings
besser die gedruckte Fassung:
„als sie verhüllt nun su mir trat."
Ebenso wenig Verständnis besitzt der Nach-
besserer für Kleists Metonymie. V. 725 f.
liess der Dichter seine Ignez-Agnes bei Über-
reichung des Kranzes sprechen:
„Sprich: er gefällt mir; so ist er
Beloltnt."
Gewiss, eine nüchterne Natur hätte „bezahlt 11
geschrieben — so setzt denn auch der un-
berufene Korrektor ein.
Bekannt ist Kleists Neigung zur Antithese.
Auch dies scharf dialektische Mittel gilt dem
Überarbeiter nichts oder doch geringer als die
für sein Ohr regelrechte Durchführung des
Jambus. Dem V. 57 ff. liegt folgender Ausbruch
Raimond-Rupcrts zu Grunde:
„Und weil doch Alles sich gewandelt,
Menschen
Mit Thieren die Natur gewechselt, wechsle
Denn auch das Weib die ihrige und dränge
Das Kleinod Liehe, das nicht üblich ist,
Aus ihrem Herzen, um die Folie, Hass,
Der üblich ist, hineinzusetzen."
Man weiss nicht recht, was dem auf Revision
ausgehenden naseweisen Gesellen hier anstössig
sein könnte. Im allgemeinen leitet ihn offenbar
das Bestreben, von der leichtsinnigen Erlaubnis
Kleists zur formellen Überarbeitung umfassenden
Gebrauch zu machen und möglichst weit sein
eignes Licht leuchten zu lassen. Im besondern
muss ihn hier die Kleistschc Aussprache Foljc
als zweisilbig gestört haben. So stumpft er,
immer unbekümmert um den Inhalt, die Pointe
ab und stutzt die kräftige Wendung auf den
kahlen Schluss zusammen:
um die Folie,
Den Hass, hineinzusetzen."
Einen klaffenden Abstand empfindet der
Stilkundige zwischen den Fassungen von V.
2533. Rupert, der soeben Agnes ermordet zu
haben glaubt, fragt sich nach der jähen That
halb in Reue, halb in Geistesverwirrung —
seine wilde Hand hat seinen Gedanken vor-
gegriffen — :
„Warum denn that ich'sr"
»•Ei,
Es ist ja Agnes — "
antwortet sein getreuer Santing. Drauf Rupert:
„Agnes, ja, ganz recht,
Die that mir Böses, mir viel Böses, o,
Ich weiss es Wold. Was war es schon?"
Nicht das Mädchen selbst habe ihm Böses ge-
than, erinnert Santing, indes:
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Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffetutein" von Klei»t her?
245
„Das Mädchen ist Sylvesters Tochter."
Und nun schliesst Rupert in der Druckfassung:
»So,
Sylvesters — Ja, Sylvesters, der mir Pctern
Ermordet hat" —
während die Handschrift statt der Wieder-
holung des Namens die Wendung bietet:
„Ja, nun weiss ich's" . . .
„Nun weiss ich's", „ich weiss nun schon" unddcrgl.
gehört aber zu Kleists andauernden Lieblings-
wendungen, man vergleiche im „Zerbrochncn
Krug" V. 56, V. 250 u. s. w., im „Prinzen von
Hamburg" V. 1 17 u. a. Im Gegensatz zu dieser
realistischen Äusserung giebt die Wiederholung
des Namens dem Stil etwas Formelles, Rhe-
torisches, das Kleist fernlag. Gar aus der
lebensvollen Wendung in die steifere geändert
hätte er um so weniger, als der Zusammen-
hang notgedrungen das scharf betonte Zuge-
ständnis fordert, dass er nun sich der Ursache
seiner finstern That entsinne, was der flüchtige,
gedankenlose Uberarbeiter abermals nicht ver-
standen und deshalb verwischt hat —
Dem Genie sind immer naturalia non turpia.
Eine weitere Gruppe von Änderungen entspringt
dem ängstlichen Streben, naive Naturäusse-
rungen durch harmlosere Wendungen abzu-
schwächen. Raimonds Empörung versteigt
sich zu der Anklage:
„Ja sieh, die letzte Menschenregung für
Das Wesen in der Windel ist erloschen."
Wohlanständiger spricht sein Ebenbild Rupert
im Druck V. 52 vom „Wesen in der Wiege." —
Dass die Mutter ihr Kind, da sie es zu ver-
lieren fürchtet, „mit Heftigkeit an sich drückt; 1
ist dem Nachbesserer zu stark: seine Gräfin
„umarmt" ihre Tochter nur „mit Heftigkeit"
(nach V. 548). — Für die Ermordung der
Heldin giebt die Handschrift folgende An-
weisung:
„Er ersticht Ignez, die fällt mit einem Schrei."
Der Druck setzt statt dessen in den Text
(V. 2572) ein milderes: „Ach!" — Beunruhigung
musste dem Korrektor vor allem die äussere
Veranschaulichung der von Ottokar zur Rettung
der Geliebten vorgegaukelten Brautnachtphan-
tasic bereiten. Dass Agnes nach Kleists
Bühnenanweisung in „einem Uberkleide 1 ' er-
scheint, „das vorn mit Schleifen zugebunden
ist," und dass sich ihr Bräutigam „an dem Kleide
beschäftigt" zeigt, schien ihr nicht genügenden
Schutz für den Augenblick zu gewähren, bevor
ihr Ottokar seinen Mantel umhängt. So lässt
der Bearbeiter sie „in zwei Kleidern" auftreten
und Ottokar ausdrücklich „an dem Überkleide
beschäftigt" sein (vor V. 2373 und zu v - 2 4 8 9)-
Zu den Verstümmelungen zählt ferner die
Streichung einer Fülle echt Kleistscher Ab-
schnitte, die nur eine dem Dichter fremde
Natur ab unorganisch und überflüssig em-
pfinden konnte.
„Ist er sich sein bewusst?"
befragt Alonzo-Sylvester (V. 1123) den Diener
über den verwundeten und gefangenen Johann.
„Er klagt über Bcwusstlosigkeit" —
antwortet der Diener, worauf jener wiederum:
„Er klagt, er sei sich seiner nicht bewusst?
So ist er's, merk' ich, sehr."
Für diese feine Antithese hat ein Ludwig
Wieland kein Verständnis; auf die erste Frage
des Grafen lässt er sofort erwidern:
„Herr, es wird keiner klug
Aus ihm."
Ähnlich steht es um die zwischen V. Ii 83
und V. 11 84 fallende Textverkürzung. Auf
Sylvesters Frage:
„Betrug? Wie wär das möglich?"
erläutert der neutrale Vetter wiederum anti-
thetisch:
„Nun,
Du magst das Irren schelten, wie du willst,
So ist's doch oft der cinzgc Weg zur
Wahrheit.
. . . Und wenn die Wirkung sich im Felde
Des Fast-Unglaublichen befindet, kann
Und darf man wohl die Mittel dort auch
suchen."
Der Druck stumpft Kleists dialektische Klinge
ab, indem er sofort auf die Eingangsfrage nach
der Möglichkeit die nüchtern thatsächliche Aus-
führung folgen lässt:
„Ei, möglich wär' es wohl . . ."
Die Darlegung dieser List entlockt un-
mittelbar darauf (V. 1195) dem Grafen das
Zugeständnis:
„Fein
Ersonnen wär es wenigstens — Doch nein?
Du sagtest ja . . ."
Solch Eingehen auf den Gedankengang des
Vetters erfordert nicht nur der Sinn; auch
formell gehört die Selbstkorrcktur der Redenden
zu jenen dramatisch- dialogischen Mitteln, die
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246
Wolff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein" von Kleist her?
Kleist mit Lessing gemein hat Statt dessen
lässt der Druck sogleich rein äusserlich den
Widerspruch folgen:
„— Aber
Du sagtest ja . . ."
Der Zusammenhang erfordert eine Stelle,
die der Überarbeiter achtlos glaubte preisgeben
zu dürfen. V. 2218 schickt der Meld Barnabc
zu Agnes mit der Weisung, dieser die bevor-
stehende Lösung des Konfliktes infolge Auf-
findung des Fingers anzukündigen:
„Ihr kannst
Du Alles sagen, auch vom Finger ihr
Erzählen, sie verrät Dich nicht, wie ich"
sc. Dich nicht verrate. Der Druck unterschlägt
diesen stilistisch allerdings nicht glücklichen
Hinweis und lässt doch V. 2414 Ottokar voraus-
setzen:
„Du weisst ja, alles ist gelöst, das ganze
Geheimnis klar, dein Vater ist unschuldig."
Eine echt Kleistsche Kühnheit fiel ferner
V. 2537 der Verwässerung anheim. Rupert
zieht sein Schwert aus der Leiche:
„Rechtmässig war's — (Er sticht es noch
einmal in die Leiche.)
Und das ist auch rechtmässig.
Gezücht der Otter! (Fr stösst die Leiche mit
dem Fussc.)"
Der Druck weiss von des Bluttrunkenen Raserei
nur den Fusstritt zu melden, wodurch zugleich
die Pointe des Dialogs geopfert wird:
„Rechtmässig wars, —
Gezücht der Otter!"
Verräterisch zeigt die Abteilung des Verses
auf zwei Zeilen noch die Lücke an.
Verstümmelt wird die unmittelbare Ge-
dankcnfolge V. 23 59 durch Übergehung eines
wichtigen, auch psychologisch wertvollen
Zwischengliedes. Ottokar erfährt, dass sein Vater
ihn nur gefangen gesetzt hat, um ungestört
Agnes ermorden zu können. Mit Kleists gross-
artigem Lakonismus ruft Ottokar darauf nur den
Namen des Ritters, der den Kerker bewacht.
„Höre
Mich an, er darf Dich nicht befrein, sein Haupt
Steht darauf — "
wirft seine Mutter ein. Der Held aber:
„Kr oder ich — Vetorin! (Fr besinnt sich)
JVcin, er hat
Ein Weib (Er sieht sich um). So helfe mir
die Mutter Gottes!"
Die Überarbeitung lässt völlig unklar, welcher
Gedanke Ottokar zur Sinnesändernng veranlasst:
„Er oder ich. — Fintenring! (Er sieht sich
um.) Nun,
So helfe mir die Mutter Gottes dennr
Wieder einmal störte den Korrektor ein Sechs-
füssler, und ohne Bedenken opfert er einen
ebenso notwendigen wie feinen Zug des In-
halts — nur ein paar nichtssagende Flickwörter
deuten für den Kundigen an, dass auch diese
bedeutsame Stelle zur Ruine geworden ist
Unfähigkeit zum Verständnis der eindrucks-
vollen Metonymie scheint die Ursache noch einer
weiteren Ausmerzung. Als Ottokars Mutter
um freie Bahn zu ihres Sohnes Leiche fleht,
gesteht ihr (V. 2626) der feindliche Vetter zu:
„Der Schmerz ist heilig, und es rührt kein
Feind
Ihn an. Tritt frei zu Deinem Sohn! Macht
l'latz!"
Nur ein Stümper kann diese echteste Poesie
also zu magerer Ärmlichkeit beschneiden:
„Der Schmerz ist frey. Geh hin zu Deinem
Sohn." —
Doch auch in Zusätzen gefällt sich Kleists
unwürdiger Korrektor. Wiederholt sind Bühnen-
anweisungen eingefügt oder erweitert. Schlimmer
steht es um die Eingriffe in den Text selbst:
auf irgend eine Weise entgleist das Unvermögen
immer, wo es sich neben das Genie zu stellen
wagt. So waren V. 481 f. vom metrischen
Standpunkt gewiss anfechtbar, wo als Symptom
der Vergiftung angefügt wird:
„Und nun, die ungewöhnliche Umwandlung,
Die plötzliche, des Leichnames in Fäulniss —
Doch still. Der Vater kommt. Er hat mir's
streng
Verboten von dem Gegenstand zu reden."
Der Druck setzt ein:
„Und nun die bösen Flecken noch am Leibe,
Der schnelle Übergang in Fäulniss — "
ergänzt dann aber den unvollständigen Vers
durch Still!, obgleich Doch still! im folgenden
Verse beibehalten ist — eine offenbare Ge-
dankenlosigkeit.
V. 1451 vermisste thörichter Spürsinn eine
Rückäusscrung auf Agnes' erschreckte Be-
merkung:
„Es muss ein böser Mensch doch sein, Dein
Vater."
Der Dichter hält Ottokars Gedanken noch bei
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Wölfl, Inwieweit rührt „Die Familie SchroffemUein" von Klei*t her?
247
der Antonio-Jeronimus drohenden Gefahr fest.
Das sorgenvolle Zwiegespräch der ratlosen
Liebenden hierüber lasst der Druck fort, um
jene rhetorische Frage der Agnes durch Otto-
kars blödes Zugeständnis zu beantworten:
„Auf Augenblicke, ja. — "
Als Ottokars Mutter, die ihren erschlagenen
Sohn sucht, auf Agnes' Leiche stösst, schreit
sie auf:
Jesus! Deine Tochter auch?"
Handschrift;
kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben des
einen Stammes das sämmlliche Besitztum desselben
an den andern Stamm fallen sollte.
Der Überarbeiter lässt sie theatralisch hinzu-
setzen :
„Sie sind vermählt" —
wie er auch bald darauf das Erscheinen
der Ursula ins Theatralisch -Gespenstische
schiebt.
Das rein äusserliche Verfahren bei Um-
schrift der ursprünglichen I'rosastellen in Vers-
form erhellt allerorten. Z. B. berühren V. 180 fi".
den Erbvertrag:
Druck.
Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben
Des einen Stamms der gänzliche Besitztum
Desselben an den andern fallen sollte.
Unmöglich konnte ein Verskünstler von der
Gewandtheit Kleists meinen, diesen geflissent-
lichen Prosastil durch mechanische Verteilung
auf zehn- oder elfsilbige Verszeilen in poetische
Form umgegossen zu haben. Dass dabei nach
„dem gänzlichen Aussterben" sich noch „das
sämmtliche Besitztum" in „der gänzliche Besitz-
tum" wandeln muss, ist eine zwiefache Ver-
unstaltung obendrein.
Es kommt bald noch schlimmer:
Handschrift:
Kirchendiener.
Als unser jetziger Herr die Regierung über-
nehmen sollte, ward er plötzlich krank. Zwei Tage
lang lag er in der Ohnmacht, man hielt ihn für todt,
und der Graf Alonzo, als Eibe, machte bereits An
stalten die Hinterlassenschaft in Iicsitz zu nehmen,
als unser Herr wieder erwachte.
Antonio.
Sprich deutlich. Welche Anstalt traf er?
KircJtendiener.
Ei nun, er liess Kisten und Kasten versiegeln,
vcrschlicsscn, bewachen —
Antonio.
Nun?
Ä trchcHtiicPtcr.
Nun, das that er. Weiter nichts.
Antonio.
Fahre fort.
Kirchendiener.
Ich fahre fort. Die Todesnachricht hätte in Gossa Nun hiitf
keine so grosse 'Trauer erwecken können, als die Der Tod in Warwand keine grossre Trauer
Nachricht, dass unser Herr am Leben sei Erwecken können, als die böse Nachricht.
Druck V. iSjff. -.
Kirchenvogt.
Als unser jetz'gcr Herr
An die Regierung treten sollte, ward
Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang
In Ohnmacht; alles hielt ihn schon für todt,
Und Graf Sylvester griff als Erbe schon
Zur Hinterlassenschaft, als wiederum
Der gute Herr lebendig ward.
Dass die Prosafassung „die Regierung über-
nehmen" der Versform „an die Regierung
treten" vorzuziehen ist und ebenso „machte
bereits Anstalten die Hinterlassenschaft in
Besitz zu nehmen" der verifizierten Verkürzung
„griff zur Hinterlassenschaft" — sei nur nebenbei
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248
Wotff, Inwieweit rührt „Die Familie Schroffenstein« yon Kleist her?
erwähnt. Bedenklicher steht es um den Schluss
dieser Periode, dessen vage Kürze mehr von
Unbeholfenheit als von Präzision zeugt. Was
aber hier wie fortgesetzt am unorganischsten
berührt, ist das besonders in umfangreichen
Streichungen evidente, doch auch sonst in
leisen Modelungen unverkennbare Streben nach
Gedrungenheit, während der Dichter gerade
den Kirchendiener in behäbigem Realismus
als treuherzig geschwätzigen Alten charakteri-
sieren will: diese Färbung wird vorwiegend
verwischt
Entgleisungen dieser Sucht, möglichst viel
in einen Vers zusammenzupferchen, begegnen
immer wieder. Den V. 207 f. liegt der Prosa-
satz zu Grunde: „Und fällte vor der Hand den
Handschrift:
Denn wenn's keinen Nordostwind giebt, mit dem
Beile sollte mir keiner heran kommen, wie bei
Junker Philipp.
Abgesehen von dem unbeholfenen Ausklang,
hat diese mechanisch handwerksmässige Vers-
macherci den Sinn in Unsinn verkehrt: „mit
dem Beile sollte mir keiner Iteran kommen" —
an die Eichenpflanzung natürlich; m/r ist Kleists
viel beliebter dativus ethicus, dagegen legt mir
in: „sollt' mir mit dem Beile keiner nahn" schon
an sich die Deutung als Dativ der Beziehung
nahe und wird durch die Parallelisierung: „wie
Junker Philipp'n" ausdrücklich zu dieser Funktion
erhoben.
In nicht geringerem Grade trägt die Veri-
fizierung der nächsten Rede des Gärtners (V. 510
ff.) den Stempel schülerhafter Unbeholfenheit.
„Nun, ich pflanz'
Die Bäume. Aber, esst ihr nicht die Früchte,
Der Teufel hol' mich, schick' ich sie nach
Rossitz!"
Jeder in die Entstehung Uneingeweihte muss
dies als eine Drohung des Gärtners gegen
seinen Herrn auslegen, die Früchte, die dieser
nicht esse, dem Feinde nach Rossitz zu schicken.
Hat doch selbst der einzige Herausgeber, der
die Handschrift kennt, Theophil Zolling, noch
ausdrücklich die Interpunktion also zu ver-
bessern gemeint:
„Aber, esst ihr nicht die Fruchte —
Einen, den jüngsten, von neun Jahren, der
hier im Sarge liegt"; die gedruckte Versform
lautet:
„Und fällte vor der Hand den einen hier,
Den jüngsten von neun Jahren, der im Sarg."
Wird schon der Hinweis hier durch Vorweg-
nahme zum blossen Flickwort abgeschwächt,
so gestaltet die fernere Ausmerzung des Prädi-
kats den Relativsatz nicht nur unpoetisch und
nicht nur unbeholfen hart, sondern auch halb
und halb unverständlich.
Erheblich schlimmer noch steht es um
V. 507 ff. Seine vorhergehende Bemerkung:
„Ich möchte lieber eine Eichenpflanzung
Grossziehen, als dein Fräulein" —
begründet der Gärtner also:
Druck:
Denn wenn sie der Nordostwind nur nicht stürzt,
So wollt' mir mit dein Heile keiner nahn,
Wie Junker Philipp'n.
Der Teufel hol' mich — schick' ich sie nach
Rossitz!"
Und doch schlägt dieser Sinn den gesamten,
von feindlichem Misstrauen gegen Rossitz er-
füllten Äusserungen des Gärtners ins Gesicht.
Was gemeint ist, ersehen wir erst aus der
Handschrift:
„Nun, ich pflanze die Bäume, Herr; aber
könnt Ihr die Früchte nicht essen, der Teufel
soll mich holen, wenn ich nicht lieber die
Bäume umhaue, ehe ich einen Apfel nach
Ciella schicke."
Erst jetzt ahnen wir: schick ich in V. 512 soll
wohl nicht als Hauptsatz gemeint sein, viel-
mehr als Konditionalsatz abhängig von: der
Teufel hol mich. Abgesehen von der Unver-
ständltchkeit wird aber dieser Satzbau hier
um so unbeholfener, als schon der Vordersatz:
esst ihr nicht konjunktionslos konditional ge-
braucht ist.
V. 2 166 ff. betont Barnabc gegen Ottokar
in der Versform des Druckes:
„Nein, sieh, ich plaudre nicht.
Ich muss die Wünsche sprechen, lass mich
sein,
Sonst schilt die Mutter, und der Brei ver-
dirbt."
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Hagen, Zur kunstgeschichtlichen Utteratur.
249
Mit Staunen hört man diese Behauptungen:
hat denn Barnabe nicht soeben bereits seiten-
lang mit Ottokar geplaudert? In der Hand-
schrift steht denn auch zu lesen: „Nein, nun
plaudre ich nicht mehr" Und kann wirklich
das Verderben des Breies in ein konsekutives
Verhältnis auch nur in zeitliche Folge oder
selbst in Gleichstellung zum Schelten der Mutter
treten? Ist nicht vielmehr das Schelten der
Mutter erst eine Folge vom Verderben des
Breies? Kleist schrieb denn auch: „sonst ver-
dirbt der Brei, und die Mutter schilt." Beide
Umwandlungen können nur von jemand her-
rühren, dem die mechanische Durchfuhrung der
Versform höher steht, als der charakteristische
Sinn — wovon bei Kleist bekanntlich in ver-
wegenster Bedeutung das Gegenteil der Fall
war — , nur von jemand, der den Sinn des
Dichterwortes gar nicht kennt, die Sätze als
Anhäufung von Worten nimmt, um sie beliebig
in das Prokrustesbett seiner handwerksmässigen
Versform zu zwängen.
Nach alledem dürfte der Schluss — so um-
wälzend er wirkt — nichts Schreckhaftes mehr
haben: nur die — auf der Königlichen Biblio-
thek zu Berlin aufbewahrte — Handschrift,
nicht der in allen Ausgaben gebotene Druck
der „Familie Schroffenstein" ist als Eigentum
Kleists anzuerkennen, und jene allein darf als
Grundlage für fernere Editionen dienen.
2b
Zur kunstgeschichtlichen Litteratur.
Von
Dr. Johannes Hagen in Berlin.
n Laufe der letzten Jahre erschienen im
Verlage von Georg Siemens in Berlin W.
Xollcndorfstr. 42, drei kunstgeschicht-
liche Werke, die den Bücherfreund be-
sonders nahe angehen, da sie sich mehr
oder weniger mit den Vorläufern der
I'.uchillustration, den Miniaturen und den
Ornamenten befassen.
„Stilfragen. Grundlegungen zu einer
Geschichte der Ornamentik" (brochiert
M. 12, Halbfranz M. 14) nennt sich das
Werk von Alois Riegl, das in übersicht-
licher Gruppierung in vier Abteilungen
— geometrischer Stil, Wappenstil,
Pflanzenornament und seine Entwicklung
und Arabesken — durch das Wirrsal
■ 1er Zierstriche aller Zeiten fuhrt. Den
besten Überblick über die uns als älte-
ste Kunstversuche bekannten Knochen-
schnitzereien der halbkanibalischen Troglodyten
Aquitaniens geniesst man im Musee des antiquites
nationales zu St Germain en I-aye. Von rein-
plastischer Nachbildung gelangte man Uber das
Relief zur Umrisslinie, und damit wurde der Grund
zur Zeichnung Uberhaupt gelegt Es giebt keinen
geometrischen Urstil, wie vielfach angenommen wird,
sondern die Stilisierungen von Mensch und Tier
sind wohlbewusste Umsetzungen in das lineare
Schema geworden. Als die erste Pflanze, der Lotus,
bei den Alten in die Kunst aufgenommen wurde,
Z. t B. 98,99-
geometrisierte man sie der bequemen Verwendung
wegen.
Das Prinzip des Wappenstils, die absolute
symmetrische Winderkehr von ornamentalen Tieren,
spielte in der späten Antike eine grosse Rolle,
doch will Riegl ihn ebensowenig, wie den geome-
Altcgyptiachc Iancnxnus(erun£
mit Spiralen und zwicke] füll enden» Lotus.
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f
250
Hagen, Zur kunstgeschichtlichen I.itteratur.
trischen von der Textiltechnik abgeleitet wissen,
sondern sucht sehr scharfsinnig zu beweisen, dass
das rein künstlerische Schmuckbedürfnis stets der
Bekleidung vorangegangen war, wie auch noch
heute wilde Stämme sich tättowieren, ohne be-
kleidet zu sein.
Von grundlegender Bedeutung für die Pflanzen-
omamentik ist Alt-Egypten gewesen. Freilich hat
sich an viele der Pflanzen, deren Abbild wir finden,
keine ornamentale Fortbildung geknüpft, wahrschein-
lich, weil ihnen keinerlei symbolische Bedeutung
beigelegt wurde. Die ältesten und gebräuchlich-
sten BiUten waren die des Lotus, der sowohl mit
dreieckigen Blättern, als auch in Glockenform auf
allen Denkmälern zu finden war und zwar in allen
drei Projektionen. Die Assyrer Ubernahmen die
Zierfelder der Egypter und fügten zierliche Rahmen
mit künstlerisch befriedigender Ecklösung hinzu,
wie sie den Egyptern noch fremd war, sowohl
rund herum als auch zwischen die einzelnen Streifen;
ihr Hauptkennzeichen ist die Verwendung des
Flechtbandes und der Rosette, die sich von der
früheren egyptischen streng unterscheidet Den
Griechen war es vorbehalten, die Scheidung zwi-
schen stofflichem Grund und schmückendem Orna-
ment bewusst durchzuführen; ihre bedeutungsvollste
Aul dem Pulten um au r cum AusiUj lies Heeres.
Gemalte Vertierung vua einer rha lm hen Vaie.
Errungenschaft ist jedoch die Verwendung der
rhythmisch bewegten Pflanzenranke. Die Mykener
waren es, die zuerst die geometrische Spirale der
Egypter in das Vegetabilische übertrugen. Der
moderne Mensch betrachtet bewundernd die Ab-
bildungen von Deckenmustem jener Zeit, die Herr
Riegl seinem Buche beigegeben hat, und ist dieser
Mensch auch noch Bibliophile, dann meint er in
diesen griechisch-egyptischen, edel geschwungenen
Linien das schönste Vorsatzpapier der Welt ge-
funden zu haben.
Ach, man ist ja der
marmorierten, streu-
blütigen und gold-
wappigen Papiere so
müde! Wollten doch
unsere Künstler ein
wenig aus der fer-
neren Vergangenheit
schöpfen, statt Roko-
ko, Renaissance und
Fin-de-siecle zu Tode
zu hetzen! Gerade
dieser Motive wegen
nannte ich das Buch:
für Bücherfreunde in-
teressant! —
Nachdem Riegl
noch das Pflanzen-
ornament in Hellas
und Rom nach Er-
scheinen des Akan-
thusblattes beleuchtet
hat, geht er zur Ara-
beske, dem Pflanzen-
ornament der sarace-
nischen Kunst, Uber.
Hier sind die Abbil-
dungen teilweise be-
reits HandschrifUn
entnommen, so z. B.
die Randleiste einer
M i n iatur -Handschrift,
die laut inschriftlicher
Datierung 1411 am
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Hagen, Zar knnstgeschichtlichen Littentur. 25 1
Hofe eines Mameluckensultans vollendet worden ist.
Die Arabeske findet sich zunächst in allen Ländern,
die sich der Islam unterworfen hat; heute herrschen
ihre ornamentalen Wunderleistungen auf dem Ge-
biete der stilisierten Zierfelder neben den natura-
listischen Vorwürfen — ja, sie Uberwiegen die
letzteren.
Die Beschränktheit des Raumes ermöglicht es
nicht, den Ausführungen Riegls in allen Teilen zu
folgen. Dass das Werk nach seinem Erscheinen
Aufsehen erregt hat, ist begreiflich, denn es räumt
gründlich mit den alten Hypothesen auf, die sich
lange genug in der Kunstforschung erhalten haben,
obwohl die Sempersche Lehre von der Entstehung
der ältesten Zierformen aus der
ältesten Technik so zahlreiche
Angriffspunkte bot, dass man
nicht recht versteht, wie sich
aus ihr eine formliche Schule
bilden konnte. Gerade die
Untersuchu ngen Ri egls ü ber die
frühesten plastischen Versuche
und ihr Verhältnis zur Flächen-
ornamentik sind mit so viel
Scharfsinn und so grosser lo-
gischer Feinheit geführt, dass
man sich der Eindringlichkeit
ihrer Beweiskraft gar nicht ent-
ziehen kann. Was er über den
Schmucktrieb der Naturvölker
sagt, dem die ersten Zierformen
ihr Entstehen verdanken, ist
unstreitig richtig. Wer die vor
kurzem eröffnete Ausstellung
ethnographischer Gegenstände
im Berliner Museum für Völker-
kunde besucht hat, — Reise-
erinnerungen, die Dr. Schoeller
von seinen afrikanischen Ex-
peditionen heimgebracht- dem
wird es aufgefallen sein, wie viel-
seitig die Formen des Schmucks
selbst bei Völkerschaften sind,
die auf einer verhältnismässig
niedrigen Kulturstufe stehen.
Allerdings sind die meisten
dieser afrikanischen Völker mit
der Technik der Flechterei be-
reits vertraut geworden, aber
die eigentümlichen Lineamente
auf ihren Schmuckstücken zei-
gen doch, dass ihre primitive
Kunst dem Handwerk voran-
ging und dass jene erst später
eine Anwendung auf die Tech-
nik fand. Sempers Stilwerk,
das seiner Zeit eine neue
Epoche in der Kunstforschung
zu eröffnen schien, wird durch
Riegl selbstverständlich nicht
völlig über den Haufen ge-
worfen, wohl aber in vielen Teilen richtig gestellt
und ergänzt; zur Geschichte der Ornamentik bildet
Riegls Buch jedenfalls den wertvollsten Beitrag
jüngerer Zeit, auf den auch die weitere Forschung
wird immer wieder zurückgreifen müssen.
Von der Kunst des Orients wenden wir uns dem
Beginn der Malereientwicklung des Abendlandes
zu, die das zweite hier zu besprechende Werk des
Siemensschen Verlages behandelt: F. F. Leitschuhs
„Geschichte der Karolingischen Malerei, ihr Bilder-
Chriitusfigur au» dem Godeicalc-Evangilar.
Digitized by Google
252
Hagen, Zur kunstgeschichtüchcn^Litteratur.
Initial O au* dem Urogo-Sakramcnt: Die drei Frauen am Grabe.
kreis und seine Quellen" (broch. M. 12, Halbfranz
M. 13,50).
Wieder müssen wir uns darauf beschränken,
aus dem reichen Material an Wandgemälden und
Miniaturen unser Interesse im wesentlichen auf
letztere, die „Buchschmückenden", zu konzentrieren.
Die sogenannten Libri Carolin i verdanken ihre
Existenz einem rein politischen Grunde: einem
Streite zwischen Karl dem Grossen und dem
byzantinischen Reich, dessen Synode der Welt
Gesetze, wie das der Bilderverelurung diktieren
wollte. Die karolingischen Bücher sollten im
Dienste der Aufklärung wirken, sollten besagen,
dass die Kunst nur Nachahmung sei und dass nicht
die Werke von Menschenhand, sondern nur in ihnen
die Darstellung heiliger Vorkommnisse verehrt
werden dürfte.
Das Ideal des grossen Kaisers war die Ver-
schmelzung germanischen Wesens mit römischer
Kunst, und so ist die karolingische Kunst auch
stark von der antiken beeinflusst worden; am deut-
lichsten ist dies in der Pflanzenornamentik zu er-
kennen, in der neben dem Akanthus auch häufig
Weinlaub und Epheu verwendet werden, doch ohne
Festhalten an den natürlichen Formen des Laub-
werks. Die karolingischen Bücher wenden sich
zwar gegen allerhand Symbolisierungen, aber wir
finden dennoch zahlreiche, der heidnischen Well
endehnte Mond-,
Sonnen- und Fluss-
götter u. dergL m.
Namentlich die St.
Paul-Bibel bietet in
einer Reihe alt-
testamentarischer
Scenen derartige
Personifikationen-
Karl der Grosse
berief bekanntlich
irische und angel-
sächsische Schrei-
ber an seine Schu-
len, und so gewann
auch deren Kunst-
stil Einfluss. Echt
irische Spiralen
zeigt z. B. der Co-
dex aureus in Mün-
chen und das Psal-
terium Folchards.
Besonders in der
Schule von Rheims
herrschtedas angel-
sächsisch - irische
Element vor.
Die älteste in
Betracht kommen-
de karolingische
Handschrift ist das
Godescalc - Evan-
geliar. Es wurde
auf Befehl des Kaisers und seiner Gattin Hilde-
gard 781 — 783 geschrieben, befand sich früher
im Louvre und bildet jetzt eine Perle der Bi-
bliotheque nationale in Paris. Die vortrefflich
erhaltene Handschrift besteht aus purpurroten
Pergamentblättern, der Text ist in Gold, die
Aus dem A Ibanip i alter i
69. Ver. ».
uiqi
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Hagen, Zur kunstgeschichtlichen Littcratur.
253
Am «lern Codex aureus: Karl der Kahle.
Überschriften sind in Silber ausgeführt. Sechs
Miniaturen gehen dem Texte voran. Karl soll das
schöne Evangeliar der Abtei St. Seruin in
Toulouse geschenkt haben; 1811 ging es
in den Besitz. Napoleons über. Von anderen
Prachthandschriften verdienen vor allem Er-
wähnung: das Evangelarium Karls in der
Wiener Schatzkammer, wohl die künstlerisch
bedeutsamste Schöpfung jener Zeit, in der
Kurrentschrift des IX. Jahrhunderts in Gold
auf Purpurpergament geschrieben, ferner der
Codex aureus von St Maximin in Trier und
das Evangeliar, das in der Kapitelbibliothek
zu Cividale bei Udine aufbewahrt wird und
das wahrscheinlich aus dem Kloster Duino
stammte. Auch die Alkuinbibeln in Bamberg
und Zürich, die Theodulfbibel in Puy, das
aus Soissons stammende karolingische Evan-
geliar in der Pariser Nationalbibliothek, das
Drogusakrament und das Evangeliar Ludwigs
des Frommen gehören hierher.
Der Verfasser geht nunmehr auf jene
Werke über, in denen die angelsächsischen
und iroschottischen Einflüsse sich geltend
machen. Seine Untersuchungen über die
verschiedenen Schulen sind auch für den
Kulturhistoriker außergewöhnlich interessant;
natürlich wäre es irrig, anzunehmen, dass
sich alle karolingischen Handschriften einer
bestimmten Schule zuweisen lassen — der
Codex Millenanus in Kremsmünster und das
Thomasmanuskript in der Trierischen Dom-
bibliothek lassen sich
beispielsweise in ihrer
Eigenart keiner Son-
dergruppe zuerteilen.
Dagegen lässt sich
der Niedergang der
karolingischen Kunst
sowohl in der Male-
ret wie im Feder-
zeichnungsstil, ziem-
lich deuüich ver-
folgen.
Der zweite Haupt-
abschnitt des Werkes
umfasst den Nach-
weis des Bilderkrei-
ses in der Darstel-
lung der karolingi-
schen Epoche. In
verschiedentlichen
Schriften und Ab-
handlungen ausge-
zeichneter Forscher,
wie Lamprecht, Cors-
sen, Janitschek u. x,
sind einzelne, beson-
ders wertvolle Manu-
skripte jener Zeit be-
reits ausführlich ge-
würdigt worden; eine zusammenfassende kritische
Beschreibung der karolingischen Miniaturen hat
Aua dem A I bani p 1 te r: Pialm 17. Veri 7.
254
Hagen, Zur kunstgenchichtlichen Utteratur.
aber Leitschuh als Erster gegeben. Die Über- Zunächst die Christusfigur aus dem Godescalc-
sichtlichkeit der Stoffgruppierung ist der beste Evangeliar, die den Messias in idealer Jünglings-
Beweis dafür, in welcher erstaunlichen Weise der gestalt darstellt. Er sitzt auf einem Throne mit
Verfasser sein Thema beherrscht, und sein Be- buntgemustertem Polster und goldenem Fussschemel,
mühen, bei den Einzelschildeningen niemals das Die Fiisse zeigen die blauen Bänder der Sandalen;
grosse Kulturbild aus den Augen zu lassen, auf die Tunika ist blaugrUn, die Toga dunkelviolett;
dessen Grunde sich die Frühlingspracht karo- der Mantelrand ist mit Goldstreifen besetzt. Archi-
lingischer Kunst entwickelte, sichert seinem Werke tektonische Motive bilden den Hintergrund. Auf
auch ein weit Uber die Grenzen der Fachwelt der grünen Mauer zeichnen sich die Goldlinien der
hinausreichendes Interesse. Quadern ab, vor ihr erhebt sich auf weissem
Einige der zahlreichen Illustrationen, die das Grunde eine Briistungsmauer, über der ein violetter,
Buch schmücken, haben wir hier wiedergegeben, verzierter Streifen mit den Goldbuchstaben IHS. XPS.
Pfeiler der Kiypu in Frctiing.
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Hagen, Zur kunstgeschichtlichcn Litterthir. 255
sichtbar wird. Der grün-
liche Streifen darüber mit
seinen Baumarabesken deu-
tet Landschaftlichen Hinter-
grund an. Zu beiden Seiten
des Throns wachsen rot-
blühende Pflanzen. Das
grosse Initial D entstammt
demEvangeliar des Bischofs
Drogo von Metz, natür-
lichen Sohnes Karls des
Grossen, einem der glän-
zendsten Werke der Metzer
Schreibschule, das 1802 an
die Pariser Nationalbiblio-
thek kam — und das dritte
Bild endlich dem Codex
aureus in München. Es stellt
Karl den Kahlen auf dem
Widmungsblatte dar, in
blauer Tunika und vio-
lettem Mantel, roten gebun-
denen Strumpfhosen und
goldenen Schuhen. Porphyr-
saulen tragen den Balda-
chin; über dem Throne ist
ein Vorhang drapiert, und
Uber diesem ragt eine Hand
aus dunkelblauen Wolken
hervor. Schild und Schwert-
trager flankieren den Thron;
neben ihnen stehen als
weibliche Gestalten die
„Francia" und die „Gotia".
Sehr interessant sind auch
die Bilder zur Geschichte
Davids im Psalterium aureum , von denen wir hier
den Ileeresauszug (S. 250) wiedergeben.
Ertlicher
Im Anschluss an das I^eitschuhsche Buch
möchten wir noch einem dritten Werke aus dem
gleichen Verlage eine kurze Besprechung zu-
kommen lassen: „Der Aibanipsalter in Hildesheim
und seine Besiehung zur symbolischen Kirchcnskulptur
des XII. Jahrhunderts 1 ' 1 von Adolf Goldschmidt
(M. 9.). Über die Psalterillustration des frühen
Mittelalters hat bereits Anton Springer einen vor-
trefflichen Beitrag geliefert, in dem er dem Utrecht-
psalter eine besondere Berücksichtigung zu Teil
werden Hess. Auch Goldschmidt kommt in semer
einleitenden Übersicht über die verschiedenen
Arten der Psalterillustration eingehender auf jenes,
im ersten Drittel des IX. Jahrhunderts entstandene
Werk zurück und charakterisiert es als ein typi-
sches Beispiel für die direkte Übertragung der
Textausdrücke in sinnliche Bilder. Ähnlich ver-
hält es sich mit dem in der Stuttgarter Kgl. Biblio-
thek aufbewahrten Psalter aus dem X. Jahrhundert,
in dem die Person König Davids noch mehr als
Sprechender in den Vordergrund tritt und die
allegorischen Figuren noch reicher und vielfältiger
sind. Goldschmidt teilt nicht die Ansicht Springers,
der in den Zeichnungen zum Utrechtpsalter eine
eigene Erfindung des Abendlandes sah und sie als
Originalbilder betrachtete, sondern führt sie auf
Vorlagen aus älterer Kultur zurück, auf Rom und
Byzanz. Aber diese Art der Psalterillustriening
durch Wortbilder verbreitete sich rasch und fand
namentlich im Norden Frankreichs und in England
eine lebhafte Pflege. Es ist daher nicht verwunder-
lich, dass jene Bilder allmählich auch bei künst-
lerischen Schöpfungen auf anderen Gebieten als
dem der Handschriftenillustration zur Verwendung
kamen, so vor allem in der symbolischen Kirchen-
skulptur. Speziell der Hildesheimer Psalter bietet
in dieser Beziehung ein geeignetes Objekt der Er-
örterung, weil er aus der gleichen Zeit stammt wie
die meisten dieser Skulpturen, aus dem XU. Jahr-
hundert.
Goldschmidt giebt zunächst eine eingehende
Beschreibung des Inhalts und der Entstehung der
Handschrift, die bisher — mit Ausnahme des ein-
gefügten Alexisliedes, das auch in einer Facsimile-
ausgabe erschien — in weiteren Kreisen wenig
Beachtung fand, und geht dann auf genaue Unter-
suchungen seiner Beziehungen zur mittelalterlichen
Kirchenskulptur über. Die Ausbeute ist eine
überraschend grosse; die meisten der Verse,
welche die Grundlage 'zu den Miniaturen bilden,
sind auch für die
Erklärung der ähn-
lichen Skulpturen
heranzuziehen. Als
Beispiel mögen
die hier wiederge-
gebenen Abbild-
ungen dienen. Der
Pfeiler der Kryp-
ta des Freisinger
Doms zeigt die
Doppeldarstellung
der Initiale (Ab-
bild. S. 2 52) des 69.
Psalmes, die den
2. Vers illustriert,
durch einen Men-
srhen, der schon
zur Hälfte von
einem Ungeheuer
verschluckt, durch
Christus aber von
oben wieder her-
ausgezogen wird.
Weitere Ähnlich-
keiten finden sich
in anderen Initia-
len: die Gestalt mit
der Blume im 27.
Psalm, Vers; (Ab- Aui dcm Albaalpaaltari
büd. S. 2 53), Schild Pnin J( . v«. 2 .
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256
I.oubicr, Bibliographien von William Morris Schriften.
und Schwert in der Initiale zum 34. Psalm, Vers 2
(Abbild. S. 255). Gerade das XI. und XII. Jahrhundert
bietet eine grosse Fülle von figürlichen Motiven
in der Dekoration der Gotteshäuser, die sich erst
auf diese Weise auch ihrem tieferen Inhalt nach
erklären lassen.
Den Anhang bilden eine Beschreibung der
einzelnen Initialen, Verzeichnisse der ganzseitigen
und der Monatsbilder der Handschrift sowie aus-
führliche Register.
Bemerkt sei noch, dass die drei hier be-
sprochenen Werke sich durch vortreffliche äussere
Ausstattung, saubere Reproduktion des Bilder-
schmucks und gesrhmackvulle Einbände auszeichnen.
(jenuJte Verzierung auf einem rhoduchen Teller.
Bibliographien von William Morris Schriften.
Von
Dr. Jean Loubicr in Friedenau -Berlin.
ie umfangreiche dichterische und litte-
rarische Thätigkeit von William Morris hat
bereits bald nach seinem Tode, — erstarb
I am 3. Oktober 1 896, — mehrfach biblio-
graphische Bearbeitung gefunden. Schon in der ersten
Hälfte des Jahres 189J in das grosse, wunder-
voll ausgestattete Werk von AjMtr Vallance Uber die
Kunst des William Morris in ihrer mannigfaltigen He-
thätigung : „ The art of 1 1 illiam Morris. A retard by
Aymer Valianu. With reproduetions front designs
and fabrics . . . Examples of the type and Ornaments
used at the Keimscott J'ress . . . Printcd at the
Chiswiek Press and published by George Bell «5*
Sons, Undon MDCCCXCVIP 1 . gr. 4 0 . Dieses
verdienstvolle Werk, das durch Text und zahl-
reiche, in vollendeter Technik ausgeführte Tafeln
einen Einblick in alle die von Morris gepflegten
Gebiete der Kunst und des Kunstgewerbes gewährt,
enthält im Anhang auf 30 Quartseiten eine Biblio-
graphie von Morris Schriften, bearbeitet von l'emple
Scott unter dein Titel: „A Bibliography of the
original 7oriti//gs, translations and pubtications of
William Aforris". Gleichzeitig ist diese Arbeit in
Buchform erschienen mit dem Titel: „.-/ Biblio-
graphy of the 7i'orhs of William Morris. By
Temple Scott. /Mwton, George Hell Sons, 1897".
hl. 4". Der Verfasser hat sich, wie der Titel
besagt, Dicht auf die selbständigen Bücher von
Morris beschränkt, sondern auch seine zahlreichen
Beiträge für Zeitschriften, Übersetzungen und
Bearbeitungen, ja auch die Aufsätze und Zeit-
schriftenartikel über Morris und seine litterarischen
Werke mit aufgenommen. Und in dankenswerter
W eise hat er die Schriften sachlich eingeteilt und
innerhalb der Abteilungen chronologisch geordnet,
wobei die späteren Ausgaben eines Werkes hinter
der ersten Ausgabe ihren richtigen Platz gefunden
haben. Mir scheint, dass infolge dieser sach-
lichen Einteilung diese Bibliographie durch ihre
Übersichtlichkeit sich sehr vorteilhaft von der
später zu besprechenden von Buxton Forman
unterscheidet Die Einteilung Ist folgende: L Ori-
ginal poems, II. Romances, III. Art, IV. Socialist
writings, V. Translations, VI. Contributions to
periodicals, magazines &c, wieder mit sachlichen
Unterabteilungen. Daran schliessen sich die
Schriften über Morris, als VII. Abschnitt: Mr. William
Morris, Articles on the man and his work, und
als VIII. Abschnitt: Mr. Morris's writings, Reviews
and criticisms upon. Der letzte Abschnitt enthält
ein Verzeichnis sämtlicher Veröffentlichungen der
von Morris begründeten Keimscott Press vom
Jahre der Hegriindung 1891 bis zu den Ende 1896
noch unter der Presse befindlichen Büchern. Hier
sind die Schriften von Morris nicht getrennt von
denen anderer Verfasser, damit alle die Bücher,
die Morris als Drucker und Verleger in seiner
unvergleichlichen Keimscott Press entstehen liess,
beisammen seien, und man also ein vollständiges
Bild seiner Druckthätigkeit habe. Auf die eigenen
Schriften von Morris, die in der Keimscott Press
gedruckt sind, ist in den vorhergehenden Abschnitten
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Loubier, Bibliographien von William Morris Schriften. 257
der Bibliographie an den entsprechenden Stellen
verwiesen worden.
Temple Scott hat alle Titel so genau angeführt,
als es dir bibliographische Zwecke nur verlangt
werden kann. Auf die genaue Kopie des Titels
lässt er die Kollationierung folgen, darauf Ver-
merke Uber Papier, Einband, Höhe der Auflage
und spätere Ausgaben des Werkes.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1897 gab
Aymer Vallancc ein zweites Buch über William
Morris heraus: William Morris. His art, his
roritings and his public li/e. A record by Aymer
Vallance. London, George Bell &- Sons, 1897. 8°,
das im Text ausführlicher ist, als das erste Buch.
Im Anhang dieses Buches hat Vallance die Biblio-
graphie von Temple Scott zu einem forüaufenden
chronologischen Verzeichnis der Bücher und Zeit-
schriftenbeiträge von Morris umgearbeitet, in dem
nur kurz die Titel, die Verleger und die Jahres-
zahlen angefahrt sind. Auch druckt er das Ver-
zeichnis der Publikationen der Keimscott Press
noch einmal in kurzem Auszug ab.
Ebenfalls noch im Jahre 1897 hat Buxton
Forman seine Morris-Bibliographie, ein sehr aus-
führliches chronologisches Verzeichnis der selb-
ständigen Bücher von William Morris, herausgegeben
unter dem Titel: „The books 0/ William Morris,
deseribed with some aecount 0/ his doings in literature
and in /he allied crafts. 'By H. Buxton Forman.
London, Frank Hollings, 1897. 8°. A'F-f 224 S.
Mr. Buxton Forman ist als ein glühender Ver-
ehrer seines grossen Landsmannes William Morris
seit dem Jahre 1868 unablässig bemüht gewesen,
alle Schriften von Morris zu sammeln, und so hat
ihm für seine bibliographische Arbeit das Material
in einer seltenen Vollständigkeit zur Verfügung
gestanden. Es muss rühmend anerkannt werden,
mit welcher Gewissenhaftigkeit er sich seiner
Aufgabe unterzogen hat In seinem bio-biblio-
graphischen Werk, wie man es mit Fug und Recht
nennen kann, sind einmal die Bücher eines modernen
Verfassers in ebensolcher Ausführlichkeit und
diplomatischen Genauigkeit beschrieben worden,
wie sie sonst von den Bibliographen nur für die
am weitesten zurückliegenden Bücher, die Inku-
nabeln, angewendet worden sind. Buxton Forman
begnügt sich meist nicht einmal damit, den Titel
buchstäblich getreu, mit Angabe des Zeilenab-
bruchs, wiederzugeben, sondern druckt sogar die
typographische Anordnung, den Titelsatz, ab. Mir
will es scheinen, als ob man in diesen Dingen
heutzutage manchmal doch zu weit geht, und dass
man bei so ängstlicher bibliographischer Genauigkeit
unbedeutenden Dingen gar zu viel Wert beilegt
Nach der Titelkopie giebt der Verfasser Umfang
und Inhalt des Buches an, beschreibt sein äusseres
Aussehen, Type, Papier, Originaleinband, Höhe
der Auflage, alles auf das eingehendste, giebt auch
öfters noch weitere bibliographische und bio-
graphische Notizen. Wo ihm das Wort nicht
mehr auszureichen schien, setzt er gelegentlich
eine Initiale, Kopfleiste, Verlegermarke, auch wohl
ein ganzes Titelblatt oder Titelbild in Facsimile-
Nachbildung ein.
Von den Beiträgen Morris in der Zeitschrift
„The Oxford and Cambridge Magazine", mit denen
er im Jahre 1856 zuerst in die Öffentlichkeit trat,
bis zu dem nach Morris Tode von den Trustees
der Keimscott Press im April 1897 herausgegebenen
Buche „The water of the wondrous isles" be-
schreibt Buxton Forman, die verschiedenen Auflagen
mitgezählt, im ganzen 168 Bücher. Sein Buch hat
folgende Einteilung. Als Einleitung: The life poetic
as lived by William Morris; Kapitel 1 : Beginnings
(1856 — 1858); 2: Queen Square (1867 — 70);
3. Horrington House (1873 — 77); 4: Keimscott
House (1877—84); 5: Socialism (1884—88);
6: Signs of change (1888 — 91); 7: The Keims-
cott Press (1891 — 97). Ein Anhang enthält einige
Nachträge, Verzeichnisse der Zeitschriften-Beiträge
von Morris und eine kurze Liste der sämtlichen
Veröffentlichungen der Keimscott Press.
Zu den hier aufgeführten Keimscott- Büchern
ist im Dezember 1897 noch ein Buch mit Nach-
bildungen früher deutscher Holzschnitte und einem
Verzeichnis der Inkunabeln mit Holzschnitten, die
Morris selbst gesammelt hatte, hinzugekommen,
herausgegeben von S. C. Cockerell unter dem
Titel: „Some German xvoodcvts of the fifteenth
Century." Als letztes Buch der Keimscott Press
ist im März dieses Jahres fertiggestellt worden:
„A note by William Morris on his aims in founding
the Keimscott Press; together with a skort description
0/ the press by S. C. Cockerell, Gr an annotated Ii st
0/ the bfloks printed thereat". Die kurzen Be-
merkungen von Morris über die Prinzipien, die
für ihn als Buchdrucker mafsgebend waren, sind
sehr bemerkenswert. Im Anschluss daran giebt
Cockerell eine Geschichte und Beschreibung der
Keimscott-Druckerei und lässt zum Schluss ein
Verzeichnis aller von Morris gedruckten Bücher
mit Notizen über ihre Geschichte folgen. Mit
diesem Buche ist die Keimscott Press geschlossen
worden; die Morrisschen Typen werden für spätere
Verwendung in den Händen der Trustees ver-
bleiben, und die Holzstöcke zu den von Morris
entworfenen Buchornamenten sind kürzlich im
British Museum niedergelegt worden.
Z. f. B. 98,99- 33
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Kritik.
ran. IIT. Jahrgang. IV. Heft. F. Fontane & Co.,
Berlin. — Der „Pan" hat uns schon manche gute
Bekanntschaft vermittelt Im IV. Heft fügt er ein
von L. l'etitjean lithographiertes Porträt Maurice
Maeterlincks seinen früheren Charakterköpfen an,
sowie das ehrwürdige Haupt Constantin Meu-
niers, den Liebermanns Meisterstift festhielt. Eine
küstliche Radierung (weiblicher Akt, sitzend) lie-
ferte Karl Kdpping. Schon lange werden von
vielen Seiten Klagen laut, dass in Deutschland
die Voranzeigen von Romanen und Theaterstücken,
wie diese in Frankreich und England allgemein sind,
sich nicht einführen lassen. Zumal die Künstler
jammern, dass ihnen dies lockende und grosse
Feld verschlossen bleibt Eine der Kunstbeilagen
des letzten Panheftes zeigt eine farbige, nach einer
Lithographie ausgeführte Netzätzung eines Plakates,
das Emil Orlik für Hauptmanns „Weber" ent-
warf; die leichte Rötelschraffierung erhöht die
grausig-lebendige Wirkung der streikenden Arbeiter
noch mehr. Völlige Auflösung pflanzlicher Formen
ins Stilistische strebt Theodora Onasch an. Man
kann den Farbenskizzen der Dame einen gewissen,
ich möchte sagen physischen Reiz nicht absprechen,
wenn ihre Sujets auch völlig unklar bleiben; der
grünrote Buchdeckel mit seiner fein verästelten
Zeichnung dürfte sich wohl in die Praxis über-
tragen lassen. Drei sehr geschmackvolle Zier- und
Schlussstiicke aus seltsam verschlungenem Nelkcn-
grUn sind mit Ernst H Walther gezeichnet; man
glaubt kaum, dass auch noch zwei andre, recht
banale Schlussschnörkel von ihm herrühren. Von
den übrigen, mehr oder minder gelungenen ein-
gestreuten Bildern ist vor allem Wilhelm Langes
„Kohlenmeiler", ein an die besten japanischen
Primitiven geinahnender Holzschnitt, hervorzuheben.
Anton Bürger ist mit Fug und Recht in einem Artikel
von Heinrich Weizsaecker über Frankfurter Kunst
die erste Stelle eingeräumt worden. Eine Sonder-
ausstellung der in Privatbesitz befindlichen Arbeiten
dieses Künstlers würde dem Publikum freilich die
reizvolle Anmut seiner Bilder noch besser vor
Augen führen können, als die kleinen, geschickt
gewählten und gut reproduzierten Skizzen des
Panheftes. Das „Spielende Meerweib" von Henri
Heran ist zunächst ein l'riumph der vereinigten
farbigen Xylo- und Lithographie, aber sonst „Ge-
schmackssache". Eine Lithographie von L. v. Hof-
mann, ebenfalls in Farben gehalten, leitet das Heft
ein und ein Schlussstück desselben Künstlers bildet
das Ende. Hugo Ulbrich hat sich bemüht auch
durch die Fragmente van de Veldescher Möbel
einen ganzen Eindruck hervorzurufen. Es giebt
aber Fälle, wo die mechanische Photographie
künstlerischer ist als echte Künstlertechnik.
Auch der textliche Inhalt dieses Heftes ist
vorzüglich; man darf ihn nur nicht in einem Zuge
geniessen wollen. Die Panhefte wollen Uberhaupt
nicht einmal vorgenommen sein, sondern wieder
und immer wieder; sie erfrischen stets von Neuem.
Glanzpunkte sind die Dichtungen von Holzamer,
Falke, Heydt und Holz; Przybiszewskis „Sonnen-
opfer" würde wundervoll sein, wäre es um die
Hälfte kürzer. Über die Ausstattung des „Pan"
braucht nichts mehr gesagt zu werden ; ich möchte
nur auf das verweisen, was Ernst Schur in dieser
Nummer über die Komposition als Mittel und die
dekorative Verwendung der Papierfläche speciell
in Bezug auf den „Pan" bemerkt. v. Rh.
Die Refornutthnshibliographie und die Geschichte der
deutschen Sprache, Vortrag, gehalten auf der 44. Ver-
sammlung deutscher Philologen in Dresden. Von Dr.
Johannes Luther, llcrlin, G. Reimer 1898. 32 S. 8°.
Wahrend die Bibliographie sonst sich fast aus-
schliesslich mit den Ausserlichkciten der Bücherwelt
beschäftigt, dagegen um den geistigen Inhalt und das
sprac hliche Gebiet sich nicht kümmert, stellt Dr. Luther
hier in allgemeinen Umrissen eine Verbindung her von
der Bibliographie zur Sprachwissenschaft. Freilich war
das nur zu erreichen für eine Zeit, wo eine allgemeine
deutsche Schriftsprache zwar schon in starken Wehen
zur Geburt drängte, aber noch nicht ins Leben gerufen
war. Für spätere Zeiten darf man aus bibliographischen
Untersuchungen keinen oder nur einen verschwindend
winzigen Gewinn für die Sprach» isienschaft erhoffen,
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Kritik.
259
aberfür dicRcformationsieit kann die Verbindung biblio-
graphischer und philologischer Studien nicht abgewiesen
werden: für diese Zeit sind Luthers Ausführungen ein-
leuchtend und verdienen mafsgebend zu werden. Wenn
für die eigentliche, sozusagen persönliche Sprache
Luthers selbst seine Handschriften vor allem in Be-
tracht kommen, für die Geschichte der deutschen
Sprache überhaupt sind die Druckwerke von ungleich
höherer Bedeutung. Denn nicht die nur wenig zugäng-
lichen Handschriften konnten auf den Werdegang der
deutschen Schriftsprache einen so übermachtigen Ein-
fluss ausüben, sondern die überallhin getragenen Drucke,
deren Sammlung, Beschreibung, zeitliche und örtliche
Bestimmung deshalb auch der Germanistik zu gute
kommen würde. Da sich in den Drucken der da-
maligen Zeit die örtliche Färbung der Sprache noch
wirksam zeigt, so legt der Verfasser der Bestimmung
des Druckortes und der Druckerei für die in der über-
wiegend grossen Mehrheit ohne diese Angaben er-
schienenen Drucke mit Recht erhöhte Wichtigkeit bei.
Die Mittel und Wege dazu, die tief in das Gebiet des
Druckcrcibetricbes, der Technik, des Gew erbes fuhren,
hat Verfasser klar und sicher — nicht ohne Berück-
sichtigung der möglichen dem Forscher drohenden
Gefahren und Irrungen — vorgezeichnet. In den An-
merkungen behandelt er solche technischen Einzel-
heiten und erläutert dieselben durch sorgfältig ge-
wählte Beispiele. Höchst beachtenswert sind seine
Ausfuhrungen über den Kachschnitt bildlicher Druck-
verzierungen und seine Polemik gegen die Annahme
der Klischierung in so früher Zeit.
Verfasser hat schon mehrfach durch kleine, aber
gediegene Proben bewiesen (u. a. auch in dieser Zeit-
schrift), dass er den gesamten Stoff sowohl in biblio-
graphischer wie in sprachlicher Hinsicht durch-
gearbeitet hat und sicher beherrscht; es wäre wohl zu
wünschen, dass die Früchte seiner jahrelangen An-
strengungen nicht verloren gehn, dass ihm Möglichkeit
und Antrieb zu einer umfangreicheren, erschöpfenden
Veröffentlichung geboten « erden möchten. Kp.
Von dem grossen Nansen-Werke „In Nacht und
Eis" ist bei F. A. Brockhaus in Leipzig die zweite revi-
dierte Auflage und zugleich als Supplement ein dritter
Bund erschienen, in dem zwei Teilnehmer der Fahrt
die Mitteilungen Nansens durch selbständige Er-
zählungen ergänzen. Damit ist das Werk über die
Framreise und die abenteuerliche Expedition über das
Polareis abgeschlossen. Ganz abgesehen von den
wissenschaftlichen Ergebnissen der Forschungsfahrt,
die in erster Reihe späteren Expeditionen zum Vorteil
gereichen werden und die Polarkarte Nordcnskjölds
vielfach umgestalten, ist das Werk auch als reine
Unterhaltungslcktürc von grossem Reiz. Nansen ist
ein ausserordentlich gewandter Erzähler, und seine
Neigung zu philosophischer Betrachtung, die sich aus
seinem Wesen wie aus der tiefen Einsamkeit erklärt,
in der er mit den Seinen in der Eiswüste des Nord-
lebte, giebt seinen Schilderungen noch mehr
das Gepräge des Persönlichen, das bei der Lektüre so
besonders interessiert. Seltsam genug: das, was die
Leute der „Fram" in der unendlichen Einsamkeit unter
der Polarsonne thatsächlich „erlebten", war eigentlich
blutwenig; und doch kann man sich nicht von den
Blättern losreissen, auf denen sie ihre Tagebücher
wiedergeben und ihre Eindrücke schildern. In den
Werken der Afrikareisenden wechselt viel mehr das
Bunte, Mannigfaltige und Abenteuerreiche; die Helden
der „Fram" waren meist auf sich selbst angewiesen;
Kämpfe mit Wilden waren nicht zu bestehen, und ihre
Kämpfe mit den Bestien des Eismeeres dünkten sie
meist als vergnügliche Abwechslung. Trotzdem war
die Stille jener Tage durchaus nicht ereignislos; man
muss es selbst lesen, wie Nansen die Arbeit auf der
„Fram", die Drift durch das unbekannte Meer, die
allmähliche Umcisung, die lange Winternacht und das
Erwachen des Frühlings schildert, um den eigenartigen
Zauber w ürdigen zu können, den sein Buch ausströmt.
Schon in den Vorbereitungen zur Reise offenbart sich
die Genialität dieses Mannes. Nichts wurde verab-
säumt, um allen Gefahren trotzen zu können; und dank
der Bauart des wundervollen Scliitfes hielt die „Fram"
denn auch die Gewalt der Eispressungen tapfer aus,
die selbst den armen Leuten des „Tcgetthoff" so viel
Beschwerden gemacht hatten, obwohl sie im Vergleich
zu vielen anderen Expeditionen ein gutes Fahrzeug ihr
eigen nannten. Einzelne Stellen in den Nanscnschcn
Schilderungen greifen tief an das Herz; eine junge
Frau und ein süsses Kind warteten seiner daheim —
kein Wunder, dass er in der Melancholie der Polar-
nacht häufig die Gedanken nach Süden schweifen
licss! Aber im allgemeinen war man auf der ,,Fram"
auch in schlimmen Tagen voll guten Humors.
Der Supplementband enthält zunächst die Erzählung
Bernhard Nordahls, des Elektrikers der „Fram". Mit
dem Augenblick, da Nansen nach mancherlei Mühen
die „Fram" verlässt, um mit Lieutenant Johansen seine
grosse Schlitten- und Schneeschuhfahrt über das Eis
zu beginnen, treten in dem Buche die weiteren Schick-
sale des Schiffes naturgemäss in den Hintergrund
Hier setzt nun Nordahl ein. Die dritte Polarnacht ist
angebrochen ; ringsum kracht und dröhnt das Eis, aber
am Bord sucht man sich auf alle mögliche Weise den
zur Neige gehenden Humor zu erhalten. Nansen und
seinen Begleiter glaubt man schon in der Heimat —
und als nun endlich bei erwachendem Frühling sich
das Meer öffnet, da erfahren die Framleute zu ihrem
schmerzlichen Erschrecken von Andre auf Spitzbergen,
dass ihre Gefährten nicht zurückgekehrt sind. Und
alle glauben an den Untergang der beiden Unglück-
lichen in unwirtlicher Eiswüste.
Aber ein Gott wachte über den Gefährten.
Hjalmar Johansen ergänzt in geschickter Weise in
seiner Erzählung „Nansen und ich auf S6° /j 1 ' die
Mitteilungen seines Chefs über die gefahrvolle Eisfahrt.
Länger als ein Jahr verbrachten die beiden kühnen
Männer in der Öde des ewigen Eises, und mit wieviel
hundertfachen Gefahren hatten sie zu kämpfen ! — Auch
Johansen ist ein lebhafter und gewandter Erzähler.
Man nimmt unwillkürlich Teil an seinen Seh
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2ÖO
Kritik.
und lebt mit ihm. Die letzten Genossen der beiden,
die Hunde, sind geschlachtet worden; nun sind die
Bären und Wallrosse die einzigen lebenden Wesen ihrer
Umgebung. Und während Johansen und Nansen ver-
hungern zu müssen glauben, weilt bereits in ihrer un-
mittelbarsten Nähe die Hilfe, ohne dass sie sie ahnen.
Das Zusammentreffen mit Jackson, dem Leiter der
englischen Expedition auf Franz Josef- Land, ist der
dramatische Höhepunkt der Schilderung; er erinnert
an die Auffindung Livingstones durch Stanley. Sonst
freilich sind die Bücher Stanleys grundverschieden von
dem Framwerke; dort fühlt man auf jeder Seite den
gemütsbaren Egoismus des Schreibers, hier atmet
man warmfühliges Menschtum.
Das dreibändige Framwcrk sollte ein Hausbuch
werden, und es wird es vermutlich auch. Auch der
Jugend gehört es an, denn es erzählt von Thatkraft,
Geistesstärke, kühnem Mut und schlichtem Gott-
vertrauen. Die äussere Ausstattung ist vortrefflich ;
namentlich die Chromotafcln zeichnen sich durch ihre
künstlerische Ausführung aus. Die drei Bände kosten
gebunden 30 Mark, das Werk erscheint aber auch in
Lieferungen zu 50 Pf. — tz.
Xeujahrsirunsehe des XV. Jahrhunderts. Heraus-
gegeben von Paul I Zeitz. Str;is 5 burg, J. H. Ed. Hciu
(Heitz & Mündel) 189g. M. 45.—.
Es giebt kaum eine interessantere Aufgabe als
die, der Entstehung von Gebräuchen nachzuforschen.
Machen wir hierbei gewöhnlich die Erfahrung, dass
die einzelnen Gew olinheiten im Laufe der Zeiten be-
deutenden Änderungen unterliegen, so unterscheiden
sich dagegen die gedruckten Neujahrswünsche des
XV. Jahrhunderts in ihrer Forin nur wenig von denen,
die noch jetzt beim Jahreswechsel von der grossen
Masse versandt werden. Höchstens könnte man er-
wähnen, dass früher der religiöse Gedanke schärfer in
den Vordergrund trat, da auf allen alten Wunsch-
blattern das Christkind abgebildet ist und häufig „ein
gut selig iar" gewünscht wird; doch begnügte man sich
auch damals bereits mit der Formel ..ein gut iar" oder
„vil guter iar." Die Darstellung des Christkindes ist
aber darauf zurückzuführen, dass der ganze Zeitraum
von Weibnachten bis zum Tage der heiligen drei
. Könige eine genieinsame Festzeit, die sogenannten
.Zwölf Nächte', bildete, wie dies auch heute noch bei
unseren Vettern jenseits des Kanals in dem Wunsche
,.a merry christmas and a happy newjear" zum Aus
druck gelangt.
Die historische Entwicklung des Neujahrsfestes hat
der Herausgeber in seiner Einleitung nicht berührt und
auch die Art der Verwendung der alten Neujahrswiin-
schc ausser Betracht gelassen. Letztere Frage scheint
mir aber doch der Erörterung wert, denn am Orte
selbst überbrachte man si< h die Glückwünsche münd
lieh, so dass es der Überreichung eines gedruckten
Wunsches nicht bedurfte; das Post-, beziehungsweise
Botenwesen war aber wiederum zu wenig entwickelt
und zu kostspielig, als dass die briefliche Versendung
einfacher Neujahrswünschc nach fremden Orten wahr-
scheinlich ist
Aus dein Anfange des XVI. Jahrhunderts haben
wir Beweise, dass Verwandte und Freunde sich am
Neujahrstage besuchten, einander ein glückliches Neu-
jahr w ünschten, sich beschenkten und bewirteten. Dieses
Geschenk -Geben, das sich heute nur noch als Be-
lohnung gewisser Dienstleistungen uns fernstehender
Personen, wie der Kellner, Zeitungsträger u. s. w. er-
halten hat, vertrat die Stelle der jeuigen Wcihnachts-
beschcrung, und das Familienoberhaupt bedachte seine
Hausgenossen mit barem Gelde. Zeugstoffen und an-
deren Gaben. Unter Freunden beschenkte man sich
auch mit Kuchen, auf die man Zettel mit Versen klebte,
und es wurde Klage gefuhrt, dass diese Keime oft un-
züchtigen Inhalts waren. Von letzteren scheint nichts
mehr erhalten zu sein, dagegen kennen wir eine statt-
liche Anzahl kurzer, teilweise humoristischer Verse, so-
wie auch längere Lieder ernsten und frommen Inhalts,
die für den Neujahrstag bestimmt waren. Ich halte es
deshalb nicht für ausgeschlossen, dass einzelne der
Neujahrswunschblättcr kleineren Formats direkt auf
Kuchen, Schachteln oder sonstige Geschenke geklebt,
die grösseren hingegen auf dein weissen Papierrande
oder auf der Rückseite handschriftlich mit Versen ver-
sehen wurden.
So verbreitet gedruckte Neujahrswünsche an-
scheinend im XV. Jahrhundert gewesen sind, so ist die
Zahl der uns erhaltenen trotzdem eine recht geringe,
und es ist deswegen um so erfreulicher, dass Heitz uns
alle, die noch vorhanden sind, in getreuen Abbildungen
vor Augen fuhrt. Zu den vierzehn Holzschnitten und
dem einen .Schrotblatt, die bereits in meinem Manuel
verzeichnet sind, gesellen sich ein Kupferstich des
Meisters E. S., eine Kopie desselben von Israhcl van
Meckcncm und ein Holzschnitt aus dem XVI. Jahr-
hundert Als Anhang schliessen sich 26 Hobschnitt
Zierleisten an, die auf verschnörkelten Bandrollen teils
den schon erwähnten Wunsch „ein gut selig iar", teils
auch längere Inschriften tragen. Sie dienten meist als
Kopf- oder Schlussleistc Tür typographisch hergestellte
Kalender, und zwar w urde deren ältester für das Jahr
1472 bei Günther Zaincr in Augsburg gedruckt.
Ganz besondere Anerkennung verdient die meister-
hafte Wiedergabe der Originale. Das Keproduktions-
verfahren hat wirklich Hervorragendes geleistet, und
ich inuss gestehen, dass mir in dieser Beziehung selten
ein Buch solche Freude bereitet hat, wie das vorliegende.
Nur bei wenigen Blattern ist Autotypie angewendet
worden. Die Mehrzahl ist genau in der Grösse des
Originals in Strich-Manier photographisch geätzt, getreu
koloriert und schliesslich sogar auf Jahrhunderte altem
Papier gedruckt, so dass man wähnt, lauter Originale
vor sich zu sehen. Meines Erachtens muss das Buch,
das nur in einer Auflage von ioo Exemplaren gedruckt
ist, in kurzer Zeit vergriffen sein, und ich kann den
Freunden der graphischen Künste doppelt zur schleu-
nigen Bestellung raten, da laut Prospekt das Buch bis
zum 15. Juli noch zum Subskriptionspreise von 35 Mark
bezogen werden kann.
rot Utm. IV. L. Schreiber.
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Kritik.
26l
Eine sehr interessante Mappe „/£/<? in der
Karikatur" hat Eduard Fuchs im Verlage von
M. Ernst in München erscheinen lassen (30 Exem-
plare auf extra feinem Papier). Der Verfasser
beschäftigt sich seit langem mit Studien zur
Geschichte der politischen Karikatur und zeigt
auch in der Einleitung des vorliegenden Werkes,
dass er das Stoffgebiet ganz vortrefflich be-
herrscht. Auch dieser Textteil ist mit zahlreichen
Bildern geschmückt, u. a. mit einer ganzen Reihe
von Karikaturen auf Louis Philipp, auf denen der
birnenartige Kopf des Bürgerkönigs stets wieder-
zukehren pflegt, sowie mit zahlreichen Spott-
bilden» auf die 1848er Volksbewaffnung. Von
deutschen Zeitschriften spielten damals „Leucht-
kugeln", „Charirari", „Kladderadatsch" und ,,Eu-
lenspicgcl" die 1 1 auptrolle ; selbst die , .Fliegenden
Blätter" wurden zuweilen politisch. An einzelnen
Karikaturen enthält die Mappe 16 Blätter, unter
ihnen manches Wertvolle und Seltene. So bei-
spielsweise ein köstliches Blatt von A.Achenbach :
Metternich mit einem Briefe in der Hand, der
ihm die Flucht Louis Philipps ankündigt; ein Be-
dienter steht vor ihm, und zu diesem sagt der
Minister: „Louis Philippe fortgejagt? Republik?
— Bringen Sie mir ein paar andere Hosen!" —
Verschiedene Bilder beziehen sich auf Friedrich
Wilhelm IV., darunter das berüchtigte: Der
König mit der Champagnerflasche in der Hand,
sich mühend in die Fusslupfen Friedrichs des
Grossen zu treten, die Steksche Whistpartie und
eine nicht signierte bitterböse Zeichnung „Neue Art,
eine Konstitution zu geben." Ausgezeichnet, scharf ohne
Niederträchtigkeit und gut erfunden ist das „Grosse
lnsicgel des Deutschen Reichs", sehr interessant auch
der Kaulbachschc Bilderbogen „Neue deutsche Ge
schichte." Unter den französischen Karikaturen über-
ragt das „Autokratische Bankett" Bt-rtalls in Bezug auf
Idee und Ausführung die übrigen Blatter bei weitem.
K. v. R.
Weitere sechs Hefte des „Neunzehnten Jahr-
hunderts in /ii/dnissen" liegen mir vor, und mit grossem
Bedauern muss ich mich in Anbetracht des knappen
Raumes darauf beschränken, nur Einzelnes aus der
Fülle des Interessanten herauszuheben, das die Berliner
Phoiograpisehe Gesellschaft in ihrer grossen Samm-
lung bietet. Heft III beginnt mit der hässlichen Hülle
einer schönen und edlen Seele: Pestalozzi, dem Manne
der Kinderliebe und Erziehung, dem gerade wir
Berliner viel verdanken. Rauchs MinUterkopf ist eben-
so bekannt, wie der Dürertypus Chamissos, den Robert
Rcinick charakteristisch zum Ausdruck brachte. Heft
IV bringt nebeneinander den Dichter des Aufschwungs,
Emst Moritz Arndt, und den des seelischen Hin-
sicchens, Lcnau. Mommsen am Schreibtisch, von
Folianten umgeben, von Knaus mehr als Genre- wie
als Einzelporträt aufgefasst, bildet die Perle dieser
Nummer, die auch ein Selbstporträt des genialen
Schöpfers der „Medea" und des „Vermächtnisses",
in kr
_J
flfön&T Ofens
Titel von Eduard Euch» „i&«S in der Karikatur".
Anselm Feuerbachs, enthält Die beiden Humboldts
leiten die V. Lieferung ein. Gottfried Schadow, von
Julius Hübner gemalt, folgt; so mag man sich wohl einen
Veit Pogner oder irgend einen andern alten Meister
aus jener Zeit vorstellen, da es noch kein Kunstgew erbe,
sondern nur ein Kunsthandwerk gab; den grossen Bild-
hauer sieht man Schadow nicht ohne weiteres an. Von
ganz besonderer Feinheit ist der Meyerbeer, den
G. Richter auf die Leinewand gezaubert hat, aber
besser noch gefällt mir Oppenheims Porträt von
Ludwig Börne in Heft VI; es sucht lebensvoll von dem
konventionellen Ticck Joseph Sticlers ab. Ich finde
auch einen Stcinschnitt Krichubers, der einen nicht
erst nach seinem Tode in seinem Vatcrlandc aner-
kannten Dichter darstellt, nämlich Ferdinand Raimund,
der als Schauspieler und Schriftsteller gegen Mitte
des Jahrhunderts in Wien gleich beliebt war. Freiherr
vom Stein, Hardenberg, Blücher, Gneisenau, Scharn
hörst passen gut zusammen. Sic füllen das VII. Heft
fast ganz mit ihren klugen, energischen Gesichtern.
Der von Gröger lithographierte „Blücher" verdient
besonders hervorgehoben zu werden.
Die VIII. Lieferung ist ganz Beethoven gewidmet
und besonders reich mit Tcxtillustrationen und Sil-
houetten neben acht grossen Tafeln versehen. Einen
klaren verständlichen Abriss über Beethovens Leben
und Werke, so gut der karge Raum es zulicss, hat
Leopold Schmidt beigesteuert Ungewöhnlich viele
Bildnisse und Büsten des Tonfürsten sind bekannt
Beethoven ist in jedem Lebensalter mehr oder minder
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262
Kritik.
charakteristisch abkonterfeit worden. Doch hat z. B.
die Tcjccksche Lithographie mehr einen Kuriositats-
wert, als das sie „ähnlich" ist. Obwohl das Schiinnn-
sclie Forträt das früher weitaus verbreiterte war, so
sagen doch unserm heutigen Geschmack Stiebers und
Klöbcrs Arbeiten mehr zu, weil sie weniger idealisiert
sind; besonders lernere, die den Meister 1817 darstellt
und schon im Blick das Eigentümliche aller Schwer-
hörigen ausspricht, ist mir lieb, weil sie voll den
Menschen wiedergiebt. Hei der grossen Vorliebe der
musikalischen Deutschen für den Schöpfer der IX.
Symphonie wird dieses Heft dem Unternehmen der
Photographischen Gesellschaft viele Freunde werben.
-bl-
aß
Ks ist gerade in letzter Zeit ziemlich viel darüber
gestritten worden, ob es zweckmässiger sei, alle Num-
mern einer Zeitschrift äusserlich gleichartig auszustatten
oder jedesmal ein anderes Gewand zu wählen. Die
F.incn meinen, der Leser gewöhne sich besser an eine
bestimmte Physiognomie, der Andere will Rücksicht
auf Jahreszeit und Inhalt gewahrt wissen. Manche Zeit-
schrift, die zuerst mit der Umschlagzcichnung wechselte,
ist zur Finhcit zurückgekehrt Wieder bei andern, der
„Jugend", dem „Inland Printer", der „Schweiz", scheint
sich der Wechsel bewährt zu haben.
Auch „I 'er sacrum", Organ der Vereinigung bilden-
der Künstler Östereichs (Wien, Gerlach & Schenk},
kleidet sich in die verschiedensten Gewänder, deren
Karbenrei/ sogar teilweise die Schönheit der Zeichnung
überwiegt. Da ist die Märznummer in „Cafe -au -lait"
und orangegell), das Doppelheft von Mai-Juni in hellem
und dunklem Veroneser Grun und der Juli wieder in
erbsengrün mit orange gehalten. Der schlichter ge-
haltene Umschlag des Aprilheftes — russischgrün auf
thongclb — weist die gelungenste Illustration auf. Herr
Ottcnfcld hat es verstanden, den Monat des Werdens
prachtig durch einen jungen, trotzig ins unbek;innte
Meer hinausscgclnden Wikinger zu symbolisieren.
Das Marzheft bringt ausschliesslich Illustrationen
von (iitt/ttt' Klimt, Wir lernen den Künstler sowohl
als Illustrator wie als Genremuler kennen, doch besser
als in diesen Eigenschaften gefällt er uns in seinen
feinen, bei allem Duft sc harf charakterisierenden I'or-
trätstudien. Da verschwindet alle Koketteric mit der
Moderne vor wirklichem künstlerischem Vermögen, das
zu keinerlei Fahne zu schwören braucht, weil es durch
sich selbst, seine eigensten Äusserungen stets siegen
wird. Viele dieser zierlich hingewisrhten Köpfchen er-
innern auffallend an Mellens entzückende Radierungen.
Der April bringt neben Interessantem und Uninte-
ressantem von Max I.iebcrniann und einer etwas
trockenen Studie von Skarbina einen prächtigen Akt
von A. Hynais und „Im Mondscheine", eine ganz
reizende stimmungsvolle Skizze von Ernst Stöhr.
Die Doppclnummcr Mai-Juni ist xüllig international;
England, Frankreich, lichten, Polen und Österreich
sind durch Reproduktionen von Ölbildern und Skulp-
turen vertreten; die Nummer stellt eine Blutenlese aus
der ersten Ausstellung der „Vereinigung bildender
Künsder Österreichs" dar und hat daher mehr ein rein
künstlerisches als bibliophiles Interesse.
Das Juli- Heft enthält drei Flottants: nämlich den
Entwurf zu einem Glasgemälde von Wyspianski, einen
vollkommen unverständlichen Scidensückcreicntwurf,
sowie eine farbenprächtige Landschaftsskizze von
Ad. Rohm. Flottants haben vor Eindruck-Illustrationen
den Vorzug, dass ihr Material sich der zur Repro-
duktion gewählten Technik anpassen kann und sich
vom Korn des eigentlichen Papiers schon an und
für unterscheidet. Die fein farbigen Aquarellrepro-
duktionen des Juli-Heftes gehören zu den allerbesten
ihrer Art, Auch mit sogenanntem Buchschmuck ist
das Heft reich versehen. Böhm hat einen im besten
Sinn ornamental aufgelösten „Tigerfries", J. Auchen-
tallcr eine ganze Reihe Blumenzierstreifen Eckrnann
scher Abkunft beigesteuert Viel origineller sind zwei
Initialen und eine Kopfvignette in Holzschnittmanier
von Kolo Moser. Herrn J.M. Obrichs Beiträge sind so
vielseitig und nehmen einen so grossen Teil des „Ver
sacrum" ein, dass ich ein wenig ausfuhrlicher von ihnen
reden möchte. Am meisten gefallen mir seine archi-
tektonischen Naturstudien; sie haben Stimmung und
Kontraste und einen leicht romantischen Hauch, der
solchen rein perspektivischen Studien sonst fehlt und
dessen Fehlen sie langweilig macht Eine Anzahl von
Entwürfen zu Ziergcfassen könnte man erst nach der
Ausführung beurteilen. Material und Farbe sind hier
Alles; die Formen sind nicht neu. Auch in seinen
Möbelskizzcn bevorzugt Olbrichdas bausteinmassig Ge-
rade; die Abw esenheit auch nur des kleinsten Schwunges
Kicbl den Möbeln eine Strenge, die nicht mit ihrer
Grösse harmoniert Sein Buchschmuck ist geschickt,
ohne eigenartig zu sein.
Eine ganz besondere Phantasie entwickelt Herr
J. HofTmann in seinen wild ummuschcticn Portalen.
Gott bewahre einen vor solchen Strassen facaden; da
sind mir unsere viclgcschmähten nüchternen Miets-
kasernen noch lieber. Auch mit Herrn HofTmanns
Rahmenentwürfen kann ich mich nicht einverstanden
erklären. Der Rahmen soll das Kunstwerk abgrenzen,
heben, den Blick konzentrieren, aber nicht auf aller-
hand Schnörkel ablenken. Die architektonischen
Träume des jungen Baumeisters entbehren eines ge-
wissen grossen Stiles nicht; es kommt ihm dagegen
weniger auf „Heimstätten" als auf Prunkbauwerke an.
Mir scheint es aber besser, der „Heilige Frühling" setze
Knospen an, die später einmal wohlschmeckende
Fruchte zeitigen, als das er nur eine tropische Blumen
pracht hervorbringt.
Mci^c er frisch weiter blühen! Er hat ja auch
schon viel de» Lebensfähigen gebracht! L.
Der „Haussihtitz moderner Kunst' (Wien, Gesell-
schaft für graphische Kunst} hat seinen Fortgang ge-
nommen und seinen Freundeskreis erweitert. Heft VI
bis X liegen vor uns und bringen Mannigfaltiges nach
jeder Richtung hin. Begnügen wir uns damit, einzelne
historisch oder künstlerisch besonders interessante
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Chronik.
263
Blätter zu erwähnen. Zunächst ein Damenporträt Len-
bachs, von Hecht radiert, das, 1867 gemalt, noch nicht
die köstliche Herbigkeit seiner späteren Schöpfungen
zeigt, aber doch schon den Zuckcrguss der Kaulbach-
sehen Schule von sich gestreift hat; nur hier und da
bleibt ein schwärmerisch süsses Winkclchen stehen.
Drei Meisterwerke folgen dicht aufeinander: Lieber-
manns „Hanfspinncrinncn", durch Krüger und „Am
Morgen" von Uhde, durch Unger radiert, sowie eine
köstliche Originalradierung L. H. Fischers „Von der
Donauregulierung." Ich wüsstc kaum, wem der Vor-
zug zu geben wäre, wenn ihn nicht jede Originalarbeit
von Natur aus vor Reprodukrionen verdiente. Die
Donauregulierung hat beinahe Farbenreiz, so kräftig
wirken ihre Kontraste. Ein wundervolles Original hat
Hecht sich gewählt, als er I lock lins „Gang nach Emäus"
zur Wiedergabe ausersah ; er ist seiner Aufgabe auch
voll gerecht geworden. Gerade bei Höcklins Meister-
werken hat Klinger es allen Kollegen bitter schwer ge-
macht, auch nur Erträgliches zu leisten. Die Radie-
rung, die Ch. Th. Meyer-Basel nach Stäblis bekanntem
Uild: „Überschwemmung" machte, wirkt völlig wie ein
Original; das grösste Lob, das man einer Kopie er-
teilen kann.
Einen zweiten Liebcrmann ,,In den Dünen" hat
Unger radiert. Der Vorwurf ist nicht so dankbar, wie
der der „Hanfspinncrinnen", aber das Bild lässt ge-
wisse luftige Feinheiten zu, die gerade Ungern Nadel
sehr gut liegen.
Die „Flamingojagd" von Canon bildet den Schluss
des X. Heftes; Joh. Klaus hat das in Rcmbrandtschen
Hatbtönen gehaltene Bild ein klein wenig konventionell
wiedergegeben; vielleicht eignet sich auch gerade für
dies Bild die Technik nicht besonders. — hl—
Schcrenbergs hundertste Geburtstagsfeier lenkt die
Aufmerksamkeit der literarischen Welt auf ein Buch
zurück, das schon vor mehr als zehn Jahren erschienen,
aber noch lange nicht genug gewürdigt worden ist:
Theodor Fontanes „Christian Friedrich Scherenberg
und das litterarische Berlin von iSjo bis 1S60" (Herlin,
Wilhelm Hertz). Fontane giebt hier nicht nur eine
ausführliche Biographie des ihm befreundeten Waterloo-
Dichters, von den Tagen der Jugend an, dem Aufent-
halt in Magdeburg, den Freuden, Leiden und Kämpfen
in Berlin bis zur Todesstunde, sondern in den letzten
Kapiteln auch eine eingehende Würdigung des Cha-
rakters und der Werke des Dichters. Besonders an-
ziehend wird die Schilderung durch den tittcrargeschicht-
liehen Hintergrund; das ganze schriftstcllernde Berlin
der vierziger und fünfziger Jahre taucht vor uns auf,
die Rhapsoden des „Tunnel" und des „Rudi" und
schliesslich auch der sprudelnde Feuerkopf und grosse
Komödiant Lasalle. Man weiss, welcher ausgezeichnete
Erzähler Fontane ist; hundert kleine Anekdoten ziehen
sich wie Arabesken durch das Lebensbild und erhöhen
den Reiz der Lektüre.
Ebenso köstlich und erfrischend auf Herz und Geist
wirken Fontanes soeben erschienene autobiographische
Schilderungen „Von Zwanzig zu Dreissig" (Berlin,
F. Fontane & Co.). Sic bilden eine Ergänzung zu
seinem Buche „Meine Kindcrjahre" und sollen, wie der
Verfasser versichert, das Letzte sein, was er über sein
reichbewegtes und grosses Dichterlebcn geschrieben
hat. Ich denke, darüber spricht man sich noch. Es
wird Fontane noch genug zu erzählen übrig geblieben
sein, obgleich er in „Von Zwanzig zu Dreissig" nicht
bei diesen zehn Jahren stehen bleibt, sondern auch
weit darüber hinaus Ausschau und Umschau hält. Zu
den amüsantesten Kapiteln gehören die Schilderungen
seiner Apothekerzeit und seiner literarischen Bezieh-
ungen, vor allem seiner Rcdaktionsthätigkeit in der
Kreuz-Zeitung, wo er besonders mit Hcsekicl und dem
viclschrcibenden Sir John Redcliffe-Gödsche in regen
Verkehr trat Von der bewunderungswürdigen geistigen
Frische und dem erquicklichen Humor des alten
Fontane legt auch dies inhaltsreiche und stattliche Buch
ein beredtes Zeugnis ab. v. Z,
Sit
Chronik.
Mitteilungen.
Zwei Plakate. — Mit der Veröffentlichung des
Plakats der iS'jGer Ausstellung für Elektrotechnik
und Kunstgciverbe in Stuttgart (siehe Seite 265),
mochten wir zunächst einer Art Ehrenpflicht ge-
niigen. Obwohl zahlreiche KunsUeitschriften in
den letzten Jahren Artikel über moderne Plakate
gebracht haben, ist es meines Wissens nirgends
reproduziert oder auch nur erwähnt worden. Und
doch verdient es die Aufmerksamkeit der Kunst-
welt und Sammler. Das Original stammt von
Professor F. Keller in Karlsruhe. Die Reproduktion
wurde in fünfzehn Farben in der lithographischen
Kunstanstalt von Afax Seeger in Stuttgart aus-
geführt und zwar auf einem besonders zu diesem
Zwecke gefertigten starken Kartonpapier. Die
Auflage betrug nur 10000 Exemplare; nach dem
Drucke wurden die Steine abgeschliffen. Das
mag auch der Grund sein, dass das Plakat be-
reits selten zu werden beginnt, doch besitzt die
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2f>4
Chronik.
Franckhsche Verlagshandlung (W. Keller & Co.) in
Stuttgart noch eine Anzahl Exemplare, die sie
abzugeben bereit ist Merkwürdigerweise hat das
Plakat im Auslande mehr Aufsehen erregt als bei
uns; so hat kürzlich eine grosse englische Firma
für das Recht der Reproduktion des Plakats für
Reklamezwecke eine beträchdiche Summe geboten,
ist indessen abschlägig beschieden worden.
Das Originalplakat ist mit Papierrand 1 10x83cm
gross. In der Grundfarbe herrscht ein tiefes, in
der Gewandung des Genius atlasartig aufgehelltes
Indigo vor, während die kaffeebraune Schrift sich
von dem Üiongelben Fond wirkungsvoll abhebt,
ohne grell zu sein. Der Genius stützt sich mit
der Linken auf das Rad der Industrie, indes die
Rechte eine elektrische Leuchte schwingt Ein
Sturm — der Odem der neuen Zeit — scheint
AUSSTELLUNG
I *TL ^künsherischer
MOBELu.CERäTE
imKRiSER WILHELM-MUSEUM
^KREFELDC^
l'Ukat vun II. v. J. Woutl«. Uri£.-lin»<c ;» - <,» m.
über ihn fortzubrausen. Der nackte Körper zeigt
ein bei Plakaten seltenes genaues Naturstudium;
die Figur würde, auch ohne Plakatzwecken zu
dienen, ihre künstlerische Berechtigung haben. Es
ist eine Freude, zu beobachten, wie das künst-
lerisch Wertvolle in den letzten Jahren völlig das
rein Marktschreierische in der Plakatkunst ver-
drängt.
Das zweite Plakat (auf dieser Seite) hat das
Krefelder Kaiser Wilhelm- Museum bei Gelegenheit
seiner letzten Ausstellung künstlerischer Möbel und
Geräte verausgabt. Die OriginalgTösse beträgt
78x50 cm; der Maler ist H. v. d. U'oude. Auch
hier wirkt die Farbenzusammenstellung — rot,
weiss und gelb und das mehrfach nuancierte Grün
— besonders gut Die weisse Konturierung der
Zeichnung giebt dem Ganzen aber eine überflüssige
Buntheit Während schwarze
Konturen die Linien gewisser
mafsen festigen, vergröbern sie
die weissen und lassen sie leicht
verschwimmen.
— bl—
M
Allerer türkischer Einband.
Die fiirstiich Fürstenbergische
Bibliothek zu Donaueschingen
enthält verschiedene interessante
Einbände. Zwei Metalldecken
oberdeutschen Ursprungs aus
dem XIII. Jahrhundert wurden
schon im 1. Jahrgang, Heft 2,
S. 66 und 67 wiedergegeben.
Die Abbildung auf Seite 266
zeigt nach einer Photographie in
meinem Besitz einen orientali-
schen, sehr wahrscheinlich tür-
kischen Einband aus dem XVII.
Jahrhundert Den Inhalt der zier-
lichen Handschrift bilden, nach
Baracks Verzeichnis der Donau-
eschinger Handschriften, einige
Suren des Koran; die Schrift ist
schön und mit Randeinfassung
und Goldinitialen liebevoll ver-
ziert.
Der Ledereinband Ist in Brief
taschenform hergestellt, wie es
bei derartigen Gebrauchsbiichern
häufig ist Unsere Abbildung
giebt die eine Seite nebst der
Klappe wieder, die nicht abge-
bildete Seite zeigt genau das-
selbe Muster. Die Goldpressung
stehtauf rotemGrunde, die glatten
Lederflächen sind schwarz.
Vielleicht wurde auch dieses
hübsche Beutestück von einem
schwäbischen Kriegsmanne aus
den Türkenkriegen des XVII.
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Chronik.
265
Jahrhundertsheimgebracht. Wenig-
stens enthält eine ganz ähnliche,
nur geringer ausgestattete Donau-
eschinger Surenhandschrift fol-
genden Eintrag auf dem Vorsatz-
blatt:
Sfnno itfSR bracfjt irij 3o[ian
JBartin 9?rurtngcr bct seit ft(t=
lunürl blf5 üuorfj bon SrtrrJjtftJj
IPciftenbwg unb anbrre (rfjöljnt
farJjtn mtr bon bcn Cliüuriihcn
trbrütfjtt.
München.
Prof. Dr. Ed. Heyck.
Mit dem Beginne des Monats
Juni ist die Kg/. L'niversilats-Bib/io-
Ihck Wünburg in die Reihe der-
jenigen Büchersammlungen einge-
treten, welche eine permamentc
Ausstellung ihrer Cimelien besitzen.
Infolge der Übersiedelung
des Univcrsitals-VcrwaJtungs- Aus-
schusses und der Ilauptkassc in das
neue Kollegienhaus sind die von
diesen Stellen bis zum November
1896 in der alten Universität inne-
gehabten Räumlichkeiten der Biblio-
thek zur Verfügung gestellt und
letzterer ist damit die Möglichkeit ge-
geben worden, ihre reichen Schätze,
die bisher nur schwer zugängig
waren, den Interessenten in geeig-
neter Weise vor Augen zu führen.
Nachdem nun diese Lokalitäten,
unter denen das ursprüngliche Re-
fektorium des Jesuiten-Kollegs, ein
grosser, mit reichen Deckenverzie-
rungen und dem Wappen des Fürst-
bischofs Friedrich Karl v. Schönborn
geschmückter Saal, die Aufmerk-
samkeit des Besuchers in hohem
Mafsc fesselt, einer durchgreifenden Renovation unter-
zogen worden waren, konnte am 5. Juni die Aus-
stellung unter zahlreicher Anteilnahme der Angehörigen
der Universität eröffnet werden.
Die zur Schau gestellten Gegenstände sind in fünf
Abteilungen eingeteilt, die in ebensoviel Räumen Auf-
stellung gefunden haben. Die erste und numerisch
gröbste umfasst die ältesten und hervorragendsten
Druckwerke der Bibliothek von der Erfindung der
Buchdruckcrkunst bis zum Jahre 1519. Sie enthält fast
ausschliesslich Erzeugnisse deutscher Pressen und giebt
ein getreues Bild der raschen Ausbreitung und Ent-
wickclung, welche die Typographie in den ersten
70 Jahren ihres Bestehens in Deutschland erlangt hat.
So liegen u. a. auf neben dem ersten Bande der Guten-
bergschen 36 zeitigen Bibel und dem der gleichen
Presse zugewiesenen Thomas de Aquino de articulis
lidei Fragmente eines l'crgamcntcxcmplarcs des Fust-
Z. f. B. 98/99.
Unterdem Allerhöchsten Protektorate Sr. Majestät des Königs *
Ausstellung
ELEKTROTECHNIK und KUNSTGEWERBE.
STUTTGART
Juni bis September
Plakat voo Professor V. Keller. Orij.- Grösse 110x83 cm.
Schürfers- hen Psaltcriums von 1457, die 48 zeilige Bibel
und die ersten datierten Drucke Strassburgs, Augs-
burgs, Nürnbergs und Ulms. Ferner sind vorhanden
eine Reihe der frühesten und hervorragendsten illu-
strierten Bücher, darunter die vierundzwanzig Alten
von Otto von Passau (c. 1470), die erste deutsche
illustrierte Bibel (1473), ein deutsches Plenarium von
1473, der Schatzbchalter der wahren Reichtümer des
Heils (1491), Hroswithas Werke (1501) und Prindcrs
beschlossener Garten des Rosenkranzes Maria (1505),
sowie bedeutende Werke in ihren ersten Ausgaben,
wie das erste Buch von Thomas a Kcmpis de imitationc
Christi — von dem bis jetzt nur 3 Exemplare bekannt
sind — Boethius de consolatione philosophiac, die
goldene Bulle, Wolfram von Eschenbachs Parzival, der
deutsche und der griechische Psalter, des Johannes
Regioinontanus Ephcmeriden für die Jahre 1475 1506
u. a. in. Auch Pergamentdrucke sind in wohlerhaltenen
34
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266
Chronik.
Exemplaren vertreten, von denen Pfinzings Thcuer-
danck in der editio prineeps von 1517 das bedeutendste
ist. Den Schluss machen die Haupterzeugnisse der
ältesten Würzburger Druckereien (147g — 1504}, darunter
das erste Missalc, welches mit beweglichen Lettern
gedruckte Musiknoten gotischer Form enthält, sowie
das wohl ab Unikum anzusehende Würzburger Heilig
lumsbuch, 1483 von Hans Mayer in Nürnberg ge-
druckt.
Das zweite Zimmer zeigt eine Sammlung hervor-
ragend schöner Miniaturen des XV. Jahrhunderts und
eine Reihe Einblattdrucke, von denen ausser einem
aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts stam-
menden Sehrotblattc, die Madonna mit dem Kinde
darstellend, und einem Ablassbriefe von 1488 Kalender
für die Jahre 1472 und 1475, sowie ein Flugblatt aus
dem Hauernkriege vorzüglich Erwähnung verdienen.
Hieran schlicsst sich die Handschriften- Abteilung,
welche die wertvollsten der Manuskripte, vorn V. Jahr-
hundert an bis zur Zeit des siebenjährigen Krieges, in
sich birgt. Es sind in ihr nicht nur die inhaltlich wich-
tigsten enthalten, wie ein Codex rescriptus mit einer
vorhieronynianischen Bibelübersetzung, Pristillian- und
Ciceroschriften, Fragmente des Nibelungenliedes, u. s. w.,
sondern auch die durch Initialen und Miniaturen be-
merkenswertesten Codices und die wegen ihrer kost-
baren, mit Elfcnbeinreliefs aus dem X. — XII. Jahr-
hundert geschmückten Einbände berühmten Evan
gelienhandschriften. Von den letzteren sind diejenigen,
welche einst Eigentum des hl. Kilians, des Frankcn-
apostcls, und des hl. Burkhards, des ersten Bischofs
von Würzburg, gewesen sein sollen, die hervorragendsten.
Ausserdem haben luer auch noch einige Teigdrucke
ihren Platz gefunden.
Im vierten Zimmer folgen in besonderem Fest-
schranke die aus Anlass der Universität* Jubiläen
1682 und 1782 erschienenen offiziellen Publikationen,
sowie die bei der dritten Säkularfeier 1882 über-
gebenen Adressen und Festgaben. Unter den letzteren
ist besonders die von C.cheimrat von Wegelc verfasste
Geschichte der Universität bemerkenswert, welche als
Pergamentdruck sowohl, wie durch ihren altertümlichen
Alterer lurlu icher Einband
aui der Fürst!. Furslenberi(i»chen U.bl.olhek in Dunauetirnnieii.
(Sieht Seile 164.)
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26 7
Prachteinband einen sprechenden Beweis von der
Leistungsfähigkeit der Buchdrucker- und Buchbinder-
technik der neuesten Zeit liefert.
Im letzten Zimmer endlich sind, ausser einer Samm-
lung alter Buntpapiere hauptsächlich des XVI II. Jahr-
hunderts, die vorzüglichsten Büchereinbände, sowie die
seltensten Exemplare der Ex-Libris-Sammlung ausge-
stellt. Bei den ersteren, die fast durchaus dem XVI. und
XVII. Jahrhundert angehören, sind neben dem ältesten
datierten und mit dem Namen des Buchbinders (Domi-
nikaner Conrad Förster zu Nürnberg 1442) versehenen
Bande zumeist die Einbände der Rcformaüonszeit und
die der Buchersammlung des Fürstbischofs Julius, des
Begründers der Würzburger Hochschule, vertreten,
während die Biblinthckszvichen fast sämtlich dem
XVI. Jahrhundert entstammen und gar manche ent-
halten, welche, wie z. B. das des Hieronymus Schenk
von Sumawe (c. 1503) oder die des Würzburger Weih-
bischofs Augustinus Marius (1521 und 1522), bisher so
gut wie unbekannt waren.
Als Schmuck der Wände in fast allen Räumen
dient eine Keihe Thesen des XVII. Jahrhunderts von
verschiedenen Universitäten, unter welchen die der
Würzburger Hochschule angehörenden sämtlich auf
Seide gedruckt sind.
Die Ausstellung, die nach dem Gesagten wohl
jedem Bücherfreunde etwas Merkwürdiges bieten
dürfte, ist an einigen Tagen des Sommersemesters dem
allgemeinen Besuche geöffnet, aber auch sonst nach
vorheriger Anmeldung bei der Bibliotheks- Verwaltung
an den Werktagen zwischen 12 und I Uhr Mittags
jedem Interessenten zugängig.
Wurzburg. Dr. E. Freys.
Ein gcmuttes Ex Ubris Rudolfs von Franckenstein,
Histhnfs von Speyer /jr>? — / 560. Nachtrag zu „Zeit-
schrift" I, l, 279. — In Simon Widmanns Schrift
„Eine Mainzer Presse der Reformationszeit im Dienste
der katholischen Litteratur", Paderborn 1889, wird auf
S. 88 ein drittes Exemplar dieses gemalten Ex-Libris
folgendermafsen beschrieben: Agenda ecclesiae Mo-
guntinensis, Moguntiae exeudebat Franciscus Behem
1551, venales reperiuntur apud Thcobaldum Spengcl.
Fol. In der Wiesbadener I.andcsbibliothek, aus der
Pfarrei Harthausen. Vorn findet sich das gemalte
Wappen des Bischofs Rudolf von Speyer mit der
Zahl 1558, auf der Innenseite des Hinterdeckcls das
gemalte Bild des hl. Johannes Bapt., des Patrons
der Kirche von Hanhausen, mit einer lateinischen
Inschrift, die fast wörtlich mit der auf dem Deckel
des Herrn Stiebcl stehenden übereinstimmt. Auf
der Rückseite des Titelblattes ein an den Pfarrer in
Harthausen gerichtetes Hcxastichon Joannis Richii
Gandaui Episcopi Spirensis Cubicularii, das sich auf
die von «lern Bischof geschenkte Agende bezieht. Eine
spätere Hand hat unter anderem die Bemerkung zu-
gefügt, dass Rudolf von Franckenstein als Bischof von
Speyer 1558 diese Agende in seinem Bistum eingeführt
und jeder seinem Hirtenstab untergebenen Kirche in
Stadt und Land ein Exemplar geschenkt hat, in das er
auf seine Kosten sein Familienwappcn vereint mit jenem
seines bischöflichen Sitzes und dem Bildnis des Kirchen-
patrons hat einmalen lassen.
Dieser Eintrag bestätigt meine Vermutung, dass
der auf den hinteren Deckel im Besitze des Herrn
Stichel gemalte gewappnete Ritter den hl. Georg, den
Patron der Kirche in Scheibenhart, darstellt Die Wies-
badener Agende mit ihren Bildern und Einträgen ver-
glichen mit den beiden abgelösten Deckeln ist mir
wieder ein neuer Beleg für die in dieser Zeitschrift I,
2, 475 ausgesprochene Ansicht, dass man, im Interesse
der Ex-Libriskunde selbst, alte Ex-Libris nicht aus den
zugehörigen Büchern herausnehmen soll.
Darmstadt. Dr. Adolf Schmidt.
Meinungsaustausch.
In der interessanten Arbeit des Herrn E. Fuchs
tiber die /.o/a Monte:- Karikaturen ist auch ein Blatt
„Ijola auf der Tribüne" wiedergegeben. Dasselbe ist
in dem seiner Zeit bekannten Verlag von Ed. Gustav
May in Frankfurt a. M. erschienen. Auf einem an das
Rednerpult angehefteten Zettel stehen die Worte: „Hat
keinen Datum nicht." Da es nun schon nicht recht er-
sichtlich ist, wie Lola auf die Rednertribüne in Frank-
furt kommt, so geht aus diesen Worten ganz unzweifel-
haft hervor, dass die Karikatur nicht Lola, sondern
den Fürsten Felix von Uchnowsky wiedergeben soll.
Es giebt nämlich zwei andere Karikaturen, welche sich
auf den Fürsten beziehen und die in der Unterschrift
jene Worte ebenfalls bringen. Zweifelsohne hat
Lichnowsky in etwas veränderter Form diesen Aus-
spruch bei irgend einer Gelegenheit im Parlament ge-
than. Das eine Blatt erschien bei J. B. Simon, eben-
falls in Frankfurt a. M. : Lichnowsky in ganzer Figur,
in der rechten Hand ein Fernglas, in der linken einen
Opergucker, im Auge ein Lorgnon, hinter ihm auf er-
höhter Tribüne Gagern und Soiron. Die Überschrift
lautet: „Parlamentarischer Anstand", die Unterschrift:
„Zuäugcln mit den Schönen ist Volksvertreters Pflicht,
Denn mein Gesetz des Auslands hat keinen Datum
nicht"
Das zweite Blatt, herausgegeben von J. Stern in
Ottenbach, zeigt einen Ballsaal, viele Gänse als Damen,
drei Herren als Hähne. Im Vordergründe steht ein
Hahn mit Lichnowskys Kopf, ihm gegenüber eine
Gans mit Damenkopf. Die Unterschrift lautet:
Patricia: „Ich kann nicht widerstehen, den
Schrecken aller Ehemänner kennen zu lernen, selbst
auf die Gefahr hin, das historische Eherecht zu ver
letzen."
Schnapp Hahnsky: „Ich bin ganz entzückt über den
Fortschritt, den die Emancipation gemacht hat, um
aber Ihre Besorgniss noch zu beseitigen, mögen Sie
wissen, das historische Recht hat keinen Datum nicht..."
Abgesehen von diesem Ausspruch Lichnowkys gab
ohne Zweifel sein etwas geckenhaftes Auftreten den
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268
C hronik.
Anlass dazu, ihn mit Lola Monte/ im Spottbilde zu
vergleichen.
Schliesslich möge erwähnt sein, dass sich ein Bild
der Lola, kurz vor ihrem 1861 erfolgten Tode ange
fertigt, in No. 922 vom 2. März 1861 der „Leipziger
Illustrierten Zeitung" findet
Mit grösstcr Hochachtung
Hamburg. Dr. R. Ferber.
m
Zum Artikel „Lola Monles in der Karikatur" wäre
noch zu erwähnen: „Humoristisch satyrischer Volks-
kalender des Kladderadatsch für /Sjo" (Berlin, A. Hof-
mann & Comp.), S. 5.: „Biographien berühmter
Menschen der Gegenwart. — Ludwig der Bayer.
Früher Dichter unter denen von Gottes Gnaden. Jetzt
von Gottes Gnaden noch unter
den Dichtern. Das Übrige
siehe unter Mola Lontes, H aupt-
mannsfrau aus England." Da-
rüber ein karikierter Männer
köpf mit Krone.
Berlin. v. P.
Über die Einrichtung der
ersten Buchdruckerei in Kon-
stantinopel giebt Faulmann in
seiner Geschichte der Buch-
druckerkunst S. 465 an, dass
Said EfTendi, der Sekretär der
Gesandtschaft, welchen Sultan
Ahmed II. 1726 nach Frank-
reich schickte, die Erlaubnis
erhalten habe, in Konstanti
nopcl eine Officin zu gründen.
Er habe, so berichtet Faulmann
weiter, nach Mustern, die er aus
Leyden bezog, eigenhändig die
Matrizen angefertigt und die nötigen Charaktere, also in
Konstantinopel, giessen lassen. Eine Quelle giebt Faul-
mann für seinen Bericht nicht an. Wir haben deshalb
im 1. Jahrgange der „Z. f. B." S. 168 die Erzählung G. D.
Scylers aus dem Jahre 1740 wiedergegeben, wonach
50 Zentner arabisch- türkischer Lettern, welche in Leyden
angefertigt waren, von dort nach Konstantinopel
gebracht wurden. Nur macht Herr Joh, F.nschcde
in Haarlem in einem interessanten Zuschreiben uns
darauf aufmerksam, dass eine Schriftgiesserci in Leyden
nach dem Jahre 1713 nicht nachweisbar ist. In diesem
Jahre seien Stempel und Matrizen- einer Elzcvierschcn
Doppel-Cicero-Arabisch, welche Professor Erpenius an-
gefertigt hatte, verkauft worden. Wer sie kaufte, ist
nicht nachweisbar, aber seit 1773 sind sie im Besitz
der bekannten Druckerei Johannes Enschcdc.
Wenn nun nach 1713 wirklich keine Schriftgiesserci
in Leyden nachgewiesen werden kann, so ist es nicht
unbedingt von der Hand zu weisen dass die Elzevier-
sche arabische Schrift durch Zwischenkauf um das
Jahr 1726 nach Konstantinopel gelangt sein kann, wo
sie so lange blieb, bis die kurze Blütezeit der Buch-
druckerkunst daselbst ihr Ende erreichte. Dies war
Ende der siebziger Jahre der Fall. — r.
In meinem Bericht über die „Bremischen Theater-
zettel von 16SS" in der vorigen Nummer dieser Zeit-
schrift habe ich beiläufig auch von dem Altersvorrang
gesprochen, den man ihnen zuschreibt. Ich werde
nun von geschätzter Seite auf das in der zweiten Auf-
lage des Könncckcschen Bildcratlas wiedergegebene
Rostockor Plakat aufmerksam gemacht, das ich über-
sehen habe (es wird „um 1520" datiert, und daran er-
innert, dass der von mir erwähnte Nürnberger Zettel
richtiger in das Jahr 1650 verlegt wird.
Bremen.
Prof. Dr. Heinr. Bulthaupt.
11 Heinrich Vogeler
au» ,, Hannoversches Dichterbuch".
CoHiogeo. L.
Die Anfrage in Heft IV
dieses Jahrganges S. 176 F. IV.
Gubits betreffend, kann ich
insoweit beantworten, als ich
Kenntnis von einem Buche
habe, das den Titel führt:
„Sammlung von Verzierungen
in Abgüssen für die Buch-
drucker Presse, zu haben bei
F. IV. Uubitz." Es ist in einer
Folge von sieben Heften, von
1824—1854 in der Vcrcinsbuch-
handlung Berlin, erschienen.
Dieses Werk, das insge-
samt 2361 Abbildungen enthält
und dessen Wert auf etwa
30 M. geschätzt wird, liegt
augenblicklich einer hiesigen
Behörde zum Ankauf vor.
über das fernere Schicksal
des Buches will ich gern weitere Mitteilung machen.
Berlin. W.
Buchausstattung.
t 'nter dem Titel „Hannoversches Dichterbuch. Ein
Sammelbuch heimatlicher Dichtung" hat Hans Müller-
Brauel bei Luder Horstmann in Göttingen einen
prächtigen Band erscheinen lassen. Hannoverland hat
viele gute Dichternamen aufzuweisen, alte von be-
währtem Klang und neuere wie Evers, Hartleben,
Hcnkell, Griscbach, Ompteda und den Herausgeber
selbst. Von allem bringt das Buch eine stattliche Aus-
wahl, zum Teil schon Gedrucktes, teils auch Original-
beitrage. Besondere Berücksichtigung hat auch die
mundartliche Dichtung gefunden, und so haftet dem
Werke gewissermafsen ein Heimatsodem an, der kräf-
tige Erdgeruch der Hannoverschen Scholle.
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Chronik.
269
Für unsere Leser hat das Buch noch ein besonderes
Interesse durch den künstlerischen Schmuck, der ihm
zu Teil geworden ist. Heinrich Vogeltr, einer der
Besten aus der kleinen Malerkolonie im Tcufclsmoor
von Worpswede, hat eine Anzahl Zierleisten, Schluss-
stücke u. dcrgl. m. entworfen, von denen die meisten
— nicht alle, denn es findet sich auch minderwertiges
darunter — kleine Kunstwerke von eigentümlichem
Kciz sind. Hie und da hat der Künstler in Ideen
gemeinschaft mit dem Herausgeber versucht, Charakte
ristisches der verschiedenen Autoren durch den Bei-
schmuck zu illustrieren. In einer der reizenden Zier
leisten (siehe S. 258 dieses Heftes) hat er sich selbst
porträtiert; das Bild der alten Krau (S. 269) zu Müller-
Brauels schöner niedersächsischer Übertragung desCon-
radschen (iedichts „Mara
Mottcr" wurde nach einer
Amateurphotographie des
Herausgebers entworfen,
ebenso die Kopfleiste zu den
Müller -Braueischen Dich-
tungen, das Innere eines
niedersärhsisrhen Bauern-
hauses darstellend. Durch
diesen Buchschmuck erhalt
das ganze Werk den Zauber
einer gewissen Intimität ; wie
der Herausgeber, so ist auf h
der Zcichncreine vollgültige
Persönlichkeit — das spürt
man.
Nach Vogclers Angaben
wurde auch der Einband
entworfen: weisses Leinen,
von dem sich die Titelvig
nette in Schwarz- und Gold-
druck kräftig abhebt Das
Vorsatzpapier trägt ein Ge-
spinnst von weissen Blättern
auf resedagrünem Grunde,
die hintere Seite des Deckels
den Giebelschmuck des
niedersächsischen Bauern-
hauses: zwei Pferdeköpfe. Julius Hager in Leipzig
stellte den Einband her; gedruckt wurde das Werk in
der Dicterichschen Univcrsitätsdruckerei in Güttingen
Ausser der gewöhnlichen Ausgabe (broch. M. 6, gebd.
M.7) wurden noch folgende Ausgaben für Bücherfreunde
hergestellt: 6 Exemplare auf Japan (zu M. 50), 5 Exem-
plare auf Kupferdruckpapicr und 14 auf deutschem
Bütten (zu M. 25), alle handschriftlich numeriert — z.
In hervorragend schöner künstlerischer Ausstattung
präsentiert sich ein kleines Buch, das Guido List unter
dem Titel „Der l nbesicghire. Ein Grundzug ger-
manischer Weltanschauung" bei Cornelius Vetter in
Wien erscheinen liess ( — ,60 Fl). Schon der saubere
Druck mit Schwabacher Typen auf Büttenpapier, die
Stückenköpfe und Initialen in roter Farbe, machen es
dem Liebhaber wert, mehr aber noch die sehr ge-
schmackvollen Zierleisten von O. C. Cteschka. Die
Umschlagzcichnung selbst ist das am wenigsten Ge-
lungene, denn der pessimistische, forschende Ausdruck
des Idealkopfes ist dem Germanen und auch dem In
halt des Buches völlig fremd; die Farben der symbo-
lischen dreieinigen Blüten sind grell, und der Titel ist
trotz seiner kalten Weisse undeutlich. Der Innenschmuck
dagegen, vom Januskopf des Schmutzblattes an, das
einen facsimilierten Ausspruch des Autors trägt, ist als
ganz außergewöhnlich gelungen zu bezeichnen. Die
erste und schönste Kopfleiste stellt einen faustischen
Forscher dar, der die Schädel der Tiermenschen
grübelnd beim Flackern einer Kerze vergleicht; die
Einwirkung Sattlers, ohne seine Starrheit, ist hier un-
verkennbar. Die zweite
Kopfleiste, harfenspielende
Frauen darstellend, ist lieb-
lich und anmutig, die dritte,
eine Art Chaos, ziemlich
wirr und ausdruckslos. Der
Hauptreiz des Bändchens
liegt in den entzückenden
Vignetten, die in den Text
zahlreich eingestreut sind.
Über den Inhalt dieses
„neuen Katechismus" möch-
te ich an dieser Stelle
schweigen; er scheint mir
Tür die Einfachen viel zu
gebildet und für die Gebil-
deten denn doch zu einfach,
obwohl er mannigfach Be-
herzigenswertes in schönen
Worten enthalt. — r.
Buchschmuck von Heinrich Vogeler
aut ,,ll«nno»er»ehet I) i c h t er buch",
(iuiungcu. U Honlnunn.
Die Kunstanstalt für
Hochätzung von /. G. Schei-
ter &* Gitsecke in Leipzig hat
ein neues I'robenheft er-
scheinen lassen, das vollen
Anspruch auf Beachtung verdient Das Heft enthalt
sowohl Abdrücke von Strichätzungen wie von Auto-
typien und Dreifarbendrucken. In erster Linie ist die
künstlerische Behandlung zu loben, die bei vollster
Wahrung des Originals so ausserordentlich wirkt, dass
man zuweilen glaubt, Lichtdrucke vor sich zu haben.
Die überaus scharfe Ätzung ermöglicht die klarsten und
deutlichsten Abdrücke, so dass die Schönheit der Bilder
voll hervortritt. Man hat bisher vielfach die ameri-
kanischen Autotypien für die besten gehalten, aber man
braucht wahrlich nicht in das Ausland zu gehen, um sich
Klischees von einer Druckfähigkeit zu verschaffen, die
allen Ansprüchen genügt.
Besonders freudig wird die Druckerwelt die tadel-
losen Dreifarbendrucke der Firma Scheiter & Giescckc
begrüssen, die den Durchschnittsleistungen der Chromo-
lithographie in keiner Weise nachstehen, sie in Bezug
auf die getreue Wiedergabe der Zeichnung in den
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270
Chronik.
Originalvorlagen sogar häufig noch übertreffen. Die
feine Durcharbeitung der Platte, die genaue Farben-
passung und die peinlich saubere Nachgravur macht
der Erziclung farbenschöner Drucke keine Schwierig-
keiten mehr. — k.
Antiquariatsmarkt.
Das Buch- und Kunstantiquariat von S. Kende in
Wien kundigt den Erwerb eines bisher unbekannten
Briefwechsels an sn'ischtn /oh. Peter Eckermann und
der Auguste Kiadzig, Schauspielerin am Weimarer
Hoftheatcr, später Gemahlin Karl Laroches. Der
Briefwechsel umfasst vier eigenhändige, der Auguste
Kiadzig gewidmete Gedichte, einen Aufsatz, betitelt:
„Meine Kenntnis der Farbenlehre giebt mir folgende
Resultate" (2 S. fol.), dann „Fernere Anwendung"
(2. S. fol.), beide Stücke mit den Daten „Weimar),
den 19. Jan. 1830" versehen und 36 gänzlich unbekannte
eigenhändige Briefe Eckermanns aus den Jahren 1828 bis
1831, in Weimar geschrieben und sämtlich an „Demoi-
seile Auguste Kiadzig" gerichtet. Die beiden Aufsätze
über Farbenlehre sind jedenfalls der Anregung Goethes
zu verdanken und beziehen sich auf die Farbenwirkung
auf der Bühne und besonders auf die Fussbckleidung.
Die 36 eigenhändigen Briefe Eckermanns zeugen von
seiner hohen Verehrung für Auguste Kiadzig. Den
Kern dieser hochinteressanten Briefe aber bilden die
Mitteilungen, die Eckcrmann über seinen Verkehr mit
Goethe macht; sie fördern manches Ncucans Tageslicht
in Bezug auf Goethes Theaterleitung in Weimar, auf
das Wesen seines „Faust" und die erste Aufführung
dieser Dichtung am Weimarer Hoftheatcr. Von den
Gedichten ist eins unbekannt. Die Hricfc sind mit
einer Ausnahme von fast tadelloser Erhaltung und schön
auf Quartblatter geschrieben. Der Treis für die Kollek-
tion beträgt 700 M. - bl—
Das Antiquariat von Xathan Kosenthai in München,
Schwanthalerstr. 32, versendet 16 seiner Schcnhcits
kataloge zum Preise von M. 20 — auch zur Ansicht —
mit einer grossen Auswald von Werken und Kupfer-
stichen aus dem XV. und XIX. Jahrhundert, vor allem
mit zahlreichen Inkunabeln. Diese Kataloge an sich
sind * hon von gros-sem Interesse. — m.
Kleine Notizen.
Deutschland und Österreich- Ungarn.
Von Th, II. Puttenitis Gesammelten Romanen er
scheint gegenwärtig eine Lieferungsausgabe in 54 Heften
(zu je 50 Pf.) bei den Verlegern dieser Zeitschrift. Die
Ausstattung ist trotz des billigen Preises würdig und
vornehm. Die Dcckcl/ciuhnung giebt Motive von
naturalistischen Nelken mit ornamental verwandtem
Blattwerk wieder und wirkt sehr hübsch. Über den
inneren Wert der baltischen Erzählungen Pantenius' ist
nichts Neues mehr zu sagen; des Autors Name gehört
längst der Litteraturgeschichtc an. — z.
Johann Brito interessiert zur Zeit wieder ganz be-
sonders. Ausser Herrn Bergmanns hat nun auch der
Landgerichtsdirektor Herr Dr. A'. G. Bockenkeimer in
Mainz eine Broschüre gegen das Brito werk des Arcbu
vars Gilliodts van-Severcn veröffendicht. Sie beutelt
sich Johann Brito aus Brügge, der angebliche Er-
finder der Buchdruckerkunst" (Mainz, Verlagsanstalt
und Druckerei A.-G.) und ist so allgemein verständlich
geschrieben, dass wir ihr die weiteste Verbreitung
wünschen. — n.
Von Hedelers Verzeichnis von Prh'athibliotheken
ist der dritte Band: Deutschland erschienen (Leipzig,
G. Hedcler; M. 10). 817 Privatbüchercicn im Umfang
von ca. 3000 Bänden an bis zu 30000 und mehr wer
den angegeben. Das 58 Abteilungen umfassende Sach-
register ermöglicht leicht die Feststellung der ver-
schiedenen Gebietsrichtungen, nach denen die Samm
lungen angelegt worden sind. Für Buchhändler,
Antiquare und Sammler sind die Hedelerschen Verzeich-
nisse von unschätzbarem Vorteile.. In Vorbereitung
befindet sich als fünfter Band Österreich- Ungarn, dem
noch ein Nachtrag zum dritten Bande angefügt werden
soll. Beiträge nimmt der Herausgeber und Verleger
entgegen. — bl —
Im Verlage der Fr. Lintzschcn Buchhandlung in
Trier erscheint von nun ab in zwanglosen Heften das
von dem dortigen Stadtbibliothekar Dr. Max Keuffer
herausgegebene „Trierische Archiv." Das erste Heft
ist erfreulich inhaltsreich. Der Herausgeber beschreibt
ausfuhrlich das im Besitze des Lords Crawford befind-
liche Prümer Lcktionar von 1060, seiner Ausstattung
und seinem Inhalt nach das hervorragendste Denk-
mal des untergegangenen Stifts, und giebt in einem
weiteren Artikel eine lange Buehbindercechnung aus
dein vorigen Jahrhundert über die Neubindung eines
zweiten berühmten Stiftmanuskripts wieder: des Codex
Egberti von St. Paulin. Domkapitular Dr. l^ager be-
spricht eine in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhun-
derts gegebene „Dienstordnung" für die niederen An-
gestellten des Tricrischcn Domkapitels, die sich in
zwei Abschriften aus dem XV. Jahrhundert im Dom-
archiv findet und inteiessante Einblicke in die wirt-
schaftlichen und sozialen Verhältnisse jener Zeit ge-
wahrt. Oberlehrer Feiten hat einen Aufsatz über
Bonagratias Schrift zur Atdklarung über die Nichtig-
keit der Prozesse Papst Johanns XXII. gegen Ludwig
von Bayern beigesteuert, und Dr. Hermann Isay giebt
Einzelheiten zurGrschichic des Trierer Schöffengerichts.
Kleinere Mitteilungen und eine Schriftenschau bc-
sehliessen das Heft. — bl—
Von Heinrich Ifoas vortrefflicher „Geschichte der
rheinischen Städtekultur", die wir in diesen Blättern
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Chronik.
271
zu öfterem empfehlen konnten, erscheint nunmehr auch
(bei J. A. Stargardt, Herlin) eine Ausgabe in Liefe-
rungen zu je 2 Mark.
Das erste Heft des XIII. Jahrgangs der „Zeit
schrifl der Historischen Gesellschaft für die Pro?>ins
Posen" (Posen, J. Jolowicz) enthält u. a. eine sehr inter-
essante Studie des Archivars Dr. Ad. Warschauer über
„Keklamcblättcr zur I leranzichung deutscher Kolonisten
im XVII. und XVII I. Jahrhundert", als deren ältestes
der Verfasser den 164 1 erschienenen Aufruf des Woi-
woden von Kaiisch, Sigismund Grudzinski, zur He-
siedelung des Städtchens Schwersenz bezeichnet. Das
Blatt ist gut in kräftigen deutschen Typen gedruckt;
der Druckort ist nicht angegeben, doch wird er in der
damals stark aufblühenden Rc-gulusschen Offizin in
Fosen hergestellt worden sein. — bl—
Uci Heinrich Gerlach in Freiberg i. Sachsen er-
schien in zweiter Auflage die „Kleine Chronik von
I-'reiberg" als Führer durch Sachsens Hcrghauptstadt
und Hcitrag zu Heimatskunde. Die erste Auflage er
schien vor zwanzig Jahren, als Ersatz für die noch
fehlende, bis zur Neuzeit fortgesetzte ausführlichere
Freiberg er Chronik; die zweite Auflage ist Dank der
Erschliesung zahlreicher neuer urkundlichen Quellen
erheblich erweitert und mit einer Anzahl Abbildungen
geschmückt worden, zum Teil nach älteren 1 lolzschnitten.
Die z- t i<eiie öffentliche Lesehalle der Stadt Herlin
im Lehrcrwohngcbaude in der Ravenestrasse hat ihre
IScnutzungsordnung und ein Verzeichnis der Nach
schlagewcrke, Zeitschriften u. s. w. verausgabt
In den Monumcnta Germaniae historica ist die
1875 von Theodor Mommsen übernommene Abteilung
der Schriftsteller der Vorzeit (auetores antiquissimi;
jetzt abgeschlossen. Sic umfasst 13 Quartbandc; von
diesen sind Kassiodor, Jordanes und die drei Bände
der Chroniken von Mommsen selbst, die übrigen unter
seiner Leitung bearbeitet worden. Der berühmte
Historiker giebt soeben einen zusammenfassenden
.Schlussbericht, der ein beredtes Zeugnis für die geistige
Frische des 80jährigen Gelehrten ist. Für die Samm-
lung der fränkischen und langobardischen Gcrichtsur-
kunden ist Prof. Dr. Taugl in Herlin an die Stelle des
Herrn A. Müller getreten.
Aus der Feder von /■". A. Borovsky, dem Verwalter
des „Hollarcums" in Frag, erschien „Wensel Notlar,
Ergänzungen zu G. Partheys beschreibendem Verzeich-
nis seiner Kupferstiche" (Frag, 1898;, ein Heft von nur
74 Seiten, das aber Dank seiner ausführlichen auf
fleissigc Studien sich stutzenden Angaben den Kupfer-
stichkabinetten, Kunsthistorikern und Sammlern eine
willkommene Gabe sein wird. — d.
Zur Errichtung einer Kaiser Wilhelm-Bibliothek in
Posen erlässt eine Anzahl hervorragender Persönlich-
keiten einen Aufruf in den Zeitungen mit der Bitte um
Zuwendung von Hüchern und Geldbeiträgen. Die Ver-
lagsbuchhandlung von Dunckcr & Humblot in Leipzig
nimmt Anerbietungen und Beiträge zur Weiterbeförde-
rung entgegen.
England.
Zu Ehren des verstorbenen Mr. William Morris
hat das British Museum in der „Kings-Library" eine
charakteristische Ausstellung von Büchern veranstaltet,
die in der Hauptsache ihre Knutchung der Keimscott
Press verdanken, ('.leichzeitig befinden sich dort
Bücher, welche Morris vornehmlich als Vorbilder zu
dem Drucke oder für die Illustration benutzte, ferner
hiermit verwandte Werke, sowie solche, die Burne-Jones
illustrierte.
Da die Keimscott Press am 4. März d. J. geschlossen
wurde, mithin kaum 7 Jahre in Thäligkeit war, so muss
man ihr nachrühmen, dass sie in dieser kurzen Zeit
Ausserordentliches schaffte. In der Hauptsache hat
Moriz Sondheim die Leser der „Zeitschrift für Bücher-
freunde" in Heft 1, Jahrgang II, in seinem dort be-
findlichen Aufsatz über William Morris so vortrefflich
orientiert, dass nur noch einige Einzelheiten nachzu
tragen bleiben.
Von den 53 Werken aus der Keimscott Press, die
zur Zeit im British Museum ausgestellt sind, stammt
eine ganze Reihe aus der Feder von W. Morris, sei es
als Verfasser oder nur als Übersetzer. Am meisten nach
dem Geschmack von Morris gelangen: „Chaucer",
„Psalmi Penitentialcs", „Laudcs Bcatae Mariae Vir-
ginis", die Romanze „Sir I'crcyvcllc", „Sir Dcgravaunt",
und „Sir Isumbras". Für den populären Gebrauch
hatte Morris bestimmt: Shakespeares „Poems and
Sonncls", Tcnnysons „Maud", Swinebumcs „Atalanta
in Calydon", die Gedichte von Keats, von Shelley und
Rossetti, sowie die ausgewählten Stücke von Herrick
und Colcridgc. Mit Ausnahme von „Maud" wurden
sie auc h thatsächlich vom Publikum stark begehrt.
Wir wissen, dass Morris sich in der glücklichen
Lage befand, nicht für materiellen Gewinn schaffen zu
müssen, und dass er nicht die Absicht besass, Reich-
tümer zu sammeln. Sein Geschäftssystem schützte ihn
aber in der Hauptsache ebenso vor Verlusten gleichwie
seine Abnehmer, obschon er für jede geleistete Arbeit
und für die Zuthatcn die höchsten Preise bewilligte.
Am gefährlichsten in finanzieller Beziehung erachtete
er die Herausgabc des „Chaucer", der jetzt in der
Auktion mit 40 Prozent über den Einkaufspreis bezahlt
wird. Keats und Shakespeare werden nur noch
zu Phantasiepreisen abgegeben. Von den sämtlichen
53 Werken giebt es meines Wissens nur 2 oder 3, welche
unter dem Ausgabepreisc veräussert werden. Die An-
sichten von Morris gipfelten in dieser Beziehung in
dem Grundsatz: Kleine Auflagen, hohe Preise. Die
meisten seiner Serien betragen nur 300 Exemplare pro
Auflage. Der Publikationspreis des „Chaucer" betrug
400 M., und vor der eigentlichen Auflage wurden noch
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Chronik.
acht, besonders luxuriös ausgestartete Exemplare zu
2400 M. verkauft.
In den Jahren 1888, 89 und 90 erschienen 3 Werke
von Morris in gewöhnlichen Typen , die aber, streng
genommen, nicht hierher gehören, da dieselben in der
Chiswick Press gedruckt wurden. Ich glaube mich
nicht zu irren, wenn ich sage, dass Mackails „Biblia
Innocentium" das einzige Buch war, natürlich mit Aus-
nahme der eigenen Werke von Morris, welches zum
erstenmal gedruckt wurde. Femer war nur zur Privat-
zirkulation bestimmt: der Brief Savonarolas „De Con-
temptu Mundi."
Das für alle Bücher verwandte leinene Handpapier
wurde nach einem Modell von Bologneser Papier aus
dem Jahre 1473 von Mr. Batchelor hergestellt Vor-
nehmlich wurde das leicht transparente und in drei
Grössen vorkommende Papier: Apple, Peach und
Primrosc aus deutschen Hemden angefertigt.
Die zu Experimenten herangezogenen Bücher für
die „Golden" oder „Roman type" waren: Aretinos
„Historia Florentina", 1476 von Le Rouge und „Plinius",
von Jenson gleichfalls 1476 in V r enedig gedruckt. Aber
es waren freie und kleine silarischc Imitationen. Für
seine gotischen Buchstaben, die in den beiden Arten
„the Troy type" und „the Chaucer type"' nur in der
Grösse variieren, nahm Morris als Vorbilder mehrere
Drucke von Peter Schofler in Mainz, Mcntclin in Strasse
bürg und Günther Zaincr in Augsburg. In der Buch-
stabenzeichnung wurden Ricke« und Shannon vor-
liegend beschäftigt, die Punzen waren von E. P. Princc
geschnitten, und die Holzschnitte zur Illustration für
Initialen und Ornamente stammten von H. Hooper.
Bereits im Jahre 1866 halte Morris die Absicht
gehabt, eine derartige Druckerei, wie sie später die
Keimscott Press wurde, ins Leben zu rufen. 45 Holz-
stöcke, von denen Morris selbst 35 nach Zeichnungen
von Bume-Jones zu Illustrationszwecken ausgeführt
hatte, waren schon fertiggestellt, aber aus mancherlei
Gründen wurde das angeregte Projekt wieder auf-
gegeben. Die Holzstöcke sind mit der Bestimmung
an das British Museum geschenkt worden, dass sie
vor Ablauf von too Jahren nicht wieder benutzt werden
dürfen. Um Spccialausgabcn von Morris Werken
herauszugeben, bleiben die Typen in der Hand der
Testamcntsexekutoren, aber ohne die, nun für 100 Jahre
ruhenden Ornamente bleibt die „Kclmscott Press"
thatsächlich doch geschlossen.
Bis zum Jahre 1893 war hauptsachlich F. S. Ellis
bei der Herausgabe der Werke beteiligt. Von diesem
Jahre ab wurde Morris sein eigner Verleger, und es
erschienen nun die besonders schön ausgestatteten
Prospekte. Dauerndes Interesse für die Keimscott
Press bekundete vor allem B. Quaritch. In seiner
vielfachen Thatigkcit als Künstler, Schriftsteller und
Drucker hat Morris Ausgezeichnetes, das Unvergäng-
lichste in seinen Büchern erreicht. Er war von schönen
Idealen beseelt und hat als Mensch und für die Mensch-
heit das Höchste erstrebt O. v. S.
Die siebente Jahresausstellung der ExLibris Gesell-
schaft in London wurde im Westminster-Palasthotel er-
öffnet Die Signatur der Ausstellung bildet in diesem
Jahre das überwiegende Vorhandensein von Biblio-
thekszeichen, die von modernen Künstlern und Kupfer-
stechern aller Herren Länder angefertigt worden
Aber auch manche alteren Meister waren gut vertreten.
Unter den modernen Arbeiten befinden sich nament-
lich viele heraldischen Charakters. Einzelne der Ex-
Libris sind auch humoristischen Inhalts, wie z. B. das-
jenige von P. May für Clement Shorter hergestellte.
Für das Titelblatt des Katalogs wurde sehr zeitgemäss
das Ex Libris Gladstones ausgewählt. Dasselbe ist
von F. E. Harrison im Auftrage von Lord Northbourne
gezeichnet. Letzterer schenkte das Blatt Mr. Gladstone
zu seiner goldenen Hochzeit. Der Aussteller dieses
Bibliothekszeichens ist Mr. W. H. Wright, der gelehrte
und liebenswürdige Ehrensekretar der Gesellschaft
Einzelne interessante Arbeiten waren ausgestellt, die
der am 8. Januar verstorbene Mr. Stacy Marks an-
gefertigt hatte. Er war Mitglied der Königlichen
Akademie der Bildenden Künste und wurde besonders
von Kuskin hochgeschätzt Mr. Gordon Craig hat für
die bekannte Schauspielerin Ellen Terry ein hübsches
Bibliothekszcichen entworfen. Die Mitglicderzahl der
Ex libris Gesellschaft beträgt zur Zeit 460. — tz.
Frankreich.
Zu den grössten Seltenheiten auf dem Gebiet des
Zeitungswesens gehört wohl die Sammlung der
„Gaselte", welche 1631 von Renaudot gegründet wurde.
Sie wurde durchweg mit schwarzen Typen gedruckt,
bis auf eine einzige Nummer, die des 31. Dezember
1683, deren „G" rot erglänzt. Im „BulL du Bibl." erzählt
nun der Marquis de Granges de Surgeres, dass er in
dem betr. Exemplar der Biblioth£que nationale ein
Zettelchcn gefunden habe, auf dem in altertümlicher
Schrift zu lesen stand, dass ein Mann erlauscht hätte,
man wolle den König vergiften. Der Mann teilte dem
Könige das Komplott mit nannte sich aber nicht, da
er keine Belohnung wünschte, sondern erbat sich als
einrige Gnade, zum Zeichen dass der König gerettet
sei, einen roten Buchstaben in der Zeitung. Der König
licss die Verbrecher arretieren und am 31. Dezember
besagtes rotes „G" in die „Gazette" rücken.
-bl-
S>WhiiH4<& vtrl\<trn. — .MU Kfchte i>ert><-fia!UM.
Für die Redaktion verantwortlich: Fcdor von Zobeltitz in Herl in.
Alle Sendungen redaktioneller Natur in denen Adrewe: Berlin W. AugsburgerMrmte 6t erbmn.
^.druckt »oi> W. Oruculia in Leiprif für Velhagen & Kla*inc "> B>elefe!d und Leipiig. - Papier der Neuen Papier-
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Bibliographie.
Deutschland.
• Vogt, Fr. und Koch, Max: Geschichte der deut-
schen Littcratur. Leipzig, Bibliogr. Institut. Gr.-8°,
760 S., ülustr. (M. 16.)
Grimme, Fr.: Geschichte der Minnesänger. Bd. I.
Paderborn, Scböningh. 8°, 330 S. (M. 6.)
Mtnts, G. -. Die deutsche Publizistik im XVII. Jahr-
hundert. Hamburg, Verlagsanstalt 8°. (M. 0,60.)
• Fürst, Rud. -. Die Vorläufer der modernen Novelle
im XVIII. Jahrhundert. Halle, Niemeyer. Gr.-8°,
240 S. (M. 6.)
Bett, L. P.: Die französische Littcratur im Urteile
Heinrich Heines. Berlin, Gronau. Gr.-8°, 67 S. (M. 2.)
• Stenghin, M.-. Die Reichsgesetze zum Schutze
des geistigen und gewerblichen Eigentums. Berlin,
Liebmann. Gr.-8°, 223 S.
Frankreich.
DelisU, L.: Catalogue general des Incunables des
Bibliotheques publique« de France. T. I. Paris,
Picard. 8°, 602 p.
England.
Locdon,
Aflalo, F. G. -. The litterary year books.
Allen. 12°, 300 S.
Finckam, H. W. -. Artists and engravers of British
and American book plates: Book of reference for
collectors. London, Kegan Paul, Trench, Trübner & Co.
152 S.
• Pollard, A. W.: Facsimiles from early printed
books in the British Museum. London, Fisher Unwin.
(Sh. 8).
Rundschau der Presse.
Zur Frage der künftigen Verwendung des alten
Nationalmuseums in München, wird der „Allg. Ztg."
geschrieben: Wie freiwerdendes Regierungsland in
Nordamerika, so ist jetzt das alte Nationalmuseum von
all denen umlagert, die für den oder jenen Zweck von
seinen Räumen Besitz ergreifen wollen. Da möchten
wir denn, ehe es heisst, „die Welt ist weggegeben,"
S.3.)
— 2
(Angebote. Fort». ». S. «.)
Hugo Hayn,
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Beiblatt
Fora. v. S. s.)
für zwei Sammlungen in ihm um Unterkunft bitten, die
vor anderen an diese Stätte passten. Die erste ist die
Maülingtt Sammlung, die als „Bilderchronik der Stadt
München" mit der städtischen Sammlung durchTaus ende
von Blättern ein treues, lebendiges Abbild des Werdens
der Stadt, ihrer Schicksale in freudigen und traurigen
Tagen, der Personen, die in ihr gewirkt, geben, ein
Bilderbuch im grossen Stil, wie keine Stadt eines auf-
zuweisen hat. Jetzt aberistsiein Räumen untergebracht,
die zu klein sind, um eine reichere Ausstellung der
Schätze zu ermöglichen, vor allem aber so dunkel, dass
an trüben oder regnerischen Tagen eine „Besichtigung"
gänzlich unmöglich ist. Kein Raum könnte Tür diese
Sammlung passender sein, als die Säle des National-
museums, deren Wände mit den Fresken aus Bayerns
grosser Vergangenheit geschmückt sind. Dann würde
die gleiche Menge, die jetzt sinnend und geniessend
diese Räume durchwandert, sie fernerhin beleben, und
den Bestrebungen unsrer Tage, den Kreisen, die ohne
tiefere Vorbildung und ohne künsderische Interessen
nur eine anregende Verwendung ihrer freien Stunden
suchen, hilfreiche Hand zu bieten, könnte kaum eine
Sammlung grössere Förderung gewähren, als dieses
volkstümliche und doch künstlerisch so unvergleichliche
„Büderbuch." War die Maülinger Sammlung, was
Aufstellung betrifft, bisher ein Aschenbrödel, so war
die andere, die Ferchische Lithographiensammlung
ein wahrhaftiges Dornröschen. Als die Akademie der
Wissenschaften diese unschätzbare Sammlung aller Ver-
suche und Arbeiten Senefelders, seiner Brüder und der
Meister der Inkunabelzeit überhaupt erwarb, wurde sie,
wohl aus ganz äusserlichen Gründen, der Staatsbibliothek
überwiesen ; doch konnte es sich nur um eine Verwahrung
handeln, da sie ja mit den Aufgaben derselben keinen
Zusammenhang hatten. Der Platz für ihre Aufstellung
mangelte. Die Lithographie war damals ganz im hand-
werksmassigen Betrieb untergegangen und das Inte-
resse für sie und ihre Geschichte erloschen. Jetzt aber
ist mit ihrer künstlerischen Neubelebung beides wieder
erwacht und weit über Deutschlands Grenzen hinaus
würde es in den Kreisen der Kunstliebhaber als ein
grosses Ereignis freudig begrüsst, kehrten die unver-
gleichlichen Schätze dieser Sammlung ans Licht zu-
rück — erregten doch auf der Pariser Lithographieaus-
stellung die wenigen, aus dieser Sammlung hingesandten
Blätter die allgemeine Bewunderung. Eine Übertragung
in das Kupferstichkabtnct, das den meisten Anspruch
hätte, kann nicht in Frage kommen, denn es leidet ja
selbst an betrübenden Platzmangel Die Stadt München
hat aber auch ein grosses lokalpatriotisches Interesse
daran, dass diese Sammlung ans Licht zurückkehrt:
denn erst durch sie wird die unvergleichliche Genialität
und Vielseitigkeit Senefelders ganz erkannt, die Erinne-
rung an eine Zeit, da ganz Europas Blicke bewundernd
auf der neuen Erfindung ruhten, wieder belebt werden —
und das Erstaunen schwinden, dass in unsrer jubiläums-
freudigen Zeit München das toojährige Bestehen der in
ihren Mauern entstandenen Lithographie ungefeiert liess.
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Beiblatt.
(Rundschau der Press«. Forta. ». S. j.)
neu erworben. Der „Dresd, Anz." berichtet darüber:
In erster Linie steht Georg I.ükrig. Was uns in vielen
seiner Schöpfungen so kraftig anmutet, das ist vor
allem sein deutsches Empfinden. Es ist merkwürdig,
dass es nicht leicht zu erklären ist, was deutsches Em-
pfinden ist, oder dass wenigstens im einzelnen Falle
nicht immer Übereinstimmung darüber zu erzielen ist.
So lasen wir einmal, dass einer der entschiedensten
Verfechter des Deutschtums in der Politik, Max Klinger,
die deutsche Empfindung abstritt, während unserem
Gefühle nach z. B. die Brahms - Phantasie trotz des
antiken Gegenstandes von einem ganz ausgesprochenen
deutschen Empfinden getragen wird ; und selbst in dem
Blatte mit dem dahin laufenden Sarge (Amor, Zeit und
Tod) ist das der Fall, obwohl hier die Anregung durch
Fe*licien Rops auf der Hand liegt. Deutsches Empfinden
äussert sich in der Kraft der Auffassung, in der Inner-
lichkeit, der Wahrheit, der Tiefe der Stimmung, im
Tiefeinn und im Phantasiereichtum; Eleganz, Esprit,
Koketterie sind als Worte undeutschen Ursprungs und
ihrem Begriffe nach nicht deutsch. Alle jene Eigen-
schaften besitzen aber die Lührigschen Blätter in teils
mehr, teils minder ausgesprochener Weise. Man sehe
zum Beispiel das Bildnis eines Schullehrers: welch
gesunde Kraft spricht aus diesem Kopfe, wie kräftig
und sicher sitzen die Striche des Stiftes, nie wahr und
ehrlich ist dies empfunden! Nicht minder vortrefflich
ist die Landschaft mit der Kuhherde: wie prächtig
stehen die kräftigen Tiere im Sonnenschein da, wie
natürlich und dabei wohl geschlossen in seiner Bild-
wirkung ist das Ganze ! Weiter erfreuen wir uns an der
köstlichen „Wiese im Sonnenschein", an der „Land-
schaft mit dem nackten Menschenpaar", den „acht
Bäumen", dem „durch Wolken brechenden Sonnen-
schein", Lithographien, denen die Bewahrer dieser
Blätter, einem späteren „Bartsch" vorarbeitend, be-
zeichnende Namen verliehen haben. Nicht ganz so
erfreulich sind die „Amazonen in der Pferdeschwemme".
Wirksam und interessant ist der Rahmen gestaltet,
auch die Landschaft ist ansprechend, nur die Haupt-
personen sind nicht in voller Natürlichkeit bei der
Sache. Endlich sind die Blätter des zweiten Teiles der
Lithographicnfolgc „Der arme Lazarus" zu erwähnen.
Wir wollen sie nach dem Erscheinen im Kunsthandel
ausführlicher besprechen. Die Ausstellung enthält weiter
sämtliche Blätter, die bisher unter Richard Müllers
geschickten Händen hervorgegangen sind. Hervor-
zuheben ist die Hühncrfamilic, eine vorzügliche Leistung
sowohl nach der Seite der Charakteristik der Tiere,
wie nach der malerischen Wirkung: die weichen dichten
Fcdcm, der fleischige Kamm, die harte Haut der Beine,
alles dies kann nicht besser wiedergegeben werden.
Denken wir zurück an die Ticrbildcr von Hasse, an
denen wir in unserer Jugend unsere Freude hatten, so
Ist der Fortschritt ganz unverkennbar. — Die Frauen-
köpfc von Hans Unger, die man aus den Plakaten
kennt, haben alle den gleichen Typus; der Künstler
versteht es vortrefflich, sie auf den blendenden Effekt
herauszuarbeiten und beherrscht die Technik in her-
vorragender Weise. Die Tiefe der Auffassung, wie in
S.S.)
(Anzeigen.)
Fr. Eagea kö hier 's Vertag in Hera- Li terra bau«.
Zur Entwicklungsgeschichte
des Buchgewerbes
von Erfindung der Buchdruckerkunst bis zur
Gegenwart.
Nationalökonomisch-statistisch
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Dr. W. Köhler.
Lex. 8». S9S S. Teat u. a
Dieser als Pn
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nächst vergriffen
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LEIPZIG Kurpriaastrai
Erschienen Katalog 95, enthaltend die
französische u. englische Eitteratur
des ■f Hamburger Profet&rs Alkreckt in einer
Vollständigkeit, wie sie auf dem Kontinente
in anderem Privatbesitz nicht
vorhanden war.
Das „Leipziger Tageblatt" sagt über dies* Bibliothek 1
Gesammelt ist diese Bibliothek tob dem als PolihUtor. sowie
durch seine Angriffe auf Lessing in der Liiterarischen und
Gelehrten-Welt bekannten Prof. AlJiaacHT. In seinem I*ebens-
werke Leasings Plagiate hat er aus den Werken der hervor-
ragendsten Lichter und Lenker aller Zeiten und Nationen
den Beweis zu fuhren gesucht, dass Lessing nichts als ein
ganz verschmitzter Plagiar war. — Ober seine Bibliothek tagt
Prof. Albrecht selbst: „Die wichtigsten Werke meiner Samm-
lung sind auf den Bibliotheken von Hamburg, Berlin, Leipzig,
Dresden und München nicht vorhanden. In Bezug auf dze
englische litteratur bin ich Eigentümer der auf dem Kontinent
wohl ohne Zweifel gröuun BtbU*&4k tngliicker Dramattktr
geworden." —
Besonders wichtig in die Sammlung: des ouvrages rclaüfs
k l'amour. aux ferames et au manage, auf welch* wir Biblio-
theken und Fürscher ganz besonders aufmerksam machen.
In Kürze erscheint: Katalog 99:
natiON4löKononie «nd SozlalwissetncDaTt.
Durch die sachliche Anordnung giebt dieser Katalog
(ca. 1800 No.) eine klare Übersicht über das ganze Gebiet
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brauchbarer Führer sein.
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1«J 7 .
— 4 -
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J
Beiblatt.
(Rundschau der Presse. Forts. ». S. 4.)
dem Plakate für die Estey-Orgeln , hat er indes nicht
wieder erreicht. In den Landschaften, die ebenfalls
die geschickte Hand eines geübten Zeichners und
Radierers aufweisen, bleibt nur mehr Eigenart und
deutsches Empfinden zu wünschen. Jetzt sieht man
überall die Strang, Legros und Seymour-Hadcn hin-
durchleuchten, die den Künstler beeinflusst und ihn auf
falsche Bahnen geleitet haben. Unter den Landschaften
von Emilie MedisPelikan, deren Eigenart — technisch
ungemein geschickt und interessant, aber oft etwas
nüchtern in ihrer photographischen Treue — ebenfalls
kürzlich dargelegt wurde, ragt eine prächige Waldstudie
hervor , nicht minder wirksam sind die Birkenstämme in
Lithographie mit leichter Farbentönung wiedergegeben.
Neben einem ersten Radierversuch Reitender Bauer
(nach dem Gemälde) von Franz Hochmann und einem
stimmungsvollen Waldteich mit Schwänen von Marianne
Fiedler sind endlich noch die Radierungen von Georg
Jahn mit besonderer Anerkennung zu nennen. Offenbar
tritt hier wieder eine neue tüchtige Künstlerkraft zu
Tage, die Bedeutendes hoffen lässt Ein weiblicher
Akt erinnert in seiner sicheren Zeichnung an Stauffer-
Berns grosse Kunst. Die betende Alte und die Frau
im Profil sind von ausdrucksvoller Innerlichkeit und
echter schlichter Empfindung. Nicht minder fesseln
uns die Sirene und das lachende Mädchen durch die
Natürlichkeit, die Kraft und Wahrheit des Ausdrucks.
Dabei bewundern wir die feine einlässlichc Grobstichel-
technik, welche die Formen in weicher, aber durchweg
charakteristischer Modellierung wiedergiebt und mit
einsichtiger Verwendung von Licht und Schatten eine
treffliche, geschlossene Bildwirkung hervorbringt. Wir
dürfen uns freuen, hier wieder einem Künstler zu be-
gegnen, der mit starkem innerlichen Empfinden und
ungewöhnlich tüchtigem technischen Können zugleich
schafft.
Um die Ehre, die erste Zeitung in Europa heraus-
gegeben zu haben, streiten sich die Niederlande, Frank-
reich und Belgien. Brüssel begründet seinen Anspruch
unter Hinweis darauf, dass bereits im Jahre 1605 in
Brüssel die Nicuwc Tydinghen, ein unregclmässig er-
scheinendes militärisches Bulletin, herausgegeben wurde.
Demgegenüber hebt eine französische Zeitung hervor,
dass in Paris schon 1494/95 während des Feldzuges
Karls VIII. gegen Italien den heutigen Extrablattern
ähnliche Berichte ausgegeben wurde, die das Volk über
den Stand der Dinge im Felde, die Kämpfe, Siege,
unterrichteten. Damit hätte Frankreich aber noch nichts
bewiesen; denn diese Art des Zeitungswesens ist schon
in der Mitte des XV. Jahrhunderts in Italien, England
und Österreich üblich gewesen, wo über Natur-
erscheinungen, Unfälle und Morde ein beinahe regel-
mässiges Nachrichtenwesen in Einblattform sich aus-
gebildet hatte. Mitte des XVI. Jahrhunderts wurden
in Köln, als dem damaligen Mittelpunkte Deutschlands,
schon regelmässige wöchentliche Korrespondenzen her-
ausgegeben. 1608 erschien in London, als erstes Blatt
Englands, die Weckly News (also ein Wochenblatt).
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Frankfurt Frankreich erhielt erst 1631 in La Gazette
ein regelmässig erscheinendes Wochenblatt.
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der Herr Autor dasselbe unparteiisch, auf eigene und auf die
neuesten Forschungen anderer Fachmänner »ich stutzend, unter
Berücksichtigung der Personalkunde in korrekter und Verständnis-
voller Darstellung behandelt. Das Buch bringt vorwiegend noch
nicht veröffentlichte Illustrationen von Denkmälern der Bau-
kunst. und hat Sc Majestät dar König Albert von Sachsen
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nische Litteratur.
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„Magazin f. d. Lmeratur d. Aus-
landes" lätL
Magie de» Träumt //', ».
Mai Haid, I. «cV
Mailluiger .Sammlung /, t^
Maitres de 1' Affich« tos.
Malcolm, General 1117%.
Malerei im ff; II, i.
v. MaltzäKn i6 j.
Manuale scholarum 143.
Marcolini 167.
Man, K. tu.
Manuen, E. LÄA.
Masscbieau, L. 14J.
Maywald 103.
Max, C. qt
Meclu-Peukan. E. /, j.
Mehring, Th. 170.
Meier. H, iL 101.
Meier.Graefe, J. 9-j.
Meisner, IL «21:
Meuter, E. S. .-'m,
Memoiren //, I.
Menge n.
Menzel, A. ^
Mergenthaler 63-
Melallichnitt 14g.
Meucrmch *6i.
Meutel au.
Meyer, J. uü.
Meyer, P. /»'. 5.
Michaeli», J. IL" KM.
.Büchel, deutscher" iaj,
Milchuck, Dr. G. a£
Militaria //, tj /// 2.
Militarkostüzne /K 1, a.
Minding, J. 87.
Miniaturen ogt ~ iut. iüü. 2631 r. X.
Miniaturmaler lyO,
Minna von Barnhclm ist.
„Mitteilungen für die Moiartge-
meinde" 8a,
Mittelalter //'. a.
„Moderne Kunst" bjr. 60.
Molierc yji )'('/, x*
Mommsen, In. »71.
Monchslcbcn /X ', a.
Montez, Lola 105 ff, 196, 367 t.
Monumeau üermaniae historica
»71.
Morro.W. xafftjf, 14^.256'. 27t.
Morrison. Sammlung 100.
Mo»er, Kolo ifii,
Mozart 70 ff.
Much» 3nn
Muhlhrecnt, O. 9;.
Mueller, A. 1 SC
Müller-BraueiTlL Mpfl", 268-
Müller. K. /. a.
Murray. Ch. F. ifi.
Museum. British, vgl. British
Miueum.
Mu»ik /, « i //, J j ///, S; /V. L
Musiker //, ij V/r/. 1. —
Mvstik IV,
X.
„Nachrichten, Hamburger" //, 4.
Nacht und Eü, In 250.
Nagel, J. W. 104. —
Nantcn, Fr. 259.
Napoleon III. ^ üü.
„NarrenschiiT, <las" 5a.
„Nation" ///, 4.
Nationatmuseum, München /, a.
Nationalökonomie /, x»
Nationalversammlung 85.
„National • Zeitung" 83; //, u
///. af.
Naturwissenschaften IV, 2, »1
V. VI, x.
Neudrucke jat, 147.
Neuhof. L. ST
Neujahrswunsche ano.
Nicholson 2?,
„Nicois, I^Pctit" 15a.
Nicolai, Fr. ist.
Niedermayer 7t.
Nizza 15a.
NordafitTB. «o.
Nörrenberg, Dr. 10 j.
Notentitel, moderne deutsche, 1 ff.
Numismatik //, 1; .'/.'. a.
Nununeister, J. 148.
o.
Obrich. J. M. 262.
Occulüimus /X ', a»
Onatch. Hl. as8.
Origenes m
Orlik 97.
Orlik.-fc «8.
Ornamentik 249 f.
' 'rieliui. A. ii_
Österreich-Ungarn sj. toi, aoOi
/. ItAlI ///, t.
Oswald. U. 4». «ai
Orte nfeld z&L
Oe Hinget »77,
Paar, iL 190.
„Pan" 9i lojj SJt, üS.
Pantcniut, Th. IL 270.
Papiermaschinen 62L
Papperitz, Cj. oft.
Papsttum /X', a.
Papyrus je.
Paneurs Theorie 200.
Patentpapierfabrik Penig 67.
Pate». I. iSj.
Paul, IL 121;
Pauli. A. «7.
Pergameutdrucke tat.
Pcrgamenunaiuisknpi*
Peruwerth v. Harnstein
"V, »Ol.
H
Petersen, I. W.
L 238.
Philologie. Klassische /, 1 i //.
Petitjean,
Philosophie IV,
..Phobu«" H)
Piat 136,
Pieriut, J. uff.
Pierson, C. 64^
GL du Piv KU.
Plakate ätff. 104. lüi **L 2*5:
Plane //. u 7VT a.
„Plume" itsL
Po«, E. A. IV, $.
Politik ///. t.
Pollini 170.
Porträts M, osf, Iii, i*äi HA
109. LU II. U » 1 ' T T*-
Posonyi aiST
Postl. K. is».
,.Posullon^SuddeuUche^'• l9r.
Prachtwerke /, 1;
Prahiatorilt ///, j.
Praeraphaeliteu 12 ff.
Preisausschreiben /'■", &
Prieger, Dr. »17.
Prinx FriedricTTvon Homburg IM-
Privatbibliotheken »70.
Privaidrucke //, >.
Privat-Lireroont 104.
Proctor, R. »45-
Ptalterium aurcum 3y>-
Publikat. gelehrt. Geiellsch./X'.l,
.Juck" Ä*.
Q-
Quaritch. B, iJ6f. n6.
Quasch, Th. 10g.
QuellenwerkeTT', t.
R.
Radierungen /. X. 4J //, <•
Ranp, LL 75. 77-
v. RaumerrFr. ist.
*. Reber, Frz. 191.
Rebmann, A. Fr. (Jg. 143.
Kechtswiisenschaft /<', ü
Reformation 14». »s8.
Reformations^ttReratur /'', a.
H'-^ntei . 1 V
ReichardtTT. 8;.^
ReichsdruckereT^ ff.
Reimann, iL 1601T
Reinick, R. 07. HO.
Reisen /, u«, l.
Reklame ///, j.
Reklameblatter 170.
Religion /, 1.
Reliuuienkult II', i,
Rcmbrandt uo-
Remenyi, E. 18&.
Renaissance i6jj.
Rethel, K.
Reuter, W. 71.
R«Tolution 1848 8jff, so, mff.
»61 : I, a,
„Revue biblio-iconographique"
S«. I0&.
.Jlevue. Deutsche" jt.
Renücek 7a
Richter, L 2.
Riegl, AI. »49.
Ries. J. W. in.
Ring, M. i;6H.
Rlrtenre»en7t'. 2.
„Rivista delle Bibliothtch* c
degli Archivi" m.
Robinsonaden //, 1.
Rockner, V. 22a.
Roder. C. G. i-
Rodm, A. 07.
Rommel, DrT///, 4.
Roanenkampf 72.
Rops, F. 50,
RoiendahlTj. 101
Rusetti, D. G. n,
Roth. F W. E. 10a.
„Rundschau, Wiener" aji.
Russell, K IL tu.
Rußland IV, x.
Sachs, LL cio.
Salarar, M. i<,i
de la Sale, jCl^ß.
v. Sali et tot .
Salvaing de Boissien 50.
Sammelwerke //", t,
Sand, K. //,
Sappia tu.
Satiren TT, 2.
Sattler, 1- ti. 8g C, 104.
„Satyr" Jj6.
Savage, wTb}.
Saaonica ll\L.
v. Scala ja.
Scaliger. J7 2a.
Gf. v. Schack. F. A. Mg,
v. Scheffel. J. V. iaat
Scheiter, J. G.. & Giesccke 163.
Schereuberg, Chr. Fr. i6j.
Scheufflein. IL 1*7.
SchiU Jt6.
Schüler 100 f. 2ifi.
Schillers Adelsdiplom <».
Schlechter, Dr. 10».
v. Schleinitz. O. 04. f, 186, ioj.
Schmidt, A<L at^ 213. 2^7.
Schmidt, Gebr. 64.
Schmidt-Weissenfets t^J.
Schneider. L. t8t.
Schoffer 148.
Schoffer.T" iL
Schocffer, P. oOj ta<.
Scholz, W. 114. »7*>,
Schopenhauer liiol
Schreiber, \V. L. 106. ttu.
Schrift, deutsche oder lateinische l
«93 f-
hnftgiesserei 267.
Schriftproben 22iin,
Schnltgiesserei 267
Schriftproben jjitn, 221 ff.
Schriftwesen ///, a.
Schülergespracbe 142.
Schumann. R. iJLa-
Schur, E. ta_ff, JJ^ff. 227 ff
Schürmann, Au<- m*.
Schütter & Locrller 108.
Schwabacher Schrift 103.
Schwarzsehe Buchersarnmlong
/'•, 4
Schweden ///. Jj IV, 3.
Schweiz 36. «981 IV,
v. Schwina^ M. 2.
Scott. Temple >s6.
Sealsfeald. Ch. TTT.
Seeck. O. tag.
Seeger, M. 20 j.
Sekten IV, g,
Seltenheiten 270; I. » i U Li
/''.«.£. iTT/X'/. t.
Senefelder 63, 7off( /,
Senff, B. i£T
Seumaschinea 63.
Shakespeare to.i. 104 ; ///, 2.
Siegel ioj.
Siegel, TT F. W. 2 f.
Silberschmiedekunst IV, x,
Simeon, tL tjj.
Simrock, K. 193 f.
Simrock-Michael, Frau 6.
Sittenfeld, L 68. 87.
Sittengeschichte /AI» ///. 1. a,
SiKpence*Shakespeare ///, gf.
Skene. G. <o.
Skulpturenschau 191.
Smexmann, A. 1«.
Societa bibliograiica iuUana <6.
Soc irte des Amis desLivres X ' < 7,3
v. Seen, A. US.
Soli», V. 22U.
Sommer, A. 87.
Sondheim. M. laff
Sorel, Qu 109.
Sotheby jOj 10», 151, ifttiL
Soziatwissenschaft /, x.
Spanien 112.
Spener. Ph. J.
Spielkarten .''/. a.
Spicu, J. Ph.
Sphragiatik //, i.
Sport /, 1«
Springer, A. »«^.
„Staats-Anzeiger f. Württ." a
Staauwisseaschaf ten ///, 2 . /Tj l
Vi VI, L.
Stadteansichten /, 3 ; üi; ///, 2.
Stahr, Ad. 8t.
StammbuchBTätt Sands //, 4.
Stainnibuchar »49, ist ; U L
Sunliope 6|.
Starcke, Gh. m.
Stargardt, J. A. 52.
Stern, L. 169.
t. StemscneDnickerei 210.
SuKragen ^49.
Stohr. E. iE!
SUMvtng, C. 2.
Strahuber. A. 2.
Strang. S. A. sy
Strathmann, K. 9-
Streckfuss. Ad. Ti-
Stuck, F. 7 ff.
Scudentes 7, x.
Sudermann, hL 44, 15
Tagebücher //, L
Tannhaut er, der neue 164..
Taschner, J. 100.
Taylor, Dr. 192.
Tcnnysoo, A. 55,.
„Teufel, der. inzlcrliB" 136.
Theater /. X,
Theaterzettel 170 ff, 267.
Theucrdanck aau.
Theologie /. Li ///. Xi IV, L. a.
Theotopbie /X-', g,
Thomas 97.
Tieck, L. »tt.
„Timei" &
Tovote, IL36. 38.
Trachten 96.
Trojan, I» ItM.
Trompeter vTSakkingen 19s-
Tschudi. A«. 21. •
Tuer. A. W. 144
Turgenieff IV, L
Türkischer Einband 266.
de Tum. P. 1B6.
Typen H7ff. zw.
u.
Ubbelohde 97.
„Über Landund Meer" 6^
Cbersetzungen 189.
Ulbrich, H. 2v8.
„Ulk" 19a.
Ulrich, T. 178.
Unbesiegbare, der soo.
Unger. Fr». IV, t.
Unger, IL X ff. /. 4^
Universitäten 141 17"
Unsterblichkrittbeweis IV, g,
Urkunden /X'. s-
Urzeit ///, x.
Uzanne, O. 4 t ff.
V.
Vaj hinger, iL iqo.
Vallance, Ayaia »s6.
Vallottoo, F. 92 1; tt>
Velhagen & ruäting <2_
192, «2.
Velten, J. 17t.
Verard, A. 160.
Verein der Bücherliebhaber 140.
Vereinigung bild. Künstler üitetr.
54-
„Ver sacrura" 54, 26a-
IV
Schlagwort-Register. IL Jahrg. Bd. I.
Vetter, Tb.
aanal 4 .1.
„Vlaamschc ScbooP ü, ifA,
Victoria (Quee
Vockrodt, G. _
Vogel, der buate aao.
Vogel«, iL m» ZU
Vogt, N. 71. 76.
VoUbeJ>r.Tfhr7/, a.
Voigt, W. ;f.
Völkerkunde 71", 1»
Vi Ii .irr 100.
„Vom Feit tum Meer" 16 v
de Vriet, Sc. ioi.
W.
Waisenhaus in Halle ::
Waldfoghel. Fr. IV, j.
Walteoslein 17».
Wahher. K. IL ■■'».
Warschauer. Ad. a?t.
Wasmano. Fr. jo.
WeigeL Th. O. 9t
Weiss, E. R. 3J.
Weit». F. R. Bat
Weiss. G. «1
Wcistaecker. iL i<l
Wenig, A. 16.
Wenig. B. 27
Wenoerberg, Br. £.
Werkmeister, K. 25, ans.
Weither tSJÄ
Weygand, Chr. Fr. 153 ff.
„Wide World MagaltBe" 20a.
Widmann, Simon 167.
Wielaad, L. a.11.
Wilhelm L Iis.
Wilhelm IL log.
Wilder. Chr. j^t
Willctte loa.
Winckclmann, R. 133.
Winter, R. 106.
Witkowikj. Gg. 103 ff.
Wohlfeld. A. 67.
WollT. Ad. lt.
Wolff, F.ug. m ff.
Wolfikeh) «ja.
v. d. WoudeTlL sot.
Gt Wrangel 134 f£
Wrede. R. toi.
Wright, ThrtSa.
Württemberg //, L.
Wiirrburg joj.
Wiutmano, G. 143. »*7. 12L
Würrburg 26s.
Wyl. W. loa.
Wynkyn de^Vorde 1*2.
Zabel. E. ///. af.
Zahn, O. iflü-
Zainer. G. 111. a&L
Zarcuky, O. ui.
Zarncke, Fr. 141.
Zeidler, I. 101.
Zeitschriften />', 1.
„Zeitschr. d. hittor. Gesellten f.
d. Pro». Poten »7i.
„Ztschr. d. deutsch, morgenl. Ge-
sellsch." 103.
„Zeitschrift. Neue, f. Musik" t»<
Zeitungen ßs_ ff.
Zeitung, erste in Europa /, c.
„Zeitung. Allg." /, a_i K ''/Tj.
„Zeitung, Frank/." //, t.
.Leitung, Illustrierte" 00.
„Zeitung, Lei»*," ton.
Zensur to<. 1 ji, ti t.
„Zentralblattt liiblitttheksw."
IV, 6.
Zestermann. A. 08.
». Zobeltiu, F. 32, 16 \. 176 fr. 102.
Zola, E. 19a.
Zriny-Manuakript 116.
Zucker, Bibliothekar /'', 4.
y. Zur Westen, W. irt
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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Zfttichnft f uf b ucharfraufMte.
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